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Leben mit seltenen Erkrankungen

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Cerebrotendinöse Xanthomatose<br />

„Man sollte<br />

nicht nur für die<br />

Krankheit leben,<br />

sondern <strong>mit</strong> ihr“<br />

Cerebrotendinöse Xanthomatose (CTX) ist eine sehr<br />

seltene Stoffwechselerkrankung. In Deutschland<br />

leben schätzungsweise nur 30 bis 40 Betroffene,<br />

die diagnostiziert sind. Manfred Bauer ist einer von<br />

ihnen. Im Interview spricht er über seine Symptome<br />

und die außergewöhnlich späte Diagnose.<br />

Redaktion Nicole Kraß<br />

Foto: privat<br />

Herr Bauer, Sie haben CTX. Wie hat sich die<br />

Erkrankung bei Ihnen geäußert?<br />

Rückblickend hat sich die Erkrankung wahrscheinlich<br />

schon zehn bis 15 Jahre zuvor gezeigt.<br />

Mir wurde immer gesagt, ich hätte einen<br />

„schlampigen Gang“. Dass etwas nicht stimmt,<br />

habe ich gemerkt, als ich <strong>mit</strong> dem Tempo meiner<br />

Frau nicht mehr <strong>mit</strong>halten konnte. Bei einer<br />

Wanderung im Januar 2017 haben dann<br />

meine Beine plötzlich so gezittert, dass ich<br />

nicht mehr weitergehen konnte.<br />

Welche Symptome hatten Sie außerdem?<br />

Die Gangunsicherheiten wurden stärker, ich<br />

fing an zu stolpern. Dazu kamen neuropathische<br />

Schmerzen, erst an den Füßen und Beinen,<br />

dann an Händen und Armen. Dann nächtliche<br />

Krämpfe bis hin zur Spastik, auch erst an den<br />

Beinen, dann an den Armen. Die Gehstrecke<br />

wurde immer kürzer, inzwischen bin ich auf<br />

den Rollstuhl angewiesen.<br />

Wie wurde die Erkrankung diagnostiziert?<br />

Mein erster Weg führte mich zum Hausarzt.<br />

Der hat mich zum Neurologen geschickt. Nach<br />

einigen Untersuchungen kam ich in eine Klinik<br />

und wurde komplett auf den Kopf gestellt: CTs,<br />

MRTs, Lumbalpunktion. Dann folgten weitere<br />

Tests am Friedrich-Baur-Institut in München,<br />

einer Fachambulanz für neuromuskuläre<br />

<strong>Erkrankungen</strong>. Der Cholestanol-Wert im Blut<br />

war zwar erhöht, aber nur leicht. Erst in Verbindung<br />

<strong>mit</strong> der genetischen Untersuchung hat<br />

dann ein Arzt den Zusammenhang hergestellt.<br />

Wie hat Ihre Familie auf die Diagnose<br />

reagiert?<br />

Am Anfang war eine große Unsicherheit. Am<br />

stärksten belastet ist meine Frau. Ich muss<br />

aber auch sagen, dass es überhaupt wichtig<br />

ist, eine Diagnose zu erhalten. Bei mir<br />

ging das in Überschallgeschwindigkeit, in<br />

nur eineinhalb Jahren. Das ist nicht selbstverständlich.<br />

Viele Betroffene warten mehrere<br />

Jahrzehnte auf eine Diagnose.<br />

Wie werden Sie behandelt?<br />

Ich habe sofort <strong>mit</strong> der Einnahme von Chenodesoxycholsäure<br />

angefangen. Dazu bekomme<br />

ich Physiotherapie und Ergotherapie,<br />

außerdem trainiere ich täglich am Theramed,<br />

um die Spastiken zu lösen und um die Muskulatur<br />

zu bewegen. Gegen die neuropathischen<br />

Schmerzen und gegen die Spastiken nehme<br />

ich unter anderem Cannabisprodukte.<br />

Wie sieht Ihr Alltag <strong>mit</strong> der Erkrankung aus?<br />

Mein Alltag ist nicht vergleichbar zu vorher.<br />

Alles ist anders. Man muss sich seine Kräfte<br />

und Strecken einteilen. Ich muss mir immer<br />

überlegen, wie ich wo hinkomme und welche<br />

Kräfte ich dazu brauche. Ja, und manchmal<br />

hat man auch seine Emotionen nicht mehr so<br />

im Griff. Es wird körperlich, aber auch mental<br />

immer schwieriger.<br />

Heilbar ist CTX nicht. Können Sie trotz der<br />

Erkrankung ein normales <strong>Leben</strong> führen?<br />

Solange ich keinen Rollstuhl gebraucht habe,<br />

war es weitgehend „normal“. Aber auch jetzt<br />

will ich raus in die Natur. Daher habe ich mir<br />

einen klappbaren Elektrorollstuhl zugelegt.<br />

Wir sind immer gerne gewandert, am liebsten<br />

abseits der Touristenpfade. Das geht <strong>mit</strong> dem<br />

Rollstuhl nicht mehr.<br />

Sie sind Teil der Selbsthilfegruppe ELA e. V.<br />

Wie kam es dazu?<br />

Bei einem Reha-Aufenthalt bin ich <strong>mit</strong> einer<br />

Dame aus dem ELA-Vorstand ins Gespräch<br />

gekommen, und jetzt bin ich selbst Mitglied,<br />

das einzige <strong>mit</strong> CTX. Es ist ein Austausch<br />

außerhalb der Medizin, ein Erfahrungsaustausch<br />

zwischen Betroffenen. Wie man den<br />

Alltag bewältigen kann, wie man <strong>mit</strong> Behörden<br />

und Krankenkassen umgeht.<br />

Was ist ein großer Wunsch von Ihnen?<br />

Ich wünsche mir mehr Öffentlichkeit und<br />

den Austausch <strong>mit</strong> anderen CTX-Patienten,<br />

zum Beispiel über den Verein ELA (www.<br />

elaev.de). Die Krankheit sollte aber nicht im<br />

Vordergrund stehen. Man sollte nicht nur<br />

für die Krankheit leben, sondern <strong>mit</strong> der<br />

Krankheit..<br />

CTX-Fakten<br />

• Die CTX ist eine erbliche Störung des Gallensäurestoffwechsels,<br />

die durch Genmutationen<br />

verursacht wird. Diese Störung<br />

verhindert die Umwandlung von Cholesterin<br />

in Gallensäuren und es kommt vermehrt zu<br />

Ablagerungen von Fetten (Cholesterin und<br />

Cholestanol) im Gehirn und anderen Geweben.<br />

• Einer von 135.000 bis 460.000 Menschen in<br />

Europa ist betroffen.<br />

• Die Symptome können nach Altersgruppen<br />

(Neugeborene, Kinder und Jugendliche,<br />

Erwachsene) gegliedert werden. Bei Neugeborenen<br />

kann z. B. eine verlängerte Neugeborenengelbsucht<br />

oder chronischer Durchfall<br />

ein Anzeichen sein. Bei Kindern und Jugendlichen<br />

können zum chronischen Durchfall<br />

auch ein Grauer Star, Entwicklungsverzögerungen<br />

oder neurologische Auffälligkeiten<br />

hinzukommen. Typische Symptome bei<br />

Erwachsenen sind Xanthome (Fettablagerungen<br />

an Sehnen), kognitive, neurologische<br />

oder auch psychiatrische Störungen.

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