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Leben mit seltenen Erkrankungen

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16<br />

Hämophilie<br />

„Mit 15 Jahren fing mein <strong>Leben</strong> erst an“<br />

Foto: privat<br />

Herr Grote, wann wurde bei Ihnen Hämophilie<br />

diagnostiziert?<br />

Als ich ins Krabbelalter kam, das war in den<br />

50er-Jahren, bildeten sich bei mir riesige blaue<br />

Flecke, ich hatte Einblutungen an Armen und<br />

Beinen. Der Kinderarzt wusste nicht weiter und<br />

schickte meine Eltern und mich ins örtliche<br />

Krankenhaus. Weil die Ärzte auch dort überfragt<br />

waren, wurden wir in die Uniklinik Münster<br />

überwiesen. Dort wurde dann Hämophilie<br />

diagnostiziert.<br />

Als man bei Ulrich Grote Hämophilie diagnostizierte, sagten<br />

die Ärzte, dass er eine <strong>Leben</strong>serwartung von 14 Jahren hat.<br />

Heute ist er 68 Jahre alt.<br />

Redaktion Emma Howe<br />

Wie sind die Ärzte damals <strong>mit</strong> der Diagnose umgegangen?<br />

Ich bekam Bluttransfusionen, auch per Direktübertragung<br />

von meiner Mutter, die als Überträgerin<br />

der Krankheit sowieso schon einen stark verminderten<br />

Faktor-8-Gehalt hatte. Das brachte mir<br />

also gar nichts. Doch die Ärzte wussten es damals<br />

nicht besser.<br />

Wie hat sich die Erkrankung auf Ihre Kindheit<br />

ausgewirkt?<br />

Ich hatte keine normale Kindheit. Meine Eltern<br />

haben mich in Watte gepackt. Ihre große Angst,<br />

die absolut nachvollziehbar war, hat mich sehr<br />

eingeschränkt. Wegen der ständigen Gefahr, Einblutungen<br />

in den großen Gelenken zu erleiden,<br />

musste ich mich äußerst vorsehen. Zudem musste<br />

ich fast wegen jedem Zahnwechsel ins Krankenhaus.<br />

Einfach Kind sein – das hatte ich leider nicht.<br />

Was war das einschneidendste Erlebnis <strong>mit</strong> der<br />

Hämophilie?<br />

Ich habe mir zweimal hintereinander den Kopf<br />

gestoßen und daraus ist eine Gehirnblutung entstanden.<br />

Zum Glück war ich damals schon unter<br />

Faktor-8. Dadurch haben die Ärzte das sehr schnell<br />

in den Griff bekommen. 1973 habe ich gelernt,<br />

mich selbst zu spritzen – das war eine Revolution.<br />

Da<strong>mit</strong> fing für mich ein relativ normales <strong>Leben</strong> an.<br />

Wie hat sich die Therapie seitdem verändert?<br />

Ich spritze mich momentan zweimal pro Woche.<br />

Die Präparate sind so fortschrittlich, dass man es<br />

quasi nebenbei machen kann. Wenn Kinder heute<br />

<strong>mit</strong> Hämophilie auf die Welt kommen, können<br />

sie dank der modernen Therapiemöglichkeiten<br />

ein nahezu normales <strong>Leben</strong> führen – das ist natürlich<br />

unglaublich toll.<br />

Was gibt Ihnen die größte Sicherheit im <strong>Leben</strong>?<br />

An erster Stelle steht meine Frau, meine ganz<br />

große Liebe, und meine Freunde, Verwandten<br />

sowie mein kleiner Hund. Ich genieße es sehr,<br />

Hobbys und Leidenschaften zu haben und diese<br />

auch auszuleben. Meine größte Sehnsucht war<br />

immer, so normal wie möglich zu leben, und das<br />

ist dank der modernen Therapien wahr geworden<br />

– dafür bin ich sehr dankbar. .<br />

„Schaut nicht auf das, was nicht geht“<br />

Foto: privat<br />

Herr Wolf, bitte geben Sie uns einen Einblick in<br />

Ihre Kindheit und Jugend.<br />

Als Kind und Jugendlicher war ich immer sehr aktiv<br />

und hatte, tatsächlich auch aus diesem Grund,<br />

wenig Probleme oder Blutungen. Ob Schwimmen,<br />

Tennis, Tischtennis oder auch einfach nur<br />

Sport <strong>mit</strong> Freunden auf dem Bolz- oder Spielplatz,<br />

meine Muskulatur war gut genug ausgeprägt,<br />

um Verletzungen und Blutungen vorzubeugen,<br />

und Bewegung war für mich genau die<br />

richtige Ergänzung zur Prophylaxe.<br />

Benjamin Wolf ist 33 Jahre alt und hat eine schwere<br />

Hämophilie B. Einschränken lässt er sich durch seine<br />

Erkrankung nicht.<br />

Redaktion Leonie Zell<br />

Wie geht es Ihnen heute?<br />

Mein Motto lautet: Ein starker Muskel stützt die<br />

Gelenke und hilft gegen Verletzungen.<br />

Wie sieht Ihre persönliche Therapie aus und wie<br />

ist die Kommunikation <strong>mit</strong> Ihrem Arzt?<br />

Meine Behandlung stimme ich individuell <strong>mit</strong><br />

meinem Arzt ab. Im Hämophilie-Zentrum in<br />

Bonn bin ich bei einem sehr fortschrittlichen<br />

und proaktiven Zentrum sehr gut aufgehoben.<br />

Meine Ärzte sind immer gut für mich erreichbar.<br />

Das ist vor allem dann wichtig, wenn ich<br />

Unternehmungen wie eine Reise planen möchte.<br />

Über neue Faktorpräparate oder digitale Angebote<br />

für meine Therapie, wie zum Beispiel Apps<br />

zur Therapiedokumentation, werde ich eigentlich<br />

immer zeitnah informiert. So konnte ich an einer<br />

Testversion für eine App zur digitalen Dokumentation<br />

teilnehmen und führe nun schon viele<br />

Jahre meine Dokumentation per App durch.<br />

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen?<br />

Das Thema Reisen und dabei spontane Entscheidungen<br />

treffen zu können ist wohl die größte<br />

Herausforderung. Work & Travel wäre für mich<br />

zum Beispiel kompliziert. Ich muss meine Urlaube<br />

gut planen, dabei helfen mir Informationen<br />

wie: Wo sind Behandlungszentren? Wie und wo<br />

bekomme ich meinen Faktor? Habe ich alle wichtigen<br />

Dokumente wie eine Zollbescheinigung<br />

dabei?<br />

Welche Tipps möchten Sie anderen Betroffenen<br />

geben?<br />

Schaut nicht immer auf das, was nicht geht, sondern<br />

vielmehr auf das, was geht. Es gibt viele interessante<br />

Sportarten wie Rudern oder Schwimmen.<br />

Sucht euch Hobbys und Berufe, in denen<br />

ihr trotz eventueller Einschränkungen aufgeht<br />

und die ihr gerne macht. Ein Blick in die Vergangenheit<br />

kann helfen und motivieren, weil es gerade<br />

jüngeren Betroffenen und deren Angehörigen<br />

aufzeigt, wie weit wir schon <strong>mit</strong> den uns zur<br />

Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten<br />

gekommen sind, Stichwort Heimselbstbehandlung<br />

und verlängerte Halbwertszeit der Faktorpräparate.<br />

Diese Möglichkeiten hatten die älteren<br />

Generationen noch nicht..

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