WEIT WEG | Kapverden Aufgetafelt: Eine Besuch in der Markthalle von Mindelo weckt die Sinne mit Farbenpracht und intensiven Gerüchen. Am Ufer präparieren die Männer fangfrischen Fisch mit alten Konservendosen. Nichts für schwache Mägen! 46
Dieser Kopf zierte einst einen Wagen beim Karneval von Mindelo. Heute verwittert er in einem Hof, in dem die bildenden Künstler der Stadt arbeiten. »Kunsthof«. Dahinter erkennen wir eine Interpretation von Arielle, der Meerjungfrau. In diesem Künstlerquartier werden oensichtlich auch Figuren für den arneval gestaltet, wovon einige scheinbar wahllos abgestellte Beispiele zeugen. Ein großer Kopf aus Pappmaschee hat seine besten Zeiten schon länger hinter sich. Der Karneval sei hier eine große Sache, erfahre ich. Sicher nicht so groß wie der in Rio, aber ebenfalls sehr stimmungsvoll – mit großen Tanzgruppen und rhythmischer Musik. Musik und Rhythmus haben die Kapverdier offensichtlich im Blut, wie Markus glaubhaft versichert. Er muss es wissen, schließlich betreibt er eine eigene Musikschule, in der Schlagzeug und Percussion gelehrt werden. Er ist längst Teil der lokalen Musikerszene und kennt hier oensichtlich eden. Selbstverständlich auch Louis Baptista. Der Mittvierziger mit den Rastazöpfen ist Spross einer Instrumentenbauerfamilie, inzwischen selbst Chef des Unternehmens mit internationalem Ruf. Er baut Gitarren und hat sich in Cremona von Nachfahren der Familie Stradivari im Geigenbau ausbilden lassen. Seine Spezialität ist aber die Cavaquinho, eine kleine, viersaitige Gitarre, die hier eine große Tradition hat und einst von portugiesischen Seefahrern in die Neue Welt exportiert wurde – wo sie auch als Ukulele bezeichnet wird. Instrumente aus der Baptista-Werkstatt sind nach wie vor international sehr gefragt, werden aber ausschließlich auf Bestellung gebaut. Louis zeigt uns seine Werkstatt, wir sehen Hölzer, Formvorlagen für einen Korpus und fertige Instrumente. Hier hängt der Himmel eben nicht voller Geigen, sondern voller Cavaquinhos. Ein wahres Highlight ist das anschließende Privatkonzert mit Louis, seinem persönlichen Cavaquinho und seiner Familie, in die Markus mit seiner Cahun taktgebend integriert wird. Ich lerne, dass Musik in Mindelo weit mehr als Morna ist. Ich lerne aber auch, dass nicht alle in der Stadt wirtschaftlich so gut gestellt sind wie die Familie Baptista, die von ihrer Arbeit gut leben kann. Viele jungen Kapverdier gehen deshalb in die USA, wo sie teils legal, teils illegal leben, arbeiten und Geld sowie Waren in die alte Heimat schicken, um ihre Familien zu unterstützen. Sichtbar wird dies an den vielen blauen Kübeln, die rund um den Marktplatz zu sehen sind, in denen die Ex-Patriots Ware, meist Kleidung, in die alte Heimat schicken. Vom Marktplatz aus ist es nicht weit nach Ribeira Bote, dem sozialen Brennpunkt von Mindelo. Nein, das ist kein voyeuristischer Katastrophentourismus. Dafür sorgen Markus und Belton. Letzterer wohnt selbst in Ribeira Bote, ist stolz auf sein Viertel und will mit diesen Führungen Anerkennung für deren Bewohner erreichen und auch Geld ins Viertel bringen. Schließlich bekommt er selbst ein Honorar für die Führungen. Auch die Kunsthandwerker, die er uns vorstellt, haben die Gelegenheit, ihre Produkte direkt an Touristen zu verkaufen – Töpferwaren beispielsweise oder Armbänder, die ein in sich gekehrter, hagerer Typ auf der Matratze fertigt, auf der er sonst schläft. Wir kommen diese Nacht nicht so schnell ins Bett, schließlich verrät uns Markus, dass er an diesem Abend noch mit dem Trio Soa im Musikklub Le Metalo spielt. Chen und Namensgeberin des Trios ist Claudia Duarte Soa, eine begnadete unge Sängerin, die selbstverständlich auch Gitarre spielt. Der Dritte im Bunde, der Mann am Bass, wird als Onkel Lucio vorgestellt. Ob er tatsächlich Claudias Onkel ist, bleibt unklar, vom Alter her könnte es passen. Und Claudia hat das Zeug für eine erfolgreiche arriere als Promusikerin. Das meint auch Markus. Ob es aber so weit kommt, ist fraglich, schließlich ist die selbstbewusste, junge Frau gerade dabei, ihr Jurastudium abzuschließen. Sie kann es sich durchaus vorstellen, als Rechtsanwältin zu arbeiten, und so mit den Menschen in ihrem Umfeld. Das alles erzählt sie nicht etwa am Abend des viel beklatschten Auftritts, sondern am anderen Tag auf der Fähre nach Santo Antão. Dort erwartet uns Kai Pardon in seinem Mamiwata Eco Village, das vor den Toren des Dorfes Chã d’Ingrejia liegt. Eigentlich ist der Mann ja Reiseveranstalter. Doch als Ergänzung seiner Firmen »Reisen mit Sinnen« und »Vista Verde« wollte er auch noch ein eigenes Domizil schaen. Das ist mit Mamiwata, einem Bungalowdorf mit Hotelcharakter, nun geschehen. Zur Verfügung stehen 15 kleine Bungalows für jeweils zwei Gäste sowie vier größere Gebäude für jeweils vier Gäste. Über den zu erwartenden Service wagen wir noch keine Prognose, da wir die Anlage nur im Probebetrieb erlebt haben. Da war beispielsweise die Rezeption (noch) nicht besetzt und auch der sonstige Service nur zu den Essenszeiten verfügbar. Jedenfalls ist der Hotelmanager auch Somelier und kredenzt mit Freude Tropfen aus der Region. Die stammen noch von der Insel Fogo, doch in absehbarer Zeit soll hier auch ei- frühling <strong>2023</strong> <strong>reisen</strong> <strong>EXCLUSIV</strong> 47