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WIE EIN RASER EIN LEBEN<br />
VERÄNDERT<br />
Das folgende Interview habe ich mit einer langjährigen Patientin geführt, die u.a.<br />
zuletzt wegen chronischer Kopfschmerzen bei mir in Akupunkturbehandlung war.<br />
Sie wurde als achtjähriges Kind von einem Raser in der <strong>Liebenau</strong>er Hauptstraße<br />
überfahren. Ihr Bericht steht stellvertretend für unzählige Kinder, Jugendliche und<br />
Erwachsene, die zwar dem Tod entkommen sind, ihr Leben jedoch unter großen<br />
Schwierigkeiten meistern müssen, deren Schicksal in keinem Medium Erwähnung<br />
findet. Käme jedes der Opfer zu Wort, würde sich der grandiose Mythos der Geschwindigkeit,<br />
welcher zum Verkaufskonzept der Automobilhersteller gehört, wie<br />
die Henne zum Ei, als das offenbaren was er ist: ein mörderisches Hirngespinst.<br />
Woran können Sie sich denn noch erinnern?<br />
Ich weiß nur mehr, dass das Auto sehr<br />
schnell gekommen ist, dass ich hinter<br />
einem LKW vorbeigegangen bin und das Auto<br />
nicht gesehen hab, weil es so schnell war.<br />
Angeblich bin ich gelaufen, ich wollte in die<br />
Ballettschule um 15 Uhr und bin, obwohl mir<br />
meine Mutter immer verboten hat, die Straße<br />
zu überqueren, trotzdem drüber, weil ich eine<br />
Freundin gesehen habe, die immer von ihrer<br />
Mutter hingebracht wurde. Nachgewiesen<br />
wurde später, dass der Autofahrer mit 80 km/h<br />
viel zu schnell war.<br />
Sie wurden schwer verletzt?<br />
Ich hatte ein schweres Schädel Hirn Trauma<br />
und lag vier Wochen lang im Koma.<br />
Intensivstation. Dann war ich drei Wochen im<br />
Mutter-Kind-Zimmer in der Kinderklinik. Weil<br />
meine Mama Krankenschwester ist, hat sie<br />
mich als Pflegefall mit nach Hause genommen.<br />
Ich hab nicht mehr gehen, nicht reden,<br />
eigentlich gar nichts mehr können.<br />
In diesem Zustand sind Sie aus dem Krankenhaus<br />
entlassen worden?<br />
Ja.<br />
Das heißt, Ihre Mutter hat Sie zu Hause zur<br />
Gänze gepflegt, waren Sie eigentlich in einem<br />
Rehabilitationszentrum?<br />
Nein, ich habe nur eine Physiotherapeutin<br />
gehabt. Die Körperpflege hat meine Mutter<br />
übernommen, Windeln wechseln, ich<br />
konnte nicht kauen, hab nur Aufbaunahrung<br />
gekriegt. Der Arzt damals hat meiner Mutter<br />
nur gesagt, ich würde mein Leben lang ein<br />
Pflegefall bleiben- aber das war ein ganz junger<br />
Arzt. Später dann konnte ich Hippotherapie<br />
machen.<br />
Wie lang hat es gedauert, bis Sie wieder bestimmte<br />
Sachen selber haben tun können?<br />
Der Unfall ist am 1.März 1990 passiert und<br />
am Ende des Schuljahres hab ich ein paar<br />
Schritte gehen können.<br />
Wann konnten Sie wieder in die Schule<br />
gehen?<br />
Ich bin damals in die Volksschule Engelsdorf<br />
gegangen, meine Lehrerin hat eine<br />
Integrationsklasse gemacht, ich bin praktisch<br />
1990 nochmals in die zweite Klasse gegangen<br />
mit einer eigenen Lehrerin. Schreiben<br />
hab ich dann zu Hause probiert, das ist sehr<br />
langsam gegangen.<br />
Sie haben die Volksschule abschließen können<br />
und sind Sie dann in die Hauptschule gekommen?<br />
Ja, in die Hauptschule Engelsdorf, dort wurde<br />
die Integrationsklasse weitergeführt.<br />
Waren Sie denn behindert? Warum Integrationsklasse?<br />
Wegen der körperlichen Behinderung, geistig<br />
war ich ok, wir haben nach dem Unfall LÜK-<br />
Spiele gemacht, ich hab alles gewusst, was<br />
ich in der Schule gelernt habe.<br />
Das ist erhalten blieben. Ich war sehr ehrgeizig<br />
in der Schule. Mit mir war ein zweites behindertes<br />
Mädchen, aber das ist geistig zurückblieben.<br />
In der Hauptschule ist es mir ganz gut<br />
02 <strong>SMZ</strong> INFO JULI <strong>2007</strong>