27.09.2023 Aufrufe

CliniCum neuropsy 04/2023

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

European Academy of Neurology (EAN) III<br />

KI bei seltenen<br />

neurologischen<br />

Erkrankungen<br />

Betroffene seltener Erkrankungen haben es oftmals<br />

nicht leicht. Auch im Bereich der Neurologie<br />

erhalten sie oft nicht dasselbe Maß an Behandlung<br />

wie Patient:innen mit häufigeren neurologischen<br />

Erkrankungen. Künstliche Intelligenz (KI)<br />

soll dem ein Ende setzen. Obwohl die Entwicklungen<br />

stetig voranschreiten, gilt es dennoch einige<br />

Hürden zu überwinden.<br />

Von Johanna Wolfsberger, PhD<br />

❙ Aufgrund der geringen Häufigkeit<br />

bestimmter Krankheiten sind das<br />

Fachwissen und die Kenntnis über diese<br />

nicht so umfassend wie bei häufiger<br />

auftretenden Erkrankungen. Dr. Maria<br />

J. Molnar, Professorin für Neurologie<br />

und Direktorin des Instituts für Genomische<br />

Medizin und Seltene Krankheiten<br />

der Semmelweis-Universität in<br />

Budapest, erklärt, dass Patient:innen<br />

mit seltenen neurolo gischen Erkrankungen<br />

oft nicht das gleiche Maß an<br />

Behandlung erhalten wie Personen<br />

mit häufigeren neurologischen Erkrankungen.<br />

„Es kommt immer wieder zu<br />

fehlenden oder falschen Diagnosen.<br />

Aufgrund der Seltenheit dieser Krankheiten<br />

ist es besonders wichtig, sich auf<br />

datenbasierte Erkenntnisse zu stützen“,<br />

erklärt die Expertin.<br />

„Data Sharing“ essenziell für<br />

seltene Erkrankungen<br />

Das menschliche Gehirn ist in der Lage,<br />

zeitgleich fünf bis sieben verschiedene<br />

Hypothesen zu evaluieren.<br />

Künstliche Intelligenz (KI) kann hier<br />

Abhilfe leisten. Bei seltenen Erkrankungen<br />

besteht allerdings der Nachteil,<br />

dass oft nicht sehr viele Daten<br />

vorhanden sind, was die Qualität ei-<br />

„Developing and<br />

implementing<br />

decision support<br />

systems for the<br />

diagnosis and<br />

treatment of rare<br />

neurological<br />

disorders?“, Session<br />

im Rahmen des<br />

9. Kongresses der<br />

European Association<br />

of Neurology<br />

(EAN), Budapest &<br />

virtuell, 1.7.23<br />

nes KI-basierten Algorithmus verringert.<br />

„Data Sharing“ zwischen Organisationen<br />

ist daher essenziell für<br />

diesen Bereich.<br />

Mediziner:innen haben heute zunehmend<br />

Zugang zu KI-basierten Tools,<br />

die sie bei der Vorhersage, Diagnose,<br />

Therapie und Nachuntersuchung<br />

unterstützen können. Es sei jedoch<br />

wichtig, vorsichtig zu sein und sich<br />

nicht auf unsichere Tools zu verlassen,<br />

warnt die Expertin. Sie betont,<br />

dass Chatbots wie z.B. ChatGPT nicht<br />

für die Unterstützung klinischer Entscheidungen<br />

entwickelt wurden und<br />

dass man sich nicht auf ihre Ergebnisse<br />

verlassen könne. Es bestehe hier<br />

ein hohes Risiko.<br />

Es gibt jedoch auch andere Tools, die<br />

speziell für die Unterstützung klinischer<br />

Entscheidungen entwickelt<br />

wurden. So können zum Beispiel<br />

Sprachanalyse-Tools zur Vorhersage<br />

von kognitiven Veränderungen oder<br />

zur frühzeitigen Erkennung von Depressionen<br />

eingesetzt werden. Wenn<br />

es um die Diagnose seltener Erkrankungen<br />

geht, stehen Tools wie PHE-<br />

NOTIPS TM<br />

und Symptoma zur Verfügung.<br />

Darüber hinaus können auch<br />

Gesichtserkennungs-Tools wie FACE-<br />

2GENE genutzt werden. Wenn es um<br />

die Suche nach geeigneten Therapien<br />

geht, erwähnt die Expertin die Plattform<br />

HealNet, die speziell für seltene<br />

Erkrankungen entwickelt wurde.<br />

KI revolutioniert die Behandlung<br />

seltener Erkrankungen<br />

Der Einsatz von KI zur Überwachung<br />

des Krankheitsverlaufs findet beispielsweise<br />

bei der Muskeldystrophie<br />

An wendung. Dank Wearables und KI<br />

wird die Vorhersage des Krankheitsverlaufs<br />

verbessert. Durch den Einsatz<br />

von tragbaren Geräten, die die gesamte<br />

Körperbewegung erfassen, können<br />

Aktivitäten des täglichen Lebens analysiert<br />

werden, um den Krankheitsverlauf<br />

bei Kindern mit Duchenne-<br />

Muskeldystrophie vorherzusagen. Ein<br />

ähnliches System wird auch zur Vorhersage<br />

des Krankheitsverlaufs bei<br />

Friedreichs-Ataxie eingesetzt.<br />

Die Expertin sieht noch einige Herausforderungen<br />

im Zusammenhang<br />

mit KI-basierten Diagnosetools:<br />

• Mangelnde Transparenz: Es ist<br />

nicht immer klar, wie ein KI-basiertes<br />

Diagnosetool zu seinen Schlussfolgerungen<br />

gelangt.<br />

• Mangel an standardisierten Prozessen:<br />

Es fehlen einheitliche und<br />

standardisierte Verfahren für den<br />

Einsatz von KI in der Diagnostik.<br />

• Diagnosegenauigkeit: Die aktuelle<br />

Genauigkeit der KI-basierten Diagnosetools<br />

ist nicht immer besser<br />

als die erfahrener Expert:innen auf<br />

dem entsprechenden Gebiet.<br />

• Fehlende behördliche Zulassung:<br />

Viele der verwendeten Tools haben<br />

noch keine offizielle Genehmigung<br />

oder Zulassung von Behörden erhalten.<br />

• Mangelnde ethische und rechtliche<br />

Kontrolle: Es besteht eine Lücke in<br />

Bezug auf ethische und rechtliche<br />

Kontrollen bei der Anwendung von<br />

KI-basierten Diagnosetools, was<br />

potenzielle Risiken für Patient:innen<br />

sowie Datenschutzfragen aufwerfen<br />

kann.<br />

KI künftig Teil des klinischen<br />

Alltags?<br />

Intelligente Systeme haben heute bereits<br />

die Fähigkeit, menschliche Aufgaben<br />

wie Sprachverständnis, Objekterkennung<br />

und komplexe Entscheidungsfindung<br />

zu übernehmen.<br />

„Innerhalb der nächs ten 20 Jahre<br />

wird KI ein unverzichtbarer Bestandteil<br />

des täglichen Lebens sein. Viele<br />

Patient:innen werden durch KI-gesteuerte<br />

Telemedizin und virtuelle<br />

Assistenten bequem von zu Hause<br />

aus betreut werden können“, ist Molnar<br />

überzeugt.<br />

Derzeit kann KI jedoch nur eine Ergänzung<br />

für Ärzt:innen sein und diese<br />

nicht vollständig ersetzen. „Die erfolgreiche<br />

Integration von KI in die Praxis<br />

erfordert eine enge Interaktion zwischen<br />

menschlichen Erfahrungen und<br />

Fähigkeiten sowie algorithmischen<br />

Prozessen“, erklärt die Expertin. ❙<br />

Foto: Ирина Батюк/stock.adobe.com<br />

16 <strong>neuropsy</strong> CC 4 / 23

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!