CliniCum neuropsy 04/2023
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Aus der Fachliteratur I<br />
Den Schwindel<br />
aufdecken<br />
Schwindel, der durch eine internistische Erkrankung<br />
verursacht wird, bedeutet für Betroffene<br />
häufig eine eingeschränkte Prognose. Deshalb<br />
muss in diese Richtung besonders sorgfältig ermittelt<br />
werden. <br />
Von Dr. Angelika Bischoff<br />
❙❙<br />
Schwindel internistischer Genese<br />
kann durch jegliche Störung der zerebralen<br />
Perfusion entstehen, z.B.<br />
durch Blutdruckentgleisungen, oder<br />
durch Erkrankungen, die sich systemisch<br />
auswirken. Einige Schwindelformen<br />
und (Prä-)Synkopen beruhen<br />
auf Reflexmechanismen, die zu einer<br />
Abnahme des Herzzeitvolumens führen.<br />
Prodromi wie Blässe und Schweißausbruch<br />
gehen manchmal voraus,<br />
schreiben Mahdi Emrani und PD Dr.<br />
Andreas Napp von der Medizinischen<br />
Klinik I am Universitätsklinikum Aachen.<br />
Man unterscheidet dabei vasovagale<br />
von situativen Synkopen. Vasovagale<br />
werden orthostatisch oder<br />
durch emotionale Reize wie Angst<br />
und Schmerz verursacht, sie betreffen<br />
meist jüngere Menschen – häufiger<br />
Frauen – ohne Komorbiditäten.<br />
Typische Auslöser situativer Synkopen<br />
sind Defäkation, Miktion, Husten<br />
oder Niesen.<br />
Zu den reflektorischen Schwindelformen<br />
zählt auch das hypersensitive<br />
Karotissinussyndrom, das im höheren<br />
Alter gehäuft auftritt. Bei Menschen<br />
unter 40 Jahren gilt es als Rarität.<br />
Überempfindliche Barorezeptoren<br />
im Bereich der Karotisgabel triggern<br />
nach leichtem Druck auf die<br />
Halsgegend, z.B. beim Rasieren oder<br />
Kopfdrehen, einen überschießenden<br />
Karotissinusreflex. Diesesr führt dann<br />
über eine Bradykardie/Asystolie, primäre<br />
Hypotension oder beides zur<br />
Mangeldurchblutung des Gehirns.<br />
Beim orthostatischen Schwindel ist<br />
der Mechanismus der kompensatorischen<br />
Vasokonstriktion nach dem<br />
Aufrichten aus dem Liegen gestört.<br />
Die zugrunde liegende orthostatische<br />
Hypotonie liegt definitionsgemäß<br />
vor, wenn der systolische Blutdruck<br />
Emrani M, Napp A,<br />
Dtsch Med<br />
Wochenschr <strong>2023</strong>;<br />
doi: 10.1055/<br />
a-1928-6142<br />
Schwindel im Alter<br />
innerhalb von drei Minuten nach<br />
dem Aufstehen um mehr als 20mmHg<br />
und/oder der diastolische um mehr<br />
als 10mmHg abfällt oder der systolische<br />
innerhalb dieser Zeit absolut<br />
unter 90mmHg sinkt.<br />
Diese Schwindelform beobachtet<br />
man vor allem bei älteren und multimorbiden<br />
Patient:innen. Sie kann<br />
neurogen (u.a. durch Morbus Parkinson<br />
und diabetesbedingte autonome<br />
Neuropathie) oder nicht-neurogen<br />
(z.B. durch Volumenverlust, Medikamente)<br />
verursacht sein.<br />
Bei kardialer Synkope fehlen<br />
Prodromi oder sie sind kurz<br />
Kardialer Schwindel kann entstehen,<br />
wenn Herzerkrankungen durch Abfall<br />
der Herzfrequenz und/oder des<br />
Schlagvolumens die zerebrale Perfusion<br />
einschränken. Typisch für die<br />
kardiale Synkope ist, dass sie ohne<br />
oder nur mit weniger als zehn Sekunden<br />
anhaltenden Prodromi auftritt.<br />
Außerdem verlieren die Betroffenen<br />
kurzzeitig sämtliche Schutzmechanismen<br />
– mit entsprechendem Verletzungsrisiko.<br />
Synkopen im Liegen<br />
oder unter Belastung lassen eine kardiale<br />
Genese vermuten. Sie zu ermitteln,<br />
kann entscheidend für die Prognose<br />
sein, warnen die Autoren.<br />
Häufiger Auslöser für diese Art von<br />
Schwindel sind bradykardisierende<br />
Herzrhythmusstörungen. AV-Knotenerkrankungen<br />
gehen dabei mit einer<br />
schlechteren Prognose einher als das<br />
Sick-Sinus-Syndrom. Tachykardien,<br />
z.B. supraventrikuläre, können ebenfalls<br />
zu Schwindel und kurz anhaltendem<br />
Bewusstseinsverlust führen.<br />
Wenn Synkopen wiederholt anfallsweise<br />
auftreten und eine strukturelle<br />
Herzerkrankung vorliegt, muss man<br />
Die Diagnostik bei sehr alten Patient:innen gestaltet sich<br />
oft schwierig. In vielen Fällen liegen Erkrankungen des<br />
propriozeptiven und visuellen Systems in Kombination<br />
mit einem altersbedingt gestörten Gleichgewichtsorgan<br />
vor. Dazu kommen kardiovaskuläre und/oder metabolische<br />
Komorbiditäten, z.B. ein Typ-2-Diabetes. All das<br />
macht eine umfassende Diagnostik erforderlich. Kennzeichnend<br />
für den multimodalen Alterungsschwindel sind<br />
der schleichende Beginn und die ungerichtete Fallneigung.<br />
Durch eine begleitende Osteoporose oder Therapie<br />
mit Antikoagulanzien haben Stürze oft schwere Folgen.<br />
Da sich medikamentöse Therapien oft nicht umstellen<br />
und manche Begleiterkrankungen schwer behandeln lassen,<br />
hat die Sturzprävention größte Bedeutung.<br />
an maligne ventrikuläre Tachykardien<br />
denken. Die Symptome von tachykarden<br />
Arrhythmien beginnen und<br />
enden in der Regel plötzlich. Strukturelle<br />
Herzerkrankungen können auch<br />
durch Abnahme des Herzzeitvolumens<br />
Schwindel verursachen. Belastungsinduziert<br />
tritt er vor allem auf,<br />
wenn eine Obstruktion des linksventrikulären<br />
Ausflusstrakts besteht.<br />
Häufigste Ursache dafür: eine Aortenstenose.<br />
Eine hypertrophe ob struktive<br />
Kardiomyopathie kommt ebenfalls in<br />
Betracht. Eine zerebrale Minderperfusion<br />
mit Schwindel kann zudem auf<br />
Stenosen hirnversorgender Gefäße<br />
hinweisen.<br />
Metabolische Entgleisungen wie Hyper-/Hypoglykämie,<br />
Azidosen oder<br />
Elektrolytstörungen wie Hyponatriämie<br />
zählen zu weiteren Schwindelauslösern.<br />
Und nicht selten wird man<br />
im Medikamentenplan fündig. Viele<br />
Arzneimittel können Schwindel verursachen,<br />
z.B. Vasoaktiva, Diuretika,<br />
Betablocker, Antiarrhythmika oder<br />
Antipsychotika.<br />
Eine detaillierte Schwindel- und generelle<br />
Krankheits- und Familienanamnese,<br />
körperliche Untersuchung und<br />
ein EKG lenken bei jedem bzw. jeder<br />
zweiten Betroffenen den Verdacht bereits<br />
in die richtige Richtung. Zum Basislabor<br />
gehören Blutbild, Elektrolyte,<br />
Leber-, Nieren- und Schilddrüsenwerte,<br />
Glukose, Infektparameter und eine<br />
Blutgasanalyse.<br />
Besteht der Verdacht eines rhythmogenen<br />
Geschehens, hilft ein Langzeit-<br />
EKG oder bei sehr seltenen Ereignissen<br />
ein Eventrekorder weiter. Diagnostisch<br />
entscheidend ist der Nachweis<br />
einer Koinzidenz von Symptomen<br />
und typischen EKG-Veränderungen.<br />
Die Langzeit-Blutdruckmessung<br />
kann Hinweise auf eine Orthostase<br />
geben. Durch einen Schellong-Test,<br />
besser noch eine Kipptischuntersuchung,<br />
lässt sich die Orthostasereaktion<br />
nachweisen.<br />
Im Zweifel Elektrodenkatheter<br />
zum Tachykardie-Ausschluss<br />
Insbesondere bei Patient:innen mit<br />
ischämischer Kardiomyopathie und<br />
unklaren Synkopen sollte eine elektrophysiologische<br />
Untersuchung erwogen<br />
werden, um eventuelle ventrikuläre<br />
Tachykardien zu identifizieren. Bei<br />
jedem Verdacht auf kardialen Schwindel<br />
raten die Autoren zur Echokardiografie,<br />
bei einem belastungsabhängigen<br />
unklaren Schwindel erscheint eine<br />
Ergometrie sinnvoll.<br />
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CC<br />
<strong>neuropsy</strong><br />
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