CliniCum neuropsy 04/2023
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European Academy of Neurology (EAN) I<br />
Die Highlights vom<br />
Neurologiekongress<br />
Beim 9. Kongress der European Academy of Neurology (EAN) in<br />
Budapest wurde in diesem Jahr eine Vielzahl an neuen Erkenntnissen<br />
und Fortschritten im Bereich neurologischer Erkrankungen<br />
vorgestellt. Besonders interessante Ergebnisse gab es unter anderem<br />
bei der Erforschung von Migräne und Multipler Sklerose.<br />
Von Reno Barth<br />
■ Mythos bestätigt: Temperaturschwankungen<br />
lösen Migräneattacken aus<br />
Wetterschwankungen werden immer wieder als Trigger<br />
für Migräneattacken angeschuldigt. Rund jede:r zweite<br />
Migräne-Betroffene gibt einen Zusammenhang zwischen<br />
Wetterveränderungen und dem Auftreten von Attacken<br />
an. Die belastbare Datenlage dazu ist allerdings relativ<br />
dünn. Ein Team der Università Cattolica del Sacro Cuore<br />
in Rom hat sich diesem Thema nun mit einem originellen<br />
Ansatz genähert: Man korrelierte Kontakte mit der Krankenhaus-Notfallambulanz<br />
bzw. -Notaufnahme mit Wetterdaten.<br />
1 Dazu wurden die Daten aller Patient:innen ausgewertet,<br />
die in den Jahren 2010 bis 2012 die Notfallambulanz<br />
der Gemelli-Klinik in Rom wegen Kopfschmerzen<br />
kontaktierten. Gesucht wurde nach den Diagnosen Migräne<br />
mit Aura sowie Migräne ohne Aura. Insgesamt wurden<br />
an der Abteilung 1.742 Migränepatient:innen vorstellig.<br />
Davon litten 1.615 unter Migräne ohne Aura und 127 unter<br />
Migräne mit Aura. Die klinischen Daten wurden mit Wetterdaten<br />
des italienischen Wetterdienstes korreliert. Es<br />
handelt sich um eine der bislang längsten Studien in der<br />
Indikation Migräne.<br />
Die Auswertung ergab, dass eine Subgruppe von Migränepatient:innen<br />
hochsensitiv auf Variationen meteorologischer<br />
Faktoren reagiert. Die Zahl der Besuche in der Notfallambulanz<br />
war direkt korreliert mit einer Zunahme der<br />
Temperatur im Vergleich zum Vortag. Weiters wurde eine<br />
direkte Korrelation mit der Luftfeuchtigkeit zwei Tage vor<br />
der Attacke gefunden. Für den atmosphärischen Luftdruck<br />
wurde eine inverse Korrelation nachgewiesen.<br />
Plötzliche Temperaturänderungen lösen schwere Attacken<br />
aus. „Ausschlaggebend sind nicht die absoluten<br />
Werte der Veränderung, sondern die Temperaturänderung<br />
an sich“, kommentiert Studienautorin Dr. Costanza<br />
Sottani, Neurologin an der Gemelli-Klinik, die Ergebnisse.<br />
Dieser Effekt war über zwei Jahre und über die Jahreszeiten<br />
konstant zu beobachten. Dies zeige, dass offenbar<br />
plötzliche Veränderungen entscheidend sind und nicht<br />
die Temperatur selbst. Die Gruppe entwickelte die Hypothese,<br />
dass Veränderungen von Wetterparametern direkten<br />
Einfluss auf die neuronale Exzitabilität des trigeminalen<br />
Gefäßsystems oder auf damit verbundene Strukturen<br />
nehmen können und so die Attacken auslösen.<br />
Die Studie bestätige letztlich einen Mythos, so Sottani:<br />
„Manche unserer Patient:innen sagen, ihre Migräne sei<br />
präziser als der Wetterbericht.“ Dies sei zumindest zum<br />
Teil auch in älteren Studien gezeigt worden. Die aktuelle<br />
Arbeit unterscheidet sich jedoch insofern, als hier Besuche<br />
in der Notfallambulanz oder Notaufnahme ausgewertet<br />
wurden, die im Kontext einer Migräne selten aufgesucht<br />
werden. Man könne daraus schließen, so Sottani<br />
weiter, dass die Betroffenen sehr schwere Attacken durchmachten<br />
bzw. ihnen bislang unbekannte Symptome erlebten.<br />
Es bedeute auch, dass die reguläre Akutmedikation<br />
bei diesen Attacken keine Wirkung zeigte. In der Auswertung<br />
deutete nichts darauf hin, dass ein spezifischer<br />
Phänotyp der Migräne stärker als andere mit Wetterveränderungen<br />
korreliert wäre.<br />
Temperaturextreme triggern auch andere neurologische<br />
Ereignisse. Auch wenn in ihrer Arbeit keine Korrelation<br />
von Migräne mit absoluten Temperaturen gefunden<br />
wurde, sei dieses Thema weitere Untersuchungen wert, so<br />
Studienautorin Sottani, die auf einen kürzlich in „Neurology“<br />
publizierten Review hinweist. 2<br />
Dieser gelangte zu<br />
dem Ergebnis, dass nicht nur Temperaturschwankungen,<br />
sondern auch Temperaturextreme mit einer ganzen Reihe<br />
neurologischer Ereignisse korreliert sind. So traten bei<br />
extremen Temperaturen Schlaganfälle, Migräneattacken,<br />
Hospitalisierungen dementer Patient:innen sowie Exazerbationen<br />
bei Multipler Sklerose gehäuft auf. Dies könne<br />
im Hinblick auf die zu erwartende Erwärmung in Europa<br />
in Zukunft zu einem größeren Problem werden.<br />
1 Sottani C et al.: Weather impact on migraine: an Emergency<br />
Department retrospective study. EAN <strong>2023</strong>; Abstract EPO-579<br />
2 Louis S et al., Neurology <strong>2023</strong>; 100(10)<br />
■ Anti-CGRP-Therapien auch im höheren<br />
Alter uneingeschränkt wirksam<br />
Antikörper gegen CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide)<br />
oder dessen Liganden haben sich in Studien in der<br />
Prophylaxe von Migräneattacken bewährt, berichtet Dr.<br />
Alicia Gonzalez-Martinez vom Hospital Universitario de<br />
la Princesa in Madrid. Mittlerweile konnten die Ergebnisse<br />
der klinischen Studien in Langzeitbeobachtungen un-<br />
Foto: Science Photo Library/picturedesk.com<br />
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