CliniCum neuropsy 04/2023
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Die subjektive Seite der Schizophrenie<br />
Die Versorgung der<br />
Jungen in der Krise<br />
Vom System fallen gelassen und Randgruppen in die Hände gespielt<br />
– so ergeht es Kindern und Jugendlichen mit psychischen<br />
Erkrankungen, die keine Hilfe bekommen. Professionisten, Ehrenamtliche,<br />
Angehörige und Betroffene diskutieren, woran wir (als<br />
Gesellschaft) scheitern und was zu tun ist. Von Mag. Anna Egger<br />
❙ ❙ „Im Kinder- und Jugendbereich gibt es schon länger<br />
eine Mangelversorgung, die sich durch die Pandemie und<br />
den dadurch gestiegenen Bedarf zugespitzt hat – mit einem<br />
massiven Anstieg an Akutaufnahmen und Suizidalität“,<br />
so Dr. Laura Fragner von der Universitätsklinik für<br />
Kinder- und Jugendpsychiatrie, Wien, die mit diesen Worten<br />
eine Podiumsdiskussion bei der Tagung „Die subjektive<br />
Seite der Schizophrenie“ eröffnet.<br />
„Wir sehen einen hohen Bedarf mit viel zu wenig spezifisch<br />
ausgebildetem Personal. Ein eklatanter Mangel besteht<br />
nicht etwa nur bei Fachärzt:innen, sondern auch in<br />
der Pflege. Das geht in Wien so weit, dass es zwar eine fix<br />
fertig errichtete Abteilung gibt, diese aber nicht eröffnet<br />
werden kann, weil einfach kein Personal vorhanden ist.<br />
Und so ein eklatanter Mangel besteht auch unter den niedergelassenen<br />
Fachärzt:innen. Das hat zur Folge, dass die<br />
meisten Symptome nur in sehr, sehr akuten Zuständen<br />
abgefangen werden können.“<br />
Frisch: „Jede Hilfe für Kinder und Jugendliche,<br />
die nicht da ist, vergrößert soziale Randgruppen.“<br />
Die nächsten eineinhalb Stunden wird gebrainstormt.<br />
Was braucht es und wo wollen wir eigentlich hin? Rasch<br />
wird der Ruf nach Prävention und niederschwelligen<br />
Hilfsangeboten für Kinder und Jugendliche laut. Denn jede<br />
Hilfe für Kinder und Jugendliche, die nicht da ist, vergrößere<br />
soziale Randgruppen, so Hannah Frisch, die<br />
selbst von einer psychischen Erkrankung betroffen und<br />
Mitglied der Bewegung „Change for the Youth“ ist.<br />
Soziale Randgruppen entstehen vor allem in Großstädten,<br />
aber auch in den sozialen Medien. „Es bilden sich Blasen,<br />
in denen Verhalten verherrlicht wird, das nicht sinnvoll für<br />
die Genesung ist.“ Das sei wie ein Sog, in den Menschen<br />
hi neingezogen werden, die vom System fallen gelassen<br />
werden. „Es entstehen Probleme, die später doppelt und<br />
dreifach zurückkommen. Wir sind jetzt leider in der Situation,<br />
dass diese Randgruppen immer mehr wachsen. Wenn<br />
man einer Person keine professionelle Hilfe anbietet, heißt<br />
es nicht, dass sie keine bekommt, sondern sie kommt dann<br />
aus dem Umfeld und belastet dieses um ein Vielfaches.“<br />
Lernen, die Seele zu schützen<br />
Um das zu verhindern, müsse man früh präventiv ansetzen.<br />
Bereits in der Volksschule sollte „mentale Gesundheit“<br />
im Lehrplan verankert sein, fordert Carina Reithmaier.<br />
Die ehemalige Bundesobfrau der Schülerunion und<br />
Initiatorin des Mental-Health-Jugendvolksbegehrens<br />
„Gut und selbst?“ ergänzt: „Als Sechsjährige komme ich in<br />
die Schule und lerne, dass ich meinen Körper schützen<br />
muss, dass ich etwa beim Radfahren einen Helm aufsetze,<br />
weil körperliche Gesundheit wichtig ist. Aber warum lerne<br />
ich nicht auch, dass es wichtig ist auf meine mentale Gesundheit<br />
zu achten, und welche Tools es dafür gibt?“<br />
Das Thema müsse aber nicht nur aktiv im Unterricht aufgerollt<br />
und behandelt werden, sondern es brauche auch<br />
eine Anlaufstelle, an die sich Jugendliche wenden können.<br />
Das könnte beispielsweise ein:e Schulpsychotherapeut:in<br />
bzw. -psycholog:in sein. „Diese Person sollte wirklich jeden<br />
Tag den Standort betreuen, auch am Nachmittag.<br />
Denn wenn ich als Schüler:in eine Schulstunde versäume,<br />
um zum/zur Schulpsycholog:in zu gehen, dann ist es erst<br />
recht wieder nicht niederschwellig“, so Reithmaier.<br />
OÄ Priv.-Doz. Dr. Beate Schrank, MSc, Leiterin des Forschungszentrums<br />
Transitionspsychiatrie der Karl Landsteiner<br />
Universität am Universitätsklinikum Tulln, spricht<br />
sich ebenfalls für solche Ansprechpersonen in Schulen<br />
aus. „In Österreich gibt es derzeit 200 oder 300 Schulpsycholog:innen.<br />
Die muss man anfordern, dann kommen sie<br />
zwei bis drei Monate später für eine Stunde in die Schule.<br />
Das ist definitiv zu wenig.“<br />
„Die Idee ist, vielleicht nicht nur zu professionalisieren<br />
und eine:n Schulpsycholog:in zu installieren, sondern die<br />
Auseinandersetzung mit diesen Themen würde auch viel<br />
soziales Lernen ermöglichen“, ergänzt DDr. Matthäus Fellinger,<br />
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />
Wien, der die Diskussion gemeinsam mit Fragner moderiert.<br />
„Es ist wichtig, zu sehen, wie man als Klasse Krisen<br />
bewältigen kann, und dass man füreinander da ist. Ich<br />
glaube, es gibt viel, das wir als Klasse, als Gruppe, als Gemeinschaft<br />
voneinander lernen können.“<br />
Gewinn für die ganze Gesellschaft<br />
Neben Prävention und niederschwelligen Hilfsangeboten<br />
sind auch die Früherkennung und -intervention bei Psychose<br />
Gegenstand der Diskussion. Die Frage, ob Program-<br />
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