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CliniCum neuropsy 04/2023

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25. Substitutions-Forum<br />

Zieloffene Suchttherapie<br />

wie ein „Wiener Walzer“<br />

Die eigene ärztliche Haltung zu überdenken, ist der erste Schritt einer zieloffenen Suchttherapie (ZOS). Was nicht<br />

bedeutet, dem Patientenwunsch „blind“ zu folgen, heißt es auf dem 25. Substitutions-Forum der Österreichischen<br />

Gesellschaft für arzneimittelgestützte Behandlung von Suchtkrankheit (ÖGABS). Die Behandlung sei eher ein „Wiener<br />

Walzer“ – in drei Richtungen.<br />

Von Mag. Anita Groß<br />

❙❙<br />

Prekäre Wohnverhältnisse, körperliche Schädigung, finanzielle<br />

Probleme, abgebrochene Beziehungen zu Familie/Kindern,<br />

kaum Freunde, nur „Szene-Kontakte“, Arbeitsund<br />

Perspektivlosigkeit, psychiatrische Komorbiditäten –<br />

so beschreibt Prof. Dr. Joachim Körkel, Institut für innovative<br />

Suchtbehandlung und Suchtforschung, Evangelische Hochschule<br />

Nürnberg, die Ausgangssituation von Substituierten.<br />

Bei allem stehe im Mittelpunkt der Substanzkonsum, von<br />

dem man sich berechtigterweise erwarten könne: „Wenn<br />

sich an dieser Schlüsselstelle nichts ändert, wird sich auch<br />

bei den anderen Lebensbelastungen nichts ändern.“<br />

Gleichzeitig seien diese anderen belasteten Lebensbereiche<br />

die Motivatoren, überhaupt etwas am Konsum zu ändern,<br />

gibt der Psychologe und Suchtforscher zu bedenken.<br />

Hohe Bereitschaft, etwas zu ändern<br />

Substituierte weisen fast immer einen Mehrfach(bei)konsum<br />

auf – im Schnitt sogar 5,23 Substanzen inklusive Substitut,<br />

wie die Frankfurter „KISS-Studie“ 1<br />

(KISS = Kompetenz<br />

im Selbstbestimmten Substanzkonsum;, n=113) zeigt.<br />

Die häufigsten Substanzen sind Zigaretten, Crack, Heroin,<br />

Benzos, Cannabis, Alkohol und Kokain. Trotzdem: „Hoffnung<br />

ist angebracht.“ Denn durchschnittlich gebe es bei<br />

der Hälfte der Substanzen einen Änderungswunsch, „ohne<br />

dass ich ihn herausquälen müsste“, berichtet Körkel.<br />

Was noch dazukommt: Der Beikonsum wird selten thematisiert,<br />

sofern er für die Substitution kein Problem darstellt.<br />

Er ist aber für das Leben und die Gesundheit der<br />

Menschen sehr wohl ein Problem. Wird auf den Beikonsum<br />

eingegangen, dann oft nur mit der Forderung nach<br />

Abstinenz. „Das Änderungsziel Drogen-, Alkohol-, Tabakabhängiger<br />

ist jedoch seltener Abstinenz als Reduktion<br />

oder Schadensminderung“, nimmt Körkel Ergebnisse der<br />

zieloffenen Suchttherapie (ZOS) vorweg.<br />

Aktive Arbeit auf Augenhöhe<br />

ZOS bedeute, mit Menschen an einer Veränderung ihres<br />

Suchtmittelkonsums „aktiv zu arbeiten, und zwar auf das<br />

Ziel hin, das sich der Patient oder die Patientin wünscht“.<br />

Es handle sich daher um eine Form von „Shared Decision<br />

Making“, eine partizipative Entscheidungsfindung auf Augenhöhe,<br />

unterstreicht Körkel den patientenorientierten<br />

Ansatz und verweist auf seinen Vorredner Dirk Schäffer<br />

(Kasten 1). Die wichtigsten Implikationen sind:<br />

• alle konsumierten Substanzen berücksichtigen,<br />

• an die ohnehin bereits vorhandene (ggf. noch<br />

„schlummernde“) intrinsische Änderungsmotiva tion<br />

an knüpfen,<br />

• Änderungsziele des Patienten bzw. der Patientin ernst<br />

nehmen und daran die Behandlung ausrichten,<br />

• Präferenzen des Patienten bzw. der Patientin bezüglich<br />

Behandlungsart und -dauer berücksichtigen.<br />

Foto: rawku5/stock.adobe.com<br />

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