05.10.2023 Aufrufe

Ärzt*in für Wien 2023/10

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Pia Baldinger-Melich:<br />

„Mobbing hat natürlich<br />

gesundheitliche Folgen bis<br />

hin zu psychischen Erkrankungen<br />

wie Depression<br />

oder Arbeitsunfähigkeit.“<br />

NEWS INTERN<br />

bei auch vielleicht Unterschiede zwischen<br />

Mann und Frau?<br />

Baldinger-Melich: Das ist ein heikles<br />

Thema – es gibt aber prinzipiell kein typisches<br />

Mobbingopfer. Keiner ist selbst<br />

schuld daran, wenn er gemobbt wird.<br />

Jeder hat seine eigenen Grenzen, und in<br />

dem Moment, wo man das Gefühl hat,<br />

diese wurden überschritten, hat man<br />

das Recht zu sagen, es ist genug. Mit<br />

Genderstereotypen muss man sehr vorsichtig<br />

umgehen. Es ist gefährlich zu sagen,<br />

dass Frauen schneller weinen oder<br />

gekränkt sind und ein Mann nicht. Im<br />

Endeffekt ist es auch belanglos, denn<br />

Männer und Frauen können gleichermaßen<br />

mobben oder gemobbt werden.<br />

Vyssoki: Ich möchte nur ergänzen,<br />

dass es schon vulnerablere Gruppen<br />

gibt. Und zwar sind das insbesondere<br />

Berufsanfängerinnen und -anfänger<br />

und Menschen am Ende ihrer beruflichen<br />

Tätigkeit. Warum ist das so?<br />

Weil gerade diese Personen noch nicht<br />

oder nicht mehr dieses berufliche Netzwerk<br />

haben, das gut <strong>für</strong> den Austausch<br />

und die Psychohygiene ist, und deshalb<br />

vor innerbetrieblichen Konflikten<br />

weniger geschützt sind. Die „neuen“<br />

Kolleginnen und Kollegen hatten noch<br />

nicht viel Zeit, dieses Netzwerk aufzubauen<br />

oder sind noch nicht ins Team<br />

integriert und die „älteren“ sind wie<br />

ein Überbleibsel vom restlichen Team,<br />

haben auch nicht mehr dieses Standing<br />

oder diese Stärke im Team. Es gibt viele<br />

Faktoren, die eine Person vor Mobbing<br />

schützen kann, aber ein wesentlicher<br />

ist, gut im Team aufgehoben und integriert<br />

zu sein. Mobbing geschieht<br />

häufig in dysfunktionalen Teams, wo es<br />

Konflikte gibt, die nicht gelöst werden<br />

können. Häufig wird dann <strong>für</strong> diese<br />

Konflikte, die das ganze Team betreffen,<br />

ein Sündenbock gesucht. Wenn dann<br />

diese Kollegin oder dieser Kollege nicht<br />

die Unterstützung hat, wird sie oder<br />

er systematisch immer mehr aus dem<br />

Team ausgeschlossen.<br />

<strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>: Gibt es ein vorgefasstes<br />

Ziel bei Mobbing, also jemanden<br />

gezielt loszuwerden, oder ist es eher ein<br />

Ausdruck des Unvermögens, einen Konflikt<br />

auszutragen?<br />

Baldinger-Melich: Prinzipiell geht es<br />

schon darum, dass die betroffene Person<br />

scheinbar oder nicht mehr ins Team<br />

passt. Es kann auch persönliche Gründe<br />

geben, sich beispielsweise selbst zu<br />

erhöhen und zu stärken, indem man<br />

andere schwächt oder es einem nicht<br />

möglich ist, auf eine konstruktive Art<br />

und Weise Konflikte auszutragen. Der<br />

Mobberin oder dem Mobber bietet dieses<br />

Vorgehen eine Art von Ventil.<br />

Vyssoki: Am Anfang ist es zumeist<br />

noch möglich, dieses eine konkrete Problem<br />

oder Konfliktthema zu definieren<br />

und zu besprechen. Zum Beispiel die<br />

Situation, dass die eine Kollegin schon<br />

das dritte Mal hintereinander krank<br />

ist und schon zweimal eine Pflegefreistellung<br />

hatte in kurzer Zeit. Es taucht<br />

vielleicht Unmut oder die Fragen auf,<br />

„Warum ist das schon wieder?“, „Alle<br />

anderen haben auch Kinder und machen<br />

das aber nicht“. Am Anfang dieses<br />

Prozesses kann noch konstruktiv gemeinsam<br />

gesprochen und das Problem<br />

gelöst werden. Besteht dieser Prozess<br />

aber über Monate oder Jahre, ist er so<br />

festgefahren, dass es zu einer Stigmatisierung<br />

kommt: Diese Kollegin oder<br />

dieser Kollege scheue die Arbeit, sei<br />

immer krank, mache nie Dienste und<br />

könne am Ende einfach nichts mehr<br />

richtig machen. Hier stellt sich bei der<br />

Beratung die Frage, wo angesetzt werden<br />

kann, damit sich dieser Konflikt<br />

wieder auflöst. Wir versuchen, die verschiedenen<br />

Perspektiven darzustellen.<br />

„Mobbing<br />

entsteht nie<br />

von heute<br />

auf morgen,<br />

sondern ist<br />

ein Prozess,<br />

der viele<br />

Monate,<br />

teilweise<br />

auch Jahre,<br />

dauern kann<br />

und unterschiedliche<br />

Stufen der<br />

Eskalation<br />

durchläuft.“<br />

<strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>: Was könnten oder<br />

sollten Mobbingbetroffene in so einer Situation<br />

machen?<br />

Baldinger-Melich: Sie können sich<br />

an die Ombudsstelle wenden, dies<br />

wie bereits erwähnt möglichst früh<br />

und besser einmal zu oft. Wir haben<br />

keinerlei Meldepflicht. Es ist auch<br />

möglich, sich anonym zu melden.<br />

Wir können der jeweiligen Situation<br />

angepasst helfen und beraten. Des<br />

Weiteren ist es wichtig, sich an seine<br />

Vorgesetzte oder seinen Vorgesetzten<br />

beziehungsweise den zuständigen Betriebsrat<br />

et cetera zu wenden. Meist<br />

ist es jedoch genau das, wovor sich die<br />

Menschen scheuen, weil sie Angst vor<br />

negativen Konsequenzen haben. Beginnen<br />

könnte man auch, indem man<br />

mit einer vertrauten Person in der Arbeit<br />

spricht und aufzeigt, dass im Team<br />

etwas nicht mehr funktioniert und<br />

dies unbedingt angesprochen werden<br />

sollte. Aber auch auf eigene Anzeichen<br />

achten: Wenn man nicht mehr schlafen<br />

kann oder ein Unwohlsein spürt,<br />

wenn man in die Arbeit muss, dann<br />

stimmt etwas nicht. Sich selbst ernst<br />

nehmen und darüber reden – das ist<br />

wichtig.<br />

<strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>: Was können Kolleginnen<br />

und Kollegen oder Vorgesetzte in<br />

so einer Situation machen?<br />

Baldinger-Melich: Auch hier gilt, unbedingt<br />

ansprechen und ernst nehmen.<br />

Es ist sicher sinnvoll, das Problem im<br />

Team anzusprechen, und das auch abgesehen<br />

von Teamsitzungen, die ohnehin<br />

stattfinden sollten. Einzelgespräche<br />

führen oder einen Rahmen schaffen,<br />

wo persönliche Dinge angesprochen<br />

werden können. Es muss da<strong>für</strong> unbedingt<br />

Zeit geben und die Vorgesetzten<br />

dürfen das nicht einfach ignorieren.<br />

<strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>: Wie können Sie bei<br />

der Ombudsstelle konkret helfen?<br />

Baldinger-Melich: Wir sind beide<br />

Mediziner und Psychiater, kennen uns<br />

daher auch aus beruflichen Gründen<br />

mit dem Thema gut aus. Wir sind eine<br />

unvoreingenommene Beratungsstelle<br />

und reagieren sehr schnell, wenn man<br />

sich per E-Mail oder Telefon an uns<br />

wendet – wir bieten auch persönliche<br />

Termine an. Zunächst hören wir uns<br />

den Fall an und beraten uns dann über<br />

mögliche nächste Schritte, also ob eine<br />

<strong>10</strong>_<strong>2023</strong> <strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong> 11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!