Neue Szene 2023_12
DAS Stadtmagazin für Augsburg und die bayerisch-schwäbische Region.
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HEIMATKLÄNGE<br />
51<br />
Hallo Jungs, habt ihr in unserer letzten Ausgabe<br />
„Augsburg-Control“ gelesen?<br />
Tobias: Ja, haben wir…<br />
Und, was sagt ihr denn zum Output unserer<br />
Experten?<br />
Julian: Passt, bis auf den Vergleich mit DAF.<br />
Das macht keinen Sinn, seltsamerweise werden<br />
wir aber damit immer wieder konfrontiert. Den<br />
mit Abwärts kann man stehen lassen.<br />
Ihr seid Newcomer, aber trotzdem alte Hasen.<br />
Warum habt ihr Rauchaus aufgelöst?<br />
Tobias: Bei Rauchaus war die Luft raus, wir<br />
haben uns in den letzten zwei, drei Jahren nur<br />
noch durchgeschleppt. Wir haben kaum neues<br />
Material geschrieben und im Prinzip immer dasselbe<br />
Set gespielt, da kamen einfach keine Impulse<br />
mehr.<br />
Björn: Juli hat während der Pandemie angefangen,<br />
Songs zu schreiben und aufzunehmen, so<br />
ganz easy mit einem Kassettenrekorder. So entstand<br />
beispielsweise der Song „Autofrei“, das hat<br />
in uns neue Energie freigesetzt und wir haben einfach<br />
immer weiter gemacht.<br />
Julian: Wenn wir ehrlich sind, haben wir mit<br />
Rauchaus Musik gemacht, auf die wir gar nicht<br />
mehr standen. Wir hatten Bock auf Deutsch-Punk<br />
und Kalte Hand war letztendlich eine Erlösung<br />
für uns.<br />
Rauchaus war eine klassische Hardcore-Band.<br />
Kalte Hand haut zwar immer noch auf die <strong>12</strong>,<br />
die Musik ist aber zugänglicher geworden.<br />
Tobias: Wir sprechen jetzt ein breiteres Publikum<br />
an, aber das war gar nicht unser Kalkül, das<br />
ist einfach so entstanden.<br />
Julian: Wir machen jetzt auch nichts Superneues,<br />
aber vielleicht fällt das in Augsburg derzeit<br />
mehr auf als in anderen Städten. Die Vocals werden<br />
nicht mehr so geschrien, sie sind auf Deutsch<br />
und dadurch auch verständlicher.<br />
Naja, dazu gibt es auch andere Meinungen.<br />
Errdeka hat im Control gesagt: „Die Texte sind<br />
super, wenn man sie mal versteht, was aber<br />
auch so gewollt ist.“ Eure Lyrics wirken auf<br />
mich wie Comics: Pow! Bang! Zaff!, also knallige<br />
Wortfetzen, die hängen bleiben.<br />
Julian: Die Texte haben tatsächlich selten<br />
einen roten Faden oder eine durchgehende Story,<br />
sie sind sehr collagenhaft.<br />
Worum geht es beispielsweise beim Track<br />
„Agentur“?<br />
Julian: Es geht um ein Bewerbungsgespräch.<br />
Im Gegensatz zu den anderen Songs ist er eine Erzählung.<br />
Wir knobeln gerne gemeinsam, uns interessiert<br />
auch, was die Leute auf der Straße<br />
sprechen. Wir bearbeiten Redewendungen, wir<br />
verdrehen und entstellen sie und dadurch bekommen<br />
sie andere Assoziationsmöglichkeiten.<br />
Ist „Autofrei“ ein Statement?<br />
Julian: Das sieht in der Retrospektive jetzt tatsächlich<br />
so aus. Als ich den Song geschrieben<br />
habe, dachte ich mir, wenn ich schon Rummelpunk<br />
auf alt getrimmt probiere, dann muss er<br />
auch von der Thematik her veraltet sein. Was ist<br />
total veraltet? Autofreie Sonntage, wie es sie in den<br />
späten 70ern gab. Die Welt hat sich inzwischen ein<br />
paar Mal im Kreis gedreht und jetzt wird es uns<br />
langsam selber unheimlich.<br />
Ihr spielt viel in autonomen Zentren. Wie politisch<br />
seid ihr?<br />
Julian: Sehr! Wir bewegen uns auch oft in dieser<br />
<strong>Szene</strong>, das ist das, was uns interessiert, gerade<br />
dieser DIY-Spirit. Wir mögen diesen Kontext und<br />
wie die Leute vernetzt sind. Das hat mit dem normalen<br />
Musikbusiness nichts<br />
am Hut, da gibt es weniger<br />
spitze Ellbogen, man macht<br />
und kreiert zusammen Sachen,<br />
man kennt und hilft<br />
sich.<br />
Wenn ich eure Debüt-<br />
Platte höre, jagt es mir<br />
einen Deja Vu-Schauer<br />
über den Rücken. Ich<br />
denke da an Berlin 1980, an<br />
Post-Punk Bands wie Joy<br />
Division, Bauhaus, frühe<br />
Killing Joke oder Abwärts. Woher kommt<br />
diese Vorliebe?<br />
Tobias: Das hat nicht viel mit Nostalgie zu<br />
tun, mit diesem Faible sind wir nicht allein, es gibt<br />
aktuell sehr viele spannende Bands aus dieser<br />
Richtung wie etwa Splizz, Diät, AUS, Institute,<br />
Glaas oder Die Verlierer. Es gibt aber schon auch<br />
alte wie Crisis oder die Anarcho-Punker Crass, die<br />
uns inspirieren.<br />
Ihr habt mit beiden Bands schon ziemlich viel<br />
Live-Erfahrungen gemacht.<br />
Tobias: Wie schon gesagt, wir sind eine klassische<br />
DIY-Band und profitieren noch vom Netzwerk<br />
der alten Band. Julian hat da ein gutes<br />
Händchen und super Kontakte<br />
Julian: Ich bin schon früh in der Ballonfabrik<br />
mit dabei gewesen, wir haben dort viele Konzerte<br />
veranstaltet und natürlich baut man sich in so vielen<br />
Jahren ein Netzwerk auf. Es war aber trotzdem<br />
harte Arbeit und auch riskant, denn als ich mit<br />
dem Booking für die Tour begonnen habe, hatten<br />
wir gerade erst einen Song veröffentlicht, unsere<br />
Veranstalterin in Berlin kannte zunächst sogar nur<br />
eine Handyaufnahme.<br />
Es ist schon erstaunlich, als Newcomer so eine<br />
respektable Tour zu spielen.<br />
Julian: Die Veranstalter haben uns vertraut<br />
und letztendlich hat auch alles super geklappt.<br />
Egal ob in Berlin, Halle oder Linz, die Tour war<br />
von der ersten bis zur letzten Sekunde ein Erfolg.<br />
Björn: Das Publikum war auch sehr gemischt,<br />
Leute die Punk oder Wave hören, auch erstaunlich<br />
viele Leute über 50…<br />
Tobias: Die uns dann mit DAF verglichen<br />
haben (alle lachen). Meine Mutter konnte mit<br />
Rauchaus nicht viel anfangen, aber mit der neuen<br />
Band kann man sie inzwischen abholen.<br />
Seid ihr eine Band, die schnell Songs raushaut<br />
oder mehr die Tüftler und Konstrukteure?<br />
Björn: Wir haben die sechs Tracks der EP<br />
ziemlich schnell mit Michi Strassmair im Dropoutstudio<br />
aufgenommen. Wir konstruieren nichts<br />
am Reißbrett, wir spielen einfach so lange, bis die<br />
Parts stehen und drehen an<br />
den Rädchen, bis es cool ist.<br />
Tobias: Wir spielen ja<br />
schon lange zusammen,<br />
funktionieren als Trio super<br />
und haben jetzt schon wieder<br />
fast alle Songs für einen neue<br />
Platte im Kasten.<br />
Woher kommt eigentlich<br />
euer Name?<br />
Tobias: Björn kam damit<br />
um die Ecke.<br />
Björn: Wenn ich im Winter<br />
zum Rauchen auf den Balkon gehe und mich anschließend<br />
zu meiner Frau ins Bett lege, meint sie<br />
immer: Kalte Hand, kalte Hand. Das ist haften geblieben,<br />
klingt gut und sieht typografisch auch<br />
noch cool aus.<br />
Julian: Als Björn den Namen vorgeschlagen<br />
hat, haben wir gegoogelt und sind bei einem Artikel<br />
der Apotheken Umschau hängengeblieben.<br />
Da ging es um Symptome von kalten Händen. Es<br />
hat wohl mit mangelnder Blutversorgung zu tun,<br />
auch psychischer Stress kann ein Faktor sein. Als<br />
ob der Körper sich vor Angst dem Todeszustand<br />
anpassen würde. Fanden wir passend.<br />
Wohin darf euer Weg als Band noch führen?<br />
Julian: <strong>Neue</strong> Platte, viele Shows, vor allem<br />
mehr im Ausland spielen. Für das nächste halbe<br />
Jahr sind doch ziemlich viele neue Auftritte gebucht.<br />
Heuer spielen wir nur noch in der Ballonfabrik<br />
und mit den Augsburger Kollegen Das<br />
Format und The Violent Youth in Kaufbeuren.<br />
Nächstes Jahr geht es dann mit einer befreundeten<br />
Band aus Berlin zusammen auf Tour. (ws)<br />
www.kaltehand.bandcamp.com