Neue Szene 2023_12
DAS Stadtmagazin für Augsburg und die bayerisch-schwäbische Region.
DAS Stadtmagazin für Augsburg und die bayerisch-schwäbische Region.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ZOOM<br />
29<br />
Protestaktion an der Regierung von Schwaben<br />
Neben den juristischen Scherereien setzen<br />
den Klimacampern auch die zunehmend strengen<br />
Kontrollen im Campbereich durch Polizei<br />
und Ordnungsamt zu. „Das drückt natürlich<br />
die Stimmung und schreckt auch manche Leute<br />
ab, die Versammlungsleitung zu übernehmen<br />
oder einfach Zeit hier zu verbringen“, merkt der<br />
20-jährige Mitstreiter Lilo an. Vielleicht ist es nur<br />
der graue Himmel oder der eisige Wind, der an<br />
diesem Novembervormittag über den Rathausplatz<br />
fegt, aber die Stimmung im Klimacamp<br />
wirkt tatsächlich etwas gedämpft, den anwesenden<br />
Mitgliedern merkt man die Anspannung<br />
der letzten Wochen an. Ernst und nachdrücklich<br />
erklären Nick (17), Laser (19) und Mandala (18),<br />
warum sie trotzdem hier sind: „Die meisten von<br />
uns arbeiten Vollzeit und machen das Ganze hier<br />
in unserer Freizeit, und zwar nicht zum Spaß,<br />
sondern weil wir Angst vor der Zukunft haben<br />
und den nächsten Generationen noch eine<br />
lebenswerte Welt hinterlassen wollen.“<br />
Doch die Aktivisten fühlen sich zunehmend in<br />
die Ecke gedrängt. „Wir sehen, dass<br />
unser friedlicher, symbolischer<br />
Aktivismus ungerechtfertigt<br />
harte Strafen nach sich<br />
zieht“, meint Blechschmidt. „Aber die<br />
meisten von uns können und wollen nicht in<br />
Haft gehen.“ Also überlegen die Mitglieder des<br />
Klimacamps, künftig Leute an die Hebel zu<br />
lassen, für die wiederholte Geld- und Freiheitsstrafen<br />
zum Alltagsgeschäft gehören. Sollten<br />
die Haftstrafenforderungen der Augsburger<br />
Staatsanwaltschaft nicht aufhören, wolle man<br />
sämtliche Strukturen des Protestcamps an die<br />
umstrittene Klimaschutzgruppierung Letzte<br />
Generation übergeben. Die bundesweit agierende<br />
Bewegung hat in Augsburg bisher kaum<br />
Fuß gefasst und verfügt aktuell über keine feste<br />
Ortsgruppe in der Region. Allerdings dürften<br />
mit der potenziellen Übergabe des Klimacamps<br />
bald auch hier Festklebeaktionen im Straßenverkehr<br />
oder Farbproteste an Denkmälern keine<br />
Ausnahme mehr sein. Ob es tatsächlich so weit<br />
kommt, würden die anstehenden Gerichtsverhandlungen<br />
in den nächsten Wochen zeigen, so<br />
die Klimacamper.<br />
Bislang habe es keine Zusammenarbeit mit<br />
der Letzten Generation gegeben, auch weil trotz<br />
gemeinsamer übergeordneter Ziele gewisse Differenzen<br />
zwischen beiden Gruppen bestehen. Den<br />
größten Unterschied sieht Ingo Blechschmidt<br />
in der Adressatenebene: die Letzte Generation<br />
richtet ihre Forderungen an die Bundesregierung,<br />
während das Klimacamp bewusst die Lokalpolitik<br />
in den Fokus nimmt. Zudem gehörten die<br />
radikaleren Protestformen, für die die Letzte<br />
Generation bekannt ist, nicht zum Aktionsrepertoire<br />
des Augsburger Klimacamps, das vor allem<br />
auf angemeldete Demonstrationen setzt. Nichtsdestotrotz<br />
bewundere er die Aktivisten für ihre<br />
Entschlossenheit. Falls die Übergabe stattfinden<br />
sollte, würden sich einige Klimacamp-Mitglieder<br />
der Letzten Generation anschließen, andere würden<br />
sich hingegen ganz aus dem Klimaaktivismus<br />
zurückziehen, so Ingo. Damit scheinen ihnen im<br />
Grunde nur zwei Optionen zu bleiben: Eskalation<br />
oder Resignation.<br />
Kann man also feststellen, dass der gemäßigte<br />
Protest des Klimacamps gescheitert ist?<br />
Nein, widerspricht Blechschmidt. Im Gegenteil,<br />
man habe viel damit erreicht. „Der für mich<br />
persönlich größte Erfolg ist die Rettung des<br />
Forst Kasten bei München. Da haben wir mit<br />
unserem aktivistischen Engagement letztlich<br />
dafür gesorgt, dass der Wald erhalten bleibt.“ In<br />
Augsburg habe man etwa den Vertragsbeschluss<br />
der Stadt zum Bürgerbegehren „Fahrradstadt<br />
jetzt“ erwirken können.<br />
Doch auf der anderen Seite sind da eben<br />
auch die ständigen Rückschläge, die fortschreitende<br />
Zerstörung der Natur und ihrer<br />
Ressourcen, die finsteren Prognosen der Klimaforschung.<br />
Die Klimakrise ist nun mal bittere,<br />
aktuelle Realität. Umso absurder wirkt die<br />
Reaktion, diese Bedrohung einfach wegzuignorieren<br />
und stattdessen diejenigen Menschen, die<br />
sich verzweifelt dafür einsetzen, dass endlich<br />
etwas dagegen getan wird, zu Staatsfeinden zu<br />
erklären. Selbstverständlich kann man darüber<br />
streiten, wie zielführend gewisse Protestaktionen<br />
sein mögen, und ohne Frage muss die<br />
Justiz bei Straftaten ihren Job machen. Aber<br />
das darf auf keinen Fall bedeuten, dass wir der<br />
Stimme des Klimaaktivismus kein Gehör mehr<br />
schenken, schließlich brauchen wir sie heute<br />
lauter denn je. (lina)