Neue Szene 2023_12
DAS Stadtmagazin für Augsburg und die bayerisch-schwäbische Region.
DAS Stadtmagazin für Augsburg und die bayerisch-schwäbische Region.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
28<br />
ZOOM<br />
Wie geht es weiter mit dem Augsburger Klimacamp?<br />
Auf<br />
Messers<br />
Die Aktivisten des Klimacamps stecken nach<br />
über drei Jahren des unermüdlichen Mahnens<br />
und De-monstrierens in einem Dilemma: bleibt<br />
ihr Protest zu zahm, interessiert sich kaum<br />
jemand dafür, bei provokanteren Aktionen<br />
müssen sie jedoch mit harten strafrechtlichen<br />
Konsequenzen rechnen. Die Zukunft des<br />
Klimaaktivismus in Augsburg dürfte sich<br />
demnächst vor Gericht entscheiden.<br />
Von Lina Frijus-Plessen<br />
Schneide<br />
Seit dem 1. Juli 2020 protestieren die<br />
Mitglieder des Klimacamps auf dem Fischmarkt<br />
direkt neben dem Augsburger Rathaus, um die<br />
Stadtregierung dazu aufzurufen, mehr Ehrgeiz<br />
in Sachen Klimaschutz an den Tag zu legen. Die<br />
Bretterbuden, Zelte und Transparente, die quasi<br />
im eigenen Vorgarten errichtet wurden, waren<br />
der Stadtregierung von Anfang an ein Dorn<br />
im Auge. Zehn Tage nach seiner Gründung<br />
versuchte sie, das Klimacamp per Räumungsbescheid<br />
aufzulösen, scheiterte damit jedoch.<br />
Seitdem muss sie das Camp als verfassungsrechtlich<br />
geschützte Versammlung tolerieren.<br />
Um diesen Status nicht zu verlieren, müssen zu<br />
jedem Zeitpunkt mindestens zwei Personen im<br />
Camp anwesend sein. Und so wechseln sich die<br />
Aktivisten mithilfe eines Schichtplansystems ab,<br />
Tag und Nacht, in der sengenden Sommerhitze<br />
oder bei Minusgraden im Winter. Manchmal<br />
ist es sogar für Mitinitiator Ingo Blechschmidt<br />
unglaublich, dass das Klimacamp schon so lange<br />
ausharrt. „Am Anfang hätte ich niemals damit<br />
gerechnet, dass wir in drei Jahren immer noch<br />
hier sein würden“, sagt er. Doch die Versäumnisse<br />
der Stadtregierung beim Klimaschutz hätten<br />
ihnen keine andere Wahl gelassen.<br />
Dafür erhalten die Klimacamper viel<br />
Zustimmung, aber auch beachtliche Kritik aus<br />
der Stadtbevölkerung. Doch mittlerweile scheinen<br />
sich die meisten Augsburger damit abgefunden<br />
zu haben, dass das Klimacamp seine Zelte wohl so<br />
bald nicht abbrechen wird. Man hat sich schlicht<br />
an seine Präsenz gewöhnt – und damit leider auch<br />
an die beständigen Apelle, Demos und Protestaktionen<br />
für mehr Klimagerechtigkeit. Das macht es<br />
den Aktivisten immer schwerer, Aufmerksamkeit<br />
für ihre Anliegen zu generieren. Um von Öffentlichkeit<br />
und Medien überhaupt noch wahrgenommen<br />
zu werden, sei es laut Blechschmidt<br />
notwendig, hin und wieder auch Protestmittel<br />
einzusetzen, die in den rechtlichen Grauzonenbereich<br />
gehen – solange diese friedlich bleiben und<br />
niemand dabei zu Schaden kommt. Allerdings<br />
scheinen ebensolche Aktionen der Augsburger<br />
Justiz Anlass genug zu bieten, mit schwerem<br />
Geschütz gegen die Klimaaktivisten aufzufahren.<br />
So mussten sich zuletzt etwa Blechschmidt<br />
und zwei weitere Aktivisten aus Ravensburg für<br />
eine satirische Protestaktion in der Regierung<br />
von Schwaben vor Gericht verantworten. Im<br />
Oktober 2022 hatten die drei am Regierungsgebäude<br />
mit einer Abseilaktion gegen eine von<br />
der Behörde erteilte Ausnahmegenehmigung<br />
demonstriert, welche die Teilrodung des Lohwalds<br />
bei Meitingen zur Erweiterung der Lech-<br />
Stahlwerke ermöglicht hatte. Die Ravensburger<br />
Aktivisten Samuel Bosch und Charlie Kiene wurden<br />
dafür nun im Berufungsverfahren vor dem<br />
Landgericht Augsburg wegen Hausfriedensbruch<br />
und übler Nachrede rechtskräftig zu Jugendarreststrafen<br />
verurteilt. Ingo Blechschmidt konnte<br />
eine drohende mehrmonatige Haftstrafe durch<br />
einen Deal mit der Staatsanwaltschaft abwenden,<br />
muss dafür aber eine deftige Geldstrafe in Höhe<br />
von 260 Tagessätzen ableisten.<br />
Dieser Fall sei nur ein Beispiel<br />
für die unverhältnismäßige<br />
Kriminalisierung,<br />
die die Klimaaktivisten seit<br />
einiger Zeit vonseiten der<br />
Augsburger Justiz erfahren<br />
würden. In den letzten Monaten kam<br />
es vermehrt zu Anklagen und Verurteilungen<br />
gegen Personen aus dem Umfeld des Augsburger<br />
Klimacamps, bei denen die Staatsanwaltschaft<br />
Haftstrafen für verschiedene<br />
Protestaktionen forderte. Die Mitglieder des<br />
Klimacamps wittern in diesem Vorgehen eine<br />
Einschüchterungstaktik, die darauf abziele, ihre<br />
Aktivitäten einzuschränken. Die Staatsanwaltschaft<br />
Augsburg wollte sich auf Anfrage nicht<br />
zu diesem Vorwurf äußern und verwies darauf,<br />
dass sie lediglich dem Auftrag nachgehe, Straftaten<br />
zu verfolgen, die Entscheidungen darüber<br />
träfen die Gerichte. Dass diese den Augsburger<br />
Klimaaktivisten tatsächlich nicht gerade wohlgesonnen<br />
scheinen, wurde im Berufungsprozess<br />
gegen Bosch und Kiene deutlich. Dort warf der<br />
Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung<br />
der gesamten Klimaschutzbewegung vor,<br />
mit ihrem Aktivismus die Lebensgrundlagen<br />
der Weltbevölkerung zu gefährden und riet<br />
den beiden jungen Angeklagten dazu, sie<br />
sollten stattdessen lieber mal arbeiten gehen.<br />
Schließlich bedauerte er, dass er aufgrund des<br />
Verschlechterungsverbots bei Berufungsverfahren<br />
nicht noch höhere Haftstrafen verhängen<br />
könne.