Walter Moroder - Zeit Kunstverlag
Walter Moroder - Zeit Kunstverlag
Walter Moroder - Zeit Kunstverlag
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werk, lehrt Zeichnen und Modellieren, lehrt die Tricks, die<br />
Proportionsregeln, nach denen ein Gesicht, eine Beckenpartie<br />
aus dem Stamm gestemmt, geschält, geschnitten<br />
wird. War es Heimkommen? Vielleicht Heimkommen in<br />
die Vertrautheit der ladinischen Kultur. Aber Heimat im<br />
Sinn von Eingebundenheit, gar Sicherheit im unveränderlichen<br />
Rhythmus des Lebens hat er nicht gesucht, hat er<br />
hier schwerlich finden können. Es ist eine Art produktiver<br />
Wartestand, in den er sich begibt. Er streicht die Fenster<br />
mit Yoghurt und lässt die milchige Masse trocknen. Er<br />
vergrössert den Abstand zur Welt.<br />
Nicht dass in der Werkstatt nichts geschehen wäre, die<br />
Späne um den Arbeitsplatz nicht kleine Halden gebildet<br />
hätten. Aber das Eigentliche,<br />
was geschehen ist, ist die Tragzeit<br />
gewesen. Tragzeit ist Ruhezeit.<br />
Ruhe sei für ihn und seine<br />
Arbeit das Wesentliche, hat <strong>Walter</strong><br />
<strong>Moroder</strong> einmal geschrieben. Und<br />
als die Ruhe lebendig und gross<br />
geworden war, stand die Schwangere lebendgross auf<br />
dem Boden. Familie, 1995, Kastanienholz (Abb. 3). Mit ihr<br />
gewinnt <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong> einen Wettbewerb der Gemeinde<br />
St. Ulrich. Aber was in Wahrheit zählt, ist die Ordnungszahl.<br />
Werkverzeichnis Nr. 1. Die junge Frau aus elegant<br />
gemasertem Holz, die mit der Linken ihre Brust bedeckt,<br />
mit der Rechten den prallen Bauch hält, eröffnet eine<br />
Figurenserie, mit der der Künstler die Gegenwartsplastik<br />
um ein ebenso eigenwilliges wie faszinierendes Werk<br />
bereichern wird.<br />
Kann man das Geheimnis dieser Figuren beschreiben wie<br />
die Wolken, die um die Bergkämme spielen? Lässt sich<br />
sagen, was es ist, was so fasziniert? Soll man sagen, es<br />
ist ihre Stille, ihre Regungslosigkeit, ihre Sprachlosigkeit,<br />
Mitteilslosigkeit, diese hermetische Inwendigkeit und<br />
Unerreichbarkeit, ihr zufriedenes Beisichsein oder die<br />
Sinnlichkeit ihrer schlanken Körper, ihre selbstgefällige<br />
Schönheit, die feine durchsichtige Haut um ihr Versteck?<br />
Fast schämt man sich für die aufdringlichen Blicke, mit<br />
denen man in die Ruhe ihrer Geschichtslosigkeit bricht.<br />
Kunstfiguren, Abstand aus Nähe<br />
Es herrscht in diesem Werk eine bezwingende Unmittelbarkeit<br />
und eine Abstraktheit zugleich. Nie ist es ja<br />
so, dass man meinen könnte, die Frauen wachten gleich<br />
<strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong><br />
einmal auf, und die toten Hölzer füllten sich mit Leben.<br />
Es sind Kunstfiguren ganz und gar, ästhetische Gebilde,<br />
die nie mit dem Illusionismus prunken. Dass es in der<br />
Werkstatt in St. Ulrich zugehen könnte wie bei Pygmalion,<br />
steht nicht zu befürchten. Die blinde Leidenschaft,<br />
die den antiken Bildhauer angesichts der Lebensechtheit<br />
seiner Skulptur ergreift, mag ein bedenklicher Fall<br />
gewesen sein. <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong>s Fall ist es nicht. Und<br />
nichts wäre so falsch, als seine Figuren in einem vorgeburtlichen<br />
Verharren zu sehen, aus dem sie erst unsere<br />
Phantasien erlösten.<br />
Es geht nicht um Täuschung, Verwirrung, nicht um das<br />
Spiel mit den fliessenden Grenzen der Fiktion, nicht um<br />
Kann man das Geheimnis dieser Figuren<br />
beschreiben wie die Wolken, die um die<br />
Bergkämme spielen?«<br />
Vermischung. Das Personal bleibt auf der Bühne und das<br />
Publikum im Parkett, und es ist ein weiter Abstand zwischen<br />
beiden. Und die Ahnung, die man im Parkett hat,<br />
das Gespür für den Belang der Figuren auf der Bühne,<br />
die seltsame Attraktion, die von ihnen ausgeht, die Art,<br />
wie sie einem eigentümlich vertraut vorkommen, dass<br />
man meint, sich an irgendetwas zu erinnern, was noch<br />
nicht deutlich ist, aber vielleicht deutlich werden könnte,<br />
das alles geht einher mit stolzer Fremdheit und gewaltloser<br />
Abwehr und einer Unberührbarkeit, die man kaum<br />
zu schützen braucht. Schwer vorstellbar, dass sich einer<br />
traute, mit der Hand durch die sanfte Bucht der Taillen<br />
zu streichen. Der Bann meint eben beides: Zug und Halt,<br />
Drift und Widerstand. Und nie ist man bloss Zuschauer,<br />
Betrachter, Augenzeuge. Immer ist man auch Selbstbeobachter,<br />
Protokollant einer Erfahrung, und in die<br />
beschreibenden Töne mischen sich, ob man will oder<br />
nicht, die bekennerischen.<br />
Als die »Schwangere« Mitte der neunziger Jahre das<br />
Werk gleichsam aufschloss, hätte man ja meinen können,<br />
<strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong> lausche noch einmal den alten Weisen,<br />
stimme mit seinem besinnlichen Figurenklang die Volkstonart<br />
des Grödnertales an. Ist nicht in jeder Madonna,<br />
und seien es gefühllose Maschinenarme, die sie aus<br />
dem Rohholz fein geschliffen haben, noch ein Rest vom<br />
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