Walter Moroder - Zeit Kunstverlag
Walter Moroder - Zeit Kunstverlag
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sie zugleich zu inszenieren. Man kann sie nicht abstellen,<br />
wie man auf der anderen Strassenseite die maschinengeschnitzten<br />
Madonnen deponiert. Mit jeder Positionierung,<br />
mit jeder minimen Drehung und Rückung verändert sich<br />
das subkutane Beziehungsnetz, dehnt und spannt sich<br />
ein undurchsichtiges Gespinst aus heimlichen Blicklinien<br />
und gestischen Abläufen, das dem Auftritt der Figuren<br />
auch ohne willentliche Regie den Charakter eines Bühnengeschehens<br />
gibt. Nur das Stück kennt man nicht<br />
genau. Und nicht einmal der Bildhauer könnte sagen,<br />
was da gerade gespielt wird.<br />
In der <strong>Zeit</strong>ung stand einmal etwas von »innerer Himmelfahrt«:<br />
Auch wenn aus den lebensgrossen mageren Körpern<br />
mit den dezent weiblichen Formen kein Weihrauch<br />
dampfe, erschienen sie doch so, als hätten sie ihre Uhren<br />
abgenommen, die Schuhe ausgezogen und wären aus der<br />
<strong>Zeit</strong> ausgetreten 3 . Seltsam, was einen beim Anblick des<br />
<strong>Moroder</strong>schen Personals Zuflucht zum heilig klösterlichen<br />
Vokabular suchen heisst. Der unmittelbare Eindruck<br />
ist doch der eminenter Diesseitigkeitt. Die Frauen haben<br />
überhaupt nichts abgegeben, ausgezogen, und Aussteiger<br />
sind sie schon gar nicht. Wohl stimmt es, dass sie<br />
vielleicht nicht zu den People gehören. Cool und sexy, wie<br />
sich der aktuelle Sozialisationstyp beschreibt, wird man<br />
sie nicht nennen mögen. Dafür gehen sie zu wenig offensiv<br />
mit ihren Reizen um. Und wie sie dastehen, das verrät<br />
nicht gerade Übung in zeitgenössischer Selbstdarstellung.<br />
So drückt man sich nicht auf der Vernissage herum,<br />
so wenig lässig, die Arme allemal angestrengt koordiniert,<br />
seitlich hängend, seitlich gestreckt, unter der Brust<br />
gekreuzt, hinter dem Rücken verhakt. Aber unverkennbar<br />
ist doch, dass es dem Werk um Attraktion und Suggestion<br />
zu tun ist. Und unverkennbar ist auch, dass den Figuren<br />
die Ordenstracht so wenig stünde, wie sie zu innerer oder<br />
äusserer Himmelfahrt entschlossen scheinen.<br />
Ferne, Strenge ohne Regel<br />
Bei flüchtigem Blick könnte man an eine ferne Verwandtschaft<br />
mit den alten Schönen vom Nil denken. Gewisse<br />
archaisierende Züge und ägyptisierende Anklänge sind<br />
bei früheren Figuren manifest. Eine Figur wie Ferne<br />
Gedanken (1997) scheint mit ihrem geometrisch ornamentierten<br />
Kleid wie aus versunkenen Dynastien wieder<br />
erstanden. Aber die Travestie wäre überinterpretiert,<br />
wenn man von ihr auf Nofretetes neuestes Make-up<br />
<strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong><br />
schlösse. Das hölzerne Geschlecht aus Südtirol sucht<br />
seine Familienangehörigen in aller Welt. Aber nicht, um<br />
sich aus entlegenen Ikonografien zu bedienen. So wenig<br />
sich die Figuren idolartig wiederholen, so wenig hält auch<br />
der Verdacht archaischer Strenge einer vergleichenden<br />
Prüfung stand.<br />
Bis auf ganz wenige Ausnahmen sind alle Figuren nicht<br />
exakt achsensymmetrisch entworfen und ausgeführt. Die<br />
pauschale Parallelität der Linien, die man in der frontalen<br />
Begegnung zu entdecken glaubt, löst sich sogleich auf,<br />
wenn man um die Figuren herum geht und registriert,<br />
aus wieviel Verschiebungen, Rückungen, Abweichungen<br />
von der Geraden sich die Körper-Senkrechten zusammensetzen.<br />
Meist sind die Aberrationen subtiler Art, ein<br />
unscheinbarer Knick in der Hüfte, kaum wahrnehmbare<br />
Unterschiede in der Schulterhöhe, ein leichter Silberblick,<br />
eine linke Hand, die nicht auf den Millimeter genau<br />
weiss, was die rechte tut. Und wenn einmal die beiden<br />
Körperhälften fast deckungsgleich erscheinen, dann<br />
bringt die Oberflächenbehandlung die Formdinge wieder<br />
auseinander. Manchmal ist es Bienenwachs, das der<br />
Bildhauer auf den Holzgrund aufträgt und der Haut eine<br />
narbig pulsierende Struktur gibt. Bei anderen Figuren<br />
hat er die Bemalung mehrmals abgeschliffen und abgeschmirgelt,<br />
was die Aussenseiten grossporig und rauh<br />
aussehen lässt. Auch mit Gipsweiss hat er die eine oder<br />
andere geschminkt. Und dann ist es, als blickte der unerreichbare<br />
Blick wie durch einen Schleier, der alles Stoffliche<br />
aus der Begegnung tilgt. »Ich bin Bildhauer«, hat<br />
<strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong> seine Werkerfahrung beschrieben, »weil<br />
es für mich einen extremen Reiz bedeutet, Materie vor<br />
mir zu haben, sie zu bearbeiten und dann zu spüren, wie<br />
Leben entsteht. Ich kämpfe ständig darum und verzweifle<br />
meistens, dass ich immer noch Materie vor mir habe.« 4<br />
Man kann statt Materie auch Linien sagen. Es gibt eine<br />
Tradition des Zeichnens, die fasst ihre Gegenstände,<br />
umfasst sie mit der Linie, fängt sie wie mit einem Lasso.<br />
Solche Linien definieren Formen. Und was zurückbleibt,<br />
wenn die Formen vom Welthintergrund gelöst sind, ist<br />
eine Leerstelle, etwas Abwesendes, das der gezeichnete<br />
Gegenstand bezeichnet. Es ist diese Tradition des Zeichnens,<br />
die <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong> ein Rätsel und ein Schrecken in<br />
einem wäre. Wenn er zeichnet – und seine Zeichnungen<br />
entstehen parallel zur bildhauerischen Arbeit, nie als<br />
Vorstudien – dann weichen seine Linien aller Präzisie-<br />
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