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Walter Moroder - Zeit Kunstverlag

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zeichenhaften Existenzmotiv der Schwangeren bewahrt?<br />

Vielleicht war es so. Vielleicht hat die Teilnahme an<br />

dem lokalen Wettbewerb wie die Proustsche Madeleine<br />

gewirkt, über deren Geschmack sich unwillkürlich die<br />

ganze verlorene <strong>Zeit</strong> auftut.<br />

Typus, Thema mit Variationen<br />

Die »Schwangere« zeigt schon Merkmale des neuen<br />

Figurentypus, den der Bildhauer in den nächsten Jahren<br />

mit einer Sicherheit und einer Geradlinigkeit entwickeln<br />

wird, als habe er von diesem Augenblick an gewusst,<br />

was seine Sache wäre, worauf sein Werk hinausliefe,<br />

was Weg und Ziel wären, Wunsch und Möglichkeit. Der<br />

Körper der Figuren von delikater Konstitution, geborgen<br />

in weicher, rundliniger Silhouette, Leib und Kleid ein<br />

kompaktes Volumen, die Beine eng geschlossen, Füsse<br />

parallel, Haare aus der Stirn gekämmt, hinter dem Kopf<br />

verknotet, die Blickrichtung unbestimmt, eher ein Blick<br />

ohne Richtung. So ist die Art. So ist sie im unteren Val<br />

Gardena auf die Welt gekommen. Viel wird sich nicht<br />

mehr ändern. Es wird Varianten geben und Modifikationen,<br />

aber die Konstanz, mit der bei allen feinen Körperunterschieden<br />

dann doch immer wieder ein bestimmter<br />

Typus entsteht, deutet auf ein beherrschendes, nie ganz<br />

bezwingbares Thema, das mit jeder neuen Figur aufs<br />

neue herausfordert. Man könnte auch sagen, der Bildhauer<br />

<strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong> arbeitet an seinen Figuren wie an<br />

einer Figur. Wohl sind die Figuren irgendwann »fertig« im<br />

bildhauerischen Sinne, aber ihre geheime Energie geben<br />

sie immer weiter, und es ist wie Brückenbau von einer<br />

Figur zur nächsten, zur Schwester, die nicht Zwillingsschwester<br />

ist und doch zur gleichen Sippe gehört.<br />

Die Sippe ist gross geworden, hundert Familienangehörige<br />

sind es bald einmal. Ist es denkbar, dass eine – oder<br />

einer? – doch mal aus der Art schlägt, dass die Figuren<br />

älter werden, anders? Oder sind <strong>Zeit</strong>- und Alterslosigkeit<br />

Festlegungen, die nur um den Preis der Familienzerstörung<br />

zu ändern wären? <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong> verweigert sich<br />

nicht dem künstlerischen Experiment. Er hat durch-<br />

4<br />

Ausdruck ist in diesem Werk Suche nach dem<br />

Wahrheitspunkt, behutsame Näherung an einen<br />

Grad höchster Intensität. «<br />

aus Vorstellungen, Visionen, denkt über die markierten<br />

Werkgrenzen hinaus. Unlängst hat er mit Bildplatten<br />

experimentiert, bei denen die Figur mit Hammerschlägen<br />

in den verleimten Bildgrund wie aus Rasterpunkten<br />

zusammengesetzt erscheint, im Gespräch erzählt er von<br />

Videoprojekten, und es gibt Versuche, die Galerie der Stehenden<br />

um Liegende, Hockende, Kauernde zu erweitern.<br />

Aber noch ist das Thema der weiblichen Figur, so wie es<br />

der Künstler in den letzen zwölf Jahren entwickelt hat,<br />

von seiner obsessiven Mitte nicht verdrängt, noch ist die<br />

frei stehende Frauenfigur beherrschendes Motiv, gerade<br />

weil ihr nur ganz feine Abweichungen von der festgelegten<br />

Formel gestattet scheinen.<br />

Vielleicht ist »Festlegung« nicht<br />

das zutreffende Wort. Festlegungen<br />

geschehen, wo Plan,<br />

Absicht und Taktik ineinander<br />

spielen. Bei <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong><br />

fehlt gerade dies, die resolute<br />

Kunstwerksentschlossenheit, die kämpferische Kunstwerksabsicht.<br />

Es liegt über dem ganzen Werk eine träumerische<br />

Abständigkeit, als sei nicht er, der Künstler,<br />

der eigentliche Kunsttäter, das kunstvernünftig agierende<br />

Subjekt, als sei er mehr noch erstaunter Beobachter<br />

und erlebe seine Teilhabe am Wunder der Kunstentstehung<br />

wie ein unverfügbar Eigenes. Schwer zu sagen,<br />

was ihn zu der Figur ohne Herkunft und Voraussetzung<br />

geführt hat. Eine glückliche Eingebung war die »Inkunabel«<br />

in jedem Fall. Denn das Bild der Schwangeren ist<br />

ein starkes Bild. Ein Bild für den Beginn und ein Bild für<br />

das Rätsel des Beginns zugleich.<br />

Man kann solche bildhauerischen Momente glücklicher<br />

Form- und Inhaltskoinzidenz nicht wiederholen. Familie<br />

wird ein Einzelstück bleiben. Die Lebens-Allegorie<br />

müsste sich verbrauchen, würde sie in Serie gehen. Die<br />

jungen Frauen, die der werdenden Mutter nachfolgen,<br />

haben nichts mehr zu erzählen. Ganz ruhig, ohne jede<br />

Kraftanstrengung tilgt der Künstler alles Gleichnishafte.<br />

Und im selben Masse, in dem die Figuren nun ohne<br />

Geschichte und ohne Geschichten auftreten, schliessen<br />

sich auch ihre Konturen. Die Arme der Schwangeren<br />

deuten in ihrem unterschiedlich schützenden Gestus<br />

noch Bewegung an. Man wird gleichsam um die Figur<br />

herum geführt. Profile, Vorderseite, Rückseite markieren<br />

Erlebnisbereiche, die den Charakter des Motivs

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