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Walter Moroder - Zeit Kunstverlag

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immer neu definieren. Von nun an scheint alles auf<br />

frontale Begegnung hin angelegt, und Gliedmassen und<br />

Körper verwachsen zum schlanken, zart modulierten<br />

Stamm.<br />

Stille, Sprache der Gebärden<br />

Dabei kann man wohl nicht anders, als in solcher Körpergeschlossenheit<br />

und Körperverschlossenheit die leise<br />

sprechenden Gebärden zu vernehmen. Wie die Figuren<br />

ihre Arme nie spreizen, nie ausbreiten, wie sie sie eng<br />

am Körper halten, keinerlei Kraft darauf verwenden, sie<br />

vom Körper – und sei es unmerklich nur – zu lösen, das<br />

ist viel mehr als bloss formale Lösung, bildhauerische<br />

Handschrift, und mit schnitztechnischer Notwendigkeit<br />

hat es schon gar nichts zu tun. Was aufscheint, ist<br />

eine Gefühls- und Bewusstseinschiffre, die mit ungemeiner<br />

Dringlichkeit und Eindringlichkeit wiederkehrt<br />

und gerade in der Wiederholung den Figuren Selbständigkeit,<br />

ihren Ausdruck des Fürsichseins gibt. Dass sich<br />

die Figuren mit Armen und Händen immer selber berühren,<br />

das sind keine Daten, aus denen sich ein »Psychogramm«<br />

erstellen liesse, aber die Haltung nur formal<br />

deuten zu wollen, wäre auch absurd.<br />

Was <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong>s Figuren charakterisiert, was ihre<br />

Einzigartigkeit, ihre Ausstrahlung ausmacht, sind eingeschriebene<br />

Codes. Wie aufgewachsen stehen sie da,<br />

erinnern in ihrem ebenmässigen Wuchs an die geheimnisvollen<br />

Triebe, die aus tropischen Pflanzen schiessen.<br />

Schmal, fragil, jung, straff, körperfest. Eng schmiegen<br />

sich die faltenlosen Kleider an den Leib. Brust, Bauch,<br />

Gesäss, Rücken, kein Rundteil drückt so durch, dass es<br />

vorstünde, den Blick auf sich zöge, dass es ablenkte vom<br />

Gleichmass der Proportionen, von der anmutigen Noblesse,<br />

die sich von der Haarkalotte bis zu den Fussspitzen<br />

harmonisch über den Körper verteilt und ihn verwahrt<br />

und bewahrt, den unzugänglichen Figurenkern. Figürliche<br />

Plastik ist für <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong> plastische Arbeit<br />

an diesem Figurenkern. Freilich nicht so, dass er ihn<br />

herausgeschälte wie den Kern aus dem Fruchtfleisch.<br />

Freilegung ist es nicht. Freilegung findet so wenig statt<br />

wie Festlegung. Alles verbleibt in der Andeutung, in der<br />

Anspielung. Und Anspielung ist, wie die Linien die Körpersilhouetten<br />

umspielen, wie sie nie harte, körpergegenständliche<br />

Konturen ausschneiden, wie sie ein wenig<br />

zittern und Hof und Aura bilden, als seien auch Kleid und<br />

<strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong><br />

Haut nichts wirklich Bergendes, nur feinste Epidermis,<br />

Belag auf dem holzhart Menscheninneren.<br />

Kern ist Existenzform tief drinnen. Kern ist nicht das<br />

Innerste. Das Innerste wäre nur um den Preis der Zerstörung<br />

des Kerns zu erhalten. Und das Geheimnis, das<br />

sich in die Anmutung dieser Figuren mischt, hat hier<br />

seine Wurzeln. Immer hat man den Eindruck, ihnen ganz<br />

nahe gekommen zu sein, ungewöhnlich nahe, unerlaubt<br />

nahe. Es ist wie Übertretung, ein eigentümlicher Sog,<br />

der einen ins Figuren-Innere zieht. Und immer ist es, als<br />

werde mit jedem Schritt auf die Figuren zu der Abstand<br />

zu ihnen grösser, als entzögen sie sich, je näher man<br />

ihnen kommt, als hüteten sie ihr Kern-Inneres mit der<br />

gleichen Intensität, mit der sie in das unerreichbar Unbekannte<br />

locken.<br />

Das Werk wirkt vor dem Hintergrund der konjunkturell<br />

begünstigten Figurenmalerei und figürlichen Plastik ganz<br />

und gar zeitgenössisch, jung, hiesig, und steckt doch ein<br />

ganz eigenes Feld ab, hält sichtlich Abstand zu den artifiziellen<br />

Verrätselungen und surrealen Prospekten, die<br />

dem Kunstbetrieb dieser Jahre so viel bedeuten. Dass<br />

<strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong>s Frauenfiguren ins aktuelle Kunststück<br />

integriert erscheinen 2 und dort ihre stummen Rollen<br />

spielen, ist das eine. Das andere aber, dass sie sich dann<br />

doch nicht ans offizielle Drehbuch halten. Ihr Skript wirkt<br />

seltsam ungelesen, wie neu entdeckt, noch unentziffert,<br />

hieroglyph, eigenschriftlich. Wie soll man die Schrift<br />

benennen? <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong> sagt »Ausdruck«.<br />

Ausdruck, Form und Energie<br />

»Ausdruck« ist in diesem Werk Wahrheitsklimax, Suche<br />

nach dem Wahrheitspunkt, behutsame Näherung an<br />

einen Grad höchster Intensität. Was in diesen abgeschieden<br />

dialogischen Prozessen zwischen Künstler<br />

und Werk geschieht, hat die Erlebnisform einer Transgression.<br />

Was sich ereignet im bildhauerischen Setting,<br />

ist nichts weniger als Übertragung. Das Material lädt<br />

sich auf, gewinnt dazu, die Form gibt eine unvermutete<br />

Energie frei. Beschreibbar, berechenbar, voraussagbar<br />

wie eine chemische Reaktion ist das alles nicht. <strong>Walter</strong><br />

<strong>Moroder</strong> spürt es, sieht es, weiss ganz genau, wenn der<br />

Augenblick unüberholbarer Fügung erreicht ist, und fragile<br />

Übereinstimmung herrscht zwischen der Gestalt und<br />

dem intimen Gemenge aus Träumen und Erinnerungen,<br />

wenn aus Andenken, Nachdenken und Bedenken denkbar<br />

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