Walter Moroder - Zeit Kunstverlag
Walter Moroder - Zeit Kunstverlag
Walter Moroder - Zeit Kunstverlag
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wahrste Körperform geworden ist. Nicht dass die Figuren<br />
ihre Motive verrieten, von denen sie herrühren. Aber eine<br />
Ahnung von den fragilen, verletzlichen Innenbildern, die<br />
in ihr gespeichert sind, geben sie wohl.<br />
Ist es in dem Zusammenhang bedeutsam, dass es<br />
zumeist Frauenfiguren sind, die der Künstler zeichnet,<br />
von denen er kleine Ton-Bozzetti modelliert, um sie dann<br />
lebensgross in Holz zu schnitzen? Wohl gibt es auch ein<br />
paar Jünglinge in der Galerie. Aber sie sind deutlich in<br />
der Minderzahl und stehen ein bisschen verloren herum<br />
und ziehen keinen Vorteil aus ihrem Geschlecht. Er wisse<br />
das auch nicht so genau, sagt <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong>, warum<br />
ihm unter den Händen immer wieder Frauen erwüch-<br />
sen. Ein Vorsatz sei das eigentlich nicht. Und Widerstand<br />
gegen die Tendenz sei völlig zwecklos. Vielleicht<br />
läge es ja daran, dass Hosen und Hosenbeine so schwer<br />
zu machen seien. Schwer, sagt der Bildhauer, dem man<br />
jede handwerkliche Problemlösung zutrauen möchte.<br />
Schwer, man kann »schwer« gut stehen lassen. Die<br />
Kapitulation vor Hose und Hosenbein hat den Vorzug, den<br />
Künstler bei der Arbeit beobachten zu können, über die<br />
er nicht restlos gebietet. Immer scheint er in einer Art<br />
Kumpanei ins ungeklärte Schicksal seiner Figuren mit<br />
verstrickt. Und wenn aus den Lärchen und Zirbelkiefern,<br />
aus Gips und Sägemehl Frauen werden wollen, dann ist<br />
das eben so und hat nichts weiter zu bedeuten. Oder<br />
doch? Es ist ja nicht verboten, in der Galerie femininer<br />
Eleganz auch ein Hohelied auf die Schönheit herauszuhören.<br />
Die figurbetonten Kleider, die tiefen Ausschnitte,<br />
die dünnen Träger, das summiert sich schon zum auffälligen<br />
Chic. Aber was diese Figuren in Wahrheit alle<br />
zum gleichen Geschlecht gehörig aussehen lässt, das ist<br />
doch ihre Herausgenommenheit aus dem Leben. Eine<br />
modische Trendmeldung, eine existentielle Botschaft<br />
ist weder dem weiblichen Liebreiz noch dem weiblichen<br />
Untersichsein zu entnehmen. Das Bedeutsame an diesem<br />
Werk ist ja, dass es gerade ohne Bedeutung auskommt.<br />
Es waltet in <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong>s bildhauerischer<br />
Arbeit eine wunderbare Weltbildlosigkeit. Und die frische<br />
6<br />
Es ist immer beides, wenn man den Schleier der <strong>Moroder</strong>schen<br />
Figuren berührt: Verführung und Verunsicherung,<br />
Ruhe und Beunruhigung.«<br />
Modernität seiner Figuren liegt nicht zuletzt in der Leichtigkeit<br />
und Entlastetheit, mit der sie leise stolz auf sich<br />
selber zeigen und auf nichts über sich hinaus, auf nichts,<br />
wofür sie Zeichen oder Chiffre wären.<br />
Gesichter, Augen ohne Ich<br />
Heldin oder Antiheldin kommen nicht vor, Täterinnen<br />
oder Opfer auch nicht, und zum Vorbild taugen sie so<br />
wenig, wie sie irgendjemandem nachgebildet wären.<br />
Dass Bilder von Menschen nicht gleich zum Menschenbild<br />
verschmelzen, das macht einen Gutteil ihrer eigentümlich<br />
unverbrauchbaren Faszination aus. Immer wieder<br />
steht man vor ihnen und blickt in Augen, die den<br />
Blickkontakt verweigern,<br />
und weiss auch nicht mehr<br />
und weiss nur dies: Nie<br />
ist die armselige Philosophenfrage,<br />
warum überhaupt<br />
etwas ist und nicht<br />
vielmehr nichts, anrührender anschaulich geworden als<br />
hier. Es hat auch etwas Bewegendes, diese abwesende<br />
Anwesenheit, die somnambule Versponnenheit in einem<br />
Kokon, der nicht Ich heisst. Alles, was zur Selbstermächtigung<br />
der Subjekte zählt, scheint den Figuren zu fehlen.<br />
Und wie da scheue Selbstergriffenheit den Drang und<br />
Zwang nicht kennt, sich noch einmal zu grosser symbolischer<br />
Individualität aufzuwerfen, das ist wie Magie, die<br />
vom Figurenkern-Inneren ausstrahlt.<br />
Dabei steht doch jede Figur für sich und hat nichts mit<br />
der anderen zu tun. Es gibt kein Untereinander, kein Miteinander,<br />
weder Anführung noch Subordination, auch<br />
keine Partnerschaft. Es ist keine Figur, der man nachsagen<br />
könnte, sie sei die gute Nachbarin, die Freundin<br />
der Anderen. Wenn <strong>Walter</strong> <strong>Moroder</strong> in seiner »Werkstatt«<br />
Figurenbesuche macht, wenn er von der einen zur<br />
anderen läuft und der einen die Hand auf die schmale<br />
Schulter legt und der anderen über das glatt gezogene<br />
Holzkleid streift, dann ist es, als ginge er von der einen<br />
zur anderen wie durch einen unsichtbaren Vorhang und<br />
beträte jedes Mal ein eigenes Territorium, eine strahlenden<br />
Schutzzone. Und wenn die eine Schutzzone auch die<br />
andere sanft berührt, so gibt es doch keine Schnittmenge<br />
zwischen ihnen.<br />
Dazu ist die andere Erfahrung kein Widerspruch, dass<br />
man diese Figuren im Raum nicht platzieren kann, ohne