PDF 31 - Deutsche Sprachwelt
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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>31</strong>_Frühling 2008 Literatur<br />
Seite 9<br />
R<br />
einer Kunze und seine Frau<br />
Elisabeth haben eine gemeinnützige<br />
Stiftung gegründet.<br />
Diese soll die Voraussetzungen<br />
dafür schaffen, daß nach dem<br />
Tod der Stifter in deren Haus ein<br />
Ort entsteht, in dem sich Zeitgeschichte,<br />
Bildende Kunst und Literatur<br />
begegnen. Mit Reiner Kunze<br />
sprach Thomas Paulwitz.<br />
DEUTSCHE SPRACHWELT: Nach<br />
einer aktuellen Untersuchung des<br />
Forschungsverbundes SED-Staat an<br />
der Freien Universität Berlin (FU)<br />
idealisieren viele Brandenburger<br />
Schüler die DDR. Demnach neigen<br />
die Schüler dazu, die DDR allein als<br />
vorbildlichen Sozialstaat zu sehen,<br />
während sie die Diktatur ausblenden.<br />
Mehr als 80 Prozent gaben an,<br />
nur wenig über die DDR und die<br />
deutsche Teilung zu wissen, da sie in<br />
der Schule kaum etwas davon erführen.<br />
Das muß Sie doch entsetzen!<br />
Reiner Kunze: Es ist nicht zuletzt<br />
deshalb bedenklich, weil mit denen,<br />
die die DDR noch erlebt haben, auch<br />
jene wegsterben, die sich dem politischen<br />
System widersetzten. Mit ihnen<br />
sinkt auch das Wissen um ihren<br />
Alltag ins Grab. Aber es sind nicht<br />
nur Brandenburger Schüler, die nur<br />
wenig über die DDR und die deutsche<br />
Teilung wissen.<br />
Sie und Ihre Frau haben die „Reiner<br />
und Elisabeth Kunze-Stiftung“<br />
gegründet, damit nach Ihrem Tod<br />
Ihr Haus zu einer „Stätte der historischen<br />
Wahrheit“ und zu einem „Ort<br />
des Schönen“ werden kann. Was ist<br />
darunter zu verstehen?<br />
Wir verfügen über umfangreiches<br />
dokumentarisches Material, das<br />
Auskunft gibt über die politischen<br />
und zwischenmenschlichen Verhältnisse<br />
in der DDR, in der Bundesre-<br />
Das Stiftungshaus<br />
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DEUTSCHEN SPRACHWELT!<br />
Ihr Ansprechpartner:<br />
Hans-Paul Marten<br />
Fernruf 00 49(0) 22 71-6 66 64,<br />
Ferndruck 6 66 63<br />
E-Post: werbeanfragen<br />
@deutsche-sprachwelt.de<br />
Reiner Kunzes Vermächtnis<br />
Heinz Stein, Illustration zu dem Gedicht<br />
„Von der Inspiration“<br />
(aus der Stiftungssammlung)<br />
publik und im vereinigten Deutschland<br />
– Material, das nicht nur junge<br />
Menschen veranlaßt, uns zu sagen,<br />
sie seien mit ähnlichem noch nie<br />
konfrontiert worden. Dieses Material<br />
soll nach unserem Tod in unserem<br />
Haus der Öffentlichkeit zugänglich<br />
gemacht werden. Außerdem hat sich<br />
über die Jahrzehnte ein Fundus von<br />
Werken der Bildenden Kunst ergeben,<br />
die auf uns persönlich oder auf<br />
Texte Bezug nehmen, oder auf die<br />
ich mich in meinen Büchern beziehe.<br />
Abgesehen davon, daß sie sichtbar<br />
machen, wie die spontane gegenseitige<br />
Inspiration von Bildender Kunst<br />
und Literatur Landes- und Sprachgrenzen<br />
überwindet, haben sie uns<br />
durch ihre bloße Existenz Halt gegeben,<br />
und so gehören sie, soll bezeugt<br />
werden, wie unser Alltag aussah und<br />
aussieht, unabdingbar dazu.<br />
Könnten Sie, was das dokumentarische<br />
Material betrifft, ein, zwei Beispiele<br />
nennen?<br />
Unter anderem befindet sich im Stiftungsarchiv<br />
eine Auswahl von cir-<br />
Silvia mag Fraktur<br />
… und Sie?<br />
Gespräch über eine neugegründete Stiftung<br />
ca 500 signifikanten und zum Teil<br />
bewegenden Briefen. Nach unserer<br />
Übersiedlung in die Bundesrepublik<br />
1977 wurde in der DDR ein junger<br />
Ingenieur, Vater von zwei Kindern,<br />
wegen seiner angeblich staatsfeindlichen<br />
Briefe an mich und einen<br />
tschechischen Autor, die außer uns<br />
dreien niemand kennen konnte, zu<br />
sechs Jahren Haft verurteilt. Die<br />
Briefe waren lediglich kritisch. Wir<br />
besitzen das Schreiben der von uns<br />
beauftragten Westberliner Anwaltskanzlei,<br />
in dem uns das Urteil und<br />
die Begründung mitgeteilt wurde,<br />
und einen der handschriftlichen Briefe<br />
des Ingenieurs.<br />
Ein anderes Beispiel: Unsere Tochter,<br />
sie war damals noch ein Kind,<br />
schenkte mir zu Weihnachten 1969<br />
einige von ihr bemalte Briefumschläge,<br />
darunter einen mit einem Löwen.<br />
Dieser Löwe gelangte, mehrfach<br />
vergrößert, auf den Umschlag des<br />
Kinderbuchs „Der Löwe Leopold“,<br />
und als die Tochter davon erfuhr, fieberte<br />
sie dem Tag entgegen, an dem<br />
sie das Buch mit ihrem Löwen würde<br />
in Händen halten dürfen. Statt des an<br />
sie in Frankfurt am Main per Eilboten<br />
und eingeschrieben abgeschickten<br />
Vorausexemplars erhielt sie jedoch<br />
einen „Beschlagnahme/Einziehungs-<br />
Entscheid“, und die Zollverwaltung<br />
der DDR wies meine Beschwerde<br />
gegen die Beschlagnahme mit der<br />
Begründung zurück, der Inhalt des<br />
Buches stehe „im Gegensatz zu den<br />
Interessen des sozialistischen Staates<br />
und seiner Bürger“. Nach dem<br />
Wechsel an der Staatsführung von<br />
Walter Ulbricht zu Erich Honecker<br />
wurde das Buch jedoch auch in der<br />
DDR gedruckt, aber es kam nicht in<br />
die Buchhandlungen, sondern l5 000<br />
fertige Exemplare wurden vernichtet,<br />
und einer der stellvertretenden Kulturminister<br />
erklärte auf der Leipziger<br />
Buchmesse, es habe nie die Absicht<br />
bestanden, das Buch „Der Löwe<br />
Leopold“ in der DDR zu veröffentlichen.<br />
Eines Abends, als meine Frau<br />
das Brot auspackte, das die Bäckerin<br />
für sie zurückgelegt hatte, fand sie in<br />
der Tüte außer dem Brot jedoch ein<br />
Exemplar der von Albrecht von Bodecker<br />
illustrierten DDR-Ausgabe<br />
des „Löwen Leopold“. Wir wissen<br />
bis heute nicht, wer dieses Exemplar<br />
in der Druckerei entwendet und von<br />
Berlin nach Greiz gebracht hat.<br />
Und das haben Sie in Ihrem Archiv?<br />
Auch die an ein Kind adressierte<br />
braune Beschlagnahmeurkunde<br />
und das Begründungsschreiben des<br />
Zolls.<br />
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Blick vom Stiftungshaus ins Donautal<br />
Von dieser Art deutsch-deutschen<br />
Alltags werden viele Schüler nichts<br />
wissen.<br />
Und wenn, wird man ihnen sagen,<br />
es sei nicht wahr. In unseren letzten<br />
DDR-Jahren erreichten mich Briefe,<br />
in denen ein Termin angegeben war<br />
– zum Beispiel, um sich während der<br />
Leipziger Buchmesse zu treffen –‚<br />
prinzipiell einen Tag nach Verstreichen<br />
des Termins, auch wenn deswegen<br />
der Brief hatte sechs Wochen zurückgehalten<br />
werden müssen. Später,<br />
als wir in der Bundesrepublik lebten,<br />
wurde dieselbe Methode gegenüber<br />
meinen in der DDR verbliebenen alten<br />
und zuletzt aus Krankheitsgründen<br />
nicht mehr reisefähigen Eltern<br />
angewandt. Um die Eltern, damit sie<br />
mich wieder einmal zu Gesicht bekamen,<br />
auf ein Interview in der ARD-<br />
Die „Reiner und Elisabeth Kunze-Stiftung“,<br />
Am Sonnenhang<br />
19, D-94130 Obernzell-Erlau,<br />
ist eine öffentliche, gemeinnützige<br />
Stiftung des bürgerlichen<br />
Rechts und Mitglied des<br />
Bundesverbandes <strong>Deutsche</strong>r<br />
Stiftungen. Die Stifter sind<br />
für Zustiftungen und Zuwendungen<br />
zur Erfüllung des Stiftungszwecks<br />
dankbar. Bestätigungen<br />
für die steuerliche<br />
Berücksichtigung der Zuwendung<br />
werden ausgestellt. Es<br />
gibt keine Möglichkeit, einen<br />
Antrag auf Förderung zu stellen.<br />
Bankverbindung:<br />
Hypo-Vereinsbank Passau,<br />
Konto 3 68 94 16 54, Bankleitzahl<br />
740 200 74.<br />
www.reiner-kunze.com<br />
Sendung „Report“ aufmerksam zu<br />
machen, telegrafierte ich ihnen am<br />
Morgen des 8. März 1988 aus Baden-Baden:<br />
„21 Uhr Herzlichst Reiner“.<br />
Das Telegramm wurde ihnen<br />
am nächsten Tag unmittelbar nach<br />
der vormittäglichen Wiederholung<br />
von „Report“ zugestellt. Nach meiner<br />
Rede auf dem Festakt zum Tag<br />
der <strong>Deutsche</strong>n Einheit 2004 in Erfurt,<br />
in der ich dieses Vorkommnis<br />
erwähnt hatte, berichteten mir einige<br />
junge Zuhörer, an dieser Stelle der<br />
Rede habe in ihrer Nähe ein Mann<br />
vernehmbar geäußert: „Der lügt!“<br />
Wir besitzen den handschriftlichen<br />
Brief meiner Mutter, in dem es heißt:<br />
„Wann habt Ihr denn das Telegramm<br />
aufgegeben? Heute, am 9.3.88, mittags:<br />
12,15 Uhr, haben wir es erhalten.“<br />
Wie wollen Sie das Stiftungsprojekt<br />
verwirklichen?<br />
Mit der Stiftungsgründung haben wir<br />
eine Lebensentscheidung nicht nur<br />
im Vertrauen auf unsere eigene Kraft<br />
getroffen. Wir haben das Haus, das<br />
zeitgeschichtliche Material und die<br />
Kunstwerke an die Stiftung gegeben<br />
und komplettieren in zeitraubender<br />
Arbeit das Archiv, aber die Erträge<br />
des von uns eingebrachten Stiftungskapitals<br />
würden bei weitem nicht<br />
ausreichen, das Projekt bescheiden<br />
zu finanzieren. Wir haben den Schritt<br />
in der Hoffnung gewagt, zu unseren<br />
Lebzeiten einige Menschen zu finden,<br />
die in der Lage und bereit sind<br />
zuzustiften.<br />
Kennen Sie ähnliche Stiftungen?<br />
Uns wird versichert, ein derartiges<br />
Projekt sei in der deutschen Stiftungslandschaft<br />
vorerst singulär.<br />
Vielen Dank für das Gespräch, lieber<br />
Herr Kunze.<br />
Bricht der Vesuv aus?<br />
Der neue Roman von Kurt Gawlitta erzählt eine<br />
Liebesgeschichte unter dem Vesuv. Silvia Falk<br />
begegnet in Neapel Giorgio Casella. Er arbeitet<br />
am Observatorium und ist überzeugt, der Vulkan<br />
breche bald aus, findet aber kein Gehör.<br />
Das Risiko für die dicht besiedelte Region schafft<br />
unerhörte Spannung. Der Autor arbeitet Fakten<br />
und Hintergründe unterhaltsam in die Erzählung<br />
ein. Der „Ausbruch” knüpft an den Roman<br />
„Der verkaufte Mund” (2004) an, erschließt sich<br />
aber auch ohne die Vorkenntnisse.<br />
Ausbruch, Roman von Kurt Gawlitta<br />
IFB Verlag, Paderborn, 12/2007<br />
ISBN 978–3–9<strong>31</strong>263–73-7, Taschenbuch, 380 Seiten, 12,50 €uro