E-Paper_BoBB-24_01
- Keine Tags gefunden...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Courage in der Bildung<br />
Lehrerin Sevda Temur setzt ein Zeichen gegen<br />
Rassismus in der Schule<br />
In der Hans-Brüggemann-Schule (HBS) in<br />
Bordesholm ist das Engagement gegen<br />
Rassismus und für demokratisches Denken<br />
kein bloßes Schlagwort, sondern eine<br />
gelebte Realität. Seitdem Sevda Temur an<br />
der HBS ist, ist sie ein Teil des schulinternen<br />
Arbeitskreises SORSMC. Zum bundesweiten<br />
Netzwerk gehören über 4000 Schulen, darüber<br />
hinaus auch Schulen in Österreich und<br />
Frankreich. Mit einer Vielzahl von Projekten<br />
und Aktivitäten setzt die Gemeinschaftsschule<br />
in Bordesholm ein klares Zeichen<br />
gegen menschenverachtendes Denken und<br />
für eine tolerante Gesellschaft.<br />
In einem persönlichen Gespräch mit der<br />
engagierten Lehrerin werfen wir einen Blick<br />
auf die Bedeutung von Courage im Bildungswesen<br />
und erfahren, warum gerade<br />
die Schule ein entscheidender Ort für demokratisches<br />
Denken sein sollte.<br />
Vor welchem Hintergrund engagieren<br />
Sie sich für demokratische Werte an der<br />
Schule?<br />
Mir ist es ganz besonders wichtig, darüber<br />
zu informieren, dass Rassismus ein Thema<br />
ist, das nicht nur in den Geschichtsbüchern<br />
verankert ist, sondern gegenwärtig viele<br />
Menschen in unserer Gesellschaft betrifft.<br />
Als Lehrerin mit türkischen Wurzeln sehe ich<br />
mich persönlich mit dem Thema Rassismus<br />
konfrontiert und weiß daher, wie essentiell<br />
es ist, Schülerinnen und Schüler zu unterstützen,<br />
die Erfahrungen mit Ausgrenzung<br />
und Rassismus machen. Ich habe wiederholt<br />
beobachtet, dass Menschen zu passiv<br />
auf rassistische Vorfälle reagieren. Daher<br />
betrachte ich es als Teil unseres Bildungsauftrags<br />
an Schulen, Jugendliche in diesem<br />
Kontext aufzuklären und zu stärken.<br />
Welche positiven Erfahrungen haben Sie in<br />
Bezug auf das Engagement gegen Rassismus<br />
an Ihrer Schule gemacht und wie hat dies<br />
Ihre eigene Einstellung beeinflusst?<br />
Als ich 2<strong>01</strong>9 als Lehrerin für die Fächer<br />
Spanisch, Geschichte und Weltkunde an die<br />
HBS kam, erlebte ich eine angenehme Überraschung:<br />
Meine deutschen Kolleginnen und<br />
Kollegen waren bereits äußerst engagiert<br />
im Kampf gegen Rassismus. Diese Erfahrung<br />
zeigte mir, dass man nicht zwangsläufig einen<br />
Migrationshintergrund benötigt, um sich für<br />
das Thema einzusetzen. Umso erfreulicher<br />
ist, dass die Schule bereits seit 2<strong>01</strong>1 Mitglied<br />
des Projekts ‚Schule ohne Rassismus<br />
TEXT Sophie Blady | FOTO Caren Detje<br />
– Schule mit Courage‘ ist. Inspiriert durch<br />
dieses Engagement, entschloss ich mich,<br />
dem Arbeitskreis beizutreten. Wir treffen uns<br />
seit Dezember 2<strong>01</strong>3 mindestens einmal im<br />
Monat, ich bin erst später dazu gekommen,<br />
und haben einen Werkstatttag gegen Rassismus<br />
und Ausgrenzung ins Leben gerufen,<br />
an dem sich die Jahrgänge 5 bis 13 intensiv<br />
mit dem Thema auseinandersetzen.<br />
Welche Projekte finden am Werkstatttag<br />
statt?<br />
Im letzten Jahr haben wir hochkarätige<br />
Referenten eingeladen, darunter Vertreter<br />
einer Migrationsorganisation für Bildung,<br />
Beratung und Integration, Mitglieder des<br />
Schlau SH und sogar einen Überlebenden des<br />
Brandanschlags in Mölln, Ibrahim Arslan. Ihre<br />
eindrucksvollen Vorträge und persönlichen<br />
Erfahrungen haben dazu beigetragen, ein tieferes<br />
Verständnis für die Auswirkungen von<br />
Rassismus zu schaffen und die Sensibilität<br />
unserer Schülerinnen und Schüler für diese<br />
Thematik zu schärfen.<br />
„In meinen Augen ist es<br />
von großer Bedeutung,<br />
dass Schülerinnen und<br />
Schüler im Laufe ihrer<br />
Schulzeit eine eigene<br />
Meinung bilden.“<br />
Wie macht die Schule außerhalb der<br />
Werkstatttage auf das Thema Rassismus<br />
aufmerksam?<br />
Einmal im Jahr, am Werkstatttag, laden wir<br />
Referenten in die Schule ein die mit den<br />
Jugendlichen Workshops zu Themen wie Alltagsrassismus<br />
durchführen. Die Schülerinnen<br />
und Schüler erhalten spannende Hintergrundinformationen<br />
von Speakern wie etwa<br />
einem Anwalt, der als Nebenkläger im NSU-<br />
Prozess auftrat oder Herrn Welzer, der sich<br />
über ein Jahr undercover in der Naziszene<br />
bewegte und seither aggressiven Anfeindungen<br />
ausgesetzt ist. Uns als Kollegium ist<br />
es ein besonderes Anliegen, uns nicht nur<br />
mit dem Siegel ‚Schule ohne Rassismus –<br />
Schule mit Courage‘ zu schmücken, sondern<br />
diesen Leitsatz authentisch zu leben. Innerhalb<br />
der Fachschaft Geschichte überlegen<br />
wir fortlaufend, wie wir das Thema Rassismus<br />
in den Unterricht integrieren können.<br />
Der Geschichtsunterricht der 7. Klasse bietet<br />
dabei durch das Thema Kolonialismus viele<br />
Möglichkeiten, auch auf aktuelle Ereignisse<br />
einzugehen. In der 5. Klasse greifen wir im<br />
Kontext des Mobbing-Themas die Problematik<br />
der Ausgrenzung auf. Zudem besuchen<br />
wir mit dem 9. Jahrgang die KZ-Gedenkstätte<br />
Neuengamme und nehmen an Workshops<br />
und Vorträgen teil, um tiefer in die Thematik<br />
einzusteigen.<br />
Warum ist Ihrer Ansicht nach das Thema<br />
politische Bildung an Schulen so wichtig?<br />
In meinen Augen ist es von großer Bedeutung,<br />
dass Schülerinnen und Schüler im Laufe<br />
ihrer Schulzeit eine eigene Meinung bilden.<br />
Um dazu in der Lage zu sein, ist es unumgänglich,<br />
sich kritisch mit politischen Themen<br />
auseinanderzusetzen. Wir möchten die<br />
Kinder auf ein selbstbestimmtes Leben nach<br />
der Schule vorbereiten und dazu ermutigen,<br />
facettenreich zu denken, ihre Meinung zu<br />
äußern und für ihre Rechte einzustehen. Als<br />
Schule, die ja im Grunde die Gesellschaft in<br />
all ihrer Vielfalt widerspiegelt, ist es wichtig,<br />
einen tragbaren demokratischen Rahmen zu<br />
schaffen.<br />
Wie reagieren die Schülerinnen und Schüler<br />
auf dieses Angebot?<br />
Unsere Schülerinnen und Schüler setzen sich<br />
aktiv gegen Rassismus ein und treten für<br />
Toleranz ein. Sie gehen beispielsweise durch<br />
die Klassen, klären auf und haben eine kleine<br />
Gruppe für LGBTQ gegründet, in der sich<br />
betroffene Schülerinnen und Schüler treffen,<br />
sich outen und austauschen können.<br />
Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie als<br />
Anti-Rassismusbeauftragte?<br />
Ich würde mir wünschen, dass wir eine<br />
Schule ohne Rassismus werden und Menschen,<br />
die Rassismus erfahren, das Gefühl<br />
geben, gesehen und gehört zu werden. Ich<br />
könnte mir vorstellen, eine Sprechstunde zu<br />
dem Thema zu etablieren.<br />
<strong>24</strong><br />
25