E-Paper_BoBB-24_01
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„Niemand steht allein vor der Berufswahl –<br />
man muss nur wissen, wen man fragen kann.“<br />
Berufsberaterin Tanja Kuhnt über ihre Arbeit an der<br />
Hans-Brüggemann-Schule<br />
Tanja Kuhnt ist seit fast 30 Jahren Mitarbeiterin<br />
der Agentur für Arbeit und steht<br />
seit vier Jahren als Berufsberaterin der HBS<br />
allen Schülerinnen und Schülern als Ratgeberin<br />
zur Verfügung. Im Interview berichtet<br />
sie über ihre Aufgaben, die Zusammenarbeit<br />
mit Schule und Eltern sowie über die<br />
Herausforderungen der Jugendlichen beim<br />
Entscheidungsfindungsprozess.<br />
Frau Kuhnt, umreißen Sie doch bitte kurz<br />
Ihre Aufgaben als Berufsberaterin an der<br />
Schule!<br />
Zu Beginn des Schuljahres lege ich in Zusammenarbeit<br />
mit den BO-Koordinatoren die<br />
Berufsorientierungseinheiten beziehungsweise<br />
die Veranstaltungen für die einzelnen<br />
Jahrgangsstufen fest. Wir planen zum Beispiel<br />
die Termine für den Stärkenparcours in<br />
Klasse 7 und den Besuch der Schülerinnen<br />
und Schüler der Stufe 8 in unserem Berufsinformationszentrum<br />
(BIZ) in Neumünster.<br />
Zusätzlich müssen natürlich die berufsorientierenden<br />
Angebote für die Jahrgangsstufen<br />
9 bis 13 besprochen und vorbereitet werden.<br />
Ich führe in den Klassen regelmäßig Schulstunden<br />
zum Thema durch und biete persönliche<br />
Beratungsgespräche mittwochs in der<br />
Zeit von 9 bis 12.30 Uhr an.<br />
Warum eignet sich Ihrer Meinung nach<br />
Berufsberatung als Ergänzung zum Berufsorientierungsunterricht<br />
an Schulen?<br />
Ich halte die Kombination aus BO-Unterricht<br />
und Berufsberatung für enorm wichtig. Wir<br />
profitieren voneinander. Die Agentur ist als<br />
Netzwerkpartner der Schulen ein Koordinator<br />
von Angeboten und Informationen.<br />
Als erster Ansprechpartner am Arbeits- und<br />
Ausbildungsmarkt haben wir die Kontakte zu<br />
den Arbeitgebern mit ihren entsprechenden<br />
Ausbildungsangeboten und verfügen über<br />
alle relevanten Daten für die Berufs- oder<br />
Studieneinsteiger. Mit diesem Hintergrundwissen<br />
können wir gezielt auf die Suchenden<br />
eingehen und in einem gemeinsamen<br />
Prozess herausfinden, was sie interessieren<br />
könnte oder herausfinden – und auch das<br />
kommt manchmal vor – welche persönlichen<br />
Probleme noch vor einer genauen Berufsorientierung<br />
gemeinsam gelöst werden<br />
müssen. Hier sehe ich eine wichtige Schnittstelle<br />
zwischen uns und den Lehrkräften.<br />
TEXT Anja Nacken | FOTO Caren Detje<br />
Inwiefern genau?<br />
Die Lehrerinnen und Lehrer vermitteln die<br />
Theorie und stoßen den Berufsorientierungsprozess<br />
an, aber es ist nicht ihre Aufgabe<br />
und nahezu unmöglich, jeden individuell zu<br />
unterstützen. Das übernehmen dann wir und<br />
liefern praktische Lösungsvorschläge für die<br />
persönlichen Bedürfnisse und Vorstellungen<br />
eines jeden einzelnen. In meinen Beratungen<br />
geht es ausschließlich um die Person, die da<br />
vor mir sitzt und mit der ich ganz gezielt nach<br />
Wegen in eine Ausbildung oder ein Studium<br />
suchen kann.<br />
Wie ist denn die Nachfrage nach einem<br />
persönlichen Beratungsgespräch?<br />
Das schwankt natürlich. Kein Jugendlicher<br />
macht sich permanent Gedanken über<br />
seine Berufsorientierung, aber man merkt<br />
deutlich, dass sich gerade nach BO-Veranstaltungen<br />
die Nachfrage erhöht und die<br />
Schülerinnen und Schüler mit Fragen auf<br />
mich zukommen. In ruhigeren Phasen verzichte<br />
ich auf eine Terminvergabe und bin<br />
auch spontan zu erreichen.<br />
Wahrscheinlich gibt es auch Schülerinnen<br />
und Schüler, die sich nicht in ein Beratungsgespräch<br />
trauen. Wie können Sie diese<br />
ermuntern, den Versuch zu wagen?<br />
Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass ich<br />
mir für jeden ausreichend Zeit nehme und<br />
nicht mit einer Stoppuhr in den Beratungsgesprächen<br />
sitze. Eine Beratung ist keine Prüfung<br />
und selbst wenn es mehrere Gespräche<br />
braucht, um eine Lösung zu finden, lohnt<br />
sich der Weg. Den Jugendlichen sollte immer<br />
bewusst sein, dass sie freiwillig bei mir sind<br />
und den Rahmen meiner Hilfestellung selbst<br />
bestimmen können.<br />
Haben Sie den Eindruck, dass der Druck auf<br />
die Jugendlichen bezüglich der beruflichen<br />
Orientierung zugenommen hat?<br />
Ich nehme durchaus wahr, dass sich die<br />
Jugendlichen durch die vielfältigen Ausbildungs-<br />
und Studienmöglichkeiten, die sich<br />
„Bei der Berufswahl<br />
geht es ganz individuell<br />
und einzigartig nur um<br />
dich. Es gibt nicht den<br />
einen richtigen Weg,<br />
sondern nur den für dich<br />
richtigen.“<br />
ihnen heutzutage bieten, überfordert fühlen.<br />
Bei über 320 Ausbildungsberufen, etwa<br />
22.000 Studiengängen sowie zahlreichen<br />
Wegen zu einem weiter qualifizierenden<br />
Schulabschluss kann man schon den Überblick<br />
verlieren. Auf der einen Seite ist dieser<br />
‚bunte Blumenstrauß an Möglichkeiten’<br />
schön, kann aber andererseits auch schnell<br />
zu einer Herausforderung werden. Selbst<br />
eine Recherche im Internet ist aufgrund der<br />
dort allgemein gehaltenen Informationen<br />
für viele verwirrend. Eine persönliche und<br />
gezielte Berufsberatung kann da eine bessere<br />
Unterstützung bieten. Niemand muss<br />
alle Möglichkeiten kennen und sich alleine<br />
auf die Suche nach dem Ausbildungsplatz<br />
begeben – man muss nur wissen, wen man<br />
fragen kann.<br />
Inwieweit spielt das Elternhaus eine Rolle in<br />
diesem Entscheidungsprozess?<br />
Meiner Meinung nach eine sehr große.<br />
Durch die Berufe der Eltern kommen<br />
Kinder in der Regel in den Erstkontakt mit<br />
der Berufsorientierung. Eltern haben auch<br />
in diesem Bereich eine Vorbildfunktion<br />
und es freut mich immer, wenn die Eltern<br />
ihre Kinder während des Orientierungsprozess<br />
begleiten. Eltern sind auch bei den<br />
Beratungsgesprächen der AfA herzlich willkommen,<br />
immer vorausgesetzt, die Jugendlichen<br />
möchten das auch.<br />
Welche grundsätzlichen Tipps können<br />
Sie als Berufsberaterin den Jugendlichen<br />
geben?<br />
Ich möchte das als Appell formulieren: Bei<br />
der Berufswahl geht es ganz individuell und<br />
einzigartig nur um dich. Es gibt nicht den<br />
einen richtigen Weg, sondern nur den für<br />
dich richtigen. Mach dir frühzeitig Gedanken<br />
über deine Stärken und darüber, wo du dich<br />
vielleicht in zehn Jahren sehen möchtest.<br />
Sprich mit deinen Eltern, Freunden und<br />
natürlich mit mir (lacht) über deine Ideen,<br />
denn aus jeder Idee lassen sich viele Ansätze<br />
entwickeln, mit denen wir gemeinsam an<br />
einem Plan arbeiten können!<br />
Grundsätzlich möchte ich auch betonen, dass<br />
sich die Jugendlichen von dem Gedankendruck<br />
befreien sollten, nach dem Schulabschluss<br />
eine berufliche Entscheidung für die<br />
Ewigkeit treffen zu müssen. Der Arbeitsmarkt<br />
verändert sich ständig. Neue Technologien<br />
und Entwicklungen führen dazu, dass sich<br />
Berufe verändern und neue Perspektiven<br />
geschaffen werden, und deshalb ist es<br />
zunächst nur wichtig, eine Entscheidung zu<br />
treffen, die sich im Hier und Jetzt gut anfühlt.<br />
Wie sind Sie persönlich zu Ihrer Berufswahl<br />
gekommen?<br />
Ich habe direkt nach meinem Abitur ein<br />
duales Studium bei der Bundesagentur<br />
für Arbeit begonnen. Die Kombination aus<br />
einem sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen<br />
Dienst und dem damit einhergehenden<br />
Sozialauftrag hat mich sehr gereizt. Nach<br />
meinem Studium in Schwerin und Mannheim<br />
habe ich als Teamleiterin das Servicecenter<br />
Neumünster mit aufgebaut und war dann<br />
einige Jahre in Servicecentern in NRW<br />
beschäftigt. 2<strong>01</strong>9 bin ich wieder zurück nach<br />
Neumünster gegangen und in den Fachbereich<br />
Berufsberatung gewechselt. Die Arbeit<br />
mit jungen Menschen gefällt mir sehr und ich<br />
bin glücklich über meine Wahl.<br />
Wir bedanken uns für das Gespräch<br />
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