2024-02_RegioBusiness
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06 Blickpunkt<br />
Februar <strong>2<strong>02</strong>4</strong> IJahrgang23INr. 254<br />
Prüfstein für eine Exportregion<br />
Ausgrenzungund Fremdenfeindlichkeit könnten die Wirtschaftsregion in ihrer Substanz gefährden. VONHERIBERT LOHR<br />
Die Bilderähneln sich: Auch<br />
in der Region demonstrieren<br />
bald täglich Tausende<br />
von Menschen für eine offene<br />
und bunte Gesellschaft. Und<br />
die Wirtschaft übt den Schulterschluss.<br />
Spätestens seit es das<br />
Wort „Remigration“ aus einem<br />
geheimen Treffen von Rechtspopulisten<br />
und Mitgliedern der AFD<br />
in das Licht der öffentlichen Diskussion<br />
schaffte, stehen auch in<br />
den Firmenzentralen zwischen<br />
Taubergrund, Unterland, Jagstund<br />
Kochertal die Alarmzeichen<br />
aufRot. Denn die Wirtschaftsregion<br />
Heilbronn-Franken, die einen<br />
Großteil ihrer Wirtschaftsleistung<br />
von nominal rund 55Milliarden<br />
Euro –knapp die Hälfte entfällt<br />
auf die drei Landkreise Hohenlohe,<br />
Main-Tauber und Schwäbisch<br />
Hall –auf Exportmärkten<br />
rund um den Globus erwirtschaftet,ist<br />
überMaßen von Austausch<br />
von Waren und Dienstleistungen<br />
angewiesen. Nur solassen sich<br />
jene Überschüsse erzielen, die<br />
den Wohlstand zwischen Gaildorf,<br />
Neckarsulm, Tauberbischofsheim<br />
und Crailsheim dauerhaft absichern.<br />
Die Proteste, so die Überzeugung<br />
vieler Wirtschaftsvertreter, geben<br />
der Politik die Möglichkeit,<br />
das ohnehin etwas angeschlagene<br />
Vertrauen in den Standort<br />
Deutschland wiederaufzubauen.<br />
Elke Döring, Hauptgeschäftsführerin<br />
der IHK Heilbronn-Franken,<br />
ist überzeugt: „Das alles muss<br />
Bekenntnis:Proteste füreineoffene Gesellschaft gab es zumBeispielinCrailsheim. Der Widerstandgegen populistische Ausgrenzung beeinflusst<br />
wohl auch die weitere Entwicklungdes Wirtschaftsraumes Heilbronn-Franken.<br />
Foto: ChristineHofmann<br />
schnell geschehen, denn die Unternehmen<br />
in der Region können<br />
nicht ewigvon ihrer grundsoliden<br />
Substanz zehren. Es muss sich<br />
auch in Zukunft lohnen, inder<br />
Region zu investieren,damit Heilbronn-Franken<br />
unter anderem einer<br />
der stärksten Industrie-StandorteinDeutschland<br />
bleibt.“<br />
BRANDBRIEF Abschottung und<br />
Abgrenzung gefährden dabei gerade<br />
auch die notwendige Transformation<br />
hin zu einer weitgehend<br />
klimaneutralen Produktion.<br />
50 Mitglieder der Stiftung „KlimaWirtschaft“<br />
formulieren deshalb<br />
eindeutig: „Rechtsextreme<br />
Kräfte bedrohen die Demokratie<br />
und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />
Deutschlands.“ Die<br />
Firmen fordern einen „Schulterschluss<br />
der demokratischen Parteien,<br />
um langfristige Transformationsprozesse<br />
undInvestitionsentscheidungen<br />
der Wirtschaft zu ermöglichen“.<br />
Mike Kammann, Vorstandsvorsitzender<br />
der Bausparkasse SchwäbischHall<br />
verdeutlicht, worumes<br />
dabei etwa für den Gebäudesektor<br />
geht: „Ohne Fachkräfte keine<br />
Transformation. Damit sie gelingen<br />
kann,müssenwir die Menschen<br />
mitnehmen und ein gesellschaftliches<br />
Klima schaffen,<br />
in dem für Diskriminierung und<br />
Hasskein Platz ist.“<br />
Alexandervon Preen,CEO vonIntersport<br />
Deutschland aus Heilbronn,<br />
machtdeutlich: „Die Wirtschaft<br />
profitiert von internationaler<br />
Zusammenarbeit, Handel<br />
und der europäischen Einigung.“<br />
Wirtschaftspolitik der AfD ist für<br />
ihn gleichbedeutend mit dem<br />
„Verlust von Arbeitsplätzen, einem<br />
verschärften Fachkräftemangel,<br />
weniger Investitionen<br />
und weniger Innovationen mangels<br />
Vielfalt“. Preen ist überzeugt:<br />
„Deutschland würde durch Abschottung<br />
im globalen Wettbewerb<br />
nur verlieren. Freiheit, Demokratie,<br />
Vielfalt, Toleranz und<br />
Wahrheit sind unabdingbar für<br />
eine florierende Wirtschaft.“<br />
WIDERSPRÜCHE Preens Ansichten<br />
sind schon nachvollziehbar,<br />
denn die wirtschaftspolitischen<br />
Vorschläge der AfD erweisen<br />
sich bei näherer Durchsicht<br />
als Ansammlung heftiger Widersprüche.<br />
So werden Subventionen<br />
kategorisch abgelehnt, was<br />
Parteimitglieder aber nicht davon<br />
abhält, gegen die geplante Streichung<br />
der Agrardieselhilfen anzugehen.<br />
Die AfD steht für eine „extrem<br />
neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik“.<br />
Abschaffen oder<br />
auf ein Minimum senken will sie<br />
etwaGrundsteuer,Gewerbesteuer,<br />
Energiesteuer oder Erbschaftsteuer.Allein<br />
diese Positionen würden<br />
Haushaltslöcher von mehr als 50<br />
Milliarden Euro aufreißen. Perspektivische<br />
Unterstützung für<br />
Solar- und Windkraft soll wegfallen,<br />
dafür soll wieder Erdgas aus<br />
Russland fließen. Künstliche Intelligenz<br />
soll gegen den Fachkräftemangel<br />
helfen, der Austritt aus<br />
der EU die Rückkehr zu ökonomischer<br />
Stärke sichern. Nur warum<br />
die Welt, mit einem so abgeschlossenen<br />
Wirtschaftsraum gute<br />
Handelsbeziehung führen soll –<br />
bleibt das Geheimnis der AfD.<br />
Sicher ist dafür eines: Die AfD<br />
gibt sichgerne als Partei der kleinen<br />
Leute. Die finanziellen Aspekte<br />
ihrer Forderungen kämen<br />
merkwürdigerweise aber vor allem<br />
Besserverdienenden zugute.<br />
Haushalte mit einem jährlichen<br />
Bruttoeinkommen von unter<br />
40 000 Euro hätten von ihren<br />
Vorschlägen fast nichts. Wer<br />
hingegen mehr als 250 000 Euro<br />
zur Verfügung hat, dem stünde<br />
ein Plus vonetwa acht Prozent ins<br />
Haus.<br />
Einsatz fürDemokratie und Rechtsstaat<br />
ElkeDöring, Hauptgeschäftsführerin der IHKHeilbronn-Franken, positioniertsich klargegen Fremdenfeindlichkeit. Sie betont,dass dieheimische<br />
Wirtschaft auchauf qualifizierteFachkräfte aus dem Auslandangewiesenist. INTERVIEW VONADINA BAUER<br />
Anlässlich der Demonstrationen<br />
gegen Rechtsextremismus<br />
in Heilbronn und<br />
der Region hat sich Elke Döring,<br />
Hauptgeschäftsführerin der IHK<br />
Heilbronn-Franken, klar gegen<br />
Extremismus und Fremdenfeindlichkeit<br />
ausgesprochen: „Unsere<br />
freiheitliche Grundordnung und<br />
der gesellschaftliche Zusammenhalt<br />
sind die Basis unserer wirtschaftlichen<br />
Stärke und unseres<br />
Wohlstands. Dazu gehören offene<br />
Märkte, die europäische Einbindung<br />
und eine Willkommenskultur<br />
für ausländische Fachkräfte.<br />
Wir unterstützen alle Menschen,<br />
die für Demokratie und Rechtsstaat<br />
eintreten.“ Im Interview<br />
schätzt sie die aktuellen Ereignisse<br />
ein und spricht über die Bedeutung<br />
von ausländischen Fachkräften<br />
für die Zukunftsfähigkeit<br />
derheimischen Wirtschaft.<br />
REGIOBUSINESS Frau Döring,<br />
wie bewerten Sie die aktuellen<br />
Demonstrationen gegen Rechtsextremismus<br />
in der Region?<br />
ELKE DÖRING Es istsehr beeindruckend,<br />
wie viele Menschen gegen<br />
Extremismus und damit für<br />
Demokratie, Vielfalt und europäische<br />
Integration auf die Straße<br />
gehen. DieseMenschen vertreten<br />
auch die Werteder Wirtschaft.<br />
REGIOBUSINESS Glauben Sie,<br />
dass die aktuellen Ereignisse –<br />
also die Aufdeckung des Treffens<br />
der Rechtsextremisten in Potsdam<br />
und auch die daraus resultierenden<br />
gegenwärtigen Demonstrationen<br />
–im Ausland wahrgenommen<br />
werden und dem Bild von<br />
Deutschland als Ziel für Zuwanderern<br />
schaden?<br />
ELKE DÖRING An Einfluss gewinnende<br />
extremistische Strömungenbeobachten<br />
wir ja in vielen<br />
europäischen Ländern. Natürlich<br />
ist das Thema in Deutschland<br />
besonders sensibel. Ich bin<br />
aber sicher, dass im Ausland angesichtsder<br />
vielen Großveranstaltungen<br />
vor allem wahrgenommen<br />
wird, dass inDeutschland eine<br />
Mehrheit für demokratische Werte<br />
steht.<br />
REGIOBUSINESS Allein aufgrund<br />
des demografischen Wandelssindausländische<br />
Fachkräfte<br />
für die Zukunftsfähigkeit der Region<br />
ja aber unverzichtbar. Oder<br />
wie bewertet die IHK die Bedeutung<br />
von Experten aus dem Ausland<br />
für die heimischen Unternehmen?<br />
ELKE DÖRING Ganzrichtig, die<br />
Unternehmen werden mittel- bis<br />
langfristig inihrem Transformationsprozess<br />
nachhaltig nur bestehen<br />
können, wenn sie ausreichend<br />
qualifizierte Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter gewinnen<br />
können. Dafür setzen sie einerseits<br />
auf Ausbildung im eigenen<br />
Unternehmen, andererseits aber<br />
auch auf gut ausgebildete Fachkräfte<br />
ausdem Ausland.<br />
REGIOBUSINESS Welche Maßnahmen<br />
ergreift die IHK, umbei<br />
der Gewinnung ausländischer<br />
Fachkräfte zu unterstützen?<br />
ELKE DÖRING Wir unterstützen<br />
und beraten Unternehmen bei<br />
den vielen bürokratischen Hürden,<br />
die Betriebe nehmen müssen,<br />
um ausländische Fachkräfte<br />
anheuern zu können. Darüberhinaus<br />
werben wir als IHK-Organisation<br />
politisch für einen niederschwelligen<br />
Zugangvon Fachkräften<br />
zum deutschen Arbeitsmarkt.<br />
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz,<br />
auf dasdie IHKengedrängt<br />
haben, bietet zum Beispiel<br />
erweiterte Möglichkeiten, ist zudem<br />
aber auch extrem komplex.<br />
REGIOBUSINESS Und wie werden<br />
diese Maßnahmen von den<br />
heimischen Unternehmen wahrgenommen?<br />
ELKE DÖRING Die heimischen<br />
Unternehmen verzweifeln –wie in<br />
vielen anderen Bereichen auch –<br />
Appell: Hauptgeschäftsführerin Elke Döring wirbt gemeinsam mit der IHKfür einen niederschwelligen<br />
Zugang vonFachkräften zum deutschen Arbeitsmarkt und fordert einen Abbau der Bürokratie.<br />
an der staatlichen Bürokratie.<br />
Eine ausländische Fachkraft zu<br />
gewinnen, ist ein ungeheuer aufwändiges<br />
Verfahren. Das liegt an<br />
deutschenund europäischenVorgaben,<br />
aber oft auch an Auflagen<br />
in den Herkunftsländern. Insofern<br />
sind die Unternehmen dankbar<br />
für jede Unterstützung, weil<br />
sie allein oft überfordert wären.<br />
Foto: IHK<br />
REGIOBUSINESS Gibt es in der<br />
Region Heilbronn-Franken besondere<br />
Beispiele für Unternehmen,<br />
die erfolgreich ausländische<br />
Fachkräfte beschäftigen und welche<br />
Best Practices können daraus<br />
abgeleitet werden?<br />
ELKE DÖRING Es gibt zahlreiche<br />
Unternehmen, die erfolgreich<br />
ausländische Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter integrieren<br />
konnten und können. Natürlich<br />
scheitert esauch hin und wieder,<br />
aber ist die Bürokratie erst einmal<br />
überwunden –und dazu gehört<br />
ausdrücklich auch die unkomplizierte<br />
Verlängerung von Aufenthalts-<br />
und Arbeitserlaubnissen –,<br />
dann funktioniertdie Zusammenarbeit<br />
in der Regel auch.