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audimax campus 02/03 2024

Good vibes only? Wir gehen der „Toxic Positivity“ auf die Spur +++ Stefanie Stahl im Interview +++ Assessment’s Creed? Wie du das Assessement Center überstehst +++ Food time! Komm mit auf eine Reise durch Deutschlands Mensen! +++ Female Leadership! Was tun, damit Frauen an die Spitze kommen +++ Reggae-Sänger Patrice beweist „Mut zur Lücke"

Good vibes only? Wir gehen der „Toxic Positivity“ auf die Spur +++ Stefanie Stahl im Interview +++ Assessment’s Creed? Wie du das Assessement Center überstehst +++ Food time! Komm mit auf eine Reise durch Deutschlands Mensen! +++ Female Leadership! Was tun, damit Frauen an die Spitze kommen +++ Reggae-Sänger Patrice beweist „Mut zur Lücke"

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EMOTIONS<br />

#GoodVibesOnly?<br />

Wie toxisch ist die Toxic Positivity? Ein Gespräch mit<br />

Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl.<br />

Interview: Lydia Borsboom // Illustration: freepik.com // Foto: Stefanie Stahl<br />

Frau Stahl, was verstehen Sie unter toxischer<br />

Positivität?<br />

Es gibt Menschen, die nicht bereit sind unangenehme Gefühle<br />

zu fühlen bzw. zuzulassen. Diese werden verdrängt<br />

oder verleugnet, selbst in ernsten und schwierigen Situationen.<br />

Eine Art zwanghafter Optimismus. In der Psychotherapie<br />

geht es um die Selbstreflexion und um die Förderung<br />

von (Krankheits-)Einsicht. In diesem Zusammenhang<br />

wird auch das Wort »Bagatellisierung« benutzt, was so viel<br />

bedeutet wie »Kleinreden, Verharmlosen oder Herunterspielen«<br />

von Problemen und bei toxisch positiven Menschen<br />

einen zentralen Aspekt darstellt.<br />

Wo liegt der Unterschied zum gesunden Optimismus?<br />

Ein gesunder Optimismus ist zwar auch eine Art Verzerrung<br />

in eine positive Richtung, jedoch lässt er weiterhin<br />

negative Gefühle zu. Wir können also optimistisch in die<br />

Zukunft blicken, obwohl wir gerade unglücklich sind. Wir<br />

müssen unangenehme Gefühle nicht sofort verdrängen<br />

oder eine aktuelle Situation schönreden. Die Toxic Positivity<br />

hingegen würde bereits die aktuelle Situation ins Positive<br />

verzerren und somit auch die Realität leugnen. Ein gesunder<br />

Optimismus ist also viel realitätsgebundener.<br />

Woran liegt der Reiz an der Toxic Positivity und warum<br />

ist sie nicht ungefährlich?<br />

Der Reiz besteht darin, dass ich vermeintlich erstmal glücklicher<br />

bin, weniger Probleme habe und oberflächlich betrachtet<br />

auch als optimistischer Mensch wahrgenommen<br />

und somit eher gemocht werde. Denn in unserer Gesellschaft<br />

ist positives Denken sehr angesehen. Aber natürlich<br />

ist das ein Trugschluss und auf die Dauer gefährlich für<br />

die eigene psychische Gesundheit: Unangenehme Gefühle<br />

werden unterdrückt und können folglich auch nicht<br />

verarbeitet werden. Dadurch bleiben diese Gefühle unterschwellig<br />

weiter bestehen und ich muss permanent dagegen<br />

ankämpfen. Die eigentlich angebrachten Gefühle werden<br />

nicht ausgelebt, wodurch auch die entsprechenden<br />

Verhaltensweisen wie Wutausbrüche, Weinen, Schreien<br />

und Trauern nicht zum Zug kommen, was wiederum zur<br />

Folge hat, dass frustrierte Bedürfnisse weiter frustriert<br />

bleiben. Das ist sehr belastend. Hinzu kommt der permanente<br />

Druck, glücklich sein zu müssen. Toxisch positive<br />

Menschen sind selten authentisch und werden auf Dauer<br />

auch so wahrgenommen. Vor allem wenn sie Leid bei anderen<br />

nicht (an)erkennen und Probleme verharmlosen. In<br />

der Folge kann sich bei toxisch positiven Menschen auch<br />

eine tiefe Depression entwickeln.<br />

Wo ist Toxische Positivität überall zu finden?<br />

Allgemein im Zeitgeist: Sprüche wie »Wenn das Leben dir<br />

Zitronen gibt, mach Limonade draus«, »Good vibes only«<br />

oder »Stell dich nicht so an« werden von manchen Menschen<br />

extrem verinnerlicht. Die sozialen und andere Medien<br />

sowie Werbung bieten fast ausschließlich glückliche<br />

Menschen, Erfolgsmomente, ein perfektes Leben und<br />

unendlich viele Tipps, wie man glücklicher, erfolgreicher,<br />

schöner wird. Das sorgt bei vielen Menschen<br />

für eine Tendenz zur Selbstoptimierung<br />

statt zur Selbstakzeptanz.<br />

In langjährigen<br />

Beziehungen, Familien- und<br />

anderen sozialen Strukturen<br />

kann toxische Positivität<br />

über das Kleinreden von<br />

Problemen und Schönreden<br />

von Grenzüberschreitungen<br />

zu einer negativen<br />

Prägung und in<br />

einem Verharren in schädlichen<br />

Beziehungen führen.<br />

Wodurch entsteht Toxic<br />

Positivity? Wie lässt sich<br />

das Phänomen psychologisch<br />

erklären?<br />

Bei einem mangelhaften Zugang zu<br />

den eigenen Gefühlen bzw. deren Verdrängung<br />

kann es dazu kommen, dass man sich die rosarote<br />

Brille aufsetzt. Fehlende Empathie kann abgesehen vom<br />

Einfluss durch den Zeitgeist und den immer mehr gut gelaunten<br />

Menschen in den sozialen Medien unter anderem<br />

durch folgende Faktoren erklärt werden: 1. Das generelle<br />

menschliche Grundbedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung<br />

bzw. dem Streben nach Positivem und<br />

Vermeiden von Negativem (nach Grawe) 2. Lernerfahrungen<br />

im Umgang mit Familie und Umfeld. Wie wurde in meiner<br />

Familie mit unangenehmen Gefühlen und Problemen<br />

umgegangen?<br />

Wie sollte man stattdessen mit schweren Zeiten<br />

umgehen?<br />

Gefühle wahrnehmen und spüren, sie zulassen, annehmen,<br />

verarbeiten und regulieren. Ablegen von ungünstigen<br />

Glaubenssätzen. Hilfreich können hier auch Atemübungen<br />

und stärkende Selbstverbalisationen sein (»Ich darf meine<br />

Gefühle zeigen.«) Wenn möglich und nötig, Unterstützung<br />

suchen in Familie, Freundeskreis oder professionell durch<br />

Coaches oder Therapeuten. Bei anderen: aktives Zuhören,<br />

dabei nicht zu schnell Ratschläge, Aufmunterungssprüche<br />

oder Lösungsvorschläge bringen, sondern empathisch<br />

sein. Oder auch einfach mal fragen, was man dem Gegenüber<br />

jetzt Gutes tun könnte.<br />

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Du willst mehr über Gefühle erfahren?<br />

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Dein Hochschulmagazin // <strong>audimax</strong> // 17

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