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Seltene Erkrankungen

Der Weg zur Diagnose bei seltenen Erkrankungen ist oft lang und beschwerlich. Diese Ausgabe soll Wissen zu unterschiedlichen seltenen Erkrankungen vermitteln und das Bewusstsein dafür stärken.

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10 | Lesen Sie mehr unter www.seltenekrankheit.info<br />

Wenn das Blut sauer ist<br />

Bei der distalen renaltubulären Azidose (dRTA) kommt es zur Ansammlung von<br />

Säure im Körper. Grund dafür ist die Unfähigkeit der Nieren, ausreichend Säure<br />

über den Harn auszuscheiden.<br />

ao. Univ.-Prof. Dr.<br />

Klaus Arbeiter<br />

Leiter der Kinderdialyse<br />

an der<br />

Abteilung für<br />

Pädiatrische<br />

Nephrologie und<br />

Gastroenterologie,<br />

Universitätklinik<br />

für Kinder- und<br />

Jugendheilkunde,<br />

Medizinische Universität<br />

Wien<br />

FOTO: MED UNI WIEN<br />

Abläufe, die normalerweise in<br />

der Niere stattfinden<br />

In den Nieren werden Wasser,<br />

Salze und andere Stoffe aus dem<br />

Blut in den Nierenkörperchen als<br />

„Primärharn“ filtriert. Von diesem<br />

Harn werden bei Erwachsenen<br />

pro Tag fast 200 Liter produziert.<br />

Dieser fließt über feine Kanäle<br />

(Tubuli) weiter über den Harnleiter<br />

in die Harnblase und wird als mehr<br />

oder weniger konzentrierter Harn<br />

ausgeschieden. Bevor der Harn<br />

jedoch in der Harnblase ankommt,<br />

werden in den Tubuli ein Großteil<br />

des Wassers (ca. 99 %), Salze und<br />

viele andere Stoffe, die für den<br />

Organismus lebensnotwendig sind,<br />

über ein komplexes System an<br />

Transport- und Rückkopplungsmechanismen<br />

wieder ins Blut<br />

zurückgeholt.<br />

Dabei werden unter anderem in<br />

den distalen Tubuli Wasserstoffionen,<br />

die sauer sind, in den Harn<br />

abgegeben, um so unser Blut im<br />

pH-Gleichgewicht zu halten.<br />

Selten, aber immer wieder<br />

unerkannt<br />

Wenn dieser Ablauf nicht funktioniert,<br />

entsteht die distale renaltubuläre<br />

Azidose (dRTA).<br />

Diese seltene Erkrankung<br />

kommt bei Kindern fast ausschließlich<br />

durch Vererbung genetischer<br />

Mutationen/Varianten vor.<br />

Sie kann aber auch – vor allem bei<br />

Erwachsenen – als Folge anderer<br />

schwerer <strong>Erkrankungen</strong> oder durch<br />

Medikamente ausgelöst werden. In<br />

Österreich sind etwa 20 Kinder von<br />

der erblichen Variante betroffen,<br />

die Dunkelziffer an nicht erkannten<br />

Betroffenen ist wahrscheinlich<br />

deutlich höher. Dies liegt auch<br />

daran, dass sich die Erkrankung<br />

manchmal mit milder Ausprägung<br />

zeigt und dadurch gar nicht oder<br />

erst spät erkannt wird.<br />

Symptome und<br />

Anzeichen der dRTA<br />

Schon im Säuglingsalter kann<br />

die dRTA neben vielen anderen<br />

Gründen zu vermehrtem Erbrechen<br />

mit Gedeihstörung und<br />

schwerer Dehydration führen. Oft<br />

findet deshalb – und aufgrund von<br />

gastrointestinalen Infekten – eine<br />

erste ärztliche Vorstellung statt. Bei<br />

diesen Infekten können betroffene<br />

Kinder metabolisch sehr rasch<br />

entgleisen.<br />

Ein weiteres Organsystem, das<br />

durch die Krankheit betroffen ist,<br />

ist das Skelett. Unbehandelt kann<br />

sich die Erkrankung durch die<br />

chronisch bestehende metabolische<br />

Azidose gravierend auf das<br />

Längenwachstum auswirken. Kinder<br />

mit bis dahin nicht erkannter<br />

und unbehandelter dRTA zeigen<br />

im Kindergarten- oder Schulalter<br />

oft einen Wachstumsrückstand<br />

und fallen durch Kleinwuchs auf.<br />

Schwere Folgen der dRTA sind<br />

Knochenschmerzen und -deformationen<br />

sowie Knochenbrüche,<br />

die selbst durch geringe Traumen<br />

verursacht werden können.<br />

In den Nieren selbst kommt<br />

es durch die dRTA schon sehr<br />

früh zur Ablagerung von Kalzium<br />

(Nephrokalzinose), was zwar<br />

keine Beschwerden macht, aber im<br />

Rahmen einer Ultraschalluntersuchung<br />

auffallen kann. Bei manchen<br />

Betroffenen kommt es auch zur<br />

Nierensteinbildung.<br />

Ein Teil der Betroffenen – vor<br />

allem bei genetischen Formen<br />

– entwickelt auch eine Innenohrschwerhörigkeit,<br />

weshalb bei<br />

Innenohrhörstörungen vor allem<br />

im Kindes- und Jugendalter immer<br />

auch an das Vorliegen einer dRTA<br />

gedacht werden muss.<br />

Diagnosestellung<br />

Die Diagnose der Erkrankung<br />

erfolgt mittels Blut- und Harntests,<br />

die den Verdacht der dRTA sehr<br />

schnell erhärten können. Dabei<br />

findet man in der Blutgasanalyse<br />

eine metabolische Azidose, meist<br />

auch mit einem niedrigen Kaliumwert<br />

einhergehend. Der Harn weist<br />

einen alkalischen pH-Wert auf, und<br />

die Citrat-Ausscheidung im Harn<br />

zeigt sich stark gesenkt. Zusätzlich<br />

ist im Ultraschall der Nieren eine<br />

Nephrokalzinose sichtbar.<br />

Die endgültige Diagnose der<br />

dRTA erfolgt dann meist anhand<br />

von molekulargenetischen<br />

Methoden.<br />

Therapieform bei dRTA<br />

Die Behandlung von dRTA ist auf<br />

den ersten Blick sehr einfach. Die<br />

konsequente Zufuhr von alkalischen<br />

Salzen (z. B. Kaliumcitrat)<br />

kann die Azidose und damit die<br />

schweren Folgen gut korrigieren,<br />

mit Ausnahme der Innenohrschwerhörigkeit.<br />

Die Therapie sollte<br />

regelmäßig über den Tag verteilt<br />

verabreicht werden – im Idealfall<br />

alle sechs Stunden. Bei Säuglingen<br />

funktioniert das Verabreichen in<br />

kurzen Abständen meist noch sehr<br />

gut, ältere Kinder verweigern die<br />

häufige Therapie jedoch in vielen<br />

Fällen.<br />

Vor Kurzem wurde von der Europäischen<br />

Arzneimittel-Agentur<br />

eine Alkalisalz-Kombination zugelassen,<br />

die eine längere Wirkdauer<br />

aufweist und nur mehr morgens<br />

und abends eingenommen werden<br />

muss. Für einige Betroffene stellt<br />

diese neue Möglichkeit eine große<br />

Erleichterung im Alltag mit ihrer<br />

Erkrankung dar.<br />

Entscheidend für die Betroffenen<br />

ist in jedem Fall eine frühe<br />

Diagnose. Erkennt man bei sich<br />

selbst oder bei Angehörigen die<br />

oben beschriebenen Symptome,<br />

sollte an dRTA gedacht und<br />

dahingehend untersucht werden.<br />

Der erste Schritt, die einfache<br />

Blutgasanalyse, kann in jedem<br />

Labor durchgeführt werden – sogar<br />

über eine kapilläre Blutabnahme<br />

bei Säuglingen und Kleinkindern.<br />

Die weitere Abklärung sollte in<br />

einer kindernephrologischen<br />

Ambulanz oder Ordination<br />

erfolgen. Die langfristige Betreuung<br />

nach finaler Diagnose muss<br />

aber in jedem Fall in einem<br />

nephrologischen Zentrum<br />

stattfinden.

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