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Michael Herbst | Andreas C. Jansson | David Reißmann | Patrick Todjeras: Evangelisation (Leseprobe)

Dieses Grundlagenwerk zum Thema »Evangelisation« wird im deutschsprachigen Raum Maßstäbe setzen. Es will Grundlagen der Evangelisation benennen und zum konstruktiv-kritischen Diskurs einladen. In drei Teilen nähern sich die Autoren dem spannungsreichen Thema. Zum Ersten werden zur Orientierung grundlegende Klärungen geboten: Begriffsgeschichtliche, exegetische, praktisch-theologische und missionstheologische Perspektiven werden eingenommen. Zum Zweiten geht es um Vertiefungen: Neben systematisch-theologischen und missionswissenschaftlichen Zusammenhängen wird eine Praktische Theologie der Evangelisation vorgestellt. Und zum Dritten wird eine Re-Kontextualisierung des Evangelisationsbegriffs als »Frohbotschaften« unternommen. Dabei wird der Begriff »Evangelisation« unter verschiedenen Gesichtspunkten – darunter genealogische, poststrukturalistische und onomatologische – betrachtet. Ebenso wird explorativ »Evangelisation« im digitalen Raum erkundet.

Dieses Grundlagenwerk zum Thema »Evangelisation« wird im deutschsprachigen Raum Maßstäbe setzen. Es will Grundlagen der Evangelisation benennen und zum konstruktiv-kritischen Diskurs einladen.
In drei Teilen nähern sich die Autoren dem spannungsreichen Thema. Zum Ersten werden zur Orientierung grundlegende Klärungen geboten: Begriffsgeschichtliche, exegetische, praktisch-theologische und missionstheologische Perspektiven werden eingenommen. Zum Zweiten geht es um Vertiefungen: Neben systematisch-theologischen und missionswissenschaftlichen Zusammenhängen wird eine Praktische Theologie der Evangelisation vorgestellt. Und zum Dritten wird eine Re-Kontextualisierung des Evangelisationsbegriffs als »Frohbotschaften« unternommen. Dabei wird der Begriff »Evangelisation« unter verschiedenen Gesichtspunkten – darunter genealogische, poststrukturalistische und onomatologische – betrachtet. Ebenso wird explorativ »Evangelisation« im digitalen Raum erkundet.

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Mission und Kontext (MuK) | 3<br />

<strong>Michael</strong> <strong>Herbst</strong> | <strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong> |<br />

<strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong> | <strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong><br />

Theologische Grundlagen, Zugänge<br />

und Perspektiven


»Bis vor Kurzem wurden <strong>Evangelisation</strong> und Evangelisierung in der westlichen<br />

akademischen Theologie weitgehend vernachlässigt. Gleichzeitig zeigen kirchliche<br />

und ökumenische Dokumente eine zunehmende Betonung der zentralen<br />

Bedeutung der <strong>Evangelisation</strong> für den christlichen Glauben. Schließlich ist das<br />

Christentum eine Heilsreligion. Ihre Kernbotschaft besteht aus guten und freudigen<br />

Nachrichten. Dieses Buch, eine solide Gemeinschaftsleistung fähiger Theologen,<br />

ist ein willkommener Versuch, die Kluft zwischen akademischer Theologie<br />

und einem wachsenden ökumenischen Konsens zu überbrücken. Es ist<br />

möglicherweise die bisher gründlichste und umfassendste theologische Diskussion<br />

über <strong>Evangelisation</strong> und wird wahrscheinlich zu einem wichtigen Lehrbuch<br />

für Generationen von Theologen werden.«<br />

Prof. Dr. Stefan Paas<br />

Professor für Missiologie und Öffentliche Theologie, Vrije Universiteit Amsterdam<br />

Professor für Missiologie, Theologische Universiteit Utrecht<br />

»Das Buch <strong>Evangelisation</strong>. Theologische Grundlagen, Zugänge und Perspektiven ist<br />

ein bemerkenswerter Beitrag zur (praktisch-)theologischen Literatur. Es bietet<br />

eine tiefgehende und vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Thema <strong>Evangelisation</strong>,<br />

das in Kontinentaleuropa oft vernachlässigt wird. Die Autoren haben<br />

es geschafft, das Thema in historischer, systematisch-theologischer und praktisch-theologischer<br />

Hinsicht äußerst detailliert und differenziert zu behandeln.<br />

Dieses Buch erfüllt nicht nur das dringend benötigte Bedürfnis nach einer vertieften<br />

Thematisierung und Reflexion von <strong>Evangelisation</strong>, sondern setzt auch<br />

neue Perspektiven, indem es <strong>Evangelisation</strong> z.B. im Kontext des digitalen Diskurses<br />

erörtert, was bis dato noch nie gemacht wurde. Es ist ein unverzichtbares<br />

Werk, das in akademischen und kirchlichen Kreisen Beachtung finden sollte!«<br />

PD Dr. Sabrina Müller<br />

Geschäftsleiterin Universitärer Forschungsschwerpunkt »Digital Religion(s)«<br />

und Mitglied der Leitung des Zentrums für Kirchenentwicklung,<br />

Universität Zürich


Vorwort<br />

Die vorliegende Veröffentlichung ist das Ergebnis mehrjähriger Forschungsarbeit,<br />

die am Institut zur Erforschung von <strong>Evangelisation</strong> und Gemeindeentwicklung<br />

(IEEG) der Universität Greifswald begonnen wurde und mit diesem Buch<br />

ihren Abschluss gefunden hat. Das Autorenkollektiv besteht aus Kollegen, die<br />

sich auf den Weg gemacht haben und nun beim Abschluss dieses Projekts an<br />

unterschiedlichen Orten wohnen und in neuen Zusammenhängen tätig sind.<br />

Zentral ist jedoch, dass mit dieser Veröffentlichung auf die weiterführende Forschung<br />

der Nachfolge-Einrichtungen hingewiesen wird: am Institut zur Erforschung<br />

von Mission und Kirche (IMK) in Österreich und an der Forschungsstelle<br />

Missionale Kirchen- und Gemeindeentwicklung (MKG) in Halle/Saale.<br />

Es ist zu vermerken, dass die Herausgeber jeweils eigene Kapitel geschrieben<br />

haben sowie gemeinsam das Buch in seinem Ansatz und Anliegen verantworten.<br />

Die Beiträge sind in ihrer Methodik und Herangehensweise selbstständig<br />

und legen je eigens Rechenschaft über das von den Autoren gewählte<br />

Vorgehen ab. Daraus ergeben sich in einigen Fällen inhaltliche Doppelungen,<br />

wenn nämlich auf gemeinsame Bezugspunkte und Argumentationslinien hingewiesen<br />

wird. In anderen Fällen wird dort, wo es angemessen erscheint, auf die<br />

Beiträge der Kollegen hingewiesen. Mitunter finden sich auch Spannungen in<br />

den Ansätzen, die bewusst nicht geglättet wurden. Sie verleihen dem Buch diejenige<br />

Vielstimmigkeit und Offenheit, die als Einladung zu weiterer kritischer<br />

Forschung verstanden werden darf.<br />

Folgende Überlegungen leiten uns:<br />

Uns ist es ein Anliegen, ein ›Grundlagenwerk‹ zu <strong>Evangelisation</strong> zu veröffentlichen,<br />

das viele grundlegende (die wichtigsten?) mit dem Thema <strong>Evangelisation</strong><br />

in Verbindung stehende Fragen und Herausforderungen benennt und bearbeitet.<br />

Das geschieht natürlich durch Auswahl und Schwerpunktsetzung, wie sie in<br />

diesem Buch vorgelegt wird. Damit steht diese Veröffentlichung in der Linie, die<br />

das Institut zur Erforschung von <strong>Evangelisation</strong> und Gemeindeentwicklung<br />

(IEEG) seit 2004 unter der Leitung von Prof. Dr. <strong>Michael</strong> <strong>Herbst</strong> verfolgt hat:<br />

Grundlagenarbeit zu Themen der <strong>Evangelisation</strong> zu leisten. Einiges wurde dabei


8<br />

Vorwort<br />

schon an anderer Stelle durchdacht und veröffentlicht (siehe dazu beispielhaft<br />

die zweiunddreißig Bände der Reihe Beiträge zu <strong>Evangelisation</strong> und Gemeindeentwicklung<br />

(herausgegebenen von <strong>Michael</strong> <strong>Herbst</strong>, Jörg Ohlemacher und Johannes<br />

Zimmermann).<br />

Die hier vorgestellte Grundlagenarbeit nimmt also einerseits die Erkenntnisse<br />

der Forschungsarbeiten am IEEG (und natürlich darüber hinaus) seit 2004<br />

sowie weitere Erkenntnisse davor (im deutschsprachigen und internationalen<br />

Raum) auf und führt sie substanziell weiter bzw. betritt neues und unbekanntes<br />

Gebiet.<br />

Darüber hinaus ist es unser Anliegen, <strong>Evangelisation</strong> als Thema der Forschung<br />

und Lehre weiterhin im deutschsprachigen akademischen Diskurs zu<br />

festigen und Impulse für die Weiterarbeit zu geben. In diesem Sinn sind einige<br />

Beiträge in Form von Thesen zusammengefasst, um die Arbeit mit den Leitgedanken<br />

der Beiträge zu erleichtern.<br />

Daneben ist es unser Anliegen, für die kirchliche Arbeit Impulse zu geben,<br />

die aus solider theologischer Klärung und Orientierung folgen sollen.<br />

Schließlich wollen wir mit dieser Veröffentlichung ein Buch zur Hand geben,<br />

das als Nachschlagewerk für verschiedene Grundlagenfragen der <strong>Evangelisation</strong><br />

dienen kann. Aus diesem Grund ist neben einem Überblicks-Inhaltsverzeichnis<br />

ein detailliertes Verzeichnis abgedruckt, um das Nachschlagen zu erleichtern.<br />

Am Ende des Buches findet sich zudem ein Register.<br />

Zum Inhalt<br />

Das Buch ist in drei Teile geteilt.<br />

Der erste Teil hat einen grundlegenden Charakter, der in drei Beiträgen eine<br />

Orientierung zu dem Forschungsgegenstand und -diskurs geben will. Im ersten<br />

Beitrag legt <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong> eine begriffsgeschichtliche Darstellung vor, die die<br />

Entwicklung des Begriffs ›<strong>Evangelisation</strong>‹ mit seinen Kontingenzen nachzeichnet.<br />

Im zweiten Beitrag verortet <strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong> <strong>Evangelisation</strong> im deutschsprachigen<br />

Protestantismus und plädiert für eine Wiederverortung. Im dritten<br />

Beitrag bespricht A. <strong>Jansson</strong> <strong>Evangelisation</strong> in der internationalen Missionstheologie<br />

und fragt danach, welcher Gewinn aus diesen Debatten für den deutschsprachigen<br />

Diskurs gewonnen werden kann.<br />

Der zweite Teil hat einen vertiefenden Charakter. Zuerst bringt <strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in den Zusammenhang systematisch-theologischer Topoi<br />

und verortet sie darin. Danach konzentriert sich P. <strong>Todjeras</strong> auf den Umstand<br />

der Glaubensaneignung, die ›Bekehrung‹ und ›Wiedergeburt‹, und schlägt eine<br />

Rehabilitierung dieser Diskurse vor. Abgerundet werden die Überlegungen<br />

durch Thesen, die in Diskussionen dem anwendungsorientierten Erschließen der<br />

Perspektivenvielfalt dienen sollen. Es folgen zwei Beiträge von A. <strong>Jansson</strong>, zunächst<br />

zu den aktuellen missionswissenschaftlichen Diskursen zu <strong>Evangelisation</strong>,<br />

gefolgt von einer Verortung von <strong>Evangelisation</strong> in der aktuellen Praktischen<br />

Theologie. Abgerundet werden diese Überlegungen ebenfalls durch Thesen.<br />

Schließlich folgt ein umfassender praktisch-theologischer Beitrag zu Evangelisa-


Vorwort 9<br />

tion von <strong>Michael</strong> <strong>Herbst</strong>, der eine ausgeführte Praktische Theologie der <strong>Evangelisation</strong><br />

entwirft.<br />

Der dritte Teil des Buches hat einen explorativen Charakter. Im Beitrag von<br />

P. <strong>Todjeras</strong> wird noch größtenteils ›unbekanntes Terrain‹ erkundet, wenn über<br />

<strong>Evangelisation</strong> und den digitalen Raum nachgedacht wird. Der finale Beitrag von<br />

D. <strong>Reißmann</strong> erkundet unter dem Stichwort des ›Frohbotschaftens‹, welchen<br />

Einfluss eine kritische (Re-)Kontextualisierung des <strong>Evangelisation</strong>sbegriffs unter<br />

verschiedenen Gesichtspunkten, darunter genealogische, poststrukturalistische<br />

und onomatologische Aspekte, auf den aktuellen theologischen Diskurs in Anbetracht<br />

des ungeklärten <strong>Evangelisation</strong>sbegriffs hat oder haben könnte.<br />

Wir freuen uns, dass das Buch durch Empfehlungen von Prof. Dr. Stefan<br />

Paas und PD Dr. Sabrina Müller bereichert wird und hoffen auf eine breite<br />

Lesendenschaft.<br />

Unsere Positionalität<br />

Als Herausgeber und Beitragende stehen uns einige Bias vor Augen. Als vier<br />

männliche Autoren, deutschsprachiger und westeuropäischer Theologien sind<br />

wir uns unserer Herkunft bewusst und weisen gezielt auf internationale Debatten<br />

hin, die wir in unser Denken involvieren. Ebenso ist uns ein interdisziplinärer<br />

Austausch wichtig, was in den verschiedenen Beiträgen deutlich wird.<br />

Es sind auch inhaltliche Bias zu benennen, wenn etwa die eigene Haltung offengelegt<br />

wird oder wenn thematische Bereiche nur unzureichend dargestellt<br />

werden. Das ist beispielsweise dort der Fall, wo der digitale Raum nur explorativ<br />

genannt wird, wenngleich es dazu eine stark wachsende Forschungslandschaft<br />

gibt. Es gäbe viele Bias zu benennen. Wir hoffen, dass für Lesende - trotz und<br />

vielleicht manchmal auch wegen unserer ›Vorurteile‹ - die Vorteile überwiegen.<br />

***<br />

Unser ausdrücklicher Dank gilt Sarah Herzog, die als hilfswissenschaftliche<br />

Kraft die Manuskripterstellung begleitet hat. Für vielfältige Hilfen in diesem<br />

Prozess danken wir ebenso Frau Christina Wollesky bei der Evangelischen Verlagsanstalt<br />

in Leipzig sowie Agnes Schmidt, Laura Hoolt und Leonie Schweizer.<br />

Ebenso sind wir für die großzügige Druckkostenunterstützung des Vereins<br />

zur Förderung der Erforschung von <strong>Evangelisation</strong> und Gemeindeentwicklung<br />

(FEEG e.V.) sowie des Instituts zur Erforschung von Mission und Kirche (IMK)<br />

dankbar.<br />

Unser Dank geht an Frau Dr. Annette Weidhas, die unser Projekt wohlwollend<br />

begleitet hat und die Veröffentlichung in der Reihe Mission und Kontext<br />

(MuK) bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig ermöglicht hat.<br />

Zum Schluss wünschen wir ein anregendes Leseerlebnis und hoffen zu konstruktiv-kritischem<br />

Denken über <strong>Evangelisation</strong> einzuladen.<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong> (St. Georgen i. Attergau), <strong>Michael</strong> <strong>Herbst</strong> (Bamberg), <strong>Andreas</strong> C.<br />

<strong>Jansson</strong> (Greifswald), <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong> (Halle/Saale) Dezember 2023


Inhalt<br />

Erster Teil:<br />

Zugänge<br />

<strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong><br />

Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹<br />

Die Verwendung des Begriffs ›<strong>Evangelisation</strong>‹ in seiner Geschichte seit<br />

seinem Aufkommen bis heute: Eine kritische Zusammenstellung ................. 21<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> im deutschen Protestantismus seit dem<br />

18. Jahrhundert ....................................................................................................... 93<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in der internationalen Missionstheologie seit Anfang<br />

des 20. Jahrhundert ............................................................................................. 107<br />

Zweiter Teil:<br />

Theologische Grundlagen<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in systematisch-theologischen Perspektiven ................... 127<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

Die Aneignung des Glaubens als ›Bekehrung‹ oder ›Wiedergeburt‹<br />

Eine Vertiefung ...................................................................................................... 185<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in den gegenwärtigen Missionswissenschaften .............. 217<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in der gegenwärtigen Praktischen Theologie ................... 237<br />

<strong>Michael</strong> <strong>Herbst</strong><br />

Praktische Theologie der <strong>Evangelisation</strong><br />

Praktisch-theologische Bestimmungen eines umstrittenen Themas ........... 267


12<br />

Inhalt<br />

Dritter Teil:<br />

Perspektiven<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> und Digitalität<br />

Erkundungen in noch ›unbekanntem Terrain‹ ................................................. 399<br />

<strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong><br />

Was ist ›<strong>Evangelisation</strong>‹?<br />

Genealogische, poststrukturalistische und namenstheologische<br />

Überlegungen zur Signifikation und (Re-)Kontextualisierungen des<br />

ungeklärten <strong>Evangelisation</strong>sbegriffs für die gegenwärtige Debatte ............. 431<br />

Literaturverzeichnis .............................................................................................. 485<br />

Register .................................................................................................................... 529<br />

Autorenverzeichnis ................................................................................................ 537


Ausführliches Inhaltsverzeichnis<br />

<strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong><br />

Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹<br />

Die Verwendung des Begriffs ›<strong>Evangelisation</strong>‹ in seiner Geschichte seit<br />

seinem Aufkommen bis heute: Eine kritische Zusammenstellung ................. 21<br />

1. Einleitung ................................................................................................................. 21<br />

2. Historisierung von ›<strong>Evangelisation</strong>‹: Methodische Vorbemerkungen ........................ 24<br />

3. Von der Griechischen Antike zum Neuen Testament ................................................. 27<br />

4. Vom Neuen Testament zum 18. Jahrhundert ............................................................ 35<br />

5. Verbreitung des <strong>Evangelisation</strong>sbegriffs im 19. Jahrhundert .................................... 45<br />

6. ›Epistemische Verflechtung‹ im 19. Jh.: Gründe für die Verbreitung des<br />

<strong>Evangelisation</strong>sbegriffs ............................................................................................. 54<br />

6.1 Sprachliche Neuschöpfungen: Die Arbeit der Missionsgesellschaften .......... 56<br />

6.2 Politische Neuordnung: Nationenstaaten und Kolonialismus ......................... 61<br />

6.3 Theologische Neubewertung: Der ›Missionsauftrag‹ ......................................... 66<br />

6.4 Kulturelle Neupositionierung: Der Religionsbegriff .......................................... 69<br />

7. <strong>Evangelisation</strong> in globaler Verflechtung im 19. Jahrhundert .................................... 72<br />

8. Ausdifferenzierung des <strong>Evangelisation</strong>sbegriffs im 20 Jh. ........................................ 76<br />

9. Zum Abschluss: Wie geht es weiter mit dem Begriff? ................................................ 87<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> im deutschen Protestantismus seit dem<br />

18. Jahrhundert ....................................................................................................... 93<br />

1. Der ältere Pietismus und die Erweckungsbewegung ................................................. 93<br />

2. Innere Mission und Volksmission ............................................................................. 98<br />

3. <strong>Evangelisation</strong> in der Evangelischen Kirche seit dem Zweiten Weltkrieg ................ 101<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in der internationalen Missionstheologie seit Anfang<br />

des 20. Jahrhundert ............................................................................................. 107<br />

1. Von der Selbstverständlichkeit in die Krise ............................................................. 107<br />

2. Von der Neubestimmung in den Konflikt ................................................................ 110<br />

3. Annäherung und Konvergenz ................................................................................. 115<br />

Thesen zur <strong>Evangelisation</strong> in der Gegenwart vor dem Hintergrund der dargestellten<br />

historischen Entwicklungen .................................................................................... 121<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in systematisch-theologischen Perspektiven ................... 127<br />

1. Einleitende Bemerkungen ....................................................................................... 127<br />

2. <strong>Evangelisation</strong>: Inhaltliche und begriffliche Präzisierungen ................................... 129<br />

2.1 Biblische Orientierung .......................................................................................... 129<br />

2.2 Definitorische Orientierung ................................................................................. 131<br />

2.3 Dogmatische Orientierung ................................................................................... 133


14<br />

Ausführliches Inhaltsverzeichnis<br />

3. Der trinitätstheologische Horizont der <strong>Evangelisation</strong> ............................................ 140<br />

4. Schöpfungstheologische Perspektiven der <strong>Evangelisation</strong> ...................................... 142<br />

5. Theologisch-anthropologische Perspektiven der <strong>Evangelisation</strong> ............................. 144<br />

5.1 Imago Dei und <strong>Evangelisation</strong> ............................................................................ 145<br />

5.2 Die Frage nach der Erwählung zum Heil .......................................................... 147<br />

5.3 Das menschliche Leben ›im Glauben‹ oder ›im Unglauben‹ .......................... 149<br />

5.4 Die Unfreiheit des Menschen .............................................................................. 151<br />

5.5 Die notwendige Aufgabe, die Einladung zum Glauben zu Gehör zu<br />

bringen .................................................................................................................... 154<br />

5.6 Der anthropologische Ort des Glaubens ............................................................ 156<br />

6. Christologische Perspektiven der <strong>Evangelisation</strong> .................................................... 157<br />

7. Soteriologische und eschatologische Perspektiven der <strong>Evangelisation</strong> ................... 160<br />

8. Pneumatologische Perspektiven der <strong>Evangelisation</strong> ............................................... 162<br />

9. Ekklesiologische Perspektiven der <strong>Evangelisation</strong> .................................................. 164<br />

10. Die Rolle der Heilsmittel in der <strong>Evangelisation</strong> ...................................................... 168<br />

10.1 Predigt und <strong>Evangelisation</strong> .................................................................................. 168<br />

10.2 Taufe und <strong>Evangelisation</strong> ..................................................................................... 170<br />

10.3 Exkurs: Leben aus der täglichen Taufe ............................................................. 176<br />

10.4 Abendmahl und <strong>Evangelisation</strong> .......................................................................... 177<br />

11. Ethische Perspektiven der <strong>Evangelisation</strong> ............................................................... 178<br />

12. Zusammenfassung .................................................................................................. 182<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

Die Aneignung des Glaubens als ›Bekehrung‹ oder ›Wiedergeburt‹<br />

Eine Vertiefung ....................................................................................................... 185<br />

1. Einleitende Bemerkungen ....................................................................................... 185<br />

1.1 Biblische Orientierung ......................................................................................... 186<br />

1.2 Methodisches Vorgehen ....................................................................................... 188<br />

2. Von der (notwendigen) personalen Aneignung des Glaubens oder Personalität<br />

des Glaubens .......................................................................................................... 191<br />

3. Bekehrung und Wiedergeburt – Eine bekenntnistheologische Erinnerung .............. 196<br />

4. Eine theologiegeschichtlich zentrale Streitfrage: Ist ein belegbarer Zeitpunkt der<br />

Glaubensaneignung notwendig? ............................................................................. 201<br />

5. Resümee ................................................................................................................. 205<br />

6. Exkurs: Ein knappes theologiegeschichtliches Streiflicht zu ›Bekehrung‹ oder<br />

›Wiedergeburt‹. Reformation, Orthodoxie und Pietismus ........................................ 207<br />

Thesen zu <strong>Evangelisation</strong> ............................................................................................. 211<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in den gegenwärtigen Missionswissenschaften ............... 217<br />

1. Missio Dei, sog. ganzheitliche Missionsverständnisse und <strong>Evangelisation</strong> ............. 218<br />

2. <strong>Evangelisation</strong> und interreligiöser Dialog ............................................................... 225<br />

3. Konvivenz, Dialog und evangelistisches Zeugnis .................................................... 230<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in der gegenwärtigen Praktischen Theologie .................... 237


Ausführliches Inhaltsverzeichnis 15<br />

1. Kommunikation des Evangeliums und <strong>Evangelisation</strong> ........................................... 238<br />

2. Die evangelistische Predigt ..................................................................................... 247<br />

3. <strong>Evangelisation</strong> als Dimension und Nebenintention kirchlicher Arbeitsfelder ......... 256<br />

Thesen zur <strong>Evangelisation</strong> vor dem Hintergrund der gegenwärtigen<br />

missionswissenschaftlichen und praktisch-theologischen Diskurse ........................ 263<br />

<strong>Michael</strong> <strong>Herbst</strong><br />

Praktische Theologie der <strong>Evangelisation</strong><br />

Praktisch-theologische Bestimmungen eines umstrittenen Themas ........... 267<br />

1. Die zentrale Rolle der <strong>Evangelisation</strong> für die missio Dei: »The heart of<br />

Christian mission« .................................................................................................. 267<br />

2. Die umstrittene (und verschwiegene) <strong>Evangelisation</strong> .............................................. 270<br />

2.1 »Eigentlich müssten sich Mission und <strong>Evangelisation</strong> für die<br />

christliche Kirche […] von selbst verstehen.« ................................................... 270<br />

2.2 Kritische Evangelistik: Schwächen und Problemzonen der anstößigen<br />

<strong>Evangelisation</strong> ........................................................................................................ 280<br />

3. Warum überhaupt ›evangelisieren‹? ....................................................................... 286<br />

3.1 Spontane Evangelisten oder evangelistische Befehlsempfänger? ................. 286<br />

3.2 Das Evangelium als Ur-Sache der <strong>Evangelisation</strong> ............................................ 288<br />

3.3 Exkurs: Das Evangelium als Ursache der <strong>Evangelisation</strong> bei Timothy<br />

Keller ....................................................................................................................... 292<br />

3.4 Konsequenz für die evangelistische Kommunikation des<br />

Evangeliums: Demut ............................................................................................. 294<br />

4. <strong>Evangelisation</strong>: Vom Reparaturbetrieb zum Startup ............................................... 296<br />

4.1 <strong>Evangelisation</strong> und die Unerreichten ................................................................. 297<br />

4.2 Das ›säkulare Zeitalter‹ als fundamentale Veränderung der<br />

›Geschäftsbedingungen‹ ....................................................................................... 300<br />

4.3 Der Reparaturbetrieb mutiert zum Startup ....................................................... 303<br />

4.3.1 Die Gemeinde als evangelistische Akteurin ......................................... 304<br />

4.3.2 Das Ziel der <strong>Evangelisation</strong>: ›Revival‹ oder ›kleine Schar‹? ............... 305<br />

4.3.3 Der Stil der <strong>Evangelisation</strong>: Voraussetzungsarmes Zeugnis ............. 307<br />

5. <strong>Evangelisation</strong> ist mehr als … – aber doch auch, … aber… .................................... 309<br />

5.1 Was also macht <strong>Evangelisation</strong> aus? .................................................................. 309<br />

5.2 Die verschiedenen evangelistischen Stile ......................................................... 319<br />

5.2.1 Der direkte <strong>Evangelisation</strong>sstil ............................................................... 319<br />

5.2.2 Der apologetische <strong>Evangelisation</strong>sstil ................................................... 321<br />

5.2.3 Mein Leben als Geschichte mit Gott erzählen: Der biographische<br />

<strong>Evangelisation</strong>sstil bzw. <strong>Evangelisation</strong> als Zeugnis .......................... 325<br />

5.2.4 »Du bist mir wichtig!« Der beziehungsorientierte<br />

<strong>Evangelisation</strong>sstil .................................................................................... 327<br />

5.2.5 Der einladende <strong>Evangelisation</strong>sstil: <strong>Evangelisation</strong> als<br />

Veranstaltung ............................................................................................ 329<br />

5.2.6 Exkurs: Das Ende des Events? ................................................................ 332<br />

5.2.7 Der bildende <strong>Evangelisation</strong>sstil ............................................................ 335<br />

5.2.8 Dimensionale <strong>Evangelisation</strong>sstile ......................................................... 341<br />

5.2.9 Erstes Beispiel: Die evangelistische Dimension der Diakonie ........... 342<br />

5.2.10 Zweites Beispiel: Die evangelistische Dimension der Seelsorge ....... 345


16<br />

Ausführliches Inhaltsverzeichnis<br />

5.2.11 Drittes Beispiel: Die evangelistische Dimension des<br />

Gottesdienstes ........................................................................................... 348<br />

5.2.12 Viertes Beispiel: Die einladende Predigt ............................................... 351<br />

6. <strong>Evangelisation</strong> zielt auf mehr als Konversion, aber auch auf Konversion .............. 358<br />

6.1 Wovon reden wir, wenn wir von Konversion bzw. Bekehrung<br />

sprechen? ................................................................................................................ 359<br />

6.2 Früher war alles klar: <strong>Evangelisation</strong> will »Christus zur Entscheidung<br />

predigen« (D. Bonhoeffer) .................................................................................... 361<br />

6.3 Widerspruch gab es immer: Kritik an Konversion als Ziel ............................ 363<br />

6.3.1 Widerstände aus volkskirchlichen Zeiten ............................................ 363<br />

6.3.2 Heutige Einwände gegen traditionelle Ideen von Bekehrung,<br />

Typ A: Der ›prä-konversive‹ Hinweg ist länger .................................... 372<br />

6.3.3 Exkurs: Die Greifswalder Konversionsstudie ...................................... 373<br />

6.3.4 Heutige Einwände gegen traditionelle Ideen von Bekehrung,<br />

Typ B: Der ›post-konversive‹ Weg ist wichtiger! .................................. 383<br />

Lesslie Newbigins Kritik an individualistischer Konversionstheologie ...... 383<br />

<strong>David</strong> Bosch und die Kritik an Konversion als Schlusspunkt ....................... 385<br />

William Abrahams Sicht von <strong>Evangelisation</strong> als ›Initiation in das Reich<br />

Gottes‹ ......................................................................................................... 385<br />

Der missionstheologische Konsens: »Evangelism is concerned with<br />

discipling people in Christ« ..................................................................... 388<br />

Ein Zwischenruf: Das Leben aus der Taufe ....................................................... 390<br />

7. Zum Schluss: Sieben praktisch-theologische Thesen ............................................... 393<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> und Digitalität<br />

Erkundungen in noch ›unbekanntem Terrain‹ ................................................. 399<br />

1. Kalibrierung der Fragestellung ............................................................................... 399<br />

2. Eine neue Ausgangslage für <strong>Evangelisation</strong>: Kultur der Digitalität ........................ 404<br />

3. <strong>Evangelisation</strong> in einer Kultur der Digitalität – ›Unfertige Gedanken‹ ................... 408<br />

3.1 Was heißt es, sichtbar und zugänglich zu bleiben? ........................................ 408<br />

3.2 Was heißt es, wenn <strong>Evangelisation</strong> unter ›Bewertung‹ steht? ....................... 410<br />

3.3 Referenzsysteme schaffen Formen der Gemeinschaftlichkeit ...................... 411<br />

3.4 In und durch Referenzsysteme wird ereignishaft neu Bedeutung<br />

geschaffen ............................................................................................................... 413<br />

3.5 <strong>Evangelisation</strong> ohne Ort und festgelegte Zeit ................................................... 413<br />

3.6 <strong>Evangelisation</strong> zwischen analog und online ..................................................... 414<br />

3.7 Gibt es in einer Kultur der Digitalität ein religionssensibles Klima für<br />

<strong>Evangelisation</strong>? ...................................................................................................... 415<br />

3.8 Wer evangelisiert? ................................................................................................. 416<br />

3.9 Welchen ›Nutzen‹ für die Lebensgestaltung verspricht<br />

<strong>Evangelisation</strong>? ...................................................................................................... 418<br />

3.10 <strong>Evangelisation</strong> als verbales Geschehen? ........................................................... 419<br />

3.11 Digitale Technologie als religiöse Sensibilisierung? ....................................... 420<br />

3.12 Digitale Technologien und <strong>Evangelisation</strong> ........................................................ 420<br />

3.13 Viele offene Fragen ............................................................................................... 421<br />

4. Beispielhafte evangelistische Impulse im digitalen Raum ...................................... 422<br />

5. Empirische Ergebnisse zu <strong>Evangelisation</strong> im deutschsprachigen digitalen Raum .. 424<br />

5.1 Allgemeine Ergebnisse ......................................................................................... 424


Ausführliches Inhaltsverzeichnis 17<br />

5.1.1 Chancen digitaler <strong>Evangelisation</strong> ........................................................... 424<br />

5.1.2 Spannungsfelder digitaler <strong>Evangelisation</strong> ............................................ 425<br />

5.1.3 Handlungsbedarfe in digitaler <strong>Evangelisation</strong> ..................................... 427<br />

5.1.4 Theologische Fragen zu digitaler <strong>Evangelisation</strong> ................................ 428<br />

5.2 Zielgruppenbasierte Auswertung der Ergebnisse ........................................... 429<br />

6. Zusammenfassung .................................................................................................. 429<br />

<strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong><br />

Was ist ›<strong>Evangelisation</strong>‹?<br />

Genealogische, poststrukturalistische und namenstheologische<br />

Überlegungen zur Signifikation und (Re-)Kontextualisierungen des<br />

ungeklärten <strong>Evangelisation</strong>sbegriffs für die gegenwärtige Debatte ............ 431<br />

1. Diskurstheoretische Vorüberlegungen .................................................................... 431<br />

2. Der <strong>Evangelisation</strong>sbegriff und die aktuelle theologische Debatte .......................... 437<br />

3. Sechs (Re-)Kontextualisierungen des <strong>Evangelisation</strong>sbegriffs und -diskurses ......... 441<br />

3.1 ›<strong>Evangelisation</strong>‹ oder ›frohbotschaften‹? Zur Kontextualisierung des<br />

Signifikanten .......................................................................................................... 441<br />

3.2 Freude (Gefühl) oder Botschaft (Kommunikation)? Zur<br />

Kontextualisierung des Signifikats .................................................................... 444<br />

3.3 Sendungsoffenbarung oder Sendungsauftrag? Zur Kontextualisierung<br />

des Textes ............................................................................................................... 450<br />

3.4 Ontotheologie oder Onomatologie (Namenslehre)? Zur<br />

Kontextualisierung der Theologie ....................................................................... 458<br />

3.5 ›Religion‹ oder ›<strong>Evangelisation</strong>‹? Zur Logik der Differenz .............................. 464<br />

3.6 Begriff oder Name? Zur Logik der Äquivalenz ................................................. 471<br />

4. Rekontextualisierte Situation zum Abschluss: Namenszeugnis in der Kraft des<br />

Geistes im Kontext zwischen Diaspora und Zuhause .............................................. 477<br />

Thesen zur Signifikation und (Re-)Kontextualisierung des <strong>Evangelisation</strong>sbegriffs<br />

für die gegenwärtige Debatte .................................................................................. 480<br />

Literaturverzeichnis ............................................................................................. 485<br />

Register ................................................................................................................... 529<br />

Autorenverzeichnis ............................................................................................... 537


Erster Teil: Zugänge


<strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong><br />

Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹<br />

Die Verwendung des Begriffs ›<strong>Evangelisation</strong>‹ in seiner<br />

Geschichte seit seinem Aufkommen bis heute:<br />

Eine kritische Zusammenstellung<br />

1. Einleitung<br />

Der Begriff »<strong>Evangelisation</strong>« spielt derzeit in der deutschsprachigen Theologie<br />

nahezu keine Rolle. Dennoch lässt sich mit Blick auf die Gegenwart entdecken,<br />

dass es nicht nur in Europa, sondern gerade auch in der außereuropäischen Welt<br />

unzählige und äußert lebendige Praktiken, Diskurse und Phänomene gibt, die<br />

mit dem Begriff der »<strong>Evangelisation</strong>« 1 beschrieben werden. Tatsächlich handelt<br />

es sich bei diesem Begriff um einen auch in wissenschaftlichen Publikationen in<br />

der Gegenwart viel verwendeten Begriff. Dass in diesen, global betrachtet, dynamischen<br />

Diskurs, der von dem Begriff »<strong>Evangelisation</strong>« strukturiert wird, aus<br />

weiten Teilen der deutschsprachigen akademischen Theologie kaum Beiträge<br />

einfließen, liegt auch daran, dass sich die Forschung bisher noch nicht über den<br />

Begriff verständigt und auf einen gemeinsamen Begriff geeinigt hat. Dadurch<br />

war und ist <strong>Evangelisation</strong> als Forschungsgegenstand schwer zu fassen. Hinzu<br />

kommt, dass der Begriff trotz seiner Ungeklärtheit so umstritten ist, dass vielfach<br />

von vornherein auf ihn verzichtet oder er sogar bewusst abgelehnt wird.<br />

Genau dies zeigt nun aber auch, dass sich inzwischen immerhin ein allgemeines<br />

Alltagsverständnis des Begriffes etabliert hat. Auf dieses Alltagsverständnis<br />

rekurrieren sowohl die Positionen, die den Begriff und damit auch den<br />

<strong>Evangelisation</strong>sdiskurs ablehnen, wie auch diejenigen Positionen, die auf eine<br />

Klärung des Begriffes verzichten und damit »<strong>Evangelisation</strong>« als allgemeinverständlich<br />

voraussetzen. Aber auch Publikationen über <strong>Evangelisation</strong> verzichten<br />

meist auf eine explizite Diskussion der begrifflichen Entwicklung und setzen<br />

somit implizit ein bestimmtes gegenwärtiges Alltagsverständnis in ihren zumeist<br />

funktionalen und substanziellen, gelegentlich auch nominalen und stufenkategorialen<br />

Begriffsdefinitionen voraus. Dieses gegenwärtige Alltagsverständnis<br />

von »<strong>Evangelisation</strong>« wurde bisher aber in begriffsgeschichtlichen und<br />

1<br />

Gedacht ist dabei zunächst auch an die unterschiedlichen Varianten des Begriffs, bzw.<br />

Übersetzungen davon in anderen Sprachen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />

zwischen den Varianten »<strong>Evangelisation</strong>« und »Evangelisierung« (bzw. »evangelism« und<br />

»evangelization« etc.) werden nachfolgend eingehend untersucht und in ihren Entwicklungslinien<br />

nachgezeichnet.


22<br />

<strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong><br />

theologischen Untersuchungen zu wenig beachtet und kaum kritisch erforscht;<br />

es bleibt daher in seiner Genese unverstanden.<br />

Dieses Kapitel zeichnet zunächst die begriffsgeschichtliche Entwicklung und<br />

Verwendung des Begriffs »<strong>Evangelisation</strong>« von seinem Aufkommen in der Antike<br />

bis in die Gegenwart kritisch nach. So wird ersichtlich, wie sich der Begriff<br />

»<strong>Evangelisation</strong>« überhaupt ausgebildet hat und wie er in die Gegenwart gekommen<br />

ist. In dieser begriffsgeschichtlichen Untersuchung werden in diesem<br />

Zuge neben den explizit wissenschaftlichen Definitionen sowohl die Herausbildung<br />

des gegenwärtigen Alltagsverständnisses als auch manche, sich durch die<br />

Zeiten hindurch wandelnde, gesellschaftliche Praktiken mit ihren materialen<br />

Wirkungen auf den <strong>Evangelisation</strong>sdiskurs mit bedacht. Denn diese Aspekte<br />

sind zwar unauflösbar mit der Ausbildung des heutigen <strong>Evangelisation</strong>sbegriffs<br />

verflochten, wurden bisher in ihrem Einfluss auf den <strong>Evangelisation</strong>sdiskurs<br />

aber unterschätzt. Rekonstruiert werden soll so, welches Verständnis, bzw. welche<br />

Verständnisse von <strong>Evangelisation</strong> sich heute ausgebildet haben und wie sie<br />

sich im heutigen Diskurs kontextualisieren lassen, mit welchen Begründungen<br />

der <strong>Evangelisation</strong>sbegriff heute verwendet oder abgelehnt wird und an welche<br />

Debatten er konzeptionell anschließt. Die globale Dynamik des <strong>Evangelisation</strong>sdiskurses<br />

ist zuletzt keineswegs abgeflaut, wie man aufgrund der Stille in der<br />

deutschsprachigen Theologie zu diesen Thema vermuten könnte; vor allem seit<br />

dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein ist die Verwendung von »<strong>Evangelisation</strong>«<br />

beständig angewachsen. Durch die Nichtbeschäftigung weiter Teile<br />

der vor allem deutschsprachigen Theologie mit dem Thema wird dieser Diskurs<br />

jedoch noch immer größtenteils ausgeblendet. Er bleibt so in seiner Theoriebedürftigkeit<br />

theologisch unbearbeitet, aus geschichtstheoretischer Perspektive<br />

unhistorisiert und in Bezug auf die Gegenwart unkontextualisiert.<br />

Die Gründe für das bisherige Ausbleiben einer eingehenderen Beschäftigung<br />

mit der Thematik liegen aber nicht nur an der begrifflichen Ungeklärtheit von<br />

»<strong>Evangelisation</strong>« und der damit zusammenhängenden Schwierigkeit, den Gegenstand<br />

nicht richtig fassen zu können. Auch weiter in der Vergangenheit zurückliegende<br />

theologische, bzw. religionsphilosophische Entwicklungen und Vorentscheidungen<br />

üben weiterhin Einfluss auf den Umgang mit dem <strong>Evangelisation</strong>s–<br />

diskurs aus. Ihr Einfluss bedarf inzwischen einer aktuellen Überprüfung und<br />

Historisierung, um die Grenzverläufe zwischen dem <strong>Evangelisation</strong>sdiskurs und<br />

anderen Debatten der Theologie offenzulegen. Indem man so zu einer kritischen<br />

Einschätzung der historischen Kontingenz dieser Grenzverläufe gelangt, wird<br />

klarer, welche nicht-notwendigen aber historisch durchaus plausiblen Entwicklungen<br />

der <strong>Evangelisation</strong>sdiskurs genommen hat und warum er sich von anderen<br />

Debatten der protestantischen und evangelischen Theologie entkoppelt hat<br />

oder sogar durch Ab- und Ausgrenzungen zum »notwendigen Außen« mancher<br />

dieser Diskurse gemacht wurde. Indem die Grenzen zwischen den Diskursen<br />

und die Funktionen ihrer gegenseitigen Stabilisierung und Destabilisierung<br />

deutlicher werden, werden wiederum gegenwärtige Alternativen und Transformationspotentiale<br />

des Diskurses eröffnet. Beispielsweise entpuppt sich die


Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹ 23<br />

Frontstellung zwischen einem liberalen Protestantismus, der unter dem Leitbegriff<br />

der »gelebten Religion« die Programmatik einer Theologie als Religionskulturhermeneutik<br />

betreiben will, 2 und einer Missio-Dei-Theologie, die im Rahmen<br />

des <strong>Evangelisation</strong>sdiskurses nach der Kontextualisierung des Evangeliums<br />

fragt, durch die Sichtbarmachung solcher Grenzen als weitaus weniger notwendig<br />

als behauptet. Indem nämlich auch geteilte gegenwärtige Interessen deutlich<br />

werden, zeigt sich, dass die Grenze zwischen den Diskursen durchaus anders<br />

verlaufen könnte. Aus dieser Einsicht wiederum können sich theologisch hilfreiche<br />

und wertvolle Impulse für die Gegenwart ergeben. 3<br />

Die folgenden Kapitel des Buches verorten <strong>Evangelisation</strong> dann in missionswissenschaftlicher,<br />

systematischer und praktisch-theologischer Perspektive<br />

in der aktuellen Forschung. Wie auch in diesen Kapiteln zeigt sich jedoch ebenso<br />

in dieser begriffsgeschichtlichen Untersuchung, dass sich bestimmte Narrative<br />

als etabliertes Wissen und »Forschungskonsens« mit scheinbar klaren empirischen<br />

Beweisen präsentieren und somit den Forschungsgegenstand besonders<br />

prägen. Für die Frage, was durch die Jahrhunderte hindurch unter »<strong>Evangelisation</strong>«<br />

verstanden wurde, sind die Positionen abseits des Mainstreams, die diese<br />

vorherrschenden Narrative herausfordern, von besonderem Interesse. 4<br />

Denn<br />

gerade durch sie zeigt sich die kontroverse Natur des Diskurses. In genau diesem<br />

Sinne wird in diesem Kapitel sichtbar, dass der Begriff »<strong>Evangelisation</strong>«, der<br />

diesen Diskurs strukturiert, zwischen verschiedenen Verwendungsweisen changiert.<br />

Dies zeigt sich schon darin, dass sich verschiedene Entwicklungslinien<br />

und damit Traditionen des Begriffes gebildet haben. Neben dem Begriff »<strong>Evangelisation</strong>«<br />

hat sich vor allem im Bereich der katholischen Theologie der Begriff<br />

»Evangelisierung« etabliert. Im Englischen gibt es neben »evangelism« auch eine<br />

eigene Traditionslinie unter dem Begriff »evangelization«.<br />

Der letzte Beitrag dieses Bandes diskutiert daher im Anschluss an die in diesem<br />

begriffsgeschichtlichen Kapitel herausgearbeiteten und nach wie vor bestehenden<br />

Unklarheiten, welche Transformationspotentiale es für das allgemeine<br />

gegenwärtige Alltagsverständnis von »<strong>Evangelisation</strong>« aus namensgeschichtlicher<br />

und namenstheologischer Perspektive durch eine Übersetzung und (Re)Kon-<br />

2<br />

Siehe für diese Position bspw. Wilhelm Gräb, Vom Menschsein und der Religion. Eine<br />

praktische Kulturtheologie, PThGG 30 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2018).<br />

3<br />

Der letzte Beitrag des Bandes diskutiert dann neben der historischen Entwicklung des<br />

<strong>Evangelisation</strong>sbegriffs auch unter genealogischen Gesichtspunkten sowohl dessen aktuelles<br />

Vorkommen wie auch dessen Ausbleiben und dessen bewusste Ausgrenzungen und<br />

Nichtbenutzungen mit den jeweils dafür angeführten oder anführbaren Gründen.<br />

4<br />

Die theoretischen und methodischen Grundlagen dieser Herangehensweise, wie sie<br />

derzeit vor allem unter globalgeschichtlichen und poststrukturalistischen Gesichtspunkten<br />

diskutiert werden, beziehe ich vor allem aus folgenden Ansätzen und Ausarbeitungen:<br />

<strong>Michael</strong> Bergunder, »Was ist Religion? Kulturwissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand<br />

der Religionswissenschaft,« ZfR 19 (2011): 3–55; <strong>Michael</strong> Bergunder, »Soziologische<br />

Religionstheorie nach dem cultural turn,« in Handbuch Religionssoziologie, hrsg. v.<br />

Detlef Pollack et al. (Wiesbaden: Springer, 2018): 203–30.


24<br />

<strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong><br />

textualisierung des Begriffes gibt. Denn der Begriff »<strong>Evangelisation</strong>« ist offensichtlich<br />

ein Latinismus. Anhand des Verbes »frohbotschaften« hingegen als<br />

Übersetzung des griechischen εὐαγγελίζοµαι (euangelizomai) lassen sich Aspekte<br />

des <strong>Evangelisation</strong>sdiskurses sichtbar machen, die ohne Übersetzung verloren<br />

gehen. Diese Übersetzung entspräche im Übrigen nicht nur den hebräischen und<br />

griechischen biblischen Vorlagen mit größerer Klarheit. Auch lässt sich der Diskurs<br />

nur so, und nicht über den globalen Allgemeinbegriff »<strong>Evangelisation</strong>«,<br />

weiter in der Gegenwart und in konkreten Sprachtraditionen kontextualisieren.<br />

»Frohbotschaften« dient somit als Kritik der historischen Kontinuität und Einheit<br />

der inhaltlichen Bestimmung von »<strong>Evangelisation</strong>«. Damit ist keineswegs die<br />

notwendige Existenz des Begriffs »<strong>Evangelisation</strong>« und dessen Funktion als<br />

Markierung des globalen <strong>Evangelisation</strong>sdiskurses bestritten. Vielmehr werden<br />

durch die Einsicht in dessen Kontingenz Räume für Differenzierungen und<br />

Transformationen eröffnet. 5<br />

Wofür aber der heutige Begriff »<strong>Evangelisation</strong>«<br />

steht, darum soll es im Folgenden nach einigen kurzen Vorbemerkungen zum<br />

methodischen Vorgehen dieser begrifflichen Untersuchung gehen.<br />

2. Historisierung von ›<strong>Evangelisation</strong>‹: Methodische<br />

Vorbemerkungen<br />

Begriffsgeschichtliche Untersuchungen zu »<strong>Evangelisation</strong>« sind in der Forschung<br />

bisher rar. 6 Stattdessen finden sich, auch in den einschlägigen Publikationen<br />

über <strong>Evangelisation</strong>, unzählige Definitionsversuche, die sich auf die beiden<br />

großen und begriffsgeschichtlich bekannten Herangehensweisen konzentrieren,<br />

die Sache »hinter« dem Begriff entweder mit funktionalen oder mit substanziellen<br />

Bestimmungen fassen zu wollen. Bevor genauer auf die Problematik dieser begriffsgeschichtlichen<br />

Trennung von Begriff und Sache hingewiesen wird, ist<br />

5<br />

Vgl. Bergunder, »Soziologische Religionstheorie,« 214.<br />

6<br />

Bisher sind, auch in der englischsprachigen Literatur, nahezu keine begriffsgeschichtlichen<br />

Untersuchungen erschienen. Die bedeutendste Ausnahme dürfte <strong>David</strong> B. Barretts<br />

Untersuchung sein, die hier vielfach konsultiert wird, die allerdings auch schon in die<br />

Jahre gekommen ist, siehe: <strong>David</strong> B. Barrett, Evangelize! A Historical Survey of the Concept<br />

(Birmingham, AL: New Hope, 1987). Eine weitere detaillierte begriffliche Untersuchung<br />

aus neuester Zeit findet sich in Thomas P. Johnstons konzeptioneller Studie Evangelizology;<br />

sie ist aufgrund ihres Charakters einer enzyklopädischen Materialsammlung aber<br />

kaum zugänglich, siehe: Thomas P. Johnston, Evangelizology. Standard Topics in the Study<br />

of Evangelizing (Liberty, MO: Evangelism Unlimited, 2019). Ansonsten verzichten selbst<br />

umfängliche wissenschaftliche Untersuchungen auf genauere begriffliche Diskussionen<br />

und setzen ein allgemeines Grundverständnis voraus, vgl. bspw. <strong>Michael</strong> Green, Evangelism<br />

in the Early Church (London: Hodder & Stoughton, 1970); Zumindest einige kürzere<br />

Diskussionen bietet Paul Wesley Chilcote und Laceye C. Warner, The Study of Evangelism.<br />

Exploring a Missional Practice of the Church (Grand Rapids, MI: Eerdmans, 2008).


Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹ 25<br />

noch auf eine weitere Schwierigkeit bisheriger Historisierungen von <strong>Evangelisation</strong><br />

aufmerksam zu machen: Will man den heutigen, globalen Gebrauch von<br />

»<strong>Evangelisation</strong>« verstehen, so wäre zu erwarten, dass eine Historisierung genau<br />

hier auch ansetzt, also mit dem gegenwärtigen, global bekannten und verwendeten<br />

Gebrauch des Begriffes beginnt. Gerade dies ist aber nicht der Fall. Stattdessen<br />

dominiert ein auf zeitliche und geographische Ursprünge orientiertes Denken<br />

die Forschung. Dadurch werden aber essentialisierte Prototypen geschaffen,<br />

denen in einem zweiten Schritt dann zugeschrieben wird, das Wesen der späteren<br />

Entwicklung bis in die Gegenwart hinein bereits in sich zu tragen. 7 Genau in<br />

diesem Sinn geht auch ein großer Teil der theologischen Literatur vor und setzt<br />

mit dem Begriff »<strong>Evangelisation</strong>« bei unterschiedlichen Ursprüngen an. Dadurch<br />

begegnet eine unüberschaubare Vielzahl solcher »Ursprünge« der <strong>Evangelisation</strong>,<br />

ohne dass der eigene partikulare Standpunkt in der Gegenwart und daher<br />

der nur mittelbare Zugriff über den heutigen <strong>Evangelisation</strong>sbegriff und seine<br />

Entwicklungslinien mit beachtet würden. Die Bedeutung des Begriffs wird zumeist<br />

also von dem jeweils gewählten »Ursprung« her postuliert oder als allgemeinverständlich<br />

vorausgesetzt. 8 So werden aber Prototypen geschaffen.<br />

Hierzu ein Beispiel: Wird angenommen und postuliert, dass der Ursprung<br />

von <strong>Evangelisation</strong> in den Missionsbestrebungen des »Westens« liege, so wird<br />

auch dem Begriff »<strong>Evangelisation</strong>« der »westliche« Ursprungskontext zugeschrieben<br />

und dieser damit prototypisiert. Nur so kann immer noch der Vorwurf<br />

erhoben werden, dass Mission – und von daher auch <strong>Evangelisation</strong> – per se<br />

»kolonialistisch« oder »imperialistisch« sei, 9 ohne dass die weitaus komplexeren<br />

7<br />

Zum Verständnis der Problematik dieser Herangehensweise, siehe <strong>Michael</strong> Bergunder,<br />

»Umkämpfte Historisierung: Die Zwillingsgeburt von ›Religion‹ und ›Esoterik‹ in der<br />

zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und das Programm einer globalen Religionsgeschichte,«<br />

in Wissen um Religion: Erkenntnis – Interesse. Epistemologie und Episteme in Religionswissenschaft<br />

und Interkultureller Theologie, hrsg. v. Klaus Hock (Leipzig: Evangelische<br />

Verlagsanstalt, 2020), 47–131, 48.<br />

8<br />

So springt bspw. D. Bosch (Lexikon missionstheologischer Grundbegriffe) direkt vom NT<br />

zu gegenwärtigen Modellen der <strong>Evangelisation</strong>, E. Castro (Dictionary of the Ecumenical<br />

Movement) beginnt hingegen bei der Weltmissionskonferenz in Edinburgh im Jahr 1910,<br />

G. Collet (LThK3) betrachtet primär die nachkonziliare Zeit, H. Rendtorff (RGG3) beginnt<br />

beim Pietismus, J. Hasselhorn (ELThG) im angloamerikanischen Bereich mit Whitfield<br />

und Wesley; W. Hollenweger (TRE) und E. Castro/G. Linn (EKL3) gehen den Gegenstand<br />

systematisch und zeitgeschichtlich an, K. Basler/L. Dorsett/H.-W. Gensichen/D. Guder/N.-<br />

P. Moritzen (RGG4) untersuchen immerhin den gegenwärtigen Begriff genauer, setzen<br />

allerdings ebenso unterschiedliche Ursprünge voraus; siehe die hilfreiche Darstellung bei:<br />

Martin Werth, Theologie der <strong>Evangelisation</strong>, BEG 11 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener<br />

Verlag, 2004), 5–11 und 64. M. Werth selbst nimmt das Problem zwar wahr, springt als<br />

Lösung aber zur Definition von »<strong>Evangelisation</strong>« in der Differenz zu »Mission«, was das<br />

Problem dann zumindest teilweise auf das jeweilige Missionsverständnis verschiebt.<br />

9<br />

Bspw. die sehr vereinfachende Darstellung in Stefan Silber, Postkoloniale Theologien.<br />

Eine Einführung (Tübingen: Narr Francke Attempto, 2021), 94ff. Vgl. auch u.a. die Diskussion<br />

bei <strong>Andreas</strong> Holzhausen, Mission unter Beschuss. Missionspraktiker antworten auf


26<br />

<strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong><br />

Verflechtungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, sowie der heute wiederum<br />

neuartige und globale Gebrauch, der durch die theologischen Missio-Dei Debatten<br />

im 20. Jahrhundert geprägt ist, dabei überhaupt schon in den Blick geraten wären.<br />

Durch diese Essentialisierung des »Ursprungs« wird aber die Kontingenz<br />

des Prototyps verdeckt. In der Tat können Diskurse mit ihren materialen Wirkungen<br />

und symbolischen Inkulturationen auch Formen kultureller Replikation<br />

und Repression, und damit Formen von Kolonisation, annehmen. Aber auch die<br />

Ausgrenzung des Begriffs ist Teilhabe an diesem Diskurs und kann ihrerseits<br />

materiale Wirkungen kultureller Replikation ausformen. Den Begriff daher, zumal<br />

den gegenwärtig global verwendeten, von vornherein als »westlich« zu<br />

kennzeichnen, spräche nicht nur »nicht-westlichen« Seiten das Recht ab, den<br />

Begriff unvoreingenommen und nativ in ihrem Kontext zu verwenden, wie es<br />

heute tatsächlich geschieht. Es hieße auch, dass er auf einen »westlichen« Prototyp<br />

zurückgeführt würde, der dann zugleich universalisiert wird. Dies übersieht<br />

dann aber, dass der Begriff im Prozess der globalen Aneignung auch verändert<br />

wurde und als solchermaßen neu kontextualisierter und adaptierter Begriff dann<br />

wieder in den globalen Diskurs eingespeist wird.<br />

Die vorliegende Untersuchung verzichtet daher darauf, einen scheinbar bereits<br />

bekannten Ursprung von <strong>Evangelisation</strong> von vornherein vorauszusetzen<br />

und mit der Begriffsgeschichte dort einzusetzen. Vielmehr wird danach gefragt,<br />

wie, wann und warum sich der Begriff zu manchen Zeiten mehr, und zu anderen<br />

Zeiten weniger verbreitet und welche Faktoren dafür verantwortlich sind. Damit<br />

ist die bereits genannte problematische Trennung von Begriff und Sache im<br />

Blick. Gibt es die »Sache« der <strong>Evangelisation</strong> unabhängig davon, was »<strong>Evangelisation</strong>«<br />

genannt wird? Zur Beantwortung dieser Frage werden auch neue Überlegungen<br />

aus dem Programm einer globalen Namensgeschichte zu Rate gezogen:<br />

Anstatt »hinter« dem Begriff »<strong>Evangelisation</strong>« nach der »wirklichen Sache« zu<br />

suchen oder bereits einen eindeutigen Ursprung vorauszusetzen, wie Begriffsgeschichten<br />

dies in der Regel tun, werden mit dem Programm der Namensgeschichte<br />

poststrukturalistische Überlegungen und Impulse aus dem linguistic<br />

turn und dem cultural turn aufgenommen. Ein Name wird dabei als rein präsentische<br />

Artikulation betrachtet, der nur insofern über eine diachrone oder dauerhafte<br />

Perspektive verfügt, als er zugleich »Zitat«, also Wiederholung, ist. Erst<br />

diese Wiederholung fixiert Bedeutung: »Die entscheidende erkenntnistheoretische<br />

Pointe besteht darin, dass die Wiederholung zum einen notwendig ist, da<br />

anders keine Bedeutungen fixiert – bzw. im hier verwendeten Sprachgebrauch:<br />

keine Allgemeinbegriffe gebildet – werden können, aber zugleich ist die Wiederholung<br />

kontingent.« 10 Dieser erkenntnistheoretisch bedeutsame Zusammenhang<br />

kritische Fragen (Neuhausen-Stuttgart: Hänssler, 1996); Horst Gründer, Christliche Heilsbotschaft<br />

und weltliche Macht. Studien zum Verhältnis von Mission und Kolonialismus.<br />

Gesammelte Aufsätze, hrsg. v. Franz-Joseph Post, Thomas Küster und Clemens Sorgenfrey,<br />

Europa-Übersee 14 (Münster: Lit, 2004).<br />

10<br />

Bergunder, »Umkämpfte Historisierung,« 66.


Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹ 27<br />

von Kontingenz und Notwendigkeit ist eingebettet in die globale Dimension von<br />

Kultur und Geschichte. Dass etwas »<strong>Evangelisation</strong>« genannt wird, ist einerseits<br />

Zitat einer vorherigen Benennung, wobei dieses Zitat kontingent, also so nicht<br />

notwendig ist; andererseits spielen auch kulturelle und geschichtliche Gründe<br />

eine Rolle dafür, dass etwas wiederholt »<strong>Evangelisation</strong>« genannt wird.<br />

Wo etwas »<strong>Evangelisation</strong>« genannt wird, dort hat diese Benennung dann<br />

materiale Folgen. Was also »<strong>Evangelisation</strong>« genannt wird und was wirklich<br />

<strong>Evangelisation</strong> ist, hängt untrennbar zusammen. Begriff und Sache lassen sich<br />

nicht trennen. Daher fragt diese Begriffsgeschichte nicht danach, welche »Sache«<br />

wirklich <strong>Evangelisation</strong> »ist« und wendet dann darauf den Begriff »<strong>Evangelisation</strong>«<br />

an. Wir fragen vielmehr, was »<strong>Evangelisation</strong>« genannt wurde, welche Bedingungen<br />

und Gründe es dafür gab, wie diese Benennungen selbst dann den<br />

weiteren <strong>Evangelisation</strong>sdiskurs geprägt haben und welchen Einfluss dies auf<br />

das heutige Alltagsverständnis von <strong>Evangelisation</strong> hat.<br />

Die Genese des Begriffes wird dem klassischen Zeitstrahl folgend nachvollzogen.<br />

Wir setzen also in der griechischen Antike ein und folgen dem Zeitstrahl,<br />

bis wir erstmals den Begriff »<strong>Evangelisation</strong>« finden und folgen der weiteren<br />

Entwicklung. Es wird sich zeigen, dass der Begriff erst im 19. Jahrhundert eine<br />

rasante Entwicklung und Ausbreitung und dabei auch eine neue Bedeutung<br />

erfährt. Die Bedingungen, die dazu führten, sollen daher in einem Exkurs besondere<br />

Beachtung finden. Die Ausdifferenzierungen des Begriffs im 20. Jahrhundert<br />

führen dann allerdings zu wieder neuen Verwendungen unter stark veränderten<br />

Voraussetzungen. Auch diese gilt es wieder explizit wahrzunehmen, um<br />

den Kontinuitäten aber auch Diskontinuitäten des Begriffs auf die Spur zu kommen.<br />

Dabei gilt es zudem immer zu bedenken, dass wir von unserem Standpunkt<br />

in der Gegenwart aus fragen. Genealogisch betrachtet gehen wir daher von einem<br />

global verwendeten und in zahlreichen Diskursen der Gegenwart verankerten<br />

Begriff aus, der aber über bestimmte Linien zu uns geführt hat. Da es bisher<br />

noch keine ausführliche Begriffsgeschichte für den deutschsprachigen Raum<br />

und auch kaum darüber hinaus gibt, und auch die englischsprachigen Untersuchungen<br />

bereits veraltet sind, muss der Forschungsstand zum Begriff »<strong>Evangelisation</strong>«<br />

im Folgenden erst etabliert werden, bevor er überhaupt kritisiert werden<br />

kann. Dies sollen die folgenden und dann vor allem das letzte Kapitel leisten und<br />

dadurch abwägen, welche gegenwärtigen Transformationspotentiale sich ergeben,<br />

wenn der <strong>Evangelisation</strong>sdiskurs an andere Topoi und Gegenwartsfragen<br />

der evangelischen Theologie enger angeschlossen wird.<br />

3. Von der Griechischen Antike zum Neuen Testament<br />

Der Begriff »<strong>Evangelisation</strong>« leitet sich über zahlreiche Entwicklungsstufen von<br />

dem griechischen Verbum εὐαγγελίζοµαι (euangelizomai) ab. Dieses ist etymologisch<br />

aus der Verbindung von εὖ- (eu-, »gut«) und ἄγγελος (ángelos, »Bote«) gebil-


<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> im deutschen<br />

Protestantismus seit dem 18.<br />

Jahrhundert<br />

Das gegenwärtige Verständnis dessen, was mit dem Begriff »<strong>Evangelisation</strong>«<br />

gemeinhin bezeichnet wird, liegt – die voranstehende Begriffsgeschichte hat dies<br />

deutlich herausgestellt – weniger in den (keineswegs marginalen) biblischen<br />

Wurzeln begründet, als vielmehr in der Prägung dessen, was im Laufe des<br />

19. Jahrhunderts insbesondere von Missionsgesellschaften evangelism bzw.<br />

<strong>Evangelisation</strong> genannt wurde. So liegt es nahe, <strong>Evangelisation</strong> in der jüngeren<br />

Missionsgeschichte gesondert darzustellen – sowohl (wie im Folgenden) innerhalb<br />

des deutschen Protestantismus als auch (wie an späterer Stelle 1 ) in der<br />

internationalen Missionstheologie. In beiden Diskurs- und Praxisräumen spielt<br />

die <strong>Evangelisation</strong> bis in die Gegenwart hinein eine große Rolle, ist zum Gegenstand<br />

starker Auseinandersetzungen, ja selbst Verwerfungen geworden und hat<br />

so zu einer höchst wechselhaften Geschichte der missionarischen Theologie,<br />

Praxis und Reflexion geführt.<br />

1. Der ältere Pietismus und die Erweckungsbewegung<br />

Nicht selten werden – mit Paulus Scharpff formuliert – die »Wurzeln moderner<br />

<strong>Evangelisation</strong>« 2 im Pietismus und seinem Aufruf zur persönlichen Bekehrung<br />

erblickt. Eine solch einlinige Rückführung heutiger <strong>Evangelisation</strong> auf einen<br />

geschichtlichen Ursprung muss vor dem Hintergrund der voranstehenden Begriffsgeschichte<br />

mindestens als starke Reduktion einer langen und komplexen<br />

Entwicklung voller Kontinuitäten und Diskontinuitäten erscheinen, zumal der<br />

Begriff »<strong>Evangelisation</strong>« selbst im Pietismus noch keine wesentliche Rolle spiel-<br />

1<br />

Hierfür siehe <strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong>, »<strong>Evangelisation</strong> in der internationalen Missionstheologie<br />

seit Anfang des 20. Jahrhunderts,« im vorliegenden Band, S. 107ff.<br />

2<br />

Paulus Scharpff, Geschichte der <strong>Evangelisation</strong>. Dreihundert Jahre <strong>Evangelisation</strong> in<br />

Deutschland, Großbritannien und USA (Gießen: Brunnen-Verlag, 1964), 21.


94<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

te. 3 Nichtsdestotrotz verweisen Scharpff und andere 4 mit ihrem Verweis auf den<br />

klassischen Pietismus auf eine für moderne <strong>Evangelisation</strong>sverständnisse besonders<br />

wirkmächtige Form des Rufes zum Glauben, sodass auch der hier vorliegende,<br />

auf die gröbsten Züge beschränkte historische Überblick zur <strong>Evangelisation</strong><br />

im deutschen Protestantismus nicht umhin kommt, mit dem älteren<br />

Pietismus und damit kurz vor Beginn des 18. Jahrhunderts einzusetzen. Die für<br />

das Thema der <strong>Evangelisation</strong> zentralen Charakteristika des Pietismus benennt<br />

etwa Erich Beyreuther sehr pointiert: »Zum Grundthema des Pietismus wurde<br />

das unaufhörliche Drängen auf die existentielle Erfassung der biblischen Botschaft<br />

von Sünde und Gnade und die Betonung der Notwendigkeit persönlicher<br />

Wiedergeburt durch den Heiligen Geist. Herausfordernd war die scharfe Hervorkehrung<br />

des Unterschiedes zwischen Bekehrten und Unbekehrten, zwischen<br />

denen, die mit Ernst Christen sein wollten und denen, die nicht Ernst machten.« 5<br />

Die starke Betonung von Bekehrung und Wiedergeburt 6 sowie von Glaubenspraxis<br />

und Frömmigkeit (lat. pietas), die für den Pietismus von Beginn an prägend<br />

war, führte zu allerlei evangelistischen Aktivitäten. Sie geschahen innerhalb wie<br />

außerhalb der evangelischen Kirche, unter Getauften wie Ungetauften, im eigenen<br />

Land wie auf entfernten Kontinenten. Dabei lag der Schwerpunkt auf der<br />

Überzeugung, dass nicht nur Ungetaufte, sondern auch dem Glauben entfremdete<br />

Getaufte zum Glauben zu rufen sind, sowie auf der Betonung der Glaubenspraxis<br />

und damit auf einer Lebensgestaltung, die sich an Christus als Herrn des<br />

eigenen Lebens orientiert.<br />

So entgegnet schon Philipp Jacob Spener (1635-1705) mit seiner wirkmächtigen<br />

Reformschrift »Pia Desideria« aus dem Jahre 1675 jenem »großen Haufen«<br />

unter den Evangelischen, der das Evangelium nur äußerlich angenommen habe<br />

und nicht mit Ernst als Christ lebe:<br />

Und getröstest du dich vergeblich deiner Tauff/ und der darinn zugesagten gnade der<br />

seligkeit/ wo du auff deiner seiten nicht auch in dem bund deß glaubens und guten<br />

gewissens bleibest. Oder da du abgetretten/ wiederumb durch hertzliche busse zu-<br />

3<br />

Vgl. <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong>, »Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>.‹ Die Verwendung des Begriffs<br />

›<strong>Evangelisation</strong>‹ in seiner Geschichte seit seinem Aufkommen bis heute. Eine kritische<br />

Zusammenstellung,« im vorliegenden Band, S. 73<br />

4<br />

So etwa auch Erich Beyreuther, Kirche in Bewegung. Geschichte der <strong>Evangelisation</strong> und<br />

Volksmission, SEVM 7 (Berlin: Christlicher Zeitschr.-Verl., 1968), 65, der »[d]ie Anfänge<br />

der Volksmission […] im klassischen Pietismus« verortet.<br />

5<br />

Beyreuther, Kirche in Bewegung, 57. Zum zentralen Begriff der Wiedergeburt siehe <strong>Patrick</strong><br />

<strong>Todjeras</strong>, »Die Aneignung des Glaubens als Bekehrung oder Wiedergeburt. Eine<br />

Vertiefung,« im vorliegenden Band, S. 185ff.<br />

6<br />

Siehe zu diesen Themen auch die Ausführungen in <strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong>, »Die Aneignung<br />

des Glaubens als Bekehrung oder Wiedergeburt. Eine Vertiefung,« im vorliegenden Band,<br />

S. 185ff.


<strong>Evangelisation</strong> im deutschen Protestantismus seit dem 18. Jahrhundert 95<br />

rück kehrest. Also muß deine Tauff/ soll sie dir nutz seyn/ in stätiger übung deß<br />

gantzen lebens bleiben. 7<br />

Sein gesamtes Reformprogramm sowie sein Bemühen um die Sammlung derer,<br />

die mit Ernst Christen sein wollen, in eigenen Kreisen (collegia pietatis) innerhalb<br />

der Kirche (ecclesiola in ecclesia) zielen auf diesen Zusammenhang von<br />

Glaubensweckung und Bekehrung, die zur Glaubenspraxis und Frömmigkeit<br />

führen. »Die entscheidende Kraft des Pietismus lag in der Ausformung eines<br />

bestimmten Frömmigkeitstypus, eines zeugnis- und opferfreudigen Christentums«<br />

8 , formuliert Beyreuther treffend. Wenn in gegenwärtigen Diskursen <strong>Evangelisation</strong><br />

mit einem bestimmten – heute oftmals als »evangelikal« bezeichneten<br />

– Frömmigkeitsstil assoziiert wird, ist ein wesentlicher Grund hierfür in der<br />

Wirkmächtigkeit der evangelistischen Glaubensweckung zu Zeiten des Pietismus<br />

zu erblicken, welche einer bestimmten Frömmigkeit entstammt und zur<br />

Ausübung eben derselben Frömmigkeitspraxis aufruft.<br />

Ein bemerkenswertes Beispiel für den zeugnis- und opferfreudigen Charakter<br />

dieser Frömmigkeit ist der auf August Hermann Francke (1663-1727) zurückzuführende<br />

hallesche Pietismus mit den Franckeschen Stiftungen und der<br />

dänisch-halleschen Mission. Mit Armenschule, Waisenhaus, weiteren Schulen,<br />

Buchdruckerei, Apotheke, dem Collegium Orientale zur Missionsvorbereitung,<br />

der Cansteinschen Bibelanstalt und weiterem gelten Franckes Anstalten<br />

Scharpff als »<strong>Evangelisation</strong>szentrum« 9 : »Seine Anstalten glichen Evangelistenschulen,<br />

Schulen lebendiger Zeugen, die bereit waren, sich überall einsetzen zu<br />

lassen.« 10 Die Entsendung von Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau,<br />

zwei Schülern Franckes, durch Friedrich IV., König von Dänemark und Schweden,<br />

1706 nach Indien führte zur dänisch-halleschen Mission. Mit ihr beginnt für<br />

den Protestantismus das sog. Missionszeitalter. 11<br />

Dabei stellt die dänisch-<br />

7<br />

Philipp Jacob Spener, Pia Desideria: Oder Hertzliches Verlangen/ Nach Gottgefälliger<br />

Besserung der wahren Evangelischen Kirchen/ samt einigen dahin einfältigen abzweckenden<br />

Christlichen Vorschlägen (Franckfurt am Mayn: In Verlegung Johann <strong>David</strong> Zunners,<br />

1676), 53. Zur Charakterisierung jenes »großen Haufens« siehe a. a. O.,<br />

16.36f.46.48.217.315.333. Zum systematisch-theologischen Zusammenhang von Taufe<br />

und <strong>Evangelisation</strong> siehe <strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong>, »<strong>Evangelisation</strong> in systematisch-theologischen<br />

Perspektiven,« im vorliegenden Band, S. 170-176.<br />

8<br />

Beyreuther, Kirche in Bewegung, 59.<br />

9<br />

Scharpff, Geschichte der <strong>Evangelisation</strong>, 41. Dass es sich hierbei um eine anachronistische<br />

Bezeichnung handelt, sollte in den vorherigen Ausführungen hinreichend klargeworden<br />

sein.<br />

10<br />

Scharpff, Geschichte der <strong>Evangelisation</strong>, 42.<br />

11<br />

Vgl. Beyreuther, Kirche in Bewegung, 62. Beyreuthers Formulierung, der zufolge<br />

Francke damit »[d]as Missionszeitalter eröffnete« ist hingegen zu widersprechen. Francke<br />

selbst erfuhr von der Entsendung seiner beiden Schüler erst im Nachhinein, wirkte bald<br />

aber freilich reichlich und aktiv mit und integrierte jene Mission in die halleschen Werke.


96<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

hallesche Mission, zu deren Trägerkreis die englische Society for Promoting Christian<br />

Knowledge (SPCK) gehörte, als überkonfessionelle, übernationale und auf<br />

dem Missionsfeld die kolonialen Grenzen überschreitende Mission einen neuen<br />

Missionstypus dar, der schnell zur Gründung einer selbstständigen lutherischen<br />

Kirche in Indien führte – mit Peter Zimmerling gesprochen in mehrfacher Hinsicht<br />

»ein Novum gegenüber allen bisherigen Modellen bloßer Filialgründungen<br />

westlicher Kirchentümer« 12 . Halle fungierte als Zentralstelle und übernahm jene<br />

Aufgaben, die in späterer Zeit Missionsgesellschaften zukamen. Zimmerling<br />

formuliert: »Die Franckeschen Stiftungen wurden durch Francke zum Missionshaus«<br />

13 .<br />

Ebenso hervorzuheben sind die von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf<br />

(1700-1760) begründeten Brüdergemeinen. Beyreuther fasst zusammen: »Zinzendorf<br />

hat in seiner Brüderkirche das überzeugende Modell für eine Gemeindestruktur<br />

erbracht, die nicht nur auf Sammlung, sondern auch auf Sendung<br />

bezogen war. Diese brüderlichen Gemeinen verstanden sich von Anfang an als<br />

eine missionarisch und diakonisch verpflichtete Schar.« 14 Evangelistische Reisen<br />

durch ganz Europa gehörten zu den grundlegenden Aktivitäten der Gemeine.<br />

»Zinzendorf wollte, daß alle Gemeinemitglieder Evangelisten und Missionare<br />

würden« 15 , kommentiert Scharpff. 1732 wurden die ersten Missionare auf die<br />

karibische Insel St. Thomas gesandt, um dort unter Sklaven das Evangelium zu<br />

verkündigen. Die wachsende Brüdermission erreichte Menschen u. a. in Grönland,<br />

Suriname und Russland. 16 Anders als es in der dänisch-halleschen Mission<br />

fast ausnahmslos der Fall war, handelte es sich dabei nicht um ordinierte Theologen;<br />

in der Brüdergemeine waren die einfachen Gläubigen evangelistisch und<br />

missionarisch tätig. Die Gemeine selbst, nicht die Obrigkeit, war Trägerin der<br />

Mission. Der Ruf zum Glauben, zu Bekehrung und Wiedergeburt, galt nicht bloß<br />

als Aufgabe der Kirche als Ganzer oder ihrer Amtsträger, sondern sollte in der<br />

Glaubenspraxis eines und einer jeden einzelnen Gläubigen verankert sein. Dies<br />

gilt dem Anspruch nach für den gesamten Pietismus, wennschon es in Zinzendorfs<br />

Brüdergemeine besonders ausgeprägt und anschaulich wurde.<br />

Während in England und Amerika – in Teilen vom deutschen Pietismus beeinflusst<br />

– Erweckungsbewegungen mit Massenevangelisationen entstanden 17 ,<br />

Vgl. Peter Zimmerling, Pioniere der Mission im älteren Pietismus, ThDi 47 (Gießen: Brunnen<br />

Verl., 1985), 17 und 22.<br />

12<br />

Zimmerling, Pioniere der Mission, 18.<br />

13<br />

Zimmerling, Pioniere der Mission, 26.<br />

14<br />

Beyreuther, Kirche in Bewegung, 63. Siehe weiterführend zu Franckes und Zinzendorfs<br />

Bedeutung in diesem Zusammenhang Zimmerling, Pioniere der Mission.<br />

15<br />

Scharpff, Geschichte der <strong>Evangelisation</strong>, 46.<br />

16<br />

Vgl. Zimmerling, Pioniere der Mission, 43f.<br />

17<br />

In England die methodistische Erweckung um George Whitefield, John und Charles<br />

Wesley ab 1739, in Amerika die sog. erste Große Erweckung (First Great Awakening),<br />

ausgehend von Jonathan Edwards 1734.


<strong>Evangelisation</strong> im deutschen Protestantismus seit dem 18. Jahrhundert 97<br />

trat neben den älteren Pietismus in wachsendem Maße die deutsche Aufklärungstheologie.<br />

Durch den Dreißigjährigen Krieg später als in anderen Ländern<br />

einsetzend, brachte die deutsche Aufklärung eine vergleichsweise milde Form<br />

der Entchristlichung mit sich. 18 In der Aufklärungstheologie stand die individuelle<br />

Glaubenspraxis weiterhin im Mittelpunkt der Predigt, doch wichen der Ruf<br />

zur Bekehrung und einem zeugnishaften Lebensstil der Aufforderung nach einer<br />

allgemein tugendhaften Lebensführung. Der individualistische Zug des Pietismus<br />

entwickelte sich in Richtung der Privatisierung von Religion. Hinsichtlich<br />

des Rufes zum Glauben, zu Bekehrung und Wiedergeburt, standen Pietismus<br />

und Aufklärungstheologie einander konträr gegenüber.<br />

Entgegen dieser Entwicklung rückten die Erweckungsbewegungen des<br />

19. Jahrhunderts, die vielerorts entstanden, das Thema und die Praxis des Rufes<br />

zum Glauben wieder in den Vordergrund. Die 1780 gegründete Deutsche Christentumsgesellschaft<br />

zur Förderung wahrer Lehre und wahrer Gottseligkeit diente<br />

der Sammlung pietistischer und erwecklicher Kräfte und wurde zum Ursprung<br />

vieler Vereine und Gesellschaften. »Fast alle sog. Reichsgottesarbeit des<br />

beginnenden 19. Jahrhunderts hat in dieser Christentumsgesellschaft ihren<br />

Wurzelboden: die Missionsvereine, die Missionsgesellschaften, die Bibelgesellschaften<br />

und auch die damals stark einsetzende christliche Liebestätigkeit« 19 ,<br />

fasst Scharpff zusammen. Dabei wirkten die für die Äußere Mission gegründeten<br />

Gesellschaften oftmals auch in ihrer Heimat auf evangelistische Weise. Stellvertretend<br />

für das evangelistische Anliegen zahlloser Erweckungsprediger in den<br />

Kirchen, Laienprediger, Handwerkerevangelisten und sog. Bibelkolpoteuren (von<br />

Bibel- und Traktatgesellschaften ausgesandte Volksmissionare) sei der württembergische<br />

Erweckungsprediger Ludwig Hofacker (1798-1828) aus einem Brief<br />

1821 zitiert:<br />

Das will ich sagen, daß wir, die wir noch spät in den Weinberg des HErrn gesendet<br />

werden, desto mehr Fleiß thun sollen, weil die Zeit der Ernte so nah ist. Da ist noch<br />

zu rufen mit aller Kraft, mit allem Eifer, daß die ganze Welt es hört; es ist noch in die<br />

Sünderhaufen hineinzurufen, daß es durch die verstocktesten Herzen dringt: ›Jesus<br />

nimmt die Sünder an!‹ Das muß unsern Hauptruf ausmachen. 20<br />

Die Fülle an Gesellschaften und Vereinen ist nicht auf unterschiedliche Anliegen<br />

zurückzuführen – das beschriebene dringlich-evangelistische Anliegen war<br />

ihnen gemein –, sondern spiegelt die kirchliche Zerrissenheit des deutschen<br />

Protestantismus unter dem landesherrlichen Kirchenregiment jener Zeit wider.<br />

Eine die jeweiligen Kirchengebiete überschreitende, planmäßig auf ganz<br />

18<br />

Vgl. Beyreuther, Kirche in Bewegung, 87–91.<br />

19<br />

Scharpff, Geschichte der <strong>Evangelisation</strong>, 123.<br />

20<br />

Zitiert nach Albert Knapp, Leben von Ludwig Hofacker. Weil[and] Pfarrer zu Rielingshausen<br />

mit Nachrichten über seine Familie und einer Auswahl aus seinen Briefen und Circularschreiben,<br />

2. Aufl. (Heidelberg: Karl Winter, 1855), 93; Herv. i. O.


98<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

Deutschland gerichtete Volksmission erfolgte erst durch die 1848 gegründete<br />

Evangelische Gesellschaft für Deutschland.<br />

Die pietistische und erweckliche Betonung der Bekehrung, der zeugnishaften<br />

und aufopferungsvollen Glaubenspraxis und damit auch der persönlichen<br />

<strong>Evangelisation</strong> hinterlässt ihre Spuren bis in die Gegenwart. Der Ruf zum Glauben,<br />

zu Bekehrung und Wiedergeburt, hat als zentrales Kernanliegen dieser<br />

Bewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts zu gelten. In der Praxis stand dabei in<br />

aller Regel nicht die verbale Verkündigung allein; das gesprochene Zeugnis<br />

verband sich ganz selbstverständlich mit diakonischen und pädagogischen Tätigkeiten.<br />

Eine kategoriale Trennung von Mission und Bildung, <strong>Evangelisation</strong><br />

und Diakonie, wie sie sich in den kommenden Jahrhunderten verbreiten sollte,<br />

ist dem älteren Pietismus und jenen Erweckungsbewegungen noch gänzlich<br />

fremd.<br />

2. Innere Mission und Volksmission<br />

Dies gilt auch noch für die Anfänge der Inneren Mission, jener sozialmissionarischen<br />

Initiative innerhalb der evangelischen Kirche, aus der später<br />

das Diakonische Werk hervorging. 21 Sowohl Johann Hinrich Wicherns (1808-<br />

1881) Konzeption der Inneren Mission als auch die Praxis der mit ihr assoziierten<br />

Werke und Vereine Mitte den 19. Jahrhunderts lassen sich nicht auf das<br />

Diakonische begrenzen. Der Hamburger Erweckungsbewegung entstammend,<br />

verstand Wichern die Arbeit all jener freien Werke und Vereine als »Regungen<br />

und Gestaltungen der Liebe, – die […] im Glauben mächtig, für Christum wirksam,<br />

ihn verklärend und zu ihm retten wollte.« 22 Sie seien »alle eins im Grund<br />

und im Ziel, im Grunde nämlich des Glaubens, daß Christus der Retter des Verlornen<br />

sei, im Ziele: die aus der Sünde und ihren Folgen hervorgehenden einzelnen<br />

Notstände des Volkes durch das Wort Christi und die Handreichung brüderlicher<br />

Liebe zu heben.« 23<br />

In dem Begriff der rettenden Liebe kommt ein<br />

prägendes, durchaus evangelistisches Motiv zur Geltung, das die Fülle an Tätigkeiten<br />

in der Inneren Mission zu umfassen vermag. Volker Herrmann formuliert<br />

treffend: »Wichern strebte eine <strong>Evangelisation</strong> bzw. Rechristianisierung des<br />

21<br />

Siehe im Folgenden <strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong>, Der eine Sendungsdienst der Kirche. Ein Beitrag<br />

zur Verhältnisbestimmung von <strong>Evangelisation</strong> und Diakonie unter besonderer Berücksichtigung<br />

der Missionstheologie <strong>David</strong> J. Boschs, Mission und Kontext (MuK) 2 (Leipzig: Evang.<br />

Verl.-Anstalt, 2023), 67–75.<br />

22<br />

Johann H. Wichern, »Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche (1849).<br />

Eine Denkschrift an die deutsche Nation im Auftrag des Centralausschusses für die innere<br />

Mission verfaßt von J. H. Wichern,« in Johann Hinrich Wichern. Sämtliche Werke, Bd. 1,<br />

hrsg. v. Peter Meinhold (Berlin, Hamburg: Lutherisches Verlagshaus, 1962), hier 179f;<br />

Herv. i. O.<br />

23<br />

Wichern, »Die innere Mission,« 180.


<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in der internationalen<br />

Missionstheologie seit Anfang des<br />

20. Jahrhundert<br />

Die gegenwärtigen Verständnisse der <strong>Evangelisation</strong> sowie die diesbezüglichen<br />

Diskurse im gegenwärtigen deutschen Protestantismus sind nicht nur von der<br />

jüngeren deutschen protestantischen Geschichte geprägt 1 , sondern auch in erheblichem<br />

Maße von den internationalen missionstheologischen Diskursen des<br />

20. Jahrhunderts. Diese gingen aus der praktischen Missionsarbeit der vielfältigen<br />

international agierenden Missionsgesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts<br />

hervor. 2 Die Begleitung und Reflexion der Missionsarbeit nahm dabei zunehmend<br />

den Charakter eines internationalen theologischen Diskurses an,<br />

wobei die erste sog. Weltmissionskonferenz in Edinburgh (Schottland) 1910<br />

zurecht als diesbezüglich erster großer Marker gelten kann. So setzt die folgende<br />

– wiederum auf die gröbsten Züge beschränkte – Darstellung mit ebenjener<br />

Konferenz ein.<br />

1. Von der Selbstverständlichkeit in die Krise<br />

»Die Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910 war der Geburtsort der neuzeitlichen<br />

ökumenischen Bewegung«, urteilt Kenneth Latourette. 3 Sie war die<br />

1<br />

Siehe hierzu <strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong>, »<strong>Evangelisation</strong> im deutschen Protestantismus seit<br />

dem 18. Jahrhundert,« im vorliegenden Band, S. 93ff.<br />

2<br />

Siehe hierzu <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong>, »Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>.‹ Die Verwendung des<br />

Begriffs ›<strong>Evangelisation</strong>‹ in seiner Geschichte seit seinem Aufkommen bis heute: Eine<br />

kritische Zusammenstellung,« im vorliegenden Band, S. 56-60, und für das Beispiel der<br />

dänisch-halleschen Mission <strong>Jansson</strong>, »<strong>Evangelisation</strong> im deutschen Protestantismus seit<br />

dem 18. Jahrhundert,« im vorliegenden Band, S. 95f.<br />

3<br />

Kenneth S. Latourette, »Die ökumenische Bedeutung der Missionsbewegung und des<br />

Internationalen Missionsrates,« in Geschichte der Ökumenischen Bewegung. 1517–1948.<br />

Erster Teil., hrsg. v. Ruth Rouse und Stephen Neill, ThÖ 6,1 (Göttingen: Vandenhoeck &<br />

Ruprecht, 1957), 497. Zum Ansetzen der Darstellung an diesem Punkt vgl. auch Walter<br />

Freytag, »Weltmissionskonferenzen,« in Reden und Aufsätze. Zweiter Teil: Herausgegeben


108<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

erste eigentliche Weltmissionskonferenz und zeichnete sich durch das (noch)<br />

ungebrochene westliche Sendungs- und Überlegenheitsdenken, das Selbstverständnis<br />

als corpus christianum sowie die unhinterfragte Verbindung von Mission,<br />

Handel und Politik, von Christianisierung und Kolonialisierung aus. Prägenden<br />

Charakter hatte der Leitspruch »Die <strong>Evangelisation</strong> der Welt in dieser<br />

Generation« 4 . Das damit aufgerufene Ziel war jedoch nicht, dass die ganze Welt<br />

binnen einer Generation christianisiert werden sollte, wohl aber, binnen einer<br />

Generation allen Menschen das Evangelium zu Gehör zu bringen, sodass jeder<br />

Mensch die Möglichkeit erhält, Christus als Herrn anzunehmen. Mission und<br />

<strong>Evangelisation</strong> waren Selbstverständlichkeiten, wodurch die Konferenz in Edinburgh<br />

noch in ungebrochener Kontinuität mit dem 19. Jahrhundert stand, das als<br />

das große Jahrhundert der Mission 5 gelten kann. In diesem Sinne formuliert<br />

Walter Freytag: »[A]ufs Ganze gesehen stand die Konferenz doch deutlich eher<br />

am Ende des 19. als am Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie tagte in einer Zeit, in<br />

der die wirtschaftliche und koloniale Ausbreitung Europas auf einem Höhepunkt<br />

angelangt war.« 6 Dabei ging der Blick ausschließlich in die fernen Teile der Welt,<br />

in die sog. Heidenmission. Eine erneute Weckung des Glaubens, zumal in den<br />

Herkunftsländern der zahlreichen Missionsgesellschaften, war kein Thema.<br />

Dieses klassische Verständnis der missio externa (äußere Mission) geriet in<br />

den kommenden Jahrzehnten in die Krise. Die beiden Weltkriege, das schrittweise<br />

Ende der Kolonialisierung, ein merklicher Säkularisierungsschub sowie<br />

der sog. China-Schock, als 1949 alle westlichen Missionarinnen und Missionare<br />

aus dem bevölkerungsreichsten Land der Welt ausgewiesen wurden, waren<br />

wesentliche Gründe für eine umfassende Infragestellung der Mission. Das westliche<br />

Sendungs- und Überlegenheitsbewusstsein wurde erschüttert, die Verbindung<br />

von Mission und Kolonialisierung kritisiert, das geografische Missionsverständnis<br />

(einer Mission aus dem globalen Westen und Norden heraus in den<br />

Süden und Osten hinein) allmählich überwunden und das Verhältnis zwischen<br />

von Jan Hermelink und Hans Jochen Margull, hrsg. v. Walter Freytag, Theologische Bücherei<br />

Missionswissenschaft 13,2 (München: Kaiser, 1961), 99.<br />

4<br />

Zurückzuführen auf John R. Mott, The Evangelization of the World in this Generation (New<br />

York, 1900); in deutscher Übersetzung erschienen: John R. Mott, Die <strong>Evangelisation</strong> der<br />

Welt in dieser Generation (Berlin: Verlag der Deutschen Orient-Mission, 1901). Vgl. auch<br />

<strong>Reißmann</strong>, »Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹. Die Verwendung des Begriffs ›<strong>Evangelisation</strong>‹<br />

in seiner Geschichte seit seinem Aufkommen bis Heute: Eine kritische Zusammenstellung,«<br />

im vorliegenden Band, S. 74.77.80.<br />

5<br />

Diese Bezeichnung ist zurückzuführen auf Kenneth S. Latourette, The Great Century.<br />

A.D. 1800 – A.D. 1914. Europe and the United States of America, A History of the<br />

Expansion of Christianity 4 (New York: Harper & Brothers, 1941); Kenneth S. Latourette,<br />

The Great Century in the Americas, Australia and Afrika. A.D. 1800 – A.D. 1914, A History<br />

of the Expansion of Christianity 5 (New York: Harper & Brothers, 1943); Kenneth S.<br />

Latourette, The Great Century in Northern Africa and Asia. A.D. 1800 – A.D. 1914, A<br />

History of the Expansion of Christianity 6 (New York: Harper & Brothers, 1944).<br />

6<br />

Freytag, »Weltmissionskonferenzen,« 101.


<strong>Evangelisation</strong> in der internationalen Missionstheologie 109<br />

westlichen Kirchen mit ihren Missionsgesellschaften und den in den Missionsgebieten<br />

entstandenen sog. Jungen Kirchen 7 kritisch reflektiert. Mit der Mission<br />

gerieten auch Theorie und Praxis der <strong>Evangelisation</strong> in die Krise. Die Selbstverständlichkeit,<br />

mit der noch 1910 von der »<strong>Evangelisation</strong> der Welt in dieser Generation«<br />

gesprochen worden war, war angesichts der beschriebenen Entwicklungen<br />

für weit überwiegende Teile der westlichen Kirche und Theologie<br />

unvorstellbar geworden. Zwei im Grunde unvereinbare Missions- und <strong>Evangelisation</strong>sverständnisse<br />

standen in den zahlreichen Auseinandersetzungen des<br />

ökumenischen Diskurses jener Zeit einander spannungsvoll gegenüber: 8<br />

Die<br />

(dominierende) angelsächsische Linie war geprägt von der Social-Gospel-<br />

Theologie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts 9 und interpretierte das<br />

Evangelium auf radikal soziale Weise. Mission galt als Ausbreitung des Reiches<br />

Gottes, welches sich insbesondere im sozialen Fortschritt zeigte. Andere Religionen<br />

konnten in dieser Hinsicht als Wegbereiter und Verbündete gelten. Gegen<br />

diese soziale Interpretation des Evangeliums und den sich mit ihr verbindenden<br />

religionsgeschichtlichen Relativismus richtete sich die kontinentaleuropäische<br />

Linie. Sie griff auf eine pietistisch anmutende Betonung der individuellen Bekehrung<br />

als Ziel der Mission zurück und wies jeden Fortschrittsoptimismus und<br />

Glauben, das Reich Gottes selbst hervorbringen zu können, konsequent zurück.<br />

Auf der zweiten Weltmissionskonferenz, dem Wesen nach eine ausgeweitete<br />

Vollversammlung des Internationalen Missionsrates (IMR) in Jerusalem 1928,<br />

konnte mit der gemeinsamen Erklärung nicht viel mehr als eine Klammer um<br />

zwei im Kern unvereinbare Positionen formuliert werden. Wolfgang Günther<br />

kommentiert: »Die Übereinkunft wurde durch eine strenge christologische Zentrierung<br />

ermöglicht. ›Unsere Botschaft ist Jesus Christus‹. ›Christus ist der Beweggrund<br />

und Christus ist das Ziel. Wir dürfen nicht weniger geben, und wir<br />

können nicht mehr geben‹. Man hat diese Formel immer wieder hoch gerühmt;<br />

tatsächlich ist sie nicht mehr als der Schnittpunkt zweier verschiedener Kreise.«<br />

10 Was unter Mission und <strong>Evangelisation</strong> zu verstehen sei, war hochgradig<br />

umstritten.<br />

7<br />

Die in den Missionsgebieten entstandenen neuen Kirchen wurden – im Gegenüber zu<br />

den »alten« Kirchen des Westens mit ihren Missionsgesellschaften – »Junge Kirchen«<br />

genannt.<br />

8<br />

Siehe hierzu ausführlicher Wolfgang Günther, Von Edinburgh nach Mexico City. Die<br />

ekklesiologischen Bemühungen der Weltmissionskonferenzen (1910 – 1963) (Stuttgart:<br />

Evangelischer Missionsverlag, 1970), 27–73.<br />

9<br />

Die Social-Gospel-Theologie legte den Schwerpunkt auf den sozialen und gesellschaftlichen<br />

Fortschritt, womit sie das Reich Gottes identifizierten.<br />

10<br />

Günther, Von Edinburgh nach Mexico City, 34; darin wird zitiert nach Hans Jochen Margull<br />

(Hg.), Zur Sendung der Kirche. Material der ökumenischen Bewegung, Theologische<br />

Bücherei, Bd. 18 (München: Kaiser, 1963), 18 und 23.


110<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

2. Von der Neubestimmung in den Konflikt<br />

Rückblickend hat sich die fünfte Weltmissionskonferenz in Willingen (Deutschland)<br />

1952 als missionstheologischer Wendepunkt gezeigt. 11 Die Willinger »Erklärung<br />

über die missionarische Berufung der Kirche« gab der Mission eine neue<br />

theologische Grundlage, indem diese nicht länger ekklesiologisch, sondern trinitätstheologisch<br />

verankert und entfaltet wurde:<br />

Die Missionsbewegung, von der wir ein Teil sind, hat ihren Ursprung in dem dreieinigen<br />

Gott. Aus den Tiefen seiner Liebe zu uns hat der Vater seinen eigenen geliebten<br />

Sohn gesandt, alle Dinge mit sich zu versöhnen, auf daß wir und alle Menschen –<br />

durch den Heiligen Geist – eins werden möchten in ihm mit dem Vater in jener vollkommenen<br />

Liebe, die Gottes eigenes Wesen ist. 12<br />

Der Gedanke, dass Mission zuerst Gottes Mission ist, wird mit dem Begriff missio<br />

Dei zum Ausdruck gebracht, welcher in der Willinger Erklärung selbst zwar<br />

nicht auftaucht, kurz nach der Konferenz allerdings von Karl Hartenstein (1894-<br />

1952) mit ihr untrennbar verbunden wurde. Den zitierten Abschnitt der Erklärung<br />

kommentiert er in seinem Konferenzrückblick mit den Worten:<br />

Die Mission ist nicht eine Sache menschlicher Aktivität oder Organisation, ›ihre Quelle<br />

ist der dreieinige Gott selbst‹. Die Sendung des Sohnes zur Versöhnung des Alls<br />

durch die Macht des Geistes ist Grund und Ziel der Mission. Aus der ›Missio Dei‹ allein<br />

kommt die ›Missio ecclesiae‹. Damit ist die Mission in den denkbar weitesten<br />

Rahmen der Heilsgeschichte und des Heilsplanes Gottes hineingestellt. 13<br />

Diese neue Verortung der Mission, die sich unter dem Begriff missio Dei in der<br />

Missionstheologie weitestgehend durchgesetzt hat, kann daher als »entscheidende[r]<br />

Durchbruch« 14 bzw. »eine[] Art kopernikanische Wende« 15 gewertet<br />

11<br />

Zur Darstellung der internationalen Missionstheologie seit Willingen 1952 siehe auch<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong>, »Zwischen kopernikanischer Wende und trojanischem Pferd. Zum<br />

Begriff der missio Dei,« ZMiss 46, Nr. 2 (2020): 405–13.<br />

12<br />

Margull, Zur Sendung der Kirche, 96. Die Erklärung ist im Original abgedruckt in Norman<br />

Goodall (Hg.), Missions Under the Cross. Addresses Delivered at the Enlarged Meeting<br />

of the Committee of the International Missionary Council at Willingen, in Germany, 1952<br />

(London: Edinburgh House Press, 1953), 188–92.<br />

13<br />

Karl Hartenstein, »Theologische Besinnung,« in Mission zwischen Gestern und Morgen.<br />

Vom Gestaltwerden der Weltmission der Christenheit im Licht der Konferenz des Internationalen<br />

Missionsrats in Willingen, hrsg. v. Walter Freytag (Stuttgart: Evangelischer Missionsverlag,<br />

1952), 62. Hartenstein zitiert hier vermutlich in eigener Übersetzung,<br />

jedenfalls nicht wortgleich mit der bei Margull abgedruckten Übersetzung (»hat ihren<br />

Ursprung in dem dreieinigen Gott«) aus der Willinger Erklärung.<br />

14<br />

<strong>David</strong> J. Bosch, Mission im Wandel. Paradigmenwechsel in der Missionstheologie. Herausgegeben<br />

von Martin Reppenhagen (Gießen, Basel: Brunnen-Verlag, 2012), 461; im Original


<strong>Evangelisation</strong> in der internationalen Missionstheologie 111<br />

werden. Doch waren mit diesem Konzept, das aus der gegenwärtigen Missionstheologie<br />

nicht mehr wegzudenken ist, die Kontroversen um die Themen Mission<br />

und <strong>Evangelisation</strong> keineswegs gelöst. Wilhelm Richebächer urteilt mit Blick<br />

auf die Konferenzteilnehmer: »Im Tiefsten spürten sie, dass die Schlusserklärung<br />

eher eine Klammer war, um die Positionen, die schon im Vorfeld und während<br />

der Konferenz spannungsvoll einander entgegenstanden, zusammenzuhalten.«<br />

16 Und so nimmt es kein Wunder, dass in der weiteren Diskursgeschichte<br />

unter dem Begriff missio Dei höchst unterschiedliche, ja in entscheidenden Fragen<br />

durchaus gegensätzliche Missionsverständnisse, vertreten wurden. Daher<br />

erscheint das hochgelobte Konzept der missio Dei anderen als »Containerbegriff«<br />

oder gar »Trojanisches Pferd«. 17 Die Grundlagenkrise der Mission war auch auf<br />

der sechsten Weltmissionskonferenz in Achimota bei Accra (Ghana) 1958 nahezu<br />

allgegenwärtig, wie Freytag illustriert: »Im offiziellen Bericht wird kein Wort<br />

so häufig zitiert wie die in Achimota gemachte Feststellung: ›Früher hatte die<br />

Mission Probleme, heute ist sie selbst zum Problem geworden.‹« 18<br />

In Willingen und in der Folgezeit standen sich zwei missionstheologische<br />

Flügel gegenüber, die aus der Spannung von kontinentaleuropäischer und angelsächsischer<br />

Missionstheologie der vorherigen Jahrzehnte erwachsen sind, ohne<br />

mit diesen deckungsgleich zu sein: 19 Der heilsgeschichtlich-ekklesiologische Flü-<br />

»a crucial breakthrough«, siehe <strong>David</strong> J. Bosch, Transforming Mission. Paradigm Shifts in<br />

Theology of Mission, ASMS 16 (Maryknoll, NY: Orbis Books, 1991), 393.<br />

15<br />

Dietrich Werner, Mission für das Leben – Mission im Kontext. Ökumenische Perspektiven<br />

missionarischer Präsenz in der Diskussion des ÖRK 1961 – 1991, ÖkSt 3 (Rothenburg:<br />

Ernst-Lange-Institut für Ökumenische Studien, 1993), 67.<br />

16<br />

Wilhelm Richebächer, »›Missio Dei‹ – Kopernikanische Wende oder Irrweg?,« ZMiss 29,<br />

Nr. 3 (2003): 148.<br />

17<br />

Vgl. Wolfgang Günther, »Gott selbst treibt Mission. Das Modell der ›missio Dei‹,« in<br />

Plädoyer für Mission. Beiträge zum Verständnis von Mission heute, hrsg. v. Klaus Schäfer,<br />

WMH(H) 35 (Hamburg: EMW, 1998), 56. Hellmut H. Rosin, »Missio Dei«. An Examination<br />

of the Origin, Contents and Function of the Term in Protestant Missiological Discussion<br />

(Leiden: Interuniversitair Instituut voor Missiologie en Oecumenica Afd. Missiologie,<br />

1972), 26, nennt die missio Dei »the Trojan horse through which the (unassimilated)<br />

›American‹ vision was fetched into the well-guarded walls of the ecumenical theology of<br />

mission«. Vor diesem Hintergrund bietet <strong>Jansson</strong>, »Zwischen kopernikanischer Wende,«<br />

414–18, vier Vorschläge für eine zukunftsträchtige Interpretation der missio Dei.<br />

18<br />

Freytag, »Weltmissionskonferenzen,« 108.<br />

19<br />

Vgl. für diese Unterscheidung Richebächer, »Missio Dei,« 148–53, sowie Thomas<br />

Kramm, Analyse und Bewährung theologischer Modelle zur Begründung der Mission. Entscheidungskriterien<br />

in der aktuellen Auseinandersetzung zwischen einem heilsgeschichtlichekklesiologischen<br />

und einem geschichtlich-eschatologischen Missionsveständnis (Aachen:<br />

missio aktuell Verl., 1978), 1979. Henning Wrogemann, Missionstheologien der Gegenwart.<br />

Globale Entwicklungen, kontextuelle Profile und ökumenische Herausforderungen, Lehrbuch<br />

interkulturelle Theologie / Missionswissenschaft 2 (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus,<br />

2013), 59ff und 84ff, unterscheidet dieselben Flügel mit den Begriffen »heilsgeschichtlich«<br />

und »verheißungsgeschichtlich«. Ebenso bereits Theo Sundermeier, »Theologie der


112<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong><br />

gel, dem u. a. Hartenstein zuzuordnen ist 20 , vertrat ein missio Dei-Verständnis,<br />

demzufolge sich Gott insbesondere die Kirche zum Werkzeug seiner Mission<br />

macht, um Menschen zum Heil und zur Gemeinschaft mit sich zu rufen. Der<br />

geschichtlich-eschatologische Flügel, von der amerikanischen Social-Gospel-<br />

Theologie und der reformierten Missionstheologie Johannes Chr. Hoekendijks<br />

(1912-1975) geprägt, sah Gottes Missionshandeln demgegenüber vorwiegend<br />

außerhalb der Kirche im Fortschritt der Weltgeschichte. Je nach Verständnis der<br />

missio Dei war <strong>Evangelisation</strong> wesentlicher und zentraler Bestandteil der missio<br />

ecclesiae (im heilsgeschichtlich-ekklesiologischen Verständnis) oder ein eher<br />

marginales, letztlich entbehrliches Randphänomen (im geschichtlicheschatologischen<br />

Verständnis).<br />

Im Umfeld des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) setzte sich insbesondere<br />

in den 1960er und 1970er Jahren das geschichtlich-eschatologische<br />

Missionsverständnis durch, in der das Thema der <strong>Evangelisation</strong> weitgehend an<br />

Bedeutung verlor. »Was wir brauchen, sind nicht Traktoren, sondern Traktate« –<br />

diese pointierte Ablehnung klassischer Mission überliefert Walter Hollenweger. 21<br />

Hoekendijk interpretierte die missio Dei als Gottes Handeln in der Welt, das zu<br />

umfassendem Frieden, umfassender Gemeinschaft, Harmonie und Gerechtigkeit<br />

führe. Die Teilhabe an dieser, wie er es nannte, »Schalomatisierung« (vom hebr.<br />

Friedensbegriff Schalom) 22 sei keinesfalls auf die Kirche beschränkt. Die Kirche<br />

sei ohnehin nur wirklich Kirche, insofern sie sich in dieser Weise in der Welt<br />

engagiere und an die Welt hingebe. 23 <strong>Evangelisation</strong> wird dabei sekundär, ja<br />

letztlich entbehrlich; Hoekendijk spricht von der »missionarische[n] Verkündigung«<br />

als einem »erklärende[n] Postskriptum« 24 und betont:<br />

Völlig unsicher ist auch, ob das [Teilnehmen der Kirche an der missio Dei; Anm. AJ]<br />

im Suchen nach einem »Heilspersonalismus« geschehen wird (wenn sich dieser Eindruck<br />

auch immer aus unserem liturgischen Erbe ergibt). »Schalom« ist umfassender<br />

Mission,« LMG, hrsg. v. Karl Müller und Theo Sundermeier (Berlin: Dietrich Reimer Verlag,<br />

1987), 474–78.<br />

20<br />

Des Weiteren wäre hier auf Walter Freytag (1899–1959) und Georg Vicedom (1903–<br />

1974) zu verweisen. Für letzteren siehe insbes. Georg F. Vicedom, Missio Dei. Einführung<br />

in eine Theologie der Mission (München: Kaiser, 1958).<br />

21<br />

Walter J. Hollenweger, <strong>Evangelisation</strong> gestern und heute (Stuttgart: Steinkopf, 1973), 49.<br />

Den gesamten dritten Teil seines Buches überschreibt Hollenweger mit dieser Alliteration:<br />

»Traktate oder Traktoren?« (a. a. O., 49–73), wobei er sich sowohl von jener pauschalen<br />

Ablehnung der <strong>Evangelisation</strong> als auch von der unkritischen Fortführung herkömmlicher<br />

<strong>Evangelisation</strong>sbemühungen in der Weltmission kritisch abgrenzt.<br />

22<br />

Siehe bspw. Johannes C. Hoekendijk, »Zur Frage einer missionarischen Existenz,« in<br />

Kirche und Volk in der deutschen Missionswissenschaft, hrsg. v. Johannes C. Hoekendijk,<br />

Neuausg., TB Mission und Ökumene 35 (München: Chr. Kaiser, 1967).<br />

23<br />

Siehe Johannes C. Hoekendijk, »Instrument im Heilshandeln Gottes,« in Hoekendijk,<br />

Zukunft der Kirche.<br />

24<br />

Hoekendijk, »Zur Frage einer missionarischen Existenz,« 337.


Zweiter Teil: Theologische<br />

Grundlagen


<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

<strong>Evangelisation</strong> in systematischtheologischen<br />

Perspektiven<br />

1. Einleitende Bemerkungen<br />

Während es zur Systematischen Theologie (Dogmatik und Ethik) gehört über das<br />

Wesen des christlichen Glaubens zu sprechen, ist das Themenfeld der <strong>Evangelisation</strong>,<br />

darunter verstehe ich ›die Glauben weckende Verkündigung‹, als eigenständiges<br />

Thema aus den gegenwärtigen dogmatischen Überlegungen nahezu<br />

ausnahmslos verschwunden. 1 <strong>Evangelisation</strong> wird als der intentionale Ruf zum<br />

Glauben mit der Absicht des damit in Verbindung stehenden Anfangs des Glaubens<br />

verstanden 2 – also ist hier von (trotz des heiklen Begriffs) ›Bekehrung‹ die<br />

Rede. So sehr es doch der Gegenstand der Dogmatik ist, »die Relation zwischen<br />

Gott und Mensch unter dem Vorzeichen der Gnade einerseits, unter dem Vorzei-<br />

1<br />

Das hat sich seit dem Urteil von Henning Wrogemann für die Jahre 1980–2004 nicht<br />

verändert. Vgl. Henning Wrogemann, »›Mission‹ als Thema und Desiderat Systematischer<br />

Theologie,« VF 49, Nr. 1 (2004): 3–22.<br />

Für das 19. Jahrhundert ist auf die Untersuchungen von Ernst zur Nieden und Otto Kübler<br />

zu verweisen, die sich mit dem Missionsverständnis im 19. Jahrhundert beschäftigen.<br />

Ernst zur Nieden, Der Missionsgedanke in der systematischen Theologie seit Schleiermacher<br />

(Gütersloh: C. Bertelsmann, 1928). Otto Kübler, Mission und Theologie. Eine Untersuchung<br />

über den Missionsgedanken in der systematischen Theologie seit Schleiermacher (Leipzig:<br />

Hinrichs, 1929). Zu verweisen ist freilich auf Martin Kähler, der vermutlich wie kein<br />

anderer deutschsprachiger Systematiker zur Mission Stellung bezogen hat. Einen Überblick<br />

bietet: Henning Wrogemann, Mission und Religion in der systematischen Theologie<br />

der Gegenwart. Das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im<br />

20. Jahrhundert, FSÖTh 79 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1997), 23–274.<br />

Auch finden sich nur wenige systematisch-theologische Begründungen evangelistischen<br />

Handelns. Eine Ausnahme ist etwa: Risto Ahonen, <strong>Evangelisation</strong> als Aufgabe der Kirche.<br />

Theologische Grundlegung kirchlicher <strong>Evangelisation</strong>, Forschungen zur praktischen Theologie,<br />

Bd. 15 (Frankfurt am Main u.a.: Lang, 1996), 69–104.<br />

2<br />

Im Folgenden wird Annahme des Glaubens, Aneignung des Glaubens und Anfang des<br />

Glaubens synonym verwendet. In weiterer Folge wird der passiv-aktive Akt des Menschen<br />

aus der Ergriffenheit und Freude durch den Heiligen Geist entfaltet.


128<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

chen der Sünde andererseits« 3 zu thematisieren, so sehr scheint Mission im<br />

Allgemeinen und hier speziell <strong>Evangelisation</strong> darin eine vernachlässigte Rolle zu<br />

spielen. 4<br />

Das hier vorgestellte Unterfangen mag im Kontext einer ›praktischen Dogmatik‹<br />

verortet werden, weil sich ein dogmatischer Orientierungs- und Klärungsbedarf<br />

ergibt, der sich aus dem Bezug zur kirchlichen Praxis erschließt. 5 So<br />

ist dieser Beitrag zu <strong>Evangelisation</strong> als ›praktisch-dogmatische‹ Perspektive zu<br />

verstehen, deren Eigenart darin besteht, »auf bestimmte Bereiche kirchlicher<br />

Praxis bezogen zu sein.« 6 Die Klärungen stehen somit in der Fluchtlinie der Fragen<br />

aus der Praxis, wie besonders im folgenden Beitrag zu ›Bekehrung‹ und<br />

›Wiedergeburt‹ zu sehen sind. Das Anliegen dieser Klärung ist damit pragmatisch<br />

zu bestimmen, wie Ingolf Dalferth insgesamt für die Beschäftigung mit<br />

Dogmen formuliert. Das meint, dass die folgenden Klärungen »anstacheln und<br />

verlocken wollen [...] zur eigenen Erfahrung [...]« 7 mit dem christlichen Glauben<br />

und der Teilhabe an der Realisierung der Sendung Gottes. Soweit zur Selbstklärung<br />

des Anliegens. 8<br />

3<br />

Wilfried Joest und Johannes von Lüpke, Dogmatik I. Die Wirklichkeit Gottes, 5. Aufl., UTB<br />

1336 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010), 20.<br />

4<br />

An dieser Stelle wird der Einteilung des Missionstheologen <strong>David</strong> Bosch gefolgt, der von<br />

Mission als Überbegriff der Sendung der Kirche und von <strong>Evangelisation</strong> als spezielle<br />

Absicht, nämlich die Glauben weckende Verkündigen, spricht. Vgl. dazu den Beitrag von<br />

<strong>Andreas</strong> C. <strong>Jansson</strong>, »Missio Dei, sog. ganzheitliche Missionsverständnisse und <strong>Evangelisation</strong>«,<br />

218-225.<br />

5<br />

Johannes Greifenstein, »Was ist praktische Dogmatik?,« ZThK 118, Nr. 3 (2021): 351.<br />

6<br />

Greifenstein, »Was ist praktische Dogmatik?,« 353. <strong>Evangelisation</strong> ist hier kein Einzelfall.<br />

Der Autor sagt: »Aber auch im Kontext anderer Subdisziplinen oder bereichsspezifischer<br />

Praxistheorien verfolgt man praktisch-dogmatische Perspektiven, einschlägige<br />

Themen sind etwa ›Rechtfertigung‹ in der Seelsorgelehre oder ›Sünde‹ in der Homiletik.<br />

Schließlich denke man hier aber auch an die Auseinandersetzung mit Dogmatik in Formen<br />

einer kirchlich-theologischen Praxisreflexion, etwa in den Agenden zu Kasualien<br />

oder in Stellungnahmen zu deren Bedeutung und Gestaltung.« Damit beschreibt Johannes<br />

Greifenstein eine besondere Ausprägung der praktischen Dogmatik.<br />

7<br />

Ingolf U. Dalferth, »Über Einheit und Vielfalt des christlichen Glaubens. Eine Problemskizze,«<br />

in Glaube, hrsg. v. Wilfried Härle, MJTh 4 (Marburg: Elwert, 1992), 136.<br />

8<br />

Diese Klärung erfolgt von dem Standpunkt eines deutschsprachigen evangelischen<br />

Praktischen Theologen, der einerseits im deutschsprachigen reformatorischen Diskurs<br />

steht und andererseits anglo-amerikanische Einflüsse wahrnimmt. Mein Standpunkt ist<br />

ebenfalls durch das Anliegen einer missionarischen Kirchen- und Gemeindeentwicklung<br />

bestimmt. Präzise wird der hier eingenommene Standpunkt von Ingolf Dalferth als theozentrischer<br />

Ansatz (im Gegensatz zum anthropozentrischen Ansatz und zum pneumatologischen<br />

Ansatz) beschrieben. Dalferth, »Über Einheit und Vielfalt,« 123–134.<br />

Zur Klärung gehört auch die Verständigung über die Schreibweisen. Aus satzästhetischen<br />

Gründen entscheide ich mich gegen eine integrative Schreibweise. Ich traue den Lesern<br />

und Leserinnen zu, bei männlich-neutralen Begriffen auch weibliche Repräsentanten<br />

gedanklich zu ergänzen.


<strong>Evangelisation</strong> in systematisch-theologischen Perspektiven 129<br />

2. <strong>Evangelisation</strong>: Inhaltliche und begriffliche<br />

Präzisierungen<br />

2.1 Biblische Orientierung<br />

Im Neuen Testament ist der Ruf zum Glauben eingezeichnet in den Ruf Jesu zur<br />

Umkehr, da die Zeit erfüllt sei und die Gottesherrschaft bevorstehe (Mk 1,15). 9<br />

Dabei meint der Begriff εὐαγγελίζεσθαι »die gute Nachricht überbringen« (Lk<br />

4,18), »die frohe Botschaft übermitteln« 10 . Es wird die »gute Nachricht«, die »frohe<br />

Botschaft« vor dem Horizont der bereits angebrochenen Gottesherrschaft überbracht:<br />

τὸ εὐαγγέλιον (das Evangelium, im NT immer im Singular und mit bestimmtem<br />

Artikel). 11 Die Bezüge des Begriffs »<strong>Evangelisation</strong>« sind in der Wurzel<br />

εὐαγγέλιον (gute Botschaft) und εὐαγγελίζεσθαι (frohbotschaften) zu finden. 12 Die<br />

Herrschaft Gottes wird inhaltlich gefüllt durch die Person, das Werk und die<br />

Worte Jesu Christi, anders gesagt: Jesu Verkündigung, Jesus als Verkündiger<br />

9<br />

In diesem Kapitel wird dezidiert dogmatisch begründend argumentiert. Eine andere<br />

Perspektivierung findet sich in dem Beitrag von <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong>, »Begriffsgeschichte<br />

›<strong>Evangelisation</strong>‹«, 21-91. Für die folgenden Ausführungen siehe: Edmund Schlink, Ökumenische<br />

Dogmatik (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983), 312. Vgl. zu einer Darstellung<br />

im AT und NT: Martin Werth, Theologie der <strong>Evangelisation</strong>, 3. Aufl. (Neukirchen-<br />

Vluyn: Neukirchener, 2010), 5–9. Für eine systematisch-neutestamentliche Darstellung<br />

siehe: Benjamin Schliesser, Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven (Zürich: Theologischer<br />

Verlag Zürich, 2011). Für eine ältere, aber instruktive Darstellung: Joachim Bieneck,<br />

»Die Bekehrungspredigt,« EvTh 17 (1957): 92–93.<br />

10<br />

Siehe die Beiträge von <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong>, »Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹«, 35-45<br />

sowie »Was ist ›<strong>Evangelisation</strong>‹?«, 431-478.<br />

11<br />

Für den König der Gottesherrschaft gilt: »Der Erhöhte unterwirft die Menschen, indem<br />

er sich ihnen zuwendet als der für sie Gestorbene und Auferstandene. Er unterwirft nicht<br />

mit Gewalt, sondern er bietet sich ihnen dar als der, in dem Gott die Welt mit sich versöhnt<br />

hat: für euch gestorben und auferstanden. Er vollzieht nicht das Gericht an den<br />

Gerichtsverfallenen, sondern kommt zu ihnen als Retter. Er begegnet ihnen weniger<br />

fordernd und befehlend, als einladend, ja bittend.« Schlink, Ökumenische Dogmatik, 385.<br />

12<br />

Vgl. dazu: Georg Strecker, »εὐαγγέλιον,« in Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament,<br />

hrsg. v. Horst Balz und Gerhard Schneider (Stuttgart: Kohlhammer, 1981). »Das<br />

Verb εὐαγγελίσασθαι wird als Synonym für κηρύσσειν (erzählen, predigen, verkünden)<br />

gebraucht. <strong>Evangelisation</strong> gehört nach neutestamentlichem Sprachgebrauch zu Verkündigung,<br />

zum Kerygma: Sie ist die grundlegende Bezeugung von Gottes rettendem Handeln<br />

in Jesus Christus. Sie geschieht in öffentlicher Predigt und in persönlichem Gespräch. Sie<br />

wendet sich an Menschen, die das Evangelium noch nicht kennen oder es in seiner<br />

grundlegenden Bedeutung für ihr Leben noch nicht erfasst haben. Sie ist in besonderer<br />

Weise adressaten-orientiert, d.h. sie zielt darauf, dass Menschen das, was Gott getan hat,<br />

ganz persönlich als Rettung und Neubegründung ihres Lebens erkennen, annehmen und<br />

davon leben.« Walter Klaiber, Ruf und Antwort. Biblische Grundlagen einer Theologie der<br />

<strong>Evangelisation</strong> (Stuttgart: Christliches Verlagshaus [u.a.], 1990), 31.


130<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

und Jesus als Verkündigter. 13 Es handelt sich demnach um das Evangelium von<br />

Jesus Christus sowie um die Botschaft von Jesus Christus als Evangelium. 14<br />

Nachösterlich ist εὐαγγελίζεσθαι bei Paulus ein Fachausdruck für ein elementares<br />

Verkündigen mit der Absicht, die Zuhörenden für diese Botschaft zu gewinnen<br />

(siehe Röm 15,20; 1Kor 1,17; 9,16.18; 15,1f.; 2Kor 10,16; 11,7; Gal 1,8; 1,16;<br />

4,13; Eph 3,8). 15 Es handelt sich um die Verkündigung dessen, was Gott durch<br />

Jesus Christus getan hat, das Christusgeschehen wird als Heilsbotschaft verkündet.<br />

16 Nach der Entrückung Jesu haben seine Apostel die Aufgabe »das Evangelium<br />

von Jesus Christus« (εὐαγγελίζεσθαι) zu verkündigen (Apg 5,42). Dies ist kein<br />

nebensächlicher Auftrag, sondern eine entscheidende, immer wieder zu aktualisierende<br />

Aufgabe der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu. Ein rezeptionsgeschichtlich<br />

prominenter Bezugstext für den Ruf zum Glauben / Ruf in die Christusnachfolge<br />

liegt mit Mt 28,18-20 vor (wenn auch ohne Verwendung des Verbes<br />

εὐαγγελίζεσθαι), der Sendungs- und ›Missionsbefehl‹ sowie der Aufruf zur Taufe,<br />

zur Lehre und zur christlichen Nachfolge insgesamt. 17 Dieser Text gilt, wie Johannes<br />

Zimmermann zeigt, als innerbiblisch gut vernetzt, das heißt, er korrespondiert<br />

mit den vielfältigen Anliegen der Mission im Neuen Testament.<br />

Das Verb εὐαγγελίζεσθαι heißt somit aufgrund der eigenen heilvollen Bezogenheit<br />

auf Jesus Christus mit Autorität und Macht die gute Nachricht der Rettung<br />

durch Jesus Christus zu verkündigen. In den frühen neutestamentlichen<br />

Belegen ist der Evangelist eine von Christus gesandte und durch die Kraft des<br />

Heiligen Geistes befähigte Person. Das gehört sozusagen zum ursprünglichen<br />

und natürlichen Charisma der ersten Christen 18 sowie zum Charisma der ver-<br />

13<br />

Vgl. dazu die Ausführungen von <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong>, »Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹«,<br />

35-45.<br />

14<br />

Siehe zum Verhältnis von genetivus auctoris und genetivus obiectivus: Wilfried Härle,<br />

Dogmatik, 3. Aufl. (Berlin, New York: De Gruyter, 2007), 303–7.<br />

15<br />

Eine weitere Intention ist die Freude oder der Gehorsam, die Teilhabe an Christus u.a.,<br />

wie <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong> herausstellt, siehe <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong>, »Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹«,<br />

35-45.<br />

16<br />

Vgl. dazu genauer Klaiber, Ruf und Antwort, 208.<br />

17<br />

Wenngleich es in diesem Text keinen expliziten Aufruf zur <strong>Evangelisation</strong> gibt, beschreibt<br />

er dennoch das nach außen hin orientierte Selbstverständnis christlicher Existenz.<br />

Vgl. dazu Johannes Zimmermann, »Neutestamentliche Begründungen für das christliche<br />

Glaubenszeugnis,« EpdD 30a (2016): 5–14. In besonderer Weise korrespondiert<br />

dieser Text mit Matthäus 5, indem der Jüngerschar die missionarische Existenz zugesprochen<br />

wird. »Indem die Kirche verwirklicht, was sie ist, nimmt sie an der Sendung ihres<br />

Herrn teil, der von sich sagt, dass er das ›Licht der Welt‹ ist und man auf seinem Weg der<br />

Wahrheit gewiss ist (Jesaja 42,6; Johannes 8,12). Die ›missio Dei‹ schließt die ›missio<br />

hominum‹ ein.« Theo Sundermeier, »Was bedeutet lutherische Identität?,« in Profil –<br />

Bekenntnis – Identität. Was lutherische Kirchen prägt, hrsg. v. Klaus Grünwaldt und Udo<br />

Hahn (Hannover: Lutherisches Kirchenamt, 2003), 58.<br />

18<br />

Der Begriff ›Christ‹ wird bewusst geschlechtsneutral verwendet, weil hier die Zuordnung<br />

zu Christus sprachlich ausgedrückt wird und nicht die geschlechtsspezifische Zuordnung<br />

zu Christus.


<strong>Evangelisation</strong> in systematisch-theologischen Perspektiven 131<br />

sammelten, christlichen Gemeinschaft. Das auf jeden Christen bezogene Charisma<br />

– in der Kraft des Heiligen Geistes von Christus gesandt zu sein – wurde<br />

durch sich herausbildende Gemeindeordnungen, Ämterordnungen und sich<br />

veränderte soziale Verhältnisse unterschiedlich dargestellt. Es kann für das<br />

Verständnis von <strong>Evangelisation</strong> festgehalten werden: So wie die Christen der<br />

ersten Generation evangelisierende Christen sind, so ist die urchristliche Gemeinde<br />

eine evangelisierende Gemeinde. Durch den Ruf, die Einladung zum<br />

Glauben und die Annahme des Glaubens vergemeinschaftet sich Gemeinde. Alle<br />

Christen tragen durch die Weitergabe des Evangeliums zur οἰκοδοµή (Gemeindeaufbau)<br />

bei.<br />

Zu der Zielgruppe der Hörer ist zu sagen: Das Evangelium wird sowohl der<br />

versammelten Gemeinde verkündet als auch jenen, die noch nicht zur Gemeinde<br />

gehören. Der Ruf zum Glauben hat ebenso in der Missionstätigkeit der Gemeinde<br />

ihren Platz. Dabei geschieht der verkündigende Ruf zum Glauben im Modus der<br />

werbenden Bitte, wie in 2Kor 5,19f. zu lesen ist, nicht als Forderung. Dies ist die<br />

ethische Basis der <strong>Evangelisation</strong>, sie ist werbende Bitte sich mit Gott versöhnen<br />

zu lassen.<br />

Nach der ersten biblischen Spurenlese, die das Anliegen der <strong>Evangelisation</strong><br />

deutlich macht, folgt eine engere definitorische Bestimmung des Verständnisses<br />

von <strong>Evangelisation</strong>.<br />

2.2 Definitorische Orientierung<br />

Nach dem neutestamentlichen Zeugnis lässt sich <strong>Evangelisation</strong> als Handeln<br />

(Wort und Tat) beschreiben, durch das Menschen in eine verbindliche Christusnachfolge<br />

finden und zum eigenständigen Zeugnis ermächtigt werden. 19 So formuliert<br />

es Manfred Seitz. Durch <strong>Evangelisation</strong> werden Menschen eingeladen,<br />

wie William J. Abraham beleuchtet, in das Reich Gottes einzutreten (»initiating<br />

people into the kingdom of God for the first time« 20 ). William J. Abraham führt<br />

aus, wie eine solche ›Initiation‹ aussehen kann. »To initiate someone into the<br />

kingdom of God is to admit that person into the eschatological rule of God<br />

through appropriate instruction, experiences, rites, and forms.« 21 <strong>Evangelisation</strong><br />

dreht sich nun um diesen Sachverhalt der Initiation durch Instruktionen, Erleb-<br />

19<br />

Vgl. dazu Manfred Seitz, Erneuerung der Gemeinde. Gemeindeaufbau und Spiritualität<br />

(Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1985), 43. Vgl. die engere Definition von <strong>Andreas</strong><br />

C. <strong>Jansson</strong> in diesem Buch, S. 220-1. Diese Definition will das In-Freude-Gegründet-<br />

Sein – wie es <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong> herausstellt – nicht übergehen, sondern lediglich den<br />

Schwerpunkt der Betrachtungen auf das Auftauchen aus dieser Freude legen. Vgl. <strong>David</strong><br />

<strong>Reißmann</strong>, »Was ist ›<strong>Evangelisation</strong>‹?«, 444-450.<br />

20<br />

William J. Abraham, The Logic of Evangelism (Grand Rapids: William B. Eerdmans,<br />

1989), 95.<br />

21<br />

Abraham, The Logic of Evangelism, 95.


132<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

nisse, Riten und Formen. Das heißt, es braucht gestaltete, kommunikative Formen.<br />

Dies korrespondiert mit der Definition des Missionstheologen <strong>David</strong> Bosch,<br />

der über das Ziel der <strong>Evangelisation</strong> sagt:<br />

<strong>Evangelisation</strong> [lässt sich] als die Dimension und das Handeln in der Kirche zusammenfassen,<br />

die durch Wort und Tat und im Licht der jeweiligen Bedingungen und<br />

Kontexte für jede Person und jede Gemeinschaft an jedem Ort eine Möglichkeit anbietet,<br />

direkt zu einer radikalen Neuorientierung ihres Lebens herausgefordert zu<br />

werden. [...] [Sie meint eine] Neuorientierung, die solche Dinge beinhaltet wie die Befreiung<br />

aus der Knechtschaft durch die Welt und ihre Mächte; die Annahme Christi<br />

als Retter und Herr; die Möglichkeit, ein lebendiges Mitglied seiner Gemeinschaft,<br />

der Kirche zu werden; an seinem Dienst der Versöhnung, des Friedens und der Gerechtigkeit<br />

auf der Erde beteiligt zu werden; und der Bindung an Gottes Zweck, alle<br />

Dinge unter die Herrschaft Christi zu bringen. 22<br />

Es tut der Zielrichtung der Definition keinen Abbruch, dass Bosch hier Wort und<br />

Tat gleichermaßen als Formen der <strong>Evangelisation</strong> definiert, in den hier vorgestellten<br />

Überlegungen jedoch ein starkes Gewicht auf das Wort gelegt wird. 23<br />

<strong>Evangelisation</strong> wird als ein spezielles Handeln im Anschluss an die missio Dei<br />

verstanden, im Speziellen wird <strong>Evangelisation</strong> als Glauben weckende, wesentlich<br />

verbale Verkündigung verstanden. <strong>Evangelisation</strong> hat die Absicht, dass Menschen<br />

sich zum ersten Mal oder erneut in einer vertrauensvollen Christusnachfolge<br />

wiederfinden. In der religionspsychologischen Forschung wird diese Veränderung<br />

als Konversion beschrieben. Diese hier vorgenommene definitorische<br />

Einschränkung (z.B. im Blick auf »verbal« und »Verkündigung«) soll nicht andere<br />

Formen der <strong>Evangelisation</strong> – eben jene, die nicht durch verbale Verkündigung<br />

geschehen – verneinen. Es soll aber mit dieser Eingrenzung eine Fokussierung<br />

unternommen werden, warum und in welchen Zusammenhängen begründbar<br />

ist, dass Glauben weckende verbale Verkündigung zur <strong>Evangelisation</strong> und zur<br />

Mission der Kirche gehören.<br />

Die Zielrichtung der <strong>Evangelisation</strong> ist bei <strong>David</strong> Bosch, William J. Abraham<br />

und Manfred Seitz – so unterschiedlich deren Herangehensweisen sowie theologische<br />

Disziplinen und so befremdlich auf den ersten Blick die konstruierte theologische<br />

Gemeinsamkeit zu sein scheint – gleich. 24 Mit der Absicht der Evangeli-<br />

22<br />

Übersetzt aus: <strong>David</strong> J. Bosch, Transforming Mission. Paradigm Shifts in Theology of<br />

Mission (Maryknoll, NY: Orbis Books, 1991), 494.<br />

23<br />

Der hier gewählte Schwerpunkt ist nicht prinzipieller Art, in etwa, dass geleugnet werde,<br />

dass <strong>Evangelisation</strong> durch Werke möglich sei. Die hier angestellten Überlegungen<br />

legen aber bewusst einen Schwerpunkt auf die verbale Form der <strong>Evangelisation</strong>, da dies<br />

in den gegenwärtigen deutschsprachigen Debatten so umstritten scheint.<br />

24<br />

Dieses Ziel der <strong>Evangelisation</strong> ist nicht mit dem Ziel der ›missio Dei‹ gleichzusetzen. Es<br />

soll erinnert werden, dass das Ziel der missio Dei die neue Welt, die neue Schöpfung ist,


<strong>Evangelisation</strong> in systematisch-theologischen Perspektiven 133<br />

sation ist auf Seiten der Hörenden die Hoffnung auf Resonanz verbunden, das<br />

konkrete Eintreten in das Reich Gottes nach William J. Abraham. Vergleichbar<br />

beschreibt es Matthias Clausen, er geht in seiner <strong>Evangelisation</strong>sdefinition von<br />

der erhofften Wirkung aus und macht das zu einem Kriterium von <strong>Evangelisation</strong>.<br />

25 Es entspricht der Resonanz, dass Menschen, religionspsychologisch gesprochen,<br />

eine Konversion erleben und zu einer bezeugenden Christusnachfolge<br />

kommen. 26<br />

2.3 Dogmatische Orientierung<br />

Es ist umstritten, Mission im Allgemeinen und speziell <strong>Evangelisation</strong> als Thema<br />

der Dogmatik zu behandeln. 27 Nur wenige deutschsprachige dogmatische Entwürfe<br />

besprechen etwa Mission im Allgemeinen. Auch dort, wo die Einladung<br />

zum christlichen Glauben und der Anfang des Glaubens 28 als selbstverständlich<br />

genannt werden (bei Wilfried Härle z.B. als »unverzichtbare Bezeugung der<br />

Christusoffenbarung als Wahrheit« 29 ), kommt es zu keinen konkreteren Ausführungen<br />

beziehungsweise wird ein (in Teilen sicherlich nachvollziehbarer) zuin<br />

der die Schöpfung einstimmt in das Lob an den Schöpfer. <strong>Evangelisation</strong> ist das auf die<br />

Menschen bezogene Handeln (der Kirche), das Menschen in dieser Welt in die neue<br />

Schöpfung mit hineinnimmt.<br />

25<br />

Matthias Clausen, <strong>Evangelisation</strong>, Erkenntnis und Sprache. Über-zeugend predigen unter<br />

nachmodernen Bedingungen, BEG 13 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchner Verlagsgesellschaft,<br />

2010), 2 und 34.<br />

26<br />

Religionspsychologisch kann man mit William James sagen: »Ein Mensch ›bekehrt sich‹<br />

heißt […], dass religiöse Vorstellungen, die früher in seinem Bewusstsein an der Peripherie<br />

lagen, jetzt eine zentrale Stelle einnehmen, und dass religiöse Ziele jetzt den gewohnheitsmäßigen<br />

Mittelpunkt seines persönlichen Innenlebens bilden.« Übersetzt aus: William<br />

James, The Varieties of Religious Experience. A Study in Human Nature. (London:<br />

Longman, 1929), 187.<br />

27<br />

Vgl. William J. Abraham, »Athens, Aldergate, and SMU. Reflections on the Place of<br />

Evangelism in the Theological Encyclopedia,« Journal for the Academy of Evangelism in<br />

Theological Education 40 (1990): 64–75. William J. Abraham, »A Theology of Evangelism.<br />

The Heart of the Matter,« in The Study of Evangelism. Exploring a Missional Practice of the<br />

Church, hrsg. v. Paul W. Chilcote und Laceye C. Warner (Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans,<br />

2008), 18. Hier sagt Abraham, was ebenso für unseren heutigen Kontext gültig ist: »To<br />

date, very limited attention has been given to this crucial subject. The chief reason for this<br />

is that evangelism falls between a rock and a hard place. The rock is the extraordinary<br />

silence on the part of systematic theologians on the subject of evangelism. The hard place<br />

is the inability of practical theology to reach any sustained measure of internal selfcriticism.«<br />

So umstritten das Thema an sich ist, so unumstritten ist es im innerchristlichen<br />

Dialog, wie Schlink bemerkt. Schlink, Ökumenische Dogmatik, 443.<br />

28<br />

Damit ist in weiterer Folge das Eintreten in und das Sich-Wiederfinden im Heilsraum<br />

des Glaubens gemeint.<br />

29<br />

Wilfried Härle, Dogmatik, 4. Aufl. (Berlin, New York: De Gruyter, 2012), 107.


<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

Die Aneignung des Glaubens als<br />

›Bekehrung‹ oder ›Wiedergeburt‹<br />

Eine Vertiefung<br />

Der Glaube ist ein Akt des »Sich-fallen-lassen[s] ins Getragen werden«. 1<br />

Der Glaube ist »Gottes heimliches und wunderliches Werk«. 2<br />

Der Glaube ist derjenige Grundakt unserer Existenz, in dem wir als Gottes Geschöpfe<br />

in einem reziproken Lebensverhältnis mit Gott existieren, der uns durch den Geist in<br />

seine Gemeinschaft mit Jesus Christus einbezieht und dessen Lebensstruktur unserem<br />

Leben einbildet. 3<br />

1. Einleitende Bemerkungen<br />

Besondere Beachtung soll im Folgenden dem distinkten religiösen Erleben eines<br />

Menschen bei der Glaubensaneignung geschenkt werden, die einer neuen theologischen<br />

Erwägung bedarf, um den populär-frömmigkeitsspezifischen Begriff<br />

›Bekehrung‹ oder den damit korrespondierenden neutestamentlichen Begriff<br />

›Wiedergeburt‹ verantwortbar zu gebrauchen. 4 Wenn <strong>Evangelisation</strong> als zum<br />

1<br />

Wilfried Joest, Ontologie der Person bei Luther (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,<br />

1967), 381.<br />

2<br />

Martin Luther zitiert in Otto Hof, Schriftauslegung und Rechtfertigungslehre. Aufsätze zur<br />

Theologie Luthers mit einem Geleitwort von Edmund Schlink (Karlsruhe: Evangelischer<br />

Presseverband, 1982), 273.<br />

3<br />

Ingolf U. Dalferth, »Über Einheit und Vielfalt des christlichen Glaubens. Eine Problemskizze,«<br />

in Glaube, hrsg. v. Wilfried Härle und Reiner Preul, MJTh 4 (Marburg: Elwert,<br />

1992), 130–31.<br />

4<br />

Hier folge ich der Anregung von Marco Hofheinz, der von der Diskreditierung des Begriffs<br />

durch anglo-amerikanische Einflüsse und deren Kontroverse spricht und für eine<br />

Rehabilitierung des neutestamentlichen Begriffs eintritt. Marco Hofheinz, »Wiedergeburt?<br />

Erwägungen zur dogmatischen Revision eines diskreditierten Begriffs,« ZThK 109, Nr. 1<br />

(2012): 48–69.


186<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

Glauben rufende, verbale Verkündigung verstanden wird, also als eine Einladung<br />

an Menschen mit der Absicht der Glaubensaneignung, dann steht dies in<br />

der sachlogischen Nähe zu biblischen und dogmatischen Begriffen wie ›Umkehr‹,<br />

›Bekehrung‹, ›Wiedergeburt‹, ›Rechtfertigung‹, ›Erneuerung‹ oder ganz<br />

allgemein ›Glaube‹. Man stößt auf begriffliche Variationen und die damit verbundenen<br />

Schwierigkeiten, die sich auf mehrere theologische Disziplinen erstrecken.<br />

Der Begriff ›Glaubensaneignung‹ ist eine Hilfskonstruktion, die die Komplexität<br />

der Unverfügbarkeit des Glaubens, des Handelns Gottes sowie die personale<br />

Angesprochenheit nur schwer zu vermitteln mag. Mit dem Begriff soll aber<br />

der Fokus dieses Artikels hervorgehoben werden, nämlich die bewusste personale<br />

Inanspruchnahme (das Sich-Hineingenommenwissen) des Glaubens. 5 In diesem<br />

Beitrag erfolgt damit eine Fokussierung auf einen wesentlichen Aspekt von<br />

<strong>Evangelisation</strong>, neben anderen Aspekten (z.B. Freude, Gehorsam etc.).<br />

Im Folgenden wird der Sachverhalt des Ergreifens des Glaubens mit den Begriffen<br />

›Bekehrung‹ sowie ›Wiedergeburt‹ identifiziert, weil sie in der Theologiegeschichte<br />

eine wichtige Rolle spielen, trotz einer frömmigkeitsspezifischen<br />

Färbung (seit dem 20. Jahrhundert). Damit wird aber auch an den genuin neutestamentlichen<br />

Begriffen, insbesondere ›Wiedergeburt‹ festgehalten. Beide Begriffe<br />

werden trotz ihrer Unterschiede (traditionsgeschichtlich, sprachlich, exegetisch<br />

etc.) in diesem Artikel synonym verwendet, weil damit jenes Geschehen im<br />

Menschen betont wird, wenn ein Mensch zum Glauben kommt.<br />

1.1 Biblische Orientierung<br />

Es gibt vielfältige Beschreibungen für das Aufnehmen, das Aneignen, das Ergreifen<br />

der frohen Botschaft. Grundlegend ist der Begriff πίστις (Glaube). Die urchristliche<br />

Rede von ›zum Glauben kommen‹ hat ihren Sitz im Leben in der Bewegung<br />

auf Menschen hin mit einer bestimmten Botschaft, »deren gläubige<br />

Annahme eine Beziehung zu Gott stiftet und mit den Menschen mit gleicher<br />

Erfahrung verbindet.« 6 Durch die Verkündigung, dass Jesus von den Toten auferstanden<br />

ist, kommen Menschen zu Glauben – so der ursprüngliche Sitz im Leben.<br />

7 »Es ist die sachgemäße Reaktion auf die Verkündigung der Heilsbotschaft<br />

von Jesus Christus: Kerygma und πίστις stehen im Neuen Testament in einer<br />

charakteristischen Korrelation, die für die christliche Verwendung der Rede vom<br />

5<br />

Aus Platzgründen kann an dieser Stelle nicht gesondert auf die Perspektive der Unmündigkeit<br />

eingegangen werden. Grundsätzlich sind die theologischen Überlegungen jedoch<br />

dahingehend offen und anschlussfähig.<br />

6<br />

Klaus Haacker, »Glaube II. Altes und Neues Testament«, TRE (Berlin, New York: De<br />

Gruyter, 1984), 297.<br />

7<br />

»Auch das Perfekt von πιστεύω weist auf den einmaligen Akt des Eintritts in den christlichen<br />

Glauben zurück (vgl. Act 15,5 passim).« Haacker, »Glaube,« 297.


Die Aneignung des Glaubens als ›Bekehrung‹ oder ›Wiedergeburt‹ 187<br />

Glauben prägend geworden ist.« 8 Ebenso zeigt sich eine Vielfalt an Formen, was<br />

man auszudrücken hofft, wenn die Resonanz auf diese Heilsnähe Gottes in Jesus<br />

Christus bezeichnet wird. 9 Dazu gehört etwa der Begriff ἐπιστρέφω (bekehren),<br />

der am ehesten den Tatbestand der ›Bekehrung‹ 10 beschreibt und sich vornehmlich<br />

in der Apg, im Jak und den Paulusbriefen findet (bspw. 1Thess 1,9; Gal<br />

4,9). 11 Daneben gibt der Begriff µετανοέω (umkehren) in den Evangelien die Sinnesänderung<br />

des zum Glauben gekommenen Menschen wieder. Der Schwerpunkt<br />

liegt dabei auf dem Aspekt der Bewegung, der Umkehr. 12 Der intentionelle<br />

Ruf- und Antwortcharakter auf die Botschaft vom Reich Gottes ist deutlich. 13 Man<br />

kann biblisch bezeugt von einem notwendigen Ruf 14 sowie einem Anfang des<br />

Glaubens sprechen, der die/den Glaubende/n in neue Zusammenhänge stellt. 15<br />

Es sei auf die Metapher der ›Wiedergeburt‹ hingewiesen, die im NT als Vorgang<br />

des zum Glauben Kommens und als Zustand des zum Glauben gekommenen<br />

Menschen beschreibt. Die ›Wiedergeburt‹ ist ein ›von oben‹ Geborenwerden<br />

(Joh 3,3), d.h. aus dem Geist Gottes (3,5), im Unterschied zur natürlichen Geburt<br />

›aus dem Fleisch‹ (3,6). Das Leben ›aus dem Fleisch‹ ist faktisch zugleich ein von<br />

der Sünde bestimmtes (3,19f.), es kann deshalb keinen Anteil am Reich Gottes<br />

haben (3,5). Das Leben ›aus dem Geist‹ ist dagegen das von der im Kreuz Christi<br />

offenbaren Liebe Gottes bestimmte (3,16.21). Die ›Wiedergeburt‹ ist »ein Wunder<br />

Gottes, das dem Unglauben verschlossen bleibt, im Glauben, konkret der Taufe,<br />

erfahren wird (Joh 3,5), eine neue Existenz aus dem Geist impliziert (Joh 3,8), auf<br />

endzeitliches Offenbarwerden angelegt ist (1Joh 3,1f.) und schon jetzt das Han-<br />

8<br />

Dalferth, »Über Einheit und Vielfalt,« 117.<br />

9<br />

Vgl. dazu Dalferth, »Über Einheit und Vielfalt,« 120.<br />

10<br />

Der Begriff geht auf die Übersetzung Luthers des Wortes ἐπιστρέφειν zurück. In der<br />

Vulgata wird mit convertere übersetzt.<br />

11<br />

Siehe ausführlich: Gerhard Maier, »Gottes Heilstat und die Bekehrung des Sünders im<br />

Pietismus und im Zeugnis der Schrift,« in Taufe – Wiedergeburt – Bekehrung in evangelistischer<br />

Perspektive, hrsg. v. Gerhard Maier und Gerhard Rost (Bielefeld: Missionsverlag der<br />

Evangelisch-Luthrischen Gebetsgemeinschaften, 1980), 49–52.<br />

12<br />

Seinen Ursprung hat der Begriff in einem bestimmten geschichtlichen Zusammenhang,<br />

ausgehend von der im Bundesschluss am Sinai manifestierten Erwählung Israels zum<br />

Volk Gottes und der geforderten Bewährung dieses Bundes im Halten der Gebote (Ex<br />

19,5). Zum AT-Zusammenhang siehe: Helmut Burkhardt, »Wiedergeburt und Bekehrung,«<br />

in Dem Auftrag verpflichtet. Die Gnadauer Gemeinschaftsbewegung. Prägungen, Positionen,<br />

Perspektiven, hrsg. v. Kurt Heimbucher (Gießen, Basel: Brunnen, Gnadauer, 1988), 241–<br />

42.<br />

13 Vgl. dazu Petrus in Apg 3,19 und Paulus in Apg 17,30. Sie fordern zur Umkehr auf als<br />

Antwort auf ihre Predigt.<br />

14<br />

Dies gilt in Übereinstimmung mit der von <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong> begriffsgeschichtlich herausgearbeiteten<br />

Zentralität der ›Freude‹ als Bedingung der Möglichkeit, »frohbotschaften«<br />

zu können; siehe <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong>, »Begriffsgeschichte ›<strong>Evangelisation</strong>‹,« 21-91.<br />

15<br />

Vgl. Leonhard Goppelt, Theologie des Neuen Testaments, 3. Aufl. (Göttingen: Vandenhoeck<br />

& Ruprecht, 1978), 455.


188<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

deln bestimmt (1Joh 5,1: Liebe).« 16 In der paulinischen Terminologie wird die<br />

Gotteskindschaft mit dieser neuen Schöpfung in Verbindung gebracht (Gal 4,5-7;<br />

Röm 8,14f.23). Dies zeigt sich begrifflich: ›neue Geburt‹, ›Gotteskindschaft‹,<br />

›neue Schöpfung‹. 17 Ein anderes Bild ist das des Seins in Christus, aus dem ein<br />

neues Handeln entspringt. »Von diesem ›Sein in Christus‹ wird nun gesagt, es<br />

sei eo ipso gleichbedeutend mit ›qualitativ neuer Schöpfung‹ (καινὴ κτίσις).« 18<br />

Die ›Wiedergeburt‹ wird, wie in Tit 3,5 belegt, individuell verstanden und<br />

mit der Taufe verbunden, dem ›Bad der Wiedergeburt‹.<br />

1.2 Methodisches Vorgehen<br />

In diesem Beitrag werden systematisch-theologische Zusammenhänge der Absicht<br />

der <strong>Evangelisation</strong> als dem Ruf zum Glauben und der erstmaligen oder<br />

erneuten Aneignung des Glaubens dargestellt und reflektiert. Das ist freilich nur<br />

ein Aspekt der Absicht der <strong>Evangelisation</strong> (die in verschiedene Zusammenhänge<br />

gestellt ist, z.B. das Reich Gott, die neue Schöpfung etc.), wie in der systematisch-theologischen<br />

Reflexion deutlich wurde. Wenngleich es nur ein auf den<br />

einzelnen Menschen bezogener Aspekt ist, ist er dennoch ein wichtiger. Dazu<br />

werden der populär-frömmigkeitsspezifische Begriff ›Bekehrung‹ und der neutestamentlich<br />

und dogmatisch verankerte Terminus ›Wiedergeburt‹ aufgegriffen.<br />

19<br />

16<br />

Jörg Frey, »Wiedergeburt. II. Christentum. 1. Neues Testament«, RGG (Tübingen: Mohr<br />

Siebeck, 2005), 1530.<br />

17<br />

Frey, »Wiedergeburt,« 1529. Siehe auch Martin Hailer, »Wiedergeburt. Schleiermacher<br />

und Barth zu einem Kernthema der Soteriologie,« in Karl Barth und Friedrich Schleiermacher.<br />

Zur Neubestimmung ihres Verhältnisses, hrsg. v. Matthias Gockel und Martin Leiner,<br />

1. Aufl. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015), 155.<br />

18<br />

Emmanuel L. Rehfeld, »Seinskonstitutive Christusbezogenheit. Relational-ontologische<br />

Denkstrukturen und ›In-Christus-Sein‹ bei Paulus,« in Relationale Erkenntnishorizonte in<br />

Exegese und Systematischer Theologie, hrsg. v. Walter Bührer und Raphaela J. Meyer zu<br />

Hörste-Bührer, MThSt 129 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2018), 80.<br />

19<br />

Mit Gerhard Rost kann gefolgert werden: »Die Begriffe Buße, Bekehrung und Wiedergeburt<br />

sind nicht ganz scharf abgegrenzt. Ihr Inhalt überschneidet sich teilweise [...]. So<br />

bleibt es im Grunde gleich, ob wir von Bekehrung oder Wiedergeburt reden [...]« Gerhard<br />

Rost, »Taufe, Buße und Glaube in der Heiligen Schrift und bei Martin Luther,« in Taufe –<br />

Wiedergeburt – Bekehrung in evangelistischer Perspektive, hrsg. v. Gerhard Maier und<br />

Gerhard Rost (Bielefeld: Missionsverlag der Evangelisch-Luthrischen Gebetsgemeinschaften,<br />

1980), 11–36. Für Paul Althaus sind Bekehrung und Wiedergeburt »ein und dasselbe<br />

Geschehen«. Paul Althaus, Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik, Nachdr. d. 8.<br />

Aufl. (Gütersloh: Mohn, 1972), 641.


Die Aneignung des Glaubens als ›Bekehrung‹ oder ›Wiedergeburt‹ 189<br />

Im Blick auf die enzyklopädische Verortung des Themas fällt auf, dass das<br />

Thema ›Wiedergeburt‹ vom 17. bis zum 19. Jahrhundert fester Bestandteil evangelischer<br />

Dogmatik war, jedoch im 20. Jahrhundert an Bedeutung verlor. 20<br />

Im vorliegenden Beitrag wird vorwiegend vor dem Horizont reformatorischer<br />

Lehrbildung argumentiert. 21 Eine bekenntnistheologische Perspektivierung der<br />

Themenstellung mag die Leserinnen und Leser verwundern, wo doch konfessionelle<br />

Ansätze in den gegenwärtigen Darstellungen zurücktreten und etwa der<br />

Rückgriff auf Debatten vor fünfhundert Jahren wie aus der Zeit gefallen zu sein<br />

scheint. 22 Ich meine aber, dass bei dem Aspekt der Aneignung des Glaubens und<br />

dessen subjektivem Erleben wichtige Debatten im 16. Jahrhundert geführt wurden<br />

und Klärungen und Differenzierungen erreicht wurden, die für das Verständnis<br />

von <strong>Evangelisation</strong> für die protestantischen Kirchen im deutschsprachigen<br />

Raum heute hilfreich sind. Es ist irreführend, die Fragen der<br />

<strong>Evangelisation</strong> auf ›populärwissenschaftliche‹ Debatten aus der angloamerikanischen<br />

Frömmigkeitstradition zu reduzieren (z.B. Frömmigkeitsstile,<br />

Veranstaltungsformen), wenn es genuin eigene Traditionslinien gibt, die den<br />

Verständnishorizont für <strong>Evangelisation</strong> weiten können. In der Bekenntnisbildung<br />

sind besonders in der Frage nach der Aneignung des Glaubens wichtige<br />

Klärungen erfolgt, die in gegenwärtigen Darstellungen unberücksichtigt bleiben<br />

und damit bereits erreichten Konsens (wie z.B. in der Konkordienformel) unbeleuchtet<br />

lassen. Fragen nach dem Ruf zum Glauben werden hier nicht eigens –<br />

unabhängig von der Wortverkündigung an sich – gestellt. Wenn hier auf die<br />

Debatten der Bekenntnisbildung Bezug genommen wird, dann nicht, um das<br />

Gespräch mit den gegenwärtigen kritischen Anfragen an die <strong>Evangelisation</strong><br />

durch vermeintlich normative Paukenschläge zu übertönen oder durch die Wiederholung<br />

von Lehrformeln das Gewicht der Anfragen an <strong>Evangelisation</strong> zu minimieren.<br />

Mit der Bezugnahme wird auch kein scheinbar unveränderlicher,<br />

kontextuell unabhängiger Lehrbestand aufgerufen, um das normative Kompendium<br />

für ein rechtes Verständnis von <strong>Evangelisation</strong> zu bilden. Bekenntnisschriften<br />

sollen nicht in eine ›unangreifbar-letztbegründende Höchststellung‹<br />

gehoben werden, da ihre vorranginge Aufgabe die Klärung der Schrift ist und<br />

nicht selbst zur Schrift zu werden. Knud Boysen sagt dazu:<br />

20<br />

Vgl. Friederike Nüssel, »Wiedergeburt III. Dogmatisch,« TRE (Berlin, New York, 2004),<br />

18. Vgl. dazu die Einschätzung von Wolfgang Schoberth, »Zur neuen Welt kommen. Überlegungen<br />

zur theologischen Logik der Metapher ›Wiedergeburt‹,« in Wiedergeburt, hrsg. v.<br />

Reinhard Feldmeier, BThS 25 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005), 149–64.<br />

21<br />

Auch dieser Beitrag findet sich wieder in der Debatte, die dogmatische Aussagen und<br />

praktisch-theologische Erkenntnisse zu vermitteln versucht.<br />

22<br />

Vgl. zur folgenden Argumentation das Kapitel »Bedeutung und Funktion des Bekenntnisses<br />

für die evangelischen Kirchen« in: Christine Axt-Piscalar, Was ist Theologie? Klassische<br />

Entwürfe von Paulus bis zur Gegenwart, UTB 3579 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2013),<br />

132–49.


190<br />

<strong>Patrick</strong> <strong>Todjeras</strong><br />

Darum werden die Bekenntnisschriften dogmatisch nicht da ernst genommen, wo<br />

man ihre Inhalte als normative, ein für allemal festgehaltene Lehrformen für die heutige<br />

protestantische Kirche aufzeigt, sondern da, wo man sie als Hilfsmittel und Verstehenshilfen<br />

für den Anspruch des Evangeliums an die Gegenwart der Kirche gebraucht.<br />

23<br />

In dieser Hinsicht wird hier der Versuch unternommen, den Bezug auf die bekenntnistheologischen<br />

Debatten als »Verstehenshilfe[n] für den Anspruch des<br />

Evangeliums an die Gegenwart der Kirche« zu unternehmen.<br />

Durch den Bezug auf die Bekenntnisschriften wird – wie auch Christine Axt-<br />

Piscalar feststellt – der kirchenordnende und orientierende Charakter der Bekenntnisbildung<br />

in Erinnerung gerufen und in die gegenwärtigen Fragestellungen<br />

eingetragen. In dieser Art und Weise bilden Bekenntnisse die Grundlage für<br />

die Lehre und das Leben der Kirche. 24 Wenn nun nach einer hinreichenden Klärung<br />

für die ›rechte evangelische Verkündigung‹ – in der <strong>Evangelisation</strong> ihren<br />

Ort hat – und die Verwaltung der Sakramente gesucht wird, dann empfiehlt sich<br />

ein Bezug auf die Verständigungshilfe durch die Bekenntnisse. 25 Das Bekenntnis<br />

bewahrt und beschützt das Geschehen der Kommunikation des Evangeliums,<br />

von dem Kirche lebt. »Es dient dem Vorgang, in dem Glaube entsteht, und formuliert<br />

Rahmenbedingungen, in denen sich die Kommunikation innerhalb der Kirche<br />

halten muss, damit sie Kommunikation des Evangeliums auf Glauben hin<br />

bleibt.« 26 Die Sache und das Anliegen der <strong>Evangelisation</strong> finden sich in den<br />

Grundlagen evangelischen Verständnisses kirchlicher Lehre und Lebens, wie es<br />

in der Schrift begründet ist. 27 Somit hat dieses Vorgehen auch eine apologetische<br />

23<br />

Knud Henrik Boysen, »Zwischen Essentialisierung und Marginalisierung. Beobachtungen<br />

zum Stellenwert der Dogmatik in der gegenwärtigen praktisch-theologischen Kirchentheorie,«<br />

KuD 67, Nr. 2 (2021): 129.<br />

24<br />

Vgl. Christine Axt-Piscalar, »Das lutherische Verständnis von Bekenntnis und die Frage<br />

nach einer möglichen Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung durch die lutherischen<br />

Kirchen,« KuD 57 (2011): 339. Vgl. dazu Notger Slenczka, »Die Bedeutung des<br />

Bekenntnisses für das Verständnis der Kirche und die Konstitution der Kirche in lutherischer<br />

Sicht,« in Profil – Bekenntnis – Identität. Was lutherische Kirchen prägt, hrsg. v. Klaus<br />

Grünwaldt und Udo Hahn (Hannover: Lutherisches Kirchenamt, 2003), 14. Pointiert sagt<br />

er: »Die Bekenntnisse der Reformation sind Dienstanweisungen oder, anders formuliert:<br />

Lesehilfen für Predigerinnen und Prediger.« Slenczka, »Bedeutung des Bekenntnisses,«<br />

23.<br />

25 Wie Christine Axt-Piscalar schreibt, gilt für die reformierte Tradition eine Zeitgemäßheit<br />

des Bekennens, d.h. dass sich die Bekenntnisbildung in einem Prozess einer<br />

jeweiligen Partikularkirche im Blick auf konkrete Situationen bezieht. Vgl. Axt-Piscalar,<br />

»Das lutherische Verständnis,« 341.<br />

26<br />

Slenczka, »Bedeutung des Bekenntnisses,« 23.<br />

27<br />

Die Bekenntnisse sind also »Hinführungen zum rechten Verständnis der Schrift«.<br />

Slenczka, »Bedeutung des Bekenntnisses,« 20.


Die Aneignung des Glaubens als ›Bekehrung‹ oder ›Wiedergeburt‹ 191<br />

Funktion. 28 Schließlich haben die theologischen Klärungen in Bekenntnisschriften<br />

angesichts der Kommunikation des Evangeliums in der Gegenwart eine orientierende<br />

und ordnende Funktion für das Handeln der Kirche, gerade weil<br />

<strong>Evangelisation</strong> strittig (geworden) ist und damit die Aufgabe der Kirche in Frage<br />

steht. 29<br />

2. Von der (notwendigen) personalen Aneignung des<br />

Glaubens oder Personalität des Glaubens<br />

In den vorangegangenen Betrachtungen wurde gezeigt, dass <strong>Evangelisation</strong>, als<br />

Ruf zum Glauben und als Glaubensaneignung verstanden, der Sache nach durch<br />

die verschiedenen neutestamentlichen und dogmatischen Zusammenhänge begründet<br />

ist. Im Folgenden soll auf die Aneignung des Glaubens ausführlich eingegangen<br />

werden. Die erstmalige Aneignung des Glaubens ist in den gegenwärtigen<br />

Debatten umstritten. Gründe dafür wurden summarisch im vorhergehenden<br />

Artikel angeführt. Im Folgenden geht es nicht darum, die notwendige<br />

(personale) Aneignung des Glaubens vor dem Horizont der verschiedenen Religionen<br />

oder vor dem Horizont der Transformationen der religiösen Identitätsbildung<br />

o.ä. zu diskutieren – das sind natürlich valide Ansätze, die der Diskussion<br />

und Klärungen bedürfen. Es sollen hier nicht interkulturelle Aspekte oder Aspekte<br />

der Konfessionslosigkeit (wie etwa Ansätze der Indifferenz) besprochen<br />

werden, sondern eine inner-theologische Klärung aus reformatorischer Perspektive<br />

erfolgen. Die personale Aneignung des Glaubens als ›theologische Aussage‹<br />

soll für den Geltungsbereich der Kirche in Erinnerung gerufen werden und damit<br />

als Selbstvergewisserung der Gültigkeit der Absicht der <strong>Evangelisation</strong> dienen.<br />

Diese Form der Selbstvergewisserung ist natürlich nicht davon entbunden,<br />

sich auch ›nach außen‹ hin plausibel und angemessen zu verständigen. Das soll<br />

aber hier nicht die Aufgabe sein. Mit Blick auf die Theologiegeschichte fällt auf,<br />

28<br />

Vgl. dazu den Hinweis von Johannes Greifenstein über den Zusammenhang von Dogmatik<br />

und Praxis. »Dogmatik hat ihr Praktischwerdenwollen in ein potentielles Praktischsein<br />

zu überführen, und was hierfür gleichsam schon vorab getan werden kann, lässt sich als<br />

Prävention oder Antizipation beschreiben. Mit einem etablierten Begriff gesagt, braucht<br />

es einen Verbund von Dogmatik und Apologetik.« Johannes Greifenstein, »Was ist praktische<br />

Dogmatik?,« ZThK 118, Nr. 3 (2021): 361.<br />

29<br />

Bei dem Sachverhalt der Aneignung des Glaubens werden besonders die Beiträge von<br />

Friederike Nüssel und Edmund Schlink beachtet, die die bekenntnistheologischen Zusammenhänge<br />

darlegen, die Beiträge des finnischen lutherischen Theologen Risto Ahornen,<br />

von dem lutherischen Theologen Paul Althaus, des Neutestamentlers Walter Klaiber<br />

und des systematischen Theologen Marco Hofheinz aufgegriffen, um die Begriffe ›Bekehrung‹<br />

und ›Wiedergeburt‹ sachgemäß zu gebrauchen. Diese weisen die profiliertesten<br />

systematisch-theologischen Ausführungen hinsichtlich der vorliegenden Überlegungen zu<br />

<strong>Evangelisation</strong> auf.


Wir bedanken uns für die Druckkostenzuschüsse bei dem Verein zur Förderung der<br />

Erforschung von <strong>Evangelisation</strong> und Gemeindeentwicklung (FEEG e.V.) sowie dem<br />

Institut zur Erforschung von Mission und Kirche (IMK).<br />

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten<br />

sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />

© 2024 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig<br />

Printed in Germany<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.<br />

Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne<br />

Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für<br />

Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung<br />

und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.<br />

Cover: makena plangrafik, Leipzig<br />

Satz: Sarah Herzog, Wien & <strong>David</strong> <strong>Reißmann</strong>, Halle (Saale)<br />

Druck und Binden: BELTZ Grafische Betriebe, Bad Langensalza<br />

ISBN Print 978-3-374-07514-0 // eISBN (PDF) 978-3-374-07515-7<br />

www.eva-leipzig.de

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