immobilia 2024/03 - SVIT

BAU & HAUS
FASSADENFORSCHUNG
MEHR MASCHINE
ALS FENSTER
Rund um die Fassade gibt es grosse
Fortschritte bezüglich Materialien,
Automation und Nachhaltigkeit. Dabei
lassen sich die Forscher teilweise
von anderen Disziplinen wie der Automobilindustrie,
dem Maschinenbau
oder der Biologie inspirieren.
TEXT — RINGO PEREZ GAMOTE & THOMAS WÜEST*
Adaptierbare Fassade,
am Boulvevard de
Grenelle 10 in Paris.
BILD: INASUS SL
WENIGER ENERGIEVERBRAUCH UND
BESSERES RAUMKLIMA
Zu den herkömmlichen Anforderungen an Fassaden
wie Witterungs-, Wärme- bzw. Hitzeschutz und Behaglichkeit
kamen in den letzten Jahrzehnten laufend neue
Aspekte hinzu. Dies beinhaltet unter anderem Tageslichtnutzung,
Energieproduktion, Brand- und Schallschutz,
was die Fassade zu einem Hightech-Bauteil
werden lässt. Da kommt es häufig auch zu Zielkonflikten
wie beispielsweise dem Bedürfnis nach sommerlichem
Wärmeschutz und natürlichem Tageslicht. Daher
braucht es auch vermehrt Spezialisten, die sich mit
diesen Themen auskennen: Fassadeningenieure mit
konstruktivem und gestalterischem Wissen, Materialkenntnissen,
wie sie an der HSLU Technik & Architektur
in Horw ausgebildet werden.
In den letzten Jahren hat das Interesse an adaptiven
oder intelligenten Fassaden zugenommen, da sie das Potenzial
haben, den Energieverbrauch von Gebäuden zu
reduzieren und das Raumklima zu optimieren. Bei adaptiven
Fassaden handelt sich um dynamische Bauteile,
die ihre Eigenschaften an Umgebungsbedingungen und
Nutzerbedürfnisse individuell anpassen können. Zu den
einfachsten und bekanntesten adaptiven Fassaden zählen
Verschattungssysteme, die sich dem Sonnenstand
anpassen und den solaren Energieeintrag in das Gebäude
dynamisch regulieren.
WETTER BEEINFLUSST FASSADEN-
EIGENSCHAFTEN
Dabei gibt es die unterschiedlichsten adaptiven Strategien.
Dies beginnt mit intelligenter Steuer- und Regelungstechnik,
welche nicht nur auf den Istzustand
reagiert, sondern prädiktiv anhand von Wettervorhersagen
die Fassadeneigenschaften steuert. Neben den
aktuellen Messwerten von Sonneneinstrahlung, Temperatur,
Wind oder Frische der Raumluft fliesst auch
die Prognose der Umweltbedingungen in die Optimierung
von Energieverbrauch mit ein. Die gesamte Steuerung
basiert auf einem Simulationsmodell des Gebäudes,
welches laufend neu berechnet wird, um die optimale
Steuerung zu finden.
Fassaden sind teilweise bereits mehr Maschine als
Fenster. So gibt es die Strömung der kinetischen Architektur.
Kinetische Architektur experimentiert mit
beweglichen Gebäudeteilen, etwa drehbaren Fassadenelementen
oder faltbaren Wänden. Eine kinetische
Fassade besteht meist aus vielen Einzelteilen mit unterschiedlichen
Funktionen, welche durch deren Bewegungen
für angenehme Klima- und Lichtverhältnisse sorgen
oder Windlasten auf das Gebäude reduzieren.
Wichtige Impulse kommen auch aus der Biologie: In
der Natur passt sich jedes Tier, jede Pflanze der Umgebung
an. Die Bionik analysiert, ob sich solche Fähigkeiten
auf ein künstliches System übertragen lassen. Wenn man
Effekte, die auf einer mikroskopischen Skala funktionieren,
auf eine ganze Fassade zu transferieren versucht, hat
man oft ein Skalierungsproblem, das es zu lösen gilt.
Deshalb werden laufend neue Materialen entwickelt,
die sich ausdehnen oder zusammenziehen können, je
nach den herrschenden Bedingungen. So haben Phase-
Change-Materialien (PCM) die Wärmespeicherung im
Gebäudesektor revolutioniert. In der Fassade können
beispielweise thermochrome Farben, welche ihre Färbung
aufgrund der Temperatur verändern, Heiz- und
Kühllasten regulieren. Thermochrome Verglasungen,
welche sich bei steigender Temperatur selbst verdunkeln,
sind bereits auf dem Markt.
FASSADEN SIND AUCH ENERGIE-
LIEFERANTEN
Energieerzeugung am Gebäude und in der Fassade ist
ebenfalls ein spannendes Forschungsgebiet. Während
die Akzeptanz für Photovoltaik in der Fassade stetig zunimmt,
werden auch andere Fassadeninte grationen wie
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IMMOBILIA / März 2024