Ökologische Aspekte der Gewässerentwicklung - HYDRA-Institute
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<strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Alpenrheinzuflüsse und Bäche im Rheintal<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein<br />
Projektgruppe Gewässer- und Fischökologie<br />
2004
<strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Alpenrheinzuflüsse und Bäche im Rheintal<br />
Auftrag:<br />
Autor: Peter Rey, <strong>HYDRA</strong><br />
Begleitende Arbeitsgruppe<br />
Gewässer- und Fischökologie <strong>der</strong> IRKA<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein (IRKA),<br />
Aktenplan-Nr. 8703. 05. 12<br />
Guido Ackermann, AJF St. Gallen<br />
Emanuel Banzer, TBA Liechtenstein<br />
Dietmar Buhmann, Umweltinstitut Vorarlberg<br />
Michael Eugster, AfU St. Gallen<br />
Jakob Grünenfel<strong>der</strong>, ANU Graubünden<br />
Gerhard Hutter, Umweltinstitut Vorarlberg<br />
Theodor Kindle, AfU Liechtenstein (Vorsitzen<strong>der</strong>)<br />
Stefanie Leibfried, AfU Liechtenstein<br />
Heinz Meier, TBA St.Gallen<br />
Marcel Michel, AJF Graubünden<br />
Sigurd Mönch, IRKA, (Programmbeauftragter)<br />
Walter Peyer, Amt für Raumentwicklung St.Gallen<br />
Roland Rie<strong>der</strong>er, AJF St.Gallen<br />
Hermann Wirth, Landeswasserbauamt Vorarlberg
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein (IRKA)<br />
Projektgruppe Gewässer- und Fischökologie<br />
Autor, Grafik und Gestaltung:<br />
Peter Rey, <strong>HYDRA</strong><br />
e-mail: p.rey@hydra-institute.com, Internet: www.hydra-institute.com<br />
Bezugsadresse:<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein, Programmbeauftragte<br />
Aurelia Spadin, Eichweg 2, CH–7430 Thusis, Tel. +41 / 81 / 2573234<br />
e-mail: info@alpenrhein.net, Internet: www.alpenrhein.net<br />
Projektgruppe Gewässer- und Fischökologie:<br />
Vorsitz: Theodor Kindle, Amt für Umwelt, Fürstentum Liechtenstein<br />
Städtle 38, FL-9490 Vaduz<br />
Tel. +423 / 23 66190<br />
e-mail: theodor.kindle@aus.llv.li<br />
Preis: EUR 10.– / CHF 15.–<br />
Design / Umschlag:<br />
Medienbüro Oehri & Kaiser AG, Kommunikation, PR und Design, FL–9492 Eschen
Vorwort<br />
Vorwort<br />
Übergeordnetes Ziel <strong>der</strong> Kooperationsvereinbarung (1998) <strong>der</strong> Internationalen Regierungskommission<br />
Alpenrhein (IRKA) ist eine sichere und nachhaltige Entwicklung des Alpenrheingebietes. Ein<br />
Schwerpunktbereich des Aktionsprogrammes Alpenrhein 2000 + <strong>der</strong> IRKA sieht vor, das Ökosystem<br />
Alpenrhein samt seiner Zuflüsse und Kanäle mit Blick auf ursprünglich vorhandene natürliche Zustände<br />
zu verbessern.<br />
Mo<strong>der</strong>nes Gewässermanagement denkt einzugsgebietsbezogen. In diesem Sinne behandelt das Entwicklungskonzept<br />
Alpenrhein den Alpenrhein als Teil des gesamten Flusssystems Rhein und als<br />
Hauptzufluss des Bodensees. Als Grundlage für ein integriertes Flussgebietsmanagement werden für<br />
die Alpenrheinzuflüsse eigene, auf die Bedürfnisse des Hauptflusses abgestimmte Entwicklungskonzepte<br />
erstellt. In diesen Entwicklungskonzepten müssen Fragen des Gewässerschutzes, <strong>der</strong> nachhaltigen<br />
Nutzung und des Hochwasserschutzes international abgestimmt und behandelt werden.<br />
Wie <strong>der</strong> Alpenrhein als Hauptfluss, so erstrecken sich auch dessen Zuflusssysteme oft über Län<strong>der</strong><br />
und Kantone, zumindest aber über Gemeindegrenzen. Die Zusammenarbeit aller politisch und fachlich<br />
Betroffenen o<strong>der</strong> Interessierten ist daher Voraussetzung einer erfolgreichen Maßnahmenfindung<br />
und <strong>der</strong>en Umsetzung. Dabei ist die Öffentlichkeit laufend über den Stand <strong>der</strong> Planungen, die umgesetzten<br />
Maßnahmen, <strong>der</strong>en Auswirkungen und Erfolge zu informieren. Gewässer „zu entwickeln“<br />
heißt in den meisten Fällen, ihnen insbeson<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong> mehr Raum zur Verfügung zu stellen. Gerade<br />
dieser politisch wichtige Aspekt verlangt nach einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit und Akzeptanz <strong>der</strong><br />
Bevölkerung.<br />
Einen guten ökologischen Zustand, die Hochwassersicherheit und die nachhaltige Nutzbarkeit <strong>der</strong><br />
Flussgebiete gemeinsam zu erhalten o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> herzustellen ist eine Neuausrichtung <strong>der</strong> Wasserpolitik.<br />
Sie soll zusammen mit dem Alpenrhein nun auch an seinen Zuflüssen und den an<strong>der</strong>en Bächen<br />
im Rheintal zügig umgesetzt werden.<br />
Die bisherigen menschlichen Eingriffe in das Flusssystem Alpenrhein haben zu einer massiven Beeinträchtigung<br />
<strong>der</strong> ökologischen Funktionsfähigkeit geführt. Darin liegen die <strong>der</strong>zeit noch größten,<br />
ungelösten Probleme in diesem Bereich. Vor diesem Hintergrund wurden im vorliegenden Handbuch<br />
neben den grundsätzlichen, den schutzwasserbaulichen und raumplanerischen, vor allem die ökologischen<br />
<strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> in den Vor<strong>der</strong>grund gestellt.<br />
Als <strong>der</strong>zeitiger Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> IRKA danke ich allen, die an <strong>der</strong> Entstehung dieser Handlungsanleitung<br />
beteiligt waren und empfehle <strong>der</strong>en Anwendung im Sinne <strong>der</strong> Zusammenarbeitsvereinbarung<br />
allen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Internationalen Regierungskommission Alpenrhein.<br />
Dr. Herbert Sausgruber<br />
Landeshauptmann Vorarlbergs<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Internationalen Regierungskommission Alpenrhein<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
3
4<br />
Inhalt<br />
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Karte des Alpenrhein-Einzugsgebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
1 Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
1.1 <strong>Gewässerentwicklung</strong> als Handlungserfor<strong>der</strong>nis im Alpenrheingebiet. . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
1.2 <strong>Gewässerentwicklung</strong> als integriertes Flussgebietsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
1.3 Ökonomische Relevanz <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
1.4 Flussgebietseinheiten - Systemarer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />
1.5 Anlass für eine <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />
1.6 Prioritäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
1.7 Indikatoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />
1.8 Abstimmung <strong>der</strong> Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
A1 Arbeitsmaterialien zu Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
A1.1 <strong>Ökologische</strong> Funktionsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
A1.2 Beispiele für integrietes Flussgebietsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
A1.2.1 Die EU-Wasserrahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
A1.2.2 Kooperationsvereinbarung <strong>der</strong> IRKA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />
A1.2.3 Rhein 2020-Programm zur nachhaltigen Entwicklung des Rheins . . . . . . . . . . . . 22<br />
A1.3 Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />
A1.4 Prioritätensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
A1.5 Weiterführende Begriffserläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />
2 Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
2.1 Schematischer Ablauf <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
2.2 Ökosystembausteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
2.1 Fließgewässerzonierung und Gewässertypen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
A2 Arbeitsmaterialien zu Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
A2.1 Vorüberlegungen, Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
A2.2 Ökosystembausteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
A2.3 Fließgewässerzonierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />
A2.4 Gewässertypen im Alpenrheingebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />
A2.4.1 Kategorisierung <strong>der</strong> Gewässertypen im Alpenrheingebiet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />
A2.5 Gewässerabschnitte von beson<strong>der</strong>er Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />
A2.5.1 Mündungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />
A2.5.2 Perioden (Riffle-Pool-Abfolgen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />
A2.5.3 Erosions-, Alluvionszonen (Akkumukationszonen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />
A2.5.4 Totholzstrecken, Totholzverklausungen, Sturzbäume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
A2.5.5 Laufgabelungen (mit und ihne Inselbildung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
Inhalt<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Inhalt<br />
A2.5.6 Laufverengungen / Laufweitungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
A2.5.7 Strukturen <strong>der</strong> Laufkrümmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
A2.6 Weiterführende Begriffserläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />
3 Abklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />
3.1 Ist-Zustands-Erhebung (Inventarisierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />
3.2 Referenzzustände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
3.2.1 Visionäres Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
3.2.1 Potenziell natürlicher Gewässerzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />
3.3 Indikatoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />
3.3.1 Äußerer Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />
3.4 Defizitanalyse und Entwicklungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
3.2.1 Defizitanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
3.2.2 Entwicklungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />
3.5 Rahmenbedingungen, Restriktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />
3.6 Entwicklungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63<br />
3.7 Entwicklungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />
3.8 Handlungserfor<strong>der</strong>nisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />
A3 Arbeitsmaterialien zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
A3.1 Prinzipielle Defizite, Probleme und Entwicklungsbedarf im Alpenrheingebiet . . . . . 67<br />
A3.1.1 Gewässerverschmutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
A3.1.2 Allgemeine strukturelle Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
A3.1.3 Funktionelle Entwertung <strong>der</strong> Mündungsbereiche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />
A3.1.4 Unterbrechung <strong>der</strong> Durchgängigkeit (Fließwasserkontinuum) . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />
A3.1.5 Absinken des Grundwasserspiegels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71<br />
A3.1.6 <strong>Ökologische</strong> Defizite durch Wasserkraftnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72<br />
A3.1.7 <strong>Ökologische</strong> Defizite durch Kiesbewirtschaftung und an<strong>der</strong>e Trübstoffe.. . . . . . 75<br />
A3.1.7 Erfassung <strong>der</strong> Gewässerdefizite im Alpenrheingebiet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76<br />
A3.2 Hinweise zur Istzustands-Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80<br />
A3.2.1 Bioindikatoren für Alpenrheinzuflüsse und an<strong>der</strong>e F. im Rheintal. . . . . . . . . . . . 80<br />
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84<br />
4 Maßnahmenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />
4.1 Ergänzende Abklärungen, Instrumente und Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />
4.2 Planungsorganisation, Projektierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88<br />
4.3 Maßnahmentypen und entsprechen<strong>der</strong> Raumbedarf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />
4.3.1 Raumbedarf verschiedener Fließgewässer-Lauftypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />
4.3.2 Pendelband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />
4.3.3 Gewässerrandflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92<br />
4.4 Varianten und Variantenentscheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />
4.4.1 Erstellung und Auswahl von Planungsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />
4.4.2 Konfliktpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.5 Räumlich-zeitliche Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.5.1 Projektperimeter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.5.2 Baulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.5.3 Zeitplan (Meilensteinplan). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
5
6<br />
4.6 Grenzen <strong>der</strong> Eigendynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.6.1 Diskussionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
4.6.2 Interventionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
4.7 Erstellung <strong>der</strong> Situationspläne, GIS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
4.7.1 Übersichts- und Situationspläne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
4.7.2 Einsatz eines GIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
4.8 Öffentlichkeitsarbeit und Visualisierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />
4.8.1 Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />
4.8.2 Visualisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />
A4 Arbeitsmaterialien zu Kapitel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />
A4.1 <strong>Ökologische</strong> Prinzipien <strong>der</strong> Maßnahmenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />
A4.1.1 Prinzipien <strong>der</strong> Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />
A4.1.2 Prinzipien <strong>der</strong> Systemaufwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103<br />
A4.1.3 Betrachtungsebenen bei <strong>der</strong> Maßnahmenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108<br />
5 Maßnahmenumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111<br />
5.1 Maßnahmentypen zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Eigendynamik von Fließgewässern . . . . . . . . . . . 111<br />
5.1.1 Gerinneaufweitungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111<br />
5.1.2 Geschiebemobilisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113<br />
5.2 Gestaltende Maßnahmentypen, Ersatzmaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />
5.2.1 Erhöhung <strong>der</strong> Gerinnebreiten- und Tiefenvariabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />
5.2.2 Sicherungsbauwerke als Elemente <strong>der</strong> ökologischen Aufwertung . . . . . . . . . . . . . 116<br />
5.2.3 Lebendverbau, Bestockung, Erhaltung wertvoller Vegetationselemente . . . . . . . . 119<br />
5.2.4 Fischaufstiegshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122<br />
5.2.5 Totholzeintrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124<br />
5.2.6 Wie<strong>der</strong>bewässerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125<br />
5.2.7 Bestandesbergungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126<br />
5.3 <strong>Ökologische</strong> Baubegleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126<br />
5.3.1 Stellenwert und Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126<br />
5.3.2 Aufgaben <strong>der</strong> ökologischen Baubegleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126<br />
5.4 <strong>Ökologische</strong> Erfolgskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129<br />
5.4.1 Ist-Zustands-Erhebung nach Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129<br />
5.4.2 Monitoring <strong>der</strong> ökologischen <strong>Gewässerentwicklung</strong>. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129<br />
A5 Arbeitsmaterialien zu Kapitel 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
A5.1 <strong>Ökologische</strong> Prinzipien bei <strong>der</strong> Maßnahmenumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
A5.1.1 Verhältnismäßigkeit wasserbaulicher Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
A5.1.2 Verwendung gewässertypischer Materialien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
A5.1.3 Modifikation gegenüber <strong>der</strong> Maßnahmenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />
A5.2 Fotografische Visualisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />
Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133<br />
Beilagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137<br />
Beispiele für die Dokumentation und Archivierung von Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138<br />
Stand <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>smaßnahmen im Alpenrheintal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142<br />
Inhalt<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Vorbemerkung<br />
Vorbemerkung<br />
Zielsetzung<br />
Mit dem vorliegenden Handbuch stellt die IRKA eine Sammlung wichtiger Grundlagen für die Planung<br />
und Durchführung von <strong>Gewässerentwicklung</strong>smaßnahmen an Alpenrheinzuflüssen und an<strong>der</strong>en<br />
Fließgewässern im Alpenrheintal vor. Im Vor<strong>der</strong>grund stehen die ökologischen Gesichtspunkte,<br />
doch werden auch schutzwasserbauliche und raumplanerische Ziele berücksichtigt. Gemeinsam sollen<br />
sie einen Beitrag zu einem integrierten Flussgebietsmanagement leisten. Das Handbuch versteht sich<br />
als Informationssammlung und “Checkliste” für eine systematische Herangehensweise an die wichtigsten<br />
ökologischen Inhalte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung, beginnend mit den ersten Vorüberlegungen<br />
bis hin zur Erfolgskontrolle umgesetzter Maßnahmen. Die meisten hier aufgeführten Beurteilungs-,<br />
Planungs- und Umsetzungsvorschläge lassen dem Nutzer jedoch einen Handlungsspielraum.<br />
Damit wird <strong>der</strong> Tatsache Rechnung getragen, dass Fließgewässer stets individuelle Objekte sind, die<br />
auf <strong>der</strong> Basis allgemeiner Prinzipien auch jedes für sich betrachtet und entwickelt werden müssen.<br />
Aufbau des Handbuchs<br />
In <strong>der</strong> Arbeit werden zunächst die grundsätzlichen <strong>Aspekte</strong> (Kap. 1) sowie die Ebenen und Schritte<br />
<strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> (Kap. 2) vorgestellt. Diese beiden Kapitel sind mit einer grauen Randleiste<br />
versehen. Der folgende gelbe Teil (Kap. 3) behandelt den Komplex <strong>der</strong> Abklärungen. Im roten Teil<br />
(Kap. 4) wird die Maßnahmenplanung beschrieben und im blauen Teil die Umsetzung <strong>der</strong> Maßnahmen<br />
und die Erfolgskontrolle (Kap. 5).<br />
Das Handbuch enthält keine Arbeitsvorlagen zur Bestimmung des Ist-Zustands (beispielhafte Protokolle,<br />
Arbeitshilfen und Facharbeiten). Dieses Feld ist bereits durch umfangreiche Literatur abgedeckt.<br />
Maßgebliche Quellen und weiterführende Arbeiten sind im Literaturanhang aufgeführt.<br />
Das Handbuch ist auf dem Kenntnisstand des Jahres 2003 verfasst. Neue Entwicklungen und Rechtsgrundlagen<br />
müssen daher in Zukunft stets berücksichtigt werden.<br />
Peter Rey<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
7
8<br />
4<br />
Karte des Alpenrhein- Einzugsbebiets<br />
1 Alpenrhein 36 Ehbach<br />
2 Vor<strong>der</strong>rhein 37 Alter Rhein<br />
3 Hinterrhein<br />
4 Medelserrhein<br />
38 Alter Rhein /<br />
Hohenemser Kurve<br />
St. Gallen<br />
5 Somvixerrhein 39 Koblacher Kanal /<br />
6 Ferrerabach<br />
Rheintal-Binnenkanal V<br />
7 Tscharbach 40 Dornbirnerach<br />
8 Frisalbach 41 Schwarzach<br />
9 Valserrhein 42 Bregenzerach<br />
10 Glogn<br />
43 Rotach<br />
11 Rabiosa<br />
44 Weissach<br />
12 Flemsbach 45 Bolgenach<br />
13 Averserrhein<br />
14 Albula<br />
15 Julia<br />
16 Landwasser<br />
17 Flüelabach<br />
18 Dischmabach<br />
19 Sertigbach<br />
20 Tuorsbach<br />
21 Plessur<br />
22 Landquart<br />
46 Subersach<br />
23 Tamina<br />
24 Saarkanal<br />
25 Liechtensteiner Binnenkanal<br />
26 Esche<br />
27 Werdenberger Binnenkanal<br />
28 Rheintaler Binnenkanal SG<br />
29 Spirsbach<br />
30 Ill<br />
31 Samina<br />
32 Meng<br />
33 Lutz<br />
Sargans<br />
34 Alfenz<br />
35 Frutz<br />
12 Reichenau<br />
2<br />
6<br />
Disentis<br />
5<br />
8<br />
Ilanz<br />
Vals<br />
Splügen<br />
Das Gewässernetz des Alpenrheins.<br />
Blau: Alpenrheinzuflüsse und Bäche im Talgrund<br />
(Basismaßstab 1:50 000);<br />
grün: Einzugsgebiet <strong>der</strong> Alpenrheinzuflüsse<br />
(Basismaßstab 1:200 000)<br />
7<br />
10<br />
9<br />
11<br />
3<br />
Thusis<br />
3<br />
37<br />
Rorschach<br />
27<br />
24<br />
23<br />
Vaduz<br />
1<br />
Lindau<br />
Feldkirch<br />
Landquart<br />
Chur<br />
21<br />
Inner- Ferrera<br />
13<br />
25<br />
14<br />
29<br />
26<br />
31<br />
28<br />
Arosa<br />
Lenzerheide<br />
Rankweil<br />
Tiefencastel<br />
15<br />
39<br />
35<br />
36<br />
38<br />
32<br />
30<br />
43<br />
Bregenz<br />
44<br />
42<br />
41<br />
Dornbirn<br />
40<br />
22<br />
16<br />
14<br />
33<br />
Bludenz<br />
20<br />
30 Km<br />
42<br />
Schruns<br />
17<br />
Davos<br />
45<br />
46<br />
34<br />
30<br />
Klosters<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein<br />
19<br />
18
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
1 Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Fließgewässer und ihre Auen stellen ein komplexes Wirkungsgefüge dar und bilden ein zusammenhängendes<br />
Netz von Lebensräumen und den sie nutzenden Lebensgemeinschaften. Dieser Biotopverbund<br />
bedeckt und durchdringt die gesamte Landschaft und bezieht damit auch die dazwischen liegenden<br />
terrestrischen Lebensräume und kleinere Stillgewässer mit ein. Die Biozönosen sind nur ein<br />
Kompartiment des gesamten Ökosystems Fließgewässer. Weitere Kompartimente o<strong>der</strong> Ökosystembausteine<br />
(Kap 2.2) sind die Morphologie (Ökomorphologie, Strukturökologie) und die davon abhängige<br />
Vernetzung <strong>der</strong> Landschaftselemente (z.B. Gewässer – Aue – Vernetzung, Fließwasserkontinuum),<br />
<strong>der</strong> qualitative und quantitative Zustand des Wasserkörpers (Wasserqualität und Wasserhaushalt)<br />
sowie <strong>der</strong> Stoffhaushalt (Massetransport). Funktionelle Defizite in einem dieser Kompartimente<br />
haben immer mehr o<strong>der</strong> weniger große Auswirkungen auf die an<strong>der</strong>en und damit letztlich auf das gesamte<br />
System.<br />
1.1 <strong>Gewässerentwicklung</strong> als Handlungserfor<strong>der</strong>nis im Alpenrheingebiet<br />
Auf Grund <strong>der</strong> schutzwasserbaulichen Eingriffe seit <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts und <strong>der</strong><br />
Einflüsse des dynamischen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums knapp hun<strong>der</strong>t Jahre später ist<br />
heute ein Großteil <strong>der</strong> Gewässer im Alpenrheingebiet in ihrer ökologischen Funktionsfähigkeit (Kap.<br />
A1.1) massiv beeinträchtigt. Fließgewässer im Alpenrheintal wie auch im ganzen Einzugsgebiet mangelt<br />
es vor allem an struktureller Vielfalt und entsprechendem Lebensraumangebot für ursprüngliche<br />
Tier- und Pflanzengesellschaften. Einige an Gewässer und Feuchtgebiete gebundene Arten sind akut<br />
vom Aussterben bedroht o<strong>der</strong> verschwunden. Auch ist die heutige Struktur <strong>der</strong> Fließgewässersysteme<br />
wesentlich für den Ablauf von Hochwasserereignissen<br />
im Rheintal verantwortlich.<br />
Defizitärer Zustand<br />
Fehlende Struktur bedeutet darüber hinaus<br />
auch Verlust an Selbstreinigungskraft<br />
<strong>der</strong> Gewässer und stört das Bild und den<br />
Erholungswert <strong>der</strong> Landschaft. Schmutz<br />
Revitalisierung<br />
und Schadstoffe werden nicht mehr ausge-<br />
Erhaltung und/o<strong>der</strong><br />
aktive Wie<strong>der</strong>herstellung<br />
filtert, Nährstoffe nicht mehr gebunden.<br />
ökologischer Funktionsfähigkeit<br />
Dieses Defizit hält an, auch wenn wesentliche<br />
Probleme <strong>der</strong> Abwasserentsorgung<br />
bereits gelöst sind.<br />
(ökologische Funktionsfähigkeit ist beeinträchtigt o<strong>der</strong> durch Maßnahme gefährdet)<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Angestrebter Zustand<br />
Reifung des Systems<br />
Eigenstrukturierungen<br />
Sukzessionen<br />
relative Stabilisierungen<br />
Alterung<br />
System ist nachhaltig ökologisch funktionsfähig<br />
Abb. 1-1:<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong> als Impuls für natürliche Prozesse<br />
zur Wie<strong>der</strong>herstellung ökologischer Funktionsfähigkeit<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
1.2 <strong>Gewässerentwicklung</strong> als integriertes<br />
Flussgebietsmanagement<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong> gewinnt zunehmend<br />
an Bedeutung in <strong>der</strong> europäischen<br />
Umweltpolitik. In Österreich sind Gewässerbetreuungskonzepte<br />
Bestandteil <strong>der</strong><br />
Richtlinien für die Bundeswasserbauverwaltung<br />
und dienen schon seit 1994 zur<br />
Prioritätensetzung und För<strong>der</strong>ung gleichermaßen<br />
schutzwasserbaulicher als auch<br />
gewässerökologischer Ziele. Mit <strong>der</strong> seit<br />
Juli 2000 geltenden EU-Wasserrahmenrichtlinie<br />
(Kap. A1.2.1) wurde dafür nun<br />
auch die internationale Basis gelegt.<br />
9
10<br />
Gleichzeitig wurden in <strong>der</strong> Schweiz Konzepte erarbeitet, die ebenfalls eine zielgerichtete, prozessorientierte<br />
Planung unter Beteiligung aller relevanten Fachgebiete för<strong>der</strong>n und ermöglichen (z.B. VSA-<br />
Richtlinie). Der Begriff <strong>der</strong> “ökologischen <strong>Gewässerentwicklung</strong>” steht dabei synonym für eine vom<br />
Menschen angestoßene Verbesserung <strong>der</strong> ökologischen Funktionsfähigkeit von Gewässern unter Berücksichtigung<br />
schutzwasserbaulicher und raumplanerischer Vorgaben. Betrachtet man <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
als Prozess (Abb. 1-1), so wird deutlich, dass nicht alle angestrebten Verän<strong>der</strong>ungen aktiv<br />
beeinflusst werden können. <strong>Gewässerentwicklung</strong> ist dann beson<strong>der</strong>s effizient und nachhaltig, wenn<br />
nicht versucht wird, einen Zielzustand in einem einzigen Schritt herbeizuführen, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />
dem System einen entscheidenden Impuls zur natürlichen Eigendynamik und Reifung verleiht.<br />
Hochwasserschutz<br />
Raumplanung<br />
Gewässerschutz<br />
Gewässerökologische Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
Gewässer -<br />
entwicklung<br />
Abb. 1-2:<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong> als integriertes Flussgebietsmanagement<br />
aller zuständigen Verantwortungsträger und Interessensgruppen.<br />
Grün sind die im Handbuch zentral behandelten<br />
gewässerökologischen <strong>Aspekte</strong>.<br />
Nutzungsansprüche<br />
Gewässernutzung<br />
Schutzwasserrbauliche Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung ist eine<br />
nachvollziehbar begründete, durchgehende<br />
und fachliche Leitlinie für die Behandlung<br />
<strong>der</strong> Gewässersysteme unter o.g. Gesichtspunkten.<br />
Sie ist damit einer Planung wasserbaulicher<br />
und gewässerpflegerischer Einzelmaßnahmen<br />
überzuordnen. Die Notwendigkeit<br />
einer nachhaltigen <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
für das Alpenrheingebiet im Konsens zwischen<br />
ökologischen, schutzwasserbaulichen<br />
und raumplanerischen Anfor<strong>der</strong>ungen ist aus<br />
diesen Ausführungen klar ersichtlich. Damit<br />
ist sie als integriertes Flussgebietsmanagement<br />
im Umgang mit den Gewässern anzusehen.<br />
Verantwortungsträger <strong>der</strong> Fachgebiete<br />
Schutzwasserwirtschaft, Gewässerschutz<br />
und Raumplanung sowie alle Nutzergruppen<br />
im und am Gewässer sind - je nach Objekt -<br />
in unterschiedlichem Maße an <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
beteiligt (Abb. 1-2).<br />
Die aktuellen Rechtsgrundlagen aller Alpenrheinanlieger<br />
(Kap. A1.3) lassen keinen<br />
Zweifel bezüglich <strong>der</strong> zentralen For<strong>der</strong>ung,<br />
im Rahmen jeglicher Maßnahmen im Bereich<br />
von Gewässern <strong>der</strong>en ökologische Funktionsfähigkeit<br />
zu erhalten bzw. wie<strong>der</strong> her-<br />
zustellen. Die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung ist ein starkes Handlungsinstrument, das positive Auswirkungen<br />
auf ganze Gewässersysteme zeigt. Punktuelle Verbesserungsmaßnahmen beinhalten dagegen<br />
nur mehr o<strong>der</strong> weniger große Teile <strong>der</strong> für den Gewässer- und Artenschutz benötigten planerischen<br />
Inhalte.<br />
Revitalisierungen (Maßnahmen zur Wie<strong>der</strong>belebung verloren gegangener ökologischer Funktionsfähigkeit)<br />
sind zweifellos die entscheidenden Werkzeuge des Gewässer- und Landschaftsschutzes, wenn<br />
es darum geht, Impulse für eine nachhaltige <strong>Gewässerentwicklung</strong> zu setzen.<br />
Natürliche Gewässersysteme unterliegen in beson<strong>der</strong>em Maße einer Eigendynamik und Reifung.<br />
Ökologisch funktionieren sie stets besser als vom Menschen beeinflusste Systeme, weil sie genügend<br />
Raum und Zeit zur Verfügung haben, sich selbst zu strukturieren und sukzessive besiedeln zu lassen.<br />
Ihre charakteristische ökologische Funktionsfähigkeit bleibt auch dann erhalten, wenn sich die dynamische<br />
Reifung in einer Alterung verlangsamt (z.B. Entwicklung von Mooren, Auenlehmbildung).<br />
Die natürlicherweise ablaufenden biotischen und abiotischen Vorgänge sind dabei sehr unterschiedlich<br />
und spezifisch, je nachdem, wo sich dieses Gewässersystem befindet, wie groß es ist und aus wel-<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
chen Gewässertypen es sich zusammensetzt. Diese Spezifität eines Gewässersystems kann im Rahmen<br />
von <strong>Gewässerentwicklung</strong>smaßnahmen niemals konstruiert werden.<br />
Impulse, die <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> durch geeignete Revitalisierungen gegeben werden, lassen sich<br />
am ehesten mit einer erfolgreichen medizinischen Behandlung vergleichen (Abb. 1-3). Revitalisierungen<br />
sind dabei nichts an<strong>der</strong>es als Therapien, die an einem kranken Organ (Gewässerabschnitt)<br />
durchgeführt werden und bei denen die individuellen Beson<strong>der</strong>heiten des jeweiligen Objektes Bach,<br />
Fluss o<strong>der</strong> See Berücksichtigung finden. Wie bei <strong>der</strong> medizinischen Behandlung muss man darauf achten,<br />
dass eine lokale therapeutische Maßnahme sich möglichst positiv auf den gesamten Organismus<br />
auswirkt (ganzheitlicher, systemarer Ansatz, Kap. 1.4 und S. 33).<br />
Medizinische Behandlung <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Patient<br />
Organ<br />
Anamnese<br />
Diagnose<br />
Behandlungsziel<br />
(anzustreben<strong>der</strong> Zustand)<br />
Therapie<br />
spezifisch<br />
ganzheitlich<br />
Gesundheit<br />
(angestrebter Zustand)<br />
gesunde Alterung<br />
Gewässersystem<br />
Gewässer<br />
Inventarisierung<br />
(Bestandsaufnahme)<br />
Defizitanalyse<br />
Entwicklungsziel<br />
(anzustreben<strong>der</strong> Zustand)<br />
Entwicklungsmaßnahme<br />
punktuell<br />
systembezogen<br />
1.3 Ökonomische Relevanz <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Koordinierte und problembezogene <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung kann zeitraubende Arbeiten im<br />
Rahmen an<strong>der</strong>er Abklärungen überflüssig machen. An Objekten, für die ein <strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzept<br />
vorliegt, können Gel<strong>der</strong> für wissenschaftliche Abklärungen gezielter eingesetzt werden als im<br />
Rahmen unzusammenhängen<strong>der</strong> Fragestellungen (vgl. Kap. 1.6, Prioritäten):<br />
■ Erfasst werden müssen nur für die <strong>Gewässerentwicklung</strong> als notwendig erachtete Inhalte auf<br />
einem entsprechenden Niveau;<br />
■ die Durchführung <strong>der</strong> Ist-Zustands-Erhebung kann von einer o<strong>der</strong> wenigen Stellen aus gelenkt<br />
werden;<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
ökologische Funktionsfähigkeit<br />
(angestrebter Zustand)<br />
nachhaltige Reifung<br />
Abb. 1-3:<br />
Analogie zwischen medizinischer Behandlung und <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Impuls<br />
(Revitalisierung)<br />
Eigendynamik und<br />
Reifung<br />
11
12<br />
■ darüber hinaus gehende, detaillierte und damit auch kostspielige Abklärungen müssen nur dann<br />
vorgenommen werden, wenn sie in hohem Maße von wissenschaftlichem Interesse (z.B. geologischen/<br />
geografischen Beson<strong>der</strong>heiten, Vorhandensein gefährdeter Arten etc.) o<strong>der</strong> von aktueller umweltpolitischer<br />
Brisanz (z.B. Neozoenproblematik, fischereiliche Probleme etc.) sind; Gel<strong>der</strong> für Abklärungen<br />
von rein wissenschaftlichem Interesse können aus <strong>der</strong> Budgetierung <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
herausgenommen werden;<br />
■ die Recherche und Berücksichtigung bereits vorhandener Inventare im Rahmen <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
verhin<strong>der</strong>t Redundanz bei <strong>der</strong> Zustandsbewertung (Defizitanalyse).<br />
1.4 Flussgebietseinheiten - Systemarer Ansatz<br />
Analog zu <strong>der</strong> in <strong>der</strong> EU-Wasserrahmenrichtlinien verwendeten Einteilung ist auch für das Alpenrheingebiet<br />
in kleinerem Maßstab eine Bearbeitung <strong>der</strong> Gewässer nach Flussgebietseinheiten, also mit<br />
einem Systemaren Ansatz (vgl. S. 33 unten) zielführend (Abb. 1-4). Einige dieser Einheiten sind län<strong>der</strong>-<br />
bzw. kantonsübergreifend; die Planung muss hier über Verwaltungsgrenzen hinweg koordiniert<br />
werden. Ein beson<strong>der</strong>er Stellenwert in diesem Kontext kommt dem Alpenrhein selbst als Hauptgewässer<br />
des Systems zu. Das für ihn erstellte “Entwicklungskonzept Alpenrhein” hat sowohl systemintegrativen<br />
als auch in beson<strong>der</strong>em Maße koordinativen Charakter. Es ist daher als Herzstück<br />
aller <strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzepte im Alpenrheingebiet zu betrachten. Alle an<strong>der</strong>en Planungen<br />
müssen auf dessen Zielsetzungen hin abgestimmt sein, werden aber auch ihrerseits die Entwicklung<br />
am Alpenrhein beeinflussen.<br />
Ob und inwieweit in ein Gewässersystem in Form einer Revitalisierung o<strong>der</strong> durch an<strong>der</strong>e Masnahmen<br />
<strong>der</strong> Sanierung eingegriffen werden kann, hängt davon ab, wie weit sich das System vom natürlich<br />
funktionierenden Zustand entfernt hat (Grad <strong>der</strong> ökologischen Funktionsfähigkeit) und welche<br />
begrenzenden Rahmenbedingungen (Restriktionen, Kap. 3.5) eine Rückführung in einen natürlich<br />
funktionierenden Zustand verhin<strong>der</strong>n. Der entscheidende Begriff bei dieser Frage ist das Entwicklungspotenzial<br />
(Kap. 3.6). <strong>Gewässerentwicklung</strong> kann immer nur innerhalb verän<strong>der</strong>barer Komponenten<br />
eines Systems ablaufen. Die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung muss diesen Aspekt stets berücksichtigen,<br />
damit ein realistischer Zielzustand angestrebt werden kann.<br />
1.5 Anlass für eine <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Es ist nur selten möglich, alle Schritte einer systematisch aufeinan<strong>der</strong> aufbauenden <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
(vgl. Kap. 2) vollständig und in <strong>der</strong> idealen zeitlichen Abfolge durchzuführen. Es<br />
kommt vielmehr darauf an, was <strong>der</strong> Anlass für allfällige Eingriffe in die Gewässer ist.<br />
Es gibt zumindest drei prinzipielle Szenarien, die – jede für sich – eine zielgerichtete <strong>Gewässerentwicklung</strong>planung<br />
nötig machen können:<br />
1. Am Gewässer o<strong>der</strong> in Gewässernähe ist eine bauliche Maßnahme nötig/geplant. Dabei kann es sich<br />
sowohl um schutzwasserbauliche, siedlungswassertechnische als auch raumplanerische Maßnahmen<br />
handeln. Aber auch bei <strong>der</strong> Bebauung und Nutzung des Gewässerumlandes und <strong>der</strong> Gewässerrandstreifen<br />
entsteht Schutz- und Entwicklungsbedarf für das jeweils benachbarte Gewässer.<br />
2. Ein <strong>Gewässerentwicklung</strong>splan wird als Element eines bereits bestehenden <strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogrammes<br />
(Kap. A1.2.1) o<strong>der</strong> vergleichbarer Instrumente des integrierten Flussgebietsmanagements<br />
durchgeführt.<br />
3. Ein neues <strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzept (Kap. A1.2.1) wird auf Grund auffälliger ökologischer<br />
Defizite und damit aus einem ausschließlich ökologischen Entwicklungsbedarf heraus erstellt.<br />
Je nach dem, welcher <strong>der</strong> hier aufgeführten Punkte eine <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung initiiert,<br />
können zeitliche und räumliche Prioritäten gesetzt werden (Kap. 1.6). Im Alpenrheingebiet werden<br />
diese von <strong>der</strong> internationalen Koordination mitbestimmt.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
1 Alpenrhein<br />
2 Vor<strong>der</strong>rhein<br />
3 Hinterrhein<br />
4 Medelserrhein<br />
5 Somvixerrhein<br />
6 Ferrerabach<br />
7 Tscharbach<br />
8 Frisalbach<br />
9 Valserrhein<br />
10 Glogn<br />
11 Rabiosa<br />
12 Flemsbach<br />
13 Averserrhein<br />
14 Albula<br />
15 Julia<br />
16 Landwasser<br />
17 Flüelabach<br />
18 Dischmabach<br />
19 Sertigbach<br />
20 Tuorsbach<br />
21 Plessur<br />
22 Landquart<br />
23 Tamina<br />
23b Saarkanal<br />
24 Liechtensteiner Binnenkanal<br />
25 Esche<br />
26 Werdenberger Binnenkanal<br />
27 Rheintaler Binnenkanal SG<br />
28 Spirsbach<br />
29 Ill<br />
30 Samina<br />
31 Meng<br />
32 Lutz<br />
33 Alfenz<br />
34 Frutz<br />
35 Ehbach<br />
36 Alter Rhein<br />
37 Alter Rhein / Hohenemser Kurve<br />
38 Koblacher Kanal / Rheintal-Binnenkanal<br />
39 Dornbirnerach<br />
40 Schwarzach<br />
41 Bregenzerach<br />
42 Rotach<br />
43 Weissach<br />
44 Bolgenach<br />
45 Subersach<br />
2<br />
4<br />
Tessin<br />
6<br />
5<br />
Staatsgrenze<br />
Kantons- /<br />
Län<strong>der</strong>grenze<br />
8<br />
7<br />
N<br />
a<br />
10<br />
h<br />
e<br />
n<br />
b<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
9<br />
St. Gallen<br />
12<br />
Appenzell<br />
Italien<br />
g<br />
f<br />
Vaduz<br />
Graubünden<br />
3<br />
11<br />
23b<br />
13<br />
23<br />
26<br />
14<br />
24<br />
28<br />
25<br />
1<br />
36<br />
27<br />
35<br />
c<br />
k<br />
30<br />
1<br />
Chur<br />
15<br />
37<br />
21<br />
38 39<br />
l m<br />
j<br />
34<br />
31<br />
22<br />
16<br />
29<br />
d<br />
Bregenz<br />
i<br />
o<br />
Vorarlberg<br />
Liechtenstein<br />
14<br />
41<br />
40<br />
20<br />
19<br />
42<br />
43<br />
32<br />
18<br />
45<br />
33<br />
17<br />
44<br />
40<br />
29<br />
40<br />
Flussgebietseinheiten<br />
Alpenrhein<br />
direkte Zuflüsse:<br />
a = Vor<strong>der</strong>rhein<br />
b = Hinterrhein<br />
c = Plessur<br />
d = Landquart<br />
e = Tamina/Saarebene<br />
f = Binnenkanal FL<br />
g = Spiersbach<br />
h = Werdenberger BK<br />
i = Ill<br />
j = Frutz<br />
k = Ehbach<br />
Bodenseezuflüsse:<br />
l = Vorarlberger BK<br />
m = Dornbirnerach<br />
n = Rheintaler BK<br />
o = Bregenzerach<br />
Abb. 1-4:<br />
Bisherige Aufglie<strong>der</strong>ung des Alpenrhein-Einzugsgebietes und des südöstlichen Bodensee-Einzugsgebietes in Flussgebietseinheiten.<br />
Im Rahmen von <strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzepten größerer Flussgebiete (z.B. Ill, Vor<strong>der</strong>- und Hinterrhein) wird<br />
dort eine weitere Differenzierung erfolgen.<br />
13
14<br />
1.6 Prioritäten<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Die Bestimmung von Prioritäten für Programme und Maßnahmen steht in unserer heutigen Gesellschaft<br />
vor dem Hintergrund eines Konsenses zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz <strong>der</strong> Lebensgrundlagen<br />
(Nachhaltigkeitsprinzip). Dies schlägt sich sowohl in den Zweckartikeln nationaler<br />
Gesetzgebung als auch in internationalen Konventionen (z.B. Rio-Konvention) und Richtlinien (z.B.<br />
EU-Wasserrahmenrichtlinie) nie<strong>der</strong>.<br />
Dieser Konsens bedeutet für die <strong>Gewässerentwicklung</strong>, dass eine Gewichtung ökologischer, ökonomischer<br />
und sozialer Ziele erfolgen muss. Diese kann übergeordnerter Art sein und sich in einem<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogramm nie<strong>der</strong>schlagen. In diesem Fall bestimmt eine Prioritätensetzung die<br />
Auswahl <strong>der</strong> für eine weitere Bearbeitung vorgesehenen Objekte (z.B. Flussgebietseinheiten). Prioritätensetzung<br />
kann aber auch objektbezogen erfolgen, um den Umfang und die Qualität einzelner<br />
Maßnahmen zu bestimmen. Dieser Schritt hängt dabei eng mit <strong>der</strong> Erfassung von Restriktionen (einschränkenden<br />
Rahmenbedingungen) und <strong>der</strong> Bestimmung von Entwicklungspotenzialen zusammen.<br />
Ausgehend von dieser Prämisse lässt sich genereller und spezifischer Konsens auf <strong>der</strong> Basis unterschiedlicher<br />
Prioritätenstufen finden (Tab. 1-1). Die jeweiligen Ziele können gegeneinan<strong>der</strong> gewichtet<br />
und mit dem Systemzustand zu einer Matrix verbunden werden (Kap. A1.4). Diese Gewichtung wird<br />
in zwei Konkretisierungsstufen <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> vorgenommen. Sie erfolgt zunächst, um die<br />
Notwendigkeit einer Maßnahme zu verdeutlichen. Nach <strong>der</strong> Inventarisierung (Kap. 3.1) führen die<br />
anhand von Indikatoren (Kap. 1.7) ermittelten Defizite und <strong>der</strong> daraus abgeleitete Entwicklungsbedarf<br />
(Kap. 3.2.2) noch einmal zu einer Modifikation und Konkretisierung <strong>der</strong> Schwerpunkte.<br />
Interessensgruppen<br />
oberste<br />
Priorität<br />
2. Priorität<br />
3. Priorität<br />
UMWELT<br />
"ökologische" Ziele<br />
und Werte<br />
Natur-/Gewässerschutz<br />
Gesundheit <strong>der</strong> Biozönosen<br />
Prioritäten<br />
WIRTSCHAFT<br />
ökonomische Ziele<br />
und Werte<br />
Wasserversorgung<br />
Trinkwasser/Brauchwasser<br />
Wasserqualität Schadensminimierung<br />
Naturnähe<br />
Struktur und Abfluss<br />
Lebensraumqualität<br />
Gewässer- und<br />
Raumnutzung,<br />
Energie<br />
(z.B. Wasserkraft)<br />
Artenvielfalt Rentabilität<br />
GESELLSCHAFT<br />
soziale Ziele<br />
und Werte<br />
Gesundheit<br />
Hochwassersicherheit<br />
Zukunftsperspektive<br />
Kulturerhaltung und<br />
Landschaftsästhetik<br />
Erholung und<br />
Freizeit<br />
Tab. 1-1:<br />
Prioritätensetzung berücksichtigt grundsätzliche ökologische, ökonomische und soziale Ziele (Interessen). Für die <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
ergeben sich unter an<strong>der</strong>em die hier aufgeführten Inhalte. Je nach Objekt o<strong>der</strong> Region können sich diese<br />
Prioritäten verschieben o<strong>der</strong> müssen erweitert werden.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
1.7 Indikatoren<br />
Indikatoren können sowohl Systemzustände als auch Stoffe, Strukturen, <strong>Aspekte</strong> o<strong>der</strong> Organismen<br />
sein. Sie eignen sich beson<strong>der</strong>s gut zur Bewertung <strong>der</strong> ökologischen Funktionsfähigkeit eines Systems.<br />
Der Begriff des Indikators beschreibt ein Werkzeug, mit dessen Hilfe die Beurteilung eines ökologischen<br />
Zusammenhangs o<strong>der</strong> Ökosystems vereinfacht wird. Indikatoren liefern durch ihre Anwesenheit,<br />
ihr Fehlen o<strong>der</strong> ihren Zustand bereits eine indirekte Information über den Zustand des Systems.<br />
Da sie für die Prioritätensetzung (Kap. A1.4) bei <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung entscheidend<br />
sind, müssen sie zu jedem Zeitpunkt <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> in <strong>der</strong> jeweils möglichen Erhebungstiefe<br />
berücksichtigt werden (Tab. 1-2).<br />
Als Bioindikatoren werden alle Organismen o<strong>der</strong> biozönotische Einheiten bezeichnet, die in beson<strong>der</strong>em<br />
Maße auf Verän<strong>der</strong>ungen des Lebensraums reagieren und/o<strong>der</strong> eine Retrospektive erfolgter<br />
Belastungen o<strong>der</strong> -verbesserungen ermöglichen. In <strong>der</strong> heutigen Praxis wird vermehrt mit einer Kombination<br />
von Bioindikatoren und Indikatoren an<strong>der</strong>er Ökosystembausteine (Kap. 2.2) gearbeitet, um<br />
dem individuellen Charakter eines jeden Gewässers bei seiner Beurteilung Rechnung zu tragen.<br />
Indikatoren<br />
(ökologischer Fließgewässerzustand)<br />
Indikator Anzeiger für z.B. Erhebung Aussagewert<br />
Äußerer Aspekt<br />
Nährstoffe,<br />
Schadstoffe<br />
Temperaturen,<br />
pH-Wert<br />
Fischpopulation<br />
Fischgesundheit<br />
Artenvielfalt<br />
Fische<br />
Benthosbesiedlung<br />
Taxazahl Benthos<br />
Kontinuums-<br />
Unterbrechungen<br />
Uferstrukturen<br />
Ökomorphologie<br />
Strukturökologie<br />
Algenaufwuchs<br />
Makrophyten<br />
Verschiedenes, z.B.<br />
organolept. Beurteilung<br />
direkte und diffuse<br />
Einträge<br />
Lebensraum-<br />
Grenzbereiche<br />
Qualität <strong>der</strong><br />
Lebensräume<br />
chemische<br />
Wasserqualität<br />
Qualität <strong>der</strong><br />
Lebensräume<br />
Wasserqualität,<br />
vornehmlich Saprobie<br />
Qualität <strong>der</strong><br />
Lebensräume<br />
Durchgängigkeit<br />
Ufer-Gerinne-<br />
Verzahnung<br />
Qualität <strong>der</strong><br />
Lebensräume<br />
Trophie,<br />
Lichexposition<br />
bisherige Eindrücke,<br />
Aussehen, Geruch u.a.<br />
Konzentrationen<br />
Verläufe,<br />
Minima/Maxima<br />
Fangzahlen, Bestand,<br />
Altersstruktur<br />
Biometrie,<br />
veterinärbiol. Kontr.<br />
Artbestimmungen<br />
Saprobienindex,<br />
Makroindex etc.<br />
Artenvielfalt<br />
Lokalisierung<br />
Charakterisierung<br />
Lokalisierung<br />
Charakterisierung<br />
Beurteilung<br />
Charakterisierung<br />
Beurteilung<br />
Tab. 1-2:<br />
Beispiele für Indikatoren des ökologischen Fließgewässerzustands. Diese Liste muss je nach Zielsetzung <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
und Objekt modifiziert, ergänzt o<strong>der</strong> durch Indikatorarten spezifiziert werden.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
für Basisbeurteilung<br />
sehr hoch<br />
hoch<br />
hoch<br />
sehr hoch<br />
hoch<br />
hoch<br />
mittel<br />
sehr hoch<br />
sehr hoch<br />
hoch<br />
hoch<br />
15
16<br />
1.8 Abstimmung <strong>der</strong> Maßnahmen<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Aus einer Formulierung dieses Zielzustandes und <strong>der</strong> danach erwarteten Eigendynamik des Systems<br />
leitet sich das Spektrum <strong>der</strong> Maßnahmen ab, die für die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung vorgesehen<br />
werden. Die Maßnahmen dürfen im System keine falschen Impulse setzen. Revitalisierungen, die dem<br />
jeweiligen Gewässertyp (Kap. A2.4) nicht entsprechen, unterbrechen den Systemcharakter und<br />
schränken das Potenzial <strong>der</strong> Vernetzungen ein. Meist beson<strong>der</strong>s kostspielige “kosmetische” Maßnahmen,<br />
bei denen <strong>der</strong> angestrebte Zustand in einem einzigen Schritt erreicht werden soll, werden in <strong>der</strong><br />
Regel durch die danach einsetzende Eigendynamik des Gewässers verän<strong>der</strong>t (überprägt) o<strong>der</strong> benötigen<br />
zumindest einen unangemessenen Unterhaltsaufwand.<br />
Auch wenn sie nicht von Anfang an als Handlungserfor<strong>der</strong>nisse (Kap. 3.8) erkennbar sind, müssen bei<br />
<strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung alle in Frage kommenden Maßnahmen aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt<br />
werden. Nur so lässt sich <strong>der</strong> maximale Aufwand (arbeitstechnisch und finanziell) abschätzen, <strong>der</strong> eine<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong> begleitet. Für die Praxis heißt dies, dass vorbereitende o<strong>der</strong> zusätzliche Arbeiten<br />
stets als Bestandteil aufwändiger Maßnahmen in <strong>der</strong> Planung berücksichtigt werden sollten. Auch<br />
wenn sich die Entwicklungsprozesse in erwünschtem Maße einstellen, werden doch immer wie<strong>der</strong><br />
unvorhersehbare Unterhalts- und Pflegemaßnahmen nötig, um z.B. die Hochwassersicherheit und<br />
Umlandnutzung nachhaltig zu gewährleisten.<br />
Zunehmen<strong>der</strong> Revitalisierungsaufwand<br />
Wasserbauliche Neugestaltung<br />
Meist aufwändige, wasserbautechnische Eingriffe zur naturnahen und gewässertypischen Umgestaltung<br />
von degradierten Fließstrecken, z.B. großräumige Gerinneaufweitungen<br />
Gewässer-Instandhaltung, Instandsetzung (Unterhaltsmaßnahmen)<br />
Über einfache Gewässerpflege und Ausscheidung von Gewässerraum hinausgehende, teilweise technische<br />
Eingriffe zum Erhalt und zur Verbesserung bestimmter natürlicher Funktionen des Fließgewässers.<br />
Strukturierung von Fließgewässern ohne aufwändige wasserbauliche Neugestaltung.<br />
Raum für die Gewässer, Reaktivierung <strong>der</strong> Gewässerrandflächen,<br />
Ausscheidung ökologisch wertvoller Flächen<br />
Extensivierung o<strong>der</strong> Beendigung <strong>der</strong> Bewirtschaftung (Ausscheiden / Landaufkauf) von<br />
Gewässerrandflächen. Passive Maßnahme zur Aufwertung des Lebensraums Fließgewässer,<br />
mit o<strong>der</strong> ohne weitere Revitalisierungsmaßnahmen.<br />
Naturnahe Gewässerpflege<br />
Einfache Eingriffe, die das Wachstum und die Entwicklung von standorttypischen<br />
Floren- und Faunenelementen begünstigen. Vermeidung nicht zwingen<strong>der</strong> Pflegemaßnahmen<br />
und bewirtschaftungsähnlicher Vegetationsschnitte.<br />
Abb. 1-5:<br />
Verschiedene Stufen von <strong>Gewässerentwicklung</strong>smaßnahmen. Aufwändigere Maßnahmen integrieren dabei stets Inhalte<br />
weniger umfangreicher o<strong>der</strong> vorbereiten<strong>der</strong> Maßnahmen (nach REY & ORTLEPP 2000).<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
A1. Arbeitsmaterialien zu Kapitel 1<br />
A1.1 <strong>Ökologische</strong> Funktionsfähigkeit<br />
Jedes naturräumliche System besitzt eine ihm eigene optimale Funktionsfähigkeit. So funktioniert<br />
z.B. ein Fließgewässersystem in seinem Naturzustand immer im Zusammenspiel zwischen einem spezifischen<br />
Spektrum an landschaftlichen Komponenten (Gerinne, Auen, Begleitgewässer, unterschiedliche<br />
Gefälle und Abflüsse etc.) mit seinen jeweiligen Lebensgemeinschaften. Im nicht anthropogen<br />
beeinflussten Urzustand zeigt es bezüglich seiner abiotischen und biotischen Komponenten eine optimale<br />
ökologische Funktionsfähigkeit. Von ökologischer Funktionsfähigkeit spricht man also immer<br />
dann, wenn ein System einer für seine topographische und klimatische Lage charakteristischen<br />
Dynamik unterworfen ist und die dort typischen Lebensgemeinschaften mit sich selbst erhaltenden<br />
Populationen beherbergt.<br />
Ökologisch funktionsfähige Fließgewässersysteme sind geprägt durch die naturräumlichen Eigenarten<br />
ihrer Einzugsgebiete, <strong>der</strong> Geologie, <strong>der</strong> Gefälle (Reliefs) und <strong>der</strong> klimatischen Gegebenheiten,<br />
einschließlich <strong>der</strong> Vegetation. Sie steuern das Abflussgeschehen und die Feststoffführung eines Bacho<strong>der</strong><br />
Flusssystems und somit die Gewässermorphologie (KERN 1994). Abhängig von <strong>der</strong> hydraulischen<br />
Schleppkraft des fließenden Wassers verlagert das Gewässer seinen Lauf. Diese gewässerdynamischen<br />
Prozesse bewirken eine stetige Erneuerung des gewässertypischen Strukturangebots. Sie steuern<br />
die Eigenentwicklung von Gewässern und sind Kennzeichen für die ökologische Funktionsfähigkeit<br />
von Flüssen und Bächen. Fließgewässer, welche eine natürliche o<strong>der</strong> naturnahe ökologische<br />
Funktionsfähigkeit innehaben, tragen darüber hinaus zum Hochwasserschutz, zur Gewässerreinhaltung<br />
(Selbstreinigungskraft) und zur Sicherung bzw. Verbesserung <strong>der</strong> Grundwasserverhältnisse und<br />
damit auch <strong>der</strong> Trinkwasserqualität bei.<br />
Ökologisch funktionsfähige Gewässer wirken sich dabei nicht nur positiv auf ihre Lebensgemeinschaften<br />
aus, son<strong>der</strong>n auch auf die Ästhetik des Landschaftsbilds und besitzen daher hohen Erlebnisund<br />
Erholungswert für die Bevölkerung.<br />
Vernetzung<br />
Lebensraumvielfalt<br />
sich selbst<br />
erhaltende<br />
Populationen<br />
gewässertypische<br />
Ufer- und Sohlendynamik,<br />
gewässertypisches<br />
Nahrungsangebot<br />
gute chemische<br />
Wasserqualität<br />
<strong>Ökologische</strong><br />
Funktionsfähigkeit<br />
gewässertypische<br />
Auendynamik<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
gewässertypisches<br />
Artenspektrum<br />
Durchgängigkeit<br />
gewässertypische<br />
Produktion<br />
gewässertypische<br />
Morphologie<br />
biologische<br />
Selbstreinigungskraft<br />
Abb A1-1:<br />
Wichtige abiotische (gelb) und biotische (blau) Charakteristika zur Erfassung <strong>der</strong> ökologischen Funktionsfähigkeit von<br />
Fließgewässersystemen<br />
17
18<br />
A1.2 Beispiele für integriertes Flussgebietsmanagement<br />
A1.2.1 Die EU-Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL)<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
“Wasser ist keine übliche Handelsware, son<strong>der</strong>n ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend<br />
behandelt werden muß”. So lautet die Grundüberlegung dafür, dass es nach vielen Jahren<br />
intensiver Koordinationsarbeit und ebenso vielen Rückschlägen im Juli 2000 endlich zur Verabschiedung<br />
<strong>der</strong> ersten internationalen Richtlinie kam, die das Oberflächenwasser, das Grundwasser und<br />
alle damit korrespondierenden Räume, Funktionen und Prozesse unter gemeinsame Schutzziele stellt.<br />
An das in diesem Handbuch angesprochene Alpenrheingebiet (Abb. A1-2) grenzen 3 EU-Staaten<br />
(Österreich, Deutschland und Italien), ein EWR-Beitrittsstaat (Liechtenstein) und die Schweiz. Alle<br />
diese Staaten entsenden Landesvertreter zur “Wasserdirektorenkonferenz <strong>der</strong> Rheinanliegerstaaten”.<br />
Durch das Inkrafttreten <strong>der</strong> EU-WRRL ergibt sich folgende Situation:<br />
■ die EU-WRRL wird von allen EU-Staaten mit geltenden Rechtsgrundlagen abgeglichen. Innerhalb<br />
gesetzter Fristen müssen die Inhalte in nationales Recht übernommen werden und<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> EU-WRRL erfüllt sein;<br />
■ die EU-WRRL wird vom Fürstentum Liechtenstein als wichtiges Instrument des Gewässerschutzes<br />
und <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> betrachtet. Ihre Inhalte, Anfor<strong>der</strong>ungen und Fristen werden<br />
übernommen, soweit dies die nationalen Rechtsgrundlagen und Vereinbarungen erlauben;<br />
■ die schweizerische Wasserpolitik ist mit <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> EU vergleichbar. Deshalb unterstützt die<br />
Schweiz die EU-Staaten im Rahmen ihres eigenen Vollzugs bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> EU-WRRL. Sie<br />
wird damit Mitglied am “integrierten Flussgebietsmanagement” am Rhein. Allerdings können keine<br />
Inhalte in nationales Recht übernommen und Fristen eingehalten werden.<br />
Angesichts dieser multilateralen Vereinbarungen ist es unumgänglich, im Rahmen einer international<br />
koordinierten <strong>Gewässerentwicklung</strong>, wie sie im Alpenrheingebiet durchgeführt werden muss, ebenfalls<br />
die Inhalte, For<strong>der</strong>ungen und Fristen <strong>der</strong> EU-WRRL zu berücksichtigen.<br />
Inhalte, Ziele, For<strong>der</strong>ungen<br />
Die EU-WRRL verpflichtet die Mitgliedsstaaten, bis zum Jahr 2015 eine "gute ökologische Qualität"<br />
für oberirdische Gewässer und eine "gute Qualität" für das Grundwasser zu erreichen. Oberflächengewässer<br />
sind dabei anhand des "maximalen ökologischen Potenzials" zu bewerten. Als zentrales<br />
Instrument zur Zielerreichung und Ermittlung des "guten ökologischen Potenzials" schreibt die<br />
Richtlinie die Aufstellung von rechtsverbindlichen Bewirtschaftungsplänen vor.<br />
Zentrale Elemente <strong>der</strong> Zielsetzungen sind:<br />
■ Erreichung eines “guten ökologischen und chemischen Zustands” <strong>der</strong> Oberflächengewässer und<br />
eines “guten Zustands” des Grundwassers;<br />
■ Erreichung dieser Zustände innerhalb festgesetzter Fristen;<br />
■ Striktes Verschlechterungsverbot für Oberflächengewässer und Grundwasser;<br />
■ Verpflichtung, die Einleitungen, Emissionen und Verluste prioritärer Stoffe schrittweise zu reduzieren<br />
und diejenigen prioritär gefährlicher Stoffe zu beenden o<strong>der</strong> schrittweise einzustellen;<br />
■ Erstellung einer Gewässerbewirtschaftung nach Flusseinzugsgebieten und Verpflichtung zur<br />
Koordination;<br />
■ Aktive Beteiligung <strong>der</strong> Öffentlichkeit.<br />
Auch bei <strong>der</strong> EU-WRRL wird <strong>der</strong> Begriff des <strong>Gewässerentwicklung</strong>splans verwendet. Dieser Plan ist<br />
dabei als Bestandteil des Bewirtschaftungsplans anzusehen, <strong>der</strong> noch eine große Zahl weiterer<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Rotterdam<br />
NL<br />
B<br />
Arnheim<br />
LUX<br />
Düsseldorf<br />
Strasbourg<br />
Basel<br />
Koblenz<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
F<br />
Flussgebietseinheit<br />
Rhein<br />
Mainz<br />
CH<br />
D<br />
Staatsgrenzen<br />
Teilgebiet<br />
Alpenrhein - Bodensee<br />
Mannheim<br />
D<br />
Konstanz<br />
Vaduz<br />
I<br />
FL<br />
Bregenz<br />
Abb A1-2:<br />
Der Rhein als eine <strong>der</strong> wichtigsten Flussgebietseinheiten Europas für die Umsetzung <strong>der</strong> EU-Wasserrahmenrichtlinie.<br />
Neben <strong>der</strong> Flussgebietseinheit wurden Teilgebiete definiert, wie z.B. das Teilgebiet Alpenrhein-<br />
Bodensee (grün hinterlegt).<br />
Chur<br />
A<br />
19
20<br />
Konzepte, vor allem Wirtschafts- und Nutzungspläne enthält. Der <strong>Gewässerentwicklung</strong>splan ist<br />
dabei das geeignete Instrument, um den "guten ökologischen Zustand" bzw. das "gute ökologische<br />
Potenzial" durch Aufzeigen geeigneter Maßnahmen zu erreichen. Für die Umsetzung <strong>der</strong> EU-<br />
Wasserrahmenrichtlinien leistet er damit einen entscheidenden Beitrag.<br />
Bewertungsmuster <strong>der</strong> EU-Wasserrahmenrichtlinie<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>splan<br />
erreichbarer Zustand<br />
(Entwicklungspotential)<br />
generelle Ziele<br />
Bewirtschaftungsplan<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Modifikation<br />
<strong>der</strong> Restriktionen<br />
guter ökologischer Zustand<br />
(Oberflächengewässer)<br />
guter Zustand<br />
(Grundwasser)<br />
sonstige Wirtschafts-<br />
und Nutzungspläne<br />
Abb. A1-3<br />
Rolle eines <strong>Gewässerentwicklung</strong>splans bei<br />
<strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> EU-Wasserrahmenrichtlinie.<br />
Der <strong>Gewässerentwicklung</strong>splan als essenzieller Bestandteil des Bewirtschaftungsplans for<strong>der</strong>t die<br />
Erhebung und Bewertung des aktuellen Systemzustandes (Ist-Zustandes) sowie die Planung und Umsetzung<br />
von Verbesserungsmaßnahmen.<br />
An dieser Stelle werden die Gemeinsamkeiten zwischen dem <strong>Gewässerentwicklung</strong>splan <strong>der</strong> EU-<br />
WRRL und <strong>der</strong> in diesem Handbuch vorgestellten <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung beson<strong>der</strong>s deutlich.<br />
Die von uns vorgestellten systematisch aufeinan<strong>der</strong> aufbauenden Etappen <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
(Kap. 2) decken dabei auch die dafür in <strong>der</strong> EU-WRRL gefor<strong>der</strong>ten Inhalte ab.<br />
Die "gute ökologische Qualität" bei allen Oberflächengewässern setzt sich bei <strong>der</strong> EU-WRRL aus<br />
einer ökologischen (inkl. Morphologie, Wasser- und Feststoffhaushalt) und einer chemischen Komponente<br />
zusammen (die <strong>Gewässerentwicklung</strong> im Sinne dieses Handbuchs aus fünf Ökosystembausteinen).<br />
Anhand geeigneter biotischer und abiotischer Indikatoren wird bewertet, inwieweit die<br />
aquatischen Lebensgemeinschaften eines Oberflächengewässers durch menschliche Einflüsse beeinträchtigt<br />
sind.<br />
"Gut" ist <strong>der</strong> ökologische Zustand dann, wenn die Werte zwar geringe, anthropogen bedingte Einflüsse<br />
anzeigen, aber nicht signifikant von den "sehr guten" Werten des Referenzzustandes abweichen,<br />
die bei Abwesenheit stören<strong>der</strong> Einflüsse vorhanden sind. Diese Anfor<strong>der</strong>ungen werden für die verschiedenen<br />
Kategorien von Oberflächengewässern (Seen, Flüsse, Übergangsgewässer und Küstengewässer<br />
in unterschiedlichen klimatischen und geographischen Zonen) differenziert. Mithilfe <strong>der</strong><br />
biologischen Qualitätskomponenten sollen stoffliche und hydromorphologische Einflüsse auf die<br />
aquatischen Lebensgemeinschaften in 5 Stufen erfasst werden (Abb. A1-4).<br />
Für so genannte "erheblich verän<strong>der</strong>te o<strong>der</strong> künstliche Wasserkörper" (heavily modified waterbodies)<br />
wird die Bewertung (z.B. “schlechte” ökologische Qualität) am "jeweils Machbaren" (vgl. Entwicklungspotenzial)<br />
und nicht mehr an einem anthropogen weitgehend unbeeinflussten Referenzzustand<br />
(visionäres Leitbild) vorgenommen. Ökologisch nachteilige Verhältnisse, die nicht als umkehrbar eingeschätzt<br />
werden (vgl. Restriktionen), sollen bei <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Referenzbedingungen mit berücksichtigt<br />
werden.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Die Mitgliedsstaaten können natürliche Oberflächengewässer dann als "erheblich verän<strong>der</strong>t" ausweisen,<br />
wenn Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Merkmale des Wasserkörpers Auswirkungen auf die weitere Umwelt<br />
haben, sowie die Schifffahrt und die Erholungsgebiete, die Zwecke, für die das Wasser gespeichert<br />
wird, z. B. Stromerzeugung, Trinkwasserversorgung, die Wasserregulierung, den Schutz vor Überflutungen,<br />
die Bewässerung, die Landentwässerung o<strong>der</strong> die Siedlungsentwicklung.<br />
Für alle Oberflächengewässer, welche keine gute ökologische Qualität zeigen, sind Bewirtschaftungspläne<br />
zu erstellen, mit dem Ziel, die Anfor<strong>der</strong>ungen an den "guten ökologischen Zustand" unter<br />
Beachtung <strong>der</strong> morphologischen Komponente (also durch <strong>Gewässerentwicklung</strong>smaßnahmen) zu erreichen.<br />
Auch für alle als "erheblich verän<strong>der</strong>t und künstlich" eingestuften Wasserkörper sind Bewirtschaftungspläne<br />
aufzustellen. Sie erlauben die Ermittlung des "maximalen ökologischen Potenzials" und<br />
zeigen dann die notwendigen Maßnahmen zum Erreichen des "guten ökologischen Potenzials", das<br />
geringfügig vom "maximalen ökologischen Potenzial" abweichen kann, einschließlich <strong>der</strong> morphologischen<br />
Verbesserungen, auf.<br />
Die Ausführungen zeigen, dass spätestens dann, wenn operative Anleitungen zur Umsetzung <strong>der</strong><br />
EU-WRRL vorliegen, ein noch weitergehen<strong>der</strong> Koordinationsbedarf für Regionen besteht, die an die<br />
EU angrenzen und im Rahmen ihrer Gewässerschutzprogramme vergleichbare Ziele verfolgen.<br />
EU-Wasserrahmenrichtlinie<br />
Bewertung <strong>der</strong> Inventare:<br />
<strong>Ökologische</strong> Komponenten<br />
(Biotische und abiotische<br />
Indikatoren)<br />
chemische Wasserqualität<br />
<strong>Ökologische</strong>r Zustand<br />
5 Bewertungsstufen<br />
sehr gut<br />
gut<br />
mäßig<br />
unbefriedigend<br />
schlecht<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Zustand <strong>der</strong> Ökosystembausteine<br />
4 o<strong>der</strong> 5 Bewertungsstufen<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Bewertung <strong>der</strong> Inventare:<br />
Wasserhaushalt<br />
Feststoffhaushalt<br />
Morphologie<br />
Wasserqualität<br />
Biozönosen<br />
Abb. A1-4:<br />
Die fünf Bewertungsstufen <strong>der</strong> EU-Wasserrahmenrichtlinie für Gewässerinventare <strong>der</strong> Oberflächengewässer erweisen sich<br />
als weitestgehend kompatibel zu mehrstufigen Bewertungsskalen im Rahmen <strong>der</strong> hier vorgestellten <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung.<br />
Die WRRL beinhaltet dabei jedoch ein generelles Entwicklungsziel, das innerhalb vorgegebener Fristen (2015) mit<br />
Hilfe sogenannter Bewirtschaftungspläne erreicht werden muss: <strong>der</strong> gute ökologische Zustand <strong>der</strong> Oberflächengewässer und<br />
<strong>der</strong> gute Zustand des Grundwassers.<br />
21
22<br />
A1.2.2 Kooperationsvereinbarung <strong>der</strong> IRKA<br />
Einen ersten konkreten Schritt zur zwischenstaatlich koordinierten Gewässerschutzarbeit am Alpenrhein<br />
liefert die Kooperationsvereinbarung <strong>der</strong> IRKA (Internationale Regierungskommission Alpenrhein):<br />
Zur Erreichung gesteckter Ziele am Alpenrhein hat die IRKA am 11. Dezember 1998 und die vier<br />
Regierungen <strong>der</strong> Anrainerlän<strong>der</strong> und -kantone am 22. Dezember 1998 eine Kooperationsvereinbarung<br />
sowie gleichzeitig das Aktionsprogramm Alpenrhein 2000+ beschlossen. Damit wurde eine wichtige<br />
Grundlage zur Erfüllung gemeinsamer o<strong>der</strong> sich grenzüberschreitend auswirken<strong>der</strong> Aufgaben im<br />
Gebiet des Alpenrheins geschaffen.<br />
Hauptpunkte und Feststellungen <strong>der</strong> Kooperationsvereinbarung sind:<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
■ Gesellschaftliche und wirtschaftliche Fortentwicklung sowie <strong>der</strong> Schutz von Natur und Umwelt<br />
werden als gleichrangige Ziele gewertet;<br />
■ Eine zukunftsweisende Politik für die Bevölkerung im Alpenrheingebiet kann nur unter<br />
Beachtung <strong>der</strong> Nachhaltigkeit betrieben werden;<br />
■ Das weitgehend gebändigte Wildgewässer Alpenrhein prägt den Natur-, Lebens~ und<br />
Wirtschaftsraum und ist auch als Hauptzufluss für den Bodensee sowie als Teil des Gesamtrheins von<br />
wesentlicher Bedeutung;<br />
■ Potenzielle Gefahren und schädliche Auswirkungen infolge von Hochwässern und unkoordinierter<br />
Raum- und Ressourcenbeanspruchung beeinträchtigen Mensch und Umwelt bzw. können oft nur<br />
mit beträchtlichen Kosten und in großen Zeiträumen wie<strong>der</strong> behoben werden;<br />
■ Viele Gegebenheiten und Entwicklungen im Natur-, Lebens- und Wirtschaftsraum sind komplex,<br />
eng verbunden und beeinflussen sich gegenseitig (z.B. Rheinsohle - Grundwasser - Ökologie – Landund<br />
Wasserkraftnutzung,);<br />
■ Verhütung bzw. Vermin<strong>der</strong>ung von Schäden, die Verbesserung <strong>der</strong> ökologischen Situation und die<br />
Sicherstellung einer nachhaltigen Nutzung erfor<strong>der</strong>n eine verstärkte Zusammenarbeit über die<br />
Landes- und Kantonsgrenzen und können oft nur gemeinsam gemeistert werden;<br />
■ Gemeinsame bzw. abgestimmte Ziele und Vorgehensweisen bilden vermehrt Voraussetzung für ein<br />
wirkungsvolles und zukunftsweisendes Handeln in den einzelnen Län<strong>der</strong>n und Kantonen.<br />
Die Inhalte und Ziele dieser Kooperationsvereinbarungen finden seither in allen abgeschlossenen und<br />
laufenden Projekten ihre Entsprechung. Die Vereinbarung bildete darüber hinaus die Basis für weitergehende<br />
und engere Zusammenarbeit im Bereich Gewässerschutz im Alpenrheingebiet. Arbeitsgruppen<br />
werden aus Vertretern interdisziplinärer Forschungs- und Verwaltungsbereiche zusammengesetzt.<br />
Institutionen des Schutzwasserbaus und des Gewässerschutzes arbeiten nun grenzüberschreitend<br />
zusammen.<br />
A1.2.3 Rhein 2020 - Programm zur nachhaltigen Entwicklung des Rheins<br />
Seit 1987 werden Gewässerschutzprogramme am Rhein (zunächst zwischen Bodensee und Nordsee)<br />
von <strong>der</strong> sogenannten “Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigungen”<br />
(IKSR) geplant und koordiniert. Das Programm “Rhein 2020 - Programm zur nachhaltigen Entwicklung<br />
des Rheins” definiert die generellen Rheinschutzziele für die nächsten 20 Jahre. Die IKSR<br />
betont “...das bisherige Aktionsprogramm Rhein (1987 - 2000) hat aufgezeigt, dass mittels konzentrierter<br />
und engagierter Umsetzung eines umfassenden Sanierungsplans in allen Rheinanliegerstaaten eine<br />
zu Beginn kaum vorstellbare Verbesserung <strong>der</strong> Rheinwasserqualität erzielt werden konnte. Darauf<br />
aufbauend stehen im Programm die weitere Umsetzung des ökologischen Gesamtkonzeptes für den<br />
Rhein, die Verbesserung <strong>der</strong> Hochwasservorsorge und <strong>der</strong> Hochwasserschutz sowie <strong>der</strong> Grundwasser-<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
schutz im Mittelpunkt <strong>der</strong> Ziele und Aktionen. Die kontinuierliche Überwachung des Rheins bleibt<br />
weiterhin unverzichtbar und die Aktivitäten zur Verbesserung <strong>der</strong> Wasserqualität müssen fortgesetzt<br />
werden...”<br />
Das Aktionsprogramm 2020 arbeitet in seiner Konzeption mit <strong>der</strong> gleichen Terminologie, wie sie z.T.<br />
in <strong>der</strong> EU-Wasserrahmenrichtlinie, zum Teil in diesem Handbuch verwendet wird. Es orientiert sich<br />
sehr eng an <strong>der</strong> EU-WRRL, was die generellen Ziele und die Einhaltung von Fristen angeht. Die Ziele<br />
des Programms, und die für ihre Erreichung nötigen Maßnahmen sind in vier großen Ziel-Komplexe<br />
zusammengefasst, den Rheinschutzzielen:<br />
■ Verbesserung des Ökosystems Rhein<br />
■ Hochwasservorsorge und Hochwasserschutz<br />
■ Verbesserung <strong>der</strong> Wasserqualität<br />
■ Grundwasserschutz<br />
Weitere Schwerpunkte werden bei <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit und <strong>der</strong> Erfolgskontrolle gesetzt. Dass es<br />
sich bei dem Aktionsprogramm 2020 um einen außergewöhnlich operationalen Ansatz handelt, belegen<br />
einerseits die Erfolge des Vorgängerprogramms, an<strong>der</strong>erseits eine Ausarbeitung, inwieweit geplante<br />
und bereits getätigte Maßnahmen zur Erreichung <strong>der</strong> jeweiligen Rheinschutzziele beitragen.<br />
Im Gegensatz zur EU-Wasserrahmenrichtlinie beteiligt sich die Schweiz seit 1987 aktiv an <strong>der</strong> Formulierung<br />
und Umsetzung von Entwicklungszielen im Rahmen des Aktionsprogramms Rhein. Seit<br />
Inkrafttreten <strong>der</strong> WRRL wird <strong>der</strong> Alpenrhein in die Schutzziele mit einbezogen.<br />
A1.3 Rechtsgrundlagen<br />
Die For<strong>der</strong>ung nach Erhaltung und Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> ökologischen Funktionsfähigkeit ist in<br />
allen Anliegerstaaten des Alpenrheingebiets gesetzlich verankert. Es fällt jedoch auf, dass es nicht spezifische<br />
Gesetze sind, die diesen Anspruch regeln, son<strong>der</strong>n dass die gesamte Gesetzgebung in ihrer<br />
jeweils neuesten Fassung immer mehr davon durchdrungen wird (Abb. A1-5).<br />
Die für die <strong>Gewässerentwicklung</strong> im Alpenrheingebiet relevanten Rechtsgrundlagen und entsprechenden<br />
Gesetzespassagen wurden bereits als Anhang <strong>der</strong> Broschüre Gesunde Fließgewässer durch<br />
Revitalisierung (IRKA, 2000) zusammengestellt.<br />
In <strong>der</strong> aktuellen Gesetzgebung sind dabei drei größere Richtlinienkomplexe zu unterscheiden:<br />
A: Revitalisierung von beeinträchtigten bzw. Schutz und Erhalt von natürlichen Fließgewässern/<br />
Fließgewässerabschnitten und Feuchtlebensräumen sowie <strong>der</strong>en Lebensgemeinschaften. Sie werden in<br />
den meisten diesbezüglichen Gesetzen und Verordnungen gemeinsam behandelt. Hierzu gehört auch<br />
<strong>der</strong> Planerische Schutz <strong>der</strong> Gewässer und Anfor<strong>der</strong>ungen zum Raumbedarf und zur Flächenbeschaffung.<br />
B: Berücksichtigung ökologischer Anfor<strong>der</strong>ungen bei <strong>der</strong> Bewilligung o<strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungen von Anlagen<br />
bzw. bei Maßnahmen am Gewässer. In die Gesetzgebung aufgenommen wurden vor allem Bestimmungen<br />
zum Flussbau, sowie zur Wasserausleitung o<strong>der</strong> Stauraumspülungen, da vor allem diese Eingriffe<br />
aktuell negative Auswirkungen auf den Lebensraum "Wasser" und damit auf die Gewässerfauna<br />
haben. Darüber hinaus fallen unter diese Thematik Regelungen im Zusammenhang mit (diffusen)<br />
Nährstoff-/Chemikalieneinträgen.<br />
C: Gewährung von Finanzmitteln im Sinne <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
23
24<br />
Abb. A1-5:<br />
Relevante Richtlinien für die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung im Alpenrheingebiet<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Obwohl <strong>der</strong> gesetzliche Auftrag zum Gewässerschutz und zur <strong>Gewässerentwicklung</strong> in den unterschiedlichen<br />
Anliegerlän<strong>der</strong>n des Alpenrheingebiets unterschiedlichen Wortlaut und unterschiedliche<br />
Verbindlichkeit besitzt, lassen sich dennoch gemeinsame Pflichten für die Erhaltung natürlicher Fließgewässerfunktionen<br />
daraus ableiten:<br />
Fließgewässer dürfen nur wasserbaulich verän<strong>der</strong>t werden, wenn die Maßnahme nicht ihre ökologische<br />
Funktionsfähigkeit beeinträchtigt.<br />
� Die nachhaltige Nutzung <strong>der</strong> Fließgewässer im Sinne einer natürlichen Funktionsfähigkeit<br />
muss sichergestellt werden.<br />
� Es muss eine Einbindung des Landschaftselementes Fließgewässer in benachbarte Landschaftselemente<br />
gewährleistet sein.<br />
� Maßnahmen sind so durchzuführen, dass sie auf die Lebensraumqualität <strong>der</strong> einheimischen<br />
Tier- und Pflanzenwelt positive Auswirkungen haben.<br />
� Maßnahmen im Sinne einer ökologischen Sanierung sind immer so durchzuführen, dass sie den<br />
jeweiligen Hochwasserschutzansprüchen Rechnung tragen und umgekehrt.<br />
A1.4 Prioritätensetzung<br />
Rechtsgrundlagen sind eine geeignete Basis für die Verfolgung ökologischer, ökonomischer und sozialer<br />
Ziele, geben darüber hinaus jedoch nur wenige Anhaltspunkte dafür, wie diese im gegenseitigen<br />
Konsens erreicht werden können.<br />
Im Rahmen einer <strong>Gewässerentwicklung</strong> müssen daher gesellschaftliche Ziele und Werte gegeneinan<strong>der</strong><br />
gewichtet werden, um die Notwendigkeit, den Umfang und die Qualität von Maßnahmen gesellschaftspolitisch<br />
vertreten zu können und zur Entscheidungsfindung zu gelangen. Dies geschieht in <strong>der</strong><br />
Regel mit Hilfe einer Priorisierungs-Matrix (Tab. A1-1).<br />
Auf dieser Matrix werden die - je nach Objekt, Anlass o<strong>der</strong> Maßnahme - wichtigsten gesellschaftlichen<br />
Ziele und <strong>der</strong>en Gewichtung nach Prioritäten gegen die Indikatoren des Gewässerzustands aufgetragen.<br />
Die Indikatoren werden - je nach Phase <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> - weiter differenziert und<br />
präzisiert. In den entsprechenden Verknüpfungsfel<strong>der</strong>n wird eingetragen, in welchem Maße <strong>der</strong> jeweilige<br />
Indikator die Erreichung einzelner Ziele vertritt. Mit diesem Schritt wird also die zweite, fachlich<br />
begründete Gewichtung vorgenommen. Gewichtungen unterliegen dabei keinem vorgegebenen<br />
Schema; sie müssen lediglich allgemein akzeptiert und nachvollziehbar sein. Zwei Ansätze werden für<br />
die <strong>Gewässerentwicklung</strong> vorgeschlagen:<br />
� Verwendung einer Symbolik für eine vierstufige Bewertung (z.B. ++++, ����)<br />
� Verwendung von Prozentwerten, die sich in <strong>der</strong> Matrix per Spalte und Zeile auf 100% summieren<br />
Die Verwendung <strong>der</strong> Symbolik bietet sich in einer sehr frühen Stufe <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
an, wenn nur wenige o<strong>der</strong> ungeeignete Vorinformationen vorhanden sind. Eine Gewichtung<br />
nach zwei o<strong>der</strong> vier Stufen ist dabei einer dreistufigen Skala vorzuziehen, weil dann die Bewerter nicht<br />
auf das Mittelmaß ausweichen können, son<strong>der</strong>n klar entscheiden müssen, ob ein Indikator überdurchschnittliche<br />
o<strong>der</strong> unterdurchschnittlich Bedeutung besitzt (z.B. unbedeutend, mäßige Bedeutung,<br />
bedeutend, entscheidend).<br />
Die Verwendung von Prozentwerten wird vorgeschlagen, wenn die Bedeutung von Indikatoren aus<br />
an<strong>der</strong>en Projekten o<strong>der</strong> übergeordneten Programmen bekannt ist. Sie kann auch nach vollständiger<br />
Inventarisierung neu beurteilt werden.<br />
In <strong>der</strong> Regel findet die Prioritätensetzung in zwei Phasen statt. Die erste - nach einer Vorabklärung -<br />
entscheidet über das Ob, Wann? und Wo? <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>. Die zweite Phase erfolgt nach<br />
<strong>der</strong> Inventarisierung und enthält zuvor nicht bekannte, aber dennoch für die Planung wichtige<br />
Kriterien und Indikatoren.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
25
26<br />
Ökosystembausteine<br />
Wasserhaushalt<br />
Feststoffhaushalt<br />
Morphologie<br />
Wasserqualität<br />
Biozönosen<br />
Gesellschafts-<br />
Aspekt<br />
Gesundheit <strong>der</strong> Biozönosen<br />
Naturnähe Abfluss<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Ökologie Ökonomie Soziales<br />
Naturnähe Struktur<br />
Lebensraumqualität<br />
Artenvielfalt<br />
Wasserversorgung<br />
Indikatoren Prioritäten <strong>der</strong> Ziele<br />
Summen<br />
Indikatoren nach<br />
Vorabklärungen<br />
Indikatoren nach<br />
Inventarisierung<br />
Indikatoren nach<br />
Vorabklärungen<br />
Indikatoren nach<br />
Inventarisierung<br />
Indikatoren nach<br />
Vorabklärungen<br />
Indikatoren nach<br />
Inventarisierung<br />
Indikatoren nach<br />
Vorabklärungen<br />
Indikatoren nach<br />
Inventarisierung<br />
Indikatoren nach<br />
Vorabklärungen<br />
Indikatoren nach<br />
Inventarisierung<br />
Ziele, Werte<br />
Tab. A1-1:<br />
Schematischer Aufbau einer Priorisierungsmatrix für die <strong>Gewässerentwicklung</strong>. In die freien Fel<strong>der</strong> werden die vereinbarten<br />
Gewichtungen <strong>der</strong> jeweiligen (noch weiter differenzierten) Ziele und Indikatoren eingetragen.<br />
Schadensminimierung<br />
Gewässer- und Raumnutzung<br />
Rentabilität (Kosten/Nutzen)<br />
Gewichtungen <strong>der</strong> Indikatoren<br />
für die Erreichung von Zielen<br />
Gesundheit<br />
Hochwassersicherheit<br />
Zukunftsperspektive (arbeit)<br />
Kulturerhaltung, Ästhetik<br />
Erholung und Freizeit<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
A1.5 Weiterführende Begriffserläuterungen<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
im weiteren Sinne ist ein Überbegriff für alle zeitlichen und räumlichen Verän<strong>der</strong>ungen an Gewässern<br />
und in <strong>der</strong>en Einflussbereich. <strong>Gewässerentwicklung</strong> im engeren Sinne beinhaltet den vom Menschen<br />
beeinflussbaren Teil und die Steuerung dieser Prozesse mit dem Ziel, die ökologische Funktionsfähigkeit<br />
von Gewässern zu erhalten bzw. zu verbessern. Eine naturnahe Gewässerdynamik soll wie<strong>der</strong><br />
zugelassen und die dazu erfor<strong>der</strong>lichen Flächen bereitgestellt werden. In diesem Sinne ist<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong> ein Instrument des nachhaltigen “integrierten Flussgebietsmanagements” o<strong>der</strong><br />
mit diesem Begriff gleichzusetzen.<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
ist eine Fachplanung mit dem Ziel <strong>der</strong> naturnahen Entwicklung <strong>der</strong> Gewässer unter Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> sozio-ökonomischen Randbedingungen. Die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung ist ein Instrument<br />
zur zielgerichteten Koordinierung von Konzepten, Plänen und Maßnahmen zur Verbesserung <strong>der</strong><br />
ökologischen Funktionsfähigkeit zusammenhängen<strong>der</strong> Gewässersysteme. Die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
beinhaltet drei Planungsstufen: 1. den <strong>Gewässerentwicklung</strong>splan (einzelne Gewässer/<br />
Gewässerabschnitte), 2. das <strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzept (Flussgebietseinheiten, Gewässer einer<br />
Region), und 3. das <strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogramm (landesweit, überregional).<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>splan (Gewässerbetreuungsplan)<br />
Der <strong>Gewässerentwicklung</strong>splan versteht sich als wasserwirtschaftlich-landschaftsökologischer<br />
Fachplan. Er ersetzt dabei nicht die (kommunale) Landschaftsplanung im Rahmen <strong>der</strong> Bauleitplanung<br />
o<strong>der</strong> landschaftpflegerische Begleitpläne zu Bau- und Eingriffvorhaben. Für den <strong>Gewässerentwicklung</strong>splan<br />
gelten verschiedene Rahmenbedingungen und Prämissen, die in jedem Falle einzuhalten<br />
sind und den systembezogenen Charakter unterstreichen.<br />
Der <strong>Gewässerentwicklung</strong>splan soll insbeson<strong>der</strong>e konkrete Maßnahmen zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> ökologischen<br />
Funktion aufzeigen. Baut <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splan auf einem <strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzept<br />
auf, kann die Realisierung <strong>der</strong> Entwicklungsziele in Angriff genommen werden. Ist dies nicht<br />
<strong>der</strong> Fall, sind die entsprechenden Planungsschritte des Konzeptes nachzuholen.<br />
Umgestaltungsmaßnahmen werden lediglich nach Art und Umfang angegeben, da <strong>der</strong>en Durchführung<br />
eine geson<strong>der</strong>te Maßnahmen-(Ausführungs-)planung erfor<strong>der</strong>t. Die Ausarbeitung des <strong>Gewässerentwicklung</strong>splans<br />
erfolgt in <strong>der</strong> Regel im Maßstab 1: 5.000, ersatzweise 1:10.000 unter Beifügung<br />
erfor<strong>der</strong>licher Detailpläne.<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzept (Gewässerbetreuungskonzept)<br />
Das <strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzept ist eine flussgebietsbezogene Gesamtschau für Gewässer und<br />
Aue. Hierin werden <strong>der</strong> potenzielle natürliche Gewässerzustand beschrieben, <strong>der</strong> aktuelle Gewässerund<br />
Auenzustand sowie bestehende Nutzungsansprüche erfasst und Entwicklungsziele festgelegt.<br />
Dabei ist nach Durchführung einer Defizitanalyse <strong>der</strong> Entwicklungsbedarf zu definieren und die<br />
Gewässerabschnitte und angrenzenden Nie<strong>der</strong>ungen sind nach folgenden Kriterien zu bewerten:<br />
• schutzwürdig<br />
• entwicklungsbedürftig<br />
• umgestaltungsbedürftig<br />
Auf <strong>der</strong> Basis dieser Einteilung werden die Entwicklungsziele abgeleitet. Zudem sind Hinweise auf<br />
Entwicklungs-Maßnahmen (z.B. Revitalisierung, nur Pflegemaßnahmen etc.) sowie auf administrative<br />
Maßnahmen und notwendige Gewässergütesanierungen zu erarbeiten. Die Ausarbeitung stützt<br />
sich vornehmlich auf vorhandene Daten und erfolgt im Maßstab 1:25.000 o<strong>der</strong> 1:50.000 (bei kleinen<br />
Gewässern ggf. auch 1:10.000).<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
27
28<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogramm<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Das <strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogramm ist eine überregionale o<strong>der</strong> landesweite Rahmenvorstellung<br />
(z.B. ein sog. Aktionsprogramm) zum Schutz <strong>der</strong> (Fließ)gewässer und ihrer Auen bzw. Nie<strong>der</strong>ungen.<br />
Es ist nicht zwingend erfor<strong>der</strong>lich; auch ohne <strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogramm können <strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzepte<br />
aufgestellt werden. Das <strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogramm kann verwaltungstechnische<br />
Zuständigkeiten zur Durchführung nach bestehenden Vorgaben regeln (z.B.<br />
Richtlinien, Empfehlungen zur Durchsetzung <strong>der</strong> EU-Wasserrahmenrichtlinie, GEP’s und REP’s)<br />
und ist überall dort sinnvollerweise aufzustellen, wo die Entwicklung eines Gewässersystems Verwaltungsgrenzen<br />
überschreitet. Im Rahmen von <strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogrammen kann auch die<br />
Bereitstellung von För<strong>der</strong>mitteln angesprochen und festgelegt werden. Das <strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogramm<br />
wird von höheren Verwaltungsebenen o<strong>der</strong> überregionalen Institutionen (z.B. EU,<br />
IRKA und an<strong>der</strong>e internationale Kommissionen, Län<strong>der</strong>, Kantone, Bundeslän<strong>der</strong>) festgelegt.<br />
Revitalisierung<br />
Als Revitalisierung (Wie<strong>der</strong>belebung) o<strong>der</strong> Vitalisierung werden alle Maßnahmen angesprochen, welche<br />
die Wie<strong>der</strong>herstellung natürlicher Gewässerfunktionen för<strong>der</strong>n. Sie setzen somit den Prozess <strong>der</strong><br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong> in Gang - vom defizitären Ausgangszustand in Richtung eines naturnahen<br />
angestrebten Zustandes, auch wenn dieser nicht in einem Schritt o<strong>der</strong> überhaupt jemals erreicht werden<br />
kann. Im Zuge <strong>der</strong> hierzu nötigen Einzelmaßnahmen gewinnt das Gewässer mehr und mehr seiner<br />
ursprünglichen "Lebensfunktionen" zurück. Das Spektrum <strong>der</strong> Revitalisierungsmaßnahmen<br />
beginnt danach beim qualitativen Gewässerschutz und <strong>der</strong> Gewässerpflege und endet mit umfangreichen,<br />
technisch aufwändigen Wasserbaumaßnahmen. Generell muss sich die Qualität und <strong>der</strong> Umfang<br />
<strong>der</strong> Maßnahme am Zustand des Gewässers orientieren.<br />
Revitalisierung ist nicht zu verwechseln mit Renaturierung („wie<strong>der</strong> natürlich machen“). Diese<br />
beschreibt die Überführung eines naturräumlichen Objektes von einem ökologisch degradierten, kulturell<br />
bedingten Zustand in den Zustand eines ökologisch funktionsfähigen Naturraums. Für ein<br />
Gewässer bedeutet es den Zustand einer weitgehenden Wie<strong>der</strong>herstellung (mit dazugehörigen Landschaftselementen),<br />
entsprechend seinem früheren, natürlichen Charakter. Wegen seiner z.T. missverständlichen<br />
Auslegung und unter dem Aspekt einer prozessorientierten <strong>Gewässerentwicklung</strong> wird<br />
<strong>der</strong> Begriff in diesem Handbuch vermieden.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Weiterführende Literatur<br />
ACKERMANN, G. (1997): Erhöhung <strong>der</strong> Artenvielfalt - Vernetzung bestehen<strong>der</strong> Lebensräume. Konzeptvorschlag<br />
(unveröffentlicht).<br />
ARBEITSGRUPPE GEWÄSSER- UND FISCHÖKOLOGIE DER IRKA (2001): Pflichtenheft Entwicklungskonzept<br />
Alpenrhein <strong>der</strong> vorbereitenden Arbeitsgruppe: Internationale Rheinregulierung, Internationale<br />
Regierungskommission Alpenrhein, Version Nr. 4 vom 30. Oktober 2002.<br />
ATV-DVWK Gewässer-Info - Magazin zur Gewässerunterhaltung und <strong>Gewässerentwicklung</strong>, Nr.<br />
22-26, Januar 2003, Hennef.<br />
AWEL AMT FÜR ABFALL, WASSER, ENERGIE UND LUFT ZÜRICH (2002): Massnahmenplan Wasser,<br />
Kurzfassung. Baudirektion Kanton Zürich.<br />
BAUDIREKTION KANTON ZÜRICH, AWEL, AMT FÜR ABFALL, WASSER, ENERGIE UND LUFT (2000):<br />
Wasserbau im Kanton Zürich. Ökologie, Hochwasserschutz, Wie<strong>der</strong>belebung, Unterhalt. Zürich.<br />
BAYERISCHES LANDESAMT FÜR WASSERWIRTSCHAFT (1989): Grundlagen des Wasserbaus, aktuelle Beiträge.<br />
Informationsberichte des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft - Heft 2/89, München.<br />
BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR LANDESENTWICKLUNG UND UMWELTFRAGEN (1999): Wasserland<br />
Bayern. Nachhaltige Wasserwirtschaft in Bayern. München.<br />
BIOLOGISCHE SCHUTZGEMEINSCHAFT HUNTE-WESER-EMS (1989): Natur Special Report, Zukunftsaufgaben<br />
des Wasserbaus aus landschaftsökologischer Sicht, Heft 6, Wardenburg.<br />
BLANK, T. (2001): Umsetzung <strong>der</strong> Wasserrahmenrichtlinie im Rhein-Einzugsgebiet mit beson<strong>der</strong>er<br />
Berücksichtigung des Bodensee-Einzugsgebietes. Österreichs Wasser- und Abfallwirtschaft, Jahrgang<br />
53 (2001), Heft 5/6, 9 Seiten.<br />
BUWAL/BWG (Hrsg.) (2003): Leitbild Fliessgewässer Schweiz. Für eine nachhaltige Gewässerpolitik.<br />
Bern, 12 Seiten.<br />
DVWK (Deutscher Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau) 1999 ff: <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung,<br />
Weiterbildendes Studium Wasser und Umwelt, WW 44, Band 1-3. Weimar.<br />
EBERSTALLER,J. & G. HAIDVOGEL 1997: Gewässer- und Fischökologisches Konzept Alpenrhein.<br />
Grundlagen zur Revitalisierung mit Schwerpunkt Fischökologie, Teil 1-3. Studie zuhanden <strong>der</strong><br />
Internationalen Regierungskommission Alpenrhein. Wien.<br />
EU-WASSERRAHMENRICHTLINIE; Richtlinie 2000 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates<br />
vom 01. Juli 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen <strong>der</strong> Gemeinschaft im Bereich<br />
<strong>der</strong> Wasserpolitik.<br />
INTERNATIONALE KOMMISSION ZUM SCHUTZ DES RHEINS (IKSR) (2001): Rhein-Ministerkonferenz<br />
2001 - Rhein 2020 - Programm zur nachhaltigen Entwicklung des Rheins. Koblenz.<br />
IRKA (1997): Gewässer- und Fischökologisches Konzept Alpenrhein. - Internationale Regierungskommission<br />
Alpenrhein, Projektgruppe Gewässer- und Fischökologie (Hrsg.), 90 S.<br />
IRKA (2000): Gesunde Fliessgewässer durch Revitalisierung. Broschüre; 31 S.<br />
LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER (LAWA), Unterauss. des EU-Kontaktausschusses (2000):<br />
Arbeitshilfe zur Umsetzung <strong>der</strong> EU-Wasserrahmenrichtlinie.<br />
LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER (LAWA) (2000): Tagungsband, EU-Wasserrahmenrichtlinie-<br />
Programm für die Zukunft im Gewässerschutz. Symposium vom 13./14. Dezember 2000 in Schwerin.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
29
30<br />
Grundsätzliche <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
LANDESANSTALT FÜR UMWELTSCHUTZ BADEN-WÜRTTEMBERG (LfU) (1999): <strong>Gewässerentwicklung</strong> in<br />
Baden-Württemberg. Leitfaden Teil 1 - Grundlagen. Karlsruhe.<br />
KERN, K. (1994): Grundlagen naturnaher Gewässergestaltung. Geomorphologische Entwicklung von<br />
Fließgewässern. Springer-Verlag, Heidelberg<br />
MINISTERIUM FÜR NATUR, UMWELT UND LANDESENTWICKLUNG DES LANDES SCHLESWIG-HOLSTEIN<br />
(1991): Grundsätze zum Schutz und zur Regeneration von Gewässern. Bericht des Landesamtes für<br />
Wasserhaushalt und Küsten des Landes Schleswig-Holstein. Kiel.<br />
MINISTERIUM FÜR UMWELT, SAARBRÜCKEN (1992): Naturnahe Pflege und Entwicklung von Bächen<br />
und Flüssen. Gewässer in <strong>der</strong> Landschaft. Referate zum Seminar vom 12. November 1992, Saarbrükken.<br />
NATURFORSCHENDE GESELLSCHAFT LUZERN (1997): Revitalisierung - Renaturierung. Mitteilungen<br />
<strong>der</strong> Naturforschenden Gesellschaft Luzern, Band 35, Luzern.<br />
OTTO, A. (1995): Aktion Blau - <strong>Gewässerentwicklung</strong> in Rheinland-Pfalz. Ministerium für Umwelt<br />
und Forsten Rheinland-Pfalz, Mainz.<br />
REGIONALPLANUNGSGRUPPE SARGANSERLAND-WALENSEE (RSW) (1998): Entwicklungskonzept<br />
EK2. Sargans.<br />
VAW & VERBAND SCHWEIZER ABWASSER- UND GEWÄSSERSCHUTZFACHLEUTE (2000): Tagungsdokumentation<br />
Internationale Fachtagung vom 5./6.10.2000 in Zürich: Mehr Freiheit für Bäche und Flüsse.<br />
VSA (Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute) (2000): Zustandsbericht Gewässer<br />
(Teil Gewässerschutz), Empfehlungen zur Bearbeitung. Bericht <strong>der</strong> GEP-Arbeitsgruppe.<br />
WASSERWIRTSCHAFT IN BAYERN (1989): Flüsse und Bäche erhalten, entwickeln, gestalten. Oberste<br />
Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Inneren. München.<br />
WASSERWIRTSCHAFT IN BAYERN (1993): Flüsse - Bäche - Auen pflegen und gestalten. Bayerisches<br />
Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen (Hrsg.), München.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
2 Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
2.1 Schematischer Ablauf <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
Eine systematische Vorgehensweise bei <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung konstituiert sich sinnvollerweise<br />
an <strong>der</strong> Abfolge logisch aufeinan<strong>der</strong> folgen<strong>der</strong> Fragestellungen zum Thema.<br />
Fragen Schritte<br />
Warum und wo werden Maßnahmen geplant? Anlass, Prioritäten, Organisation, Gebiet<br />
In welchem Zustand ist das Gewässer? Ist-Zustands-Erhebung, Inventarisierung<br />
An welchem Zustand orientieren wir uns? Leitbild, natürliche historische Referenz<br />
Welche Mängel sind vorhanden? Defizitanalyse<br />
Muss etwas getan werden? Entwicklungsbedarf<br />
Welche Mängel können behoben werden? Entwicklungspotenzial, Restriktionen<br />
Welchen Zustand streben wir an? Entwicklungsziel, Handlungserfor<strong>der</strong>nisse<br />
Wie erreichen wir den angestrebten Zustand? Maßnahmenplanung<br />
Welche konkreten Maßnahmen sind nötig? Maßnahmenprogramm<br />
Wie und in welcher Qualität wird eingegriffen? Maßnahmen, M.-kontrolle /M.-begleitung<br />
Braucht es unterstützende Maßnahmen? Gewässerunterhalt<br />
Was wurde durch die Maßnahmen erreicht? Erfolgskontrollen, Monitoring<br />
Tab. 2-1:<br />
Aufeinan<strong>der</strong> aufbauende Fragestellungen für einen logischen Ablauf <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung. Die<br />
unterschiedliche Farbgebung entspricht den einzelnen Bearbeitungsebenen (vgl. Abb. 2-1)<br />
Die Beantwortung <strong>der</strong> einleitenden Frage zum Objekt wird durch den in Kap. 1.5 aufgeführten<br />
“Anlass für eine <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung” bestimmt. Sind die räumlichen und zeitlichen<br />
Prioritäten gesetzt und die Zuständigkeiten geklärt, so entwickelt sich für die darauffolgenden Fragen<br />
und Schritte eine Kausalkette.<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung kann sodann als Fließschema dargestellt werden. (Abb. 2-1). Der<br />
Stellenwert des jeweiligen Schrittes im Gesamtkonzept wird deutlich und bei einem Einstieg auf einer<br />
späteren Ebene kann diskutiert werden, welche Schritte und Inhalte <strong>der</strong> Konzeption noch nachgeholt<br />
werden müssen. Die Vorstellung logischer und zeitlich aufeinan<strong>der</strong>folgen<strong>der</strong> Abklärungs-, Planungsund<br />
Umsetzungsschritte ist auch entscheidend für eine ökonomische und damit kostengünstigere<br />
Vorgehensweise. In diesem Fall dient das Fließschema als Checkliste zur Überprüfung <strong>der</strong> Vollständigkeit<br />
einer <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung.<br />
Der schematische Ablauf <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung ist das zentrale Instrument dieses Praxishandbuchs.<br />
Auch <strong>der</strong> Stellenwert bisheriger Anleitungen, Empfehlungen und Richtlinien zur <strong>Gewässerentwicklung</strong>/Gewässerbetreuung<br />
lassen sich dadurch besser einordnen.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
31
32<br />
Umsetzung Planung Abklärungen<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
Schutzwasserwirtschaft<br />
Ökologie<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Raumplanung<br />
Nutzung<br />
Anlass, Organisation, Prioritäten, Projektperimeter<br />
Ist -Zustands-Erhebung<br />
Referenz, Leitbild<br />
Defizitanalyse<br />
Entwicklungsbedarf<br />
Restriktionen<br />
Entwicklungspotential<br />
Entwicklungsziel<br />
Handlungserfor<strong>der</strong>nisse<br />
Maßnahmenprogramme<br />
Maßnahmen, ökologische Begleitung<br />
Gewässerunterhalt<br />
Maßnahmenplanung<br />
Erfolgskontrollen<br />
Abb. 2-1:<br />
Fließschema <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung, ihrer wichtigsten Schritte und Inhalte. Das Schema gibt den<br />
Rahmen für den Aufbau des Handbuchs vor (Ebenen in verschiedenen Farben).<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Die an dieser Arbeit mitwirkende Arbeitsgruppe aus Sachverständigen <strong>der</strong> Alpenrheinanlieger hat<br />
sich auf die im Fließschema verwendete Terminologie für die regionalen <strong>Gewässerentwicklung</strong> geeinigt.<br />
Ein Abgleich <strong>der</strong> im gesamten deutschen Sprachraum verwendeten Termini (vgl. weiterführende<br />
Literatur), die teilweise synonym o<strong>der</strong> für mehr o<strong>der</strong> weniger umfassende Inhalte gebraucht werden,<br />
war jedoch nicht möglich.<br />
Die nach dem Allgemeinen Teil (grau) folgenden Kapitel des Praxishandbuchs sind diesem Fließschema<br />
entsprechend geordnet und unterschiedlich farbig markiert (gelber Teil = Abklärungen; roter<br />
Teil = Planungsinhalte; blauer Teil = Maßnahmenumsetzung und Erfolgskontrollen).<br />
■ Den ersten und gleichzeitig umfangreichsten Teil <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung fassen wir<br />
unter dem Begriff <strong>der</strong> Abklärungen (Kapitel 3) zusammen. Sie beinhaltet alle Zustandserfassungen<br />
und sonstigen Informationssammlungen, benennt Defizite, leitet daraus den Entwicklungsbedarf ab<br />
und setzt Entwicklungsziele und Handlungserfor<strong>der</strong>nisse.<br />
Die Abklärungen sollten prinzipiell abgeschlossen und Entwicklungsziele formuliert sein, bevor die<br />
Ebene <strong>der</strong> Planung beschritten wird. An<strong>der</strong>nfalls riskiert man, dass die Planungsarbeit eine falsche<br />
Richtung einschlägt und durch nachträgliche Planungskorrekturen Zeit und Geld verschwendet wird.<br />
Im Rahmen übergeordneter <strong>Gewässerentwicklung</strong>sprogramme können Teile <strong>der</strong> Abklärungen (z.B.<br />
sich nur wenig verän<strong>der</strong>nde Inventare) im voraus erhoben werden. Beim Einstieg in ein <strong>Gewässerentwicklung</strong>skonzept<br />
sind sie dann ohne Zeitverlust nutzbar.<br />
■ Im zweiten Teil, <strong>der</strong> Planung (Kapitel 4), fließen alle relevanten Informationen und Zielsetzungen<br />
in die konkrete Planungsarbeit ein. Diese kann - je nach Objekt o<strong>der</strong> Umfang <strong>der</strong> geplanten<br />
Maßnahmen - aus nur einer o<strong>der</strong> aus mehreren Etappen bestehen und beeinhaltet im Idealfall ein<br />
“Überwachungssystem” in Form von planungsbegleitenden Arbeitsgruppen o<strong>der</strong> Kommissionen.<br />
Auf diese Weise wird die Planung über das Instrument <strong>der</strong> permanenten Rückmeldung optimiert.<br />
Generelle Aufgabe <strong>der</strong> Planungsebene ist es, in Form verschiedener Varianten (Kap. 4.4) Wege zur<br />
Umsetzung <strong>der</strong> formulierten Entwicklungsziele vorzuschlagen. Eine ökologische und schutzwasserbauliche<br />
Begleitkommission hilft im Idealfall bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> geeigneten Variante. Weitere<br />
Aufgaben dieser auch als „ökologisch-wasserwirtschaftliche Fachplanung“ zu bezeichnenden Arbeit<br />
ist es, den Umfang weiterer Ausbau- und Unterhaltsmaßnahmen abzuschätzen, um den angestrebten<br />
Zustand langfristig mit einem Minimum an steuernden Eingriffen zu erhalten.<br />
■ Der dritte Teil wird unter dem Begriff <strong>der</strong> Umsetzung (Kapitel 5) zusammengefasst und beinhaltet<br />
die eigentliche Maßnahme, die durch sie eingeleiteten Prozesse <strong>der</strong> Selbststrukturierung, notwendige<br />
Unterhaltsmaßnahmen sowie die allfälligen Erfolgskontrollen. Für bauliche Eingriffe ist<br />
eine Maßnahmenkontrolle und ökologische Baubegleitung vorgesehen. Negativ ausfallende<br />
Erfolgskontrollen erfor<strong>der</strong>n eine Maßnahmenkorrektur bis hin zu nachträglichen Än<strong>der</strong>ungen in<br />
<strong>der</strong> Detailplanung.<br />
Systemarer Planungsansatz<br />
Bereits im Rahmen <strong>der</strong> Abklärungen und später auf <strong>der</strong> Planungsebene müssen unbedingt Vorschläge<br />
für die Entwicklung und Pflege möglichst zusammenhängen<strong>der</strong> Gewässerabschnitte und <strong>der</strong> mit<br />
ihnen vernetzten/vernetzbaren Landschaftselemente erarbeitet werden. Auch muss schon in einer frühen<br />
Phase <strong>der</strong> Arbeiten eine Abstimmung zwischen <strong>der</strong> jeweiligen <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
und an<strong>der</strong>en flächenbezogenen Planungen erfolgen. Ein solcher systemarer Planungsansatz ist die einzige<br />
Möglichkeit, um Eingriffe zu vermeiden, die ihrerseits das Erreichen von Entwicklungszielen an<br />
an<strong>der</strong>en Stellen des Gewässersystems erschweren. Kleinräumige, in ihrem Entwicklungspotenzial<br />
(Kap. 3.6) stark eingeschränkte Maßnahmen können dann auch ohne Erfassung umfangreicher Inven-<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
33
34<br />
tare und Leitbil<strong>der</strong> durchgeführt werden, wenn sie einen solchen systemaren Bezug auflassen und eine<br />
zukünftige <strong>Gewässerentwicklung</strong> nicht einschränken o<strong>der</strong> gar verhin<strong>der</strong>n (z.B. durch den Einbau von<br />
Kontinuumsunterbrechungen).<br />
2.2 Ökosystembausteine<br />
Ökosystembausteine sind den Systemen innewohnende, vor allem ökologisch relevante Komponenten.<br />
Bei den meisten Schritten <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung sind auch immer alle Ökosystembausteine<br />
zu berücksichtigen. Fünf Bausteine werden unterschieden:<br />
■ <strong>der</strong> Wasserhaushalt<br />
■ <strong>der</strong> Feststoffhaushalt<br />
■ die Morphologie (Struktur)<br />
■ die Wasserqualität<br />
■ die Lebensgemeinschaften (Biozönosen)<br />
Bei <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> o<strong>der</strong> einzelnen Revitalisierungsmaßnahmen muss das enge Beziehungsgefüge<br />
zwischen unterschiedlichen <strong>Aspekte</strong>n dieser Bausteine berücksichtigt werden. Kennt man<br />
grundlegende Zusammenhänge eines defizitären Gewässerzustandes nicht o<strong>der</strong> nur unzureichend, so<br />
sollte zu den einzelnen Ökosystembausteinen so viel Information wie möglich gesammelt werden.<br />
Schwerpunkte bei den Bestandsaufnahmen können erst dann gesetzt und einzelne <strong>Aspekte</strong> dann unberücksichtigt<br />
bleiben, wenn Zusammenhänge aus an<strong>der</strong>en Objekten/Systemen bekannt sind und/o<strong>der</strong><br />
unter Zuhilfenahme geeigneter Indikatoren eindeutig nachvollziehbar und erkennbar werden. Es wird<br />
jedoch empfohlen, alle Abklärungen zu treffen, die nötig sind, um das Objekt/System ökologisch hinreichend<br />
charakterisieren zu können. Nur so kann eine korrekte Defizitanalyse erfolgen.<br />
2.3 Fließgewässerzonierung und Gewässertypen<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Unterschiede in <strong>der</strong> Ausprägung <strong>der</strong> Ökosystembausteine bestimmen die Individualität des betrachteten<br />
Gewässers. Anhand größerer, natürlich bedingter Unterschiede lassen sich Gewässer ähnlicher<br />
Charakteristik zu Gruppen zusammenfassen und erlauben eine Kategorisierung nach unterschiedlichen<br />
Gewässertypen (Kap. A2.4). Auch anthropogen beeinflusste Gewässer können so einem ursprünglichen<br />
Gewässertyp zugeordnet werden. Erst durch massive Eingriffe o<strong>der</strong> bei künstlichen<br />
Gewässern wird dieser unkenntlich (z.B. Binnenkanäle, Entwässerungsgräben, Baggerseen). In diesen<br />
Fällen wird das Gewässer dem bezüglich Wasserhaushalt und Topographie (Höhe, Gefälle) ihm ähnlichsten<br />
natürlichen Gewässertyp zugeordnet o<strong>der</strong> ein neuer Typ definiert (z.B. Binnenkanäle).<br />
Eine weitere Möglichkeit <strong>der</strong> gegenseitigen Abgrenzung von Fließgewässertypen o<strong>der</strong> -abschnitten<br />
ist die von ILLIES (1958, 1961) anhand von Leitorganismen entwickelte biozönotische Fließgewässerzonierung<br />
(Kap. A2.3). Diese Zonierung ist abhängig von <strong>der</strong> Laufentwicklung <strong>der</strong> Fließgewässer über<br />
verschiedene Höhenstufen. Die im Praxishandbuch aufgeführten Gewässertypen erstrecken sich dabei<br />
von <strong>der</strong> krenalen (Quellregion) bis hinunter zur epipotamal-potamalen Zone (Alpenrheinmündung).<br />
Die richtige Zuordnung von Gewässern zu Gewässertypen und/o<strong>der</strong> Fließgewässerzonen ist für die<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung von übergeordneter Bedeutung und sollte schon zu einem frühen<br />
Zeitpunkt <strong>der</strong> Ist-Zustandserhebung erfolgen. Eine zum falschen Gewässertyp hin gesteuerte Entwicklung<br />
verursacht erhebliche Unterhaltsmaßnahmen und kann einen großen Teil <strong>der</strong> angestrebten<br />
ökologischen Verbesserungen verhin<strong>der</strong>n.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
A2 Arbeitsmaterialien zu Kapitel 2<br />
A2.1 Vorüberlegungen, Organisation<br />
Auf Grund <strong>der</strong> Vielzahl unterschiedlicher Gewässertypen, Problemstellungen und Rahmenbedingungen<br />
muss die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung als flexibles Planungsinstrument gehandhabt werden.<br />
Der Ausgangspunkt o<strong>der</strong> Anlass für ein entsprechendes Konzept ist ein übergeordneter Handlungsbedarf<br />
an einem Gewässer (Gewässerabschnitt, Gewässersystem). Dieser rekrutiert sich zum einen aus<br />
auffälligen Defiziten (Hochwasserschutz ist nicht mehr gewährleistet, Fischartenschwund, Gewässercharakter<br />
stört das Landschaftsbild usw.) zum an<strong>der</strong>en aus übergeordneten Richtlinien und Entwicklungsprogrammen<br />
(z.B. EU-Wasserrahmenrichtlinie, Entwicklungsprogramme, Aktionsprogramme<br />
stehen an usw.). Je nach Ausgangslage kommt <strong>der</strong> Impuls für eine <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
demnach aus den Fachbereichen Gewässerschutz und/o<strong>der</strong> Schutzwasserwirtschaft, selten auch aus<br />
<strong>der</strong> Raumplanung. Zusätzlichen Anstoß geben verschiedene Interessens- und Nutzergruppen, wie<br />
z.B. Fischereivereine.<br />
Kleinere Maßnahmen, für die <strong>der</strong> Aufwand einer <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung nicht verhältnismässig<br />
ist (z.B. Verlegung von Abwasserrohren, lokale Gebäudesicherung usw.), werden in gegenseitiger<br />
Kenntnisgabe und Absprache durchgeführt. Für grössere Projekte sollte sich eine interdisziplinäre<br />
Arbeitsgruppe konstituieren. Diese koordiniert sodann alle weiteren Schritte. Im Vergleich zu<br />
an<strong>der</strong>en entwicklungswürdigen Objekten und bezüglich entscheiden<strong>der</strong> Entwicklungsschwerpunkte<br />
(schutzwasserbaulich, gewässerökologisch, raumplanerisch) werden Prioritäten festgelegt, die sich in<br />
<strong>der</strong> Zusammensetzung <strong>der</strong> Projektorganisation sowie in den Zuständigkeiten und <strong>der</strong> Aufgabenverteilung<br />
innerhalb <strong>der</strong> Arbeitsgruppe wi<strong>der</strong>spiegeln. Die Zusammensetzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe (Fachbereiche,<br />
Interessensvertreter, Sachberater ...) und ihre Benennung (Arbeitsgruppe, Projektgruppe,<br />
Projektkommission u.a) muss ebenfalls flexibel gehandhabt werden können, vor allem, wenn sie sich<br />
aus Vertretern verschiedener Län<strong>der</strong> und Kantone zusammensetzt (Abb. A2-1).<br />
Der Koordination <strong>der</strong> verschiedenen Fachbereiche kommt eine Schlüsselrolle für jedes <strong>Gewässerentwicklung</strong>sprojekt<br />
zu. Die Bearbeitung wird in einzelnen, genau beschreibbaren Arbeitspaketen vergeben<br />
und meist von Bearbeiterteams durchgeführt. Die Zusammenführung aller Fachbereiche und<br />
Ergebnisse <strong>der</strong> Arbeitspakete erfolgt in je<strong>der</strong> Projektphase (WIRTH 2002).<br />
Die Zusammenführung <strong>der</strong> ökologischen Zielsetzungen und Handlungsschwerpunkte mit jenen <strong>der</strong><br />
Schutzwasserwirtschaft (und in <strong>der</strong> Umsetzung mit <strong>der</strong> Raumplanung) erfolgt mittels einer Szenarienanalyse<br />
und Prioritätensetzung (Kap. 1.6; A1.4). Vorgaben aus an<strong>der</strong>en Bereichen werden ebenfalls als<br />
Rahmenbedingungen integriert. Zusammen mit dem Grad des gesellschaftspolitischen Konsenses bestimmen<br />
sie das Entwicklungspotenzial.<br />
Bei diesem und allen weiteren Schritten (Raum, Finanzen, Politik) spielt die Öffentlichkeitsarbeit<br />
(Kap. 4.8.1) zum laufenden Projekt eine herausragende Rolle. Die vollumfängliche Verantwortlichkeit<br />
bleibt zwar bei <strong>der</strong> Projektgruppe. Diese muss sich jedoch einer gesellschaftspolitischen “Beobachtung”<br />
stellen und auf positive und negative Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Akzeptanz entsprechend reagieren<br />
können.<br />
Eine optimale Konstellation ergibt sich, wenn sich in <strong>der</strong> Planungsgruppe Personen befinden, die später<br />
auch für die Umsetzung von Maßnahmen verantwortlich sind. Je fachkundiger dieses Personal ist,<br />
desto weiter kann die Entlastung <strong>der</strong> Planungsgruppe von Planungsdetails betrieben werden. Auf<br />
diese Weise kann die konsequenteste Reduzierung auf konzeptionelle Aussagen erfolgen. Die Träger<br />
<strong>der</strong> Umsetzung haben dann unmittelbaren Einfluss auf die notwendige Aussagetiefe <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
35
36<br />
Abklärungen<br />
Planung<br />
Umsetzung<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Schritte Projekt-Organisation<br />
Vorüberlegungen<br />
Projekt-Organisation<br />
Ist-Zustands-Erhebung<br />
Referenz, Leitbild<br />
Defizitanalyse<br />
Entwicklungsbedarf<br />
Restriktionen<br />
Entwicklungspotential<br />
Entwicklungsziel<br />
Maßnahmenplanung<br />
Maßnahmenprogramm<br />
Maßnahmen<br />
Baubegleitung<br />
Gewässerunterhalt<br />
Erfolgskontrollen<br />
Planungskommission<br />
Vertreter <strong>der</strong> zuständigen Behörden<br />
(Schutzwasserwirtschaft und Gewässerschutz),<br />
Bauträger, Vertreter <strong>der</strong> Gemeinden<br />
und <strong>der</strong> Naturschutzverbände<br />
Fachbereich-Teams<br />
<strong>der</strong> Planungsgruppe<br />
Bauausführung / Begleitung / Unterhalt<br />
Beauftragte Baufirmen/Flussbauhöfe<br />
Angestellte des Landes / Kantons<br />
Naturschutzverbände / Patenschaften<br />
<strong>Ökologische</strong>(r) Baubegleiter(in)<br />
Planungsgruppe<br />
interdisziplinäre<br />
Arbeitsgruppe<br />
von Fachexperten<br />
<strong>Ökologische</strong> Begleitkommission<br />
Fachbereich-Teams<br />
Vertreter <strong>der</strong> zuständigen Fachstellen, Vertreter des beauftragten<br />
Planungsbüros; Fachexperten <strong>der</strong> Arbeitsgruppen<br />
Abb. A2-1:<br />
Vorschlag für eine Projektorganisation im Rahmen einer <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
Szenarienanalyse, Prioritäten, gesellschaftspolitische Konsensfindung, Öffentlichkeitsarbeit<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
A2.2 Ökosystembausteine<br />
Die Ökosystembausteine beinhalten verschiedene <strong>Aspekte</strong> und Faktoren, die - je nach Fragestellung<br />
und Objekt - mehr o<strong>der</strong> weniger starke Relevanz besitzen. Diese <strong>Aspekte</strong> stehen miteinan<strong>der</strong> in enger<br />
Beziehung. Sie bedingen gegenseitig ihre Stärke und Bedeutung im betrachteten System (Objekt).<br />
Beispiel: Ein Bergbach wird auf Grund wasserwirtschaftlicher Nutzung zu einem Restgerinne mit<br />
begrenztem Dotierwasser (hydrologische Faktoren verän<strong>der</strong>n sich). Dieser zeigt aufgrund fehlen<strong>der</strong><br />
Abflussvariabilität nur noch geringe Strömungsdynamik --> die Geschiebedynamik geht verloren,<br />
Schwebstoffe sedimentieren, die Sohle kolmatiert --> die strukturelle Variabilität und die Selbstreinigungskraft<br />
nimmt ab --> die Wasserqualität verschlechtert sich und die Auswahl an unterschiedlichen<br />
Habitaten nimmt ab --> aquatische und amphibische Biozönosen werden direkt negativ beeinflusst.<br />
Sämtliche Ökosystembausteine sind also betroffen.<br />
Eine entscheidende Rolle für die später erfolgenden Inventarisierung spielen <strong>der</strong> äußere Aspekt, die<br />
frühe Erfassungen <strong>der</strong> Belastungs- und Störungsquellen und die Auswahl aussagekräftiger biologischer<br />
Indikatoren. Sie bestimmen in entscheidendem Maße, wie detailliert weitere Abklärungen<br />
durchgeführt werden müssen und damit die Ökonomie <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung.<br />
Gewässersystem / Gewässer<br />
geografische Lage<br />
Wasserhaushalt Feststoffhaushalt Morphologie Wasserqualität<br />
Biozönosen<br />
äußerer Aspekt<br />
Abflussregime<br />
Strömungscharakter<br />
wasserwirtschaftliche<br />
Nutzung<br />
Störungsquellen/<br />
-inventare<br />
äußerer Aspekt<br />
Geschieberegime<br />
Schwebstoffführung<br />
Geologie des<br />
Einzugsgebiets<br />
Defizit-<br />
Ursachen/-Inventare<br />
Ökosystembausteine<br />
äußerer Aspekt<br />
Gefälle<br />
Ökomorphologie<br />
Vernetzung,<br />
Verzahnung<br />
Durchgängigkeit<br />
Defizit-Ursachen/<br />
-Inventare<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
äußerer Aspekt<br />
Nährstoffbelastung<br />
sonstige Belastung<br />
Temperaturregime<br />
sonstige physikalische<br />
Qualität<br />
Belastungsquelleninventar<br />
äußerer Aspekt<br />
aquatische<br />
Biozönosen<br />
amphibische<br />
Biozönosen<br />
Biozönosen<br />
von Aue und<br />
Umland<br />
Belastungszeiger<br />
(Indikatoren)<br />
Abb. A2-2:<br />
Die fünf bei <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> zu berücksichtigenden Ökosystembausteine und ihre für die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
entscheidenden <strong>Aspekte</strong>.<br />
37
38<br />
A2.3 Fließgewässerzonierung<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Die von verschiedenen Autoren entwickelte biozönotische Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Fließgewässer o<strong>der</strong> Fließgewässerzonierung<br />
orientiert sich in erster Linie am Lebensraumangebot <strong>der</strong> jeweiligen Fließgewässer.<br />
Leitorganismen des Benthos und vor allem Leitfischarten eignen sich beson<strong>der</strong>s als Indikatoren für<br />
dieses Angebot. Daher decken sich Fließgewässerzonierung und fischzönotische Zonierung in weiten<br />
Bereichen. Eine Zonierung nach ILLIES (1958, 1961) o<strong>der</strong> HUET (1959) kann für das Alpenrheingebiet<br />
jedoch nicht unverän<strong>der</strong>t übernommen werden. Das Gebiet besitzt Charaktereigenschaften mit zum<br />
Teil fließenden, zum Teil an<strong>der</strong>en zönotischen Grenzen als sie in den klassischen Einteilungen aufgeführt<br />
sind. In <strong>der</strong> Tabelle A2.1 ist diesem Regionscharakter Rechnung getragen.<br />
Rhithralzonen<br />
Potamalzonen<br />
Fließgewässerzone<br />
Krenal<br />
Epirhithral<br />
Rhithral<br />
(zentraler Teil)<br />
zönotischer<br />
Charakter<br />
Lebensraum <strong>der</strong> Quellen<br />
und eng benachbarter<br />
Bergbachabschnitte<br />
Lebensraum <strong>der</strong><br />
Hochgebirgs- und<br />
Wildbäche<br />
Lebensraum <strong>der</strong> Hügelund<br />
Bergbäche sowie<br />
<strong>der</strong> steilen Abschnitte<br />
von Gebirgsflüssen<br />
Tab. A2-1:<br />
Fließgewässer- und Fischzonierung im Alpenrheingebiet<br />
Fischzonierung<br />
keine Entsprechung<br />
oberste Forellenregion<br />
obere Forellenregion<br />
Metarhithral untere Forellenregion<br />
Hyporhithral<br />
Epipotamal<br />
Potamal<br />
Lebensraum <strong>der</strong> Talgewässer<br />
im Bergland und<br />
<strong>der</strong> Gebirgsfluss-Unterläufe<br />
Lebensraum <strong>der</strong><br />
Mittellandflüsse<br />
Lebensraum <strong>der</strong> großen<br />
Mittelland- und Unterlandflüsse<br />
Äschenregion<br />
Äschen-Barben-Region<br />
Barben-Brachsenregion<br />
Beson<strong>der</strong>heiten<br />
Alpenrheingebiet<br />
im Tal und in Berglagen<br />
nur stellenweise von<br />
Elritzen besiedelt<br />
nur stellenweise, dann<br />
nur von Bachforellen<br />
besiedelbar<br />
Hauptverbreitungs- und<br />
Reproduktionsgebiet<br />
<strong>der</strong> Bachforellen und<br />
Groppen<br />
Reproduktionsgrenze<br />
für Seeforellen<br />
im Alpenrheintal zentralesReproduktionsund<br />
Verbreitungsgebiet<br />
<strong>der</strong> Äschen und<br />
Regenbogenforellen<br />
evtl. nur unterer<br />
Abschnitt des<br />
Alpenrheins<br />
evtl. nur Mündungsbereich<br />
Alpenrhein-<br />
Bodensee<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Hochgebirge / Gebirge<br />
Bergland<br />
Talebene<br />
Hochgebirgsbäche II<br />
(Schwemmebene)<br />
Gewässer<br />
4. Ordnung<br />
Gewässer<br />
3. Ordnung<br />
Gebirgsflüsse I<br />
Zufluss-System direkte Zuflüsse<br />
Gewässer<br />
1. Ordnung<br />
(Gewässer<br />
2. Ordnung)<br />
Gewässer<br />
3. Ordnung<br />
Gewässer<br />
5. Ordnung<br />
und höher<br />
Quellbäche<br />
Hochgebirgsbäche I<br />
Gebirgs-/ Bergbäche<br />
(Schluchtteil)<br />
System <strong>der</strong><br />
Riedgewässer<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Wildbäche<br />
Giessen<br />
Gebirgsflüsse II<br />
(Alpenrhein)<br />
Hangbäche<br />
Abb. 2-3:<br />
Schema <strong>der</strong> Fließgewässertypen im Alpenrheingebiet und ihre zönotische Zuordnung<br />
Zonierung<br />
krenal<br />
epirhithral<br />
rhithral<br />
metarhithral<br />
hyporhithral<br />
epipotamal<br />
potamal<br />
indifferent<br />
Talbäche<br />
Rüfen<br />
Binnenkanal<br />
39
40<br />
A2.4 Gewässertypen im Alpenrheingebiet<br />
(Mit Auszügen aus dem Gewässer- und Fischökologischen Konzept Alpenrhein, EBERSTALLER, J. & G. HAIDVOGL (1997))<br />
Für das Alpenrheinsystem lassen sich Gewässer verschiedener Typen unterscheiden. Dabei handelt es<br />
sich in überwiegendem Maße um Fließgewässer. Die Unterscheidung wird vorgenommen anhand <strong>der</strong><br />
Kriterien Gewässerursprung (Gebirge, Bergland, Hang o<strong>der</strong> Talraum), Geschiebeführung, Hydrologie<br />
und naturräumliche Lage (Rheinschotter, Riedflächen, Schwemmfächer). Ausgehend von den<br />
Aufnahmen des Gewässer- und Fischökologischen Konzepts Alpenrhein (EBERSTALLER & HAIDVOGL,<br />
1997) und darauf aufbauenden Untersuchungen unterscheiden wir im Alpenrheingebiet folgende,<br />
auch in Abb. A2-3 schematisch dargestellten Fließgewässertypen:<br />
■ Talbäche,<br />
■ Gießen,<br />
■ Riedgewässer,<br />
■ Binnenkanäle,<br />
■ Gebirgsbäche und Gebirgsflüsse<br />
■ kleine Gebirgs- o<strong>der</strong> Hangbäche,<br />
■ Wildbäche und Rüfen,<br />
■ Stillgewässer<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Talbäche<br />
Talbäche kann als Sammelbegriff aller im Talgrund verlaufenden Fließgewässer mittlerer Grösse (ca.<br />
25 l/s bis ca. 1 m3 /s im Jahresmittel) verwendet werden, egal, ob ihr Ursprung im Tal selbst o<strong>der</strong> an<br />
den Hängen des Alpenrheintales liegt. Da Gießen und Binnenkanäle aufgrund ihrer hydrologischen<br />
Beson<strong>der</strong>heiten separat besprochen werden, wollen wir im Weiteren den Begriff des Talbaches nur<br />
noch für folgende Gewässertypen verwenden:<br />
■ Unterläufe von Hangbächen (vgl. Hangbäche)<br />
■ Im Bett ursprünglicher Gießen verlaufende Fließgewässer ohne primäre Grundwasserspeisung<br />
■ naturnah revitalisierte Kanäle<br />
■ wie<strong>der</strong>bewässerte Talbäche mit naturnahem Charakter<br />
■ im Talgrund künstlich angelegte und künstlich gespeiste Fließgewässer mittlerer Größe<br />
a b c<br />
Abb. A2-3: Talbäche haben heute im Alpenrheintal unterschiedlichen Ursprung und Charakter. a): Mühlbach bei Ludesch<br />
(V); b) Lawenabach bei Triesen (FL): c) Altabach (FL).<br />
Gießen<br />
Die Gießen entspringen im Schotterkörper des Rheins und werden im Idealfall überwiegend vom<br />
Grundwasser gespeist. Sie zeichnen sich durch geringes Gefälle, geringe Geschiebedynamik, hohe<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Wassertransparenz sowie den vielfältigen Bewuchs durch submerse (untergetauchte) Makrophytenvegetation<br />
aus. Echte „Rheingießen" verlaufen nur entlang dieses Schotterkörpers, insbeson<strong>der</strong>e in<br />
den Auen von Vilters, Wangs, Mels und Sargans, weiter entlang des Bezirkes Werdenberg (Buchser<br />
Gießen etc.). In Liechtenstein befanden sich die Gießen ursprünglich hauptsächlich in <strong>der</strong> südlichen<br />
Landeshälfte (Raum Balzers). Eine große Anzahl an Gießen fand sich früher in den Rheinauen<br />
Lustenaus, so z.B. auf <strong>der</strong> Alp, im Eslach, Badloch Grütt und Augarten (VONBANK ET AL., 1965).<br />
Ursprüngliche Gießen lassen sich heute noch im sog. Taubergießen-Gebiet im deutschen Oberrheingraben<br />
beobachten (Abb. A2-4a,b). Gießen können durch ihre extrem hohe Wassertransparenz<br />
und den in <strong>der</strong> Regel sehr starken Bewuchs mit submerser Vegetation unschwer als solche erkannt<br />
werden. Diese Charakteristika ergeben sich aus dem hohen Grundwasseranteil <strong>der</strong> Wasserführung.<br />
Daneben zeigen Gießen nur unbedeutende Abfluss- und Temperaturamplituden, so gut wie kein<br />
Geschiebe- und nur wenig Trübstofftransport und ein großes Spektrum an Benthosorganismen und<br />
Fischarten.<br />
a b c<br />
Abb. A2-4: Natürliche und künstliche Gießenbäche. a) und b) Grundwassergespeister Gießen im Oberrheintal bei Rust<br />
(Bad.-Württ.); c) Gießenähnlicher, aber degradierter Abschnitt im Vorarlberger Rheintal-Binnenkanal.<br />
Riedgewässer<br />
Die Riedgewässer sind für die großen Sumpf- und Moorflächen <strong>der</strong> Rheintalebene typisch, die teilweise<br />
durch verlandete Seen entstanden. Aufgrund <strong>der</strong> enormen Flächenausdehnung dieser „Riedflächen",<br />
die LAUTERBORN (1916) als die charakteristischste Formation des Schweizer/ Vorarlberger<br />
Rheintales bezeichnet, ist anzunehmen, daß auch typische Riedgewässer ursprünglich sehr zahlreich<br />
waren. Riedgewässer reichen von kleinen Bächen bis zu Gewässern mit größerem Abfluss, wie beispielsweise<br />
<strong>der</strong> Esche in Liechtenstein. Sie entspringen z.T. aus Stillgewässern und haben geringen,<br />
ausgeglichenen Abfluss. Typische Vertreter <strong>der</strong> Riedgewässer sind im Rheintal Entwässerungsgräben<br />
und Wiesenbäche. Das Wasser ist je nach Torfanteil im Einzugsgebiet teils klar, teils schwach bräunlich<br />
gefärbt. Richtige „Moorbäche" mit Braunwasser sind im Rheintal eher untypisch.<br />
Abb. A2-5: Fließende Riedgewässer sind heute im Alpenrheintal stark anthropogen überprägt. Ursprünglich mäandrierende<br />
Kleingewässer wurden begradigt, an<strong>der</strong>e als Drainagekanäle neu geschaffen. Auffällig ist das Fehlen ausreichend<br />
dimensionierter Gewässerrandstreifen.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
41
42<br />
Die Wassertemperatur ist im Sommer höher als bei den an<strong>der</strong>en Gewässertypen (bis über 25°C).<br />
Fehlende bis geringe Beschattung hat starke Erhöhung <strong>der</strong> Wassertemperatur im Längsverlauf zur<br />
Folge. Die Sauerstoffsättigung ist meist geringer als bei den zuvor beschriebenen Gewässertypen. Das<br />
Gefälle und damit <strong>der</strong> Materialtransport sind gering.<br />
Der Uferbewuchs besteht primär aus Seggen, Gräsern und krautiger Vegetation. Auwäl<strong>der</strong> fehlen.<br />
Infolge höheren Feinsedimentanteiles ist das Wasser häufig trüb, submerse Makrophyten kommen<br />
daher nur in Abschnitten mit höherem Nährstoffeintrag vor.<br />
Binnenkanäle<br />
Binnenkanäle prägen seit Mitte des 19 Jh. als Sammler von Rheinzuflüssen und Gewässern <strong>der</strong><br />
Talebene das Bild des Alpenrheintals. Binnenkanäle sind im gewässertypologischen Sinn streng genommen<br />
strukturell stark degradierte Bäche <strong>der</strong> Talebene. In vielen Bereichen des Alpenrheintales<br />
stellen sie die einzige Verbindung zwischen dem Alpenrhein und seinem direkten Einzugsgebiet dar.<br />
Ausnahmen bilden lediglich die größeren Gebirgsflüsse. Binnenkanäle vereinigen hydrologische, chemische<br />
und biologische Lebensraum-Charakteristika aller an<strong>der</strong>en Fließgewässertypen des Alpenrheintals.<br />
Je nachdem, auf welchem Abschnitt man sie betrachtet, zeigen sie mehr rhithrale o<strong>der</strong> mehr<br />
hyporhithrale Eigenschaften o<strong>der</strong> ähneln mit stellenweise starkem Makrophytenbewuchs auch einem<br />
Gießen. Typisch für Binnenkanäle bleiben die strukturellen Defizite, vor allem bei <strong>der</strong> Linienführung;<br />
die Tatsache, dass landwirtschaftliche Nutzung in <strong>der</strong> Regel bis zum Gewässerrand praktiziert wird,<br />
sowie die stellenweise starken Abfluss- und Temperaturschwankungen.<br />
a b c<br />
Wildbäche und Rüfen<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Abb. A2-6: Als Binnenkanäle werden alle parallel zu Rhein verlaufenden, künstlichen Kanäle im Rheintal bezeichnet, die<br />
kleinere, ehemals direkte Rheinzuflüsse o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Zubringer sammeln und gemeinsam dem Rhein zuführen. Binnenkanäle<br />
trugen in entscheidendem Maße zur Entwässerung des Alpenrheintals bei. a) Liechtensteiner Binnenkanal; b)<br />
Saarkanal; c) Vorarlberger Binnenkanal.<br />
Wildbäche und Rüfen weisen einen topographisch bedingt kurzen, steilen Lauf und starken Geschiebetrieb<br />
von sehr grobkörnigem Material auf.<br />
Rüfen folgen in <strong>der</strong> Regel dem Verlauf von Schuttfächern in steilen Kerbtälern und “münden”, oft<br />
über einen Schwemmfächer, in das Fließgewässer nächster Ordnung. Rüfen führen jedoch nur periodisch<br />
Wasser und so gut wie nie auf ihrer gesamten Lauflänge. Bei Nie<strong>der</strong>- und Mittelwasser versickert<br />
das Wasser in den großen Interstitiallumina <strong>der</strong> Rüfenbette. Beim Gefälleknick am Fuß <strong>der</strong> Schwemmfächer<br />
liegen meist Ausschotterungsbereiche, die noch oft dem natürlichen Charakter <strong>der</strong><br />
Schwemmfächer entsprechen.<br />
Ähnlich wie Rüfen zeigen Wildbäche ein extrem steiles Abflussprofil und hohe Abflussdynamik.<br />
Meist handelt es sich bei ihnen um Gewässer erster Ordnung - nicht weit von <strong>der</strong> Quelle des Systems<br />
entfernt - die nur so breit sind, daß sie ganz o<strong>der</strong> weitgehend von Ufergehölz überschirmt werden<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
können. Wegen ihres starken Gefälles haben Wildbäche eine meist geraden, bestenfalls bogigen<br />
Linienverlauf ohne auffälliges Pendelband. Eine Abgrenzung gegenüber Rüfen geschieht am besten<br />
über den Faktor <strong>der</strong> Wasserführung. We<strong>der</strong> Rüfen noch Wildbäche sind für Fische ein natürlicher<br />
Lebensraum.<br />
a b c<br />
Abb. A2-7: Rüfen (a) sind die Wassersammler <strong>der</strong> Schotterrinnen im Gebirge und damit temporäre Fließgewässer ohne<br />
ständige Besiedlung. Wildbäche (b, c) führen zwar meist Wasser, dieses verläuft aber oft auch im Interstitial. Da sie auf<br />
Grund ihrer geraden Linienführung nach Starkregen oft große Geschiebemengen ins Tal transportieren, sind sehr viele<br />
Wildbäche in den Alpen schutzwasserbaulich gesichert.<br />
Hangbäche<br />
Bei den Hangbächen im Alpenrheintal lassen sich im Längsverlauf typische Abschnitte unterscheiden.<br />
Der „Oberlauf" mit höherem Gefälle in eher engen Tälern weist meist gestreckte Linienführung<br />
und deutlichen Geschiebetrieb auf. Abflussregime, Temperaturverhältnisse sowie Linienführung,<br />
Strukturausstattung und Substrat dieser „Oberläufe" entsprechen weitgehend denen <strong>der</strong> Wildbäche.<br />
Sie sind wegen ihrer meist geringeren Höhenlage oft mit dichter Begleitvegetation gesäumt. Auf<br />
Grund vieler natürlicher Barrieren weisen Oberläufe von Gebirgsbächen nur selten natürliche Fischpopulationen<br />
auf.<br />
An den Talflanken entsteht infolge <strong>der</strong> Geschiebeablagerung und einem deutlich reduzierten Gefälle<br />
ein breiter Schwemmfächer, <strong>der</strong> - historisch - teilweise bis in den Alpenrhein reichte. Hier liegen starke<br />
Furkationen des Baches mit zahlreichen Nebengewässern vor, die teilweise nur periodische<br />
Wasserführung besitzen. Innerhalb des vergleichsweise breiten Bachbettes ist das Substrat sehr heterogen<br />
sortiert und weist hohe Umlagerungsdynamik auf. In Abhängigkeit von Ausmaß und Häufigkeit<br />
<strong>der</strong> Geschiebeumlagerung kommt Bewuchs auf, wobei dessen Altersstadien auf den einzelnen Bänken<br />
und Inseln stark differieren. Im Umland liegen in Randzonen Auwaldgesellschaften und Feuchtgebiete.<br />
Hinter den Schwemmkegeln und/o<strong>der</strong> auf höheren Schotteraufschüttungen finden sich häufig typische<br />
Halbtrockenrasengesellschaften.<br />
a b c<br />
Abb. A2-8: Hangbäche sind typische Fließgewässer an den Flanken des Alpenrheintals und im südöstlichen Einzugsgebiet<br />
des Bodensees. Sie besitzen in ihrem Oberlauf eine den Gebirgsbächen ähnliche Morphologie und zeichnen sich beim<br />
Eintritt in <strong>der</strong> Talebene durch große Strukturvielfalt aus. Beispiele von Hangbächen aus a) dem Züricher Mittelland (Foto<br />
AWEL); b), c) Vorarlberg (Walzbach bei Röns, Foto UI Bregenz).<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
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44<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Fließt <strong>der</strong> Rhein weiter von den Talflanken entfernt, schließt sich ein Bachabschnitt mit sehr geringem<br />
Gefälle, gewundener Linienführung und geringem Geschiebetransport an. Derartige „Unterläufe"<br />
von Hangbächen liegen als Talbäche infolge des breiten Talraumes fast überall im unteren<br />
Alpenrheintal vor. Da gröberes Material bereits an den Talflanken abgelagert wird, herrscht dort<br />
mittel- bis feinschottriges, teilweise sandiges Substrat vor. Ursprünglich ist eine enge Vernetzung mit<br />
Gießen und dem System <strong>der</strong> Begleitgewässer des Alpenrheins typisch. Infolge <strong>der</strong> gewundenen Linienführung<br />
sind als typische Strukturen zu nennen: Kurvenkolk und Pool-Riffle-Perioden mit durch<br />
Totholz reich strukturiertem Gerinne. An den Gleithängen bilden sich Sedimentbänke aus, die teils<br />
unbewachsen sind, teils dichten Bewuchs mit Röhricht und krautigen Pflanzen aufweisen. Der charakteristische<br />
Gehölzbewuchs bzw. die geringe Breite bewirkt meist starke Beschattung. Im Verhältnis<br />
zur Gewässergröße existieren relativ großflächige Auwäl<strong>der</strong> und Feuchtflächen.<br />
Gebirgsflüsse, Gebirgsbäche<br />
Das Einzugsgebiet von Gebirgsflüssen setzt sich aus typischen Gebirgsbächen und den zuvor angesprochenen<br />
Wildbächen und Rüfen zusammen. Gebirgsbäche sind für den von uns betrachteten Raum<br />
demnach nur als die Oberläufe von Gebirgsflüssen von Bedeutung. Dort weisen sie meist gestreckte<br />
o<strong>der</strong> nur leicht geschwungene Linienführung mit Perioden (Pool-Riffle-Abfolgen) und sehr grobem<br />
Sohlensubstrat auf. Oft finden sich Kaskaden o<strong>der</strong> periodische Abfolgen von Abstürzen. Zusätzliche<br />
Strukturierung ergibt sich durch große Steinblöcke und - wo vorhanden - hohen Totholzanteil<br />
(Bäume, Wurzeln). Kies-/Schotterbänke bilden sich in gestreckten Bereichen nur kleinräumig aus.<br />
Feinsedimente lagern sich nur sehr locker ab.<br />
Je nach Höhe ihres Einzugsgebietes besitzen Gebirgsflüsse - oft noch oberhalb <strong>der</strong> Baumgrenze - ausgeprägte<br />
Hochtäler mit breiten Schwemmebenen, in denen sich die meisten Quellbäche sammeln.<br />
Solche Schwemmebenen mit geringem Gefälle zeigen noch eine ausgeprägte Strukturdynamik. Der<br />
eigentliche Gewässerlauf besitzt hier ein extrem breites Pendelband, so dass sogar das Hauptgerinne<br />
periodisch seinen Lauf verän<strong>der</strong>n kann und in großem Umfang Furkationen und Bachinseln erzeugt<br />
werden (Abb. A2-9b).<br />
Oft folgt auf die Schwemmeben ein Schluchtteil (Abb. A2-9c) mit Wildbachcharakter, <strong>der</strong> - je nach<br />
Gefälle - ein mehr o<strong>der</strong> weniger breites Pendelband und eine bogige Linienführung zeigt. Der Gebirgsbach<br />
“taucht” oft erst in seinem Schluchtteil unter die Baumgrenze und verläuft in diesem Charakter<br />
so lange, bis er aufgrund seiner Breite, Wasserführung und <strong>der</strong> Art seiner Zuflüsse als Gebirgsfluss<br />
angesprochen werden kann, <strong>der</strong> dann in einem Seitental o<strong>der</strong> im Alpenrheintal selbst fließt. Der<br />
Punkt, ab dem ein Gebirgsbach als Gebirgsfluss bezeichnet werden kann, ist nicht genau definiert,<br />
kann aber mit Hilfe mehrerer Kriterien festgelegt werden:<br />
■ die durchschnittliche jährliche Abflussmenge des Gewässers liegt deutlich über 1 m 3/s<br />
■ bei Auftreten von hochstämmigem Uferbewuchs berühren sich die Baumkronen nicht mehr<br />
(mind. 15 - 20 m Wasserspiegelbreite)<br />
■ es handelt sich um ein Fließgewässer mindestens 4. Ordnung (vgl. Abb. A2-3)<br />
Die Unterscheidung zwischen Gebirgs-/Bergbach und Gebirgsfluss wird also auf <strong>der</strong> Basis ihrer<br />
Größe, ihrer Ordnung und damit ihrer hydrologischen und landschaftsprägenden Bedeutung getroffen.<br />
Im Talraum zeigen Gebirgsflüsse aufgrund ihres reduzierten Gefälles und <strong>der</strong> größeren Breite ursprünglich<br />
verzweigte Abschnitte(Abb. A2-10). Sie entsprechen flussmorphologisch annähernd dem<br />
Typ des Alpenrheins. In den meist nur kleinflächigen Auwäl<strong>der</strong>n liegen vereinzelt kleine Nebengewässer,<br />
die kaum Verbindung zum Hauptgewässer besitzen.<br />
Gebirgsflüsse sind im Alpenrheingebiet die wichtigsten Fischgewässer. Der Fischbestand ist von strö-<br />
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Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
mungsliebenden Fischarten geprägt. In tieferen Lagen kommen in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Gewässergröße<br />
strömungsliebende Arten ohne starken Strukturbezug vor. Bedeutende Gebirgsflüsse im<br />
Alpenrheingebiet und im Einzugsgebiet des südöstlichen Bodenseeraums sind <strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>- und <strong>der</strong><br />
Hinterrhein, Plessur, Landquart, Ill, Frutz, Tamina, Bregenzerach und Dornbirnerach.<br />
a b c<br />
Abb. A2-9: Gebirgsbäche sind Oberläufe, rsp. Zubringer von Gebirgsflüssen meist 2. und 3. Ordnung. Sie zeigen oft typische<br />
Fließabschnitte: a) einen relativ steilen, gewundenen Oberlauf; b) eine flachen und breiten Abschnitt (Schwemmebene)<br />
mit Furkationen und c) einen Schluchtteil an <strong>der</strong> Flanke zum Haupttal. Erreichen Gebirgsbäche vor ihrer Einmündung in<br />
das Hauptgewässer (z.B. Alpenrhein) eine entsprechende Grösse, werden sie als Gebirgsflüsse bezeichnet (Abb. A2-10).<br />
a b c<br />
Abb. A2-10: Gebirgsflüsse sind im Alpenrheintal Fließgewässer 4. und höherer Ordnung und verlaufen nur noch in den<br />
Haupt- und großen Nebentälern des Rheins. Sie haben daher nur noch ein relativ geringes Gefälle und im natürlichen<br />
Zustand große Furkationsflächen und alternierende Kiesbänke. Das noch recht grobe Stein- und Schottersubstrat ist<br />
bereits stark abgeschliffen (gerundet). a) und b) Landquart; c) Ill (Foto UI Bregenz).<br />
Altläufe<br />
Altläufe (Altarme) sind vom Fluss als Talweg aufgegebene, meist ruhig durchflossene o<strong>der</strong> nur noch<br />
wenig wassergespeiste Rinnen. Im Zuge fortschreiten<strong>der</strong> Mäan<strong>der</strong>bildung, Flussbettverlagerung o<strong>der</strong><br />
Furkation kommen sie in die Innen- o<strong>der</strong> Außenkurve des Hauptgerinnes zu liegen und haben dort,<br />
je nach Alter, mehr o<strong>der</strong> weniger aufgelandet. Sie zeigen gegenüber dem Hauptgerinne völlig an<strong>der</strong>e<br />
abiotische und biotische Charakteristiken. Altläufe bestimmen in entscheidendem Masse den Ausdehnungsraum<br />
und das Grundwasserregime von Talauen.<br />
Abb. A2-11: Ausgeprägte Altläufe an einem dem ursprünglichen Alpenrhein strukturell ähnlichen Talmäan<strong>der</strong> (Baffin-<br />
Island, Ca.)<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
45
46<br />
In den Altläufen, Flutmulden und Überschwemmungszonen natürlicher Auen findet sich oft mehr als<br />
90 % <strong>der</strong> Artenvielfalt des Talraumes. Ihr fast völliges Verschwinden im Alpenrheintal ist die Hauptursache<br />
für die heute zu beobachtende Artenverarmung. Ehemalige Altläufe sind hier in <strong>der</strong> Regel nur<br />
noch am gewässernahen Geländeprofil zu erkennen. Auch in Resten noch bestehen<strong>der</strong> Weichholzaue<br />
liegt <strong>der</strong> Grundwasserspiegel oft so tief, dass Altlaufstrukturen nicht mehr durchflossen werden.<br />
a b c<br />
Stillgewässer<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Abb. A2-12: Altläufe sind im Alpenrheintal oft nur noch am Geländeprofil zu erkennen. Ausnahmen bilden a) Reste eines<br />
Altlaufs im Alpenrhein bei den Mastrilser Auen und b) als Stillgewässer verbliebene Altarme in <strong>der</strong> Matschelser Au.<br />
Beson<strong>der</strong>s dort haben auch viele ehemalige Altarme des Spiersbachs (c) den Anschluss zum Grundwasser verloren.<br />
Stillgewässer haben als weiteres Strukturelement und als ökologische Trittsteine eine wichtige Bedeutung<br />
für das Gewässernetz des Alpenrheintals. Stillgewässer liegen im unteren Rheintal meist als Verlandungsseen<br />
in den Hinterwässern vor. Aus ihnen entspringen oft kleinere Ried- und Wiesenbäche.<br />
Weitere Stillgewässer sind Baggerseen o<strong>der</strong> entstehen als Sammelbecken von Regenwasser in den<br />
Riedgebieten. „Moorseen" bzw. „-tümpel" sind vergleichsweise selten.<br />
Abhängig von Entstehung, Alter und Verlandungsstadium zeigen die Gewässer unterschiedliche<br />
Größen und Tiefen. An den meist flachen Ufern bilden sich vor allem in größeren Gewässern charakteristische<br />
Uferstreifen aus, die vom Freiwasser über submerse Makrophyten, Schwimmblattgesellschaften<br />
zum Röhrichtgürtel reichen. Stark verlandete Tümpel gehen in Feuchtgebiete über.<br />
Die Wassertemperatur in den Stillgewässern steigt in den Sommermonaten in <strong>der</strong> Regel stark an. Je<br />
nach Verlandungsgrad weisen die Gewässer mittlere bis geringe Sauerstoffsättigung auf. Die<br />
Besiedlung <strong>der</strong> Gewässer ist von wärmeliebenden Stillwasserarten dominiert. Wenig verlandete bzw.<br />
vernetzte Gewässer weisen entsprechende Anteile indifferenter Arten auf.<br />
a b c<br />
Abb. A2-13: Stillgewässer sind im Alpenrheintal meist künstlichen Ursprungs und haben nur noch wenig Verbindung<br />
zum Gewässernetz. a) Lawenabach-Teiche bei Triesen (FL) (Foto: P. Pitsch); Teich am Werdenberger Binnenkanal bei<br />
Burgerau (Buchs, SG) (Foto: P. Pitsch); c) Gampriner Seeli nördlich von Ben<strong>der</strong>n (FL).<br />
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Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
A2.4.1 Kategorisierung <strong>der</strong> Gewässertypen im Alpenrheingebiet<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung setzt die genaue Kenntnis <strong>der</strong> oben vorgestellten Gewässertypen voraus.<br />
Nur so können sie typspezifisch entwickelt werden. Um sie zu kategorisieren, muss eine<br />
Charakterisierung anhand quantitativer und/o<strong>der</strong> qualitativer Kriterien erfolgen. Eine erste<br />
Möglichkeit ist die Einteilung nach <strong>der</strong> Wasserführung, die sich in <strong>der</strong> mittleren Wasserspiegelbreite<br />
manifestiert (Tab. A2-2).<br />
Zur umfassenden Beschreibung und Abgrenzung <strong>der</strong> Fließgewässertypen sollte eine noch differenziertere<br />
Charakterisierung vorgenommen werden. Sie wird in Tab. A2-3 als Beispieltabelle vorgestellt.<br />
Größenklasse<br />
(mittlere Wasserspiegelbreite)<br />
Abfluss<br />
(ca. m 3 /s)<br />
< 1 m 0,01 bis 0,02<br />
Substrat Fließgewässertyp<br />
unterschiedlich, spezieller<br />
Aufwuchs<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Quellbäche krenal<br />
< 1 m 0,01 bis 0,02 sandig, schlammig, oft veralgt Wiesenbäche, Riedgewässer<br />
bis 1 m 0,02 bis 0,05<br />
1 bis 3 m 0,05 bis 0,5<br />
1 bis 3 m 0,05 bis 0,5<br />
1 bis 3 m 0,1 bis 0,5<br />
3 bis 7 m 0,05 bis 5<br />
3 bis 7 m 0,2 bis 1<br />
3 bis 7 m 0,5 bis 10<br />
7 bis 15 m 0,8 bis 50<br />
7 bis 30 m 1 bis 30<br />
> 30 m 1 bis > 1000<br />
steinig, stark kantig, kein<br />
Aufwuchs<br />
steinig, kantig, v.a.<br />
Kieselalgenaufwuchs<br />
steinig, geschliffen, mäßiger<br />
Aufwuchs<br />
steinig, sandig, starker<br />
Aufwuchs und Makrophyten<br />
steinig, kantig, wenig<br />
Aufwuchs (v.a. Kieselalgen)<br />
steinig, gerundet, sandig, starker<br />
Aufwuchs und<br />
Makrophyten<br />
steinig, gerundet, starker<br />
Aufwuchs<br />
steinig, stark gerundet,<br />
starker Aufwuchs und<br />
Makrophyten<br />
steinig, stark gerundet, wenig<br />
bis kein Aufwuchs<br />
steinig, stark gerundet, sandig,<br />
wenig bis kein Aufwuchs<br />
Gebirgsbäche, Wildbäche,<br />
Rüfen<br />
Lebensraumcharakter<br />
hyporhithral bis<br />
limnisch<br />
epirhithral<br />
Gebirgsbäche, Hangbäche rhithral<br />
Talbäche rhithral<br />
Gießen hyporhithral<br />
Gebirgsbäche rhithral, metarhithral<br />
Talbäche, Gießen hyporhithral<br />
Binnenkanäle klein und<br />
Oberlauf<br />
rhithral, metarhithral<br />
große Binnenkanäle hyporhithral<br />
Gebirgsflüsse I metarhithral<br />
Gebirgsflüsse II (Ill, Bregenzerach<br />
UL) Alpenrhein<br />
hyporhithral,<br />
epipotamal<br />
Tab. A2-2: Einteilung <strong>der</strong> Fließgewässer des Alpenrheingebiets anhand ihrer Grösse, ihrem Abfluss und <strong>der</strong> in ihrem<br />
Verlauf vorkommenden Lebensraumtypen. Krenal = Lebensraum <strong>der</strong> Quellen und angrenzen<strong>der</strong> Fließabschnitte; rhithral<br />
= Lebensraum <strong>der</strong> Gebirgs und Hügelbäche; Beschreibung <strong>der</strong> Lebensräume in Tab. A2-1. Limnisch = Lebensraum <strong>der</strong><br />
Stillgewässer und langsam fließenden Riedgewässer /Wiesenbäche.<br />
47
48<br />
Gewässertyp: Beispieltyp<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Lage: Alpenrheintal - Schotterkörper Breite: 3 - 10 m Länge: bis 5 km<br />
Ökosystembaustein Ausprägung<br />
Wasserhaushalt<br />
Abflussdynamik Tagesgang<br />
Abflussdynamik Jahresgang<br />
Abschnittweise Versickerungen<br />
Eisbildung<br />
Grundwasseranbindung<br />
Abflussgeschwindigkeit<br />
Strömungsvariabilität<br />
Turbulenz<br />
gering mäßig stark sehr stark<br />
Feststoffhaushalt gering mäßig stark sehr stark<br />
Geschiebe<br />
Schwebstoffe (fliessende Welle)<br />
Trübung<br />
Sedimentation<br />
Kolmatierung<br />
Morphologie gering mäßig stark sehr stark<br />
Gefälle<br />
Linienführung geschwungen<br />
Linienführung mäandrierend<br />
Pendelband innerhalb Gerinne<br />
Pendelband in <strong>der</strong> Landschaft<br />
Durchgängigkeit longitudinal<br />
Vernetzung mit an<strong>der</strong>en Gew.<br />
Ufer-Gerinne-Verzahnung<br />
Feinsubstratanteil Sohle<br />
Grobsubstratanteil Sohle<br />
Wasserspiegelbreiten-Variation<br />
Tiefenvariabilität<br />
Detritusablagerungen<br />
Schwemmholz-/Totholz-Transport<br />
Anfallen von Totholz<br />
Wasserqualität niedrig mäßig hoch sehr hoch<br />
Temperaturamplituden<br />
Selbstreinigungskraft<br />
Trophie (Nährstoffversorgung)<br />
Säurebindungsvermögen (SBV)<br />
PH-Regime<br />
Temperatur-Regime<br />
Sauerstoff-Regime<br />
Biozönosen niedrig mäßig hoch sehr hoch<br />
Artenvielfalt Benthos<br />
Artenvielfalt Fische<br />
Artenvielfalt Aufwuchs<br />
Artenvielfalt Makrophyten<br />
Artenvielfalt Ufervegetation<br />
Individuendichte Benthos<br />
Individuendichte Fische<br />
Flächen-Dichte Aufwuchs<br />
Flächen-Dichte Makrophyten<br />
Flächen-Dichte Ufervegetation (Aue)<br />
neutral<br />
wenig Schwankungen<br />
durch Wasserpflanzen geprägt<br />
Tab. A2-11: Vorschlag für die differenzierte Charakterisierung eines Fließgewässertyps im Alpenrheintal.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
A2.5 Gewässerabschnitte von beson<strong>der</strong>er Bedeutung<br />
Für die <strong>Gewässerentwicklung</strong> ist es von herausragen<strong>der</strong> Bedeutung, neben einer generellen Typisierung<br />
und Charakterisierung <strong>der</strong> im Alpenrheingebiet vorkommenden Gewässertypen auch die vorhandenen<br />
Gewässerabschnitte von beson<strong>der</strong>er ökologischer Bedeutung zu berücksichtigen. Oft handelt<br />
es sich bei solchen Abschnitten um Übergangsbereiche (Ökotone) zwischen Fließgewässern<br />
unterschiedlicher Ordnung (Mündungsbereiche) o<strong>der</strong> deutlich unterschiedlichen Charakters (Übergänge<br />
im Längsverlauf). Vor <strong>der</strong> Einleitung von Maßnahmen an Gewässern müssen vor allem solche<br />
Abschnitte lokalisiert und in ihrer Funktion und Struktur charakterisiert werden. Handelt es sich bei<br />
diesen um periodisch wie<strong>der</strong>kehrende Laufstrukturen, ist <strong>der</strong>en unterschiedliche Ausprägung zu<br />
betrachten (ausgeprägt ansatzweise vorhanden) und die zu ermittelnde Anzahl dieser Strukturen<br />
auf eine bestimmte Lauflänge zu berücksichtigen. Alle diese Gewässerabschnitte/-bereiche sind<br />
typisch für Fließgewässer mit guter ökologischer Funktionsfähigkeit.<br />
A2.5.1 Mündungsbereiche<br />
Mündungsbereiche stellen aufgrund <strong>der</strong> Überschneidung zweier Lebensräume grundsätzlich vielfältige<br />
und daher arten- bzw. individuenreiche Lebensräume dar. Aufgrund <strong>der</strong> verschiedenen Fließgewässertypen<br />
des Alpenrheins, des Rheintals sowie <strong>der</strong> unterschiedlichen Abflussmenge und Geschiebeführung<br />
<strong>der</strong> Rheinzubringer lagen - zumindest historisch - eine Vielfalt unterschiedlicher<br />
Mündungstypen vor (Abb. A2-14).<br />
Bei <strong>der</strong> Mündung eines großen, geschiebeführenden Gebirgsflusses bewirkte früher <strong>der</strong> bei Hochwasser<br />
massive Geschiebeeintrag ins Flussbett des Alpenrheins flussauf einen Aufstau. Infolge des verringerten<br />
Gefälles entwickelt sich zunächst ein „Ausschotterungsbereich" mit Flussverzweigungen,<br />
nach Erosion <strong>der</strong> aufgeschütteten Geschiebemengen werden die Umlagerungsstrecken wie<strong>der</strong> umgeformt.<br />
Flussab des Mündungsbereiches kommt es infolge des höheren Gefälles und Geschiebetriebes<br />
ebenfalls zu Verzweigungen. Insgesamt sind solche Mündungstypen von extrem hoher Dynamik<br />
geprägt. Vor allem aus fischökologischer Sicht stellen sie wichtige Laichplätze für strömungsliebende<br />
Fischarten und attraktive Jungfischhabitate zur Verfügung. Solche Mündungsbereiche sind nur dann<br />
als ökologisch funktionsfähig anzusehen, wenn Nebengewässer und Hauptfluss/See einen niveaugleichen<br />
Übergangsbereich besitzen.<br />
Abb A2-14: Schematische Darstellung ursprünglicher Verhältnisse am Alpenrhein (Bereich Illmündung, verän<strong>der</strong>t).<br />
Typische Übergangs- und Mündungsbereiche zwischen Gebirgsflüssen, Talgewässern und dem Hauptstrom sowie die flächige<br />
Ausdehnung von flussbegleitenden Weichholzauen (grün).<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
49
50<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Kleinere, stark geschiebeführende Hang- und Gebirgsbäche mit Geschiebetransport bis in den<br />
Bach/Fluss nächster Ordnung spalten sich bei <strong>der</strong> Mündung in mehrere, seichte Arme mit dazwischen<br />
liegenden Schotterinseln und -bänken auf. Der so erzeugte Schwemmkegel stellt für sich einen meist<br />
durchgängigen Übergangsbereich dar, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Regel keine natürlichen Aufstiegshin<strong>der</strong>nisse aufweist.<br />
Bei diesem Gewässertyp folgen oberhalb des Mündungsbereichs allerdings nicht selten steilere<br />
Gefällestrecken mit natürlichen Abstürzen und Kaskaden und somit auch natürlichen Ausbreitungsgrenzen<br />
für Fische.<br />
Wenig geschiebeführende Gewässer wie Gießenbäche, die in den Alpenrheinhauptarm o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Talgewässer einmünden, bilden infolge fehlenden Geschiebes eine niveaugleiche, kompakte Trichtermündung<br />
aus. Bei Nie<strong>der</strong>wasserführung liegen nur geringe Strömungsgeschwindigkeiten vor. Bei<br />
Hochwasser entstehen rückgestaute Klarwasserzonen. Im Mündungsbereich lagern sich zeitweise<br />
größere Mengen an feineren Schotterfraktionen bzw. Sand und Feinsedimente ab. Fische wan<strong>der</strong>n v.a.<br />
zum Laichen in solche Nebengewässer ein, laichen zum Teil aber auch weit flussauf <strong>der</strong> Mündungen.<br />
Solche Trichtermündungen sind im Hochwasserfall wichtige strömungsberuhigte Rückzugsgebiete<br />
für Fische.<br />
Kleinere Gewässer, die in einen Alpenrhein-Seitenarm o<strong>der</strong> grössere Talgewässer münden, werden<br />
maßgeblich durch die Morphologie des Seitenarmes und dessen Schotterinseln und -bänken geprägt.<br />
Bei Mittel- und Nie<strong>der</strong>wasserführung kommt es teilweise zu Rückstau mit entsprechen<strong>der</strong> Strömungsreduktion<br />
und Aufwärmung. Hier lagern sich Feinsedimente ab. Als Referenz für diesen<br />
Mündungstyp kann aktuell noch die Cosenzmündung im Bereich <strong>der</strong> Mastrilser Auen gelten. Zubringer<br />
dieses Typs weisen keine Hochwässer auf, die die Flussbettausformung des Alpenrheins o<strong>der</strong> eines<br />
grösseren Talgewässers beeinflussen bzw. prägen. Insgesamt liegen jedoch durch die enge Verzahnung<br />
äußerst vielfältige Lebensraumverhältnisse mit artenreichen, aquatischen Lebensgemeinschaften vor.<br />
Laichplätze und Jungfischhabitate für strömungsliebende Kieslaicher existieren v.a. in den Schotterfurten.<br />
Die langsam strömenden, erwärmten Abschnitte mit Makrophytenbewuchs werden von<br />
krautlaichenden Fischarten als Laichplatz genutzt.<br />
A2.5.2 Perioden (Riffle-Pool-Abfolgen)<br />
Durch Gefällewechsel, Laufverengungen o<strong>der</strong> Störstrukturen verursachter Strukturkomplex des<br />
Gerinnes, bestehend aus einem Energie freisetzenden Riffle (Schnelle) und dem darauffolgenden<br />
Energie speichernden Pool (Kolk). Riffle-Pool-Strukturen entwickeln sich natürlicherweise in jedem<br />
Fließgewässer mit stärkerem Gefälle (> ca. 0,3 %) und entsprechen<strong>der</strong> Strömungsdynamik. Bei Gewässern<br />
mit noch größerem Gefälle entstehen so genannte “step-pools”.<br />
Perioden gehören zu den wichtigsten Strukturkomplexen im Längsverlauf des Gerinnes. Die Abfolge<br />
von Energie abgebenden und Energie speichernden Abschnitten führt zu einer starken Strömungsdynamik<br />
und erzeugt die entscheidenden Schleppkräfte zum Abtransport von Feinsediment, zu lokalem<br />
Geschiebetrieb und damit zur Longitudinal- und Vertikalstrukturierung <strong>der</strong> Gewässersohle.<br />
A2.5.3 Erosions-, Alluvionszonen (Akkumulationszonen)<br />
In vielen Fließgewässern lassen sich Streckenabschnitte unterscheiden, innerhalb <strong>der</strong>er <strong>der</strong> Geschiebeabtransport<br />
über den -antransport dominiert (Erosionszonen) und umgekehrt (Alluvions- o<strong>der</strong><br />
Akkumulationszonen). Solche Strecken mit grundsätzlich verschiedenem Feststoffhaushalt können<br />
jeweils mehrere Kilometer lang sein und zeigen entscheidende Auswirkung auf die Besiedlung. So zeigen<br />
beide Bereiche eine in <strong>der</strong> Regel sehr instabile und damit nur temporär besiedelbare Gewässersohle.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
a b c<br />
d<br />
e f<br />
h i j<br />
k<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
g<br />
Abb. A2-15: Gewässerabschnitte von beson<strong>der</strong>er<br />
Bedeutung: a: Niveaugleiche Mündung; b: Perioden<br />
im Bergbach; c: Totholzverklausung; d: Laufgabelungen<br />
mit Inselbildung (Maßnahme), e: Inselbildung<br />
durch Alluvionen; f: Laufweitung; g:<br />
Totholz im Gerinne; h: Furkationen und Schlingen<br />
(stabil); i: Gleit- und Prallhangstruktur; j: Sturzbäume;<br />
k: Hinterwasser (Maßnahme).<br />
51
52<br />
A2.5.4 Totholzstrecken, Totholzverklausungen, Sturzbäume<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Ansammlungen (oft punktuell konzentriert) von ineinan<strong>der</strong> verkeiltem Totholz (Treibholz, Fallholz)<br />
sind z.T. so stabil, daß sie zur Verklausung (Abflusssperren) des Gerinnes führen können und damit<br />
den Hochwasserabfluss behin<strong>der</strong>n.<br />
Unter Sturzbäumen verstehen wir in o<strong>der</strong> über das Wasser gestürzte Bäume, die durch ihren Stamm<br />
und/o<strong>der</strong> den mitgerissenen Wurzelstock den Mittelwasserstrom in einem Maße stören, dass es auch<br />
zu Sohlstrukturierungen kommen kann.<br />
Sowohl Totholzansammlungen als auch Sturzbäume besitzen gewässerökologisch große Bedeutung<br />
als strömungsberuhigende Elemente. Dadurch bieten sie energetisch günstige, dreidimensionale Aufenthaltsräume<br />
(Standorte) und Deckungsstrukturen, vor allem für Fische.<br />
A2.5.4 Laufgabelungen (mit und ohne Inselbildung)<br />
Meist in Auflandungs- (Alluvions-) bereichen mit großer Gerinnebreite und geringem Gefälle<br />
kommt es zu Gabelungen (Furkationen) des Fließgewässers in zwei o<strong>der</strong> mehrere Arme, die ständig<br />
durchströmt werden. Ist die von den Gewässerarmen umflossene Landfläche (Insel) auf einem Niveau<br />
mit dem Vorland, so wird sie nur bei Hochwasser überströmt und oft von Pionierpflanzengesellschaften,<br />
vereinzelt auch von Busch und Auenvegetation besiedelt. Neu entstandene Laufgabelungen<br />
o<strong>der</strong> Furkationen in Gewässern mit starker Abflussdynamik (Schwemmebenen, Abflussschwankungen<br />
o<strong>der</strong> Schwallbetrieb ...) sind durch meist alternierende, sich stets umlagernde Kies- und<br />
Schotterbänke charakterisiert. Beispiel hierfür ist das Gewässerbetts des Alpenrheins unterhab <strong>der</strong><br />
Tardisbrücke (Mastrils - Landquart) bei Niedrigwasser.<br />
A2.5.5 Laufverengungen / Laufweitungen<br />
Laufverengungen und -weitungen sind örtliche Variationen <strong>der</strong> Gerinne- und Wasserspiegelbreite um<br />
das Doppelte (die Hälfte) bei kleineren, um das ca. 1 1/2-fache (2/3) bei größeren Fließgewässern.<br />
Ursache für solch massive Variationen <strong>der</strong> Wasserspiegelbreite sind unterschiedliche Beschaffenheit<br />
des Ufers (verschieden harte Materialien, Wurzelräume etc.) sowie unterschiedliche Schleppkräfte<br />
durch die vorliegenden Geländeformen (z.B. Gefällewechsel). Laufverengungen/ -weitungen för<strong>der</strong>n<br />
sowohl die Längs- als auch die Horizontalstrukturierung des Gerinnes, die Bildung von Substratmosaiken<br />
und damit das Habitatsangebot für aquatische und amphibische Organismen.<br />
A2.5.6 Hinterwasser<br />
Als Hinterwasser werden alle vom Fluss einseitig abgetrennten und nur noch passiv durchflossenen<br />
Gerinnestrukturen bezeichnet. Sie sind in einem strukturreichen Gewässerlauf häufig, fehlen dagegen<br />
in regulierten Gewässern fast vollständig. Hinterwasser besitzen beson<strong>der</strong>e Bedeutung als strömungsberuhigte<br />
Zonen und sind damit vor allem ein lebenswichtiges Habitat für Fischbrütlinge und Jungfische.<br />
Ähnlich wie in Altläufen können sich hier auch Kleinslebewesen und Plankton entwickeln, die<br />
wie<strong>der</strong> als Nahrungsgrundlage für Jungfische dienen.<br />
Hinterwasser können praktisch im Rahmen je<strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>smaßnahme auch künstlich<br />
geschaffen werden, indem entsprechende Störstrukturen (Blöcke, Totholz) eingebracht o<strong>der</strong> großzügige<br />
Gerinneaufweitungen umgesetzt werden.<br />
A2.5.7 Strukturen <strong>der</strong> Laufkrümmung<br />
Abhängig von ihrer Linienführung (mäandrierend, schlängelnd, geschwungen, geradlinig) und unterschiedlicher<br />
Sohlenbeschaffenheit zeigen Fließgewässer mehr o<strong>der</strong> weniger ausgeprägte Strukturen<br />
<strong>der</strong> Laufkrümmung. Hierzu gehört <strong>der</strong> Verlaufswechsel <strong>der</strong> Hauptrinne (Niedrigwasserrinne) und<br />
Strukturen von Prallhang und Gleithang. Krümmungserosion entsteht immer dort, wo strömendes<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Wasser auf ein Hin<strong>der</strong>nis trifft und/o<strong>der</strong> seinen geradlinigen Lauf verän<strong>der</strong>n muss. Die hydraulischen<br />
Schleppkräfte führen an solchen Stellen entwe<strong>der</strong> direkt zum Abtrag des Hin<strong>der</strong>nisses (z.B.<br />
Prallhangerosion) o<strong>der</strong> - bei stabilen Hin<strong>der</strong>nissen - zum Abtrag ihres Umfeldes (z.B. Auskolkung,<br />
Aushöhlung). Erodiertes Material wird an <strong>der</strong> nächstmöglichen Stelle wie<strong>der</strong> angelandet (z.B.<br />
Gleithang-Alluvionen). Strukturen <strong>der</strong> Laufkrümmung gehören zu den wichtigsten Elementen zur<br />
Auslösung von Eigenstrukturierungs-Prozessen in Fließgewässern.<br />
A2.6 Weiterführende Begriffserläuterungen<br />
Ist-Zustand, Ist-Zustands-Erhebung<br />
Der Ist-Zustand ist eine Momentaufnahme des aktuellen biotischen und abiotischen Gewässerzustandes<br />
(Status Quo). Er kann sich in Abhängigkeit von wechselnden Rahmenbedingungen (Naturereignisse,<br />
anthropogene Eingriffe und Einflüsse) wandeln. Bei einer Ist-Zustands-Erhebung werden<br />
die sogenannten Inventare erhoben (s.u.). Die korrekte Aufnahme des Ist-Zustands ist Voraussetzung<br />
für die Defizitanalyse.<br />
Inventar<br />
Inventare sind in sich abgeschlossene, für eine Beschreibung des Ist-Zustands sinnvolle, thematische<br />
Einheiten eines beobachteten Systems. Inventare beschreiben den Zustand von Ökosystembausteinen<br />
unterschiedlicher thematischer Stufen aus <strong>der</strong> Biologie/Ökologie (Fischinventar, Benthosbiozönose<br />
etc.), <strong>der</strong> Abiotik (Abflussgeschehen, Morphologie, Struktur, Geschiebedynamik, Wasserqualität etc.)<br />
sowie <strong>der</strong> anthropogenen Nutzung (Siedlungsraum, Landwirtschaft, Wassernutzung etc.). Inventar<br />
wird z.T. synonym zu dem Begriff Kataster verwendet.<br />
Visionäres Leitbild<br />
Die Formulierung eines visionären Leitbildes hilft dabei, die angestrebte Richtung einer gewünschten<br />
Entwicklung vorzugeben und dient als Referenz bei <strong>der</strong> ökologischen Defizitanalyse. Bezugspunkt ist<br />
eine ursprüngliche Situation ohne anthropogene Einflüsse - also <strong>der</strong> Naturzustand des Gewässers/<br />
Gewässersystems. Es berücksichtigt keine Nutzungseinflüsse o<strong>der</strong> -anfor<strong>der</strong>ungen, son<strong>der</strong>n nur die<br />
natürlichen Randbedingungen und Gesetzmäßigkeiten sowie in <strong>der</strong> Landschaftsgeschichte als irreversibel<br />
einzustufende Verän<strong>der</strong>ungen (natürliche Reifung/Alterung des Systems).<br />
Defizitanalyse<br />
Eine Defizitanalyse unter ökologischen Gesichtspunkten wird auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Erkenntnisse über<br />
den Ist-Zustand des Gewässers/Gewässersystems durchgeführt. Sie beschreibt die Mängel im Zustand<br />
<strong>der</strong> einzelnen Ökosystembausteine. Diese Mängel lassen sich qualitativ und quantitativ dimensionieren,<br />
indem die Abweichung von <strong>der</strong> natürlichen Referenz (visionäres Leitbild) beschrieben wird<br />
(“absolute” Defizite). Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite gibt sie das Maß an, um das sich die Ökosystembausteine<br />
verbessern müssen, damit das Gewässer seine volle ökologische Funktionsfähigkeit zurück gewinnt.<br />
“Relative” Defizite werden ermittelt, indem die Abweichung von einer wie<strong>der</strong>erlangbaren Referenz,<br />
dem operationalen Leitbild (s.u.) o<strong>der</strong> dem potenziell natürlichen Gewässerzustand (vgl. Kap. 3.2.2)<br />
herangezogen wird. Eine solche Verwendung des Begriffs ist dann üblich, weil so die gesteckten Entwicklungsziele<br />
bereits in einer sehr frühen Phase <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung formuliert werden<br />
können.<br />
Entwicklungsbedarf<br />
Direkt aus <strong>der</strong> Defizitanalyse <strong>der</strong> einzelnen Fachbereiche leitet sich <strong>der</strong> Entwicklungsbedarf ab. In<br />
<strong>der</strong> Schutzwasserwirtschaft ist er einem zwingenden Handlungserfor<strong>der</strong>nis gleichzusetzen und beinhaltet<br />
bereits die konkrete Vorstellung nötiger Maßnahmen zur Beseitigung eines Gefährdungs-<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
53
54<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
potenzials. Unter ökologischen Gesichtspunkten muss er für alle Ökosystembausteine getrennt betrachtet<br />
werden. Er lokalisiert hierbei jeweils die Bereiche, für die auf alle Fälle eine Beseitigung <strong>der</strong><br />
Defizite erfolgen muss, damit das Gewässer seine gewässertypische ökologische Funktionsfähigkeit<br />
wie<strong>der</strong>erlangen kann.<br />
Restriktionen<br />
Unter Restriktionen verstehen wir alle Rahmenbedingungen in einem Planungsgebiet, die verhin<strong>der</strong>n,<br />
dass <strong>der</strong> natürliche Referenzzustand (visionäres Leitbild) in direkt als Entwicklungsziel (operationales<br />
Leitbild) in die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung übernommen werden kann. Restriktionen gelten<br />
für die Laufzeit des Plans und werden für diesen Zeitraum als unverän<strong>der</strong>bar gehandelt. Restriktionen<br />
sind die Fakten des Ist-Zustandes, die nach allgemeinem Konsens durch die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
nicht in Frage gestellt werden. Dazu gehören vor allem die vorhandenen Siedlungsstrukturen<br />
mit Bebauung und Infrastruktureinrichtungen einschließlich <strong>der</strong>en bestehen<strong>der</strong> Hochwasserschutz<br />
und die Standsicherheit von Bauwerken. Hierzu gehören weiter rechtliche Festsetzungen<br />
mit festgelegten Laufzeiten (Rechte zur Wasserkraftnutzung, Wasserentnahme).<br />
<strong>Ökologische</strong>s Entwicklungspotenzial<br />
Das Entwicklungspotenzial, auch Aufwertungspotenzial genannt, beschreibt das nach Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> Restriktionen verbleibende Maß möglicher Verän<strong>der</strong>ungen/Entwicklungen. Das Entwicklungspotenzial<br />
hat eine quantitative und eine qualitative Komponente. Erstere hat ein geografisches<br />
Pendant und gibt die räumlichen Möglichkeiten für eine Maßnahme an und damit die maximale Ausdehnung<br />
<strong>der</strong> planbaren Umgestaltung o<strong>der</strong> Vernetzung eines Gewässerobjekts/-systems. Dieser maximal<br />
zur Verfügung stehende Raum wird in den Planungskarten deutlich markiert, damit er bei je<strong>der</strong><br />
weiteren Überlegung des Planungsprozesses auf den ersten Blick zu erkennen ist.<br />
Bei <strong>der</strong> qualitativen Komponente des Entwicklungspotenzials wird abgewägt, inwieweit und in welcher<br />
Form <strong>der</strong> zur Verfügung stehende Raum für die Planung genutzt wird, um Entwicklungsziele<br />
umsetzen zu können. Eine separate Formulierung des qualitativen Entwicklungspotenzials ist nicht<br />
nötig, da diese Überlegungen einerseits in die Entwicklungsziele, an<strong>der</strong>erseits direkt in die Planungsvarianten<br />
eingehen können.<br />
Entwicklungsziel<br />
Dieser Begriff wird synonym zu den Begriffen “operationales Leitbild”, “operatives Leitbild” und<br />
“anzustreben<strong>der</strong> Zustand” verwendet. Das Entwicklungsziel beschreibt - unter Berücksichtigung <strong>der</strong><br />
Restriktionen - den mittel- bis langfristig anzustrebenden und realisierbaren Zustand eines Gewässers/Gewässersystems<br />
und gibt den Rahmen für die Maßnahmenplanung vor. Es kann nur nach dem<br />
jeweils aktuellen Wissensstand zur Maßnahmenoptimierung formuliert werden und muss daher ausreichend<br />
Spielraum für spätere Korrekturen o<strong>der</strong> Erweiterungen bieten.<br />
Nach einer Konvention (die so sinngemäß auch in die EU-Wasserrahmen-Richtlinie übernommen<br />
wurde) stellen Entwicklungsziele den innerhalb von 10-15 Jahren absehbar erreichbaren Verbesserungsschritt<br />
in einer vom “visionären Leitbild” vorgezeichneten Richtung dar. Ein Entwicklungsziel<br />
beinhaltet demnach auch Zustände, die eine eventuell erst später mögliche größere Annäherung an das<br />
visionäre Leitbild möglich machen. Künftigen Generationen soll diese Option offen gehalten werden.<br />
Handlungserfor<strong>der</strong>nisse<br />
Handlungserfor<strong>der</strong>nisse sind gegenüber dem o.g. Entwicklungsbedarf ein Konkretisierungsschritt<br />
vom Entwicklungsziel zur Maßnahmenplanung. Sie müssen zusätzlich formuliert werden, wenn die<br />
Frage “wie werden die Ziele erreicht?” we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Formulierung <strong>der</strong> Entwicklungsziele noch in <strong>der</strong><br />
Maßnahmenplanung berücksichtigt wird.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Weiterführende Literatur<br />
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Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
55
56<br />
Schritte <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
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Naturnahe Unterhaltung von Fließgewässern. Möglichkeiten, Techniken, Perspektiven.<br />
Karlsruhe<br />
LANDESANSTALT FÜR UMWELTSCHUTZ BADEN-WÜRTTEMBERG (LfU) (1992): Handbuch Wasser 2;<br />
<strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung - Leitlinien. Karlsruhe<br />
LANDESANSTALT FÜR UMWELTSCHUTZ BADEN-WÜRTTEMBERG (LfU) (1999): <strong>Gewässerentwicklung</strong> in<br />
Baden-Württemberg. Leitfaden Teil 1 - Grundlagen. Karlsruhe<br />
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LAUTERBORN (1916): Die geographische und biologische Glie<strong>der</strong>ung des Rheinstromes. Sitzungsberichte<br />
<strong>der</strong> Heidelberger Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften. Math.-Naturwiss. Abteilung B. Biologische<br />
Wissenschaften, 6. Abhandlung.<br />
MINISTERIUM FÜR NATUR, UMWELT UND LANDESENTWICKLUNG DES LANDES SCHLESWIG-HOLSTEIN<br />
(1991): Grundsätze zum Schutz und zur Regeneration von Gewässern. Bericht des Landesamtes für<br />
Wasserhaushalt und Küsten des Landes Schleswig-Holstein. Kiel<br />
MINISTERIUM FÜR UMWELT BAD.-WÜRTT. 1993: Handbuch Wasserbau, Heft 2; Naturnahe Umgestaltung<br />
von Fließgewässern; Teil I: Leitfaden; Teil II: Dokumentation ausgeführter Projekte. MfU Stuttgart;<br />
228 S.<br />
MINISTERIUM FÜR UMWELT, SAARBRÜCKEN (1992): Naturnahe Pflege und Entwicklung von Bächen<br />
und Flüssen. Gewässer in <strong>der</strong> Landschaft. Referate zum Seminar vom 12. November 1992, Saarbrücken<br />
NATURFORSCHENDE GESELLSCHAFT LUZERN (1997): Revitalisierung - Renaturierung. Mitteilungen<br />
<strong>der</strong> Naturforschenden Gesellschaft Luzern, Band 35, Luzern<br />
NIEDERSÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR ÖKOLOGIE (1995): Expertenkolloqium; Fließgewässerrenaturierung<br />
in <strong>der</strong> Praxis. Hildesheim<br />
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und Forsten Rheinland-Pfalz, Mainz<br />
REGIONALPLANUNGSGRUPPE SARGANSERLAND-WALENSEE (RSW) (1998): Entwicklungskonzept<br />
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REY, P. & J. ORTLEPP (2000): Gesunde Fliessgewässer durch Revitalisierung. Internationale Regierungskommission<br />
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Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Innern. München.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
3 Abklärungen<br />
3.1 Ist-Zustands-Erhebung (Inventarisierung, Bestandsaufnahme)<br />
Inventar ist ein Sammelbegriff für die Information an Beständen, Daten, Karten und Listen eines<br />
Ökosystembausteines o<strong>der</strong> dessen einzelner <strong>Aspekte</strong>. Inventare sind die unverzichtbare Voraussetzung<br />
zur Beschreibung und Beurteilung des Ist-Zustandes eines Objekts/Systems und zur Feststellung<br />
bestehen<strong>der</strong> Defizite. Der Weg zur Beschaffung und Vervollständigung von Inventaren wird als<br />
Inventarisierung o<strong>der</strong> Bestandsaufnahme bezeichnet. Sie beinhaltet sowohl die Recherche und Sammlung<br />
bereits vorhandener als auch die Neuerfassung noch unbekannter Informationen (Abb. 3-1).<br />
Datenbankerstellung, Kartengrundlagen<br />
(wie verwalte ich die Informationen)<br />
Inventarisierung<br />
Wasserhaushalt Feststoffhaushalt Morphologie Wasserqualität Biozönosen Rahmenbedingungen<br />
Datenrecherche (welche Informationen liegen bereits vor?)<br />
Dateneignung (sind die Informationen geeignet und aktuell?)<br />
Abklärungsbedarf (welche Informationen fehlen noch?)<br />
Indikatoren (welche aussagekräftigen <strong>Aspekte</strong> (Organismen) werden verwendet)<br />
Erhebung fehlen<strong>der</strong> Inventare und Georeferenzierung<br />
Übertragung <strong>der</strong> Informationen in Datenbank<br />
Erstellung spezifischer Karten und Kataster, GIS<br />
Abb. 3-1:<br />
Inventarisierungsschritte unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Ökosystembausteine und <strong>der</strong> Rahmenbedingungen.<br />
Alle für eine <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung nötigen Informationen haben eine geografische Entsprechung.<br />
So kann man auf einer Karte angeben, über welchen Bereich sich welcher Zustand erstreckt,<br />
wo welche Organismen siedeln und wo es Belastungs- o<strong>der</strong> Störungsquellen gibt. Die in den<br />
letzten Jahren immer weiter verbesserte Software für Geografische Informationssysteme (GIS, Kap.<br />
4.7.2) erlaubt es, den räumlichen Bezug von Informationen darzustellen und auszuwerten. Die GIS-<br />
Software greift dabei selektiv auf Informationen einer Datenbank zu, die für die jeweils gewünschten<br />
Darstellungsinhalte benötigt werden.Voraussetzung dafür ist, dass die im Rahmen <strong>der</strong> Inventarisierung<br />
erfassten Informationen mit eindeutigen Koordinaten belegt werden (= Georeferenzierung).<br />
Inventare werden oft zur möglichst vollständigen ökologischen Charakterisierung o<strong>der</strong> zur Vervollständigung<br />
<strong>der</strong> Kenntnisse über ein Ökosystem erfasst und sind damit auch von wissenschaftlichem<br />
Wert. Allerdings müssen für die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung nicht alle Informationen zu allen<br />
Ökosystembausteine erhoben werden, son<strong>der</strong>n nur eine geeignete Auswahl. Hierfür genügen in <strong>der</strong><br />
Regel diejenigen Inventare, die zur Beurteilung <strong>der</strong> ökologischen Funktionsfähigkeit, zur Defizitanalyse<br />
und damit zur Erkennung des Handlungsbedarfs nötig sind.<br />
Umgekehrt kann aus einer mit hohem wissenschaftlichen Anspruch durchgeführten Bestandsaufnahme<br />
nicht immer <strong>der</strong> Ist-Zustand abgeleitet und Defizite erkannt werden. Der Nutzen eines Inven-<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
57
58<br />
tars für eine nachhaltige <strong>Gewässerentwicklung</strong>smaßnahme hängt vor allem von zwei Punkten ab:<br />
■ von <strong>der</strong> Aktualität <strong>der</strong> Erhebungen (Frage: entspricht <strong>der</strong> beschriebene Bestand noch <strong>der</strong> aktuellen<br />
Situation?);<br />
■ vom Aussagewert <strong>der</strong> erhobenen Daten (Frage: eignet sich die Information zur Beurteilung des<br />
Ist-Zustandes und <strong>der</strong> ökologischen Funktionsfähigkeit?<br />
3.2 Referenzzustände, Leitbil<strong>der</strong><br />
Für eine nachhaltige <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung werden Instrumente benötigt, welche die Richtung<br />
und die Stärke notwendiger Verbesserungsmaßnahmen vorgeben. Solche Instrumente sind die<br />
sogenannten Referenzzustände o<strong>der</strong> Leitbil<strong>der</strong> für die jeweiligen Gewässer/Gewässersysteme. Referenzzustände<br />
sind in jedem Fall gewässertypspezifisch zu erarbeiten. Das Auffinden geeigneter Referenzzustände<br />
ist umso schwieriger, je mehr sich das betrachtete Objekt von seinem ursprünglichen<br />
Zustand entfernt hat. Nur wenn eine eindeutige Zuordnung zu einem Gewässertyp noch möglich ist<br />
und die anthropogenen Einflüsse von den natürlichen Verän<strong>der</strong>ungen zu trennen sind, können Referenzzustände<br />
aus dem Gebiet als sogenannte Leitbil<strong>der</strong> herangezogen werden. Dabei sind drei Typen<br />
von Referenzzuständen zu unterscheiden:<br />
■ Historische Referenzzustände des selben Gewässersystems sind stets die frühestmöglichen und<br />
dem natürlichen Zustand am nächsten kommenden Dokumente, die einen glaubwürdigen und und für<br />
eine Planung brauchbaren Inhalt aufweisen;<br />
■ Aktuelle Referenzzustände noch natürlicher Gewässer mit vergleichbarer Lage und Charakter sind<br />
zunächst in geographischer Nähe zu suchen. Bei räumlich entfernten Objekten/Systemen kann nur<br />
ein vergleichbarer Teil <strong>der</strong> Charakteristik (aller Ökosystembausteine) als Referenz übernommen werden.<br />
Die Auswahl solcher Referenzinhalte bedarf einer zusätzlichen, sorgfältigen Abklärung;<br />
■ Synthetische Referenzzustände müssen erstellt werden, wenn keine brauchbaren historischen o<strong>der</strong><br />
aktuellen Referenzzustände erfasst werden können (z.B. bei künstlichen Gewässersystemen wie Entwässerungsgräben<br />
und Binnenkanäle). Synthetische Referenzzustände orientieren sich an:<br />
- naturnahen o<strong>der</strong> natürlichen Gewässerabschnitten mit ähnlichem hydrologischen Charakter<br />
- naturnahen o<strong>der</strong> natürlichen Gewässerabschnitten mit vergleichbarem Lebensrauminventar.<br />
Die Referenzinhalte (z.B. potenzielle Besiedlung, potenzielle Struktur- und Strömungsvielfalt) sollten<br />
aus tatsächlichen Gewässercharakteristika des jeweiligen Gewässersystems entnommen werden.<br />
Auch hier kommen wie<strong>der</strong> die biologischen und strukturellen Indikatoren zur Anwendung.<br />
3.2.1 Visionäres Leitbild<br />
Visionäre Leitbil<strong>der</strong> sind Voraussetzung zur Durchführung einer Defizitanalyse (s.u.), welche die Abweichung<br />
eines degradierten Gewässerzustands von seinem ursprünglichen Zustand abschätzt.<br />
Bezugspunkt für ein Visionäres Leitbild ist <strong>der</strong> natürliche Systemzustand, dem die historische Referenz<br />
am nächsten kommt. Er berücksichtigt keine anthropogenen Nutzungseinflüsse o<strong>der</strong> -anfor<strong>der</strong>ungen,<br />
son<strong>der</strong>n nur die natürlichen Randbedingungen und Gesetzmäßigkeiten sowie in <strong>der</strong> Landschaftsgeschichte<br />
als irreversibel einzustufende Verän<strong>der</strong>ungen (natürliche Reifung/Alterung).<br />
Die Formulierung eines sogenannten Visionären Leitbildes ist entscheidend für die Fragen:<br />
■ In welche Richtung soll sich das System entwickeln?<br />
■ Welche ökologischen Wertvorstellungen müssen berücksichtigt werden?<br />
Abklärungen<br />
Die durch das Leitbild festgelegte Richtung <strong>der</strong> ökologischen <strong>Gewässerentwicklung</strong> steht oft im Wi<strong>der</strong>spruch<br />
zu den unterschiedlichsten Nutzungsinteressen und unverän<strong>der</strong>baren Rahmenbedingungen<br />
(Restriktionen). Das Visionäre Leitbild darf daher nicht mit dem Operationalen (umsetzbaren) Leit-<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
bild o<strong>der</strong> Entwicklungsziel verwechselt werden (s.u.). Ein einmal verlorener natürlicher Zustand kann<br />
nicht mehr in einen natürlichen, son<strong>der</strong>n nur noch naturähnlichen (naturnahen) bzw. natürlich funktionierenden<br />
Zustand zurückgeführt werden. Das Visionäre Leitbild deckt sich nur dann annähernd<br />
mit einem Entwicklungsziel, wenn es darum geht, einen anthropogen noch unbeeinflussten Zustand<br />
zu erhalten (z.B. bestimmte Zonen von Nationalparks) (DVWK, 1999).<br />
3.2.2 Potenziell natürlicher Gewässerzustand<br />
Im Rahmen einer <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung im Alpenrheintal mag es zielführend sein, Referenzzustände<br />
zwischen visionärem und operationalen Leitbild zu suchen. Ein solcher Referenzzustand<br />
lässt sich mit dem Potenziell natürlichen Gewässerzustand beschreiben. Darunter versteht man<br />
jenen Zustand des Gewässers mit seinen Auen, <strong>der</strong> eintritt, wenn alle menschliche Tätigkeit eingestellt<br />
würden und sich schlagartig <strong>der</strong> unter diesen Bedingungen natürliche Zustand des Gewässers und seiner<br />
Vegetation einstellt (FRIEDRICH, 1992).<br />
Um aber den kulturellen Werten <strong>der</strong> Region und einer nachhaltigen Nutzung Rechnung tragen zu<br />
können, muss dieser Referenzzustand individuell definiert werden.<br />
Restriktionen<br />
3.3 Indikatoren<br />
Zustandsbild<br />
Referenz<br />
visionäres Leitbild<br />
(natürlicher Zustand)<br />
potentiell natürlicher<br />
Zustand<br />
Entwicklungsziel<br />
(operationales Leitbild)<br />
wird ermittelt<br />
durch<br />
historische Referenz<br />
(früheste verwendbare Beschreibung)<br />
aktuelle Referenz<br />
(an<strong>der</strong>er Ort, möglichst<br />
natürlicher Zustand)<br />
synthetische Referenz<br />
gewählte Referenz<br />
Entwicklungspotential<br />
In Kapitel 1.7 und im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Prioritätensetzung (Kap. A1.4) wurde <strong>der</strong> Stellenwert<br />
von Indikatoren bereits beschrieben. Im Rahmen <strong>der</strong> Inventarisierung sollen nun einige einfache, für<br />
das Alpenrheingebiet relevante Indikatoren des so genannten “Äußeren Aspekts” vorgestellt werden,<br />
wobei wir uns auf solche beschränken, die die ökologischen <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> beinhalten.<br />
Indikatoren des “Äußeren Aspekts” sind vor allem für die erste Phase <strong>der</strong> Prioritätensetzung und als<br />
erster Einblick in den System-/Objektcharakter geeignet.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
findet<br />
Anwendung bei<br />
Defizitanalyse,<br />
Formulierung von<br />
Entwicklungszielen<br />
konkrete mittelfristige<br />
Zielsetzung<br />
(z.B. Umsetzung EU-WRR)<br />
Maßnahmenplanung<br />
Erfolgskontrolle<br />
Abb. 3-2:<br />
Referenzzustände und ihre Verwendung im Rahmen <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung im Alpenrheintal<br />
59
60<br />
3.3.1 Äußerer Aspekt<br />
Abklärungen<br />
Oft besitzen Informationen eine zwar gut beschreibbare (Eindruck), aber kaum messbare Qualität.<br />
Auch sollten bei den ersten Schritten <strong>der</strong> Inventarisierung vermehrt generelle Charakteristika des<br />
Gewässers beobachtet werden. Schnell erkennbare abiotische Indikatoren wie Geruch o<strong>der</strong> Aussehen<br />
des Gewässers können dabei in entscheidendem Maße dazu beitragen, erste Belastungshinweise zu<br />
bekommen und geeignete Lokalitäten zur Durchführung einer detaillierteren Bestandsaufnahme zu<br />
finden. Solche generellen, einfach zu erhebenden Indikatoren werden unter dem Begriff “Äußerer<br />
Aspekt” zusammengefasst.<br />
Ökosystembaustein Beispiele für Indikatoren des “Äußeren Aspekts”<br />
Wasserhaushalt<br />
Feststoffhaushalt<br />
Morphologie<br />
Wasserqualität<br />
(und Sedimentqualität)<br />
Biozönosen<br />
Strömungsdiversität (Oberflächenstruktur des Wasserspiegels)<br />
Wasserstandsschwankungen, Schwall, (Kolmation, Bewuchs)<br />
Feinsedimentauflage auf dem Substrat, Kolmation<br />
Trübung<br />
Vorhandener/ fehlen<strong>der</strong> Substratbewuchs<br />
akustisch, optisch (Aufwuchs) feststellbare Geschiebeumlagerung<br />
Tiefen- und Breitenvarianz<br />
Deckungsstrukturen für Fische (Kolke, Totholz, Blöcke, usw.)<br />
Strömungs-Störungen (Hin<strong>der</strong>nis --> Auskolkung, ...)<br />
Wan<strong>der</strong>hin<strong>der</strong>nisse (Querbauwerke, Versickerungsstrecken, Abstürze)<br />
Pflanzenwuchs / Aufwuchs (Abwasser, Nährstoffe)<br />
Belastungszeiger (Fadenalgen, Ciliatenrasen, Abwasserpilz)<br />
Trübung und Färbung des Wasserkörpers<br />
Eisensulfid-Flecken unter Steinen<br />
Steine ohne Aufwuchs und Besiedlung (Vergiftung, Säuren)<br />
Länge von Selbstreinigungsstrecken (Aufwuchsverlauf)<br />
Auffälliges Fehlen o<strong>der</strong> Massenvorkommen verschiedener Organismen<br />
Scheuchdistanzen von Fischen (Stress)<br />
Fischsterben, Verpilzungen, Parasiten<br />
Katastrophendrift und Massenschlüpfen von Wirbellosen (Insekten)<br />
Tab. 3-1: Ausgewählte Indikatoren des “Äußeren Aspekts” zur Beurteilung des Gewässerzustands<br />
Beispiel: Ein äußerer Aspekt aus dem Baustein Wasserqualität ist <strong>der</strong> Geruch des Gewässers und seiner<br />
Umgebung sowie das Aussehen (Optik) des Wasserkörpers. Durch <strong>der</strong>en Überprüfung und<br />
Beschreibung lassen sich eine Vielzahl potenzieller und erfolgter Belastungen des Wasserkörpers und<br />
des Sediments feststellen :<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
Charakterisierung und Beschreibung des Geruchs:<br />
■ Geruch nach Schwefelwasserstoff (H 2S) --> Reduziertes Sediment, Abwassereinleitungen;<br />
■ Geruch nach Jauche --> gewässernah gedüngte Flächen;<br />
■ Geruch nach Phenolen, Aromaten, Tensiden und an<strong>der</strong>en typischen organischen Verbindungen<br />
--> chemisch - industrielle Einleitung, Abwasser<br />
Charakterisierung und Beschreibung des Aussehens:<br />
■ Trübungen und Färbungen --> Feststofftransport und/o<strong>der</strong> chemische Belastung<br />
■ Vorhandensein von Hygieneartikeln --> nicht funktionierende ARA;<br />
■ Schaumbildung --> organische Belastung o<strong>der</strong> Tenside;<br />
■ Wasserdampfbildung --> thermische Einleitung, Abwassereinleitung<br />
■ Eisensulfid-Flächen unter Steinen --> Reduziertes Sediment --> organische Belastung<br />
■ Starker Fadenalgenaufwuchs, Ciliatenrasen, Abwasserpilz (Sphaerotilus) --> Rohabwasser<br />
■ blankes, muldiges Steinsediment --> Säureeinleitung<br />
■ Sediment ohne Aufwuchs und Besiedlung --> Vergiftung --> toxisch-chemische Belastung<br />
3.4 Defizitanalyse und Entwicklungsbedarf<br />
3.4.1 Defizitanalyse<br />
Die Inventarisierung muss weitestgehend abgeschlossen sein, bevor eine Defizitanalyse durchgeführt<br />
und <strong>der</strong> sich daraus abzuleitende Handlungsbedarf formuliert wird. In <strong>der</strong> Defizitanalyse wird ein<br />
quantitatives und qualitatives Maß ermittelt, in dem sich <strong>der</strong> aktuelle Gewässerzustand vom visionären<br />
Leitbild o<strong>der</strong> vom potenziell natürlichen Zustand unterscheidet. Beim Erstellen einer Defizitanalyse<br />
werden erstmals nicht alle Ökosystembausteine getrennt betrachtet, weil sich Defizite zumeist als<br />
komplexe Folge von Ursachen aus verschiedenen Bereichen manifestieren. Defizite und Entwicklungsbedarf<br />
(Handlungsbedarf) werden nun zwei grösseren Bereichen zugeordnet, <strong>der</strong> Abiotik und<br />
<strong>der</strong> Biotik. Aus <strong>der</strong> Frage “welche Informationen zum aktuellen Zustand liefert das Gewässer?” wird<br />
die Frage “welche Defizite zeigt das Gewässer an bestimmten Punkten o<strong>der</strong> innerhalb betimmter Abschnitte?”<br />
A. Abiotische Gewässerdefizite:<br />
Unter diesem Punkt sind alle Defizite <strong>der</strong> Struktur und Wasserqualität gegenüber dem Referenzzustand<br />
des jeweiligen Gewässertyps zusammengefasst. Sie fassen die Ergebnisse aus den Abklärungen<br />
<strong>der</strong> Ökosystembausteine Wasserhaushalt, Feststoffhaushalt, Morphologie und Wasserqualität zu einer<br />
orts- o<strong>der</strong> abschnittsbezogenen Beurteilung zusammen. Darüber hinaus enthalten sie ein Einleiterkataster<br />
und die Lokalisierung weiterer Belastungs- und Störungsquellen.<br />
Bereits an dieser Stelle werden auch diejenigen aktuellen Restriktionen (vgl. Kap. 3.5) aufgeführt, die<br />
eine Rückführung des Systems in einen „natürlich funktionierenden" ökologischen Zustand verhin<strong>der</strong>n.<br />
Hierzu gehören Bauten des Hochwasserschutzes, Siedlungsstrukturen, bachnahe Verkehrsinfrastruktur,<br />
bachnahe Landbewirtschaftung, Konzessionen zur Wasserkraftnutzung sowie diejenigen<br />
<strong>Aspekte</strong> aus Freizeitsport, Tourismus, Jagd und Fischerei, die das Gewässer direkt beeinflussen.<br />
B. Biotische Gewässerdefizite:<br />
Dieser Punkt enthält alle Defizite aus dem Ökosystembaustein Biozönosen. Hiezu gehören neben den<br />
sich aus dem abiotischen Gewässerzustand ableitbaren Defiziten an <strong>der</strong> Lebensraumqualität auch<br />
negative Faktoren innerhalb <strong>der</strong> Biozönosen, wie z.B. Krankheitserreger, unnatürliche Konkurrenzphänomene,<br />
Artenschwund und Neozoeneinwan<strong>der</strong>ung. Ebenfalls aufgenommen werden Defizite im<br />
Status und <strong>der</strong> Ausdehnung von ausgewiesenen Schutzzonen (Fließgewässer und Aue).<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
61
62<br />
Datenbankführung, Karten, GIS<br />
(wie verwalte ich die Informationen?)<br />
3.4.2 Entwicklungsbedarf (Handlungsbedarf)<br />
Es folgt die Formulierung des Entwicklungsbedarfs (vgl. Kap. A3.1). Dieser gibt das Maß an, um das<br />
sich die Ökosystembausteine des Gebietes verbessern müssen, um ökologisch wie<strong>der</strong> „gut zu funktionieren"<br />
(auch im Sinne <strong>der</strong> EU-WRRL). Auch er orientiert sich an <strong>der</strong> natürlichen o<strong>der</strong> potenziell<br />
natürlichen Referenz. Im Entwicklungsbedarf enthalten sind auch Empfehlungen zu Qualität und<br />
Umfang schutzwürdiger Bereiche im Planungsgebiet.<br />
3.5 Rahmenbedingungen, Restriktionen<br />
Defizitanalyse<br />
abiotische Defizite<br />
Abklärungen<br />
biotische Defizite<br />
Wasserhaushalt Feststoffhaushalt Morphologie Wasserqualität Rahmenbedingungen<br />
Biozönosen<br />
Auswahl relevanter Inventare (welche Informationen beinhalten Defizite?)<br />
Schutz-/ Nutzungsfolgen (welche Rahmenbedingungen verursachen Gewässerdefizite?)<br />
Zusammenfassung und Ortsbezug (welche Defizite herrschen innerhalb bestimmter Abschnitte?)<br />
Formulierung <strong>der</strong> Defizite (in welchem Maß unterscheidet sich <strong>der</strong> aktuelle vom natürlichen Zustand?)<br />
Übertragung <strong>der</strong> Informationen in Datenbank<br />
Erstellung spezifischer Karten und Kataster<br />
Entwicklungsbedarf (was muss zur Wie<strong>der</strong>erlangung ökologischer Funktionsfähigkeit getan werden?)<br />
Abb. 3-3:<br />
Analyse abiotischer und biotischer Defizite sowie <strong>der</strong> daraus abgeleitete Enwicklungsbedarf.<br />
Zu den Rahmenbedingungen werden alle anthropogenen Einflüsse gezählt, welche eine <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
för<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> einschränken können. Zum großen Teil können sie im Verlauf <strong>der</strong> Inventarisierung<br />
recherchiert und als separates „Inventar <strong>der</strong> Rahmenbedingungen“ verwaltet werden.<br />
Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Defizitanalyse stehen alle Rahmenbedingungen im Vor<strong>der</strong>grund, die eindeutige<br />
Mängel am Gewässerzustand verursachen o<strong>der</strong> verursacht haben. Aus diesem Teil wie<strong>der</strong> rekrutieren<br />
sich die so genannten Restriktionen. Als Restriktionen bezeichnen wir all die Rahmenbedingungen in<br />
einem Planungsgebiet, die verhin<strong>der</strong>n, dass man den Referenzzustand direkt als Entwicklungsziel<br />
(Kap. 3.7) in die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung übernehmen kann. Restriktionen beeinflussen damit<br />
die Möglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>, das so genannte Entwicklungspotenzial (Kap. 3.6).<br />
Restriktionen gelten für die Laufzeit des <strong>Gewässerentwicklung</strong>splans und werden für diesen Zeitraum<br />
als unverän<strong>der</strong>bar gehandelt (DVWK, 1999). Nahe liegende Restriktionen sind die Fakten des Ist-<br />
Zustandes, die nach <strong>der</strong> Prioritätensetzung (Kap. A1.4) durch die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
nicht mehr in Frage gestellt werden. Dazu gehören vor allem die vorhandenen Siedlungsstrukturen<br />
mit Bebauung und Infrastruktureinrichtungen (Strasßen, Leitungstrassen, etc.), einschließlich beste-<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
künftiger Siedlungsraum<br />
Brauchwasserversorgung<br />
Kulturelle Werte<br />
Wasserwirtschaft, Energie<br />
unverän<strong>der</strong>liche Infrastruktureinrichtungen (Hauptstraßen, Bahnlinien)<br />
Schutz von Sachwerten<br />
primäre Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
Trinkwasserversorgung Gesundheit<br />
Hochwasserschutz im bestehenden Siedlungsraum<br />
unverän<strong>der</strong>bar<br />
Nutzungen, Bedürfnisse, Möglichkeiten<br />
Erholungswert<br />
Erwerbsraum<br />
sekundäre Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
Interessen<br />
Rahmenbedingungen<br />
Entwicklungspotenzial<br />
3.6 Entwicklungspotenzial<br />
Landwirtschaft<br />
verlegbare Infrastruktureinrichtungen<br />
finanzieller Spielraum<br />
Forstwirtschaft<br />
Gewässerrandnutzung<br />
Freizeitsport<br />
Brauchwasserentnahme<br />
Angelfischerei<br />
Ertragsmaximierung<br />
(Land-/Forstwirtschaft, Fischerei)<br />
kurzfristig modifizierbar o<strong>der</strong> aufzulassen<br />
mittelfristig modifizierbar o<strong>der</strong> aufzulassen<br />
nicht o<strong>der</strong> nur langfristig verän<strong>der</strong>bar (nach heutiger Auffassung )<br />
hen<strong>der</strong> Hochwasserschutz und die<br />
Standsicherheit von Bauwerken (z.B.<br />
Brücken). Weiterhin gehören rechtliche<br />
Festsetzungen mit festgelegten<br />
Laufzeiten zu den gut einschätzbaren<br />
Restriktionen (Rechte zur Wasserkraftnutzung).<br />
Nicht gewässerverträgliche<br />
o<strong>der</strong> die Entwicklung<br />
einschränkende Nutzungen von Gewässer<br />
und Aue sind nicht als Restriktionen,<br />
son<strong>der</strong>n als Interessen zu<br />
handhaben (DVWK, 1999), die mittelfristig<br />
modifiziert o<strong>der</strong> aufgelassen<br />
werden können, wenn sie das Entwicklungspotenzial<br />
beeinflussen<br />
(Abb. 3-4).<br />
Bei <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
ist darauf zu achten, dass neue<br />
Bebauung und Infrastruktureinrichtungen<br />
einen maximal möglichen<br />
Abstand zum Gewässer aufweisen<br />
(Raum ausscheiden, Baulinien), damit<br />
eigendynamische Prozesse so<br />
wenig wie möglich begrenzt werden<br />
müssen. Maßnahmen werden immer<br />
dann sehr teuer, wenn Leitungen und<br />
Elemente <strong>der</strong> Verkehrsinfrastruktur<br />
verlegt werden müssen. Daher sollten<br />
neue Abwasser- und Leitungstrassen<br />
möglichst parallel zu unverän<strong>der</strong>lichen<br />
Einrichtungen <strong>der</strong> Infrastruktur<br />
(Straßen, Bahnlinien)<br />
verlegt werden.<br />
Die zuvor angesprochenen Restriktionen setzen <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong> immer wie<strong>der</strong> räumliche<br />
und qualitative Grenzen. Bevor konkrete Entwicklungsziele (Kap. 3.7) formuliert werden können,<br />
muss daher eine pragmatische Abschätzung <strong>der</strong> zur Verfügung stehenden Aufwertungsmöglichkeiten<br />
erfolgen - das Entwicklungs- o<strong>der</strong> Aufwertungspotenzial einer Maßnahme muss definiert werden. Das<br />
Entwicklungspotenzial hat eine quantitative und eine qualitative Komponente. Erstere gibt die räumlichen<br />
Möglichkeiten für eine Maßnahme an und damit die maximale Ausdehnung <strong>der</strong> planbaren<br />
Umgestaltung o<strong>der</strong> Vernetzung eines Gewässerobjekts/-systems. Der maximal zur Verfügung stehende<br />
Raum wird in den Situationsplänen (Kap. 4.7.1) deutlich markiert, damit er bei je<strong>der</strong> weiteren<br />
Überlegung des Planungsprozesses auf den ersten Blick zu erkennen ist. Bei <strong>der</strong> qualitativen Komponente<br />
des Entwicklungspotenzials wird abgewägt, inwieweit und in welcher Form <strong>der</strong> zur Verfügung<br />
stehende Raum überhaupt benötigt wird, um Entwicklungsziele so weit wie möglich umsetzen<br />
zu können. Eine separate Formulierung des qualitativen Entwicklungspotenzials ist nicht nötig,<br />
da diese Überlegungen direkt in die Entwicklungsziele und von dort in die Planungsvarianten (Kap.<br />
4.4) eingehen können.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Restriktionen<br />
Abb. 3-4: Die unterschiedliche Qualität und zeitliche Geltung von<br />
Rahmenbedingungen sind die Basis für die Bestimmung des ökologischen<br />
Entwicklungspotenzials einer <strong>Gewässerentwicklung</strong>.<br />
63
64<br />
Entscheidend für das Entwicklungspotenzial ist die Abklärung, welche Rahmenbedingungen als restriktiv<br />
(unabän<strong>der</strong>lich) und welche als Nutzungen o<strong>der</strong> Interessen (mittelfristig än<strong>der</strong>bar) definiert<br />
werden müssen (Abb. 3-4). Diese Entscheidung wird im Rahmen einer zweiten Phase <strong>der</strong> Prioritätensetzung<br />
getroffen (Kap. A1.4). Eine übergeordnete Komponente ist die Festlegung wasserbaulicher<br />
Fixpunkte. Diese werden definiert und genauestens lokalisiert, um die Stabilität von Bauwerken und<br />
Sohlenlagen zu sichern.<br />
Ziel einer jeden <strong>Gewässerentwicklung</strong>smaßnahme ist es, das vorhandene ökologische Entwicklungspotenzial<br />
voll auszunutzen. Die Qualität <strong>der</strong> Planung und <strong>der</strong> Maßnahmen selbst lässt sich an <strong>der</strong><br />
Ausschöpfung des Entwicklungspotenzials bemessen.<br />
Datenbankführung, Karten, GIS<br />
(wie verwalte ich die Informationen?)<br />
Wasserhaushalt<br />
3.7 Entwicklungsziele<br />
Entwicklungspotenzial<br />
abiotische Inhalte<br />
Feststoffhaushalt Morphologie Wasserqualität<br />
Abklärungen<br />
biotische Inhalte<br />
Biozönosen<br />
Raumbedarf Entwicklung (welchen Raum braucht Gewässer zur typspezifischen Eigendynamik?)<br />
Festlegung von Fixpunkten (welche Einrichtungen/Niveaus dürfen nicht verän<strong>der</strong>t werden?)<br />
Abgleich des Raumbedarfs (können Einrichtungen aus dem Entwicklungsbereich verlegt werden?)<br />
Übertragung <strong>der</strong> Informationen in Datenbank<br />
Erstellung <strong>der</strong> Karten Entwicklungspotenzial<br />
Rahmenbedingungen<br />
Ausfiltern <strong>der</strong> Restriktionen (welche Rahmenbedingungen sind <strong>der</strong>zeit unverän<strong>der</strong>bar?)<br />
Raumbedarf <strong>der</strong> Restriktionen (welcher Raum steht für <strong>Gewässerentwicklung</strong> nicht zur Verfügung?)<br />
Abb. 3-5:<br />
Vorgehensweise bei <strong>der</strong> Ermittlung des Entwicklungspotenzials.<br />
Entwicklungsziele beschreiben - unter Berücksichtigung des Entwicklungspotenzials (Kap. 3.6) - den<br />
mittel- bis langfristig anzustrebenden und realisierbaren Zustand eines Gewässersystems/-objekts<br />
und geben den Rahmen für die Maßnahmenplanung (Kap. 4) vor. Die entscheidende Frage für die<br />
Formulierung <strong>der</strong> Ziele lautet: Welche charakteristischen Zustände/Funktionen soll das Gewässer<br />
nach erfolgter Entwicklung aufweisen?<br />
Entwicklungsziele können nur nach dem jeweils aktuellen Wissensstand <strong>der</strong> Maßnahmenoptimierung<br />
formuliert werden und müssen daher ausreichend Spielraum für spätere Korrekturen o<strong>der</strong> Erweiterungen<br />
bieten. Nach einer Konvention (die so sinngemäß auch in die EU-WRRL übernommen<br />
wurde) stellen Entwicklungsziele den innerhalb von 10-15 Jahren absehbar erreichbaren Schritt in eine<br />
vom visionären Leitbild o<strong>der</strong> <strong>der</strong> potenziell natürlichen Referenz vorgezeichneten Richtung dar.<br />
Ein Entwicklungsziel beinhaltet demnach auch Zustände und Funktionen, die eine eventuell erst später<br />
mögliche größere Annäherung an das Leitbild möglich machen. Künftigen Generationen soll die<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
Option auf die weitere Verwirklichung des Leitbilds offen gehalten werden (Nachhaltigkeitsprinzip).<br />
Die Zusammenstellung <strong>der</strong> Entwicklungsziele bildet die zentrale Aussageebene des <strong>Gewässerentwicklung</strong>splans.<br />
Entwicklungsziele sind im Sinne eines Flussgebietsmanagements durchgehend und<br />
flächendeckend für das gesamte Bearbeitungsgebiet festzulegen (Gewässerbett und Aue). Neben ihrer<br />
Formulierung ist ihre räumliche Zuordnung ein wesentlicher Teil <strong>der</strong> Planungsleistung.<br />
Entwicklungsziele sind somit die Beschreibung eines anzustrebenden Zustandes. Dabei kann es sinnvoll<br />
sein, sie durch Maßnahmenhinweise zu ergänzen. In verschiedenen Ansätzen wird <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong><br />
Entwicklungsziele deshalb weiter gefasst und beinhaltet auch die damit verbundenen For<strong>der</strong>ungen<br />
und Herangehensweisen. Solche Handlungserfor<strong>der</strong>nisse (Kap. 3.8) leiten sich jedoch erst aus <strong>der</strong><br />
Formulierung <strong>der</strong> Entwicklungsziele ab und werden darum hier getrennt vorgestellt.<br />
Auch ökologische Schutzziele sind wie Entwicklungsziele zu handhaben. So muss die <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung<br />
stets die noch natürlich/naturnah funktionierenden Lebensräume und Prozesse<br />
(Auen, gewässertypische Vegetation, schützenswerte Arten) im Projektperimeter mitberücksichtigen.<br />
Eingriffe in entsprechende Systeme sind nur dann zu verantworten, wenn die darin ablaufenden Prozesse,<br />
Lebensräume und Arten durch entsprechende Maßnahmen weiter geför<strong>der</strong>t werden können<br />
(weitere Raumzuteilung, Biotopvernetzung etc.)<br />
Datenbankführung, Karten, GIS<br />
(wie verwalte ich die Informationen?)<br />
Wasserhaushalt<br />
3.8 Handlungserfor<strong>der</strong>nisse<br />
Entwicklungsziele und Handlungserfor<strong>der</strong>nisse<br />
abiotische Inhalte<br />
Feststoffhaushalt Morphologie Wasserqualität<br />
Handlungserfor<strong>der</strong>nisse leiten sich direkt aus <strong>der</strong> Formulierung <strong>der</strong> Entwicklungsziele ab. Sie sind die<br />
Beschreibung von Prozessen, Handlungen und For<strong>der</strong>ungen, die zur Erreichung eines solchen<br />
angestrebten Zustands nötig sind. Tabelle 3-2 beinhaltet für das Alpenrheintal beispielhaft einige übergeordnete<br />
Entwicklungsziele und die mit ihnen korrespondierenden Handlungserfor<strong>der</strong>nisse.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
biotische Inhalte<br />
Biozönosen<br />
Formulierung <strong>der</strong> Schutzziele (welche Zustände/Prozesse/Objekte müssen erhalten bleiben?)<br />
Formulierung <strong>der</strong> Handlungserfor<strong>der</strong>nisse (wie können die Entwicklungsziele erreicht werden?)<br />
Lokalisierung <strong>der</strong> Handlungserfor<strong>der</strong>nisse (in welchen Bereichen bestehen Handlungserfor<strong>der</strong>nisse?)<br />
Übertragung <strong>der</strong> Informationen in Datenbank<br />
Rahmenbedingungen<br />
Analyse <strong>der</strong> Möglichkeiten<br />
(wie weit kann sich bei vorhandenem Entwicklungspotential das Gewässer zum Leitbild hin entwickeln?)<br />
Formulierung <strong>der</strong> Zielzustände (welche Zustände/Prozesse kann das Gewässer wie<strong>der</strong>erlangen?)<br />
Erstellung <strong>der</strong> Karten Entwicklungsziele, Handlungserfor<strong>der</strong>nisse<br />
Abb. 3-6: Vorgehensweise bei <strong>der</strong> Formulierung von Entwicklungszielen und Handlungserfor<strong>der</strong>nissen.<br />
65
66<br />
Abklärungen<br />
Die För<strong>der</strong>ung einer eigendynamischen Entwicklung innerhalb des Entwicklungspotenzials ist nach<br />
Möglichkeit immer konstruierten Maßnahmen und Zielen vorzuziehen. In <strong>der</strong> Regel kann sie nur<br />
erreicht werden, wenn ein ausreichen<strong>der</strong> Raum für Gerinne- und Uferentwicklung zur Verfügung<br />
steht (Kap.4.3). Mit Initialmaßnahmen kann eine solche Entwicklung geför<strong>der</strong>t werden.<br />
Die morphologische Entwicklung wird durch die Ausbildung eines naturnahen Uferwaldes stark beeinflusst.<br />
Dagegen erhalten Unterhaltungsmaßnahmen wie Räumen und Stabilisieren von Sohle und<br />
Ufer den Ausbauzustand und verhin<strong>der</strong>n die Eigenentwicklung eines Gewässers.<br />
Mit <strong>der</strong> Formulierung von Handlungserfor<strong>der</strong>nissen wird ein „Pflichtenheft“ für die Planung und<br />
Umsetzung festgelegt, welches auch bei später auftretenden Interessenskonflikten als vereinbarter<br />
Maßstab dient.<br />
Entwicklungsziele (übergeordnet)<br />
(welcher Zustand soll erreicht werden ?)<br />
Gewässer kann sich eigendynamisch und gewässertypspezifisch<br />
entwickeln<br />
Lebensräume und Biozönosen sind einer<br />
naturnahen Abflussdynamik ausgesetzt<br />
Lebensräume und Biozönosen sind einer<br />
naturnahen Feststoffdynamik ausgesetzt<br />
Die Gesundheit <strong>der</strong> Gewässerbiozönosen ist nicht<br />
durch ein anthropogen beeinflusstes<br />
Temperaturregime beeinträchtigt<br />
Die Gesundheit <strong>der</strong> Gewässerbiozönosen ist nicht<br />
durch einen anthropogen beeinflussten<br />
Schadstoffeintrag beeinträchtigt<br />
Gewässer zeigt eine typspezifische Ausprägung<br />
Gewässer weist auentypische Grundwasserverhältnisse<br />
auf<br />
Gewässer ist für alle biologischen und abiotischen<br />
Austauschprozesse longitudinal durchgängig<br />
Gewässersystem ist für alle biologischen und abiotischen<br />
Austauschprozesse dreidimensional durchgängig<br />
und verbunden<br />
Das Gewässer muss in seinem ursprünglichen Typ<br />
wie<strong>der</strong> erkennbar sein und entsprechende Uferrandstreifen<br />
rsp. Auenbereiche besitzen.<br />
Schutzziele: Das Gewässer behält die bisherige typspezifische<br />
Ausprägung bei und bietet schützenswerten<br />
Biozönosen und Arten eine nachhaltige<br />
Lebensgrundlage<br />
Handlungserfor<strong>der</strong>nisse<br />
(was muss dafür getan werden?)<br />
Bereitstellen und Sichern ausreichend bemessenen<br />
Entwicklungsraums (Gerinne und Ufer)<br />
Schwall minimieren; Restwasserdotierung anpassen;<br />
Retentionsräume schaffen; Schwallbeseitigung<br />
Geschiebeeintrag för<strong>der</strong>n; Geschiebetransport<br />
zulassen; Schwebstoffeintrag minimieren. Schwall<br />
glätten o<strong>der</strong> beseitigen<br />
Maßnahmen zur Reduktion <strong>der</strong> Wassererwärmung<br />
ergreifen; tiefe Stellen, Grundwasseranbindung und<br />
Beschattung ermöglichen;<br />
Maßnahmen zur Reduktion <strong>der</strong> gelösten<br />
Stoffeinträge, ökotoxikologischer Forschungsbedarf<br />
Maßnahmen zur Verbesserung <strong>der</strong> spezifischen<br />
Gewässerbett- und Gewässerlaufstruktur ergreifen<br />
Anbindung an Grundwasser, Auflösung von<br />
Kolmationen<br />
Beseitigung künstlicher Kontinuumsunterbrechungen<br />
För<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ufer-Gerinne-Verzahnung; Übergangsbereiche<br />
und Mündungen niveaugleich und naturnah<br />
zulassen/gestalten/vernetzen<br />
Ausscheidung ausreichend bemessenen (gewässertypspezifischer)<br />
Gewässer-/Uferraums;<br />
Bereitstellung eines typspezifischen Pendelbands<br />
Ausscheidung von Schutzgebieten; ökologische<br />
“Fixpunkte” bei allen Maßnahmen. Maßnahmen zur<br />
weiteren Aufwertung, Ausdehnung und Vernetzung<br />
natürlicher Lebensräume; ökologische Trittsteine<br />
Tab. 3-2: Zusammenhang zwischen Entwicklungszielen und Handlungserfor<strong>der</strong>nissen und die Formulierung<br />
übergeordneter Inhalte für die Gewässersysteme im Alpenrheintal.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
A3 Arbeitsmaterialien zu Kapitel 3<br />
A3.1 Prinzipielle Defizite, Probleme und Entwicklungsbedarf im Alpenrheingebiet<br />
Im Alpenrheingebiet zeigen sich - unabhängig von einer objektbezogenen Defizitanalyse - auch prinzipielle<br />
Defizite und Probleme, die auf einen ökologisch nicht verträglichen Umgang mit den Gewässern<br />
hindeuten. Sie werden im Folgenden vorgestellt und durch die Auflistung beispielhaften Entwicklungsbedarfs<br />
ergänzt.<br />
A3.1.1 Gewässerverschmutzung<br />
Quellen für eine allfällige o<strong>der</strong> permanente chemische Belastung <strong>der</strong> Gewässer im Rheintal sind die<br />
Einleitungen aus Kläranlagen und diffuse Einträge aus landwirtschaftlich genutzen Flächen. Als Belastungsfaktoren<br />
lassen sich im Wesentlichen die Nährstoffe Phosphor und Stickstoff, die fischtoxischen<br />
Stickstoffverbindungen Ammonium und Nitrit (NH4-N, NO2-N) und die Belastung mit organischen<br />
Stoffen (gemessen mit BSB5, DOC) aufführen. Über weitere potenzielle Umweltschadstoffe<br />
ist noch wenig bekannt. Vor allem bezüglich synergistischer Stoffwirkungen und komplexerer Formen<br />
<strong>der</strong> chemischen Gewässerbelastung, wie z.B. Arzneimittelrückstände o<strong>der</strong> hormonwirksame Substanzen<br />
aus Abwasser-Reinigungsanlagen, werden ökotoxische Wirkungen auf die Gewässerorganismen<br />
vermutet. Landwirtschaftliche Nutzungen führen vor allem dann zu einer erhöhten Nähr- und Schadstoffkonzentration<br />
in den Gewässern, wenn sie bis unmittelbar am Gewässerrand erfolgen.<br />
Beispielhafter Entwicklungsbedarf:<br />
� ausreichend bemessene Uferrandflächen<br />
� Beseitigung <strong>der</strong> Belastungsquelle o<strong>der</strong> Minimierung <strong>der</strong> Einträge (Verursacherprinzip)<br />
� Forschungsbedarf bezüglich ökotoxisch wirksamer Substanzen.<br />
a b c<br />
Abb. A3-1: Beispiele chemischer Belastungsformen im Alpenrheingebiet: a: Nährstoffbelasteter Bach mit starker Hypertrophierung;<br />
b) Hofdüngerlagerung und - abschwemmung auf dem Alpenrheinvorland; c) Am Rechen vorbeigeführte und<br />
in einen Binnenkanal eingeleitete Mischabwässer einer ARA.<br />
A3.1.2 Allgemeine strukturelle Defizite<br />
Während im Einzugsgebiet <strong>der</strong> Gebirgsflüsse ab Höhenlagen von 1200 Metern noch ein großer Teil<br />
<strong>der</strong> Fließgewässer natürlich und naturnah strukturiert ist, zeigen Fließgewässer im Alpenrheintal nur<br />
noch selten naturnahe Flußbettausformung, meist sind sie in das Entwässerungssystem des Rheintales<br />
einbezogen und kanalartig reguliert. Überwiegend künstliche Kanal- und Binnenkanalsysteme sorgen<br />
für eine effiziente Entwässerung des Rheintales. Viele Gewässer weisen monotone, trapezförmige<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
67
68<br />
Profile mit geringer Lebensraumvielfalt auf. Auch die Strömungsverhältnisse sind wenig dynamisch.<br />
Viele Fließgewässer sind in ein zu enges und geradliniges Profil gezwängt. Fischstandorte, Laichplätze,<br />
Jungfischhabitate sowie Siedlungsraum für die Ufervegetation gingen verloren. Die scharfe Abgrenzung<br />
zwischen Gewässer und Umland führte zum Verlust <strong>der</strong> ökologisch wichtigen Übergangszonen<br />
zwischen Wasser und Land. Die standorttypische gewässerbegleitende Vegetation, wie Auwald, verschwand<br />
fast völlig.<br />
Neben schutzwasserbaulich zweifelsfrei unverzichtbaren Bauten, z.B. zur Sicherung <strong>der</strong> Infrastruktur<br />
und zum Hochwasserschutz, wurde in <strong>der</strong> Vergangenheit eine Form von Gewässerregulierung<br />
praktiziert, die vor allem auf Landgewinn und “Meliorisierung” (u.a. Entwässerung und Humusierung)<br />
landwirtschaftlicher Nutzflächen zielte. Diese Defizite sind es, die in erster Linie zur massiven<br />
Einschränkung ökologischer Funktionsfähigkeit im Alpenrhein geführt haben.<br />
Folgende strukturellen Defizite dominieren im Alpenrheingebiet:<br />
■ gewässerfremde Linienführung und Flussbettausformung;<br />
■ gewässerfrem<strong>der</strong> Uferbereich, unzureichende Uferrandflächen;<br />
■ meliorisierte Landwirtschaftsflächen;<br />
■ Querbauwerke und Kontinuumsunterbrechungen<br />
■ fehlende Durchgängigkeit und Gewässervernetzung;<br />
■ fehlende Beschattung <strong>der</strong> Fließgewässer;<br />
■ harter Wildbachverbau.<br />
Riedgewässer und Entwässerungsgräben zeigen meist streng geometrische Form und Linienführung.<br />
Vielfach ist das Gewässerbett durch Betonfertigteile o<strong>der</strong> Holzschalen verbaut o<strong>der</strong> gar verrohrt. Der<br />
meist geringe Abfluß versickert teilweise zwischen den Fugen und läuft häufig unterhalb <strong>der</strong> Beton-/<br />
Holzteile. Gänzlich naturbelassene Riedgewässer existieren heute nicht mehr, da sie großteils in die<br />
Entwässerungssysteme zur Intensivierung <strong>der</strong> Landwirtschaft einbezogen sind.<br />
Gebirgsflüsse wie Plessur, Landquart, Tamina und Ill sind wegen <strong>der</strong> hohen Umlagerungsdynamik im<br />
Talgrund zur Gänze hart reguliert. Neben trapezförmiger Profilausformung haben Querbauwerke<br />
zahlreiche Unterbrechungen des Fließgewässerkontinuums verursacht. Darüber hinaus führt die bisherige<br />
energiewirtschaftliche Nutzung zu einer wesentlichen Beeinträchtigung <strong>der</strong> ökologischen<br />
Funktionsfähigkeit.<br />
Hangbäche weisen vor allem im Siedlungsgebiet sehr starke Verbauung und Verrohrung auf. Im<br />
freiem Gelände liegen an den Talflanken teilweise noch naturnähere Bereiche vor. Bei stärker geschiebeführenden<br />
Bächen sind am Hangfuß meist Ausschotterungsbecken angelegt. Im Talboden sind die<br />
meisten kleineren Flüsse und Hangbäche stark bis kanalartig reguliert.<br />
Wildbäche und Rüfen: Im Talboden flußab <strong>der</strong> Ausschotterungsbecken sind die Rüfen meist mittels<br />
Betonwannen verbaut. Eine Ausnahme bilden Rüfen mit direkt an den Rhein heranreichenden<br />
Felshängen. Wildbäche mit Schadenspotenzial gegenüber Infrastruktureinrichtungen (v.a. Strassen,<br />
Bauten) sind generell hart querverbaut. Der bis zu ihrer Auffüllung bedingt gewährleistete Geschieberückhalt<br />
bietet einen gewissen Schutz vor Murgängen und Bergstürzen.<br />
Binnenkanäle bzw. größere Talbäche sind überwiegend (bis auf vereinzelte Revitalisierungsstrecken)<br />
monoton reguliert und erfüllen damit ihre ursprüngliche schutzwasserbauliche Funktion, nämlich die<br />
schnelle Entwässerung von Ebene und Siedlungsraum. Wie Entwässerungsgräben sind auch sie künstlich<br />
angelegte Fließgewässer, die keine historische orohydrologische Referenz besitzen.<br />
Beispiele z.T. aus: EBERSTALLER & HAIDVOGL (1997): Gewässer- und fischökologisches Konzept Alpenrhein<br />
Abklärungen<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
a<br />
f g<br />
h i j<br />
Abb. A3-2:<br />
Verschiedene Varianten struktureller Defizite: a): Kanalisierung und gewässerfremde Linienführung (Entwässerungsgraben);<br />
b): naturfrem<strong>der</strong> Uferbereich (Hangbach); c): naturfremde Linienführung und Flussbettausformung<br />
(Binnenkanal); d): Gewässerrandnutzung, fehlende Beschattung, monotone Linienführung (Talbach)<br />
e): Wildbachverbau f): Geschiebeschwelle (Querbauwerk Gebirgsfluss) g): Bachrandnutzung, fehlende Beschattung,<br />
Trittschäden (Talbach) h): Harter Uferverbau (Gebirgsfluss) i): Tiroler Wehr (Wasserfassung) an Hangbach,<br />
Kontinuumsunterbrechung j): Querbauwerk, Strassenunterführung eines Gebirgsbaches.<br />
Fotos: a (AJF GR); b (UI Bregenz); c (AfU FL); d (O. Sohm); f (AJF GR); g (UI Bregenz); i (BUWAL)<br />
Beispielhafter Entwicklungsbedarf:<br />
� Großzügig bemessene Neustrukturierung, Gerinneaufweitungen, Geschiebemobilisierung;<br />
� Vernetzung, Ausscheidung ausreichend großer Uferrandflächen;<br />
� Funktion ökologischer Trittsteine för<strong>der</strong>n.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
b<br />
d<br />
c<br />
e<br />
69
70<br />
A3.1.3 Funktionelle Entwertung <strong>der</strong> Mündungsbereiche<br />
Unverbaut und niveaugleich münden nur noch Gewässer in Graubünden in den Alpenrhein. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
die Mündung <strong>der</strong> Cosenz in den Mastrilser Auen kann als Referenz für naturbelassene Mündungsbereiche<br />
kleiner Zuflüsse gelten. Auf Grund <strong>der</strong> deutlich verringerten Anzahl direkt in den<br />
Rhein münden<strong>der</strong> Zubringer und <strong>der</strong> großen funktionellen Defizite des Alpenrheins als Reproduktionsgewässer<br />
(IRKA, 2001), ist die niveaugleiche Anbindung <strong>der</strong> wenigen verbliebenen Mündungen<br />
für die Fischfauna des Alpenrheins von beson<strong>der</strong>er Bedeutung. Ein großer Teil <strong>der</strong> Zubringermündungen<br />
in den Alpenrhein und ein Teil <strong>der</strong> Zusammenflüsse von Talgewässern ist für Fische sowohl<br />
bei Nie<strong>der</strong>- als auch bei Mittelwasser unpassierbar. Teilweise passierbar sind unter den Mündungen oft<br />
nur diejenigen, die mit einer technischen Fischaufstiegshilfe ausgestattet sind. Oft ermöglichen <strong>der</strong>artige<br />
Aufstiegshilfen aber nur sehr schwimm- bzw. sprungstarken Fischarten, wie z.B. <strong>der</strong> Seeforelle,<br />
den Aufstieg. Der Mündungsbereich des Liechtensteiner Binnenkanals wurde im Jahr 2000 im Rahmen<br />
einer großräumigen Revitalisierungsmaßnahme naturnah und niveaugleich gestaltet und damit<br />
für alle Fischarten und -größen durchgängig gemacht (vgl. Beilagen, S. 140 f).<br />
a b<br />
Beispielhafter Entwicklungsbedarf:<br />
� Schaffung niveaugleicher, naturnaher Mündungsbereiche;<br />
� Berücksichtigung <strong>der</strong> Lockströmung für Wan<strong>der</strong>fischarten;<br />
� Qualitative Verbesserung <strong>der</strong> ökotoxischen Belastungen in den Zuflüssen zum Rhein.<br />
A3.1.4 Unterbrechung <strong>der</strong> Durchgängigkeit (Fließwasserkontinuum)<br />
Abklärungen<br />
Abb A3-3:<br />
Mündungsbereiche von Binnenkanälen, die bei Mittelwasserstand des Rheins nicht niveaugleich münden.<br />
a) Mündung des Saarkanals; b) Mündung des Werdenberger Binnenkanals (Schlauch).<br />
Neben den oben genannten funktionell entwerteten Mündungsbereichen finden sich auch innerhalb<br />
<strong>der</strong> Fließgewässersysteme im Alpenrheingebiet, vor allen in den Gebirgsflüssen, Schwellen und an<strong>der</strong>e<br />
für die aquatische Fauna unpassierbare Sohlbauwerke. Wan<strong>der</strong>ungen von aquatischen Organismen<br />
(Fische, Makrozoobenthos) sind damit nicht bzw. nur noch sehr eingeschränkt möglich.<br />
Einige <strong>der</strong> bereits bestehenden Fischaufstiegshilfen, z.B. in <strong>der</strong> Landquart, sind auf Grund fortschreiten<strong>der</strong><br />
Sohlenerosion und Hochwasserschäden nicht mehr funktionsfähig. Bei an<strong>der</strong>en, wie am<br />
neuen Fischpass des Kraftwerks Domat-Ems, wurde zwar eine hierfür optimale Aufstiegs-, aber keine<br />
gleichsam effektive Abstiegshilfe für große Wan<strong>der</strong>fische, wie die Seeforelle, geschaffen.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
a b<br />
Abb A3-4:<br />
Kontinuumsunterbrechungen im Einzugsgebiet des Alpenrheins. a)Absturzbauwerke im Valschavielbach<br />
(Foto: UI Bregenz); b) Der rund 7m hohe Klusfall an <strong>der</strong> Landquart; c) zerstörte Fischtreppe an <strong>der</strong> Landquart<br />
bei Grüsch.<br />
Beispielhafter Entwicklungsbedarf:<br />
� Aufstiegshin<strong>der</strong>nisse beseitigen o<strong>der</strong> durch passierbare Gefällestrecken ersetzen;<br />
� Bau von Fischaufstiegshilfen für die Auf- und Abwan<strong>der</strong>ung aller Fischarten.<br />
A3.1.5 Absinken des Grundwasserspiegels<br />
Gewässerkorrektionen, Kiesabbau und Eintiefung <strong>der</strong> Sohle des Alpenrheins führten zu einem drastischen<br />
Absinken des Grundwasserspiegels im Rheintal; das Versiegen <strong>der</strong> Gießenbäche und das<br />
Trockenfallen zahlreicher an<strong>der</strong>er Talgewässer war die Folge. Die für intensive landwirtschaftliche<br />
Nutzung erfor<strong>der</strong>liche Entwässerung <strong>der</strong> Flachmoore/Riede führt zum Verschwinden fast aller natürlichen<br />
Stillgewässer. Ursprüngliche Fließgewässer wurden in das Entwässerungssystem mit einbezogen<br />
und in monotone Gräben umgewandelt. Die breiteren Talbecken weisen daher heute ein dichtes<br />
Entwässerungssystem auf. Praktisch sämtliche Gewässer des Talbodens wurden in harter Bauweise<br />
hochwassersicher ausgebaut, zahllose Kleingewässer wurden im Zuge von Meliorationen verlegt o<strong>der</strong><br />
verschwanden in Verrohrungen.<br />
a b<br />
Abb. A3-5:<br />
Das zum Teil massive Absinken des Grundwasserspiegels im Alpenrheintal führte dazu, dass viele Fließgewässer<br />
<strong>der</strong> Ebene nicht mehr durchflossen wurden. Vor allem betroffen sind die hauptsächlich durch Grundwasser<br />
gespeisten Gießen, Talbäche und Riedgewässer. a) Ehemaliger Altarm im Bereich <strong>der</strong> Matschelser Au (V); b)<br />
Irkalesbachs (FL), vor <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>bewässerung.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
c<br />
71
72<br />
Beispielhafter Entwicklungsbedarf:<br />
� Bessere Anbindung an Grundwasser, dazu: Kenntnis über Grundwasser-Flurabstände;<br />
� Wie<strong>der</strong>bewässerungsmaßnahmen, wenn keine Grundwasseranbindung möglich ist;<br />
� Verlangsamung des Gebietswasserabflusses durch großzügige Gerinneaufweitung,<br />
� Beseitigung nicht restriktiver Entwässerungsstrukturen (Dränungen)<br />
� Langfristig: Reaktivierung <strong>der</strong> natürlichen Geschiebe- und Sohlendynamik im Rhein.<br />
A3.1.4 <strong>Ökologische</strong> Defizite durch Wasserkraftnutzung<br />
Wasserkraftnutzung findet sich im Alpenrheingebiet in Form von Speicherkraftwerken (z.B. am<br />
Vor<strong>der</strong>- und Hinterrhein, am Oberlauf <strong>der</strong> Ill) und am Alpenrhein selbst in Form eines Flusskraftwerks<br />
(Domat-Ems). Die aus dem jeweiligen Betrieb erwachsenden ökologischen Defizite lassen sich<br />
zum großen Teil auf drei Ursachen zurückführen:<br />
1.) Schwall<br />
2.) Schlammbewirtschaftung<br />
3.) Restwasserdotierung<br />
Abb. A3-6:<br />
Stauseen und Flussstaus im Alpenrhein-<br />
Einzugsgebiet.<br />
Lago di Lei<br />
Vaduz<br />
Preda<br />
Feldkirch<br />
Samina - - Stausee<br />
Speicher Stauseen Lutz Raggall<br />
Lünersee<br />
Abklärungen<br />
Spullersee<br />
Landquart<br />
Stausee Kops<br />
Mapragg-See<br />
Vermunt - Stausee<br />
Gigerwald-See<br />
Stausee<br />
Chur<br />
Panix Ranasca<br />
Brigelser<br />
Flussstau<br />
Stausee<br />
Stausee<br />
Brigelser<br />
Reichenau<br />
Arosa<br />
Ilanz<br />
Stausee<br />
Schwellisee<br />
Barcuns<br />
Egschi<br />
Stau<br />
Igl Lai<br />
Tavanasa Thusis<br />
Sedrun<br />
Becken Alvaschein Solis<br />
Safien-Platz<br />
Silvretta - Stausee<br />
Stau Klosters<br />
Davoser See<br />
Davos<br />
Lai da<br />
Curnera<br />
Lai da<br />
Nalps<br />
Zervreilasee Wanna<br />
Sufers-See<br />
Becken Andeer Bärenburg<br />
Lai da<br />
Lai Santa da Maria<br />
Sontga Maria<br />
Stau Innerferrera<br />
Marmorera-See<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
Schwallbetrieb<br />
Schwall zeigt sich als eine durch die Wasserkraftnutzung periodisch wie<strong>der</strong>kehrende Zunahme und<br />
Abnahme <strong>der</strong> Wassermenge in einem Gerinne, begleitet von entsprechenden Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> hydraulischen<br />
Schleppkräfte sowie <strong>der</strong> benetzten Gerinnefläche und Wassertiefe. Er tritt unterhalb <strong>der</strong><br />
Rückführung von turbiniertem Wasser in ein tieferliegendes Gerinne auf. Oft werden sowohl bei<br />
ansteigendem als auch abnehmendem Schwall Schwebstoffe mobilisiert, die sich in einer starken<br />
Wassertrübung und danach in Kolmationen manifestieren. Schwallbetrieb ist als massiver ökologischer<br />
Stressfaktor anzusehen, <strong>der</strong> vor allem dort die Möglichkeiten <strong>der</strong> Reproduktion aquatischer<br />
Organismen einschränkt, wo sie natürlicherweise sehr hoch und vielfältig sind: in den Gewässern des<br />
Talraums und in Gebirgsflüssen. Daneben verursacht Schwall Katastrophendrift von Wirbellosen,<br />
Fischgelegen, Brütlingen und Jungfischen. Die Höhe und <strong>der</strong> Effekt des Schwalls wird überall dort<br />
noch verstärkt, wo auf Grund massiver Gewässerregulierung keine Hochwasser-Rückhalteräume<br />
mehr vorhanden sind.<br />
a b<br />
Abb. A3-7:<br />
Schwallbetrieb führt am Alpenrhein neben an<strong>der</strong>en Faktoren (wie Trübstoffführung, Strukturmonotonie) zur<br />
Kolmation von Kies- und Schotterflächen und damit zur fast völligen Entwertung des Gewässers als Reproduktionsraum<br />
für Fische (Foto: AJF GR); b): Periodische Zuführung von Turbinenwasser aus dem Samina-<br />
Stausee führt im Vaduzer Gießen an manchen Tagen zu einem Schwall <strong>der</strong> zehnfachen minimalen Wassermenge.<br />
Beispielhafter Entwicklungsbedarf:<br />
� Beseitigung o<strong>der</strong> Minimierung des Schwalls;<br />
� Pufferung des Schwalls durch großzügige Rückhalteräume;<br />
� Pufferung des Schwalls durch Gerinneaufweitungen.<br />
Schlammbewirtschaftung<br />
Schlammbewirtschaftung ist ein zentraler Problembereich aller Wasserkraftwerke, <strong>der</strong>en Stauräume<br />
durch kontinuierliche Sedimentation einerseits an Nutzvolumen verlieren und an<strong>der</strong>erseits z.T. auch<br />
grundlegende sicherheitstechnische Auflagen nicht mehr erfüllen können. Geschiebe und Feinsedimente,<br />
die in unbeeinflussten Fließgewässern kontinuierlich zu Tal transportiert werden, müssen daher<br />
aus Stauhaltungen periodisch entfernt werden. Wo Ausbaggerung auf Grund einer ungünstigen<br />
Energiebilanz o<strong>der</strong> fehlen<strong>der</strong> Deponieflächen ausscheidet, wird die “Schlammbewirtschaftung” im<br />
Rahmen einer so genannten Stauraumspülung durchgeführt. Obwohl man in den letzten zehn Jahren<br />
durch die Zusammenarbeit zwischen Kraftwerksbetreibern und sog. “Spülungsgruppen” stellenweise<br />
eine Minimierung ökologischer Schäden erreicht hat, führen Stauraumspülungen auch heute noch oft<br />
zum “Totalausfall” <strong>der</strong> Lebensgemeinschaften im Restwassergerinne unterhalb einer Stauhaltung.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
73
74<br />
a b c<br />
Bei <strong>der</strong> Deponierung des Sedimentaushubs unterhalb des Speicherbeckens kann es bei Hochwasser<br />
zu Materialabschwenmungen (reduzierter Schlamm) kommen, <strong>der</strong> sich entlang des Gewässers ablagert.<br />
Beispielhafter Entwicklungsbedarf:<br />
� Alternativen zu Stauraumspülungen entwickeln;<br />
� Spülungen nur bei Hochwasserabflüssen im System; künstliche Hochwasser;<br />
� Einsatz interdisziplinärer “Spülungsgruppen”;<br />
� fakultativ: Bestandesbergungen von Fischen<br />
Restwasserproblematik<br />
Abklärungen<br />
Abb. A3-8:<br />
a) bis c) Bil<strong>der</strong> einer Stauraumspülung am Spöl im Engadin. Große Mengen an Schwebstoffen gelangen aus dem<br />
Staubecken in das Restwassergerinne. Zusätzliche Sedimente werden durch die erhöhten hydraulischen<br />
Schleppkräfte im Gerinne mobilisiert. Fische, die sich vor dieser oft Tage dauernden Sand- und Schlammfracht<br />
nicht in Sicherheit bringen können, werden mechanisch geschädigt o<strong>der</strong> an Land geschwemmt und zusedimentiert.<br />
Bei <strong>der</strong> hier gezeigten Spülung eines Grundablasses konnte eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit<br />
mit dem Betreiber ökologische Schäden auf ein Minimum beschränken.<br />
Die Restwasserdotierung, eine Vereinbarung zwischen einem Wassernutzer (Kraftwerkbetreiber) und<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Genehmigungsbehörde, bestimmt die minimale Wassermenge, die einem Gerinne verbleiben,<br />
bzw. sofort unterhalb <strong>der</strong> Wasserfassung wie<strong>der</strong> zugeführt werden muss. Ökologisch problematisch<br />
wird dieser Sachverhalt durch die Tatsache, dass diese Dotierung vielerorts noch nicht geregelt<br />
ist und überhaupt kein o<strong>der</strong> zu wenig Restwasser im Gerinne verbleibt. Eine Einschränkung <strong>der</strong><br />
als aquatischer Lebenraum nutzbaren Fläche und <strong>der</strong> Reproduktion sind die Folge. Darüber hinaus<br />
zeigen Restwassergerinne typischerweise eine sukzessive strukturelle Degradierung (Nivellierungen,<br />
Kolmationen) sowie Lebensgemeinschaften, die nicht mehr an hydraulischen Stress in Form periodischer<br />
Hochwasser angepasst sind.<br />
Wasserentnahmen zur Bewässerung von Landwirtschaftsflächen können dann ökologische Folgen<br />
haben, wenn bei Niedrigwasserabflüssen eine zu große Wassermenge aus kleineren Bächen entnommen<br />
wird. Es kann zu einer unnatürlichen Erhöhung <strong>der</strong> Wassertemperatur und zu Versickerungsstrecken<br />
und damit Unterbrechungen des Kontinuums führen. Daneben kann sich aber auch die<br />
Konzentration bestehen<strong>der</strong> Belastungsparameter erhöhen; so ist die erwünschte Verdünnung von vorgeklärten<br />
ARA-Abwässern nicht mehr voll gewährleistet. Über die Konzentration, aber auch über<br />
Temperatur und verän<strong>der</strong>te pH-Werte im Gewässer, können diffuse Nährtoffeinträge sowie ökotoxisch<br />
wirkende Substanzen o<strong>der</strong> Stoffgemische eine zunehmend negative Auswirkung auf die aquatischen<br />
Organismen zeigen (v.a. Anstieg von Nitrit- und Ammoniumkonzentrationen).<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
a b<br />
Abb. A3-9:<br />
Restwasserprobleme im Alpenrheingebiet: a): Wasserrückführung eines Kleinkraftwerks an einem Gebirgsbach.<br />
Dem Bach wurde kein Dotierwasser belassen. b): Ein zu geringes Restwasser führt auch in grösseren Gebirgsgewässern<br />
zu Versickerungsstrecken. Der Wasserstrom verbleibt im Interstitial (Foto AJF GR).<br />
Wasserentnahmen für Beschneiungsanlagen im Hochgebirge greifen in <strong>der</strong> Regel auf äußerst unergiebige<br />
Wasserquellen zurück. Die ökologischen Folgen sind vor allem Versickerungen des Wasserkörpers<br />
in das großlumige Interstitial und damit die Gefahr von Kontinuumsunterbrechung und Vereisung.<br />
Beispielhafter Entwicklungsbedarf:<br />
� Individuell an das Gewässer angepasste Dotierwasserregelungen;<br />
� frühestmögliche Rückführung von Dotierwasser in das Restwassergerinne;<br />
� Restriktive Kontrollen/Regelungen <strong>der</strong> Wasserentnahmen für Bewässerungen;<br />
� Restriktive Kontrollen/Regelungen <strong>der</strong> Wasserentnahmen für Beschneiungsanlagen;<br />
� Berücksichtigung beson<strong>der</strong>er klimatischer Verhältnisse bei je<strong>der</strong> Art von Wasserentnahme.<br />
A3.1.6 <strong>Ökologische</strong> Defizite durch Kiesbewirtschaftung und an<strong>der</strong>e Trübstoffquellen<br />
Trübstoffe<br />
Trübstoffführung findet sich im Alpenrheingebiet im Zusammenhang mit den o.g. Schwallbetrieben,<br />
dort, wo noch immer eine hohe organische Belastung und/o<strong>der</strong> Produktion stattfindet (einige Riedgewässer<br />
und Kanäle) sowie dort, wo am und im Gewässer gearbeitet wird. So führt <strong>der</strong> Alpenrhein<br />
permanent große Mengen suspendierter Feststoffe, bedingt durch Schwall und Kiesentnahmen, aber<br />
auch durch die Schwebstofffrachten einiger seiner Zuflüsse. Bekannt für hohe Schwebstoffkonzentrationen<br />
ist die Landquart, wo an einigen Zubringern Kies in Gerinnenähe bearbeitet wird. Hohe<br />
Schwebstoffkonzentrationen können, je nach Zusammensetzung <strong>der</strong> Partikel, zu biologischer Entwertung<br />
von Substratflächen und des Interstitials führen (Sedimentation, Kolmation), aber auch<br />
Fische und an<strong>der</strong>e Gewässerorganismen direkt schädigen (Sandstrahleffekt, Kiemenverstopfung).<br />
Beispielhafter Entwicklungsbedarf:<br />
� Verbot von Kiesbewirtschaftung direkt im Gewässer;<br />
� Reduzierung <strong>der</strong> Trübstoffmobilisation durch Glättung des Schwallbetriebs;<br />
� Erfassung und Reduzierung <strong>der</strong> Trübstoffbelastung aus organischen Belastungsquellen.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
75
76<br />
a b<br />
A3.1.7 Erfassung <strong>der</strong> Gewässerdefizite im Alpenrheingebiet<br />
Abklärungen<br />
Abb. A3-10:<br />
Die Landquart zeigt deutliche und periodische Schwebstoffbelastung durch Kiesbewirtschaftung. a) Kieswerk<br />
am Schraubach; b) Eintrag von schwebstoffbelastetem Wasser in die Landquart bei Jenaz.<br />
Die in den letzten Jahren durchgeführten Inventarisierungen des Gewässerzustands im Alpenrheingebiet<br />
liefern einen entscheidenden Überblick über die aktuelle Situation. Fast flächendeckend wurde<br />
die Strukturgüte mit vergleichbaren Kriterien erfasst (Abb. A3-13); die Beurteilung <strong>der</strong> biologischen<br />
Gewässergüte basiert dagegen noch auf unterschiedlichen Methoden (Saprobien- und Diatomeenindex)<br />
(Abb. A3-13).<br />
In einem ersten Überblick zeigen sich aus allen bisherigen Arbeiten Unterschiede bei je<strong>der</strong> Form<br />
struktureller, hydrologischer und chemischer Belastung <strong>der</strong> Fließgewässer zwischen den Berggebieten<br />
(und Hanglagen) und dem Talraum (BUHMANN & HUTTER, 2001). Strukturelle Defizite und Probleme<br />
mit <strong>der</strong> chemischen Wasserqualität konzentrieren sich sehr deutlich im Talraum, während sich die<br />
ökologisch negativen Effekte <strong>der</strong> Wasserkraftnutzung (Schwall, Restwasserproblem, Trübungen) bis<br />
in die Hochgebirgsregionen hinaufziehen.<br />
In <strong>der</strong> folgenden Tabelle (Tab. A3-1) sind die aktuellen Inventare <strong>der</strong> Alpenrheinanliegerlän<strong>der</strong> und -<br />
kantone aufgeführt.<br />
In den nachfolgenden Zustandskarten wurden die Strukturgüte und die biologische Gewässergüte im<br />
Einzugsgebiet Alpenrhein-Bodensee zusammenfassend dargestellt. Die gewählte Betrachtungsebene<br />
des Flusssystems ist im Original (OBAD, 2002) auf den Abbildungsmaßstab 1:100’000 bezogen und<br />
entspricht damit den Vorgaben <strong>der</strong> EU-WRRL. Bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Inventare im Rahmen von<br />
Entwicklungsmaßnahmen an Flussgebietseinheiten, Gewässerabschnitten o<strong>der</strong> -objekten muss jedoch<br />
eine deutlich feinere Auflösung <strong>der</strong> Information Anwendung finden.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
Tab. A3-1: (Quelle: IGKB 2001, Fachbereich Einzugsgebiet)<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
77
78<br />
Biologische Gewässergüte<br />
Län<strong>der</strong> und Kantone<br />
Disentis<br />
Stockach<br />
Singen Radolfzell<br />
Reichenau<br />
Saprobienindex: Baden- Württemberg, Bayern, Vorarlberg<br />
Güteklasse I<br />
Güteklasse I - II<br />
Güteklasse II<br />
Güteklasse II - III<br />
Güteklasse III<br />
Güteklasse III - IV<br />
Güteklasse IV<br />
unbelastet<br />
gering belastet<br />
mäßig belastet<br />
kritisch belastet<br />
stark belastet<br />
sehr stark belastet<br />
übermäßig verschmutzt<br />
Diatomeenindex: Schweiz, Fürstentum Liechtenstein<br />
unbelastet/gering bel.<br />
schwach belastet<br />
deutliche belastet<br />
stark/sehr stark bel.<br />
gering belastet<br />
gering/mäßig belastet<br />
Überlingen<br />
Konstanz<br />
Kreuzlingen<br />
Ilanz<br />
Vals<br />
Markdorf<br />
Meersburg<br />
Sargans<br />
Thusis<br />
Vaduz<br />
Aulendorf<br />
Weingarten<br />
Ravensburg<br />
Tettnang<br />
Friedrichshafen<br />
Arbon<br />
St. Gallen<br />
Splügen<br />
Romanshorn<br />
Rorschach<br />
Inner-<br />
Ferrera<br />
Lindau<br />
Feldkirch<br />
Landquart<br />
Chur<br />
Hardt<br />
Rankweil<br />
Wangen<br />
Bregenz<br />
Lustenau<br />
Dornbirn<br />
Lenzerheide<br />
Arosa<br />
Bludenz<br />
Abklärungen<br />
Kisslegg<br />
Schruns<br />
Davos<br />
Oberstaufen<br />
Abb. A3-12: Biologische Gewässergüte im Einzugsgebiet Alpenrhein-Bodensee. Güteeinstufung in den einzelnen<br />
Län<strong>der</strong>n und Kantonen nach unterschiedlichen Bewertungskriterien.<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein<br />
Isny<br />
Bal<strong>der</strong>schwang
Abklärungen<br />
Strukturgüteklassen <strong>der</strong><br />
Län<strong>der</strong> und Kantone<br />
Baden-<br />
Württemberg<br />
unverän<strong>der</strong>t<br />
gering verän<strong>der</strong>t<br />
mäßig verän<strong>der</strong>t<br />
deutlich verän<strong>der</strong>t<br />
stark verän<strong>der</strong>t<br />
sehr stark verän<strong>der</strong>t<br />
völlständig verän<strong>der</strong>t<br />
Schweizer<br />
Kantone<br />
natürlich / naturnah<br />
wenig beeinträchtigt<br />
stark beeinträchtigt<br />
naturfremd/künstlich<br />
Disentis<br />
Stockach<br />
Singen Radolfzell<br />
Reichenau<br />
Vorarlberg<br />
Überlingen<br />
Konstanz<br />
Kreuzlingen<br />
natürlich<br />
naturnah<br />
mäßig beeinträchtigt<br />
wesentlich beeinträchtigt<br />
stark beeinträchtigt<br />
naturfern<br />
naturfremd<br />
Fürstentum<br />
Liechtenstein<br />
wenig beeinträchtigt<br />
stark beeinträchtigt<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
Ilanz<br />
Vals<br />
Markdorf<br />
Meersburg<br />
Sargans<br />
Thusis<br />
Vaduz<br />
Aulendorf<br />
Weingarten<br />
Ravensburg<br />
Tettnang<br />
Friedrichshafen<br />
Romanshorn<br />
Arbon<br />
St. Gallen<br />
Splügen<br />
Rorschach<br />
Inner-<br />
Ferrera<br />
Lindau<br />
Feldkirch<br />
Landquart<br />
Chur<br />
Hardt<br />
Rankweil<br />
Wangen<br />
Bregenz<br />
Lustenau<br />
Dornbirn<br />
Lenzerheide<br />
Arosa<br />
Bludenz<br />
Kisslegg<br />
Schruns<br />
Davos<br />
Isny<br />
Oberstaufen<br />
Abb. A3-13: Gewässer-Strukturgüte im Einzugsgebiet Alpenrhein-Bodensee. Güteeinstufung in den einzelnen<br />
Län<strong>der</strong>n und Kantonen nach vergleichbaren Bewertungskriterien.<br />
Bal<strong>der</strong>schwang<br />
79
80<br />
A3.2 Hinweise zur Istzustandserhebung<br />
Für die Durchführung einer Inventarisierung <strong>der</strong> Komponenten aus den fünf Ökosystembausteinen<br />
liegen bereits richtungsweisende Arbeiten vor, die auch für das Flusssystem Alpenrhein und Einzugsgebiet<br />
übernommen werden können. Sie sind z.T. dem Literaturanhang zu entnehmen.<br />
A3.2.1 Bio-Indikatoren für Alpenrheinzuflüsse und an<strong>der</strong>e Fließgewässer im Rheintal<br />
Leben im Gewässer Organismen, die sensibel auf organisch-chemische Gewässerverschmutzung reagieren,<br />
so ist dies ein Zeichen für die Abwesenheit einer solchen Verschmutzung und damit für diesbezüglich<br />
gute Wasserqualität. Umgekehrt zeigt eine Dominanz abwassertoleranter Organismen, dass<br />
ein permanenter Belastungshintergrund existiert. Mit Hilfe von Bio-Indices (z.B. Saprobienindex,<br />
Makroindex, Diatomeenindex) ist eine Bewertung dieser Gewässer in biologische Gewässergüte-<br />
Klassen möglich. Mit <strong>der</strong> generellen Verbesserung unserer Abwasserentsorgung wurden Werkzeuge<br />
wie <strong>der</strong> Saprobienindex jedoch stumpf und nur noch auf deutlich abwasserbelastete Gewässer anwendbar.<br />
In <strong>der</strong> heutigen Praxis wird daher vermehrt mit einer Kombination von Bioindikatoren und<br />
Indikatoren an<strong>der</strong>er Ökosystembausteine (z.B. Strukturökologie) gearbeitet.<br />
Fische als Bioindikatoren<br />
An <strong>der</strong> Spitze von Indikatorenlisten - und daher an dieser Stelle genauer beschrieben - stehen die<br />
gewässertypspezifischen Fischarten. Grundlegendes Ziel <strong>der</strong> Verwendung von Indikatoren ist eine<br />
Minimierung des Untersuchungsaufwandes bei zugleich hohem Aussagewert (SCHMUTZ et. al., 2000).<br />
Zur Erstellung einheitlicher und über größere Regionen gültiger Bewertungsverfahren müssen folgende<br />
Kriterien erfüllt sein.<br />
Die Indikatorart soll:<br />
� eine entsprechend weite Verbreitung zeigen;<br />
� ihr natürliches Verbreitungsgebiet im betrachteten Raum haben (angestammte Art);<br />
� methodisch leicht erfassbar sein;<br />
� regelmäßig nachzuweisen sein;<br />
� leicht bestimmbar sein;<br />
� auf anthropogene Einflüsse nachweislich stärker reagieren als auf natürliche;<br />
Fische, allen voran Bachforellen und Äschen, erfüllen im Alpenrheingebiet einen großen Teil dieser<br />
Kriterien und sollten daher als geeignete Indikatoren stets in Betracht gezogen werden.<br />
Sie werden unter Berücksichtigung von Fischereistatistiken und laufenden Bewirtschaftungsmaßnahmen<br />
(z.B. Besatz) mit Hilfe von Elektroabfischungen, Jungfischbeobachtungen und Laichplatzkartierungen<br />
erfasst. Die jeweilige Methode muss auf den Gewässertyp und die Größe <strong>der</strong> Projektperimeters<br />
abgestimmt sein. Das Ergebnis sollte stets eine umfassende, lokalisierbare und reproduzierbare<br />
Charakterisierung <strong>der</strong> Fischzönose enthalten. Hierzu gehören:<br />
biotische Komponenten, Erfassung von:<br />
� Arteninventar;<br />
� Kondition (Länge-Gewichtsbeziehung) <strong>der</strong> jeweiligen Populationen;<br />
� Gesundheitszustand <strong>der</strong> Individuen;<br />
� Populationsgröße <strong>der</strong> einzelnen Arten;<br />
� Altersstruktur <strong>der</strong> jeweiligen Population;<br />
Abklärungen<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
� Reproduktionsstatus <strong>der</strong> einzelnen Arten;<br />
� Migrationsverhalten <strong>der</strong> einzelnen Arten.<br />
abiotisch Komponenten, Erfassung von:<br />
� genutzten und potenziell geeigneten Fischstandorten (strukturspezifische Abfischungen,<br />
Kartierung);<br />
� potenziellen Belastungen, “Äußerer Aspekt” (Kartierungen);<br />
Als Referenz für beide Komponenten wird das Arteninventar und sein Zustand sowie das Lebensraumangebot<br />
einer potenziell natürlichen Fischzönose eines Gewässers/Gewässersystems herangezogen<br />
und sodann die Abweichungen gegenüber diesem Zustand als Defizit formuliert.<br />
Gewässertyp Vorauswahl Indikatorarten im Alpenrheingebiet<br />
Gebirgsbach Bachforelle<br />
Gebirgsfluss Bachforelle, Äsche, (Seeforelle), Groppe<br />
Hangbach Bachforelle<br />
Talbach Bachforelle, Groppe, Elritze<br />
Gießenbach Bachforelle, Äsche, Groppe, Elritze, (Strömer)<br />
Binnenkanal Bachforelle, Äsche, Groppe, Elritze<br />
Riedgewässer Elritze<br />
Durchgängigkeit<br />
zum Alpenrhein<br />
Fische als Planungsinstrumente<br />
Äsche, Seeforelle, Nase, (Barbe)<br />
Abb. A3-2:<br />
Fischarten als Bioindikatoren für verschiedene Gewässertypen im Alpenrheingebiet. Die Liste enthält eine Vorauswahl<br />
von Arten, welche die oben beschriebenen Kriterien für Bioindikatoren erfüllen.<br />
Fische und ihre Lebensraumansprüche können sich auch direkt als Instrumente für die ökologische<br />
Begleitung einer <strong>Gewässerentwicklung</strong>splanung eignen. Bei maßnahmenspezifischen Abklärungen<br />
können sie den Anfor<strong>der</strong>ungsrahmen und die Abklärungsinhalte bestimmen und bereits bestimmte<br />
Maßnahmentypen für die <strong>Gewässerentwicklung</strong> empfehlen.<br />
Dieser Ansatz soll mithilfe <strong>der</strong> folgenden Tabellen verdeutlicht werden. Es handelt sich dabei um ein<br />
Beispiel, bei dem bis zur Stufe <strong>der</strong> Auflageplanung keine hinreichende Inventarisierung <strong>der</strong> aquatischen<br />
Biozönosen stattgefunden hat.<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
81
82<br />
Abklärungen<br />
Tab. A3-3a und b (Folgeseite):<br />
Fische als Instrumente <strong>der</strong> ökologischen Planungsbegleitung (aus REY et al., 2001)<br />
Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
83
84<br />
Weiterführende Literatur<br />
Abklärungen<br />
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BUWAL, Bundesamt für Umwelt Wald und Landschaft (in Vorbereitung): Methoden zur Untersuchung<br />
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Internationale Regierungskommission Alpenrhein
Abklärungen<br />
chendeckend). Mitteilungen zum Gewässerschutz Nr. ##, Bern, ##.<br />
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Praxishandbuch: <strong>Ökologische</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewässerentwicklung</strong><br />
85
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Abklärungen<br />
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Internationale Regierungskommission Alpenrhein