R - IANUS
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R - IANUS
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Arbeitsbericht<br />
Working Paper<br />
lANDS<br />
Interdisziplinäre Arbeitsgruppe<br />
Naturwissenschaft, Technik und Sicherheitspolitik<br />
Interdisciplinary Research Group<br />
Science, Technology and Security Policy<br />
Egbert Kankeleit<br />
Christian Küppers<br />
Ulrich Imkeller<br />
BERICHT ZUR<br />
<strong>IANUS</strong>-l/1989<br />
WAFFENTAUGLICHKEIT VON REAKTORPLUTONIUM<br />
lANDS, c/o Institut für Kernphysik, Technische Hochschule Darmstadt,<br />
Schloßgartenstraße 9, D-6100 Darmstadt, Germany<br />
Tel.: 06151-163016, -162480 Fax: 06151-164321<br />
e-mail: df41@br3.hrz.th-darmstadt.de
Bericht zur<br />
Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium<br />
Egbert Kankeleit<br />
Christian Küppers *<br />
Ulrich Imkeller<br />
Institut für Kernphysik<br />
Technische Hochschule Darmstadt<br />
Dezember 1989<br />
Erweiterter Berichte anläßlich der Anhörung von Sachverständigen zum Thema"Gefahren<br />
der Weiterverbreitung von Atomwaffen" im Hessischen Landtag am 15.06.1984<br />
* Christian Küppers, jetzt Öko-Institut Darmstadt
Abstract<br />
This paper diseusses the question of suitability of plutonium separated from eommercial<br />
high burnup reaetor fuel elements for nuclear bomb produetion.<br />
With regard to this question in a first ehapter a historie overview is presented:<br />
-of the international literature<br />
-proposed methods for preventing the use of this plutonium and<br />
-the partieular diseussion in the BRD.<br />
In a seeond ehapter radiation safety problems in handling reaetot plutonium are diseussed.<br />
The effeet of radiation and heat on chemieal high explosives is treated.<br />
The third chapter discusses the criticality and dynamic evolution of critieal assemblies<br />
and presents estimations of the probabilistie yieldistribution due to preignition in reaetorgrade<br />
plutonium fission bombs.<br />
Conclusion: effeetive plutonium fission bombs ean be build by using reactor plutonium.<br />
Depending on eompression velocity there would he a eonsiderable yield even if preignited<br />
under worst conditions. A 4kg reaetor plutonium bomb would have an order of magnitude<br />
lower in yield than that made from weapongrade, but this yield would be obtained<br />
with nearly 100 % probability.<br />
1
Einführung<br />
Dieser Bericht versucht der Frage nachzugehen, ob unter Verwendung von "Reaktorplutonium",<br />
d.h. einem in stromerzeugenden Reaktoren gewonnenen Plutonium, der Bau<br />
von Atomwaffen realisierbar ist. In den USA haben bereits seit Anfang der siebziger<br />
Jahre Wissenschaftler, die selbst in Atomwaffenprojekten tätig waren, die Befürchtung<br />
eines Mißbrauchs von Reaktor-Plutonium zu Waffenzwecken öffentlich geäußert.<br />
In der Bundesrepublik kommt der Frage der Möglichkeit eines Mißbrauchs, auch nach<br />
dem Baustopp der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, weiterhin Bedeutung zu,<br />
da die Aufarbeitung der Brennelemente und die Abtrennung von Reaktorplutonium immer<br />
noch vorrangiges Ziel der Entsorgungspolitik ist. Mit einem Technologietransfer sind<br />
auch horizontale Proliferationsprobleme verbunden. Die Abgrenzung von ziviler und militärischer<br />
Anwendung ist diffus.<br />
Die sogenannte "Bastlerbombe aus der Garage" ist sicher unrealistisch. Um so mehr wird<br />
nach den Möglichkeiten eines Staates, sei es ein hochentwickeltes Industrieland oder ein<br />
Land der sogenannten Dritten Welt, welches die Kernernergie einsetzt, zu fragen sein.<br />
Ebenso sind die Möglichkeiten einer technisch ausgebildeten Gruppe von Terroristen zu<br />
beurteilen.<br />
Diese Fassung ist eine Überarbeitung des Berichtes mit dem gleichen Titel vom Mai<br />
1988. Eine aktualisierte Literaturauswertung wurde nicht vorgenommen. Der Stand der<br />
Auswertung ist Juli 86.<br />
Das 1. Kapitel besteht aus einem geschichtlichen Überblick und beinhaltet:<br />
• eine Durchsicht internationaler Literatur auf Äußerungen zur Waffentauglichkeit<br />
von Reaktorplutonium,<br />
• eine Übersicht vorgeschlagener Methoden, Plutonium künstlich waffenuntauglich<br />
zu machen,<br />
• eine Bewertung der in der Bundesrepublik Deutschland abgelaufenen Diskussion<br />
der Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium.<br />
Im 2. Kapitel werden spezielle Probleme bei Umgang mit Reaktorplutonium für waffentechnische<br />
Zwecke und einige weitere physikalische Aspekte besprochen, unter anderem:<br />
• Schießtechniken um "unterkritische" Massen zu "kritischen" zu kompaktieren,<br />
• Entstehung und Aufbau der Plutonium-Isotope in Brennelementen,<br />
• Handhabung von Reaktorplutonium in bezug auf Auswirkung der radioaktiven<br />
Strahlung und damit verbundene Wärmeentwicklung,<br />
2
• Einflüsse der Strahlung und Wärmeentwicklung auf eine chemische SprengstofHadung,<br />
• Gründe der Verwendung von Waffenplutonium durch die etablierten Kernwaffenstaaten.<br />
Im 3. Kapitel wird das Frühzündungsproblems einer Plutonium-Spaltbombe behandelt.<br />
Damit soll eine Präzisierung der zitierten Angaben zur Statistik der Energiefreisetzung<br />
(Yield) erreicht werden.<br />
Selbstverständlich konnten wir in der uns zu dieser Arbeit zur Verfügung stehenden<br />
Zeit weder sämtliches existierende Material sichten noch sämtliches gesichtete Material<br />
anführen oder gar bewerten. Eine einseitige Auswahl des von uns zitierten Materials haben<br />
wir jedoch nicht vorgenommen.<br />
Vorab sind ein paar im folgenden häufig verwendete Begriffe zu erläutern:<br />
Unter Waffenplutonium wird im allgemeinen ein .Plutonium verstanden, welches neben<br />
Plutonium-239 einen Anteil am Isotop Plutonium-240 von weniger als 7 % aufweist.<br />
In Kapitel 2.1 und 3 ist näher dargelegt, weshalb Plutonium-240 die Qualität des Plutoniums<br />
für Waffenzwecke beeinflußt.<br />
Unter Reaktorplutonium verstehen wir - analog gängiger Definition - ein Plutonium,<br />
das in der Stromproduktion dienenden Leichtwasserreaktoren erzeugt wurde. Bei<br />
deren Betrieb wird aus Gründen der Wirtschaftlichkeit der Brennstoff so lange im Reaktor<br />
bestrahlt, bis sich neben Plutonium-239 die Isotope Plutonium-238, Plutonium<br />
240, Plutonium-241 und Plutonium-242 in bedeutsamen Mengen aufbauen. Eine typische<br />
Isotopen-Zusammensetzung bei Reaktorplutonium wäre z.B.: 1,5 % 238pU; 56,5 % 239pU;<br />
26,5 % 240pu; 11,5 % 241pu und 4,1 % 242pU [ALKE82].<br />
Die Sprengkraft (engl.: yield) einer Atomwaffe wird üblicherweise in Äquivalent des·<br />
brisanten Sprengstoffs TNT (Trinitrotoluol) angegeben. Eine Atomwaffe von beispielsweise<br />
einer Kilotonne (kt) TNT hat dann die gleiche Sprengkraft wie eine Kilotonne<br />
(1000 Tonnen) des Sprengstoffs TNT.<br />
Der Abbrand von Brennelementen ist ein Maß der daraus, durch Kernspaltung, erzeugten<br />
Energie. Typische thermische Leistungen von Kernkraftwerken (z.B. Biblis A)<br />
liegen im Bereich von 3 GW (3.10 9 W), das Brennsto:ffinventar beträgt ca. 100 t Uran.<br />
Bei einer Standzeit der Brennelemente von rd. 3 Jahren ergibt sich eine erzeugte Energiemenge<br />
von (3GW/100t) . 3 . 365d == 33 GWd pro t . Für Waffenplutonium liegt der<br />
Abbrand unter 5 GWd/t.<br />
3
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Diskussionsstand zur Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium im Rückblick<br />
5<br />
1.1 Internationale Entwicklung ab der Entdeckung des Plutonium . . . . . .. 5<br />
1.2 Vorschläge zur Denaturierung von Plutonium seit Mitte der siebziger Jahre 16<br />
1.3 Ansichten bezüglich der Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium in der<br />
Bundesrepublik Deutschland 20<br />
2 Spezielle Probleme bei Umgang mit Reaktorplutonium für waffentechnische<br />
Zwecke 32<br />
2.1 Schießtechnik in Plutoniumbomben 32<br />
2.2 Aufbau der Pu-Isotope in Brennelementen und Neutronenhintergrund 33<br />
2.3 Die Neutronenquelle zur Einleitung einer Kettenreaktion. . . 38<br />
2.4 Hantierung von Reaktorplutonium . . . . . . . . . 38<br />
2.4.1 Dosisbelastung durch radioaktive Strahlung . . . 38<br />
2.4.2 Wärmeentwicklung durch Radioaktivität. . . . . . 39<br />
2.4.3 Selbstentzündung bei der Plutoniumverarbeitung . 40<br />
2.5 Einflüsse von Reaktorplutonium auf eine SprengstofHadung 42<br />
2.5.1 Einflüsse radioaktiver Strahlung 42<br />
2.5.2 Einflüsse der Wärmeleistung 43<br />
2.6 Wiederauffindbarkeit von Reaktorplutonium durch seine Strahlung 45<br />
2.7 Gründe der Kernwaffenstaaten für die Verwendung von Waffenplutonium 46<br />
3 Abschätzungen zur Frühzündungswahrscheinlichkeit 49<br />
4 Anhang 65<br />
4
1 Diskussionsstand zur Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium<br />
im Rückblick<br />
1.1 Internationale Entwicklung ab der Entdeckung des Plutonium<br />
Das für die ersten Experimente verwendete Plutonium-239 war ab 1940 im Zyklotron<br />
von Berkeley (USA) erzeugt worden. Erste größere Mengen wurden in einem Reaktor in<br />
Clinton, Tennessee, gewonnen und enthielten erstmals einen nennenswerten Anteil des<br />
spontanspaltenden Isotops Plutonium-240. Untersuchungen an diesem - im damaligen<br />
Sinne - Reaktorplutonium zeigten im Juli 1943 eine sehr viel höhere Neutronenstrahlung<br />
gegenüber reinem Plutonium-239. Dies bedeutete einen schweren Rückschlag für das mit<br />
der Entwicklung der ersten Atombomben beschäftige Manhattan-Projekt, denn mit den<br />
bis dorthin entwickelten Zusammenschußtechniken kritischer Konfigurationen war dieses<br />
Plutonium nicht mehr verwendbar [HAWK61]. Für den Bombenbau ausreichende Mengen<br />
an Plutonium waren jedoch nur mittels eines Reaktors zu erzeugen, so daß das Ziel<br />
Plutoniumbombe schlagartig in weite Ferne rückte.<br />
Der vielzitierte "Los Alamos Primer" [SERB43] vom Apri11943, der einen 1961 deklassifizierten<br />
Einführungskurs in das Manhattan-Projekt darstellt, kennt tatsächlich das<br />
Isotop Plutonium-240 und die mit ihm verbundenen Schwierigkeiten noch nicht. Die im<br />
Primer erläuterten Konfigurationen unterkritischer Massen, die bei Zusammenschuß kritische<br />
Massen bilden sollen, waren zwar sehr vielseitig, die Implosionsmethode jedoch<br />
war noch nicht in Erwägung gezogen. Binnen eines Jahres wurde dann die damals neue<br />
Sprenglinsentechnik entwickelt, mit der auch dieses Plutonium für den ersten Test im Juli<br />
1945 geeignet war. Es erbrachte sogar eine Energieausbeute, die die meisten Erwartungen<br />
der am Bau der Bombe beteiligten Wissenschaftler weit übertraf (siehe auch Kapitel<br />
2.1). Solches Plutonium, welches wegen seines Isotopengemisches für Waffenzwecke un:'"<br />
tauglich ist, wurde bereits früh als "denaturiert" bezeichnet. Einer der Entdecker des<br />
Plutoniums, Glenn T. Seaborg, berichtete 1976, er habe bereits 1945, insbesondere in<br />
schriftlichen Stellungnahmen zu Entwürfen des sogenannten Franck-Reports, ausdrücklich<br />
darauf hingewiesen, daß eine solche "Denaturierung" mit dem Isotop Plutonium-240<br />
alleine nicht möglich sei [WOHL77]. Er sei enttäuscht gewesen, diese Tatsache sowohl im<br />
Franck-Report vom 11. Juni 1945 als auch im Acheson-Lilienthal-Report [ACHE46] vom<br />
16. März 1946 nicht erwähnt gefunden zu haben. (Die beiden angesprochenen Berichte<br />
stellen einen frühen gemeinsamen Versuch von Wissenschaftlern, Militärs und Politikern<br />
dar, die Folgen der in der Entwicklung begriffenen Atomtechnik abzuschätzen und in<br />
ihrem Sinne zu beeinflussen.)<br />
5
Der Acheson-Lilienthal-Report sagte, Plutonium könne denaturiert werden, so daß mit<br />
aller (damals) bekannten Technik der Bau effektiver Atomwaffen unmöglich sei. Eine<br />
technische Entwicklung, die den Bau doch noch ermöglichen würde, würde gewaltiger<br />
wissenschaftlicher und technischer Anstrengungen bedürfen. Reaktoren hingegen sollten<br />
sich mit dem denaturierten Material leicht betreiben lassen. Allerdings schränkte der<br />
Acheson-Lilienthal-Report ein:<br />
"Only a constant reexamination of what is sure to be a rapidly changing<br />
technical situation will give us added confidence that the line between what<br />
is dangerous and what is safe has been correctly drawn; if it will not stay<br />
fixed."<br />
Der Vertreter der Vereinigten Staaten·in der United Nations Atomic Energy Commission,<br />
Bernard M. Baruch, unterbreitete den Vereinten Nationen am 14. Juni 1946 den Plan,<br />
sämtliches spaltbare Material einer internationalen Behörde zu übergeben. Der Vorschlag<br />
wurde als "Baruch-Plan" [BARU46] bekannt und enthielt den einer Pressemitteilung des<br />
Department of State vom 9. April 1946 entnommenen Passus:<br />
"In some cases denaturing will not completely preclude making atomic weapons,<br />
but will reduce their effectiveness by a large factor ... Further technical<br />
information will be required ... before precise estimates of the value of denaturing<br />
can be formulated. Denaturing though valuable in adding to the<br />
flexibility of a system of controls, cannot itself eliminate the dangers of atomic<br />
warfare."<br />
"Denaturing" bedeutet'e ausdrücklich die Überführung in ein waffenuntaugliches Gemisch<br />
mittels Beimischung eines Isotops gleicher chemischer Eigenschaften. Konkrete Denaturanten<br />
gab Baruch ebensowenig wie der Acheson-Lilienthal-Report an. Die Etablierung<br />
der von Baruch vorgeschlagenen "limited form of a World Government" [WILL74] scheiterte<br />
übrigens daran, daß die USA ihre Atomwaffen erst dann vernichten wollten, wenn<br />
alles sonstige auf der Erde produzierte spaltbare Material· der internationalen Behörde<br />
übergeben und eine internationale Kontrolle aufgebaut gewesen wäre.<br />
Später wurde lange Zeit nicht mehr öffentlich auf eine mögliche Verwendung des in Leistungsreaktoren<br />
erzeugten Plutoniums in Atomwaffen hingewiesen. Eine Erklärung der<br />
U.S. Atomic Energy Commission im Jahre 1952, derzufolge entgegen vorheriger AnnahmenReaktorplutonium<br />
doch waffentauglich sein sollte, fand angeblich kaum Beachtung<br />
[TAYL73]. Auch als mit dem Shippingport Reactor in den USA im Dezember 1957 der<br />
6
erste Atomreaktor der Welt in Betrieb genommen wurde, der ausschließlich der Stromerzeugung<br />
dienen sollte, und die sogenannte friedliche Nutzung der Atomenergie immer<br />
weitere Verbreitung fand, gab es kaum Stimmen, die auf eine damit möglicherweise verbundene<br />
weitere Verbreitung von Atomwaffen aufmerksam gemacht hätten. Erst zu Beginn<br />
der siebziger Jahre wurde dieses Thema in den USA sozusagen neu entdeckt. In<br />
anderen Ländern - z.B. Frankreich - soll dies etwas früher geschehen sein, jedoch ohne<br />
Aufmerksamkeit zu erregen [LOVI80].<br />
Eine der ersten warnenden Stimmen, J. Carson Mark, wurde und wird häufig zitiert.<br />
Mark, langjähriger Direktor der Abteilung für Theoretische Physik in Los Alamos und<br />
auch am Manhattan-Projekt beteiligt, sagte auf dem zehnten Pugwash Symposium in<br />
Racine, Wisconsin (26.-29. Juni 1970), veröffentlicht 1971 [MARK71]:<br />
"1 would like to warn people concerned with such problems that the old notion<br />
that reactor-grade plutonium is incapable of producing nuclear explosions <br />
or that plutonium could easily be rendered harmless by the addition of modest<br />
amounts of plutonium-240, or 'denatured', as the phrase used to go <br />
that these notions have been dangerously exaggerated. This observation is, of<br />
course, of no direct practical interest to the United States or the USSR, who<br />
have adequate supplies of weapon-grade plutonium, and have proved designs<br />
for weapons much better than could easilybe made with plutonium from<br />
power reactors. To someone having no nuclear weapons at all, or no source<br />
of high-grade materials, however, the prospect of obtaining weapons - even<br />
of an"inferior" or "primitive" type - could present quite a different aspect."<br />
IvIark berichtete auch, er habe auf der Konferenz mit Jan Prawitz vom National Research<br />
Institute of Defense in Stockholm gesprochen und habe so erfahren, daß ein Kollege<br />
von Prawitz mit Berechnungen die Verwendbarkeit jeder Art von Reaktorplutonium in<br />
Bomben belegen könne [MARK71; PRAW74].<br />
Anfang der siebziger Jahre begann Theodore B. Taylor, beständig vor einer möglichen<br />
Entwendung von Reaktorplutonium durch Terroristen zu warnen. Er tat dies z.B. auf<br />
dem Symposium on Implementing Nuclear Safeguards an der Universität des Staates<br />
Kansas, 25.-27. Oktober 1971, veröffentlicht 1972 [TAYL72]. Taylor war von 1946 bis<br />
1956 in Los Alamos mit der Entwicklung von Atomwaffen betraut, war später als Technischer<br />
Direktor des Nuclear Space Propulsion Project und als Senior Research Advisor<br />
bei der General Atomic Division of General Dynamics Corporation tätig, wechselte zur<br />
Defense Atomic Support Agency in Washington, verbrachte zwei Jahre in Wien bei der<br />
International Atomic Energy Agency und gründete schließlich 1967 die International Re-<br />
7
search and Technology Corporation, die sich überwiegend mit sozialen Auswirkungen<br />
technischer Entwicklungen beschäftigen sollte.<br />
Die Beantwortung der Frage, ob Terroristen mittels Reaktorplutonium eine wirksame<br />
Bombe bauen könnten überließ Taylor auf dem oben genannten Symposium noch David<br />
B. Hall [HALL72]; später faßte Taylor diese beiden verwandten Themen in eigenen<br />
Veröffentlichungen zusammen. Hall, Manager des Safeguard Programms am Los Alamos<br />
Scientific Laboratory, beschränkte sich 1971 auf Aussagen zu Explosionen einer Stärke<br />
von einigen Tonnen brisanter Sprengstoffe. Erklärtermaßen war er sich jedoch im klaren,<br />
daß auch geringere Energieausbeuten enorme Schäden verursachen können und nicht<br />
akzeptabel sind. Hall [HALL72] führte aus:<br />
"Commercial grade plutonium will have a large fraction of its content as<br />
plutonium-240 with its high spontanous fission rate. This constitutes a large<br />
neutron presence of more than a million· neutrons per second and complicates<br />
the design. One can imagine rapid assembly methods that will to some<br />
extent overcome this difficulty and result in an explosive yield. In general, it<br />
can be stated that the high plutonium-240 content will make the explosive<br />
performance quite unpredictable but not impossible. The degree of sophistication<br />
required for a successful device with this material is greater than<br />
the types previously discussed. However, one should not assume that such<br />
sophistication does not exist in the criminal or fanatic world."<br />
Victor Gilinsky, Physiker bei der Rand Corporation, hatte .noch 1971 in einem Beitrag<br />
des Buches "Civilian Nuclear Power and Internal Security" [WILL71] die Meinung<br />
vertreten, auch bei Verwendung der Implosionstechnik könne Reaktorplutonium die Leistungsfähigkeit<br />
einer Atomwaffe stark einschränken. Gilinsky hatte deshalb ziviles Plutonium<br />
für im allgemeinen untauglich in einfachen, zuverlässigen und effektiven Waffen<br />
bezeichnet. 1972 jedoch, in einem Nachdruck dieses Aufsatzes in der Zeitschrift Environment<br />
[GILI72], fügte er bereits als "A Warning Note" in einem abgesetzten Kasten<br />
Zitate von J. Carson Mark (vgl. oben) ein. Gilinsky schrieb, Marks warnende Äußerungen<br />
fügten dem Problem eine neue Dimension hinzu. Später gehörte Gilinsky zu den Mitgliedern<br />
des Kongresses, die mit größter Vehemenz auf Proliferationsprobleme hinwiesen.<br />
Beachtung verdient auch das im Jahre 1973 von Mason Willrich herausgegebene Buch<br />
"International Safeguards and Nuclear Industry", welches das Ergebnis einer von der<br />
American Society of International Law's Panal on NuclearEnergy and World Order geleiteten<br />
und von der National Science Foundation finanziell unterstützten Studie war.<br />
Willrich selbst war ein mit Abrüstungsfragen beschäftigter Professor für Rechtswissen-<br />
8
schaften. In seinem eigenen Beitrag des Buches [WILL73] schrieb er:<br />
"While the plutonium produced in the cource of normal commercial operation<br />
of most types of power reactors is very difficult to use in an efficient<br />
explosive, it is relatively easy to use in a crude, inefficient explosive device."<br />
Ebenfalls der bereits vorgestellte Theodore B. Taylor trug mit einem Aufsatz zu diesem<br />
Buch bei [TAYL73]. Er fügte seiner Behandlung der Fragen zur Entwendung von Plutonium,<br />
sei es durch einen Staat oder durch Terroristen, hier bereits einen auch die Technik<br />
eines möglichen Waffenbaus ansprechenden Teil hinzu. Im wesentlichen beschränkte er<br />
sich jedoch hierin auf die Aussage, sämtliches nötige Wissen sei mittlerweile frei zugänglich,<br />
es müsse nur aus vielen Veröffentlichungen zusammengetragen werden.<br />
Vielbeachtet wurde das 1974 von Willrich und Taylor gemeinsam herausgegebene Buch<br />
"Nuclear Theft: Risks and Safeguards" [WILL74). Noch Jahre später versuchten zahlreiche<br />
Autoren, die Thesen dieses Buches zu widerlegen; auf einige dieser Arbeiten wird<br />
hier später noch einzugehen sein. Willrich und Taylor wollten die Gefahr des Diebstahls<br />
bombenfähigen nuklearen Materials ins öffentliche Bewußtsein rücken, um so die Verantwortlichen<br />
zu Gegenmaßnahmen zu zwingen. Das Buch war ein vonWillrich und Taylor<br />
erarbeiteter Bericht an ein Projekt zur Energiepolitik der Ford Föundation. Ursprüngliche<br />
Absicht war es, in das Buch eine Liste frei zugänglicher Literatur, die die nötigen<br />
Informationen zum Bau einfacher nuklearer Sprengkörper bieten sollte, einzufügen. Vertreter<br />
derU.S. Atomic Energy Commission, die einen Entwurf zur Durchsicht erhielten,<br />
bestätigten, daß diese Liste keine klassifizierte Literatur enthalte. Verschiedene Lektoren<br />
rieten jedoch von der Veröffentlichung einer solchen Liste ab und setzten sich mit ihrer<br />
Haltung schließlich durch. Daran ist ersichtlich, wie besorgt Expertenkreise bezüglich<br />
einer "Bastlerbombe" bereits waren. (Mit der Nennung einer klassifizierten Quelle, wäre<br />
diese noch nicht zugänglich gewesen.) Willrich und Taylor hielten es für möglich, mittels<br />
nicht klassifizierter Literatur einen Informationsstand zu erreichen, der denjenigen<br />
vor Zündung der ersten Plutoniumbombe übersteige. Mögliche Energjeausbeuten schätzten<br />
die Autoren im Bereich von Kilotonnen TNT ("very likely") und betonten, daß mit<br />
Zündung einer einfachen Bombe an geeigneter Stelle Terroristen 100 000 und mehr Menschen<br />
töten könnten.<br />
Im Jahre 1974 faßte das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI)<br />
Beiträge einer Review Conference zu Proliferationsproblemen vom Juni 1973 in einem<br />
Buch [SIPR74] zusammen. lohn C. Hopkins vom Los Alamos Scientific Laboratory<br />
meinte darin, die Erzeugung riesiger Mengen von Plutonium in Leistungsreaktoren sei<br />
kein solcher Grund zur Sorge, wenn nicht - entgegen früheren Behauptungen - es möglich<br />
9
"Unfortunately - and this is the root of the problem - the same plutonium<br />
produced in nuclear plants can, when chemically separated, also be used to<br />
make nuclear explosives.'.'<br />
So hatte schließlich, nach mehrjährigen Bemühungen, insbesondere von Seiten politisch<br />
engagierter Wissenschaftler, die Erkenntnis von der Waffentauglichkeit des Reaktorplutoniums<br />
Eingang in die höchste Politik gefunden - jedenfalls in den USA.<br />
Der am Lawrence Livermore Laboratory Atomwaffen entwickelnde Robert W. SeIden<br />
soll im November 1976 einigen Vertretern der Atomwirtschaft verschiedener Länder <br />
auch der Bundesrepublik Deutschland - und der International Atomic Energy Agency<br />
ein Schreiben zukommen gelassen haben, in dem er auf die direkte Verwendbarkeit jeder<br />
Art von Plutonium in Nuklearwaffen aufmerksam machte [ALBR84]. SeIden hob die<br />
Möglichkeit einer militärisch nützlichen Waffe mit Reaktorplutonium hervor, die auch<br />
mittels einer Technologie auf niederem Niveau eine Sprengkraft im Bereich von Kilotonnen<br />
TNT erreichen könne. Die erste Plutoniumbombe hätte, so Seiden, mindestens die<br />
Sprengkraft einer Kilotonne TNT besessen, wenn sie mit Reaktorplutonium gezündet<br />
worden wäre [ALBR84; COCH84; LOVI80].<br />
Am 16. November 1976 brachte die Zeitschrift Nucleonics Week [NUCL76] die Notiz, die<br />
u. a. auch mit der Entwicklung von Schnellen Brütern betraute U.S. Energy Research and<br />
Development Administration (ERDA) vertrete die Meinung, eine Bombe, deren Design<br />
speziell Reaktorplutonium angepaßt sei, könne eine kräftige Nuklearexplosion bewirken<br />
("All grades of plutonium must be considered strategically important and dangerous").<br />
ERDA beauftragte die Science Applications Incorporation, MacLean, Virginia, mit der<br />
quantitativen Abschätzung von Proliferationsrisiken verschiedener alternativer Reaktortypen.<br />
Obwohl über den Sinn solcher quantitativer Untersuchungen gestritten werden<br />
könnte, sollen hier zwei der Resultate erwähnt werden: Die Science Applications Inc.<br />
schätzte die Schwierigkeiten bei der eigentlichen Waffenherstellung unter Verwendung<br />
von praktisch reinem Plutonium-239 für subnationale und für nationale Gruppen gleich<br />
groß ein. Bei Verwendung anderen spaltbaren Materials sollten die Schwierigkeiten der<br />
subnationalen Gruppen weniger als doppelt so groß sein, als diejenigen der nationalen<br />
Gruppen [SCIE77].<br />
Ein wichtige Rolle in der US-amerikanischen Nonproliferationspolitik spielte ein Report<br />
der Nuclear Energy Policy Group, eine einjährige Studie, finanziell von der Ford<br />
Foundation getragen und unter Aufsicht der MITRE Corporation durchgeführt - bekannt<br />
unter dem Namen FordjMITRE-Report [KEEN77]. Diese Studie wurde am 21.<br />
März 1977 veröffentlicht und war auch Grundlage der bekannten Erklärung des damals<br />
11
neugewählten US-Präsidenten Jimmy Carter zur amerikanischen Nuklearpolitik vom 7.<br />
April 1977 [CART77). In dieser Erklärung verkündete Carter den einstweiligen Verzicht<br />
der USA auf kommerzielle Entwicklung von Brütern und Wiederaufarbeitungsanlagen.<br />
Mitautoren der Studie bedachte Carter mit hohen Regierungsämtern - Joseph S. Nye<br />
wurde Leiter der Nichtverbreitungs-Koordinationsgruppe im State Department, Harold<br />
Brown Verteidigungsminister [PATE77b).<br />
Der FordjMITRE-Report führte zwar aus, daß die Schwierigkeiten bei Planung und Bau<br />
einer Atomwaffe für Terroristen nicht unterschätzt werden sollten, hielt jedoch andererseits<br />
den Bau einer Bombe mit einer Sprengkraft von einigen Hundert Tonnen TNT durch<br />
eine gut organisierte und durch einzelne Fachleute unterstützte Gruppe für machbar. Der<br />
Bericht setzte dabei ausdrücklich nicht die Mithilfe tatsächlicher Waffenexperten voraus.<br />
Für eine kleine Gruppe oder gar Einzelpersonen sah der Bericht allerdings das Erreichen<br />
einer solchen Sprengkraft als unwahrscheinlich an.<br />
Auch das Office 0/ Technology A88e88ment (OTA) des U.S. Department of Commerce<br />
legte 1977 eine umfangreiche Proliferations-Studie [OTA77) vor. Dem OTA zufolge wäre<br />
selbst bei einem Design veralteter Technologie eine Sprengkraft von bis zu 10 oder 20 kt<br />
TNT mit Waffenplutonium erreichbar (Mit der veralteten Technologie meinte das OTA<br />
diejenige, die den USA 1945 zur Verfügung gestanden hatte). Mit Reaktorplutonium erwartete<br />
das OTA eine Reduktion der möglichen Sprengkraft um einen Faktor 3 bis 10,<br />
also immer noch eine Sprengkraft im kt-TNT-Bereich. Mit dieser (veralteten) Technologie<br />
sollten - dies wurde besonders hervorgehoben - zuverlässige Waffen von militärischem<br />
Wert mit Reaktorplutonium möglich sein. Sicherlich könne, so das OTA, ein Design bei<br />
Frühzündung zu einer Sprengkraft nahe Null führen, ein z'\veckmäßigeres Design dagegen<br />
könne eine Mindestsprengkraft von militärischem Nutzen bringen.<br />
Den Aussagen des Office of Technology Assessment fügte Amory B. Lovin8 auf einem<br />
Hearing der kalifornisehen Conservation and Development Commission über Safeguards,<br />
Proliferation und alternative Brennstoffkreisläufe am 17. Juni 1977 [HEAR77] noch Betrachtungen<br />
unter der Voraussetzung höher entwickelter Technologie hinzu. Lovins bezeichnete<br />
es als möglich, mit sehr guter Technologie Unterschiede in Größe und Vorhersagbarkeit<br />
der Sprengkraft von Bomben mit Reaktorplutonium und Waffenplutonium zu<br />
beseitigen.<br />
Ted Greenwood, Harold A. Feive80n und Theodore B. Taylor gaben 1977 ein Buch des<br />
Council on Foreign Relations heraus [GREE77]. Hierin gaben sie an, Kriminelle und Terroristen<br />
seien in der Lage, mit Reaktorplutonium einfache Bomben von mindestens 100 t<br />
12
cher Bombentest der USA mit Reaktorplutonium bekanntgegeben wurde. Die Zeitschrift<br />
Nuclear Engineering International druckte eine diesbezügliche Notiz ab [NUCL77], die<br />
hier in vollem Umfang wiedergegeben werden soll:<br />
"US exploded bomb made from power reactor plutonium: Lt was revealed in<br />
a public inquiry held in Britain, and later confirmed by US oflicials, that<br />
the US has exploded a nuclear device using reactor grade plutonium. Albert<br />
Wohlstetter, Professor of Political Sciences at Chicago University, made his<br />
annollncement at the Public Inquiry over the expansion of Britain's Windscale<br />
reprocessing plant. While it has never been denied that power reactor<br />
generated plutonium could be used toproduce a nuclear weapon, there has<br />
always been question about the stability of such a device because of contamination<br />
with certain plutonium isotopes. It also had not been known that<br />
one actually had been produced and detonated."<br />
Vorher schön sollen auch laut Lovins [LOVI79] J. Griflin, ERDA, in einer Presseerklärung<br />
vom 4. August 1977 und Albert Wohlstetter im oben angesprochenen Windscale Inquiry<br />
(14. Juni - 19. Oktober, 24. Oktober - 4. November 1977) auf den Test bezug genommen<br />
haben. Ron. Justice Parker hat in einem Report [PARK78] für das britische Umweltministerium<br />
die auf dem Windscale Inquiry vorgetragenen Argumente zusammengefaßt.<br />
Dem Bericht zufolge galt die Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium als konsensfähig:<br />
"A nuclear bomb can be constructed with the grade of plutonium recovered<br />
by reprocessing."<br />
Dennoch bestand Uneinigkeit bezüglich der Frage, ob die in Windscale geplante Wiederaufarbeitungsanlage<br />
für LWR-Brennelemente das Proliferationsrisiko erhöhe. Es wurde<br />
argumentiert, Großbritannien sei bereits Kernwaffenstaat und das aus der Magnox-Brennelement-Aufarbeitung<br />
gewonnene Plutonium reiche für die britische Bombenproduktion<br />
aus, so daß die neue Anlage keine britische Proliferation bedeuten könne. Manche Gutachter<br />
befürchteten jedoch einen möglichen Plutonium-Diebstahl oder hielten die Anlage<br />
für eine Ermunterung von Nichtkernwaffenstaaten, eigene Wiederaufarbeitungsanlagen<br />
zu errichten. Dem wurde entgegengehalten, durch Auftragsausführung für ausländische<br />
Interessenten, könne deren Betrieb eigener Anlagen gerade vermieden werden; eine<br />
Rückführung des für Nichtkernwaffenstaaten abgetrennten Plutoniums in, von Großbritannien<br />
gefertigten und kurz bestrahlten Brennstäben sei möglich.<br />
Auf den von den USA durchgeführten Test wurde in der Folgezeit häufig zurückgegriffen,<br />
wenn es galt, den theoretischen Nachweis der Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium<br />
14
zu untermauern. Dies tat beispielsweise Joseph Rotblat [ROTB79], der 1979 mit Reaktorplutonium<br />
den kt-TNT-Bereich als unteres Ende einer statistischen Verteilung der<br />
Sprengkraft angab und zum durchgeführten Test meinte: "(A) high yield was obtained".<br />
Ähnlich äußerte sich 1980 Bhupendra Jasani, SIPRI, [JASA80]. David Widdicombe,<br />
Chairman des Administrative Law Committee of Justice, London, [WIDD80] ging sogar<br />
1980 schon soweit, festzustellen, die Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium sei nunmehr<br />
allgemein akzeptiert.<br />
Bevor wir nachweisen, daß dieser Schluß - zumindest was maßgebende Kreise in der Bundesrepublik<br />
Deutschland angeht - leider völlig unzutreffend ist, soll noch ein spezielles<br />
Kapitel über die gezielte Denaturierung von Plutonium eingeschoben werden.<br />
15
1.2 Vorschläge zur Denaturierung von Plutonium seit Mitte<br />
der siebziger Jahre<br />
In eben dem Maße wie sich in den USA ins Bewußtsein drängte, wie wenig denaturierend<br />
das längere Verbleiben von Brennelementen in Leistungsreaktoren auf das so erzeugte<br />
Plutonium wirkt, wurden auch immer neue Denaturierungs-Möglichkeiten vorgeschlagen.<br />
Angeregt durch Willrich und Taylor ("Nuclear Theft: Risks and Safeguards") [WILL74]<br />
untersuchte Bruce A. Hutchins [HUTC75] Möglichkeiten, durch hohe Eigenstrahlung den<br />
Diebstahl von Plutonium zu verhindern. Er erwog die Beimischung verschiedener Strahler,<br />
um eine Dosisleistung von 5000 Röntgen je Stunde in einem Meter Abstand von 5 Kilogramm<br />
Plutonium zu erreichen. Innerhalb von 200 bis 300 Tagen - bevor die Strahlung<br />
zu stark abgeklungen sei - sollte das Plutonium in neue Brennelemente rezykliert worden<br />
sein. Ungeklärt blieb jedoch die Frage, wie ein solch extrem stark strahlendes Plutonium<br />
in einer Brennelementfabrik gehandhabt werden soll. Für Beschäftigte in Brennelementfabriken<br />
sind zulässige Höchstdosen gesetzlich festgelegt. Ein Terrorist wird sich dagegen<br />
kaum um diese Grenzwerte kümmern, solange er sich im Bereich von statistischen Strahlenschäden<br />
bewegt, also nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit rechnen muß,<br />
aufgrund dieser Strahlung irgendwann an Krebs zu erkranken.<br />
In der BRD befaßte sich Gerhard Locke von der Fraunhofer-Gesellschaft (Institut für<br />
Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen, Stohl über Kiel) mit Möglichkeiten der<br />
Denaturierung von Plutonium. Locke sagte 1976, daß die Großmächte Reaktorplutonium<br />
"mit beliebig hohem Neutronen-Hintergrund effektiv zur Explosion bringen können"<br />
[LOCK77]. Auf der Reaktortagung 1976 vom 30. März bis 2. April in Düsseldorf stellte er<br />
seine Überlegungen in dem Vortrag "Möglichkeiten, Reaktorplutonium als Nuklearsprengstoffunbrauchbar<br />
zu machen" [LOCK76] vor. Locke empfahl eine sofortige Verschneidung<br />
abgetrennten Plutoniums mit Uran und die Vermeidung unverschnittenen Plutoniums in<br />
metallischer Form. Zur weiteren Erhöhung des Neutronenhintergrundes hielt Locke die<br />
Denaturierung mit Curium-244 oder Beryllium für geeignet. Lockes Vortrag blieb weitgehend<br />
unbeachtet; die Zeitschrift Atomwirtschaft/Atomtechnik erwähnte in ihrem Bericht<br />
über die Tagung nur kurz [KARW76]:<br />
"um Reaktorplutonium für Bombenzwecke unbrauchbar zu machen, wurde<br />
in einem Vortrag aus der Fraunhofer-Gesellschaft in Kiel vorgeschlagen, das<br />
Plutonium bereits bei der Herstellung mit Uran-238 zu verschneiden, ausschließlich<br />
Verbindungen geringer Dichte zu verwenden und neutronenerzeugende<br />
Elemente beizumischen."<br />
Am 7. April 1977 verkündete - wie bereits an früherer Stelle erwähnt - der neugewählte<br />
amerikanische Präsident Jimmy Carter den einstweiligen Verzicht der USA auf die kom-<br />
16
merzielle Entwicklung von Wiederaufarbeitungsanlagen und Schnellen Brütern [CART77].<br />
Bald darauf wurden vielerorts Anstrengungen unternommen, mit der Entwicklung "denaturierter<br />
Brennstoffkreisläufe" in den nicht gerade freundlich auf das Moratorium reagierenden<br />
westlichen Industriestaaten und Entwicklungsländern, aber auch Teilen der<br />
US-amerikanischen Industrie, Hoffnungen auf ein baldiges Überfiüssigwerde,n des Moratoriums<br />
durch Lösung der Proliferationsprobleme zu wecken.<br />
Neue, von Alezander De Volpi des Argonne National Laboratory entwickelte Denaturierungskonzepte<br />
stellte F.C. Olds im Sommer 1977 in der Zeitschrift Power Engineering<br />
vor [OLDS77]. Hohe kritische Massen - 25 bis 30 mal größer als bei reinem Plutonium<br />
239 - sollten in Verbindung mit einem Zehntel bis einem Hundertstel der möglichen<br />
Energieausbeute gegenüber Plutonium-239 die Attraktivität solchen Plutoniums soweit<br />
reduzieren, daß seine tatsächliche Verwendung in Waffen praktisch ausgeschlossen werden<br />
könne. Henry C. Ott der Ebasco Services Incorporation befand allerdings in einem<br />
Leserbrief [OTT77] die vorgeschlagene Denaturierung für wirtschaftlich nicht vertretbar.<br />
Der technische Direktor der General Atomic Co., Peter Fortescue, stritt - ebenfalls in einem<br />
Leserbrief auf den Artikel von Olds hin - die Denaturierbarkeit von Plutonium völlig<br />
ab [FORT77]; einen proliferationsresistenten Uran-Thorium-Kreislauf konnte Fortescue<br />
sich dagegen vorstellen.<br />
Alexander DeVolpi nahm zu diesen beiden Leserbriefen selbst in der Zeitschrift Power<br />
Engineering Stellung [DEV077]. Er räumte ein, daß noch viele Fragen zur Wirtschaftlichkeit,<br />
zur Neutronenbilanz in Reaktoren und zur Abfallbehandlung offen seien. Vielen<br />
der offenen Fragen widmete sich DeVolpi daraufhin intensiv. Auf seine Resultate wird<br />
später noch einzugehen sein. Hier soll zunächst noch ein Einblick in die Vielzahl der von<br />
verschiedenen Seiten angebotenen Denaturierungs-Methoden gegeben werden.<br />
Es gab Vorschläge, Brennstoffkreisläufe zu entwickeln, in denen Plutonium außer in abgebrannten<br />
Brennelementen nur in einem "Internationalen Energiezentrum", welches die<br />
Brennelemente gleich bei Ende ihres Einsatzes zu übernehmen hätte, vorliegen sollte<br />
[PIGF78]. Andere Autoren betrachteten neue Aufarbeitungstechnologien. In einem wirtschaftlich<br />
attraktiven Aufarbeitungsprozeß (AIROX-Prozeß) sollten nicht alle Spaltprodukte<br />
abgetrennt werden [ASQU78]. Im "Coprocessing" sollten Uran und Plutonium bei<br />
der Wiederaufarbeitung nicht separiert vorliegen [BR0078], eventuell unter zusätzlichem<br />
Belassen eines gewissen Anteils an Spaltprodukten im Uran/Plutonium-Gemisch (Civex<br />
Prozess) [BR0078; NUCL78]. Der Civex-Prozess war jedoch für die Aufarbeitung von<br />
Schnellbrüter-Brennelementen entwickelt worden, konnte also nicht zur Lösung der akuten<br />
Probleme beitragen [JASA80]. Außerdem blieb beim "Coprocessing" die Trennung<br />
17
• Denaturierung war für ihn die Minderung der Waffentauglichkeit, entgegen der Definition<br />
anderer Autoren, die unter Denaturierung die völlige Waffenuntauglichkeit<br />
verstanden.<br />
• Als "denatured-grade plutonium" bezeichnete DeVolpi Plutonium mit einem in<br />
Reaktoren spaltbaren Anteil von 20 % und weniger. So könnte laut DeVolpi das<br />
Proliferationsrisiko durch isotopische Denaturierung um einige Größenordnungen<br />
reduziert [DEV079, Conclusion No. 6] und in Verbindung mit Safeguards auf und<br />
unter das Niveau anderer akzeptierter technologischer Risiken gedrückt werden<br />
[DEV079, ConclusionNo. 26]. Über Sinn und Unsinn von "Risikoabschätzungen"<br />
wird gerade in Zusammenhang mit der Kerntechnik schon lange diskutiert - ohne<br />
das eine Annährung der verschiedenen Standpunkte in Sicht wäre.<br />
Mit diesem Kapitel sollte vor allem eines gezeigt werden: Das in der Bundesrepublik<br />
Deutschland derzeit gehandhabte Plutonium hat mit diesen denaturierten Gemischen<br />
("denatured-grade plutonium") nicht das geringste zu tun. Die beschriebene Diskussion<br />
inden USA ging nicht mehr darum, ob Reaktorplutonium waffentauglich sei oder<br />
nicht, sondern um Methoden, wie Reaktorplutonium durch künstlich zugegebene Stoffe<br />
waffenuntauglich gemacht werden könnte. In der Bundesrepublik Deutschland denkt<br />
niemand daran, eine Plutoniumwirtschaft einzuführen, die mit Plutonium von weniger<br />
als 20 % in Reaktoren spaltbaren Isotopen umgeht. In der einzigen Plutonium<br />
Brennelementfabrik der Bundesrepublik, der Firma ALKEM, wäre die Hantierung mit<br />
diesem Plutonium bei Beachtung des gesetzlich vorgeschriebenen Schutzes·der Mitarbeiter<br />
und der benachbarten Bevölkerung ausgeschlossen. Dies trifft ebenfalls für die von<br />
ALKEM neu beantragte Anlage zu.<br />
19
"We are nottrying to impose our will on those nations like Japan and France<br />
and Britain and Germany which already have reprocessing plants in operation.<br />
They have special need that we don't have in that their supplies of<br />
petroleum products are not available. But we hope that they will join with us<br />
- and I believe that they will - in tryjng to have some worldwide understanding<br />
of the extreme threat of the further proliferation of nuc1ear explosive<br />
capability."<br />
Entgegen weitverbreiteter - aus verstandlichen Grunden auch von der deutschen Atomwirtschaft<br />
propagierter - Meinung, waren fur die Einfrierung des kommerziellen US<br />
Bruter- un4 Wiederaufarbeitungsprogramms im wesentlichen technische Probleme sowie<br />
von der Aufsichtsbehörde (Nuc1ear Regulatory Commission, NRC) verschärfte Strahlenschutz-<br />
und Betriebsauflagen entscheidend (die Aufsicht war 1975 der nachlässigen und<br />
korrupten Atomic Energy Commission, AEC, entzogen worden) [NWG82]. Tendenzen<br />
der US-Nuklearexport-Politik wurden in der atw wiederholt kritisch bewertet, z.B. von<br />
C. Patermann der bundesdeutschen Botschaft in Washington [MUELL77; PATE77a;<br />
PATE77b].<br />
J. Scharioth untersuchte 1977 in der atw die "Nuklearkontroverse aus gesellschaftlicher<br />
und psychologischer Sicht" [SCHA77] - ohne die Proliferation auch nur zu erwähnen(!); es<br />
handelte sich um die überarbeitete Fassung eines Übersichtsvortrags der Reaktortagung<br />
1977 in Mannheim. Karl Wirtz berichtete uber die ANS-ENS-Konferenz vom 5.-19. November<br />
1976 in. Washington [WIRT77] und bezeichnete die Proliferation als "Thema Nr.<br />
I" dieser Tagung. Dabei schilderte ·er Situation und Diskussion in den USA - ohne eine<br />
wesentliche Ursache, nämlich das Rücken der Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium<br />
ins öffentliche Bewußtsein, zu nennen.<br />
In der atw fanden sich meist Beiträge, die beim Stichwort "Nichtverbreitungspolitik"<br />
den Verzicht der Bundesrepublik auf eigene Atomwaffen, die Existenz des Nichtverbreitungsvertrags<br />
und die internationalen Kontrollen durch Euratom und IAEA hervorhoben,<br />
so z.B. Beiträge von Hans-Hilger Haunschild, Staatssekretär im Bundesministerium<br />
fur Forschung und Technologie [HAUN77] und Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs<br />
[FRID77].Heinrich Mandel, damals Präsident des Deutschen Atomforums, erklärte<br />
[MAND77]:<br />
"Naturlich verstehen wir die Sorge unserer amerikanischen Freunde ... Es<br />
durfte wohl völliges Einvernehmen zwischen den.· USA. und uns darüber bestehen,<br />
daß alles getan werden muß, um die Proliferation von Kernwaffen<br />
zu verhindern. Gerade wir hier in Deutschland haben durch den einseiti-<br />
21
"Es ist daher äußerst zweifelhaft, ob der Versuch, durch die Wahl von Brennstoffzyklen<br />
das Proliferationsrisiko zu beeinflussen, nicht einfach am ,Kern der<br />
Sache, der ein politischer ist, vorbeigeht."<br />
Ergebnisse von INFCE stellte die atw 1980 und 1981 mehrfach vor [HOSS80; PATE80;<br />
PATE81; POPP80; ROTH80]. Es hieß, "daß eigentlich nichts dabei (bei INFCE, d.<br />
Verf.) herausgekommen ist, was man nicht schon vorher gewußt hätte", nämlich "daß<br />
allen Brennstoffkreisläufen ein gewisses Proliferationspotental innewohnt, dessen Kontrollierbarkeit<br />
jedoch nach Meinung der internationalen Fachleute gesichert erscheint".<br />
Der stellvertretende Chefredakteur der atw, Rüdiger H088ner, bemerkte [HOSS80]:<br />
"Doch die Sorge wuchs besonders in dem Land, das der Weiterverbreitung<br />
der Kernenergie als erstes den Weg geöffnet hatte, in den USA. Dabei war<br />
nicht überall und immer ganz deutlich, ob diese Sorge nicht auch vom Konkurrenzdenken<br />
mit beeinflußt würde ..."<br />
Vertreter des Bundesministeriums für Forschung und Technologie stellten "Die wesentlichen<br />
Ergebnisse von INFCE" vor [POPP80]: Proliferation sei "ein politisches und kein<br />
technisches Problem", es gäbe keinen Brennstoffkreislauf, welcher absolut resistent gegen<br />
Mißbrauch sei, Safeguards seien weiterzuentwickeln und ebenfalls die Aspekte Versorgungssicherheit,<br />
Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit mit zu betrachten. Und als ganz<br />
besonders wichtiges Ergebnis, daß "in der Tat die Kernenergie weltweit verfügbar gemacht<br />
werden kann". Für "auf dem Hintergrund der Geschichte von INFCE sehr bedeutsam"<br />
galt auch die Aussage, " daß auch große Brüter oder Wiederaufarbeitungsanlagen durchaus<br />
'safeguardable'sind".<br />
1981 beschäftigte sich der stellvertretende Generaldirektor der IAEA, H. Grümm, in der<br />
atw mit möglicher Proliferation [GRUE81]: Auch bei ihm kein Wort über Möglichkeiten<br />
des Bombenbaus mit Reaktorplutonium. Stattdessen behauptete Grümm, die"eingebildete<br />
Gefahr der Kernkraftwerke" hätte die Aufmerksamkeit von der "millionenfach<br />
größeren wirklichen Gefahr der Atomwaffen abgelenkt .... In diesem Sinne trägt die<br />
Kernkraftwerks-Hysterie zum Fortbestehen eines unermeßlichen Gefahrenpotentials von<br />
40000 bis 50000 Kernsprengkörpern in den Arsenlen der Großmächte bei." (Diese Quelle<br />
war der Abdruck eines Vortrags, den Grümm anläßlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft<br />
in der Kerntechnischen Gesellschaft an ihn am 23. Oktober 1980 in Bonn<br />
hielt.)<br />
Der Angriff israelischer Flugzeuge auf den Forschungsreaktor Osirak im Irak am 7. Juni<br />
1981 war der atw noch einmal eine Erwähnung des Proliferationsproblems wert [ATW81].<br />
Zitat:<br />
23
Sahin führte schließlich Rechnungen durch, die jedoch nicht in der Atomkernenergie<br />
Kerntechnik, sondern in den Annals of Nuclear Energy 1978 [SAHI78] veröffentlicht wurden,<br />
und in denen er die Verlängerung der Neutronenlebensdauer im Reaktorplutonium<br />
quantitativ zu bestimmen versuchte. Sahin war sich der Unsicherheit seiner Rechnungen<br />
hewußt, herücksichtigten sie doch keine dynamischen Einflüße während der Kompaktierungszeit.<br />
Aus seinen Rechnungen zog er den Schluß, daß die Sprengkraft des Reaktorplutoniums<br />
nur begrenzt gegenüber Waffenplutonium reduziert sein könne. Als Sahin<br />
seiner vorherigen Diskussion mit Fleck in der Atomkernenergie-Kerntechnik 1979 noch<br />
das quantitative Ergebnis nachschob [SAHI79], fand sich diese letzte Konsequenz, die<br />
nur begrenzte Reduktion der Sprengkraft, allerdings nicht in dieser Zeitschrift. Fleck<br />
erwiderte [FLEC79], sein Vorbehalt bezüglich der Frühzündung sei damit noch nicht<br />
ausgeräumt.<br />
Im Jahre 1980 stellte Sahin dann in der Atomkernenergie-Kerntechnik nocheinmal verbesserte<br />
Rechnungen vor [SAHI80a], die zu größeren Neutronenlebensdauern - auch für reines<br />
Plutonium-239 - geführt hatten. Die prozentuale Erhöhung der Neutronenlebensdauer in<br />
Reaktorplutonium gegenüber reinem Plutonium-239 stimmte jedoch mit seinen früheren<br />
Rechnungen praktisch überein. Ausführlicher nachzulesen waren die neuen Berechnungen<br />
von Sahin in der Zeitschrift Nuclear Technology [SAHI80b], wo er erklärte, mit einem<br />
Anteil von 15 % Plutonium-240 könne bei ausgeklügelter Technik eine Sprengkraft von<br />
-1 kt TNT erreicht werden, bei 25 % Plutonium-240 bleibe die Sprengkraft praktisch<br />
immer unterhalb des 100-t-TNT-Bereichs. In einem Leserbrief in der Zeitschrift Nature<br />
[SAHI80c] auf einen Artikel von Amory B. Lovins [LOVI80] hin, schrieb Sahin allerdings<br />
leicht abgewandelt, bei ausgeklügelter Technik könne eine Sprengkraft von 1 kt TNT (bei<br />
15 % Pu-240) beziehungsweise 100 t TNT (bei 25 % Pu-240) nicht überschritten werden.<br />
Als nächstes wollen wir uns den Aussagen eines Vertreters der Kernforschungsanlage<br />
Jülich, Erwin Münch, widmen. Dieser schrieh im März 1976 [MUEN76]:<br />
"Die Zusammensetzung des in kommerziellen Kernkraftwerken entstehenden<br />
Plutoniums aus spaltbaren und etwa 40 % nicht spaltbaren Isotopen macht<br />
es unmöglich, aus diesem Material wirksame Kernwaffen zu produzieren, die<br />
die Sprengkraft konventioneller Waffen überschreiten."<br />
Später versuchte Münch geltend zu machen, daß er seine Aussage implizit nur auf Mißbrauch<br />
durch Terroristen ohne Zugang zu moderner Schießtechnik gemünzt gehabt habe<br />
[EHRE79]. 1979 [MUEN79] hielt Münch den Bau von Sprengkörpern im Bereich einiger<br />
kt TNT mit Reaktorplutonium durch einen Staat für möglich, sagte jedoch andererseits:<br />
25
"Die Herstellung einer wirksamen und sicher zu zündenden Atombombe durch<br />
Terroristen aus den im Reaktor anfallenden Spaltstoffgemischen kann ausgeschlossen<br />
werden."<br />
Eine etwas kürzere Fassung des Aufsatzes von Münch [MUEN79], die jedoch in vielen<br />
wesentlichen Punkten wortgleich ist, wurde in einer Broschüre der Kernforschungsanlage<br />
Jülich abgedruckt [BORS78]. In der Auflage dieser Broschüre von 1980 [BORS80] ist<br />
sie gegenüber ihrer Auflage von 1978 um den Satz "Für einen Staat könnte jedoch die<br />
Herstellung nuklearer Sprengkörper mit begrenzter Sprengkraft möglich sein" ergänzt.<br />
In einem von Münch herausgegebenen Taschenbuch ("Tatsachen über Kernenergie") in<br />
dessen zweiter Auflage von 1980 [MUEN80] beschreibt Münch die Schwierigkeiten bei<br />
Verwendung von Reaktorplutonium noch identisch mit seiner Abhandlung im Aufsatz<br />
von 1979 [MUEN79]. Ähnlich wie Münch äußerte sich Klaus-Detle! Clo}1 in Bild der Wissenschaft<br />
im Juli 1979 [CL0879]. Reaktorplutonium müßte Cloß' Meinung nach mit einer<br />
Geschwindigkeit von mindestens 10 km/s komprimiert werden und diesbezügliche Erfahrungen<br />
lägen nur in Kernwaffenstaaten vor. Eine Abbildung des Aufsatzes ist in fetten<br />
Buchstaben mit "Reaktor-Plutonium eignet sich nicht für Bomben" unterschrieben. Die<br />
Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) bezeichnete Reaktorplutonium im Bericht "Plutonium"<br />
[MUEL79] vom April 1979 als "zum Waffenbau verwendbar", die Herstellung<br />
eines Sprengsatzes sei gegenüber Waffenplutonium "weit schwieriger ... aber grundsätzlich<br />
möglich." Die notwendige Implosionsgeschwindigkeit setzten die Autoren der GRS<br />
bei Reakt6rplutonium mit einigen 10 km/s an, hielten in "Heimarbeit" nur 100 m/s für<br />
erreichbar. Diese einigen 100 m/s sollten allerdings noch zu einer Sprengkraft von 20 t<br />
TNT führen können.<br />
Selbst unter Atomkraftgegenern wurde das Proliferationsproblem des Reaktorplutoniums<br />
lange Zeit nicht wahrgenommen. Relativ früh zwar, aber dennoch erst im September<br />
1977, schrieb der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU) in seiner<br />
Broschüre "Plutonium" [BBU77]: "Es gilt heute als sicher, daß man aus Plutonium, das<br />
in Atomkraftwerken entsteht, Atombomben bauen kann."( Diese Broschüre basiert auf<br />
[KOLL78] ). Dagegen enthielt beispielsweise das Taschenbuch "Reaktoren und Raketen<br />
- Atomare Gefahren und Bürgerproteste", herausgegeben von Joachim Grumbach 1980<br />
[GRUM80] und verfaßt von Atomkraftkritikern, trotz seines vielversprechenden Titels<br />
keinerlei Hinweis auf eine Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium. Ganz im Gegenteil:<br />
Die Tauglichkeit des Reaktorplutoniums wurde sogar abgestritten.<br />
Den frühesten Zeitpunkt, zu dem in der Bundesrepublik von einer Diskussion möglicher<br />
Waffentauglichkeit des Reaktorplutoniums auf breiterer Basis gesprochen werden kann,<br />
stellt wohl das sogenannte "Gorleben-Hearing" dar. Im Rahmen des Gorleben-Hearings<br />
26
"Zur Auslösung einer Kettenreaktion mit schnellen Neutronen ist eine Kugel<br />
aus mindestens 13 kg Reaktorplutonium-Metall erforderlich (offizielle Auskunft<br />
der NRC). Zwar gibt es im militärischen Bereich besondere und bisher<br />
im Detail streng geheimgehaltene Geometrien aus Spezialsprengstoffen,<br />
die kugelzentrische Verdichtungswellen entsprechender Stärke auslösen, daß<br />
auch geringere Spaltstoffmengen noch kritisch gemacht werden können. Damit<br />
wurde auch einmal- wenn auch mit bescheidener Energieausbeute - (Zahlen<br />
wurden nicht veröffentlicht) Leichtwasser-Pu zur Detonation gebracht."<br />
Nach DeVolpi [DEV079] läßt sich mittels eines Reflektors aus natürlichem Uran die kritische<br />
Masse des typischen Leichwasserplutoniums in der Delta-Phase auf nahezu zehn<br />
und in der - allerdings schwieriger realisierbaren - Alpha-Phase auf etwa sechs Kilogramm<br />
reduzieren. Es ist nicht abzustreiten, daß bei der Fertigung eines Kernsprengsatzes - sei<br />
es durch Terroristen oder durch einen Staat - ein Reflektor eingebaut werden kann. Das<br />
Prinzip der sogenannten "Sprenglinsen" - wie sie in Implosionswaffen verwendet werden<br />
- hat heute auch im zivilen Bereich Verbreitung gefunden (vgl. Kapitel 2.1).<br />
Im Jahre 1984 wurde im Hessischen Landtag in Wiesbaden ein Hearing veranstaltet,<br />
das die Proliferationsrisiken der HanauerBrennelementfabriken NUKEM und ALKEM<br />
beleuchten sollte [HESS84]. Auch dort versuchte StolI, mit den gleichen Argumenten<br />
seine Gegner zu widerlegyn. Er leugnete weiterhin die eigentlichen Gründe (siehe hierzu<br />
Kapitel 2.6), warum das Reaktorplutonium von den Atomwaffenstaaten nicht in ihren<br />
Sprengkörpern eingesetzt wird. Zitat StolI:<br />
"Ich habe klar gesagt, daß wir keine Waffenexperten sind. Aber natürlich lesen<br />
wir Literatur. Soweit wir aus dieser Literatur entnehmen können, ist das<br />
Material das wir haben, für die militärische Nutzung ungeeignet. Ich schließe<br />
das daraus, daß kein ernst zu nehmender Waffenexperte jemals daran gedacht<br />
hat, es einzusetzen, schon weil die Wirkung nur ganz ungenau vorbestimmt<br />
werden kann. Daran ändert überhe;tupt nichts, daß in den USA - und das wurde<br />
ja gesagt - unter dem strengsten Siegel der Verschwiegenheit in der Carter<br />
Ära im März 1977 angeblich einmal -niemand weiß es genau - ein Versuch<br />
mit Leichwassermaterial gelungen sein soll. Niemand kennt die Voraussetzungen<br />
und Ergebnisse. Nur soviel ist sicher, daß dazu eine ganz besonders weit<br />
entwickelte und schwierige Technik notwendig ist ... Die friedliche Nutzung<br />
von Leichtwasser-Plutonium hat mit der Nuklearwaffe nun wirklich nichts zu<br />
tun."<br />
Ein anderer Referent des Hearings, Professor K arl Kummerer vom Kernforschungszentrum<br />
Karlsruhe, hielt Reaktorplutonium immerhin schon für "im Prinzip waffenfähig".<br />
28
Er wies allerdings auf einige Hindernisse hin, die bewirken sollten, daß es "verdammt<br />
schwerfallen wird", eine brauchbare Waffe zu bauen. Seltsamerweise hob Kummerer dabei<br />
gerade den im richtigen Moment - auf eine Mikrosekunde genau - erforderlichen<br />
Neutronenstoß zur Einleitung der Kettenreaktion hervor. Einerseits ist gerade der Neutronenstoß<br />
im richtigen Augenblick technisch nicht das größte Problem (vgl. Kapitel<br />
2.3), andererseits können nicht Frühzündung und Neutronenstoß gleichzeitig eine große<br />
Schwierigkeit darstellen. Wenn mit großer Wahrscheinlichkeit ohnehin eine Frühzündung<br />
einträte, ist der zusätzliche gewollte Neutronenstoß schlicht überflüssig.<br />
Bereits in seiner schriftlichen Vorlage für die Anhörung (Ausschußvorlage WTA/11/30<br />
und HAA/11/4) vom 30. Mai 1984 hatte Kummerer dem Hessischen Landtag mitgeteilt,<br />
bei NUKEM und ALKEM würden "keine Atomwaffen oder Vorprodukte hierzu gefertigt"<br />
und es bestünde dort "keinerlei diesbezügliche Erfahrung". Das dort verarbeitete Uran<br />
und Plutonium sei "wegen seiner chemischen Zusammensetzung und wegen seiner Isotopenzusammensetzung<br />
nicht für Atomwaffen geeignet." Es sollen hier noch Aussagen von<br />
zwei zum Wiesbadener Hearing geladenen Sachverständigen zitiert werden. Ministerialrat<br />
Hagen vertrat das Bundesministerium für Forschung und Technologie; Zitat:<br />
"Es wurde schon von den Firmenvertretern gesagt, daß eine detaillierte Beurteilung<br />
der Qualität des Materials, das dort für die friedliche Verwendung<br />
als Brennstoff in Leistungs- und Forschungsreaktoren gelagert bzw. verarbeitet<br />
wird, nicht möglich ist. Dies gilt in gleicher Weise für die Kenntnisse,<br />
die der Bundesregierung darüber vorliegen. Wir haben als Bundesregierung<br />
ganz .bewußt und in Übereinstimmung mit den vertraglich eingegangenen<br />
internationalen Verpflichtungen in unseren Forschungsarbeiten, die wir zum<br />
Beispiel bei der Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie in der<br />
Bundesrepublik durchgeführt haben, darauf verzichtet, die Waffengrädigkeit<br />
und die Qualität hinsichtlich der Waffenherstellung solcher Materialien zu<br />
überprüfen oder gar Arbeiten in der Richtung durchführen zu lassen. Ich<br />
bin mir sicher auf Grund ausführlicher Kenntnis auch der Diskussionen innerhalb<br />
der deutschen Wissenschaftsszene, daß ein derartiges Ansinnen, egal<br />
von welcher Bundesregierung und zu welcher Zeit, in den letzten 25 Jahren in<br />
aller Deutlichkeit zurückgewiesen worden wäre und in Zukunft zurückgewiesen<br />
würde ... Nur noch einmal: Was Detailkenntnisse, was insbesondere die<br />
gezielte Herstellung eines effektiven und in seiner Wirksamkeit kalkulierbaren<br />
Kernsprengsatzes angeht, diese Kenntnis haben wir nicht, und wir wollen sie<br />
nicht haben."<br />
29
Professor Karl Kai3er, Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für<br />
Auswärtige Politik in Bonn, unterstrich nocheinmal:<br />
"Der Bund ... kann nicht daran interessiert sein, sich die spezifischen Kenntnisse<br />
anzueignen, die nötig sind, um Waffen zu produzieren, weil wir als Land<br />
keine Waffen produzieren wollen."<br />
Soweit die Aussagen auf dem Hearing. Diesen beiden Aussagen ist folgende Tatsache<br />
entgegenzuhalten: Zwar nicht massiv und mit großem Aufwand, aber seit Ende der sechziger<br />
Jahre beständig, arheiten Wissenschaftler der Fraunhofer-Gesellschaft, In3titut für<br />
Naturwi33en3chaftlich- Techni3che TrendanalY3en in Stohl bei Kiel, an der theoretischen<br />
Behandlung der Funktionsweise von Kernwaffen [LOCK74; LEUT75; LOCI):82]. Sie berufen<br />
sich sogar auf einen Auftrag des Bundesministers für Verteidigung (siehe Vorwort<br />
der Arbeiten [LOCK74] und [LEUT75]). Demnach wurde auch die Waffentauglichkeit<br />
des Reaktorplutoniums [LOCK76; LOCK77] bei Arbeiten lür das Bundesverteidigungsministerium<br />
gefunden. Das Vorwort einer Arbeit von 1982 [LOCK82] zeigt, daß auch in<br />
Zukunft diese Forschungen weitergehen sollen, um auch "Entwicklungen in Richtung auf<br />
eine Miniaturisierung und größere Effizienz der Kernspaltungswaffen" erfassen zu können.<br />
Es ist also festzuhalten: Entgegen den Aussagen von Hagen auf dem Wiesbadener Hearing<br />
sind Wissenschaftler der Bundesrepublik seit Ende der sechziger Jahre im Auftrag des<br />
Bundesministers für Verteidigung kontinuierlich mit der Funktionsweise von Kernwaffen<br />
befaßt, zwar nicht mit experimentellen Arbeiten, jedoch mit theoretischen Behandlungen<br />
als der ersten Stufe einer tatsächlichen Entwicklung" von Kernwaffen. Der Bau solcher<br />
Waffen stellt zwar keine notwendige Konsequenz, aber eine Versuchung dar. Wir können<br />
hier auf die Entwicklung in Frankreich verweisen, die zur "Force de Frappe" führte. In<br />
Frankreich lag lange keine höchste Entscheidung der Regierung zur Atomwaffenproduktion<br />
vor. Wissenschaftler leisteten dennoch Vorarbeit und die Entscheidung der Regierung<br />
zum Bau und Test der Waffen fiel erst, als einige Wissenschaftler der Lösung schon<br />
sehr nahegerückt waren. Dies ist beispielsweise beim Office of Technology Assessment<br />
[OTA77]in Kürze und ausführlich bei Scheinman [SCHE65] nachzulesen.<br />
Bei vielen der in diesem Kapitel zitierten Äußerungen fällt auf, wie wenig Bedeutung oft<br />
der Frage beigemessen wird, ob ein Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln<br />
aus Reaktorplutonium eine brauchbare Bombe bauen könnte. Meist wird nur auf Schwierigkeiten<br />
hingewiesen, die für subnationale Gruppen in ihrer Relevanz abgeschätzt werden<br />
- soweit Randbedingungen überhaupt angegeben sind. Alexander Roßnagel [ROSS83]<br />
machte 1983 darauf aufmerksam, daß bei Terroristen nicht nach deren Möglichkeiten zum<br />
Bau einer modernen Waffe gefragt werden darf, sondern gefragt werden muß, "welches für<br />
30
subnationale Gruppen die Mindestvoraussetzungen sind, um einen möglichst einfachen<br />
Atomsprengsatz herzustellen, wenn man ihren Mitgliedern eine entsprechende Motivation<br />
und Gefahrbereitschaft unterstellt."<br />
Die Elektrizitätswirtschaft selbst blieb in der Bundesrepublik von jeglichen Bedenken<br />
gegenüber der Etablierung einer Plutoniumwirtschaft unberührt. Mit Broschüren versuchte<br />
die Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft e.V. z.B. 1975 "durch Information<br />
Begriffe zu klären, Sorgen zu beseitigen und Verständnis zu wecken" [GRUP75],<br />
was sich dann folgendermaßen liest:<br />
"Für die Verwendung in Kernwaffen ist nur Pu-239 geeignet. Bei den für<br />
einen wirtschaftlichen Reaktorbetrieb erforderlichen langen Einsatzzeiten der<br />
Brennelemente im Reaktor (1 Jahr und länger) entstehen nun solche großen<br />
Mengen der nichtspaltbaren Isotope Pu-240 und Pu-242, daß eine waffentechnische<br />
Verwendung dieses "Reaktorplutoniums" unmöglich ist."<br />
Offensichtlich haben die Autoren übersehen, daß Plutonium-240 und Plutonium-242<br />
in Waffen durchaus spaltbar ist; Schwierigkeiten bereiten diese Isotope aus anderen<br />
Gründen. Selbst in einer neueren Auflage dieser Informationsschrift vom August ·1984<br />
[GRUP84; KFK76; KFK81 ] ist der oben zitierte Passus beibehalten worden. Lediglich<br />
der zweite zitierte Satz änderte sich insofern, als aus "unmöglich" "ungeeignet" wurde.<br />
Wir haben in dieser Arbeit bewußt darauf verzichtet, Protokolle des Deutschen Bundestages<br />
daraufhin durchzusehen, ob dort ein Konsens bezüglich. der Waffentauglichkeit<br />
von Reaktorplutonium besteht oder bestanden hat. Dies ist einer anderen Arbeit vorbehalten.<br />
Das Ergebnis dieses Kapitels zusammenfassend möchten wir feststellen:<br />
• Eine Diskussion in Forschungsberichten, auf Tagungen oder auch in Fachzeitschriften<br />
unter Wissenschaftlern der Bundesrepublik über eine eventuelle Waffentauglichkeit<br />
von Reaktorplutonium fand sehr viel später statt, als dies etwa in den USA<br />
der Fall war.<br />
• In den USA verstrichen einige Jahre, bevor eine solche Diskussion die Regierungsebene<br />
erreicht und dort zu entsprechenden Konsequenzen geführt hatte.<br />
• In der Bundesrepublik scheint dieser letztgenannte Prozeß noch nicht vollzogen zu<br />
seIn.<br />
31
2 Spezielle Probleme bei Umgang mit Reaktorplutonium<br />
für waffentechnische Zwecke<br />
2.1 Schießtechnik in Plutoniumbomben<br />
Im Manhattan-Projekt wurden zwei Schießtechniken untersucht: Der Zusammenschuß<br />
einzeln unterkritischer Massen zu einer einzigen überkritischen Masse (" Geschützmethode")<br />
und die "Implosions-Technik". Mit der Implosionstechnik sollte es möglich sein,<br />
eine Plutoniumkugel so schnell zu kompaktieren, daß eine Frühzündung durch Neutronen<br />
aus der Spontanspaltung des Plutonium-239 unwahrscheinlich würde.<br />
Bei der Implosion wird eine von Sprengstoff umgebene Plutonium-Hohlkugel kompaktiert<br />
und damit eine überkritische Konfiguration erreicht. Die Plutoniumkugel soll während<br />
der Implosion als Kugel kompaktiert werden; sie soll nicht durch ungleichmäßige Stoßwellen<br />
an ihrer Oberfläche von der Kugelgestalt abweichen. Wird eine Plutoniumkugel mit<br />
einer Sprengstoffschicht umhüllt und diese Schicht an einigen Stellen gezündet, so wird<br />
jedoch stets die Stoßwelle an bestimmten Punkten der Plutoniumkugel früher eintreffen<br />
als an anderen. Seaborg hatte bereits im März 1943 befürchtet, daß in Reaktoren erzeugtes<br />
Plutonium durch das möglicherweise intensiv spontanspaltende Isotop Plutonium-240<br />
mit der Geschützmethode nicht verwendbar sein könnte [HEWL62]. Mittels der Geschützmethode<br />
galten Kompaktierungsgeschwindigkeiten bis 3000 feet/s (914 m/s) als möglich<br />
[HAWK61]. An der Implosionstechnik war deshalb ab 1943 gearbeitet worden, ohne daß<br />
sie zunächst vielversprechend erschien. Ein erster Implosionstest ohne nuklearen Sprengstoff<br />
erfolgte am 4. Juli 1943 [HAWK61]. Nachdem im Sommer 1944 bekannt geworden<br />
war, daß Seaborg seine Befürchtungen zurecht geäußert hatte, wurde die Implosionstechnik<br />
forciert entwickelt, denn nur mit ihr konnte eine Plutoniumbombe noch realisierbar<br />
seIn.<br />
Sprengstoffe, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten detonieren, wurden deshalb so<br />
zusammengesetzt, daß die in einem Punkt an der äußeren Oberfläche der Sprengstoffschicht<br />
erzeugten Stoßwellen die Oberfläche der Plutonium-Hohlkugel an allen Punkten<br />
gleichzeitig erreichten ("Sprenglinsen") [TSIP83].<br />
Der erste nukleare Test fand am 16. Juli 1945 bei Alamogordo in der Wüste von New<br />
Mexico statt. Vor dem Test unterschätzten fast sämtliche beteiligten Wissenschaftler die<br />
erreichbare Sprengkraft [BLUM76; JUNG64].<br />
Die Sprenglinsentechnik ist heute auch im zivilen Bereich weit verbreitet. Meist soll bei<br />
ihrer Anwendung mit einer Punktzündung .eine ebene Stoßfront erreicht werden. Eine<br />
weitere Möglichkeit der Schockwellenformung neben der Verwendung mehrerer verschieden<br />
schnell detonierender Sprengstoffe ist der Einbau von Hohlräumen oder nichtexplodierenden<br />
Körpern in der SprengstofHadung [SeHA71]. Die nötigen physikalischen und<br />
32
chemischen Daten einer Vielzahl brisanter Sprengstoffe sind in einem Handbuch des Lawrence<br />
Livermore Laboratory [DOBR74] zugänglich.<br />
Häufig ist auf die große Zahl an Wissenschaftlern und Technikern des Manhattan-Projekts<br />
verwiesen worden, um so ungeheure Schwierigkeiten des Bombenbaus zu begründen. Es<br />
sollte jedoch nicht vergessen werden, daß dieser Personenkreis an vielen Problemen zu<br />
arbeiten hatte, die heute längst gelöst sind, wie z.B. an der Bestimmung von kritischen<br />
Massen oder Reaktionswirkungsqu.erschnitten usw. mit gemessen an heutigen Stand der<br />
Technik primitiven Methoden. Außerdem standen. damals keine leistungsfähigen Rechner<br />
zur Verfügung, so daß Theoretiker mit Berechnungen zu kämpfen hatten, die heute<br />
mittels einer Maschine innerhalb kürzester Zeit durchgeführt werden können.<br />
An dieser Stelle wollen wir noch einmal auf ein weitverbreitetes Mißverständnis aufmerksam<br />
machen. Es darf bei Betrachtungen zur Waffentauglichkeit nicht der Neutronenhintergrund<br />
von reinem Plutonium-239 und Reaktorplutonium verglichen werden (z.B.<br />
[SEIF84; NELS77]). Der Neutronenhintergrund unseres im Vorspann dieses Berichtes<br />
definierten Reaktorplutoniums ist in der Tat etwa 17000 mal größer als derjenige von<br />
reinem Plutonium-239. Vergleichen wir unser Reaktorplutonium jedoch mit dem Waffenplutonium<br />
niederer Qualität (7% 240PU), welches dennoch als Waffenplutonium gilt, so<br />
ist der Neutronenhintergrund des Reaktorplutoniums nur noch 4,6 mal so hoch.<br />
2.2 Aufbau der Pu-Isotope in Brennelementen und Neutronenhintergrund<br />
Für eine Abschätzung des Frühzündungsproblems relevant ist der Zusammenhang zwischen<br />
dem Abbrand der. Brennelemente und dem Neutronenhintergrund. Die Erbrütung<br />
von Plutonium-Isotopen aus 238U, sogenannte Inventarberechnungen, kann mit nichtlinearen<br />
gekoppelten Differentialgleichungen simuliert werden [FISH83,KIRC85]. Abb.1<br />
gibt eip.en schematischen Zusammenhang dieses Prozesses wieder. Durch den, von der<br />
Spaltung des 235U aufrechterhaltenen Neutronenfluß wandelt sich das 238U über mehrere<br />
Zwischenschritte (n-Einfang & ß-Zerfali) in 239pU um. Durch das Einfangen weitere<br />
Neutronen entstehen die "höheren" Plutonium-Isotope 240,241,242. Mit der aus der Inventarberechnung<br />
resultierenden Pu-Zusammensetzung und den unten aufgeführten spezifischen<br />
Neutronenraten kann der Neutronenhintergrund als Funktion des Abbrandes<br />
bestimmt werden.<br />
Isotop<br />
Neutronenrate s-lkg- 1<br />
Pu-238 Pu-239<br />
30<br />
33<br />
Pu-240 Pu-241<br />
o<br />
Pu-242
Um diesen Zusammenhang zu prüfen wurden anhand von Rechnungen von Kirchner et<br />
al. [KIRC85] eigene Abschätzungen vorgenommen und eine gegenüber (2) verbesserte<br />
Näherungsformel gefunden. Die Inventarberechnungen von Kirchner b'eruhen auf dem<br />
ORIGEN-Code [OakRidge Isotope Generation and Depletion Code], erweitert durch ein<br />
Programmpaket SAS2, das u.a. die durch Resonanzen stark zeitabhängigen effektiven<br />
Wirkungsquerschnitte berücksichtigt.<br />
Abb. 2 zeigt die Produktion der Pu-Isotope als Funktion des Abbrandes für U02 <br />
Brennelemente in DWR für mittleren Zielabbrand von 33 GWd/t bzw. für geplante<br />
Hochabbrandelemente bei 55 GWd/t. Die Anreicherungen betragen 3,2 % bzw. 4 %<br />
2 35 U, die mittleren Leistungsdichten 37,5 MW/t bzw. 41,25 MW/t. Beachtenswert ist<br />
die Abnahme des 239pU Anteils bei hohen Abbränden, durch die im Vergleich zu 235U<br />
dominierende Spaltrate, und die erhebliche 238pU Produktion.<br />
Abb. 3 zeigt die prozentuale Zusammensetzung der Plutoniums als Funktion des Abbrandes.<br />
In Abb. 4 sind die Neutronenproduktionsraten [WICK67] der Isotope und ihre Summe<br />
dargestellt. Die geradzahligen Isotope, insbesondere 240pU, dominieren aufgrund ihrer<br />
spontanen Zerfallsraten. Die Näherung nach Formel (2) überschätzt die Neutronenrate<br />
bei Abbränden unter 33 GWd/t bzw. unterschätzt sie für Abbrände über 33 GWd/t. Die<br />
Angaben zu Frühzündungswahrscheinlichkeiten bleiben bei Abbränden von 33 GWd/t<br />
unberührt.<br />
Die Schraffierung deutet den Bereich an, in dem das sogenannte weapon grade Plutonium<br />
erbrütet wird. Die Brennelemente weisen einen Abrand von maximal 5 GWdjt auf. Dies<br />
bedeutet eine Verweilzeit der Brennstäbe von nur einigen 100 Tagen im Reaktor.<br />
35
2.3 Die Neutronenquelle zur Einleitung einer Kettenreaktion<br />
Im Zeitpunkt maximaler Überkritikalität - während einiger Millionstel Sekunden - muß<br />
ein Neutron die gewünschte Kettenreaktion im Plutonium einer Kernwaffe einleiten. Bei<br />
der ersten Implosionsbombe wurde eine kugelförmige Kapsel, die Polonium- und Berylliumpulver,<br />
getrennt durch eine Folie, im Innern der Plutonium-Hohlkugel enthielt,<br />
im Augenblick maximaler Überkritikalität zerquetscht. Dabei vermischten sich die beiden<br />
Pulver und die Reaktion 9Be(a,n) 12 C lieferte einen Neutronenstoß [BARN79]. (Das<br />
Polonium-210 war durch Neutronenbeschuß von Wismuth-209 im Clinton Pile gewonnen<br />
worden). Die Quellstärke einer Polonium-210-Beryllium-Quelle liegt bei etwa 2,5 . 10 6<br />
Neutronen pro Sekunde und Curie Polonium [JAEG74]; die spezifische Aktivität von<br />
Polonium-210 beträgt 4600 Curie (1, 7 . 10 14 Bq) pro Gramm. Mit einem Milligramm<br />
Polonium-210 lassen sich also bereits 1,2· 10 7 Neutronen pro Sekunde generieren, was<br />
als Quellstärke.im Innern der Plutoniumkugel ausreichen würde. Die Zündung mittels<br />
Polonium-Beryllium-Quelle ist eine relativ primitive Methode. Ein elektronischer Neutronengenerator<br />
mit Tritium-Deuterium-Target kommt ebenfalls als Neutronenquelle in<br />
Betracht. Ist bei einer vorgegebenen Schießtechnik eine Frühzündung durch ein Neutron<br />
aus spontaner Spaltung des Plutoniums oder durch eine (a, n)-Reaktion an Verunreinigungen<br />
des Plutoniums äußerst wahrscheinlich, kann auf die zusätzliche Neutronenquelle<br />
ohnehin verzichtet werden.<br />
2.4 Hantierung von Reaktorplutonium<br />
2.4.1 Dosisbelastung durch radioaktive Strahlung<br />
10 kg typisches Leichtwasserreaktor-Plutonium (1,5 % 238pu; 56,5 % 239pU; 26,5 % 240pu;<br />
11,5 % 241pU; 4,1 % 242PU) erzeugen nach Campbell und Gift [CAMP78] in 30,5 cm Abstand<br />
eine Dosisleistung von 1,56 mSv/h (156 mrem/h). Innerhalb eines Jahres nach<br />
Abtrennung des Plutoniums aus abgebrannten Brennelementen steigt die Dosisleistung<br />
auf 1,74 mSv/h (174 mrem/h). Den größten Beitrag liefern dabei die Neutronen der<br />
spontanen Spaltung. Bei Verunreinigungen mit leichten Elementen beziehungsweise bei<br />
Plutoniumdioxid können aber auch die Neutronen aus (a, n)-Reaktionen für die Ortsdosisleistung<br />
entscheidend sein [ARN058]. Selbst bei einer Konzentration von 18,5 % des<br />
sehr a-aktiven Isotops Plutonium-238 betrüge nach Campbell und Gift [CAMP78] die<br />
Gesamtdosisleistung von 10 kg Plutoniumdioxid in 30,5 cm Abstand nicht mehr als 8,5<br />
mSv/h (850 mrem/h). Die von Campbell und Gift angegebenen Werte enthalten keine<br />
Röntgen- und ß-Strahlung und keine 'j'-Strahlung aus spontaner Spaltung; diese Strahlungen<br />
spielen im betrachteten Abstand keine wesentliche Rolle [ROES58].<br />
38
Eine 1-kg-Kugel metallischen Waffenplutoniums (93 % 239 PU; 7 % 240PU) weist laut International<br />
Atomic Energy Agency [IAEA74] eine Dosis auf der Oberfläche von etwa 18<br />
mSv/h (1800 mrem/h) [Röntgenstrahlung 13 mSv/h; I-Strahlung 3 mSv/h; Neutronenstrahlung<br />
2 mSvIh] auf.<br />
Für Reaktorplutonium (1,5 % 238pU; 58,6 % 239pU; 23,8 % 240pU; 11,0 % 241pU; 4,8 %<br />
2 42 pU ) wären es 137 mSvIh (13700 mrem/h) unter Vernachlässigung der I-Strahlung<br />
(Röntgenstrahlung 108 mSvIh; I-Strahlung 3 mSvIh; Neutronenstrahlung 10 mSvIh),<br />
also das 7,6-fache der Dosisleistung des Waffenplutoniums. Mit zunehmendem Abstand<br />
von der Oberfläche schrumpft dieser Unterschied, da die Röntgenstrahlung kurzer Reichweite<br />
überproportional zur Erhöhung des Strahlenpegels von Reaktorplutonium relativ<br />
zu Waffenplutonium beiträgt. Für 10-kg-Kugeln ist eine Dosisleistung deutlich unterhalb<br />
des 10-fachen der oben angegebenen Werte zu erwarten, da die Selbstabsorption des<br />
Plutonium-Metalls nicht unberücksichtigt bleiben kann.<br />
Ein akutes Strahlensyndrom wird im allgemeinen erst ab 1 Sv (100 rem) Ganzkörperbestrahlung<br />
erwartet. Bei niedrigerer Strahlenbelastung ist nicht mit hervorstechenden<br />
klinischen Symptomen zurechnen und Organschädigungen wären nur im Labor mittels<br />
besonderer Untersuchungsmethoden nachweisbar. Bis zu einer Ganzkörperbestrahlung<br />
von 2 Sv (200 rem) gilt eine Erholung noch als wahrscheinlich [MOEH72]. Somit werden<br />
selbst ohne Abschirmmaßnahmen bei vorsichtigem Umgang mit Reaktorplutonium akute<br />
Strahlensyndrome nicht auftreten. Ein darauf folgender Spätschaden muß insbesondere<br />
bei Terroristen nicht als Hinderungsgrund am Umgang mit Reaktorplutonium angesehen<br />
werden.<br />
2.4.2 Wärmeentwicklung durch Radioaktivität<br />
Die einzelnen Plutoniumisotope zeigen eine unterschiedliche Wärmeleistung [ALKE82]:<br />
Isotop<br />
Wärmeleistung W Ikg<br />
Pu-238 Pu-239 Pu-240 Pu-241<br />
560 1,9 6,85 4,23<br />
Pu-242<br />
0,115<br />
Daraus ergeben sich bei in Waffen eingesetztem Plutonium (6% 240PU) etwa 2,2 WIkg<br />
gegenüber etwas mehr als 10 W Ikg bei Reaktorplutonium. Die Wärmeleistung von Reaktorplutonium<br />
ist also etwa 5mal größer als diejenige von Waffenplutonium. Die Abhängigkeit<br />
der Wärmeproduktion vom Abbrand zeigt Abb. 5. Bei Abbränden über 14 GWd/t<br />
wird die Wärmeleistung hauptsächlich durch 238pU bestimmt. Bei einer Pu Menge von<br />
6.1 kg entspricht die Wärmeleistung für 33 bzw. 55 GWd/t ca. 60 Watt bzw. 120 W,<br />
d.h. üblicher Glühbirnen. Eine Kugel von 6 kg Reaktorplutonium ohne Sprengstoffmantel<br />
erreicht, bei Naturkonvektion an Luft eine Übertemperatur von ca. 100 0 e [NELS77].<br />
39
entzündung des Plutoniums verhindert werden. Kühlung und Inertgas sind kein Problem,<br />
solange das Plutonium nicht in einen Kernsprengsatz eingebaut ist. Stout [STOU61] gab<br />
eine Reihe von Ratschlägen, die auf in Los Alamos gesammelten Erfahrungen beruhen,<br />
wie die Gefahr eines Plutoniumbrandes minimiert werden kann und welche Möglichkeiten<br />
bestehen, einen Brand zu löschen (siehe auch [IAEA74]). Schwierigkeiten können<br />
darüberhinaus durch eine allmähliche Oxidation des Metalls auftreten. Nach Sackman<br />
[SACK61] oxidiert Plutoniummetall an der Oberfläche zunächst zu PuO (es bildet sich<br />
eine schwarze Schicht), an der Oberfläche dieses PuO weiter zu PU02 (gelbe Schicht).<br />
Eine Oxidation findet aber kaum in trockener Luft statt und es wurden in Los Alamos<br />
beste Erfahrungen bei der Lagerung und Handhabung von Plutoniummetall in frei zirkulierender<br />
trockener Luft gemacht [WICK67]; eine bloße Oxidation an der Oberfläche wirkt<br />
ohnehin nicht sonderlich störend. Durch eine Stabilisierung der sogenannten 8 -Phase des<br />
Plutoniummetalls, wie sie in Kernwaffen durch Legierung mit wenigen Prozent Gallium<br />
erreicht wird [COCH84], kann die Korrosionsbeständigkeit wesentlich verbessert werden<br />
[WICK67]. In der 8 -Phase zeigt Plutoniummetall die größte Bereitschaft, legierende<br />
Elemente aufzunehmen, z.B. bei Zimmertemperatur 8 Atom-% Gallium, bei höheren<br />
Temperaturen 12,5 Atom-% [TAUB74]. In Experimenten wurde an einer mit 3,5 Atom<br />
% Gallium legierten Folie nach 2 1/2 Jahren in Laborluft und an einer mit 6 Atom-%<br />
legierten Folie nach 6 Jahren noch keine signifikante Qualitätseinbuße durch Oxidation<br />
beobachtet [WICK67]. Die Herstellung von Plutonium-Gallium-Legierungen ist in der<br />
öffentlich zugänglichen Literatur ausführlich beschrieben [BLAN62; WICK67].<br />
41
2.5 Einflüsse von Reaktorplutonium auf eine Sprengstoffiadung<br />
2.5.1 Einflüsse radioaktiver Strahlung<br />
Für den Einsatz in den ersten Atombomben wurde in Los Alamos vor allem mit dem<br />
Sprengstoff Oomposition B experimentiert, seltener auch mit Torpex, Pentolit, Baronal<br />
und Baratol (HAWK61]. Bis Mitte der fünfziger Jahre wurde in den USA sowohl<br />
aus Sicherheits- als auch aus Sicherungsgründen der Spaltstoff von Kernwaffen getrennt<br />
vom Rest der Waffe aufgehoben [COOH84]. Das Problem eventueller langfristiger Strahlenschäden<br />
am konventionellen Sprengstoff stellte sich auf diese Weise nicht. Dennoch<br />
wurden schon früh Bestrahlungsexperimente brisanter Sprengstoffe durchgeführt, von<br />
denen einige mit ihren Ergebnissen in Kürze vorgestellt werden sollen.<br />
1948 wurden in Oak Ridge und Los Alamos 5-g-Proben der Sprengstoffe RDX, Tetryl,<br />
TNT und Oomposition B mit 8,6 .10 6 Röntgen in 10 Tagen bestrahlt, in Aberdeen u.a.<br />
TNT, Pentolit, Oomposition B, Tetrytol, Tetryl und Bleiazid mit 4,32 . 10 4 Röntgen<br />
innerhalb einer Stunde [ROSE55]. In allen Fällen konnten keine wesentlichen Veränderungen<br />
der Sprengstoffe beobachtet werden. Experimente mit einer großen Zahl weiterer<br />
Sprengstoffe und hohen I-Dosen folgten. Bei einer Probe von 5 g TNT fand sich nach<br />
einer Bestrahlung mit etwa 2.10 8 Röntgen keine nennenswerte Änderung von Schmelzpunkt,<br />
Zündbarkeit oder Sprengkraft. Ähnliche Ergebnisse wurden bei RDX, Tetryl und<br />
Bleistyphnat festgestellt [ROSE55; KAUF58].<br />
Bowden und Singh [BOWD54] setzten Sprengstoffe hochenergetischen Elektronen, langsamen<br />
Neutronen, Spaltprodukten und Röntgenstrahlung aus, wobei im Vordergrund<br />
die Erforschung der Zündbarkeit durch Bestrahlung stand. Nach einer sogenannten "hot<br />
spot"-Theorie {siehe z.B. (PHUN70]), sollten viele Sprengstoffe dann explodieren, wenn<br />
ein Bereich von 0.1 - 10 f-tm Durchmesser eine Temperatur von 400 - 500 °0 erreicht. Der<br />
Sprengstoff muß dann zur Zündung nicht einheitlich auf seine Zündtemperatur erhitzt<br />
werden. Während der Bestrahlung wurden die Sprengstoffe zusätzlich auf Temperaturen<br />
bis 290 oe aufgeheizt. Bleiazid und Calciumazid konnten bei Bestrahlung mit einigen 10 7<br />
langsamen Neutronen je cm 2 und Sekunde und Temperaturen bis 290°0 nicht zur Detonation<br />
gebracht werden [BOWD54; BOWD58]. Groodcock [GR0058] setzte 2-mg-Proben<br />
a-Bleiazid 1-MeV-Röntgenstrahlung und Reaktorstrahlung aus. Die Röntgenstrahlung<br />
führte erst ab 10 4 Röntgen zu Änderungen der Detonationseigenschaften des Sprengstoffs;<br />
die Reaktorstrahlung führte auch bei der höchsten verwendeten Dosis von 10 7<br />
Röntgen zu keinen derartigen Veränderungen.<br />
Mit Neutronen- und I-Strahlung eines Reaktors bestrahlten Urizar und Mitarbeiter<br />
(URIZ62] 3-g-Proben von TNT, Tetryl, NO, RDX, HMX, PETN und vier Mixturen.<br />
Bis 5 . 10 6 Röntgen beobachteten sie nur geringe, bei 2.10 8 Röntgen jedoch teilweise erhebliche<br />
Änderungen der Sprengstoffeigenschaften. Mit Hilfe einer kritischen Anordnung<br />
42
testeten sie ebenfalls Auswirkungen extrem hoher, jedoch kurzzeitiger Neutronenflüsse<br />
auf TNT, HMX und 3 Mixturen. Eine Bestrahlung mit 5 . 10 3 Röntgen innerhalb von 90<br />
J.Ls führte weder zur Explosion noch zu bemerkenswerten Schäden an den Sprengstoffen.<br />
Ergebnisse von Bestrahlungsversuchen an organischen Stoffen - u.a. Sprengstoffen - wurden<br />
1963 von Bolt und Carrol [BOLT63] in einem Buch zusammengefaßt.<br />
Ein Vergleich mit den in Kapitel 2.4.1. zitierten Oberflächendosisleistungen von Reaktorplutonium<br />
zeigt, daß eine Schädigung des Sprengstoffs durch die Strahlung des Plutoniums<br />
auch binnen Jahren nicht zu erwarten ist. (Zu beachten ist die abschirmende<br />
Wirkung eines Uranreflektors.)<br />
2.5.2 Einflüsse der Wärmeleistung<br />
Angaben über die Wärmeleistung von Reaktorplutonium wurden bereits in Kapitel 2.4.2.<br />
gemacht. Hier soll untersucht werden, welche Temperaturen sich dadurch in der Sprengstoffbeladung<br />
einer Kernwaffe einstellen. Dazu müssen Annahmen bezüglich der Plutoniummenge,<br />
der Dicken von Reflektor, Sprengstoffschicht und äußerer Hülle, sowie Annahmen<br />
zur Wärmeleitfähigkeit der einzelnen Komponenten getroffen werden. Ausgehend<br />
vom Fourierschen Gesetz läßt sich die durch eine Hohlkugelschale fließende Wärmemenge<br />
berechnen [MICH64]. Bei Übertragung auf ein System konzentrischer Hohlkugelschalen<br />
ist dann im stationären Fall die durch die einzelnen Schichten fließende Wärmemenge<br />
gleichzusetzen. Für Massen von 10 kg Reaktorplutonium fanden wir unter Zugrundelegung<br />
zweier verschiedener Geometrien (siehe auch Abb. 6 Temperaturprofile):<br />
äußerer Radius der Plutoniumkugel 5,6 cm 8cm<br />
äußerer Radius des Uranreflektors 7cm 15 cm<br />
äußerer Radius der Sprengstoffschicht 66 cm 66 cm<br />
äußerer Radius des Gehäuses (hat nur<br />
marginalen Einfluß) 70 cm 70 cm<br />
maximale Temperaturerhöhung des Sprengstoffs<br />
gegen Umgebungstemperatur 280 K 115 K<br />
Dies zeigt, daß auch ohne aktive Kühlung die maximale Temperatur des Sprengstoffs in<br />
unkritischen Bereichen gehalten werden kann. Es ist lediglich erforderlich, beim Design<br />
den Aspekt der Wärmeentwicklung zu berücksichtigen. Als Wärmeleitfähigkeit haben<br />
wir für den Sprengstoff den Wert 0,4 W/mK gewählt, welcher dem brisanten Sprengstoff<br />
HMXentspricht. HMX hat neben einer hohen Detonationsgeschwindigkeit und einer hohen<br />
spezifischen Energie den Vorteil eines relativ hohen Schmelzpunktes (285 - 287 °C)<br />
[DOBR74]. Bei der Wahl der angenommenen Sprengstoffmenge orientierten wir uns an<br />
43
um Faktoren 2-3 reduziert werden. Ist diese Kugel von einem 0.5 cm U-Mantel, dieser<br />
von 9 cm Sprengstoff und dieser von einem 0.5 cm starken Stahlmantel umgeben, so<br />
erhält man die Temperaturprofile von Abb.6. Diese fiktive Anordnung mit den als ideal<br />
angenommenen Wärmekontakten soll lediglich die Problematik der Verwendung von Reaktorplutonium<br />
verdeutlichen. Es sei darauf hingewiesen, daß die Übertemperaturen bei<br />
Hochabbrandelementen etwa das doppelte gegenüber denen in Abb.6 betragen. Ohne<br />
Zwangskühlung würden sich die Temperaturen dem Schmelzpunkt des relativ temperaturbeständigen<br />
Sprengstoffes HMX näheren. Die schlechte Wärmeleitung des Sprengstoffes<br />
bewirkt das Aufheizen der Plutoniumkugel. Andererseits sind die Zeitkonstanten für<br />
den Temperaturaufbau relativ lang , sodaß eventuell eine Assemblierung einer vorher<br />
gekühlten Pu-Kugel denkbar wäre. In jedem Fall wird allein an dem Temperaturproblem<br />
deutlich, daß Reaktorplutonium im militärischen Bereich kaum von Interesse sein dürfte,<br />
solange Plutonium von Reaktorelementen mit niedrigen Abbrand, also geringem 240pu_<br />
und 238Pu-Anteil, zur Verfügung steht und erschwinglich ist.<br />
Der Schmelzpunkt von Plutoniummetall beträgt etwa 640°C [WICK67], wird also in<br />
diesen beispielhaften Anordnungen nicht erreicht.<br />
2.6 Wiederauflindbarkeit von Reaktorplutonium durch seine<br />
Strahlung<br />
Von einer Chance der Entdeckung entwendeten Plutoniums könnte gesprochen werden,<br />
wenn an der Außenwand des Gebäudes, in dem das Plutonium versteckt gehalten wird,<br />
dieses innerhalb einer vernünftigen Meßzeit durch seine Strahlung nachzuweisen wäre.<br />
Für einen solchen Nachweis käme insbesondere die Neutronenstrahlung in Frage. Ein<br />
raumsparender mehrschichtiger Neutronenschild zur Abschirmung schneller Neutronen<br />
kann aus vier Schichten aufgebaut werden:<br />
1. Material mittlerer oder großer Kernladungszahl - z.B. Schwermetall - zur Reduzierung<br />
der Neutronenenergie mittels unelastischer Streuung.<br />
2. Material kleiner Kernladungszahl - z.B. Polyäthylen, Paraffin, Wasser, Graphit <br />
zur Reduzierung der Neutronenenergie mittels elastischer Streuung.<br />
3. Material mit großem Einfangquerschnitt zur Absorption der thermalisierten Neutronen<br />
- z.B. Cadmium, borhaltiger Stahl.<br />
4. Material großer Kernladungszahl - z.B. Schwermetall - zur Absorption der beim<br />
Neutroneneinfang abgestrahlten ,-Strahlung [SAUT83].<br />
45
Als Plutoniummasse nehmen wir 7 kg Reaktorplutonium an, was eine Ausstrahlung von<br />
etwa 2· 10 6 Neutronen je Sekunde bedeutet. Neutronen aus der Spontanspaltung des<br />
Plutonium-240 bzw. Plutonium-242 besitzen eine mittlere Energie von 1,7 MeV bzw. 1,8<br />
MeV [SMIT72]. Würde das Plutonium 2 m von einer 1,5 m dicken Betonwand entfernt<br />
gelagert, so betrüge die Neutronenflußdichte am Ende dieser Betonschicht schon aus rein<br />
geometrischen Gründen - unter Vernachlässigung der Streuung - noch 1,3 Neutronen je<br />
Sekunde und cm 2 • Im Beton und einer eventuell vorgelagerten Schicht Blei würden die<br />
Neutronen bald thermalisiert. 1,5 m Normalbeton reduzieren den Fluß von Spaltneutronen<br />
bereits um mehr als 5 Größenordnungen (Ausscheidequerschnitt laut [SCHM70]). Ist<br />
der verfügbare Raum ungewöhnlich beengt, könnte eine Abschirmung aus Blei, Beton und<br />
Boral oder Cadmium-Blei-Blech gewählt werden. Mit Hilfe eines 13 mm dicken Bleches<br />
aus Blei mit 5 % dispergiertem Cadmium würde der thermische Neutronenfluß auf 1/500<br />
[JAEG60], durch ein 4,45 mm dickes Boral-Blech (30% B4C) auf 1/1000 [PRIC57] und<br />
ein 6,5 mm dickes Boral-Blech (35% B 4C) auf 10- 8 [JAEG60] geschwächt. Ein 3,2 mm<br />
dickes Boral-Blech (35 % B4 C) schwächt thermischen Neutronenfluß auf 10- 4 [ROCK56].<br />
Bor hat gegenüber anderen Abschirmmaterialien den Vorzug, keine harte ,-Strahlung<br />
bei der Absorption thermischer Neutronen auszusenden; die sekundäre ,-Strahlung liegt<br />
unter einer Energie von 500 keV [ROCK56]. Dies zeigt, daß es mit einigermaßen geschickt<br />
gewählten Abschirmmaterialien durchaus möglich ist, den Neutronenfluß aus entwendetem<br />
Reaktorplutonium an der Außenwand des Verstecks auf in der Praxis nicht mehr<br />
nachweisbare Werte zu reduzieren.<br />
2.7 Gründe der Kernwaffenstaaten für die Verwendung von<br />
Waffenplutonium<br />
1945 nahmen die USA mit 3 Reaktoren in Hanford eine großangelegte Plutonium-Produktion<br />
auf. 1954 waren in Hanford bereits 6 Reaktoren und in Savannah River 2 Reaktoren in<br />
Betrieb. 1964 liefen schließlich in Savannah River und Hanford insgesamt 14 Reaktoren.<br />
Zu dieser Zeit hatten die USA einen so großen Vorrat an spaltbarem Material für Waffenzwecke<br />
angehäuft, daß ihr damaliger Präsident Lyndon B. Johnson dessen Produktion<br />
einschränken ließ; die USA ergänzten ihr Atomwaffen-Arsenal nicht mehr mit hochangereichertem<br />
Uran und die Plutonium-Produktion wurde drastisch heruntergefahren. Die<br />
Zahl der zur Erzeugung von Plutonium betriebenen Reaktoren nahm ständig ab; 1984<br />
waren noch 1 Reaktor in Hanford und 3 in Savannah River in Betrieb [HIPP85]. Der<br />
jüngste dieser Reaktoren ist der 1962 in Auftrag gegebene Mehrzweckreaktor Hanford<br />
N, der neben Plutonium auch elektrische Energie (860 MWe) liefert, und der 1966 den<br />
Betrieb aufnahm [HIPP85; KEMP85].<br />
In den USA wurde im Dezember 1957 mit dem Shippingport Reactor (72 MWe) der er-<br />
46
ste Reaktor in Betrieb genommen, der ausschließlich der kommerziellen Stromerzeugung<br />
dienen sollte. Zu dieser Zeit waren 13 Reaktoren in den USA zur Plutonium-Erzeugung<br />
eingesetzt; mehr als 14 Reaktoren sind zu diesem Zweck in den USA niemals gleichzeitig in<br />
Betrieb gewesen. Das bedeutet, daß zu der Zeit, als die kommerzielle Nutzung der Atomenergie<br />
begann, das Potential an Reaktoren zur Waffenplutonium-Erzeugung in den USA<br />
bereits voll ausgebaut war; der letzte noch neu gebaute Plutonium-Erzeugungs-Reaktor<br />
- Hanford-N war bereits mit zur Stromerzeugung bestimmt. Auch als in einem Test<br />
die Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium nachgewiesen worden war, sprachen noch<br />
schwerwiegende Gründe gegen eine nachträgliche Umstellung des Rüstungsprogramms<br />
auf Reaktorplutonium:<br />
• Reaktoren zur Erzeugung von Waffenplutonium liefen bereits in nötiger Anzahl.<br />
• Wiederaufarbeitung und waffentechnische Verwendung von Reaktorplutonium hätten<br />
enorme Umrüstungskosten wenn nicht gar Neubauten der Wiederaufarbeitungsanlagen<br />
und der Waffenlabors erfordert, da die Aufarbeitung höher abgebrannter<br />
Brennelemente schwieriger ist und bei Reaktorplutonium zusätzliche Strahlenschutzmaßnahmen<br />
erforderlich gewesen wären. Laut Donald Kerr, Direktor des<br />
Los Alamos National Scientific Laboratory, sollte die Strahlenbelastung des Personals<br />
noch 1980 durch weiter erniedrigten Plutonium-240-Gehalt reduziert werden<br />
[KERR80]. Die einzige in den USA jemals betriebene kommerzielle Wiederaufarbeitungsanlage,<br />
West Valley, arbeitete lediglich von 1966 bis 1972. In dieser Zeit<br />
setzte sie etwa 600 t abgebrannter Brennelemente durch, von denen 390 t, mit einem<br />
Abbrand von weniger als 1000 MWd/tU, aus dem Reaktor Hanford-N entnommen<br />
waren [NWG82].<br />
• Der Plutoniumpreis fällt bei den Gesamtkosten moderner Raketen und Marschflugkörper<br />
ohnehin nicht ins Gewicht.<br />
• Die modernen Waffendesigns waren speziell für Waffenplutonium entwickelt worden<br />
[MARK71]; Umstellung auf Reaktorplutonium hätte die Überarbeitung der<br />
Designs erzwungen.<br />
• Die Zielgenauigkeit der Waffen war immer weiter verbessert worden, um mit minimalem<br />
Einsatz an Raketen und größtmöglicher Wahrscheinlichkeit wichtige Ziele<br />
potentieller Gegner zu zerstören. Eine nicht exakt voraussagbare Sprengkraft wäre<br />
diesen Bemühungen zuwidergelaufen, da eine unsichere Sprengkraft faktisch einer<br />
schlechteren Zielgenauigkeit entspricht und das Problem des sogenannten"Brudermordes"<br />
bei salvenartigem Beschuß erhöht.<br />
47
• Die mit Reaktorplutonium etwas größeren und schwereren Waffen hätten die angestrebte<br />
Miniaturisierung z.B. in Mehrfachsprengköpfen erheblich gestört.<br />
In Großbritannien wurden bereits die ersten Reaktoren zur Erzeugung von Waffenplutonium<br />
auch zur Stromerzeugung benutzt. Die zunächst rein militärische Wiederaufarbeitungsanlage<br />
in Windscale wurde erst 1964 um einen kommerziellen Bereich erweitert.<br />
Die britischen Gas-Graphit-Reaktoren erbrachten ein für waffentechnische Zwecke besser<br />
geeignetes Plutonium, als es in Leichtwasserreaktoren erzeugt wird, bei gleichzeitig<br />
höherer Bildungsrate.<br />
In Frankreich waren ebenfalls die ersten Reaktoren Gas-Graphit-Reaktoren, die neben<br />
Plutonium für militärische Zwecke Strom produzierten [GSP083]. Sowjetische Reaktoren<br />
erlauben die Entnahme von Brennelementen während des Betriebs. Auf diese Weise kann<br />
bei andauernder Stromerzeugung Waffenplutonium aus kurz bestrahlten Brennelementen<br />
gewonnen werden. Indien trennte sein erstes Plutonium wahrscheinlich aus Brutelementen<br />
eines schwerwasser-moderierten Reaktors ab [NWG82].<br />
Eine Entscheidung für oder wider Reaktorplutonium für waffentechnische Zwecke könnte<br />
in anderen Staaten zugunsten des Reaktorplutoniumsgetroffen werden, falls insbesondere<br />
• die Technik des Leichtwasserreaktors etabliert ist,<br />
• eine Anlage zur Aufarbeitung von Reaktorplutonium existiert,<br />
• mit der Entwicklung von Kernwaffen erst begonnen wird (Einrichtung der Labors,<br />
Entwicklung der Designs),<br />
• zunächst statt modernster Raketen eine große Zahl von Atombomben zur Verfügung<br />
stehen soll. Bereits durch den Besitz einiger weniger Atombomben ändert sich der<br />
politische Stellenwert eines Staates gewaltig.<br />
Für Terroristen, die sich in den Besitz bereits abgetrennten Plutoniums bringen können,<br />
spielen Fragen der Vorhersagbarkeit, des Gewichts und der Größe ihrer Waffen überhaupt<br />
keine Rolle. Wichtig kann ihnen nur eine ausreichende Mindestsprengkraft und die Transportierbarkeit<br />
ihrer Waffe auf einem LKW sein. Diese Ziele sind jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit<br />
mit Reaktorplutonium zu erreichen.<br />
48
3 Abschätzungen zur Frühzündungswahrscheinlichkeit<br />
In diesem Kapitel soll derWissensstand im Hinblick auf die Funktionsweise der Spaltbombe<br />
und das Frühzündungsproblems in der öffentlich zugänglichen Literatur zusammengefaßt<br />
werden. Zugleich soll damit eine Präzisierung der oben zitierten Angaben zur<br />
Statistik der Energiefreisetzung (Yield) erreicht werden. Hierbei soll exemplarisch nur<br />
die Spaltbombe im 20 kT TNT Bereich betrachtet werden. Einmal sind nur für diese<br />
Bombe vom Trinity-Test und von Nagasaki her einige technische Angaben zugänglich,<br />
zum anderen dürfte sie als Zünder für Fusionsbomben oder fusionsverstärkte Bomben<br />
von besonderem Interesse sein. Es sei auch an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen,<br />
daß alle Aussagen lediglich auf theoretischen Abschätzungen beruhen. Experimente<br />
im nichtnuklearen Bereich insbesondere zur Implosionstechnik wären in der Bundesrepublik<br />
sicher durchführbar und würden die Güte der Abschätzungen erheblich verbessern.<br />
Folgende technische Angaben zu den genannten Bomben sind öffentlich zugänglich:<br />
• Die Plutoniumbomben vom Trinity-Test und von Nagasaki sollen 6.1 kg 239pU enthalten<br />
haben [COCH84] .<br />
• Die " Sprengkraft" (Yield) soll bei beiden etwa 22 kT TNT betragen haben. Die<br />
große Varianz von cc. 30 % ist in diesem Zusammenhang unerheblich [COCH84] .<br />
• Oppenheimer soll die Wahrscheinlichkeiten für die Sprengkraft für die Trinity Bombe<br />
folgendermaßen abgeschätzt haben:<br />
Die V/ahrscheinlichkeit den vollen Yield zu erreichen kann bei 88 % liegen. Die<br />
Wahrscheinlichkeit einer Frühzündung, also ein Yield unter dem Maximalwert, liegt<br />
dementsprechend bei 12 %. Tritt eine Frühzündung ein, so ist mit 6% Wahrscheinlichkeit<br />
eine Ausbeute unter 5 kT zu erwarten und mit 2% eine Ausbeute unter 1<br />
kT. (in [COCH84] falsch zitiert, da auf die Hiroshima Bombe bezogen.)<br />
• Ferner gibt es den Hinweis [ALBR84], daß die gleiche Anordnung mit Reaktorplutonium<br />
und heutiger Schießtechnik eine Ausbeute von mindestens 1 kT erzielen<br />
würde.<br />
49
Die nun folgende Abschätzung basiert auf den Arbeiten von Locke und Leuthäuser<br />
[LEUT75;LOCK74;LOCK82] und dort zitierte Publikationen, auf die im einzelnen nicht<br />
weiter hingewiesen wird. Lediglich die neu hinzugekommenen Auswertungen sind durch<br />
einen Stern (*) gekennzeichnet. Mit Hilfe dieser Angaben wird es möglich sein, eine<br />
grobe Abschätzung der schon 1945 erzielten, aber unveröffentlichten, Kompaktierungsgeschwindigkeiten<br />
zu erhalten und eine parametrische Beschreibung der recht komplexen<br />
Zusammenhänge zu erreichen.<br />
Wie oben mehrfach betont, ist die Frühzündung durch die Neutronen bedingt, die in erster<br />
Linie von den"schwereren" geradzahligen Pu-Isotopen, 240 und 242 durch Spontanspaltung<br />
und durch 0: -Zerfall induzierte (0:, n) Reaktionen hervorgerufen werden. Eine hier<br />
ausreichende Abschätzung des Neutronenhintergrundes S einer Masse M [kg] als Funktion<br />
des Abbrandes bis max. 33 GWd/t liefert GI. 3 aus Kapitel 2.2:<br />
S = [56600· (1 - e- A / 3 . 8 ) + 8320 . A] . M N euironen/s * (1)<br />
Ferner sei angenommen, daß die Verunreinigungen durch leichte Elemente, wie z.B. Be,<br />
hinreichend gering sind und das Plutonium nicht in oxidischer Form vorliegt, sodaß über<br />
(0:, n) Reaktionen kein nennenswerter Beitrag zum Neutronenhintergrund hinzukommt.<br />
Folgende Daten für 239pu, gemittelt über den Energiebereich von 0.82 bis 2.23 MeV im<br />
Neutronenfl.uß, werden verwendet :<br />
v = 3.08 Zahl der Neutronen/Spaltung<br />
Uf = 1.90b Spaltquerschnitt<br />
Ua = 2.30b Absorptionsquerschnitt<br />
Utr = 5.0b Transportquerschnitt<br />
e = (Utr + VUf - Ua)/O'tr relativer Spaltquerschnitt c-1.72<br />
"Etr - O'trNL/239p = 3.011M/R 3<br />
reziproke Transportlänge [em, kg]<br />
v = 13.8em/shake effektive Neutronengeschwindigkeit, shake=10- 8 s<br />
Zunächst soll die Reaktivität einer Pu-Kugel vom Radius R berechnet werden. Es ist<br />
von Vorteil, diese durch das Rossi-o: auszudrücken. Das Rossi-o: ist durch Parameter, wie<br />
Abmessung, Material, Dichte des Spaltstoffes und deren zeitliche Entwicklung bestimmt.<br />
Weiterhin ist 0: über ßk = 0:1 mit dem Vermehrungsfaktor ßk und der Lebensdauer<br />
1 verknüpft. Mit Hilfe des extrapolierten Radius einer Spaltkugel Re = e"EtrR + 0.7104<br />
erhalten wir:<br />
50<br />
(2)
Die in diesem Kapitel durchgeführten Abschätzungen zeigen die kritische Abhängigkeit<br />
der Sprengkraft von der Kompaktierungszeit. Wie die Abbildungen 13 & 14 deutlich machen,<br />
sind die Aussagen zur Wahrscheinlichkeitsverteilung außerordentlich komplex. Für<br />
die Konstruktion einer Spaltbombe aus Reaktorplutonium ist die hohe Kompaktierungsgeschwindigkeit<br />
von entscheidender Bedeutung. Nach den vorliegenden Daten scheint<br />
dieses kein grundsätzliches Problem zu sein. Von großer Wichtigkeit ist die Existenz einer<br />
Mindestsprengkraft, deren Größe im Bereich einiger kT TNT liegt. Unserer Meinung<br />
nach hebt die Existenz einer Mindestsprengkraft, auch wenn sie nur im kT Bereich liegt,<br />
die oft betonte inherente Proliferations-Sicherheit für Reaktorplutonium auf. Unberührt<br />
bleibt die Frage nach der technischen Realisierung präzis gefertigter Kugelschalen, einer<br />
hohen sphärischen Symmetrie der Sprenglinsen, die auch beim Implosionsvorgang erhalten<br />
bleiben muß, der präzisen Neutroneninjektion, die sicher nicht über Po-Be-Quellen<br />
im Inneren der Pu-Kugel erfolgen kann, das Problem der Kühlung des sich erwärmenden<br />
Plutoniums und vieles mehr, worauf im Hauptteil eingegangen wurde.<br />
Wenn auch die 'Güte' einer Spaltanordnung von sehr vielen Parametern abhängig ist,<br />
so gibt es nach dieser Arbeit keinen Grund anzunehmen, daß eine technisch versierte<br />
Gruppe nicht imstande sein sollte, eine hochbrisante Waffe anzufertigen.<br />
64
4 Anhang<br />
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• <strong>IANUS</strong>-7/1990: Kathryn Nixdorff und Isolde Stumm, "Ambivalence of Basic<br />
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• <strong>IANUS</strong>-8/1990: Isolde Stumm und Wolfgang Bender, "Was treibt die<br />
Rüstungsdynamik voran? - Ein Einstieg in dieses Thema im Hinblick auf biologische<br />
Waffen"<br />
• <strong>IANUS</strong>-9/1990: Isolde Stumm, "Gentechnologie und Biowaffen"<br />
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• <strong>IANUS</strong>-10/1990: Martin Kalinowski, "Technical Problems with Safeguarding<br />
Tritium"<br />
• <strong>IANUS</strong>-11/1990: <strong>IANUS</strong>-Arbeitsbericht "Erfahrungen mit drei interdisziplinären<br />
Seminaren"<br />
• <strong>IANUS</strong>-12/1990: Achim Seiler, "Neue Technologien und Rüstungskonversion"<br />
• <strong>IANUS</strong>-13/1990: Wolfgang Liebert, Martin Kalinowski, Götz Neuneck,<br />
"Technologische Möglichkeiten des Irak für eine Kernwaffe"<br />
• <strong>IANUS</strong>-1/1991: Lars Colschen, Martin Kalinowski, "Die Kontrolle der militärischen<br />
Nutzung von Tritium"<br />
• <strong>IANUS</strong>-2/1991: Lars Coischen, Martin Kalinowski, Jan Vydra, "National Regulations<br />
of Accounting for and Control of Tritium"<br />
• <strong>IANUS</strong>-3/1991: Jürgen Scheffran,Jan Vydra, "The Application of Military<br />
Related Resources to Protect the Enviroment"<br />
• <strong>IANUS</strong>-4/1991: Ulrike Benner, "Verantwortungsbegriffe und Verantwortungskonzepte"<br />
• <strong>IANUS</strong>-5/1991: Markus Jathe, Jürgen Scheffran, "Zivile und militärische Anwendungen<br />
Neuronaler Netze"<br />
• <strong>IANUS</strong>-6/1991: Martin Kalinowski, Andre Anders, "Fusionsenergie - Sichere<br />
und ökologisch verträgliche Energie der Zukunft?"<br />
• <strong>IANUS</strong>-7/1991: Isolde Stumm, Kathryn Nixdorff, "Haben Toxinwaffen militärische<br />
Relevanz?"<br />
• <strong>IANUS</strong>-8/1991: Wolfgang Liebert, "Ambivalenz der Naturwissenschaft und<br />
Notwendigkeit von Wissenschaftsfolgenforschung"<br />
• <strong>IANUS</strong>-9/1991: Wolfgang Bender, "Erhaltung und Entfaltung als Kriterien für<br />
die Gestaltung von Wissenschaft und Technik"<br />
• <strong>IANUS</strong>-IO/1991: Axel Schrader, "Militärausgaben und wirtschaftliche Entwicklung<br />
in der Dritten Welt"<br />
• <strong>IANUS</strong>-11/1991 Wilfried Engelmann, "Conditions for Disarmament - Game<br />
Theoretic Models of Superpower Confiict"<br />
lANDS-Dokumentationen<br />
• I "Neue Technologien und Rüstungsdynamik" , Interdisziplinäres Seminar, WS<br />
1987/88<br />
• II "Methoden der Technikfolgenabschätzung und Technikgestaltung" , Interdisziplinäres<br />
Seminar, SS 1989<br />
• III "Konfliktdynamik und Konfliktmodelle in der Sicherheitspolitik", Interdisziplinäres<br />
Seminar, WS 1989/90