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Teil 1 - duv.org

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05.12.04<br />

Sainte Lyon über 68 km<br />

von St. Etienne nach Lyon (F)<br />

Gudrun Gratz-Fister<br />

Aus einer durch einen Bericht des einzigen<br />

deutschen <strong>Teil</strong>nehmers im Jahr<br />

2003 entstandenen Idee wird in der<br />

Nacht zum 5. Dezember Realität: Ich<br />

stehe um 0.00 Uhr am Start in St. Etienne<br />

und nehme teil am 51. Sainte Lyon.<br />

68 Kilometer Trail-, Berg- und Ultralangstreckenlauf<br />

enden nach über 1.300<br />

Höhenmetern irgendwann am nächsten<br />

M<strong>org</strong>en am Ziel im Palais des Sports in<br />

Lyon.<br />

Gegen Vorlage des zwingend v<strong>org</strong>eschriebenen<br />

Gesundheitszeugnisses erhalte<br />

ich am 04.12. im Palais des Sports<br />

die Start-Nummer und die Busfahrkarte<br />

für den Transfer nach St. Etienne am<br />

Abend. Michael Milch, der Autor des Artikels<br />

aus 2003, der mich mit allen Unterlagen<br />

und wichtigen Tipps über diesen<br />

"Doyenne de I'Ultra" vers<strong>org</strong>t hat,<br />

steht mir auch hier helfend zur Seite (on<br />

ne parle pas allemand), und wir werden<br />

uns gegen 1'9.00 Uhr am Bus nach St.<br />

Etienne treffen.<br />

Mittags versuche ich zu schlafen, was<br />

nur kurz gelingt. Die Anspannung verhindert<br />

einen längeren Tiefschlaf. Die<br />

Gedanken kreisen um die nächsten<br />

Stunden. Füße abkleben, warme Kleidung<br />

in einen Beutel, Wasserflaschen,<br />

Bananen, Stirnlampe, Notdecke und<br />

Handy überprüfen. Da die Läufer zwischen<br />

den Stationen (alle 8 km) in der<br />

Nacht alleine sind, ist die Mitnahme eines<br />

Handys für Notfälle sinnvoll.<br />

Seit Mittag nieselt es leicht, aber mit SOC<br />

ist es nicht sehr kalt. Während der etwa<br />

einstündigen Fahrt nach St. Etienne<br />

schlafen einige, andere unterhalten sich<br />

leise. Die Anspannung ist auch im Bus<br />

zu spüren.<br />

Die große Halle des Park Expo füllt sich<br />

langsam. Läufer schlafen auf mitgebrachten<br />

Matten oder in Schlafsäcken.<br />

Andere essen aus Thermosbehältern<br />

Nudeln oder Reis, um die Kohlehydratspeicher<br />

nochmals aufzufüllen. Ich sehe<br />

mir diese Extremspezialisten an, esse<br />

meine Banane und ein Brötchen und<br />

trinke so viel Wasser wie möglich. Der<br />

Hallensprecher gibt die Wetterverhältnisse<br />

auf der Strecke bekannt: wenig<br />

Nebel und 2-3°C in den Bergen.<br />

28<br />

Beliebtes Frankreich<br />

Um 23.30 Uhr wird es lebendig, einige<br />

massieren die Beine mit Öl oder' verteilen<br />

Vaseline bzw. Hirschtalg an reibungsempfindlichen<br />

Stellen. Ich überlege,<br />

dass mir durch meine 100-km-Biel­<br />

Erfahrung weniger die Länge der Strecke<br />

S<strong>org</strong>e macht. Es stellt sich hier nur<br />

die Frage nach der Beschaffenheit der<br />

Wege und der Höhendifferenz (1.300 m<br />

im Aufstieg und 1.800 m im Abstieg).<br />

Mütze auf den Kopf, Stirnlampe drüber,<br />

Startnummer um, Bauchtasche anschnallen,<br />

Handschuhe an und auf<br />

geht's. Michael Milch und ich wünschen<br />

uns ein gesundes Ankommen, und um<br />

0.00 Uhr geht es pünktlich los. Die ersten<br />

Kilometer führen auf der Straße nur<br />

leicht bergauf bis La Talaudiere. Hier<br />

kommt's dann schon richtig stramm;<br />

steil bis zum Kirchturm - fast alle müssen<br />

hier gehen. Kurz danach zweigt der<br />

Weg ab ins Gelände. Die Regenfälle der<br />

letzten Tage haben Matsch und Pfützen<br />

hinterlassen, später gibt es im Wald einige<br />

riesige Schlammlöcher, die entweder<br />

durchwatet oder umgangen werden<br />

müssen..<br />

Feld- und Ackerwege führen bergauf<br />

und bergab. Die Stirnlampe ist wichtig,<br />

um auf den unregelmäßigen, von tiefen<br />

Furchen der Traktoren durchzogenen<br />

Feldwegen nicht zu stolpern. Wir laufen<br />

durch Dörfer mit 3 - 4 Häusern, die oft<br />

nur von einer einzelnen Straßenlaterne<br />

erhellt werden und um diese Nachtzeit<br />

im tiefen Schlaf liegen. Auf einigen Passagen<br />

ist Laufen nicht möglich, es ist zu<br />

glitschig, fetter Lehm umhüllt die Schuhe,<br />

bergab bilden Baumwurzeln, Felsbrocken<br />

oder tiefe Löcher Stolperfallen.<br />

Hinter Bäumen und Sträuchern, die vom<br />

liChtkegel der Stirnlampe erfasst werden,<br />

vermute ich Elfen, Gnome und die<br />

Tiere des Waldes, die uns heimlich bei<br />

unserem Treiben zusehen.<br />

Die Strecke ist bestens durch reflektierende<br />

Pfeile markiert und durch 3 Kontroll-<br />

und 7 Verpflegungsstationen unterbrochen.<br />

Das Verpflegungsangebot<br />

ist äußerst reichhaltig, al'ler für robustere<br />

Läufermägen als meinen gedacht (kandierte<br />

Fruchtstücke, Backpflaumen, Kekse,<br />

Sandkuchen, Salzkräcker, kleine<br />

Streichkäseecken, Salamischeiben,<br />

Mandarinen, Äpfel und erst an der letzten<br />

Station Bananen). Das Getränkeangebot<br />

reicht von Wasser über Menthe,<br />

Cola bis Zitronentee. Ich halte mich<br />

nach den Erfahrungen an der ersten<br />

Station (warmer Zitronentee = kurz danach<br />

durchschlagende Wirkung = ab ins<br />

Gebüsch) nur noch an kaltes Wasser<br />

und teile mir eine mitgenommene Banane<br />

in drei eisige Stücke auf der gesamten<br />

Strecke ein.<br />

Bergauf- und steile Bergab-Passagen<br />

wechseln sich ab. Ich sehe hoch über.<br />

mir ein gelbes Licht auf einer Bergspitze.<br />

Eine einsame Straßenlaterne steht<br />

über mir wie ein heller Stern. Ich bin sicher,<br />

dass ich diese Laterne noch genauer<br />

sehen werde, und ich habe recht,<br />

der Weg führt geradewegs nach oben<br />

bis zur Laterne, die zwei einsame Bauernhöfe<br />

bewacht.<br />

Um 04.00 Uhr kräht in der Ferne ein früher<br />

Hahn. Müdigkeit kommt nicht auf, zu<br />

sehr ist die Konzentration auf die<br />

schwierigen Wegbedingungen gerichtet.<br />

Es wird immer einsamer. Vereinzelt sind<br />

vor mir reflektierende Rückenschilder<br />

auszumachen und beim Umdrehen erkenne<br />

ich wippende Lichter weit hinter<br />

mir. Beruhigt stelle ich fest, dass ich<br />

noch nicht ganz alleine unterwegs bin.<br />

In den nun auftretenden Nebelschwaden<br />

brauche ich neben der Stirnlampe meine<br />

Taschenlampe, um besser zu sehen.<br />

Nach 7.00 Uhr wird der Himmel langsam<br />

heller, und ich laufe teilweise ohne Licht<br />

und genieße die kühle, feuchte Luft und<br />

freue mich auf den neuen Tag. Völlig<br />

losgelöst tappe ich in ein tiefes Schlagloch,<br />

fange mich gerade noch und knipse<br />

die Stirnlampe schnell wieder an. Die<br />

Beine werden müde. Den mitgenommenen<br />

Kraftriegel muss ich vor dem Abbeißen<br />

erst warmlutschen, um mir nicht<br />

die Zähne auszubeißen. Die Bergaufpassagen<br />

marschiere ich nun und jogge<br />

bergab, um Kraft zu sparen, da ich nicht<br />

weiß, was die Strecke noch an Überraschungen<br />

bereit hält und keine Ahnung<br />

habe, wieviele Kilometer noch zu absolvieren<br />

sind. An der nächsten Kontrollstabon<br />

um 7.45 Uhr wird die Frage beantwortet:<br />

Arrivee Lyon 22 km. Gottseidank,<br />

nur noch ein Halbmarathon, und<br />

die Wege werden immer besser. An der<br />

Verpflegungsstation esse ich nur einige<br />

Salzkräcker und trinke kaltes Wasser.<br />

Die heiße Brühe halte ich für Zitronentee<br />

und verpasse damit wichtige Kraftnahrung.<br />

Ein französischer Läufer marschiert neben<br />

mir. Mit Jeans, weißem gebügelten<br />

Hemd und einem beigen grobgestrickten<br />

Pullover und ohne sonstige Utensilien<br />

könnte er geradewegs zum Frühschoppen<br />

unterwegs sein. Nur seine dreckigen<br />

Trailschuhe und die bis in Kniehöhe<br />

matschverspritzten Hosenbeine weisen<br />

ihn als Mitläufer aus. Wir unterhalten<br />

uns in deutsch-französischem Kauderwelsch,<br />

marschieren und traben zusammen.<br />

Kurz nach der letzten Verpflegungsstation<br />

(Arrivee 11 km) führt die<br />

Straße mit 45% Steigung in den Himmel,<br />

und der Aufstieg nimmt kein Ende.<br />

Die Nasenspitze berührt die Straße, der

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