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und st.Gallen die - Saiten

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LGBt<br />

Kreuz <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> queer<br />

durch den Kiez<br />

«<strong>Saiten</strong>» war mit dem Filmemacher Marcel Gisler<br />

unterwegs im homosexuellen Berlin –<br />

eine nächtlicher Bericht samt Currywur<strong>st</strong>,<br />

homophoben Taxifahrern<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> einer angedrohten Schlägerei.<br />

Freitagabend in Kreuzberg, zehn uhr. über dem Eingang<br />

von «Tante hor<strong>st</strong>» an der oranien<strong>st</strong>rasse leuchtet ein roter<br />

Schnürchenschriftzug: «likörchenklub». marcel gisler<br />

hat bereits im Innern auf einem Sofa Platz genommen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong><br />

nippt an einem Espresso. «der Taxifahrer war ganz ungläubig,<br />

dass es eine bar mit <strong>die</strong>sem Namen geben soll. ob <strong>die</strong><br />

wohl nicht eher ‹Tunte hor<strong>st</strong>› heisse.» Ich gehe uns am Tresen<br />

zwei bierflaschen holen. <strong>die</strong> barkeeperin – Typ Sophie<br />

hunger mit kurzen haaren – drückt mir ihre Empfehlung<br />

in <strong>die</strong> hände <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> verlangt einen dJ­Euro für <strong>die</strong> zierliche<br />

junge Frau, welche an den Plattentellern Elektronisches serviert.<br />

Im gegenzug gibts zwei Stempelabdrücke in Fischform<br />

auf das rechte handgelenk. Einen für mich – <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> einen<br />

für meine begleitung, <strong>die</strong> sich auf dem Sofa gerade eine<br />

zigarette dreht.<br />

Früher herrschte grössere Toleranz<br />

marcel gisler, 1960 in Alt<strong>st</strong>ätten geboren, kam als junger<br />

mann nach berlin <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> lebt heute in Kreuzberg. das We<strong>st</strong>berlin<br />

der frühen Achtziger zog Kreative von überall her an,<br />

der Wohnraum war billig, man wollte sein glück versuchen.<br />

Auch gisler traf hier auf <strong>die</strong> gün<strong>st</strong>igen bedingungen, welche<br />

er sich erhofft hatte, um seinen berufswunsch zu verwirklichen.<br />

mit einem Stipendium <strong>st</strong>u<strong>die</strong>rte er Philosophie an der<br />

Fu berlin, jedoch eher als vorwand, um seiner leidenschaft<br />

Film nachgehen zu können: mit einer vom theaterwissenschaftlichen<br />

In<strong>st</strong>itut der uni ausgeliehenen 16mm­Kamera<br />

drehte er seinen er<strong>st</strong>en. zusätzlich attraktiv war berlin wegen<br />

der offenen homosexuellen Szene. händchenhaltende<br />

männer­ <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Frauenpaare gehörten zum Teil des gross<strong>st</strong>adtbildes.<br />

mehr als heute, glaubt gisler. «Es herrschte grosse<br />

Toleranz gegenüber der lebensweise <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Sexualität der<br />

Anderen. Ich erinnere mich, wie in der Nachbarschaft zwei<br />

junge männer total exponiert im Erker ihrer Wohnung vögelten.<br />

der Wirt von nebenan meinte am näch<strong>st</strong>en Tag nur<br />

beiläufig: Jungs, könnt ihr nicht wenig<strong>st</strong>ens <strong>die</strong> vorhänge<br />

von<br />

cLaire pLassard<br />

18<br />

ziehen?» Nicht selten hat jemand dem Filmemacher ge<strong>st</strong>anden,<br />

dass er oder sie wegen «Tage<strong>die</strong>be» oder «<strong>die</strong> blaue<br />

St<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>e» nach berlin gezogen i<strong>st</strong>, fasziniert von der Freiheit<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> gleichzeitig zer<strong>st</strong>örerischen Kraft <strong>die</strong>ser Stadt – Filme,<br />

<strong>die</strong> marcel gisler den silbernen leoparden von locarno <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong><br />

den max ophüls Preis eingebracht haben.<br />

Als Androgynität Mode war<br />

halb zwölf. das lokal füllt sich. das Publikum i<strong>st</strong> angenehm<br />

durchmischt, der männer­ <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Frauenanteil ausgewogen.<br />

<strong>die</strong> Wände der damentoilette sind mit Flyern für vorträge<br />

über femini<strong>st</strong>ische Theorien <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Aushängen für lesben in<br />

Notlage geschmückt. Wir zahlen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> ziehen weiter zu «möbel<br />

olfe» in <strong>die</strong> reichenberger<strong>st</strong>rasse, <strong>die</strong> nur einen Katzensprung<br />

entfernt i<strong>st</strong>. mit Spraydose hat jemand «homo bar»<br />

in krakeligen grossbuch<strong>st</strong>aben auf ein leintuch, das neben<br />

der Tür der bar hängt, gesprayt. das Publikum i<strong>st</strong> etwas jünger,<br />

es hat fa<strong>st</strong> nur männer. Aber sind <strong>die</strong> schwul? «voll»,<br />

meint gisler, «man sieht es ihnen nur nicht an. <strong>die</strong> Kreuzberger<br />

gays sind weniger parfümiert <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> rausgeputzt als <strong>die</strong><br />

Schwulen in mitte.» Ich betrachte den hohen raum mit den<br />

freigelegten rohren <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> der grünen Neonbeleuchtung. Aus<br />

den lautsprechern dringt Alternatives. The verve, PJ harvey.<br />

mein begleiter trinkt gin Tonic <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> erzählt, dass ihm<br />

vincent brachet, der dar<strong>st</strong>eller des beni aus «F. e<strong>st</strong> un salaud»,<br />

<strong>die</strong>ses ehemalige möbelgeschäft gezeigt hat. Er erzählt<br />

von seinem coming­out in den späten Siebzigern: Androgynität<br />

lag im Trend, david bowie war eine Ikone – nicht<br />

besonders schwer also, sich zur eigenen homosexualität zu<br />

bekennen. der vater hatte trotzdem keine Freude <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> orte<br />

zum Ausgehen in St.gallen fehlten. «Sieht das heute anders<br />

aus?» Ich überlege. mehr als <strong>die</strong> leSchwu­reihe im Kugl<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> das Nuts im linsebühl kommen mir nicht in den Sinn.<br />

«Eine Schwulensauna beim Schützengarten gibts noch. <strong>die</strong><br />

haben wir uns als mögliches motiv für meinen neuen Film<br />

‹rosie› angeschaut», ergänzt gisler <strong>die</strong> kurze li<strong>st</strong>e.<br />

SAITEN 11.12

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