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und st.Gallen die - Saiten

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SAITEN 11.12<br />

rückblickend würde sie alles wieder genau so machen. «Wir<br />

haben viel erreicht – aber am ziel sind wir noch lange nicht»,<br />

bilanziert sie. lesben, Frauen überhaupt, hätten noch nicht<br />

den Platz in der gesellschaft, der ihnen zu<strong>st</strong>ehe.<br />

Because the night belongs to us …<br />

das sieht auch Susi Stieger so. <strong>die</strong> 56­jährige dozentin war<br />

damals ebenfalls aktiv in der Szene, wenn auch eher im kulturellen<br />

bereich. «Es hat sich nicht so viel geändert, wie wir<br />

uns das damals erhofft hatten», lautet ihre bilanz. «vielleicht<br />

waren wir auch einfach ein wenig grössenwahnsinnig.»<br />

<strong>die</strong> Frau mit den feuerroten, halblangen haaren i<strong>st</strong> seit<br />

über 35 Jahren mit ihrer Partnerin zusammen. <strong>die</strong> beiden<br />

lernten sich während ihrer Arbeit bei der Fbb (Frauenbefreiungsbewegung)<br />

kennen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> lieben. zu <strong>die</strong>ser zeit <strong>st</strong>and<br />

<strong>die</strong> Selb<strong>st</strong>be<strong>st</strong>immung im zentrum: In den Siebziger Jahren<br />

kämpften sie mit Slogans wie «mein bauch gehört mir» für<br />

<strong>die</strong> Fri<strong>st</strong>enlösung. Aber es ging nicht nur um Selb<strong>st</strong>be<strong>st</strong>immung.<br />

«Ich war immer auch an alternativen lebensentwürfen<br />

interessiert», erzählt sie im «Engel».<br />

das dasein als lesbe <strong>st</strong>eht für sie nicht im vordergr<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>.<br />

«Auch männer <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Kinder, Alte <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Junge, Katzen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong><br />

h<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>e, blumen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Sterne spielen eine rolle in meinem<br />

leben.» Sie sieht sich als Frau, <strong>die</strong> versucht, machtverhältnisse<br />

aller Art – insbesondere <strong>die</strong> der geschlechterverhältnisse –<br />

immer neu zu hinterfragen.<br />

Ab­ <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Ausgrenzung war für sie nie ein probates mittel.<br />

Im gegenteil: <strong>die</strong> Partys mit Schwulen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> «Normalos» seien<br />

immer <strong>die</strong> be<strong>st</strong>en gewesen. «Anfang der Achtziger trafen<br />

wir uns jeweils im ‹gender› an der Schwertgasse bei roger<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> heinz, einem Schwulenpaar.» danach ging es auf <strong>die</strong><br />

Pi<strong>st</strong>e. In den bündnerhof, in den Jockey club oder in <strong>die</strong><br />

grabenhalle. <strong>die</strong>ser Party­groove wurde 1984 durch das<br />

Aufkommen von Aids jäh unterbrochen: <strong>die</strong> Fe<strong>st</strong>e wurden<br />

weniger. Susi <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> ihre Partnerin zogen ins Appenzellerland,<br />

lasen viel, vernetzten sich mit Frauen in zürich oder berlin<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> engagierten sich in femini<strong>st</strong>ischen Projekten wie der<br />

Frauenbibliothek Wyborada.<br />

Ein zentrales Thema i<strong>st</strong> für Susi nach wie vor <strong>die</strong> Kritik<br />

an machtverhältnissen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> ungleichbehandlungen.<br />

mit traditionellen geschlechterrollen hat sie deshalb wenig<br />

am hut. «mich interessiert der zusammenhang respektive<br />

Widerspruch zwischen den bildern <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> realitäten der<br />

geschlechter – das Spiel <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Experiment mit geschlechterrollen<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> anderen zuschreibungen.» vor einigen Jahren<br />

haben <strong>die</strong> beiden Frauen ihre Partnerschaft eintragen lassen.<br />

Aber nicht wegen der «romantischen liebe», wie Susi erklärt,<br />

sondern aus ökonomischen gründen. «Ich bin überzeugt,<br />

dass beziehungen in Freiheit genauso gut oder sogar besser<br />

funktionieren als vom Staat anerkannte. das hat sich über <strong>die</strong><br />

Jahre immer wieder be<strong>st</strong>ätigt.»<br />

Mit dem Kuss kam das Herzklopfen<br />

Auch Sara colombrino hält nicht viel von der Ehe: «Ich sehe<br />

keinen Sinn darin», sagt <strong>die</strong> 31­Jährige. «Abgesehen davon<br />

müs<strong>st</strong>e ich dafür zuer<strong>st</strong> eine Partnerin finden.» <strong>die</strong> Szene in<br />

St.gallen sei aber leider relativ klein – ausser dem leSchwu<br />

im Kugl <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> dem Nuts im linsebühl gebe es heute kaum<br />

möglichkeiten, gleichgesinnte Frauen zu treffen. «Allenfalls<br />

im Internet.»<br />

Als bea <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Susi für <strong>die</strong> rechte der Frauen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> homosexuellen<br />

auf <strong>die</strong> Strasse gingen, war Sara noch in der Schule.<br />

dass sie lesbisch i<strong>st</strong>, wus<strong>st</strong>e sie aber schon damals. mit dem<br />

er<strong>st</strong>en Kuss einer Frau kam das Kribbeln. zusammen mit<br />

dem herzklopfen. von <strong>die</strong>sem moment an <strong>st</strong>and sie in jeder<br />

LGBt<br />

25<br />

lebenslage zu ihrer liebe für Frauen. «Was hinter meinem<br />

rücken geredet wird, i<strong>st</strong> mir wur<strong>st</strong>», sagt sie. Sara findet, dass<br />

unsere heutige gesellschaft mit dem Thema homosexualität<br />

recht offen umgehe – auch hier in der o<strong>st</strong>schweiz. «das<br />

haben wir Frauen wie bea <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Susi zu verdanken. Ich habe<br />

grossen respekt vor dem, was sie gelei<strong>st</strong>et haben.»<br />

Begafft <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> auf dem Präsentierteller<br />

luisa F. teilt <strong>die</strong>se meinung nicht. Sie findet, unsere gesellschaft<br />

habe noch viel zu lernen. «Ich bin zwar froh, dass<br />

ich in <strong>die</strong>ser zeit lebe, habe aber dennoch manchmal ein<br />

beklemmendes gefühl.» <strong>die</strong> 27­Jährige mit der langen,<br />

dunklen mähne hat sich schon mit fünfzehn Jahren geoutet.<br />

Trotzdem geht sie bewus<strong>st</strong> vorsichtig mit ihrem Privatleben<br />

Die Devise hiess: kein Lippen<strong>st</strong>ift,<br />

keine Bein- <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Achselrasur<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> keine hochhackigen Schuhe –<br />

<strong>die</strong>s alles, um das von Männern<br />

gemachte Frauenbild zu sprengen.<br />

«Damals war es nötig, radikal<br />

zu sein. Ich mus<strong>st</strong>e mich schliesslich<br />

positionieren.»<br />

um. «Eine Kollegin hat ihren Job verloren, als rauskam, dass<br />

sie lesbisch i<strong>st</strong>. <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> ich habe Fre<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>innen, <strong>die</strong> deswegen<br />

keine lehr<strong>st</strong>elle bekamen.» das i<strong>st</strong> der gr<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>, wieso luisa<br />

ihrem vorgesetzten bis heute ihre homosexualität verschweigt.<br />

Sie hat Ang<strong>st</strong>, herabge<strong>st</strong>uft zu werden. Aber es i<strong>st</strong><br />

nicht nur das: «Wenn ich meine Fre<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>in in der Öffentlichkeit<br />

küsse, spüre ich, dass dutzende von blicken an uns kleben.<br />

oft wird getuschelt.» Woran das liegt? «vielleicht sind<br />

<strong>die</strong> leute einfach überrascht, weil wir nicht dem gängigen<br />

lesbenklischee entsprechen.» mit dem Klischee meint sie,<br />

was <strong>die</strong> gesellschaft oft abschätzig als «mannsweiber» oder<br />

«Kampflesben» tituliert. Sie i<strong>st</strong> der Ansicht, dass viele <strong>die</strong>ser<br />

sogenannten «butches» im falschen Körper geboren wurden<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> nicht den mut haben, dazu zu <strong>st</strong>ehen. «leider hat unsere<br />

gesellschaft mit Transsexualität noch viel mehr mühe als mit<br />

uns homosexuellen. man muss zu viele hürden mei<strong>st</strong>ern,<br />

wenn man sein geschlecht umwandeln will», sagt sie. «Kein<br />

W<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>er, ziehen sich alle in <strong>die</strong> Szene zurück.»<br />

von solchen zirkeln hält sie sich bewus<strong>st</strong> fern – nicht<br />

nur, weil es dort oft nur um Partnersuche oder Sex gehe,<br />

sondern weil sie gr<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>sätzlich nichts von einer «Trennung<br />

zwischen gay <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> <strong>st</strong>raight» hält. Sie will sich nicht abkapseln.<br />

«Es i<strong>st</strong> schade, dass sich <strong>die</strong> gay­community damit zufrieden<br />

gibt, einmal im monat eine Party zu veran<strong>st</strong>alten.» darum<br />

auch ihre Forderung: «Er<strong>st</strong> wenn für <strong>die</strong> gesellschaft das geschlecht<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> <strong>die</strong> sexuelle orientierung völlig irrelevant sind,<br />

haben wir <strong>die</strong> echte gleichberechtigung.» <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> somit auch<br />

das erreicht, wofür Frauen wie bea <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Susi gekämpft haben.<br />

corinne riedener, 1984,<br />

<strong>st</strong>u<strong>die</strong>rt in Winterthur Journalismus.

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