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und st.Gallen die - Saiten

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SAITEN 11.12<br />

Wo liegt das glück?<br />

Die Rheintaler Autorin Jolanda spirig hat ihr fünftes Buch<br />

veröffentlicht. Fa<strong>st</strong> gleichzeitig zeichnet <strong>die</strong> Rheintaler Kultur<strong>st</strong>iftung<br />

sie als er<strong>st</strong>e Prei<strong>st</strong>rägerin mit dem «Goldiga Törgga» aus.<br />

geplant? Jolanda Spirig schüttelt den Kopf: «Ich<br />

suche nie bewus<strong>st</strong> nach buchthemen. <strong>die</strong> Themen<br />

finden jeweils mich, werden an mich herangetragen.»<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise sind seit 1995 vier<br />

bücher zusammengekommen: <strong>die</strong> biografie eines<br />

<strong>die</strong>n<strong>st</strong>mädchens, <strong>die</strong> lebenserinnerungen<br />

einer Krankenschwe<strong>st</strong>er, <strong>die</strong> geschichte der<br />

Frauenzentrale Ar <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> <strong>die</strong> geschichte einer<br />

zwangs<strong>st</strong>erilisierten Frau. Jetzt folgt das fünfte,<br />

das eine brücke zwischen dem oberrheintal<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> St.gallen schlägt. Es geht um <strong>die</strong> geschichte<br />

der kleinen Schürzennäherei, welche Akris<br />

– damals noch kein angesagtes modelabel –<br />

von 1946 bis 1966 in Kriessern betrieb. darin<br />

verwoben sind <strong>die</strong> lebenserinnerungen von neun<br />

Kriessnerinnen, <strong>die</strong> für das unternehmen arbeiteten,<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> <strong>die</strong> lebensgeschichte der Fabrikantin<br />

Alice Kriemler­Schoch (1896–1972). Sie<br />

<strong>st</strong>ammte selber aus einfachen bäuerlichen verhältnissen<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> arbeitete sich hoch. Ihr Tagebuch<br />

i<strong>st</strong> eine einzigartige Quelle.<br />

mit einer patriarchalen welt arrangiert?<br />

Jolanda Spirigs buch gibt Einblick in eine läng<strong>st</strong><br />

vergangene Welt: Armut, Autoritätsgläubigkeit,<br />

marienlieder. <strong>die</strong> mädchen mus<strong>st</strong>en schon als<br />

Kinder <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> Jugendliche beim geldver<strong>die</strong>nen<br />

helfen. Als junge Frauen nähten sie Schürzen.<br />

den ver<strong>die</strong>n<strong>st</strong> gaben sie zu hause ab, eine lehre<br />

lag nicht drin. das gemeinsame Nähen im<br />

«büdeli» hat sie nachhaltig geprägt. Noch im<br />

hohen Alter blicken sie mit guten gefühlenauf<br />

ihre zeit als «Kriemlera» zurück – <strong>die</strong>sen Namen<br />

haben sie sich damals gegeben. Aus heutiger<br />

Sicht wirkt <strong>die</strong>se loyalität irritierend. ha­<br />

von peter müller<br />

ben sie sich nicht einfach mit einer patriarchalisch­autoritären<br />

Welt arrangiert, <strong>die</strong> sie klein<br />

hielt? bei der lektüre merkt man: <strong>die</strong> Sache i<strong>st</strong><br />

komplexer. Jolanda Spirig nickt. man dürfe es<br />

sich bei der beurteilung von lebensgeschichten<br />

nicht zu leicht machen, nicht voreilig Schlüsse<br />

ziehen, meint sie. <strong>die</strong> realität sei in der regel<br />

vertrackter. Sie will den leserinnen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> lesern<br />

deshalb keine meinung aufdrängen: «Ich schildere<br />

<strong>die</strong> Fakten. <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> ich weiss, dass sich gerade<br />

<strong>die</strong>ses buch aus der Sicht der unternehmerin<br />

anders lie<strong>st</strong> als aus der Sicht des Arbeiters oder<br />

der gewerkschafterin.»<br />

rheintaler alltag<br />

So unterschiedlich <strong>die</strong> Themen der fünf bücher<br />

sind – es gibt auch gemeinsamkeiten. «Es geht<br />

immer um <strong>die</strong> Alltagsgeschichte, mei<strong>st</strong> aus der<br />

region, um relevante Themen, <strong>die</strong> vergessen<br />

oder verdrängt sind», sagt <strong>die</strong> rheintaler Autorin.<br />

«bei den lesungen merke ich jeweils, dass<br />

<strong>die</strong> leute an <strong>die</strong>sen geschichten Freude haben,<br />

dass sie ihnen etwas bedeuten. mir selb<strong>st</strong> geht<br />

es genauso. Solche geschichten tun unserer region<br />

gut.» Wichtig findet sie auch <strong>die</strong> Frage,<br />

wo <strong>die</strong> menschen ihr glück finden, in den unterschiedlich<strong>st</strong>en<br />

lebenssituationen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> an den<br />

unterschiedlich<strong>st</strong>en Plätzen in der gesellschaft.<br />

Woran hängt es, ob sie das glück finden oder<br />

verfehlen? Auch dazu gibt es in ihren bisherigen<br />

fünf büchern viel zu lesen.<br />

neuanfang in marbach<br />

<strong>die</strong> Autorin selb<strong>st</strong> hat ihr glück ebenfalls (wieder­)<br />

gef<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>en. Nach Schliessung der «Tagblatt»­<br />

43<br />

bild: pd<br />

Literatur kultur<br />

redaktion in Alt<strong>st</strong>ätten <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> dem verlu<strong>st</strong> ihrer<br />

redaktorinnen<strong>st</strong>elle baute sie sich vor fünfzehn<br />

Jahren eine neue Exi<strong>st</strong>enz auf. Sie betreibt in<br />

marbach ein Ein­Frau­Pr­büro, zu dessen K<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong>en<br />

Kmu, In<strong>st</strong>itutionen, Non­Profit­organisationen<br />

<<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> nationale verbände gehören. «Selb<strong>st</strong>ändig<br />

sein <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> in verschiedene Welten hineinsehen,<br />

das mag ich sehr», sagt sie. Im Journalismus<br />

i<strong>st</strong> sie nicht mehr tätig. umso grösser<br />

i<strong>st</strong> ihre Freude, wenn es wieder einmal so weit<br />

i<strong>st</strong> <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> ein buchthema sie findet. das braucht<br />

allerdings seine zeit. oft muss sie auch nein sagen.<br />

Nach ihrem letzten buch («Widerspen<strong>st</strong>ig –<br />

zur Sterilisation gedrängt») wandten sich verschieden<strong>st</strong>e<br />

menschen mit tragischen lebensgeschichten<br />

an sie. Sie lehnte alle Anfragen ab:<br />

«Ich wollte mich einem unbeschwerten Thema<br />

widmen <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> nicht gleich wieder in ein schweres<br />

Schicksal eintauchen.»<br />

Jolanda spirig: schürzennäherinnen.<br />

<strong>die</strong> Fabrikantin <<strong>st</strong>rong>und</<strong>st</strong>rong> <strong>die</strong> Kriessner «mädchen».<br />

chronos verlag, zürich 2012. Fr. 32.–<br />

preisverleihung «goldiga törgga»<br />

kulturraum Jung rhy alt<strong>st</strong>ätten.<br />

Freitag, 9. November, 18 uhr.<br />

aus<strong>st</strong>ellung «schürzen/schoosse»<br />

museum appenzell.<br />

23. November 2012 bis 20. mai 2013.<br />

mehr Infos: www.ai.ch

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