Wellness · Gesundheit · Freizeit - St. Peter-Ording
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immer ein historisches Ereignis oder ein Konflikt aus längst vergangenen<br />
Zeiten. Oft geht es um ein Geheimnis, dann suche ich einen passenden<br />
Charakter und daraus entwickle ich die Geschichte.“ Bevor sie die<br />
Fakten nicht zusammen hat und bevor sie nicht die Atmosphäre geatmet<br />
hat, in der ihre Figuren das Leben, die Liebe und das Abenteuer lernen,<br />
macht sie sich nicht ans Schreiben. Hat sie dann alles in der großen<br />
weiten Welt eingesammelt, kommt sie nach <strong>St</strong>. <strong>Peter</strong> zurück und geht in<br />
sich. Was dann genau passiert, das will ich genauer wissen. Deshalb setzen<br />
wir uns auf eine Bank und Constanze Wilken schreit mir ins Ohr.<br />
„Hier verarbeite ich alle meine Eindrücke, die ich gesammelt habe. Hier<br />
kann ich nach meinen Reisen erst einmal wieder Energie und Kraft auftanken.<br />
Hier bin ich ungestört, hier bin ich zuhause. Es ist herrlich, während<br />
des Schreibens aus dem Fenster zu sehen und auf Dünen und<br />
Kiefernwald zu schauen ...“ Ausgerechnet jetzt, wo die Frau, die eine so<br />
sympathische Nordseefrische verströmt, anhebt, ein Loblied auf ihren<br />
Heimatort zu brüllen, denn sowohl ich als auch mein Aufnahmegerät<br />
sollen etwas mitbekommen, beginnt es, leicht zu tröpfeln. Wir kehren<br />
deshalb um, und ich schlage vor, den Rest des Gesprächs doch besser in<br />
konventionellerer Form und Umgebung zu führen.<br />
Bei gefühlter Windstärke 10 will ich noch die Gunst der sinnlichen<br />
<strong>St</strong>unde nutzen und etwas erfahren über Constanze Wilkens<br />
Erinnerungen an ihre Kindheit an der Nordsee. „Als ich klein war<br />
haben wir die Nachmittage immer in der Natur verbracht. Im Schlick<br />
mit meinem Bruder zu spielen und ein olles Schlauchboot durch die<br />
Priele zu schleifen – das ist eines der schönsten Bilder, das ich im<br />
Gedächtnis habe. Später war ich dann sehr viel Windsurfen.“ Und wie<br />
war das mit den <strong>St</strong>urmfluten? „Wenn das Wasser über den Deich<br />
schwappte, das fand ich schon sehr aufregend. So eine richtige<br />
Katastrophensturmflut habe ich nicht mehr miterlebt. Die größte war ja<br />
in den Sechzigern. Meine Mutter hat mir immer davon erzählt, wie das<br />
Wasser in den Ort rein gelaufen ist und wie die Lebensmittel im Wasser<br />
schwammen. Ich habe eine Freundin, die wohnt in einem Koog. Die<br />
erzählte, dass die ganzen Tiere auf die Hänger gebracht werden mussten<br />
und die Familie Angst hatte, dass der<br />
Deich am Koog bricht. Das soll schon ziemlich<br />
dramatisch gewesen sein. Das war noch in<br />
den 70er Jahren. Danach wurden dann die<br />
Deiche erhöht und es gab solche Szenen zum<br />
Glück nicht mehr.“<br />
Wir nähern uns dem Café Rasmus. Etwas<br />
Heißes wäre jetzt doch angebracht. Ich möchte<br />
schließlich nicht, dass die rechtzeitige<br />
Abgabe von Wilkens neuem Roman wegen<br />
einer blöden Erkältung in Gefahr geraten<br />
könnte. Bei Frau Rasmussen finden wir ein<br />
ruhiges Plätzchen. Die Kaffee-und-Kuchen-<br />
Liebhaber lassen noch auf sich warten. Wir<br />
bestellen Tee und Kaffee. Ich nehme den<br />
Gedanken von eben auf: Dass Wilken mit<br />
ihrem Roman in den letzten Zügen liegt, hatte<br />
sie mir bereits zu Beginn unseres Gesprächs<br />
gesagt. Jetzt möchte ich wissen, um was es<br />
geht. Es sei ein Familiendrama auf dem<br />
Hintergrund der italienischen Kriege. Der<br />
Handlungsort sei Lucca, 1525 bis 1527. „In<br />
einer Seidenhändlerfamilie spiegelt sich der Zwist, der auch die große<br />
Politik bestimmt: der Kampf Kaiser Karl V. gegen Papst Clemens VII.<br />
Einer der beiden Brüder der Familie gilt als Verräter, weil er auf Seiten<br />
des Papstes kämpft. Seine Frau steht im Zentrum der Geschichte.“<br />
ZUR PERSON<br />
Constanze Wilken, 1968 in <strong>St</strong>. <strong>Peter</strong>-<strong>Ording</strong> geboren, studierte in Kiel<br />
Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Politik, bevor sie im walisischen<br />
Aberystwyth promovierte. Sie entdeckte früh ihre Liebe zur Kunst und entwikkelte<br />
ein Faible für Antiquitäten. Ihr erster Roman „Die Frau aus Martinique“<br />
erschien 2003. Es folgten „Die vergessene Sonate“ (2004), „Das Licht von<br />
Shenmòray“ (2005) und „Was von einem Sommer blieb“ (2006).<br />
In den nächsten Wochen muss Wilken abgeben. Dann wird es noch einmal<br />
fast ein Jahr dauern, bis das Buch auf den Markt kommt. Endlich im<br />
Warmen möchte ich nun den Fragenkomplex Wetter, Klima,<br />
Jahreszeiten abschließen. Ich hole den völlig zerknitterten Zettel mit<br />
einigen Erinnerungshilfen heraus, überfliege ihn, während Constanze<br />
Wilken mit ihren Händen die Teekanne umfasst. Ich sehe, dass wir alle<br />
wichtigen Themen gestreift haben. Der Ortswechsel hat mich ein wenig<br />
aus dem Konzept gebracht. Der Wind war offenbar doch ein gutes<br />
Medium. Ich frage etwas, was sie indirekt schon beantwortet hat. Die<br />
Autorin ist höflich und sagt den Satz, den ich – wie mir später klar wird<br />
– hören wollte: „Ich muss sagen, welche Jahreszeit gerade ist,<br />
„In <strong>St</strong>. <strong>Peter</strong> verarbeite ich alle meine Eindrücke, die ich gesammelt habe.<br />
Hier kann ich nach meinen Reisen wieder Energie und Kraft<br />
auftanken. Hier bin ich ungestört, hier bin ich zuhause.“ Constanze Wilken<br />
das ist für mich gar nicht so wichtig. Ich bin einfach gern draußen. Da ist<br />
es mir oft auch egal, ob es regnet oder stürmt. Ich muss mich nur richtig<br />
anziehen, dann ist es immer schön. Ich nehme es, wie es kommt.“ Ich<br />
bin zufrieden. „Ich nehme es, wie es kommt.“ Gibt es sechs Worte, zu<br />
einem Satz geformt, die die Lebenseinstellung der Menschen „hoch im<br />
Norden, hinter den Deichen“ besser auf den Punkt bringen kann?<br />
Gut gelaunt gegen den Wind: Constanze Wilken im Gespräch auf dem Deich<br />
MAGAZIN ST. PETER-ORDING 19