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Internationale Institutionen und nichtstaatliche Akteure

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Eva Senghaas-Knobloch<br />

<strong>Internationale</strong><br />

Arbeits regulierung für<br />

ein menschenw ürdiges<br />

Leben weltweit<br />

Der Ruf nach einer internationalen Regulierung<br />

von Arbeit hat die Entwicklung<br />

der Industriegesellschaften seit ihrem<br />

Entstehen begleitet.<br />

Seit Beginn der Industrialisierung<br />

in<br />

Europa nach 1750 gerieten<br />

traditionelle<br />

Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialordnungen<br />

unter<br />

den Druck einer Dynamik,<br />

in welcher die<br />

weniger produktive<br />

durch die produktivere<br />

Arbeit verdrängt wurde. Durch die neue<br />

dramatische Entwicklungsdynamik wurde<br />

den Menschen in traditionellen (allermeist<br />

bäuerlichen) Wirtschafts- <strong>und</strong> Lebensweisen<br />

oft die materielle Gr<strong>und</strong>lage entzogen, ohne<br />

dass ihnen ausreichende Ressourcen für wirtschaftliche<br />

Alternativen zur Verfügung standen;<br />

<strong>und</strong> mit dem heraufziehenden Bürgertum<br />

wurden traditionelle Herrschafts- <strong>und</strong><br />

Ordnungsvorstellungen delegitimiert, ohne<br />

dass sich für die große Mehrheit der Bevölkerungen<br />

die Lebensverhältnisse verbesserten.<br />

Damit stellte sich die Problematik<br />

ordnungspolitischer Rahmenbedingungen<br />

für Wohlstands- <strong>und</strong> Wohlfahrtsmehrung:<br />

Reicht es aus, der Wirtschaftsdynamik<br />

möglichst ungehindert freien Lauf zu lassen<br />

oder bedarf es politischer Gestaltungsräume<br />

zur ihrer Lenkung? ❙ 1 „Ein internationales<br />

Gesetz über die industrielle Arbeit ist<br />

die einzig mögliche Lösung des großen Sozialproblems“,<br />

urteilte der elsässische Besitzer<br />

einer Seidenmanufaktur Daniel Legrand<br />

schon 1857 <strong>und</strong> setzte sich für eine auf sechs<br />

St<strong>und</strong>en am Tag begrenzte Arbeitszeit für<br />

Kinder ein. ❙ 2 Anlässlich der Weltausstellung<br />

von 1900 in Brüssel bildete sich die private<br />

<strong>Internationale</strong> Vereinigung für gesetzlichen<br />

Arbeiterschutz <strong>und</strong> bewirkte 1906 in<br />

Eva Senghaas-Knobloch<br />

Dr. phil., geb. 1942; Professorin<br />

(em.) für Arbeitswissenschaft,<br />

Universität Bremen;<br />

Senior Researcher im Forschungszentrum<br />

Nachhaltigkeit<br />

(artec), Enrique-Schmidt-<br />

Straße 7, 28359 Bremen.<br />

esk@artec.uni-bremen.de<br />

Bern die Unterzeichnung erster zwischenstaatlicher<br />

Abkommen über Produktionsbedingungen<br />

wie das Verbot des hochgiftigen<br />

weißen Phosphors bei der Fertigung<br />

von Streichhölzern.<br />

Aber erst nach dem Zivilisationsschock<br />

des Ersten Weltkriegs kam es im Rahmen<br />

des Friedensvertrags von Versailles 1919 zur<br />

Gründung der bis heute bestehenden <strong>Internationale</strong>n<br />

Arbeitsorganisation (IAO). ❙ 3 Den<br />

gesellschaftlichen Anstößen zu ihrer Gründung<br />

entsprechend sah sie für jedes Mitgliedsland<br />

eine „dreigliedrige“ Beteiligung<br />

von Regierung, Arbeitnehmer- <strong>und</strong> Arbeitgebervereinigungen<br />

bei allen Beratungs- <strong>und</strong><br />

Beschlussfassungen vor. In der Präambel zu<br />

ihrer Verfassung von 1919, die bis heute gilt,<br />

heißt es: „Der Weltfrieden kann auf die Dauer<br />

nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut<br />

werden. Nun bestehen aber Arbeitsbedingungen,<br />

die für eine große Anzahl von Menschen<br />

mit soviel Ungerechtigkeit, Elend <strong>und</strong><br />

Entbehrungen verb<strong>und</strong>en sind, dass eine Unzufriedenheit<br />

entsteht, die den Weltfrieden<br />

<strong>und</strong> die Welteintracht gefährdet. Eine Verbesserung<br />

dieser Bedingungen ist dringend<br />

erforderlich.“ ❙ 4<br />

Das bis heute einzigartig für internationale<br />

Organisationen vorgesehene Vertretungsprinzip<br />

der Dreigliedrigkeit bringt<br />

zum Ausdruck, dass Gerechtigkeit in einer<br />

Weltsozialordnung innerhalb <strong>und</strong> zwischen<br />

Staaten auf der Anerkennung gleichberechtigter<br />

Interessen beruht, die in Verhandlungen<br />

über Arbeits- <strong>und</strong> Sozialbedingungen<br />

einbezogen werden müssen. Bekräftigt <strong>und</strong><br />

völkerrechtlich weiterentwickelt wurde diese<br />

frühe Auffassung noch während des Zweiten<br />

Weltkriegs <strong>und</strong> in den ersten Jahrzehnten<br />

danach: „Der Kampf gegen die Not muss<br />

innerhalb jeder Nation <strong>und</strong> durch ständiges<br />

gemeinsames internationales Vorgehen unermüdlich<br />

weitergeführt werden“, wird in der<br />

1 ❙ Zur Aktualität der Programmatiken ökonomischer<br />

Klassiker vgl. Dieter Senghaas, Weltordnung in einer<br />

zerklüfteten Welt, Berlin 2010, Kap. 5 (i. E.).<br />

2<br />

❙ Zit. nach: Alfred Manes, Sozialpolitik in den Frie-<br />

densverträgen <strong>und</strong> im Völkerb<strong>und</strong>, Berlin 1918, S. 6.<br />

3<br />

❙ Bekannter ist die englische Abkürzung ILO, die<br />

aber sowohl für die Organisation (International Labour<br />

Organization) als auch für deren Stab (Interna-<br />

tional Labour Office) steht.<br />

4<br />

❙ <strong>Internationale</strong>s Arbeitsamt, Verfassung der <strong>Internationale</strong>n<br />

Arbeitsorganisation, Genf 1997, S. 7.<br />

APuZ 34–35/2010 27

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