Internationale Institutionen und nichtstaatliche Akteure
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zu befreien versucht. Es erging ihnen aber<br />
nicht besser als den im „westlichen Lager“<br />
verbliebenen Neo-Staaten, vielmehr wurden<br />
sie dann meist Opfer außengelenkter Bürgerkriege<br />
als Folge des globalen Kräftemessens<br />
während des Kalten Krieges.<br />
Das derzeit im Zentrum internationaler<br />
Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Betroffenheit stehende<br />
Afghanistan ist dafür ein Paradebeispiel.<br />
Seinen Namen gaben diesem die englischen<br />
<strong>und</strong> die russischen Geostrategen, für die das<br />
auf der Landkarte staatenlose Gebiet eine<br />
Pufferzone zwischen ihren jeweiligen Einflusszonen<br />
darstellte. Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
wurden mehr oder minder willkürliche<br />
Grenzen gezogen <strong>und</strong> ein Königreich gegründet,<br />
welches aber bei den durch unwirtliche<br />
Gebirge voneinander getrennt lebenden<br />
Stämmen so gut wie keine Akzeptanz<br />
fand. Mit sechs Millionen Angehörigen bilden<br />
die Paschtunen den größten Stammesverband<br />
(aus dem sich heute die Taliban rekrutieren),<br />
daneben gibt es die Hazaras mit vier,<br />
die Usbeken mit ein bis zwei Millionen, aber<br />
auch noch Turkmenen, Aimaken, Perser, Belutschen,<br />
Tadschiken <strong>und</strong> andere. 1973 wurde<br />
die Monarchie im Staatsstreich gestürzt,<br />
durch eine Republik ersetzt <strong>und</strong> diese wiederum<br />
1978 von linken, prosowjetischen Putschisten<br />
übernommen, womit sie eine traditionalistische<br />
Konterrevolution <strong>und</strong> einen<br />
Bürgerkrieg provozierten.<br />
Das infamste Politik-Spiel trieb in den<br />
1980er Jahren die US-Regierung, welche die<br />
staatsfeindlichen f<strong>und</strong>amentalistischen Islamisten<br />
aktiv <strong>und</strong> mit Waffen unterstützte,<br />
was wiederum die sowjetischen Militärs auf<br />
den Plan rief. Eben das war die Falle gewesen,<br />
die sich die US-Strategen für die ohnehin<br />
schon krisengeschüttelte Sowjetmacht<br />
ausgedacht hatten: Acht Jahre verausgabte<br />
sich die sowjetische Armee erfolglos, ehe<br />
sie geschlagen abziehen musste <strong>und</strong> ihr eigenes<br />
marodes Staatsprojekt einer „Union sozialistischer<br />
Sowjetrepubliken“ wenige Jahre<br />
später zusammenbrach, so wie es sich die<br />
amerikanischen Strategen in ihren kühnsten<br />
Träumen vorgestellt hatten. Die einzige einigermaßen<br />
kohärente militärisch-politische<br />
Formation, die in Afghanistan zurückblieb,<br />
1 ❙ Vgl. APuZ, (2005) 28–29.<br />
2<br />
❙ Vgl. Heinrich Böll Stiftung, Ethnonationalismus<br />
<strong>und</strong> State Building, Bd. 5, 2008.<br />
waren die Taliban – die allerdings nicht daran<br />
dachten, nun einen Staat nach westlichem<br />
Modell zu errichten, weshalb sich ihr<br />
amerikanischer Schirmherr bald von ihnen<br />
abwandte.<br />
So oder so: Das megalomane Projekt der<br />
weltpolitischen Manager, die bunte Weltgesellschaft<br />
der Kulturen, Religionen <strong>und</strong><br />
Ethnien in das Korsett einer berechenbaren<br />
Weltstaatengesellschaft zu pressen, zeichnete<br />
sich immer deutlicher als ein failed project<br />
ab – eines, das vom Ansatz her letztlich nicht<br />
gelingen konnte. Um diese These einigermaßen<br />
überzeugend zu begründen, bedürfte es<br />
an dieser Stelle der Rückbesinnung auf die<br />
Geschichte <strong>und</strong> Ideologie von Staatlichkeit,<br />
was aber den Rahmen eines Essays sprengen<br />
würde. Nur an so viel sei hier erinnert: Es hat<br />
in der Geschichte nur zwei geschichtsmächtige,<br />
das heißt überlebende Strategien der<br />
Staatlichkeit gegeben: die chinesische <strong>und</strong> die<br />
römische.<br />
Der chinesische Staat zeichnete sich unter<br />
anderem durch seine erstaunliche Selbstgenügsamkeit<br />
<strong>und</strong> Selbstbegrenzung innerhalb<br />
mehr oder minder stabiler Grenzen<br />
eines riesigen Territoriums aus, was ihm eine<br />
ungewöhnlich stark ausgeprägte kulturellideologische<br />
Identität gab. Die chinesische<br />
Herrschaftselite verstand sich <strong>und</strong> ihr Land<br />
als Zentrum der zivilisierten Welt („Reich der<br />
Mitte“) <strong>und</strong> entfaltete darum keine imperialexpansive<br />
Dynamik. Im Gegenteil: Zwischen<br />
sich <strong>und</strong> ihren Nachbarn errichtete sie die bis<br />
heute höchst eindrucksvolle Mauer <strong>und</strong> untersagte<br />
gleichzeitig den Bau einer hochseetüchtigen<br />
Flotte. Rom hingegen entwickelte<br />
nach seiner Unterwerfung der italischen Völker<br />
eine geradezu atemberaubende militärisch-administrative<br />
<strong>und</strong> kulturell-ideologische<br />
Expansionsdynamik, die innerhalb von<br />
drei Jahrh<strong>und</strong>erten nahezu das ganze heutige<br />
West-, Ost- <strong>und</strong> Mitteleuropa einschließlich<br />
Nordafrikas einschloss. Sein zweiphasiger<br />
Untergang (Westrom im 5. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />
Ostrom im Jahr 1453 mit dem Fall Konstantinopels)<br />
hinterließ den Traum eines pazifizierenden<br />
Imperiums: eine funktionierende<br />
Infrastruktur, eine einheitliche Währung,<br />
militärische Organisation von Sicherheit,<br />
ein universalistisches Rechtssystem <strong>und</strong> eine<br />
verfassungsähnliche Institutionalisierung der<br />
Macht, eine Amtssprache <strong>und</strong> eine alle diese<br />
Faktoren verbindende politische Kultur.<br />
APuZ 34–35/2010 41