Internationale Institutionen und nichtstaatliche Akteure
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den drei großen Zielsetzungen bekannt: soziale<br />
Inklusion, Vollbeschäftigung <strong>und</strong> Armutsreduktion<br />
in Verbindung mit gr<strong>und</strong>legenden<br />
Menschenrechten bei der Arbeit.<br />
Aber allein die Armutsreduktion ist im Jahr<br />
2000 in die Liste der VN-Mil len niums ziele<br />
für Entwicklung aufgenommen worden –<br />
ohne Bezug auf Probleme von Beschäftigung<br />
<strong>und</strong> Arbeit. Die deutliche Trennung ökonomischer<br />
von sozialen Dimensionen in den internationalen<br />
Governance-Strukturen hatte<br />
sich mit der Gründung der Welthandelsorganisation<br />
(World Trade Organization, WTO)<br />
1996 noch verstärkt: Regierungen <strong>und</strong> Arbeitgebervertreter<br />
aufstrebender Schwellenländer<br />
des Südens sprachen sich gegen jedes<br />
Junktim von so zial-normativen Kriterien <strong>und</strong><br />
Freihandel aus, weil sie darin Wettbewerbsverzerrungen<br />
zu ihrem Nachteil sahen. Erst<br />
1998 gelang es der IAO mit der „Erklärung<br />
über gr<strong>und</strong>legende Prinzipien <strong>und</strong> Rechte bei<br />
der Arbeit“ einen anfänglich bescheidenen<br />
normativen Gr<strong>und</strong>konsens für die Welt der<br />
Arbeit zustande zu bringen. Da das Arbeitsrecht<br />
nicht zum öffentlichen Recht gezählt<br />
wird, gab es bis dahin kaum Verbindungen<br />
zwischen arbeitsrechtlichen <strong>und</strong> menschenrechtlichen<br />
Diskursen, obwohl schon in der<br />
IAO-Erklärung von Philadelphia 1944 eine<br />
an Rechten orientierte Sprache gewählt wurde<br />
(„Arbeit ist keine Ware“).<br />
Bei den von der IAO erklärten gr<strong>und</strong>legenden<br />
Rechten oder Kernarbeitsnormen,<br />
die in acht IAO-Übereinkommen völkerrechtlich<br />
judifiziert sind, geht es um das<br />
Recht auf Vereinigungsfreiheit bzw. kollektive<br />
Tarifverhandlungen, die Abschaffung von<br />
Zwangsarbeit, die Beseitigung (spezifizierter)<br />
Kinderarbeit <strong>und</strong> das Verbot von Diskriminierung<br />
in Beschäftigung <strong>und</strong> Beruf<br />
(wie nach Geschlecht oder Hautfarbe). Diese<br />
gr<strong>und</strong>legenden Prinzipien <strong>und</strong> Rechte lassen<br />
sich als faire Wettbewerbsregeln für die internationale<br />
Wirtschaft legitimieren. In ihrem<br />
normativen Sinn sind sie als Ermöglichungsrechte<br />
zur Existenzerhaltung <strong>und</strong> -entfaltung<br />
zu verstehen. ❙ 18 Es sind liberale Gr<strong>und</strong>rechte;<br />
im Unterschied zu der Vielzahl von IAO-Regelungsgebieten<br />
im Arbeits- <strong>und</strong> Sozialrecht<br />
schaffen sie für sich allerdings noch keinen<br />
materiellen Schutz: So garantieren sie weder<br />
18 ❙ Vgl. Martha Nussbaum, Women and Equality.<br />
The Capabilities Approach, in: International Labour<br />
Review, 138 (1999) 3, S. 217–245.<br />
ausreichenden Lebensunterhalt noch ges<strong>und</strong>e<br />
Arbeitsbedingungen. Zur Förderung der<br />
Menschenwürde bei der Arbeit sind sie unabdingbar,<br />
zur Verbesserung der Arbeits- <strong>und</strong><br />
Lebensbedingungen allein unzureichend. Zu<br />
den prioritär zu fördernden Übereinkommen<br />
werden daher vom IAO-Stab auch die Übereinkommen<br />
über Arbeitsaufsicht, Sozialeinrichtungen,<br />
die Festsetzung von Mindestlöhnen<br />
<strong>und</strong> Arbeitnehmervertreter im Betrieb<br />
gezählt.<br />
Auf dieser normativen Gr<strong>und</strong>legung konnte<br />
die Decent Work Agenda der IAO von<br />
1999 aufbauen. Ihr Anspruch ist die Inklusion<br />
aller arbeitenden Menschen in das Mandat<br />
der IAO. Juan Somavía, der erste nicht aus<br />
einem klassischen Industrieland kommende<br />
Generaldirektor der IAO, formulierte in seiner<br />
programmatischen „Agenda für weltweit<br />
menschenwürdige Arbeit“ als vorrangiges<br />
Ziel, „Möglichkeiten zu fördern, die Frauen<br />
<strong>und</strong> Männern eine menschenwürdige <strong>und</strong><br />
produktive Arbeit in Freiheit, Sicherheit <strong>und</strong><br />
Würde <strong>und</strong> unter gleichen Bedingungen bieten“.<br />
Der IAO müsse es „auch um Erwerbstätige<br />
außerhalb des formellen Arbeitsmarktes<br />
gehen, um die Arbeitnehmer in ungeregelten<br />
Verhältnissen, um Selbständige <strong>und</strong> Heimarbeiter“.<br />
❙ 19 Die Decent Work Agenda der IAO<br />
benennt vier strategische Gr<strong>und</strong>sätze, die zu<br />
Lebensbedingungen beitragen sollen, in denen<br />
sich Menschen entwickeln können: produktive<br />
Beschäftigung (also Arbeit, die über<br />
die bloße Existenzerhaltung hinaus Bedürfnisse<br />
erfüllen kann), Rechte bei der Arbeit,<br />
Sozialschutz in den Lebensphasen, in denen<br />
der eigene Unterhalt nicht durch Arbeit gesichert<br />
werden kann (Kindheit, Krankheit<br />
bzw. Invalidität, Beschäftigungslosigkeit<br />
<strong>und</strong> Alter) <strong>und</strong> Sozialdialog (also das Prinzip,<br />
Arbeitende in allen Entscheidungen, die<br />
Arbeit betreffen, in einem Verhandlungsprozess<br />
mit Arbeitgebern oder auch Regierungen<br />
zu beteiligen).<br />
Die IAO steht mit Blick auf alle vier Gr<strong>und</strong>sätze<br />
vor der Herausforderung, die strukturellen<br />
Unterschiede <strong>und</strong> Interdependenzen<br />
der sozioökonomischen Kontexte (Schwellen-,<br />
Entwicklungs-, Industrie- <strong>und</strong> Transformationsländer)<br />
zu beachten, um sowohl<br />
ökonomischen Entwicklungsnutzen als auch<br />
19<br />
❙ <strong>Internationale</strong>s Arbeitsamt, Menschenwürdige<br />
Arbeit, Genf 1999, S. 4.<br />
APuZ 34–35/2010 31