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Das Thema: Abhängigkeit<br />
Teil 4: Medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten der Alkoholabhängigkeit<br />
Michael Soyka<br />
Die pharmakologisch gestützte Rückfallprophylaxe<br />
der Alkoholkrankheit stellt einen<br />
relativ jungen Forschungszweig der klinischen<br />
Psychopharmakotherapie dar. Für<br />
Medikamente, die die Rückfallhäufigkeit bei<br />
Alkoholabhängigen senken, hat sich im klinischen<br />
Alltag der Begriff Anti-Craving-Substanzen<br />
eingebürgert, obwohl der Zusammenhang<br />
zwischen Alkoholverlangen und<br />
Rückfall sowohl in der Psychotherapie- wie<br />
in der Pharmakotherapieforschung oft<br />
schwierig zu zeigen, häufig auch umstritten<br />
ist. Klinisch korrekter wäre es von Antidipsotropika<br />
zu sprechen. Damit wäre kein bestimmter<br />
Wirkmechanismus impliziert.<br />
Der Begriff Craving ist umstritten. Obwohl er<br />
heute in modernen psychiatrischen Klassifikationssystemen<br />
als zentrales Phänomen bei<br />
Suchterkrankungen angesehen wird (deutsche<br />
Synonyme: Alkoholverlangen, „Suchtdruck”)<br />
ist er klinisch und psychometrisch<br />
schwer zu erfassen. Es ist davon auszugehen,<br />
dass ein Teil von Craving (Alkoholverlangen)<br />
neurobiologische Grundlagen hat,<br />
es kann aber auch nicht übersehen werden,<br />
dass Craving durch bestimmte psychosoziale<br />
Ereignisse ausgelöst oder „getriggert”<br />
werden kann.<br />
Die neurobiologische Grundlagenforschung<br />
hat gezeigt, dass eine Reihe von Neurotransmittern<br />
an der Vermittlung psychotroper<br />
Effekte von Alkohol beteiligt sind. Dazu<br />
gehören in erster Linie das Glutamat-System,<br />
Opioide, Dopamin sowie Serotonin. Für die<br />
einzelnen Neurotransmittersysteme sind Veränderungen<br />
der Neurotransmission gezeigt<br />
worden, die bei chronisch Alkoholabhängigen<br />
vorliegen. Basierend auf den Befunden<br />
der neurobiologischen und neurochemischen<br />
Grundlagenforschung der letzten Jahre<br />
sind eine Reihe von klinischen Substanzen<br />
im Bereich Rückfallprophylaxe der Alkoholabhängigkeit<br />
überprüft worden, von denen<br />
sich allerdings nur einige als wirksam erwiesen<br />
haben und klinische Relevanz erlangt<br />
haben.<br />
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über<br />
die wichtigsten Substanzen gegeben werden.<br />
Acamprosat:<br />
Acamprosat ist ein Derivat des Neuromodulators<br />
Homotaurin und weist große strukturchemische<br />
Ähnlichkeiten mit GABA sowie<br />
mit Taurin auf. Die Substanz ist stark hydro-<br />
178 Brandenburgisches Ärzteblatt 6/2002 12. Jahrgang<br />
phil und wird aus dem Gastrointestinaltrakt<br />
relativ schlecht absorbiert. Eine Plasmaeiweißbindung<br />
besteht nicht. Bei Einmalgabe<br />
hat Acamprosat etwa eine Halbwertzeit von<br />
drei Stunden. Die Substanz überwindet die<br />
Blut-Liquor-Schranke. Klinisch werden in der<br />
Regel Dosen von 1,3 bis 2 g/die (entsprechend<br />
4 x 6 Tbl. à 333 mg/die) eingesetzt.<br />
Pharmakologisch aktive Metaboliten existieren<br />
nicht, ein Steady-State ist nach etwa<br />
7 Tagen erreicht. Die Substanz wird vollständig<br />
durch glomeruläre Filtration eliminiert.<br />
Pharmakologische Interaktionen mit Alkohol,<br />
verschiedenen Psychopharmaka (Benzodiazepine,<br />
Antidepressiva) sowie Disulfiram<br />
konnten nicht gezeigt werden.<br />
Der Wirkmechanismus wird noch nicht<br />
ausreichend verstanden (Littleton, 1995).<br />
Zahlreiche Untersuchungen belegen eine<br />
Wirkung von Acamprosat über das glutamaterge<br />
System (Spanagel et al, 1996 a-c;<br />
1997).<br />
Acamprosat beeinflusst, in therapeutisch relevanten<br />
Konzentrationen gegeben, die<br />
durch den erregenden Neurotransmitter<br />
L-Glutamat an Neuronen des zentralen Nervensystems<br />
ausgelöste Entladungsaktivität<br />
(Übersicht in Tsai et al, 1995; Soyka und<br />
Zieglgänsberger, 1999). Sowohl an Neuronen<br />
in vivo als auch an Neuronen in vitro ergaben<br />
sich bisher keine Hinweise dafür, dass<br />
Acamprosat GABAerge (GABAA) Übertragungsmechanismen<br />
beeinflußt. An Nervenzellen<br />
mit rekombinanten GABA-Rezeptoren<br />
konnte gezeigt werden, dass Acamprosat<br />
keinen Einfluss auf die durch die Aktivierung<br />
von GABA-Rezeptoren hervorgerufene<br />
Ionenleitfähigkeit besitzt. Während in neocorticalen<br />
Arealen Hemmwirkungen überwiegen,<br />
wird im Hippocampus und im<br />
Nucleus accumbens, zwei limbischen Strukturen,<br />
die eng mit Suchtverhalten verknüpft<br />
sind, durch Acamprosat die neuronale Entladungstätigkeit<br />
heraufgesetzt. In diesen<br />
Strukturen erhöht Acamprosat auch die Expression<br />
des immediate-early genes c-fos<br />
und einer funktionell sehr wichtigen splice<br />
Variante einer Glutamat(NMDA)-Rezeptoruntereinheit.<br />
Die Erhöhung der postsynaptischen<br />
Leitfähigkeit, die sich durch L-Glutamat<br />
in Zellen, die mit verschiedenen<br />
Untereinheiten des NMDA-Rezeptors transfiziert<br />
wurden, auslösen lässt, wird durch<br />
Acamprosat bereits in sehr niedrigen Konzentrationen<br />
reduziert. Acamprosat bindet<br />
an die sog. Polyamin-Bindungstelle des<br />
NMDA-Rezeptors und moduliert vermutlich<br />
so die durch L-Glutamat ausgelöste Depolarisation.<br />
Acamprosat hat keinen Einfluss auf<br />
die durch Alkohol an diesen Rezeptoren ausgelösten<br />
Veränderungen der NMDA-Rezeptor<br />
vermittelten Ionenströme. Verhaltensexperimente<br />
zeigen, dass Acamprosat nicht,<br />
wie dies einige NMDA-Antagonisten tun, für<br />
Alkohol substituiert. Eine Synopsis der bisher<br />
vorliegenden Befunde lässt den Schluss zu,<br />
dass Acamprosat nicht nur die beim Entzug<br />
auftretende neuronale Übererregbarkeit<br />
dämpft, sondern über einen Einfluss auf erregende<br />
Aminosäuretransmitter auch konditionierte<br />
Lernprozesse reduziert.<br />
Es konnte durch Acamprosat auch die erhöhte<br />
Explosion des C-Fos-Gens (ein Immediate<br />
Early Gene) während des Entzugs dosisabhängig<br />
unterdrückt werden.<br />
Erste klinische Studien wurden in Frankreich<br />
von Lhuintre et al. (1985, 1990) durchgeführt.<br />
Die meisten klinischen Untersuchungen haben,<br />
mit einer Ausnahme (britische Studie<br />
von Chick et al., unpubliziert) einen Wirknachweis<br />
zu Gunsten von Acamprosat gezeigt.<br />
In Deutschland wurden von Saß et al. (1996)<br />
eine placebo-kontrollierte Doppelblindstudie<br />
an 272 Patienten durchgeführt (Behandlungszeitraum<br />
48 Wochen), wobei sich<br />
während des gesamten Behandlungszeitraums<br />
eine hochsignifikant niedrigere Rückfallrate<br />
in der Gruppe der mit Acamprosat<br />
behandelten Patienten bzw. eine geringere<br />
Anzahl „nasser“ Tage und eine niedrigere<br />
Drop-out-Rate zeigte. Am Behandlungsende<br />
waren 42,8 % der mit Acamprosat behandelten<br />
Patienten, aber nur noch 20,7 % der<br />
mit Placebo behandelten Patienten abstinent<br />
(p