Kontrovers: Ende des kostenlosen Fernsehens? | Kulturbeute ...
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Täglich musste im DFF Parteiwirksames<br />
über die Mattscheiben flimmern<br />
‚Politisch-ideologische Leitlinien‘ nennt Susanne Vollberg solche<br />
Vorgaben der Politik an die DDR-Medien und damit auch<br />
an die Fernsehmacher: „Eine inhaltliche Richtschnur der Partei,<br />
die die Redakteure dann als verhaltensanleitende Bilder konzipieren<br />
und im täglichen Programm gezielt einbinden sollten.“<br />
Täglich musste im DFF Parteiwirksames über die Mattscheiben<br />
flimmern, mussten ‚Eigenbild‘, ‚Freundbild‘,<br />
‚Feindbild‘ und ‚Weltbild‘ bedient<br />
und vorgeführt werden.<br />
„Das war ein wichtiges Herrschaftsinstrument<br />
der SED-Führung“, betont<br />
Vollberg. Gerade so anschauliche Vorbilder<br />
wie die ‚Helden der Arbeit‘ oder<br />
die ‚Feindbilder‘ USA und BRD seien oft<br />
zitiert worden. Die von ihr angewendete<br />
Methode ist <strong>des</strong>halb auch die so genannte<br />
‚Leitbildanalyse‘, ein Ansatz, der<br />
in ihren Augen die übliche chronologische<br />
Auswertung der Fernsehgeschichte<br />
wesentlich erweitert. Einflüsse der<br />
staatlich verordneten Botschaften werden<br />
hier untersucht und konkrete Wirkungen<br />
von Inhalten einzelner Sendeformate<br />
aufgedeckt. Susanne Vollberg<br />
ist überzeugt: „Die Leitbildforschung<br />
kann inhaltliche Zusammenhänge zwischen Fernsehprogramm<br />
und politischem Geschehen zutage fördern.“<br />
Ihre Daten hat sie von 2001 bis 2008 gesammelt, als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin <strong>des</strong> Teilprojekts „Strukturgeschichtliche,<br />
kulturpolitische, organisatorische und technische Aspekte<br />
der Programmentwicklung“ der DFG-Forschergruppe<br />
„Programmgeschichte <strong>des</strong> DDR-<strong>Fernsehens</strong> – komparativ“. Etwa<br />
drei Jahre feilte sie an der Habilitationsschrift.<br />
Klar abgestecktes Forschungsgebiet<br />
Die DDR-Forschung profitiert grundsätzlich von der zeitlichen<br />
Geschlossenheit: 40 Jahre Entwicklung innerhalb klarer<br />
geschichtlicher Grenzen sorgen für Überschaubarkeit. Die<br />
Quellenlage? Schon ausführlich aufgearbeitet: Mehrere Sammlungen<br />
im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA), darunter der<br />
„Schriftgutbestand Fernsehen“, „Presseausschnittsammlung“,<br />
„Schriftgut Zuschauerforschung 1955-1990“ und die „Sehbeteiligungskartei<br />
1965-1990“ in Potsdam-Babelsberg wurden<br />
von Vollberg als Primärquellen ausgewertet. Auch im Berliner<br />
Bun<strong>des</strong>archiv hat sie sich umgesehen und Protokolle wie auch<br />
Schriftwechsel zwischen DFF und so genannten ‚anleitenden<br />
Gremien‘ einbezogen. Gremien wie das Staatliche Komitee für<br />
Fernsehen zum Beispiel, die SED-Kreisleitung Fernsehen oder<br />
die Abteilung Agitation <strong>des</strong> ZK der SED.<br />
„Die politischen Vorgaben wurden häufig in polare Projektionen<br />
von gut und böse, richtig und falsch oder Freund und<br />
Sieben Jahre lang ideologischen Leitbildern auf der<br />
Spur: Privatdozentin Dr. Susanne Vollberg<br />
Feind umgesetzt“, erklärt Vollberg. „Diese Leitbildnarration<br />
geriet allerdings schon bald immer phrasenhafter und für die<br />
Zuschauer umso unglaubwürdiger, je offensichtlicher sich Realität<br />
und mediale Umsetzung widersprachen.“ Kurz gesagt: Eine<br />
Blindgänger-Sendung, die niemand sehen möchte, könnte<br />
sich heute kaum halten. Nicht so im DDR-Fernsehen: „Freunde<br />
der russischen Sprache“ etwa lief über Jahre an zwei Tagen in<br />
der Woche, obwohl kaum jemand Notiz davon nahm. Genau<br />
das macht für die Forscherin die Faszination der Leitbildanalyse<br />
aus: Zu sehen, wie die Ostdeutschen<br />
den Widerspruch der medial konstruierten<br />
und ihrer erlebten Wirklichkeit verarbeiteten.<br />
Die Gleichgültigkeit vieler<br />
Menschen gegenüber der vermeintlich<br />
‚unverbrüchlichen Freundschaft‘ mit<br />
der Sowjetunion zum Beispiel: Noch in<br />
den 80er Jahren wurde die beschworen,<br />
als zugleich Sowjet-Publikationen wie<br />
„Sputnik“ verschwanden, die bis dahin<br />
geradezu Pflichtlektüre gewesen waren.<br />
Nun stellten sie ein Risiko für die SED-<br />
Machthaber dar: Zu gefährlich dünkten<br />
die Umwälzungen, die seit Februar<br />
1986 unter Gorbatschow ins Rollen<br />
kamen. Auch alle Neuerungen in der<br />
Landwirtschaft waren Vorhaben der<br />
DDR-Führung, die vor den Augen der<br />
Bevölkerung nicht scheitern durften<br />
und in Fernsehbilder <strong>des</strong> unbedingten<br />
Erfolgs umgesetzt werden mussten.<br />
Entwicklungen freilich erkennt Dr. Vollberg trotzdem. 1975 etwa,<br />
als das Fernsehkomitee vorgab, dass Beiträge sich durch<br />
höheren geistigen Gehalt als bisher auszeichnen müssten: „Das<br />
konventionelle Industrie- oder Landwirtschaftssujet, das mit<br />
ein paar rasselnden Maschinenteilen beginnt, wonach ein Arbeiter<br />
auf suggestive Fragen allgemeine Antworten gibt, soll<br />
der Vergangenheit angehören“, hieß es damals. Unterhaltung<br />
und besserer emotionaler Zugang galten nun als geeigneter<br />
Ansatz. In Alltagsgeschichten, Krimis oder Spielfilmen wurde<br />
fortan verstärkt auch die gleichberechtigte Stellung der ‚sozialistischen<br />
Frau‘ betont. Als Arbeitskraft sei sie den Männern<br />
ebenbürtig und trotz aller Pflichten der Kindererziehung auch<br />
in deren Berufen zuhause. Mit den Jahren hätten die ostdeutschen<br />
Frauen dieses Bild aber zunehmend weniger bereitwillig<br />
angenommen.<br />
Forschung n<br />
„Neben den Leitbildern der Regierung gab es für<br />
die Bevölkerung meist ja auch noch ältere Ideale“<br />
Dr. Susanne Vollberg<br />
Widerstand gegen die staatlich verordnete heile Welt hat die<br />
Privatdozentin übrigens vielerorts ausgemacht: Kaum ein Pionierleiter,<br />
Lehrer oder Fernsehschaffender hätte alle Vorgaben<br />
bild- oder wortgetreu umgesetzt. „Neben den Leitbildern der<br />
Regierung existierten für die Bevölkerung meist ja auch noch<br />
ältere Ideale“, fügt sie an, „prägende Einflüsse, die schon lange<br />
vor 1949 bestanden hatten.“ Eine konservativere Rollenvertei-<br />
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