MIT SONDERTEIL: Architektur NÖ. Ein kritischer ... - NÖ gestalten
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Foto: Land <strong>NÖ</strong>, BEV, 2009<br />
Luftbild von Obersdorf im Weinviertel<br />
öffentliche Raum längs der Hauptwindrichtung ausgerichtet<br />
wurde. Die Erklärung liegt wohl in der Anlage<br />
der <strong>Ein</strong>zelgehöfte, die dadurch quer zur Windrichtung<br />
liegen und deren Wirtschaftstrakte konsequent an<br />
jenen Parzellengrenzen angelagert wurden, die dem<br />
Wind zugewandt sind. Es ging hier also offensichtlich<br />
primär um die mikroklimatische Verbesserung der<br />
Innenhöfe. Diese Höfe waren ja für die Familien die<br />
zentralen Lebensräume, die so ohne baulichen Mehraufwand<br />
wirksam gegen die Außenwelt und auch<br />
gegen <strong>Ein</strong>blicke der Nachbarn abgeschirmt werden<br />
konnten.<br />
<strong>Ein</strong> anderes Charakteristikum der Ansiedlung ist,<br />
dass jede Parzelle eine Front zum repräsentativen<br />
öffentlichen Zentralraum des Dorfes und gleichzeitig<br />
einen direkten Bezug zur Landschaft hat. Dies war ein<br />
Erfordernis der landwirtschaftlichen Funktionsabläufe,<br />
stellt aber ein zeitloses und von der Wirtschaftsform<br />
unabhängiges Qualitätskriterium von Bebauungsstrukturen<br />
dar.<br />
Vorbild oder Auslaufmodell?<br />
Man könnte diese Analyse noch lange fortsetzen. Je<br />
genauer man typische alte Siedlungsstrukturen studiert,<br />
umso tiefer ist man von der funktionellen, sozialen,<br />
ökonomischen und ökologischen Leistungsfähigkeit ihrer<br />
Konzeptionen beeindruckt. Denn – machen wir uns<br />
nichts vor – diese Dörfer sind nicht naturhaft „gewachsen“<br />
– sie wurden mit größter Intelligenz, unter großem<br />
existenziellen Druck und auf Basis kollektiver kultureller<br />
Erfahrungen präzise geplant. In vorindustrieller Zeit<br />
konnten auch nur umfassend leistungsfähige Siedlungsmodelle<br />
überleben. Es gab eben keinen Überfl uss<br />
an (fossilen) Energien, mit dem man räumliche Fehlentwicklungen<br />
abfangen und ihre Konsequenzen langfristig<br />
vertuschen konnte.<br />
Trotzdem wäre es ein fataler Kurzschluss, heute wieder<br />
mittelalterliche Bauerndörfer bauen zu wollen. Es geht<br />
viel mehr darum, ohne rückwärtsgewandte Sentimentalität<br />
von den historischen Vorbildern zu lernen und ihre<br />
bis heute relevanten Qualitäten mit den planerischen<br />
Mitteln unserer Zeit neu zu interpretieren. Es geht dabei<br />
sicher um viel mehr, als bloß um die formalistische<br />
Übernahme von traditionellen Dachneigungen und<br />
Fensterteilungen. WIRD FORTGESETZT<br />
Erich Raith _ raith nonconform architektur vor ort<br />
Arch. DI Dr. Erich Raith ist Ao. Univ. Prof.<br />
am Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur<br />
und Entwerfen, Fachbereich Städtebau, an der TU Wien<br />
EIN KRITISCHER DIALOG. 37