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Die Gemeinde - Israelitische Kultusgemeinde Wien

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nr. 651 august 2009<br />

aw/elul 5769<br />

Erscheinungsort <strong>Wien</strong><br />

Verlagspostamt 1010 P.b.b<br />

e 2.-<br />

GZ 03Z034854 W<br />

DVR 0112305 € 2.-<br />

<strong>Die</strong> <strong>Die</strong><br />

GEMEINDE<br />

offizielles organ der israelitischen <strong>Kultusgemeinde</strong> wien<br />

magazin


AUS DEM BÜRO<br />

DES PRÄSIDENTEN<br />

Einladung 3<br />

IN EIGENER SACHE<br />

ALEXIA WEISS<br />

Serie: Hinter den Kulissen der IKG<br />

Teil 12: Das Archiv 4<br />

Maimonides Zentrum –<br />

Rückblick und AUsblick 8<br />

AUS DEM<br />

GENERALSEKRETARIAT<br />

Wie ein verlorener Archivbestand<br />

gefunden wurde 7<br />

Verabschiedung S.E.<br />

Botschafter Dan Ashel 7<br />

POLITIK<br />

INLAND<br />

Verfahren gg. Stop the Bomb-<br />

Aktion eingestellt 9<br />

<strong>Wien</strong>-Urlaub für Kinder<br />

aus Tel Aviv/Jaffo 10<br />

Appell von Hans Marsalek:<br />

Rechtsextremismus bekämpfen 11<br />

Unglaubliche Freisprüche 12<br />

VIP-Betreuung für<br />

mutmaßlichen NS-Täter 13<br />

Erlebinswelt Neonazismus 14<br />

AUSLAND<br />

DANNY LEDER<br />

Foltermord an Ilan Halimi<br />

kommt nochmals vor Gericht 15<br />

Mit Expertenkreis gegen<br />

Antisemitismus 18<br />

PAUL ZABLOUDIL<br />

Hiroshima-Jahrestag 19<br />

Der Warschaeuer Aufstand 20<br />

Slowakische Rechtsextreme 20<br />

NS-ZEIT<br />

Historiker fordern kritische<br />

Edition von „Mein Kampf” 21<br />

A.BRUDER UND M. ARMBORST<br />

NS-Verbrecher: Fahnder im<br />

Wettlauf mit dem Tod 22<br />

Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Global intelligence<br />

centre, Walla, Y-net, israelnetz (inn), nahostfocus (NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, ILI u.v.a.<br />

GEmEinDE<br />

Suche nach Aois Brunner 23<br />

Quelle-Grüder und NS-Zeit 23<br />

ISRAEL<br />

ULRICH W. Sahm<br />

<strong>Die</strong> Wahlen zum<br />

Zentralkomitee der Fatah 24<br />

ULRICH W. Sahm<br />

Wirtschaftsmetropole Nablus 26<br />

ULRICH W. Sahm<br />

Schöner wohnen in Palästina 27<br />

DALIA NAMMARI<br />

Frieden ist - ein Tag am Meer 29<br />

WIRTSCHAFT<br />

REINHARD ENGEL<br />

Grüß’ Gott und Schalom 30<br />

Nahost-Konflikt kostet seit<br />

1991 Wirtschaft 9 Bio. Euro 33<br />

WISSENSCHAFT<br />

EHUD ZION WALDOKS<br />

Israels hausgemachte Krise 34<br />

JÜDISCHE WELT<br />

ALEXIA WEISS<br />

Lernen über das Judentum 39<br />

Christlich-jüdische Bibelwoche 42<br />

IDA LABUDOVIC<br />

Jüdisches Belgrad 44<br />

L. JOSEPH HEID<br />

Doppelte Diaspora 46<br />

Panorama 49<br />

SPORT<br />

Maccabiah 2009 43<br />

KULTUR<br />

ALEXIA WEISS<br />

Von gebogenen Nasen ... 50<br />

ALEXIA WEISS<br />

Sprache war immer<br />

mein Revier 52<br />

Josef Burg s.A. 53<br />

Titelbild:<br />

Eisverkäufer am Strand von Tel Aviv<br />

© by Serge Attal/Flash90<br />

Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong> <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>.<br />

Zweck: Information der Mitglieder der IKG <strong>Wien</strong> in kulturellen, politischen<br />

und or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />

Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 <strong>Wien</strong>, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />

Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at<br />

Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 <strong>Wien</strong><br />

Alle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der<br />

Mei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmen<br />

Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak -<br />

tion einlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.<br />

INHALT &<br />

PLENARSITZUNGEN 2009:<br />

01. September - 13. Oktober - 05. November - 03.Dezember<br />

Wünsche? Probleme? Anregungen?<br />

Wenden Sie sich vertrauensvoll an unsere IKG-Ombudsleute<br />

Gustav Adler Tel: 0676 636 5118,<br />

Heinrich Ehlers Tel: 0676 421 3670<br />

DI Hans Gelbard Tel: 0699 11058 606<br />

Dr. Slawik Jakubow Tel: 0664 103 2349<br />

Prof. Dr. Franziska Smolka Tel: 531 04 -105<br />

fsmolka@chello.at<br />

2009.<br />

30.<br />

Augus<br />

t – 7 77.<br />

. S September<br />

<strong>Die</strong>ses Jahr wird das angesagteste jüdische Kulturereignis des Kontinents,<br />

die Jüdischen Sommers Festival zwischen 30. August und 7. September<br />

2009 zum zwölften Mal mit Zentrum in der Großen Synagoge von Budapest<br />

(Dohány utca), Europas größter Synagoge, veranstaltet.<br />

Mit einer Auswahl von beinahe 70 Veranstaltungen erwarten die Organi Organi-<br />

satoren des Festivals aufgeschlossene Besucher, die an die Klänge einer<br />

mehrere tausend Jahre alten Kultur und Tradition in moderner Auffassung<br />

interessiert sind.<br />

Am 7. September gibt das Israelische Philharmonische Orchester in der<br />

Großen Synagoge Konzert, und wird vom einstigen Direktor der Mailänder<br />

Scala, Riccardo Muti dirigiert.<br />

<strong>Die</strong> israelische Sängerin Timna Brauer reist aus Österreich an, um am<br />

2. September ihre Produktion „Lieder aus Jerusalem“ mit dem Elias Meiri<br />

Ensemble in der Synagoge vorzuführen. Am 31. August laden wir die Lieb Lieb-<br />

haber mediterraner Klangwelten zum Konzert von Elsa Valle und der Latin<br />

Jazz Syndicate ein.<br />

Shai Abramson, Oberkantor der Israelischen Armee tritt mit<br />

László Fekete, Oberkantor der Großen Synagoge von Buda-<br />

pest und dem jungen Talent Zucker Immanuel in der Syna-<br />

goge der Frankel Leo utca auf.<br />

Treu zu unseren Traditionen darf natürlich auch das<br />

Budapest Klezmer Band – Favorit vieler Besucher – vom<br />

Programm nicht fehlen.<br />

Den Liebhabern der lateinischen Rhythmen bietet dieisra- elische Flamencogruppe Compas Dance Company ein<br />

außergewöhnliches Erlebnis. Sie erzählen die Geschichte<br />

von David und Bat-Sheba in der Sprache des Flamencos.<br />

Eine Auswahl der Bilder des legendären Photographen Robert Capa wird im Ungarischen Jüdischen Museum<br />

ausgestellt; in der Budapest Galerie wird zugleich die zeitgenössische Malerin Hanna Fluk vorgestellt.<br />

<strong>Die</strong> Jüdischen Sommerspiele werden seit 1998 von der BZSH-ZSIKK mit immer größerem Erfolg organisiert. <strong>Die</strong> Orga-<br />

nisation wurde mit der Absicht gegründet, die jüdische Kultur zu propagieren und sie in den ungarischen Tourismus<br />

zu integrieren. <strong>Die</strong> Organisatoren erwarten Gäste aus Ungarn, Europa und dem Übersee, jüdisch und nicht-jüdisch<br />

zugleich; genau aus diesem Grund ist das Programm so vielseitig und bunt, und wendet die internationale Sprache<br />

des Tanzes und der Musik an.<br />

Weitere Informationen, Programme und Tickets erhältlich online unter www.jewishfestival.hu.<br />

TICKETS<br />

BEI:<br />

WEITERE<br />

INFORM<br />

AT ATIONEN:<br />

Fesztivál<br />

Jegyirod<br />

a (F (Festival<br />

Telefon:<br />

413-55-<br />

31 | F Fax:<br />

46<br />

Ve eranstalter<br />

des<br />

Jüdische<br />

n Sommerfee<br />

Budapester<br />

Jüdischen<br />

Ge<br />

m meinschaftt<br />

.<br />

<strong>Die</strong> Steinstellung für<br />

unsere geliebte Gattin,<br />

Mutter und Großmutter<br />

Zina (Mala) Schmidt<br />

findet s.G.w. am<br />

Sonntag, den 13. September 2009,<br />

um 10.45 Uhr<br />

am Zentralfriedhof, 4. Tor / Gruppe 8A<br />

statt.<br />

und<br />

im Internet<br />

u unter:<br />

www.interticket.hu<br />

Eintrittskarten)<br />

10 7 75<br />

Budapest,<br />

Síp u. 12.<br />

2-04-78<br />

| E-mail:<br />

zs<br />

ikk ikk@aviv.hu<br />

stivaa<br />

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To ourismus<br />

und<br />

K u ulturzentrum<br />

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2 August 2009 - Aw/Elul 5769


AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />

Sehr geehrtes <strong>Gemeinde</strong>mitglied!<br />

Das Präsidium der <strong>Israelitische</strong>n <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>,<br />

der Oberrabbiner der <strong>Israelitische</strong>n <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>,<br />

und die Zwi Perez Chajes-Schule freuen sich, Sie<br />

zur Einweihung der Synagoge<br />

in der neuen Zwi Perez Chajes-Schule,<br />

zur feierlichen Enthüllung der Spendertafel,<br />

zum Dank an alle Spender, Förderer und<br />

Unterstützer der neuen und alten ZPC-Schule<br />

am Sonntag, dem 6. September 2009, um 10.00 Uhr<br />

in die ZPC-Schule,<br />

in der Simon-Wiesenthal-Gasse 5, 1020 <strong>Wien</strong>,<br />

einzuladen.<br />

Wir treffen uns um 10 Uhr in der Simon-Wiesenthal-Gasse<br />

zum Einbringen der Thora-Rollen.<br />

Das Maimonides Zentrum und die IKG laden Sie ein<br />

um 12.00 Uhr zu einem<br />

„Tag der offenen Tür“<br />

(mit der Vorstellung des Hakoah-Seniorenprogramms)<br />

mit anschließendem Buffet in das neue Maimonides-Zentrum<br />

(Simon-Wiesenthal-Gasse 1, 1020 <strong>Wien</strong>)<br />

Im Rahmen von Führungen haben die Mitglieder der IKG die Möglichkeit<br />

sich ein Bild des neuen Maimonides Zentrum zu machen.<br />

Im Rahmen dieser Feierlichkeiten wird auch die Ausstellung des Malwett -<br />

be werbs „The Best of Sports“, der anlässlich der eben stattgefundenen<br />

Mac cabiah in Israel ausgeschrieben wurde, eröffnet. <strong>Die</strong>se Ausstellung<br />

markiert den offiziellen „Startschuss“ für die 13. Europäischen Makka-bi -<br />

spiele, die vom 5. bis 13. Juli 2011 in <strong>Wien</strong> stattfinden werden. <strong>Die</strong> Aus stellung<br />

wird bis Ende September 2009 in der ZPC-Schule sowie im Hakoah<br />

Sportzentrum (und im Foyer des Stadttempels) zu sehen sein.<br />

Wir freuen uns sehr über Ihr Kommen! Feiern Sie mit uns!<br />

Ihr Dr. Ariel Muzicant<br />

Präsident<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 3


„Immer neue<br />

Steine für das<br />

gigantische<br />

Puzzle NS-Zeit“<br />

<strong>Die</strong> IKG verfügt über das weltweit größte<br />

erhaltene Archiv einer heute noch lebendigen<br />

jüdischen <strong>Gemeinde</strong>. <strong>Die</strong>ses um -<br />

fasst Quellen für die Aufarbeitung der<br />

Shoah und dokumentiert die Geschichte<br />

IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />

SERIE<br />

Hinter den Kulissen –<br />

<strong>Die</strong> IKG <strong>Wien</strong> stellt sich vor<br />

Teil 12: Das Archiv<br />

der Juden in <strong>Wien</strong> seit dem 17. Jahr hun -<br />

dert. Während und unmittelbar nach der<br />

NS-Zeit gingen die Bestände des Ar chivs<br />

verschlungene Wege. Erst seit einigen<br />

Jahren werden die Dokumente und Ar chi -<br />

valien aufgearbeitet, inventarisiert und<br />

sachgemäß gelagert. Doch noch ist die<br />

Unordnung längst nicht gänzlich der an -<br />

gestrebten Ordnung nach archivarischen<br />

Prinzipien gewichen. „<strong>Die</strong> <strong>Gemeinde</strong>“<br />

sprach mit Susanne Uslu-Pauer, der Lei -<br />

terin des Archivs, und ihrem Mit ar bei ter,<br />

dem Historiker David Forster.<br />

VON ALEXIA WEISS<br />

serVice<br />

erreichbarkeit des archivs<br />

Da das Archiv nicht öffentlich zu -<br />

gänglich ist, wird um vorherige<br />

Ter minvereinbarung gebeten.<br />

Das Archiv ist<br />

montag bis Donnerstag<br />

von 9.00 Uhr bis 17.30 Uhr<br />

sowie an Freitagen<br />

von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr<br />

unter 01/53104-DW 210 oder<br />

DW 249 telefonisch erreichbar.<br />

mails bitte an: mag. Su san ne Uslu<br />

Pauer (s.uslu-pauer@ikg-wien.at) oder<br />

mag. David Forster (d.forster@ikgwien.at).<br />

Auf Grund vieler Anfragen kann es<br />

allerdings zu längeren Bearbei -<br />

tungs zeiten kommen.<br />

Rund 330 Quadratmeter stehen dem<br />

Archiv der iKG am Desider Fried mann-<br />

Platz nahe der Seitenstettengas se zur<br />

Verfügung. Hier steht man teils vor<br />

Regalen mit fein säuberlich inventarisierten<br />

und in säurefreies Papier gewickelten<br />

Akten. Wenige meter weiter<br />

türmen sich Kartons zwar oberflächlich<br />

gesichteter, ansonsten aber noch<br />

nicht bearbeiteter materialien. <strong>Die</strong><br />

Ver filmungsstation dient dem Fest -<br />

halten der Dokumente auf mikrofilm.<br />

im so genannten Entschimmelungszim<br />

mer harren teils stark beschädigte<br />

Unterlagen der Reinigung und Konser<br />

vierung. in diesem Raum arbeiten<br />

Uslu-Pauer und Forster nur mit mund -<br />

schutz und Handschuhen. mit spezi -<br />

ellen Schwämmchen und Pinseln wird<br />

dabei jedes einzelne Blatt vorsichtig<br />

gesäubert. „Nicht alles kann mehr gerettet<br />

werden“, bedauert die Archiv-Lei -<br />

terin allerdings und hebt den Deckel<br />

einer Schachtel. Der inhalt: lose, schim -<br />

melige Dokumente, vom Zahn der Zeit<br />

und jeder menge Feuchtigkeit nahezu<br />

bis zur Unleserlichkeit zerfressen.<br />

So unterschiedlich der Zustand der<br />

einzelnen Archivalien ist, so unterschiedlich<br />

gestaltet sich auch der All -<br />

tag der mitarbeiter des Archivs. Zum<br />

einen gilt es, das vorhandene mate rial<br />

zu konservieren, zu inventarisieren<br />

und für die mikroverfilmung vorzubereiten.<br />

Zum anderen haben Uslu-<br />

Pauer und Forster alle Hände voll zu<br />

tun, Anfragen von Forschern, Stu die -<br />

4 August 2009 - Aw/Elul 5769


en den sowie Holocaust-Überlebenden<br />

beziehungsweise deren nach fah -<br />

ren zu beantworten. Letztere werden<br />

sofort bearbeitet. Bei Abfragen für<br />

For schungs- oder Gedenkprojekte so -<br />

wie Dissertationen und Diplomarbei<br />

ten könne die Wartezeit jedoch bis<br />

zu zwei monate betragen, bedauert<br />

Uslu-Pauer.<br />

Derzeit ist das Archiv der iKG nicht<br />

öf fentlich zugänglich. Das heißt: es<br />

kann weder von Wissenschaftern<br />

noch von Privatpersonen direkt ge -<br />

nutzt wer den. Persönlich mit den ma -<br />

teria li en arbeiten dürfen nur die mit -<br />

ar bei ter der Res titutionsabteilung der<br />

Kultus ge mein de sowie, unter Anlei -<br />

tung, die mitglie der der Kommission<br />

für Pro ve nienz forschung sowie mit -<br />

ar beiter des na ti o nalfonds der Repu -<br />

blik Ös ter reich und des Allgemeinen<br />

Ent schä di gungs fonds.<br />

Was aber macht das Archiv der iKG<br />

so einzigartig? Herausstechend sind<br />

vor allem der lange Zeitraum, über<br />

den material gesammelt wurde, und<br />

die Fülle der Dokumente – darunter<br />

auch detailliertes material aus der<br />

nS-Zeit, wie etwa tausende und abertausende<br />

Karteikarten sowie Auswan -<br />

derungs-Fragebögen. Was die Arbeit<br />

der heutigen Archivare schwierig<br />

macht, ist die „Zerrissenheit der Be stän -<br />

de“ ab der nS-Zeit, sagt Uslu-Pau er.<br />

So wurden Teile der Akten von den<br />

nationalsozialisten zunächst nach Ber -<br />

lin ins Reichssicherheitshauptamt ver -<br />

bracht, im Sommer 1943 im Zug der<br />

Luftangriffe allerdings nach Schlesien<br />

übersiedelt. Dort wurden sie nach<br />

Ende des Zweiten Weltkriegs von der<br />

Roten Armee entdeckt und nach mos -<br />

kau transportiert, wo sie bis heute<br />

lagern. <strong>Die</strong>se Bestände könnten übrigens<br />

in absehbarer Zeit wieder nach<br />

<strong>Wien</strong> übersiedelt werden. im vergangenen<br />

mai wurde die Sichtung des<br />

Gesamtbestandes in moskau abgeschlossen.<br />

iKG und Außenministe ri um<br />

bemühen sich derzeit um die Rück ga -<br />

be der über 1.200 Archivkartons. nun<br />

gilt es die Entscheidung Russlands<br />

abzuwarten.<br />

Andere materialien wiederum, die<br />

aus der Zeit vor 1938 und aus der nS-<br />

Zeit stammen, wurden in mehreren<br />

Tranchen in den 1950-er bis 1970-er<br />

Jahren nach Jerusalem verbracht, wo<br />

sie bis heute als Leihgabe der iKG in<br />

IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />

den Central Archives for the History of<br />

the Jewish People lagern.<br />

Und der dritte große Teil des Archivs,<br />

dessen Kern Dokumente aus der nS-<br />

Zeit bilden, der aber auch material<br />

aus der Zeit vor 1938 und nach 1945<br />

umfasst, wurde 1986 bei Umbauar bei -<br />

ten im Keller der Seitenstettengasse<br />

zum ersten mal entdeckt. Wohin dieser<br />

Archivbestand damals gebracht<br />

wurde, geriet allerdings in Verges sen -<br />

heit und sollte sich erst 2000 klären.<br />

in diesem Jahr wurden in einem La -<br />

ger in der Herklotzgasse kistenweise<br />

Dokumente gefunden, welche die iKG-<br />

Verantwortlichen daraufhin um ge hend<br />

in die Räumlichkeiten der An lauf stel le<br />

der iKG transportieren ließen. in den<br />

hunderten Kisten fanden sich schließlich<br />

u.a. an die 500.000 Blätter aus der<br />

nS-Zeit – wertvolles material nicht nur<br />

zur Aufarbeitung der Shoah mit personenbezogenen<br />

Karteien, son dern<br />

auch zur Beantwortung von Fragen<br />

zum Ver mögensentzug und ei ner allfälligen<br />

„Wiedergut ma chung“.<br />

<strong>Die</strong> Ur sprün ge<br />

des Ar chivs reichen<br />

in des sen<br />

we sent lich wei -<br />

ter zu rück.<br />

Of fi zi ell ge grün -<br />

det wur de das<br />

Ar chiv der Kul -<br />

tus ge mein de<br />

im Juni 1816.<br />

<strong>Die</strong> Vertreter der<br />

jü di schen Gemein -<br />

de be schlossen da -<br />

mals, den Aktuar,<br />

so nann te man den<br />

Schriftführer, „zu ver -<br />

anlassen, alle Akten -<br />

stücke, die in An ge le gen -<br />

heiten der hiesigen Israeli ten<br />

ergan gen sind, zusam men -<br />

zulegen, um sie zu ei nem<br />

gewissen Gebrauche zu verwenden“.<br />

Gesammelt und dokumentiert<br />

werden sollten damit beispielsweise<br />

alle Patente, also kaiserliche Er -<br />

lässe und Verordnungen, welche die<br />

Rechte und Pflichten der ortsansässigen<br />

Juden re gelten.<br />

Es dauerte jedoch weitere 30 Jahre, „bis<br />

sich das Archiv institutionalisierte“, er -<br />

zählt Uslu-Pauer. Der damalige Ar -<br />

chi var Ludwig August Frankl sorgte für<br />

eine bessere Unterbringung der Ar chi -<br />

valien und ließ im Gebäude der Ge -<br />

mein de in der Seitenstettengasse ei nen<br />

Archivraum einrichten. <strong>Die</strong> alten und<br />

neu hinzukommenden Ak ten stücke<br />

wur den sukzessive geordnet, indiziert<br />

und katalogisiert. Wie einem Bericht<br />

Frankls vom September 1841 zu entnehmen<br />

ist, umfassten die Bestände zu<br />

diesem Zeitpunkt 10.145 Akten stü cke,<br />

davon 22 aus den Jahren 1626 bis 1805,<br />

die restlichen aus der Zeit danach.<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde<br />

die „Historische Kommission“ ge grün -<br />

det. „Sie sollte sich mit der wissenschaftlichen<br />

Aufarbeitung der Geschichte der<br />

Ju den in Österreich befassen und zu diesem<br />

Zweck sämtliche, in österreichischen<br />

Ar ch i ven verfügbaren historischen Quel -<br />

len, zu diesem Thema identifizieren und<br />

sammeln“, sagt Uslu-Pauer. <strong>Die</strong> Grün de<br />

für diese initiative seien nicht eindeutig<br />

belegt. „Ein Grund könnte in dem zuneh<br />

menden Bedürfnis nach Iden ti tätssi -<br />

cherung liegen“, meint die Lei te rin des<br />

iKG-Archivs. „Ein weiterer könnte auch<br />

gewesen sein, dem damals stark wachsenden<br />

Antisemitismus mit fun diertem<br />

Wissen über die Geschichte der Juden in<br />

Österreich entgegentreten zu kön nen.“<br />

Unmittelbar nach dem „An -<br />

schluss“ Österreichs an Hit ler-<br />

Deutschland im märz 1938<br />

wurde das Archiv aufgelöst<br />

und die <strong>Kultusgemeinde</strong> zu -<br />

nächst geschlossen, im mai<br />

1938 jedoch wieder geöffnet<br />

und gezwungen, „unter<br />

An weisung der NS-Be hör -<br />

den die Aus wan de rung<br />

der jüdischen Be völ ke -<br />

rung und in wei terer<br />

Folge die De por ta -<br />

tion von Jü din nen<br />

und Ju den in die<br />

Kon zen tra tions- und<br />

Vernich tungs lager zu<br />

organisieren“.<br />

Erschütternde, großformatige Dokumente<br />

aus dieser Zeit, die sich bis<br />

heute im Archiv der iKG, aber auch<br />

teils in moskau, befinden: Wand ta -<br />

feln, auf denen schematisch „<strong>Die</strong> jüdische<br />

Wanderung aus der Ostmark“ dargestellt<br />

wird. <strong>Die</strong> Tafeln seien vermutlich<br />

im Auftrag der „Zentralstelle<br />

für jüdische Auswanderung“ von<br />

mitarbeitern der <strong>Kultusgemeinde</strong> an -<br />

gefertigt worden, so Uslu-Pauer. Für<br />

die Leiterin des Archivs sind diese<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 5


Wand tafeln, die die erzwungene Aus -<br />

wanderung der jüdischen Auswande -<br />

rung dokumentieren, „Schaltstellen des<br />

Grauens, in denen das von Adolf Eich -<br />

mann entwickelte System der Ausbeu tung<br />

und Vertreibung sichtbar wird“. Dar ge -<br />

stellt werden u.a. alle Ämter und<br />

Behörden, die Juden vor ihrer Ausrei se<br />

aufzusuchen hatten. So wurde sichergestellt,<br />

dass die jüdische Bevöl ke -<br />

rung nicht nur zusehends verschwand,<br />

sondern auch „durch diskriminierende<br />

Steuern und Abgaben ihres gesamten<br />

Vermögens beraubt wurde“.<br />

nach 1945 wurde das Archiv zu nächst<br />

nicht wieder eingerichtet. Ein Teil der<br />

Bestände lagerte zu diesem Zeitpunkt<br />

bereits in moskau, große Teile der<br />

übrigen wurden, wie bereits beschrieben,<br />

nach israel transportiert. „Anzu -<br />

neh men ist, dass das Archiv in den un -<br />

mittelbaren Nachkriegsjahren nicht zu den<br />

vordringlichsten Problemen zählte. Es galt<br />

vielmehr, wesentliche Fragen, wie etwa<br />

die Hilfe für die rückkehrenden Jüdinnen<br />

und Juden oder Angehörige von im Ho lo -<br />

caust Ermordeten beziehungsweise Fra -<br />

gen der Entschädigung, zu klären“, sagt<br />

Uslu-Pauer. Zudem habe es Beden ken<br />

gegeben, ob sich in <strong>Wien</strong> je wieder<br />

eine lebendige jüdische <strong>Gemeinde</strong><br />

etablieren werde können.<br />

Erst mit der Wiederentdeckung der<br />

Archivbestände in der Herklotzgasse<br />

im Jahr 2000 habe man dem gesamten<br />

Archiv zunehmend größere Beach tung<br />

geschenkt. Bis Anfang 2009 war es an<br />

die ehemalige Anlaufstelle der iKG<br />

angeschlossen. mit Jahresbeginn wur -<br />

de die Anlaufstelle aufgelöst und<br />

zwei neue Abteilungen gegründet: die<br />

Abteilung für Restitutionsange le -<br />

genheiten und die Abteilung Archiv<br />

der iKG <strong>Wien</strong>. „<strong>Die</strong>s bedeutet eine enorme<br />

Aufwertung für das Archiv“, freut<br />

sich Uslu-Pauer.<br />

in enger Zusammenarbeit mit dem<br />

Prä sidium und dem Generalsekre ta -<br />

riat arbeiten die beiden Historiker<br />

Uslu-Pauer und Forster nun an der<br />

„Wie derherstellung des Archivs“. Ob<br />

die Bestände, die derzeit in moskau<br />

lagern, nach <strong>Wien</strong> übersiedelt werden,<br />

wird die Zukunft zeigen. Von<br />

den heute in Jerusalem verwahrten<br />

Akten sind die Bestände aus den Jah -<br />

ren 1933 bis 1945 bereits mikroverfilmt,<br />

„das entspricht etwa der Hälfte des Ge -<br />

samtumfangs von drei Millionen Sei ten“.<br />

Von jenen Beständen, die sich in <strong>Wien</strong><br />

IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />

befinden, habe man alles, was die nS-<br />

Zeit betreffe und darüber hinaus, zu<br />

90 Prozent inventarisiert beziehungsweise<br />

auf mikrofilm gebannt (rund<br />

ei ne million Aufnahmen), „Teile davon<br />

bedürfen jedoch noch einer intensiveren<br />

Überarbeitung“. Auch der Großteil der<br />

erhaltenen matrikenbücher bis 1945,<br />

die zum Teil im Archiv und teils im<br />

ma trikenamt der iKG aufbewahrt<br />

werden, sei bereits verfilmt. Das ma -<br />

te rial aus der Zeit vor 1938 und nach<br />

1945 hingegen habe man erst zu ei nem<br />

kleinen Teil erfasst, so die Leiterin des<br />

Archivs.<br />

mit der Sichtung, Konservierung, in -<br />

ven tarisierung und sachgemäßen La -<br />

gerung aller Dokumente liegt da her<br />

noch ein großer Teil der Arbeit vor<br />

Us lu-Pauer und Forster, der be reits<br />

seit mehr als zehn Jahren mit der wissenschaftlichen<br />

Aufarbeitung der nS-<br />

Zeit, unter anderem auch im Rahmen<br />

der Historikerkommission der Repu -<br />

blik, beschäftigt ist. Zur Seite gestellt<br />

haben die beiden Historiker dabei<br />

immer wieder die eine oder andere<br />

„Pro blemkiste“: darin finden sich lo se<br />

Blätter, zeitlich und vom Kontext her<br />

nicht zuordenbar. Hier gelte es zuerst<br />

einmal „die Entstehungszusammen hän ge<br />

zu eruieren“.<br />

„Wir planen bis Mitte beziehungsweise<br />

Ende 2010 mit der Inventarisierung der<br />

Bestände am Desider-Friedmann-Platz<br />

zur Person<br />

fertig zu werden“, sagt Uslu-Pauer. Wei -<br />

tere Vorhaben: die komplette Über -<br />

arbeitung des Verwaltungsarchivs der<br />

iKG nach 1945 sowie die Einrichtung<br />

einer Website. Auf dieser soll „u.a. die<br />

Genese des Archivs dargestellt werden“.<br />

Uslu-Pauers Wunschtraum: „<strong>Die</strong> He -<br />

raus gabe eines Archivhandbuchs, sozusagen<br />

ein Adelsprädikat eines Archivs, und<br />

ein übersichtlich inventarisiertes Archiv,<br />

das öffentlich zugänglich ist, in dem man<br />

forschen kann und in dem man Akten auf<br />

Knopfdruck findet.“ Dabei behilflich:<br />

Rainer Hackauf, der für Restitutions -<br />

abteilung und Archiv die EDV be treut,<br />

und Roy Riginashevily, zuständig für<br />

Layout und Design.<br />

in ihrer bisherigen Arbeit im Archiv<br />

der iKG haben Uslu-Pauer vor allem<br />

„die Karteikarten, die persönliche Schick -<br />

sale sichtbar machen“ beeindruckt. im -<br />

mer wieder „berührend“ seien auch die<br />

Fragebögen zur Auswanderung. ihr<br />

„ku riosester Fund“ in den vergangenen<br />

Jahren: „Ich habe einen Akt bearbeitet,<br />

in dem auch falsche Zähne enthalten<br />

waren.“ Forster findet es vor allem er -<br />

staunlich, wenn er im Zug der Auf ar -<br />

beitung von Akten mit namen konfrontiert<br />

wird, die er bereits in anderen<br />

wissenschaftlichen Zusammen hän gen<br />

kennengelernt hat. „Man bekommt im -<br />

mer neue Puzzlesteine für dieses gigantische<br />

Puzzle NS-Zeit.“<br />

mag. susanne uslu-Pauer, geb. 1969 in Hainburg (nÖ), absolvierte zu nächst<br />

eine Ausbildung zu Reiseleiterin und Gästebetreuerin und studierte dann<br />

ab 1992 Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität <strong>Wien</strong>. Von 1999<br />

bis 2006 war sie als wissenschaftliche mitarbeiterin im Rahmen von Projek -<br />

ten des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW),<br />

der Zentralen österreichischen Forschungsstelle nachkriegsjustiz sowie des<br />

Ver eins zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und<br />

ihrer Aufarbeitung tätig.<br />

Als Uslu-Pauers Forschungsschwerpunkte kristallisierten sich dabei heraus:<br />

die nachkriegsjustiz in Österreich, die strafrechtliche Verfolgung von „End -<br />

pha severbrechen“, nS-Verbrechen an so genannten Zwangsarbeitern und nS-<br />

Verbrechen an Roma und Sinti, Erinnerungskultur und Vergangenheits po -<br />

li tik sowie holocaustrelevante Themenbereiche. Seit Jänner 2007 ist die<br />

Historikerin mitarbeiterin im Archiv der iKG. im Jänner 2009 hat sie die<br />

Leitung der Abteilung Archiv der iKG <strong>Wien</strong> übernommen.<br />

Privat interessiert sich Uslu-Pauer auch für Kunst und Literatur und sie reist<br />

gerne. ihr größter Wunsch: einmal Australien und neuseeland zu bereisen<br />

und einen historischen Roman zu schreiben.<br />

6 August 2009 - Aw/Elul 5769


Wie bereits im Artikel von Alexia<br />

Weiss erwähnt, wurden jene in <strong>Wien</strong><br />

verbliebenen Archivteile, u.a. aus der<br />

nS-Zeit, 1986 im Keller der Seiten -<br />

stettengasse entdeckt. <strong>Die</strong> damalige<br />

iKG-Administration brachte die um -<br />

fang reichen Archivalien, Bücher und<br />

Karteikarten an einen Ort, wo sie abermals<br />

in „Vergessenheit“ gerieten.<br />

<strong>Die</strong> Beauftragte für Restitutionsange -<br />

le genheiten Erika Jakubo vits akzeptierte<br />

diesen Zustand nicht und stellte im -<br />

mer wieder nachforschungen zum an -<br />

geblich verschollenen Archiv an. Sie<br />

konnte sich nicht vorstellen, dass ein<br />

Archiv einfach ver schwin den konnte.<br />

Auch der damalige Generalsekretär<br />

der iKG <strong>Wien</strong> konnte ihr nicht weiterhelfen,<br />

da er davon überzeugt war,<br />

dass keine Archivalien mehr in <strong>Wien</strong><br />

lagernd wären.<br />

im Herbst 1998 wurde Frau Jakubo vits<br />

über Kisten mit angeblichen Archiv -<br />

be ständen im maimonideszentrum<br />

formiert. in einer der Kisten wurden<br />

tatsächlich Unterlagen des verschwundenen<br />

Archives gefunden. Es lag also<br />

nahe, dass es auch den Rest des Ar -<br />

chi ves der <strong>Kultusgemeinde</strong> irgendwo<br />

geben müsse.<br />

Einen weiteren Hinweis für die Exis -<br />

AUS DEM GENERALSEKRETARIAT<br />

Wie ein verloren geglaubter Archivbestand<br />

wiedergefunden wurde …<br />

tenz des Archivs gab Univ. Prof. Dr.<br />

Oliver Rathkolb. Er informierte nach<br />

einer Pressekonferenz der iKG <strong>Wien</strong>,<br />

in der festgestellt wurde, dass es kei ne<br />

Hinweise zu Auswanderungslisten<br />

gäbe, Frau Jakubovits, dass solche Lis -<br />

ten auf jeden Fall in der iKG <strong>Wien</strong><br />

vor handen sein müssten.<br />

Als Frau Jakubovits im Jahr 2000 von<br />

einem Lager in einem Haus der iKG<br />

in der Herklotzgasse im 15. <strong>Wien</strong>er<br />

Ge meindebezirk hörte, ahnte sie ge -<br />

fühls mäßig, dass dort die Archivalien<br />

der iKG <strong>Wien</strong> verwahrt sein könnten.<br />

Sie benachrichtigte den Präsidenten<br />

der israelitischen <strong>Kultusgemeinde</strong>, Dr.<br />

Ariel muzicant, und fuhr in der Folge<br />

gemeinsam mit dem Vizepräsidenten<br />

der iKG <strong>Wien</strong>, Oskar Deutsch, in die<br />

Herklotzgasse, um das Lager anzuschauen.<br />

Bei der Besichtigung wurde<br />

das längst verloren geglaubte Archiv<br />

wiederentdeckt und der Transport des<br />

Aktenmaterials in die Räumlich kei ten<br />

der damaligen Anlaufstelle transportiert.<br />

<strong>Die</strong> Aufarbeitung und inven ta -<br />

ri sierung des Archivbestandes aus der<br />

Herklotzgasse wird im Laufe des<br />

nächsten Jahres abgeschlossen sein.<br />

Mag. Raimund Fastenbauer<br />

GS für jüdische Angelegenheiten<br />

Offizielle Mitteilung des Präsidiums und<br />

des Generalsekretariats der IKG <strong>Wien</strong><br />

Das <strong>Wien</strong>er Wiesenthal institut für Holocaust-Studien (VWi) ist auf initia tive<br />

des Präsidenten der is ra elitischen <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>, Dr. Ariel mu zi cant,<br />

entstanden.<br />

in den letzten Jahren hat die iKG <strong>Wien</strong> als Gründerorganisation und Träger<br />

des instituts die gesamte Vor arbeit geleistet, Konzepte erstellt so wie die um -<br />

fangreichen Kosten ge tragen.<br />

Darüber hinaus hat sie auch mit ar beiterinnen für die Realisierung des Pro -<br />

jek tes zur Verfügung ge stellt.<br />

Da die Räumlichkeiten im Palais Strozzi erst im Jahr 2012 beziehbar sind,<br />

hat die iKG <strong>Wien</strong> auf ihre Kos ten dem VWi für die Vorlauf pha se Büroräu -<br />

me eingerichtet und zur Ver fügung gestellt.<br />

Seit diesem Zeitpunkt arbeitet die iKG <strong>Wien</strong> an einem Vertrag, der die leihweise<br />

Übergabe eines Teils des Archivs der iKG <strong>Wien</strong> an das VWi be inhaltet.<br />

<strong>Die</strong>ser Vertrag wurde mit absoluter Sorgfalt unter Berück sich ti gung aller relevanten<br />

Fragen und Details erarbeitet. Ein Entwurf des Leihvertrags wurde<br />

dem Anwalt des VWi am 17. Juli 2009 übersandt.<br />

Mag. Raimund Fastenbauer<br />

GS für jüdische Angelegenheiten<br />

Der Präsident der <strong>Israelitische</strong>n<br />

<strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong> und<br />

der Präsident der Zionistischen<br />

Föderation in Österreich<br />

laden Sie herzlich zur<br />

Verabschiedung von<br />

S.E. Botschafter<br />

Dan Ashbel<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 7<br />

ein.<br />

Montag, 14. September 2009<br />

18.00 - 19.30 Uhr<br />

<strong>Gemeinde</strong>zentrum der <strong>Israelitische</strong>n<br />

<strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong><br />

Seitenstettengasse 2, 1010 <strong>Wien</strong><br />

Programm:<br />

Begrüßung<br />

Dr. Ariel Muzicant,<br />

Präsident IKG<br />

Ansprache<br />

Univ. Prof. Josef Grünberger,<br />

Präsident ZFÖ<br />

„Zionismus heute“<br />

Laudatio<br />

Dr. Johannes Kyrle,<br />

Generalsekretär für auswärtige<br />

Angelegenheiten<br />

Film<br />

„Biblische Genüsse –<br />

Eine kulinarische Reise durch Israel“<br />

Dankesworte<br />

S.E. Botschafter Dan Ashbel<br />

Im Anschluss bitten<br />

wir zu einem Umtrunk<br />

Aufgrund beschränkter Platzanzahl<br />

ist eine verbindliche Anmeldung<br />

bis Mo. 7.9.09 erforderlich<br />

Kontakt: Sabine Koller<br />

Email: s.koller@ikg-wien.at oder<br />

Tel: 531 04.180


IN EIGENER SACHE • MAIMONIDES ZENTRUM<br />

Maimonides Zentrum – Rückblick und Ausblick<br />

Sehr geehrte LeserInnen der<br />

„<strong>Gemeinde</strong>“-Zeitung!<br />

Anlässlich meines 10-jährigen Fi r -<br />

men jubiläums hat mich der Kultusrat<br />

in der Sitzung von 20. Juli 2009 beauftragt,<br />

einen Rückblick über die ver -<br />

gan genen Jahre zu veröffentlichen.<br />

Am Anfang übernahm ich einen Schul -<br />

denberg von € 2,423 mio. und ein Pfle -<br />

geheim mit geringer Aus las tung und<br />

qualitativ schlechter Per so nal ausstat -<br />

tung. meine vornehmste Aufgabe war,<br />

das Personal auszubilden, nachzuschulen<br />

und auf einen zeitgemäßen<br />

Entwicklungsstand zu he ben, um da -<br />

mit die Qualität in der Betreuung der<br />

Heimbewohnerinnen und Patient in -<br />

nen deutlich zu heben.<br />

Wie Sie der Tabelle „Personalent wick -<br />

lung“ entnehmen können, habe ich das<br />

Pflegepersonal um über 50% aufgestockt,<br />

die medizinische Versor gung<br />

verdoppelt und die Therapeu ten um<br />

vier mit arbeiter erhöht. Ein ge spart<br />

habe ich lediglich im administrativen<br />

Bereich (fünf überflüssige <strong>Die</strong>nstpos -<br />

ten wurden gestrichen) und im Kü -<br />

chenbereich. neu eingeführt habe ich<br />

auch die Position von zwei Sozialar -<br />

bei tern, die der in di viduellen Betreu -<br />

Personalentwicklung 1999 - 2008<br />

Ergebnisentwicklung 2002 - 2008<br />

Beträge In 1.000 EUR<br />

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />

1. Umsatzerlöse 6.526 7.119 7.454 7.567 7.577 7.635 7.830<br />

2. Sonstige betiebl. Erträge 755 720 521 558 644 804 644<br />

3. Aufwendungen Material u. sonstige<br />

bezogene Herstellungsleistungen -1.610 -1.804 -1 .762 -1.692 -1.779 -1.864 -1910<br />

4. Personalaufwand -3.723 -3.751 -3.918 -4.254 -4.458 -4.460 -4524<br />

5. Anschreibungen -176 -181 -215 -197 -194 -197 -210<br />

6. Sonstige betr. Aufwendungen -1.499 -1.586 -1.440 -1.416 -1.491 -1.546 -1543<br />

7. Betriebserfolg 273 517 640 566 299 372 287<br />

8. Sonstige Zinsen u. ähnl. Erträge 12 12 10 12 12 22 18<br />

9. Zinsen u. ähnliche Aufwendungen -45 -40 -30 -27 -36 -42 -28<br />

10. Finanzerfolg -33 -28 -20 -15 -24 -20 -10<br />

11. Ergebnis gewöhnl. Geschäftstätigkeit 240 489 620 551 275 352 277<br />

12. Steuern vom Einkommen u. Ertrag -10 -43 -57 -36 -18 -23 -20<br />

13. Jahresgewinn 230 446 563 515 257 329 257<br />

14. Verlustvortrag aus Vorjahr -2.423<br />

15. Bilanzgewinn 174<br />

ung der Heimbewoh ner innen die nen.<br />

Ebenfalls verdoppelt wurden die mit -<br />

ar bei ter in der Ta ges stätte und die Aus -<br />

las tung der Tages stätte hat sich um<br />

200% erhöht.<br />

insgesamt hat sich die Anzahl der mit -<br />

arbeiter um 28 auf 120 Personen mit<br />

Stichtag 31.12. 2008 ge stei gert.<br />

1999 2008 Differenz<br />

Management Geschäftsführer 01 01 00<br />

Mitarbeiter 09 04 -05<br />

Ärzte u. Ambulanz 03 07 +04<br />

Pflege 43 67 +24<br />

Therapeuten 01 05 +04<br />

Küche 18 14 -04<br />

Haustechnik und Wäscherei 13 13 00<br />

Hausdame 01 01 00<br />

Sozialarbeiterin 00 02 +02<br />

Kunst- u.Kulturmanagement 00 01 +01<br />

Tagesstätte Leiterin 01 01 00<br />

Mitarbeiter 02 04 +02<br />

92 120 + 28<br />

Entwicklung der Auslastung 1999 - 2008<br />

Max. Verpflegstage = 148 Betten x 365 Tage = 54.020 Verpflegstage (VT)<br />

1999 2008<br />

VT % VT %<br />

Auslastung 48.456 89,70 53.426 98,90<br />

<strong>Die</strong> Auslastung<br />

konn te ich mit En -<br />

de 2008 auf 98,9%<br />

kontinuierlich steigern.<br />

<strong>Die</strong>s ist letztlichausschlaggebend<br />

für die positive<br />

Bilanz ent wick lung.<br />

Wie Sie der Tabelle<br />

entnehmen können,<br />

wird 2008 ein Bi -<br />

lanz gewinn von €<br />

174.000 ausgewiesen<br />

und das mZ<br />

ist somit schuldenfrei.<br />

<strong>Die</strong>s ist mir be -<br />

sonders wichtig, da<br />

wir im mai mo ni des-<br />

Zentrum „nEU“<br />

große Auf ga ben zu<br />

bewältigen haben<br />

(s. Artikel in der „Ge -<br />

mein de“ April 2009).<br />

meine vornehmste<br />

Aufgabe wird auch<br />

in Zukunft sein, keinen Preis-, sondern<br />

einen Leistungswettbewerb mit der<br />

Kon kurrenz am markt zu führen.<br />

D.h. wir wollen nicht billiger sein, son -<br />

dern ein mehr an qualitativen und<br />

quan titativen Leistungen bieten, um<br />

un seren erworbenen Ruf, das erste<br />

Haus am Platz zu sein, verteidigen zu<br />

können! So werden auch in Zukunft<br />

die Begriffe „Zuwendung, zu Hause sein,<br />

willkommen sein, ankommen, sich wohlfühlen<br />

und in Würde altern“, die Leit li ni -<br />

en für mein Handeln und Arbeiten sein.<br />

Besonders wichtig für mich ist, zu er -<br />

wähnen, dass diese Ergebnisse ohne<br />

den hervorragenden Einsatz all meiner<br />

mitarbeiterinnen nicht zu erzielen ge -<br />

we sen wären und deshalb möchte ich<br />

mich an dieser Stelle in aller Öf fent lich -<br />

keit bei allen sehr herzlich be danken!<br />

Wenn Sie detaillierte Kommentare zu<br />

den Bilanzzahlen wünschen, kommen<br />

Sie mich bitte besuchen oder rufen<br />

Sie mich einfach an!<br />

mit freundlichen Grüßen<br />

Hansjörg missbichler<br />

Geschäftsführer<br />

mag. Bernadette nguyen<br />

Assistentin der Geschäftsführung<br />

8 August 2009 - Aw/Elul 5769


Am 27. Oktober 2008 haben vor und in<br />

der Universität <strong>Wien</strong> Ak tivisten des<br />

Bünd nisses STOP THE BOMB, das sich<br />

gegen Geschäfte mit dem iranischen Re -<br />

gime engagiert, die Demo kra tische Par tei<br />

Kurdistan Iran und andere Gruppen ge -<br />

gen den Auftritt des iranischen Ex-Präsi -<br />

den ten Moham mad Khatami protestiert.<br />

Es kam zu einer Anzeige we gen versuch -<br />

ten Haus friedens bruchs und Wi der stands<br />

gegen die Staatsgewalt.<br />

In einem offenen Brief an die Uni ver sität<br />

<strong>Wien</strong> zeigte sich auch die Israe li tische<br />

Kul tusgemeinde <strong>Wien</strong> „be frem det” über<br />

die Einladung an den früheren iranischen<br />

Präsidenten Mohammed Kha ta mi.<br />

Im Juni wurde das Verfahren gegen die<br />

Hauptangeklagte Simone Hartmann ein ge -<br />

stellt – gegen eine Zahlung von 350 Eu ro.<br />

Der Einzelrichter des Landes ge richts<br />

für Strafsachen <strong>Wien</strong>, Dr. Norbert Gersten<br />

ber ger, hat in der Strafsache ge gen<br />

Simone Hartmann u.a. wegen §§ 109<br />

Abs. 1 und 3, Z 3 StGB u.a .Del. nach<br />

der am 26. Juni 2009 durchgeführ ten<br />

Hauptverhandlung nachstehenden<br />

Beschluss gefasst:<br />

<strong>Die</strong> 34-jährige Erstangeklagte Di Si -<br />

mo ne Hartmann ist mitinitiatorin der<br />

Aktivistengruppe „Stop the bomb”,<br />

die sich gegen das iranische Atom -<br />

pro gramm richtet .<br />

Am 27. Oktober 2008 war der frühere<br />

Staatspräsident der islamischen Re pu -<br />

blik iran, Mohammed Khatami, im Rah -<br />

men einer Ringvorlesung unter der<br />

Projektleitung der Univer sitäts pro fes -<br />

POLITIK • INLAND<br />

Verfahren eingestellt:<br />

Demo gegen Khatami<br />

laut Landesgericht ein<br />

„ehrenhafter“ Protest<br />

soren Dr. Richard Protz und Dr. Ger hard<br />

Luf eingeladen, um im kleinen Fest -<br />

saal der Universität <strong>Wien</strong> einen Vor -<br />

trag zum Thema: „Globales Ethos-Recht<br />

und Dialog der Kulturen” zu halten.<br />

Di Simone Hartmann meldete daraufhin<br />

bei der Polizei eine Demon stra -<br />

tions veranstaltung gegen den Auf tritt<br />

mohammed Khatamis auf der <strong>Wien</strong>er<br />

Universität an, die auch be willigt wur -<br />

de. Den Aktivisten der Grup pe „Stop<br />

the bomb” wurde gestattet, vor der<br />

Universität einen in fostand zu errichten,<br />

an dem infor mationsmaterial über<br />

die Politik des iran verteilt wurde.<br />

Für die Beschuldigte war es aber auch<br />

ein wichtiges Anliegen, ein direktes<br />

Zei chen des Protestes gegen die An we -<br />

s enheit eines so hohen Repräsen tan -<br />

ten eines klerikal-faschistischen, men -<br />

schenverachtenden Systems in den<br />

Hallen der Universität zu setzen. Zu<br />

diesem Zweck hatte sie Triller pfei fen<br />

und auch ein megaphon organisiert,<br />

um den Protest während des Auf trittes<br />

von mohammed Khatami auch in die<br />

Universität zu tragen. Dabei war der<br />

Beschuldigten im Gegensatz zu den<br />

übrigen Angeklagten, denen dies<br />

nicht nachgewiesen werden konnte –<br />

auch bewusst, dass sich von Anbe ginn<br />

des Erscheinens des früheren ira ni -<br />

schen Staatspräsidenten an der Uni ver -<br />

sität <strong>Wien</strong> auch Polizei am Ge län de<br />

befand, um Ausschreitungen und<br />

Übergriffe auf den Gast zu verhindern.<br />

Eine unbestimmte, mindestens 25 Per -<br />

sonen umfassende menge von men -<br />

schen versuchte, nun in weiterer Fol ge<br />

in den kleinen Festsaal der Univer si tät<br />

<strong>Wien</strong> zu gelangen, um einerseits mo -<br />

hammed Kathami mit kritischen Fra -<br />

gen zu konfrontieren, andererseits<br />

ihren Protest dagegen Ausdruck zu<br />

ver leihen, dass dem Genannten ein<br />

Auf tritt an der Universität <strong>Wien</strong> er -<br />

mög licht werde .<br />

Um das Eindringen nicht geladener<br />

Gäste in den kleinen Festsaal zu verhindern,<br />

hatte die Polizei bereits da mit<br />

begonnen, den Festsaal abzuriegeln<br />

und nur Personen einzulassen, die ei -<br />

ne Einladung aufwiesen. Eine größere<br />

Gruppe von Demonstranten versuchte<br />

nun durch Drücken gegen die Fiü gel -<br />

türe und gegen die dort stehenden<br />

Polizeibeamten und mitarbeiter des Si -<br />

cherheitsdienstes der Universität <strong>Wien</strong><br />

in den Festsaal zu gelangen, der recht -<br />

lich betrachtet als abgeschlossener<br />

Raum, der zum öffentlichen <strong>Die</strong>nst be -<br />

stimmt ist, anzusehen war. Dabei wur -<br />

den auch Beamte der Sicher heit -<br />

direktion <strong>Wien</strong>, die zunächst versucht<br />

hatten, die Doppelflügeltür zwischen<br />

der Aula und der Stiege i der Uni ver -<br />

si tät <strong>Wien</strong> zu sichern, zur Seite ge -<br />

schoben und in weiterer Folge auch<br />

an der Sicherung des Eingangs zum<br />

Vorraum des kleinen Festsaals zu hindern<br />

versucht, indem gegen die von<br />

diesen gesicherte Tür gedrückt wur -<br />

de. Der Erstbeschuldigten kann un -<br />

ter stellt werden, nämlich dass sie da -<br />

durch versuchte die Zuhörerschaft des<br />

Vortrages von mohammed Khatami<br />

zumindest zu behindern.<br />

. . . Der Sachverhalt ist im oben ge schil -<br />

derten Sinn hinreichend geklärt. <strong>Die</strong> Schuld<br />

der Beschuldigten DI Si mone Hartmann<br />

ist aus folgenden Er wä gun gen nicht als<br />

schwer anzusehen:<br />

Das Recht der Beschuldigten, ihren Un -<br />

mut über die Anwesenheit des Re prä -<br />

sentanten eines klerikal-fa schis ti schen<br />

Systems an der Universität <strong>Wien</strong> mit<br />

demonstrativen mitteln kundzutun,<br />

ist verfassungsgesetzlich geschützt.<br />

insoweit die Beschuldigte die Grenzen<br />

der ihr bescheidmäßig be willigten<br />

Gegendemonstration überschritt, muss<br />

ihr eine nachvollziehbare und verstehbare<br />

Empörung zugebilligt werden:<br />

Es darf nicht übersehen werden , dass<br />

höchste Vertreter der islamischen Re -<br />

publik iran wie derholt und in aller<br />

Welt öffentlichkeit den Holocaust an<br />

den europäischen Juden geleugnet<br />

und dem Staat israel mit atomarer<br />

Ver nichtung gedroht ha ben. Demon -<br />

strationen gegen höchste Reprä sen -<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 9<br />

POLITIK


tanten eines solchen Regi mes sind da -<br />

her als ehrenhaft zu be zeich nen und<br />

die Empörung der Erst beschuldigten,<br />

die auch dem jü di schen Volk angehört,<br />

verständlich.<br />

<strong>Die</strong> Beschuldigte vermochte mit ihrer<br />

Handlungsweise ein öffentliches Zei -<br />

chen zu setzen, das im Gegensatz zum<br />

Empfang mohammed Khatamis durch<br />

den österreichischen Bun desprä si den -<br />

ten stand, welcher offensichtlich un -<br />

ter Berücksichtigung österreichischer<br />

Wirtschaftsinteressen moham med<br />

Kha tami vor seinem Auftritt an der<br />

Universität <strong>Wien</strong> zu einem Ge spräch<br />

getroffen hatte. Es darf auch nicht über -<br />

sehen werden, dass die Universität<br />

<strong>Wien</strong> ein Ort der Diskussion und der<br />

kri tischen Auseinandersetzung ist,<br />

wes halb die Vorstellung, Vertreter dik -<br />

tatorischer Systeme dürften unwidersprochen<br />

und ohne sich kritischen<br />

Fra gen stellen zu müssen, ihre Thesen<br />

dort ausbreiten, an Unerträglichkeit<br />

grenzt.<br />

Es ist daher insgesamt betrachtet of -<br />

fenkundig, dass die Beschuldigte in<br />

ihrer nachvollziehbaren Emotion bei<br />

ihren geschilderten Verhaltensweisen<br />

Grenzen der gerichtlichen Strafbar keit<br />

überschritt, was den Schuldgehalt die -<br />

ser Taten jedoch erheblich minimiert.<br />

Seit nunmehr acht Jahren kommen im<br />

August Kinder- und Jugendgruppen<br />

aus Tel Aviv/Jaffo für zehn bis zwölf<br />

Tage nach <strong>Wien</strong>, um eine andere Welt<br />

kennenzulernen und auf andere Ge -<br />

POLITIK • INLAND<br />

...... Was die Abhaltung anderer<br />

potentieller Täter anbelangt, so wird<br />

dem durch die Auferlegung der Geld -<br />

buße in ausreichendem maße genüge<br />

getan, geht es doch vor allem darum,<br />

künftigen Demonstranten nicht die<br />

Courage am Demonstrieren zu nehmen,<br />

sondern lediglich aufzuzeigen,<br />

dass gewisse Grenzen nicht überschritten<br />

werden dürfen.<br />

Landesgericht für Strafsachen <strong>Wien</strong><br />

Abt. 151, am 26.6.2009<br />

<strong>Wien</strong>-Urlaub für Kinder aus Tel Aviv/Jaffo<br />

dan ken zu kommen. Jüdische und<br />

pa lästinensische Kinder aus meist<br />

tristen und ärmlichen Verhältnissen<br />

ma chen vor allem gemeinsame Erfah -<br />

rungen und erleben bei Spiel und<br />

<strong>Die</strong> internationale jüdische<br />

EHE-PARTNER-VERMITTLUNG<br />

Weber José<br />

PF 180182<br />

D-60082 Frankfurt a.M.<br />

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eMail: weber@simantov.de<br />

www.simantov.de<br />

Präsidentschaftskanzlei<br />

Umstritten: Das Gespräch des Bundespräsidenten mit dem<br />

2009<br />

ehemaligen iranischen Staatspräsidenten Mohammed Khatami ©<br />

Sport eine normalität eines miteinan -<br />

ders, das ihnen ansonsten im Alltag<br />

fremd ist. Auch heuer wieder wur de<br />

den Kindern in Kooperation zwischen<br />

<strong>Wien</strong>Xtra und der MD-Aus lands bezie -<br />

hungen ein umfangreiches Besuchsund<br />

Unterhaltungspro gramm zu sam -<br />

mengestellt.<br />

<strong>Die</strong> „Väter” dieser initiative, der ehemalige<br />

Tel Aviver Stadtrat und Fuß -<br />

ball internationale, Rifaat Tourk, und<br />

Mag. Josef Hollos von <strong>Wien</strong>Xtra be -<br />

gründen ihr Engagement in der Wich -<br />

tigkeit ei ner gemeinsamen Ju gend ar -<br />

beit, de ren Ziel das Ken nenlernen der<br />

jeweils an deren Kultur als Weg zur<br />

gelebten Toleranz ist. Viele Freund -<br />

schaften, die ihren Anfang in <strong>Wien</strong><br />

genommen haben, nähren die Hoff -<br />

nung auf eine friedliche Zukunft und<br />

sind gleichzeitig für die Betreuer ein<br />

wichtiger Ansporn für weitere Aktivi -<br />

täten.<br />

10 August 2009 - Aw/Elul 5769


Der große alte mann des österreichischen<br />

Widerstandes, der mauthau sen-<br />

Überlebende Hans Marsalek (95),<br />

wandte sich mit einem aufrüttelnden<br />

Appell an Landeshauptmann Josef<br />

Pühringer, Landeshauptmann-Stell -<br />

ver treter Erich Haider und Landesrat<br />

Rudolf Anschober. in einem offenen<br />

Brief warnt marsalek vor den zunehmenden<br />

rechtsextremen Umtrieben<br />

und weist darauf hin, dass Ober ös ter -<br />

reich eine Hochburg der braunen Sze -<br />

ne ist. <strong>Die</strong> Gefahr sei groß. Deshalb<br />

fordert der mauthausen-Überlebende<br />

die drei Politiker - sie sind auch Lan -<br />

des vorsitzende von ÖVP, SPÖ und<br />

Grünen - auf, in einem „breiten de mo -<br />

kratischen Bündnis” den Rechtsextre -<br />

mismus wirksam zu bekämpfen.<br />

Drei Punkte seien dafür unabdingbar:<br />

• Erstens das Schnüren eines umfassenden<br />

maßnahmenpakets, das<br />

nicht nur die Landespolitik, die Po -<br />

lizei, die Justiz und die Schulen einbinde,<br />

sondern auch die Kirchen,<br />

die Gewerkschaften, das mauthau -<br />

sen Komitee Österreich, das OÖ.<br />

netzwerk gegen Rassismus und<br />

an dere Organisationen der Zivil ge -<br />

sellschaft.<br />

• Zweitens die nichtzulassung der<br />

„Na tionalen Volkspartei” (NVP) zur<br />

POLITIK • INLAND<br />

Appell eines Mauthausen-Überlebenden:<br />

„Den Rechtsextremismus wirksam bekämpfen!”<br />

Landtagswahl am 27. September und<br />

zu jeder anderen demokratischen<br />

Wahl. Eine Partei, die Teile ihres Pro -<br />

gramms wortwörtlich aus einem<br />

Schulungstext der SS abgeschrieben<br />

habe, sei eindeutig nationalsozialistisch<br />

und müsse verboten werden.<br />

• Drittens eine klare Abgrenzung der<br />

ÖVP, der SPÖ und der Grünen von<br />

der FPÖ, die auch und gerade in<br />

Ober österreich tief in die machen -<br />

schaf ten der rechtsextremen Szene<br />

ver strickt sei. Dass dem Spitzen kan -<br />

didaten der Linzer FPÖ wegen seiner<br />

rechtsextremen Kontakte eine<br />

Offizierskarriere im Bundesheer ver -<br />

wehrt werde, stelle nur eine Tat sa -<br />

che von vielen dar. insgesamt ergebe<br />

sich ein „eindeutiges und erschreckendes<br />

Bild” der FPÖ.<br />

<strong>Die</strong> demokratischen Kräfte müssten<br />

gerade in Zeiten einer Wirtschafts kri se<br />

ungeachtet aller sonstigen Diffe ren zen<br />

gemeinsam gegen den Rechts extre -<br />

mis mus auftreten, so Hans marsalek.<br />

Das sei das Vermächtnis von maut -<br />

hausen.<br />

Der Widerstandskämpfer hat Püh rin -<br />

ger, Haider und Anschober um baldige<br />

Antwort auf seinen Appell und die<br />

drei konkreten Punkte gebeten.<br />

Willi Mernyi,MKÖ<br />

US-Rechtsextreme haben seit Obamas Wahl regen Zulauf<br />

<strong>Die</strong> Wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten hat einer Studie zufolge rassistischen<br />

und fremdenfeindlichen Gruppen Auftrieb gegeben. Der Zulauf für das rechtsextreme<br />

Milieu sei „so groß wie seit zehn Jahren nicht mehr”, heißt es in einem in Washington veröf -<br />

fentlichten Bericht der Bürgerrechts grup pe Southern Poverty Law Center (SPLC). Einer der<br />

wichtig sten Gründe für diese Entwicklung sei, „dass die US-Regierung - die von den meis ten<br />

Rechtsex tre misten als Hauptgegner angesehen wird - einen schwarzen Mann an der Spitze<br />

ste hen hat”.<br />

Dem Bericht zufolge stieg die Zahl der rassistischen Gruppierungen in den USA zwischen<br />

2000 und 2008 um mehr als die Hälfte von 602 auf 926. Es sei „nur eine Frage<br />

der Zeit, bis wir Drohungen und Gewalt erleben”, warnen die Autoren. Sie verweisen auf<br />

Attentats pläne gegen Obama und andere Staats vertreter im rechtsradikalen Skinheadund<br />

Mili zen milieu. <strong>Die</strong> Polizei hatte in den vergangenen Monaten mehrere solcher<br />

Pläne im Anfangsstadium aufgedeckt.<br />

<strong>Die</strong> Autoren der Studie ziehen eine Parallele zu den 90er-Jahren, als rechtsradikale<br />

staatsfeindliche Milizen und andere Gruppierungen unter der Präsidentschaft des<br />

Demokraten Bill Clinton großen Zulauf hatten. <strong>Die</strong> Entwicklung gipfelte in dem Bom -<br />

ben anschlag des Rechtsextremisten Timothy McVeigh, bei dem 1995 in Oklahoma City<br />

168 Menschen starben. Zu Beginn dieses Jahrzehnts hätten derartige Umtriebe wieder<br />

ab genommen, heißt es in dem Bericht; das SPLC führt dies auch auf die Wahl des konservativen<br />

George W. Bush zum Präsidenten im Jahr 2000 zurück. APA<br />

Hans Marsalek<br />

1914 geboren in <strong>Wien</strong> als Kind tschechischer<br />

Eltern; aufgewachsen in bescheidenem,<br />

so zial demokratischem Milieu. Leh -<br />

re als Schrift setzer, Mitglied der „Soziali -<br />

stischen Arbeiterjugend“<br />

1936-1938 für die „Rote Hilfe“ im Wider -<br />

stand gegen den autoritären „Stände staat“<br />

1938 nach seiner Einberufung in die Wehr -<br />

macht Flucht nach Prag, tätig in der so zi al -<br />

de mokratischen Emigrantenorga nisa tion<br />

ab 1940 im kommunistisch-tschechischen<br />

Widerstand in Prag und <strong>Wien</strong><br />

Oktober 1941 Verhaftung in Prag, danach<br />

Haft in verschiedenen Gefängnissen in<br />

<strong>Wien</strong><br />

September 1942 ins KZ Mauthausen über -<br />

stellt; nach einigen Wochen wird er Schre i -<br />

ber in der Lagerschreibstube<br />

ab Mai 1944 Lagerschreiber II des Hauptla -<br />

gers Mauthausen<br />

Mai 1945 Rückkehr nach <strong>Wien</strong> und Eintritt<br />

in den Poliz eidienst (bis 1963), betraut vor<br />

allem mit der Untersu chung neonazistischer<br />

Aktivitäten<br />

ab 1946 maßgeblich an der Errichtung<br />

und Er haltung der Gedenkstätte Maut -<br />

hau sen be teiligt.<br />

seit 1952 Gründungsmitglied des Inter na -<br />

tio nalen Mauthausen-Komitees<br />

1964-1976 Leiter der Gedenkstätte und des<br />

Museums Mauthausen im Bun des minis -<br />

te rium für Inneres.<br />

Buchtipp Buchtipp<br />

Hans Marsalek<br />

<strong>Die</strong> Geschchte<br />

des Konzentrationslagers<br />

Mauthausen<br />

Dokumentation<br />

Ed. Mauthausen<br />

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August 2009 - Aw/Elul 5769 11


Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat<br />

am 7. August die Freisprüche für jene<br />

fünf Akti vis ten des damaligen Bun des<br />

freier Ju gend (BfJ), die Ende vergangenen<br />

Jah res in einem Prozess in Wels<br />

we gen Wie derbetätigung angeklagt<br />

waren, be stätigt. <strong>Die</strong> Urteile sind somit<br />

rechts kräftig. Das bestätigte die Staats -<br />

an waltschaft Wels.<br />

Den Beschuldigten hätten im Fall ei -<br />

nes Schuldspruches zehn bis 20 Jah re<br />

Haft gedroht, in Extremfällen sogar<br />

le bens länglich. <strong>Die</strong> Geschworenen in<br />

Wels hielten im november 2008 die<br />

Beweise jedoch für nicht ausreichend.<br />

Neuschöpfung der Hitler-Jugend<br />

in dem Verfahren waren den Beschul -<br />

dig ten Verbrechen nach dem selten an -<br />

gewandten Paragrafen 3a des Ver bots -<br />

gesetzes zur Last gelegt worden: <strong>Die</strong> -<br />

ser stellt den Aufbau ei ner natio nal so -<br />

zia lis tischen Orga nisa tion unter Stra fe.<br />

Laut Ankla ge schrift hätten sie im Zeit -<br />

raum von Oktober 2001 bis Januar<br />

2003 den - vom DÖW als neonazistisch<br />

eingestuften - BfJ auf Basis von nS-<br />

Ge dankengut geschaffen, um „durch<br />

Der BfJ, der seine Basis in Oberösterreich<br />

hat, wird vom Dokumentationsarchiv des<br />

Österreichischen Widerstandes als neonazistisch<br />

eingestuft.<br />

<strong>Die</strong> Vereinigung ist aus der Jugendorgani -<br />

sa tion der „Arbeitsgemeinschaft für de -<br />

mo kratische Politik” (AFP) hervorgegangen,<br />

deren Publikationen nach Ansicht laut<br />

einer Expertise des Verfassungs recht lers<br />

Heinz Mayer „offenkundige und verbrämte<br />

Verherrlichung nationalsozialistischer Ideen”<br />

und „zynische Leugnung von nationalsozialistischen<br />

Gewaltmaß nah men” enthalten.<br />

Der Prozess gegen die vier BfJ-Aktivisten<br />

POLITIK • INLAND<br />

UNGLAUBLICHE FREISPRÜCHE:<br />

Beschuldigte im Welser<br />

BfJ-Prozess freigesprochen<br />

NEONAZI-AKTIVISTEN VOR GERICHT - Verteidiger Andreas Mauhart (l) mit den angeklagen<br />

Aktivisten des „Bundes freier Jugend" (BfJ), die sich am Mittwoch, 14. Mai 2008, wegen dem<br />

Aufbau einer nationalsozialistischen Organisation vor Gericht verantworten mussten.<br />

dauerhafte Wieder be tä tigung und Propa -<br />

gan da die verfassungsmäßige Struk tur der<br />

Republik Österreich durch eine Volks ge -<br />

meinschaft nationalsozialistischer Prä gung<br />

zu ersetzen”.<br />

<strong>Die</strong> Staatsanwalt schaft sprach sogar<br />

von einer „direkten Neu schöpfung der<br />

Hitler-Jugend”. Sie hätten sich als Lei ter,<br />

und gegen Horst Ludwig, den Vorsit zen -<br />

den der Arbeitsgemein schaft für demokratische<br />

Politik, begann am 14. Mai 2008;<br />

die Anklage lautete unter anderem auf<br />

Verstoß ge gen § 3a Verbotsgesetz.<br />

Am 5. No vem ber 2008 wurden schließlich<br />

alle An geklagten freigesprochen, die<br />

Staats an waltschaft meldete Nichtig keits -<br />

be schwerde an.<br />

Am 7. August 2009 teilte die zuständige<br />

Staatsanwaltschaft Wels mit, dass die Frei -<br />

sprüche aus dem Geschworenen pro zess<br />

im Rechts mittelverfahren vom Obers ten<br />

Ge richtshof bestätigt wurden. Sie sind so -<br />

mit rechtskräftig geworden.<br />

dessen Stellvertreter und „Pro pa gan da -<br />

chef” führend in der Organisa tion be -<br />

tätigt. Zwei Weitere der Be schul dig ten<br />

sollen laut Anklage als „Leiter der Ein -<br />

satz grup pe” und als rechtlicher Be ra -<br />

ter aktiv gewesen sein. Das hatten sie,<br />

sowie ihre Verteidiger Herbert Schal ler<br />

und Andreas Mauhart stets bestritten.<br />

Schaller kritisierte, es handle sich um<br />

einen „Polit-Prozess” und bezeichete das<br />

Wiederbetätigungsgesetz als „längst<br />

ver blichenes Ausnahmegesetz”, das einst<br />

unter dem Druck der Be sat zungs mäch -<br />

te vom Parlament be schlossen worden<br />

sei.<br />

Seine mandan ten seien lediglich<br />

"jun ge Menschen, die das Schicksal ihres<br />

Volkes in die Hand nehmen wollen". „Ich<br />

bin fassungslos, dass so et was ein Ver bre -<br />

chen ist." Demokratie müsse von links -<br />

extrem bis rechtsextrem alles zulassen,<br />

so Schaller weiter. „Wir wollen nicht<br />

von Ausländern überrannt werden", das<br />

sei gemäß dem Weltmenschenrechts -<br />

ver trag „erlaubte Politik”, stellte der<br />

Verteidiger fest.<br />

12 August 2009 - Aw/Elul 5769<br />

© APA/Rubra


<strong>Die</strong> Angeklagten wür den sich „lediglich<br />

mit einfachen po li ti schen Fragen<br />

beschäftigen, aber nicht im nationalsozialistischen<br />

Sinn wiederbetätigen” und<br />

dürften dafür nicht kriminalisiert<br />

wer den. natio na lis mus heiße nicht,<br />

andere Völker zu hassen, sondern das<br />

eigene zu lieben. Wenn sie gegen ei -<br />

nen „Türkensturm” eintreten würden,<br />

sei damit lediglich der EU-Beitritt der<br />

Türkei gemeint.<br />

Auch der zweite Verteidiger, Andreas<br />

Mauhart, - er vertritt zwei Beschuldig te<br />

- stellte die Frage, ob er verhaftet wer -<br />

den könne, wenn er sage, die Wohn -<br />

qualität in einem Hitler-Bau sei gut<br />

oder er fahre gerne auf der – in der nS-<br />

Zeit erbauten – Autobahn von Linz<br />

nach <strong>Wien</strong>. <strong>Die</strong> Beschuldigten hätten<br />

POLITIK • INLAND<br />

lediglich eine Jugendgruppe gebildet<br />

und 1.000 Stück Druckwerk bestellt<br />

sowie selbst verteilt. "Man findet in der<br />

Anklage nicht einen Menschen, der verletzt<br />

worden ist."<br />

mauhart bemühte sich, die Harm lo -<br />

sig keit des BfJ und seiner mandanten<br />

herauszustreichen. „Meine Mandanten<br />

werden sich nicht schuldig bekennen und<br />

ich bin überzeugt, dass auch das Beweis -<br />

ver fahren nichts anderes ergeben wird”,<br />

gab sich der Verteidiger optimistisch.<br />

Auslöser für das Aktivwerden der Jus -<br />

tiz war ein Rechtsextremen-Treffen<br />

En de märz 2007 in St. Johann (Pon -<br />

gau) in Salzburg. Rund 60 zum Teil<br />

amtsbekannte Teilnehmer aus Ober -<br />

ös terreich feierten in einem Gasthaus<br />

den „Tag der Volkstreuen Jugend”. Ein<br />

OBERÖSTERREICH-WAHL:<br />

Acht Parteien wollen kandidieren<br />

– auch die NVP<br />

Bei der Wahl zum Oberösterreichi -<br />

schen Landtag am 27. September wol -<br />

len acht Parteien kandidieren. neben<br />

ÖVP, SPÖ, Grünen, FPÖ und BZÖ,<br />

die schon bisher mit Abgeordneten<br />

im Landtag vertreten waren, haben<br />

die KPÖ, <strong>Die</strong> Christen und die um -<br />

strittene, vom Dokumentations ar chiv<br />

des Österreichischen Widerstandes<br />

(DÖW) als rechtsextrem eingestufte<br />

nationale Volkspartei (nVP) Wahl -<br />

vor schläge eingebracht. Über Recht -<br />

mäßigkeit der Bezeichnungen und<br />

tat sächliche Zulassung zur Wahl muss<br />

erst die Landeswahlbehörde entscheiden.<br />

Fristgerecht eingereicht wurden Vor -<br />

schläge ÖVP, SPÖ, den Grünen, der<br />

FPÖ und des BZÖ. ihre Kandidatur<br />

angemeldet haben darüber hinaus<br />

<strong>Die</strong> Christen Oberösterreich, die KPÖ<br />

und die Nationale Volkspartei (nVP).<br />

<strong>Die</strong> ersten sieben Parteien haben eine<br />

landesweite Kandidatur eingereicht.<br />

<strong>Die</strong> nVP hat ihre nur für den Wahl -<br />

kreis 1 (Linz und Umgebung) abgegeben.<br />

notwendig für eine landesweite<br />

Kandidatur sind 400 unterstützende<br />

Unterschriften, wobei für jeden der<br />

fünf Wahlkreise zumindest 80 nachgewiesen<br />

werden müssen.<br />

Gegen ei ne mögliche Kandidatur der<br />

nVP gibt es schon seit Wochen Pro -<br />

teste von verschiedenen Seiten. Der<br />

Landes wahl leiter Michael Gugler stand<br />

deshalb seit Juni mit dem Bundesamt<br />

für Ver fas sungsschutz und Terro ris -<br />

musbe kämp fung sowie der Sicher -<br />

heits di rek tion für das Bundesland<br />

Oberösterreich in Kontakt, um ausreichend<br />

in formationen über die Grup pe,<br />

die be teiligten Personen, deren Hin -<br />

ter grün de und Ziele zu erhalten. Aus -<br />

ser dem wurde ein verfassungsrechtliches<br />

Gut achten zur Frage eingeholt,<br />

ob die Gruppierung gegen das Ver -<br />

bots ge setz verstoße, das der Lan des -<br />

wahl be hör de als Grundlage für eine<br />

Entscheidung dienen soll. Sie setzt<br />

sich aus je vier Vertretern der ÖVP und<br />

der SPÖ so wie je zwei Ver trauens per -<br />

sonen der Grünen, der FPÖ, des BZÖ<br />

und der KPÖ zusammen. Vorsitzen -<br />

der ist der Leiter der Direk tion inneres<br />

und Kom munales des Landes, mi cha el<br />

Gugler.<br />

Gegen die Zulassung der nVP hat<br />

An fang August eine Demonstration<br />

in Linz stattgefunden, zu der die So -<br />

zia lis ti sche Linkspartei (SLP) aufgerufen<br />

hatte. Auf den Transparenten war<br />

„BFJ & NVP: Alte Nazis - Neuer Schmäh”<br />

zu lesen und wurde lautstark skandiert.<br />

SLP-Bundessprecherin Son ja<br />

Grusch kritisierte die etablierten Par -<br />

teien, die in Krisenzeiten den Boden<br />

für Rechtsextremismus bereiten würden.<br />

APA<br />

Großaufgebot der Polizei löste die Ver -<br />

sammlung auf und beschlagnahmte<br />

einschlägige Bücher, CDs, Transpa -<br />

ren te etc. Einige Tage später wurden<br />

die drei als Rädelsführer Beschul dig -<br />

ten in Oberösterreich verhaftet.<br />

Der grüne Landtagsabgeordnete und<br />

menschenrechtssprecher seiner Partei,<br />

Gunther Trübswasser, bezeichnete die<br />

Be stätigung des Freispruchs durch den<br />

OGH als „schlichtweg eine Katastro -<br />

phe”. Er hoffe, dass die Entscheidung<br />

der Justizbehörden nur aus formalen<br />

Gründen erfolgt sei. Rechtsextreme<br />

Ak tivisten würden sich jetzt legitimiert<br />

fühlen. Schon bisher hätten Funktio -<br />

näre der FPÖ nichts dabei ge funden,<br />

wenn sie Kontakte zu Per so nen aus<br />

dem BfJ bestätigten. red<br />

VIP-Betreuung für<br />

mutmaßlichen NS-Täter<br />

Der vor wenigen monaten aus den<br />

USA nach Österreich abgeschobene<br />

Josias Kumpf war mitglied der SS-To -<br />

ten kopfdivision und KZ-Wächter im<br />

Lager Trawniki. in Österreich wurde<br />

für ihn in <strong>Wien</strong> eine 1.000 Euro-Woh -<br />

nung in bester Lage gemietet und eine<br />

24-Stunden-Pflege organisiert. Es liegen<br />

konkrete Hinweise vor, dass ös ter -<br />

reichische Behörden diese ViP Be treu -<br />

ung veranlasst haben. <strong>Die</strong> Spuren<br />

füh ren nach Vorarlberg und ins in nen -<br />

ministerium. Seit die Sache bekannt<br />

geworden ist, sind alle auf Tauch sta -<br />

ti on. "Das ganze ist skandalös, wenn man<br />

weiß, was im Vergleich Asylwer ber Innen<br />

in Österreich erhalten. Warum haben sich<br />

österreichische Behörden so intensiv um<br />

einen ehemaligen KZ Wächter be müht?"<br />

rätselt Albert Steinhauser, Jus tiz spre -<br />

cher der Grünen, über die mo tivlage<br />

der Behörden. "Während heute in Mün -<br />

chen die Staatsanwalt schaft den mutmaßlichen<br />

NS-Verbrecher John Dem jan juk we -<br />

gen Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen<br />

angeklagt hat, zeigt das österreichische In -<br />

nenministerium wenig Interesse, im Fall<br />

Kumpf tätig zu werden. <strong>Die</strong>ser "österreichische"<br />

Umgang mit mut maßlichen ehemaligen<br />

Kriegsver bre chern ist unerträglich",<br />

so Steinhauser. Eine umfassende<br />

parlamentarische An fra ge zwingt<br />

nun das innenministerium den Fall of -<br />

fen zu legen. <strong>Die</strong> letzte bekannte<br />

Station Kumpfs ist das AKH. Ein An -<br />

trag auf Bestellung eines Sachwalters<br />

soll eingereicht worden sein. red<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 11


Andreas Peham, Rechtsextremismus-<br />

Experte im Dokumentationsarchiv des<br />

Österreichischen Widerstandes (DÖW)<br />

warnt davor, dass neona zis mus im -<br />

mer mehr zur Jugendbewe gung wird.<br />

Den im jüngsten Verfas sungs bericht<br />

verbreiteten „Optimis mus”, wonach<br />

es für die rechtsextreme Szene in Ös -<br />

ter reich „kaum Entfal tungs spielraum”<br />

gebe, teile er absolut nicht, erklärte Pe -<br />

ham im Gespräch mit der APA. Der<br />

„massive Zulauf zur Un ter grundszene”<br />

sei nach wie vor ungebrochen.<br />

<strong>Die</strong> Einschätzung des Bundesamtes<br />

für Verfassungsschutz und Terroris -<br />

mus bekämpfung, dass Rechtsextre -<br />

mis mus in der Bevölkerung auf breite<br />

Ab lehnung stoße, könne er nicht be -<br />

stä ti gen, so Peham. „Ich würde sogar<br />

das Ge genteil behaupten: Es gibt bei weitem<br />

nicht so eine große Ablehnung.” Ge -<br />

ra de Jugendliche, die so genannten<br />

„Kin der der Wende”, hätten oft eine<br />

problematische Einstellung. Das habe<br />

man einerseits an deren Wahlver hal -<br />

ten bei den nationalratswahlen 2008<br />

gesehen, andererseits gebe es auch Stu -<br />

dien, wo nach sich 39 Prozent der 12bis<br />

19-Jäh rigen einen „starken Mann”<br />

an der Spitze des Staates wünschten.<br />

Der neonazismus habe eine „enorme<br />

Dy namik”, meint der Experte. „Der<br />

mas sive Zulauf zur Untergrundszene ist<br />

un ge brochen.” in den vergangenen Jah -<br />

ren sei es der neonaziszene gelungen,<br />

ih re „schlagkräftigen Strukturen wieder<br />

aufzubauen”. Peham erkennt dabei vor<br />

al lem ein Problem: „Neonazismus ist<br />

zu nehmend zur Jugendbewegung ge wor -<br />

den.” <strong>Die</strong> Szene sei „ausgefranst” und<br />

POLITIK • INLAND<br />

„Erlebniswelt Neonazismus”<br />

biete Jugendlichen ein vielfältiges<br />

Angebot: Von Reisen über Demon stra -<br />

tionen, Klei dung und musik bis zu<br />

Kampf sport arten sei alles dabei. Es ge -<br />

be so gar ein eigenes Parfüm für ne o -<br />

nazis. „Wir nennen das Erlebnis welt<br />

Neona zis mus.”<br />

Das frühere image, „wildgewordene<br />

Spießer” zu sein, hätten die neonazis<br />

mittlerweile abgelegt. Hätten sie früher<br />

niemals Autoritäten wie die Po li -<br />

zei angegriffen, beginne sich dies nun<br />

auch in Österreich zu ändern, erklärt<br />

Peham. Außerdem seien die Rechts ex -<br />

tremen äußerlich nicht mehr einfach<br />

zu erkennen - ähnlich der „Autono -<br />

men” (politisch links) würden sie heutzutage<br />

auch mit Che-Guevara-Shirts<br />

und Palästinenserschals auftreten.<br />

„Früher hat das nicht gefetzt, aber das<br />

haben sie in den letzten Jahren geschafft.”<br />

Das neonazi-Problem finde auch auf<br />

politischer Ebene statt. „<strong>Die</strong> FPÖ wird<br />

durchlässig”, meint der Experte. Der<br />

„Rechts ruck” der Partei seit 2005 sei<br />

„auf fällig” und werde sich auch im<br />

neu en Parteiprogramm wiederfinden,<br />

glaubt Peham, indem er auf Vor fälle<br />

wie etwa die Bestellungen bei ei nem<br />

rechtsextremen internet ver sand durch<br />

damalige mitarbeiter des Drit ten na -<br />

tionalratspräsidenten martin Graf (F)<br />

verweist. „Ich appelliere an das Verant -<br />

wor tungsgefühl der FPÖ - auch in ihrem<br />

Sinne.”<br />

Besonders stark sei die neonazi-Sze ne<br />

aber in Vorarlberg und Ober ös terreich<br />

ausgeprägt. Dass vor allem Ober ös ter -<br />

reich in letzter Zeit öfter mit rechtsextremistischen<br />

Vorfällen in die Schlag -<br />

„Im Moment träume ich von <strong>Wien</strong>,<br />

der Stadt, in der ich geboren bin und<br />

aus der ich als Kind vertrieben wurde.<br />

Ich bin dort in diesem Jahr Ehren bür -<br />

ger geworden, ein bittersüßer Mo -<br />

ment. Ich träume davon, dass Österreich<br />

seine Vergangen heit aufarbeitet.<br />

<strong>Die</strong> Integrität und Offenheit, mit der<br />

Deutschland die Hitler-Zeit untersucht<br />

und eine De mokratie geformt hat, ist<br />

vorbildlich. Von solcher Transparenz<br />

ist in Österreich nichts zu spüren.”<br />

Eric Kandel, amerikanischer Neurowissenschaftler<br />

und Nobelpreis träger im<br />

„ZEITmagazin” Nr. 30<br />

zei len geriet, hat für Peham zwei<br />

Grün de: Zur Zeit der Befreiung der<br />

Al liierten seien viele nazis ins innund<br />

Hausruckviertel gezogen, da sie<br />

sich von den amerikanischen Besat -<br />

zern mehr milde erwarteten. Weil das<br />

Gedankengut oft in der Familie wei -<br />

tergegeben wurde, seien diese Gebie te<br />

„bis heute Hochburgen”. Aktuell sei<br />

auch die nähe zu Deutschland ausschlaggebend,<br />

wo es ebenfalls gut or -<br />

ga ni sier te neonazis gebe.<br />

Dass das Oberösterreichische Netzwerk<br />

gegen Rassismus und Rechtsextremis mus<br />

mitten im Landtagswahlkampf der<br />

FPÖ in einem „Dossier” Rechtsex tre -<br />

mis mus vorgeworfen hat, begrüßt Pe -<br />

ham. natürlich bestehe dabei auch die<br />

Gefahr einer mobilisierung der Ge gen -<br />

seite, aber: „Was wäre die Alter na tive?<br />

Schweigen kann es nicht sein.”<br />

„Reden, reden, reden” sei ohnehin das<br />

Einzige, was man gegen den zunehmenden<br />

Rechts extremismus unternehmen<br />

kann, glaubt Peham. „Man muss<br />

vor allem mit Jugendlichen arbeiten, die<br />

kann man noch zum Umdenken bewe -<br />

gen.” Er sei gespannt, ob ab Herbst,<br />

wie von der Regierung versprochen,<br />

mehr in po litische Bildung an Schulen<br />

in vestiert werde, oder ob es sich nur<br />

um ein „Lippenbekenntnis” angesichts<br />

der jüngsten Vorfälle etwa im KZ<br />

Ebensee handle. Generell müsse die<br />

Bil dung der Jugendlichen aber eine<br />

„ge samtgesellschaftliche Anstrengung”<br />

sein, die nicht nur von einer institu tion<br />

verlangt wird. Von der Politik er warte<br />

er sich außerdem „mehr Demo kra tisie -<br />

rung” und „Mut zur inhaltlichen Ab gren -<br />

zung”, betonte Peham. •<br />

14 August 2009 - Aw/Elul 5769


18 der 27 jungen Vorstädter, die 2006 in<br />

Paris einen 23 jährigen Juden entführt,<br />

ge foltert und ermordet hatten, kommen<br />

voraussichtlich ein zweites Mal vor Ge -<br />

richt. Jüdische Verbände empörten sich<br />

über die verhältnismäßig moderaten Ur -<br />

teile, die im ersten Prozess gegen Kom pli -<br />

zen des Hauptangeklagten gefällt wurden.<br />

<strong>Die</strong> Justizministerin ordnete ein Beru fungs -<br />

verfahren an, was wiederum in anderen<br />

jüdischen Kreisen für Unbehagen sorgt.<br />

VON DANNY LEDER, Paris<br />

nach einem zehnwöchigen Prozess<br />

wurden am Freitag dem 11. Juli, die<br />

Urteilsprüche verlautbart: gegen Yous -<br />

souf Fofana, den Hauptan geklagten und<br />

bekennenden mörder von ilan Hali mi,<br />

wurde die Höchststrafe verhängt, näm -<br />

lich lebenslange Haft mit einer „Si -<br />

cherheitsfrist“ von 22 Jahren. <strong>Die</strong> Ur -<br />

tei le gegen die übrigen 26 An ge klagten<br />

reichten von zwei Frei sprü chen bis hin<br />

zu 15 und 18 Jahren Haft für die beiden<br />

engsten Komplizen von Fofana.<br />

Das zur Tatzeit minderjährige mäd -<br />

chen, Sorour A., das ilan Halimi zu dem<br />

Rendezvous gelockt hatte, bei dem<br />

ihm die Entführer auflauerten, be kam<br />

eine neunjährige Freiheitsstrafe (der<br />

Staatsanwalt hatte 10 bis 12 Jahre ge -<br />

POLITIK • AUSLAND<br />

Foltermord an Ilan Halimi<br />

kommt neuerlich vor Gericht<br />

Leerer Gerichtssaal in Paris: Halimi-Prozess hinter verschlossenen Türen<br />

for dert). <strong>Die</strong> Burschen, die sich als<br />

Kerkermeister während der dreiwöchigen<br />

Gefangenschaft von ilan Hali mi<br />

im Keller eines Plattenbaus im Pariser<br />

Vorort Bagneux abgelöst hatten,<br />

erhielten 10 bis 12 Jahre – mit einer<br />

Aus nahme: einer von ihnen, obwohl<br />

zur Tatzeit minderjährig, wurde (wie<br />

vom Staatsanwalt verlangt) zu 15 Jah -<br />

ren Gefängnis verurteilt, weil er er wie -<br />

senermaßen mit ilan Halimi beson -<br />

ders grausam umgegangen war.<br />

Damit folgten die Geschworenen der<br />

Staffelung der Strafen, die der Staats an -<br />

walt vorgeschlagen hatte, unterboten<br />

aber das von ihm geforderte Straf aus -<br />

maß bei 14 der 26 Komplizen. Bei den<br />

meisten Strafen, die milder ausfielen,<br />

handelte es sich allerdings um eine<br />

Dif ferenz von ein, in seltenen Fällen,<br />

maximal zwei Jahren gegenüber dem<br />

Strafausmaß, das der Staatsanwalt<br />

gefordert hatte.<br />

nur in einem Fall wurde die Empfeh -<br />

lung des Staatsanwalts um fünf Jahre<br />

unterboten: einer der beiden engsten<br />

Komplizen des Hauptangeklagten, der<br />

31-jährige Samir Ait Abdelmalek, der<br />

sich als drogensüchtiger und hilfloser<br />

Befehlsempfänger von Fofana präsentiert<br />

hatte, bekam 15 Jahre, obwohl<br />

der Staatsanwalt eine 20-jährige Frei -<br />

heitsstrafe verlangt hatte.<br />

Über die Verhängung der Höchst stra fe<br />

gegen Fofana bestand kein Zweifel,<br />

zumal sich der 29-jährige Entführer-<br />

Boss selber als „Chef der Barbaren“<br />

bezeichnet und mit unverhohlenem<br />

Stolz zu seiner Tat bekannt hatte. Fo fa -<br />

na, der aus einer Einwandererfa mi lie<br />

der Elfenbeinküste stammt, präsentierte<br />

sich gleich Eingangs als „afrikanischer<br />

und arabischer Islamist“. Er bestätigte,<br />

dass er Halimi, nach 24 Tagen<br />

Geiselhaft und dem Scheitern der Lö -<br />

se geldverhandlungen, in ei nem ge -<br />

stohlenen PKW, nackt und zu einem<br />

hilflosen Bündel verschnürt, in ein<br />

ent legenes Grundstück transportiert<br />

hatte, und dass er dort auf den be reits<br />

zuvor schwer malträtierten Halimi mit<br />

einem messer mehrmals eingestochen<br />

hatte. Weiters, dass er Halimi obendrein<br />

mit einer entzündbaren Flüssig -<br />

keit überschüttet und angezündet hat -<br />

te. <strong>Die</strong> Flüssigkeit, so gab Fofana vor<br />

Gericht unumwunden zu, hatte er ab -<br />

sichtlich mitgenommen – ein Be -<br />

kennt nis zur Vorsätzlichkeit seiner Tat.<br />

Als Begründung offenbarte Fofana den<br />

antijüdischen Wahn, der bei Teilen der<br />

Jugend in Frankreichs migranten vier -<br />

teln zirkuliert: Er habe, so Fofana,<br />

durch seine Tat „Afrika unterstützen<br />

wollen“, zumal „hinter jedem Problem, et -<br />

wa dem Elend in der Welt, ein Jude steckt“.<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 15<br />

© Reuters/Gonzalo Fuentes


Auf die Frage, inwiefern ilan Halimi<br />

für die Probleme Afrikas verantwortlich<br />

sei, antwortete Fofana: „Er ist ein<br />

Jude“.<br />

<strong>Die</strong> restlichen Angeklagten hatten im<br />

Verlaufe des Prozesses auf Distanz zu<br />

Youssouf Fofana Wert gelegt. Fast alle<br />

gaben in mehr oder weniger glaubwürdiger<br />

Weise Erklärungen der<br />

Scham und Reue über ihre Beteili gung<br />

an der Entführung ab, einige weinten.<br />

<strong>Die</strong> meisten behaupteten, sie wären<br />

von Fofana in die Affäre schrittweise<br />

ver wickelt worden, ohne genaue<br />

Kennt nis über seine Absichten. Ande -<br />

re, die weder ihre Kenntnis der Gei -<br />

sel nahme noch ihre Gier nach dem<br />

Löse geld leugnen konnten, schworen,<br />

sie hätten nie und nimmer die mög -<br />

lich keit der Ermordung von Halimi<br />

erw o gen.<br />

Verteidiger und Staatsanwalt im<br />

Gleichklang: Kriminalität ohne<br />

Judenhass<br />

<strong>Die</strong> Verteidiger der mitangeklagten<br />

be mühten sich natürlich besonders<br />

intensiv, ihre Klienten vom Judenhass<br />

und islamismus, den Fofana predigte,<br />

rein zu waschen. So schrieben zwei<br />

dieser Anwälte, Gilles Antonowicz und<br />

Françoise Cotta, in einem nachträgli -<br />

chen Plädoyer, das im Pariser Blatt ‘Le<br />

monde’ erschien: „<strong>Die</strong>se Jugendli chen<br />

von 17 und 18 Jahren, von denen keiner<br />

das Antlitz eines Barbaren hat, wurden<br />

von ihm (Fofana) für ein paar Euro re kru -<br />

tiert.“ Dass Fofana „im übrigen Antise -<br />

mit sei“, würde „nichts daran ändern“,<br />

dass das motiv seiner Komplizen „vor<br />

allem Gewinnsucht“ gewesen sei. Eine<br />

Argumentation, die den tröstlichen<br />

irrglauben bestärkt, man könne zwischen<br />

ideologischer Judenfeindschaft<br />

und krimineller Energie fein säuberlich<br />

trennen.<br />

Dabei war es ganz offensichtlich, dass<br />

ilan Halimi, der als Angestellter in<br />

einem kleinen Laden Handys verkaufte<br />

und daher schwerlich als Großver -<br />

diener betrachtet werden konnte, einzig<br />

und allein entführt wurde, weil er<br />

als Jude galt. Ab da erwarteten die<br />

Entführer, dass gegebenenfalls „reiche<br />

Juden“ für ihn einspringen und das<br />

geforderte Lösegeld – 450.000 Euro –<br />

aufbringen würden, weshalb sich ja<br />

Fofana mit seiner Forderung auch an<br />

einen x-beliebigen Rabbiner wandte,<br />

den er im Telefonbuch fand.<br />

POLITIK • AUSLAND<br />

Das Paradoxe an dem Prozessverlauf<br />

war, dass die Argumentation der Ver -<br />

teidigung auch vom wichtigsten An -<br />

kla gevertreter tendenziell verfochten<br />

wurde. Der Staatsanwalt, Philippe<br />

Bilger, errichtete sein Plädoyer auf<br />

dem Gegensatz zwischen dem diabolischen<br />

Rädelsführer Fofana („Er ist die<br />

Provokation, der Antisemitismus, eine völ -<br />

lig abwegige Persönlichkeit“) und dem<br />

Rest der Angeklagten, die er als abgedriftete<br />

müßiggänger auf der Suche<br />

nach einem Führer schilderte.<br />

Kritiker des Staatsanwalts glaubten<br />

aus seinem Plädoyer eine höchst problematische<br />

Unterscheidung zwischen<br />

verschiedenen Graden der Juden feind -<br />

schaft heraushören zu können: Fofa -<br />

na sei der Träger eines „Antisemi tis mus<br />

des Hasses, der Gewalt und des To des“,<br />

betonte der Staatsanwalt. Damit habe<br />

der Staatsanwalt, so der Vorwurf seiner<br />

Kritiker, geläufigere Erschei nungs for -<br />

men des antijüdischen Ressentiments<br />

verharmlost, statt sie als Vorstufe und<br />

Rahmbedingung für den Judenmord<br />

zu begreifen.<br />

Gemäß seiner Einschätzung der mo -<br />

tive der Angeklagten forderte Staats -<br />

anwalt Bilger eine Bestrafung für die<br />

Komplizen von Fofana, die unter den<br />

Erwartungen der Familie Halimi blieb.<br />

Das Plädoyer der Zivilkläger:<br />

Das Gesetz der Republik gegen das<br />

Gesetz der Siedlung<br />

Halimis Hinterbliebene waren als Pri -<br />

vatkläger im Prozess vertreten. ihre<br />

An wälte, Caroline Toby und Francis<br />

Szpinner, betonten, die Entführer hätten,<br />

angetrieben durch ihren Juden -<br />

hass, an die Vorgangsweise der nazis<br />

angeknüpft: etwa als sie ilan die Haa -<br />

re schoren, folterten, bei lebendigem<br />

Leib verbrannten.<br />

Szpinner unterstrich auch, wie sehr<br />

sich Fofana auf seine Getreuen verlassen<br />

konnte: so war der Bandenboss<br />

wäh rend der 24-tägigen Entführung<br />

drei mal in die Elfenbeinküste geflogen,<br />

ohne dass sich in der Zwi schen -<br />

zeit auch nur ein einziger Komplize<br />

oder mitwisser dazu aufgerafft hätte,<br />

dem martyrium von Halimi ein Ende<br />

zu bereiten, und sei es nur durch ei -<br />

nen anonymen Anruf bei der Polizei.<br />

Genau dieses ungeschriebene „Ge setz<br />

des milieus“ in gewissen Vororte-<br />

Sied lungen, eine mischung aus<br />

Schwei gen, Wegschauen, Angst und<br />

Protestkundgebung gegen milde Urteile für Mitt<br />

Grup penloyalität, aber auch Judenund<br />

Frauenfeindlichkeit, prangerte<br />

Szpinner an, als er in seinem Plä do yer<br />

an den Fall Sohane erinnerte. <strong>Die</strong> 17jäh<br />

rige Franko-maghrebinerin So ha ne<br />

Benziane war von einem abgewiesenen<br />

22-jährigen Liebhaber in den Kel -<br />

ler eines Sozialbaus im Pariser Vorort<br />

Vitry-sur-Seine gelockt und dort bei<br />

le bendigem Leib verbrannt worden.<br />

Bei der Rekonstruktion des Ver bre -<br />

chens vor Ort solidarisierten sich etliche<br />

Einwohner der Siedlung lautstark<br />

mit dem Angeklagten. Das Gesetz der<br />

Republik müsse „mehr Angst einflößen<br />

als das der Siedlung“, forderte Szpin ner.<br />

Auch die mutter von ilan Halimi<br />

mahn te, ihr Sohn sei wegen des „Geset -<br />

zes der Siedlung, dem Gesetz des Schwei -<br />

gens“, gestorben. Darum hatte Ruth<br />

Halimi stets auf einen öffentlichen Pro -<br />

zess gedrungen – vergeblich: der Pro -<br />

zess fand hinter verschlossenen Tü -<br />

ren statt und zwar auf Verlangen von<br />

zwei der Angeklagten, die zur Tatzeit<br />

minderjährig waren, und die daher ei -<br />

nen diesbezüglichen rechtlichen An -<br />

spruch hatten.<br />

16 August 2009 - Aw/Elul 5769


äter<br />

Jüdische Organisationen wollten einen<br />

„pädagogischen Prozess“<br />

Jüdische Organisationen bedauerten,<br />

durch den Ausschluss der Öffentlichkeit<br />

habe der Prozess „seine pädagogische<br />

Aufgabe nicht erfüllt“. Raphael<br />

Haddad, Vorsitzender der Union jüdischer<br />

Studenten Frankreichs, meinte:<br />

„Das war ja nicht nur ein Kriminalfall in<br />

ei nem Keller eines Vorstadtbaus. Das hät -<br />

te der Prozess der tausenden antisemitischen<br />

Taten sein sollen, die seit Beginn des<br />

21.Jahrhunderts verübt worden sind“.<br />

Das ist allerdings eine problematische<br />

Haltung, zumal es in einem Prozess<br />

in erster Linie um die Ahndung spezifischer<br />

Taten spezifischer Personen<br />

geht. <strong>Die</strong> Erwartung, die Haddad und<br />

andere Aktivisten jüdischer Organi -<br />

sa tionen bezüglich dieses Prozesses<br />

hegten, ist allerdings verständlich:<br />

Frank reich ist das Land Europas, in<br />

dem seit dem Jahr 2000, also zeitlich<br />

ausgehend von der zweiten palästinensischen<br />

intifada, die meisten antijüdischen<br />

Gewalttaten verzeichnet<br />

wurden. <strong>Die</strong> Voraussetzungen dafür<br />

wurden hier bereits wiederholt dar-<br />

POLITIK • AUSLAND<br />

gelegt: die parallele Präsenz der meisten<br />

Juden (rund 600.000) und mos -<br />

lems (etwa fünf millionen) Europas,<br />

wobei beide Bevölkerungsgruppen<br />

familiengeschichtlich überwiegend<br />

aus Frankreichs Ex-Kolonien in nord -<br />

afrika stammen und stellenweise noch<br />

in enger nachbarschaft in Vororten<br />

und städtischen Randgebieten leben.<br />

Unmittelbar nach Verkündung der<br />

Urteile entrüstete sich der Anwalt der<br />

Familie Halimi über die „außerordentliche<br />

Nachsicht“ gegenüber den Kom -<br />

pli zen von Fofana. Staatsanwalt Bil -<br />

ger erklärte sich hingegen mit den<br />

Urteilen zufrieden.<br />

Da Zivilkläger zu keinem Einspruch<br />

ge gen ein Urteil berechtigt sind, richtete<br />

Szpinner an Justizministerin Mi chè le<br />

Alliot-Marie einen Appell: <strong>Die</strong>se möge<br />

die Staatsanwaltschaft beauftragen,<br />

Berufung einzulegen. <strong>Die</strong> bedeutendsten<br />

jüdischen Organisationen riefen<br />

zu einer Protestkundgebung auf.<br />

<strong>Die</strong> Regierung spricht ein Machtwort<br />

Aber noch bevor die Kundgebung<br />

statt finden konnte, erklärte Alliot-ma -<br />

rie, sie werde die Staatsanwalt schaft<br />

beauftragen, Berufung einzulegen.<br />

Durch die vorliegenden Urteile würden<br />

„einige der Angeklagten sich schon<br />

bald in der Siedlung, also dem Tatort, wie -<br />

der auf freien Fuß befinden“, erklärte die<br />

ministerin. Damit spielte sie auf Straf -<br />

nachlässe wegen guter Führung an.<br />

Das löste wiederum Proteste aller<br />

wichtigen Juristenvereinigungen aus.<br />

„<strong>Die</strong>se Affäre zeigt, wie sehr die Justiz<br />

unter der Bevormundung der politischen<br />

Machtträger steht“, erklärte Emma nu el le<br />

Perreux, Vorsitzende des linksgerichteten<br />

„Syndicat de la magistrature“.<br />

Auch die bürgerliche „Richter-Uni on“<br />

entrüstete sich über eine „gefährliche<br />

Einmischung“ in ein Justizverfahren.<br />

Das Dilemma<br />

Ein jüdischer Schriftsteller, Marc Weitz -<br />

mann, veröffentlichte einen Beitrag in<br />

‘Le monde’, in dem von einer „Falle“<br />

die Rede war, in die jüdische Vereine<br />

„mit Begeisterung gesprungen“ wären.<br />

Sie würden „leider in den Augen zu -<br />

min dest eines Teils der Öffentlichkeit als<br />

genügend mächtig erscheinen, um von den<br />

politischen Entscheidungsträgern die Re -<br />

vision eines Urteils zu erwirken, das ih nen<br />

nicht behagt.“<br />

im Gegensatz zu den übrigen Kr i ti -<br />

kern der Vorgangsweise der jüdischen<br />

Organisationen veranschaulichte<br />

Weitz mann allerdings die wesentli -<br />

chen Gründe für das Unbehagen am<br />

Prozessverlauf:<br />

* Erstens konstatierte Weitzmann, dass<br />

dieselben Persönlichkeiten, die an -<br />

fänglich „die antisemitische Dimension<br />

der Affäre leugneten“, anschließend<br />

auch „unter den ersten waren, die auf<br />

einen diskreten Prozessverlauf drangen,<br />

kaum war der Antisemitismus erwiesen.“<br />

* Zweitens stellte Weitzmann bezüglich<br />

des Strafausmaßes für die Komplizen<br />

von Fofana die Frage: „Ist die Beteili -<br />

gung an einer Geiselnahme, mit Folte rung<br />

und abschließendem Mord aus der Sicht<br />

der Justiz mit Strafen zwischen neun und<br />

fünfzehn Jahren, die durch diverse Stra f -<br />

nach lässe noch viel geringer ausfallen<br />

dürf ten, geahndet?”<br />

* Drittens zitierte Weitzmann die So -<br />

zio login Jacqueline Costa-Lascoux, die<br />

ihrerseits über die Handlungsweise<br />

der Komplizen von Fofana in einem<br />

interview in ‘Le monde’ erklärt hatte:<br />

„Da gab es reihenweise kleine Feigheiten,<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 17


aber auch eine Art Wahn, der sich gegen<br />

alle richtet, die den Normen entsprechen.<br />

Vielleicht (gab es) die Erwartung eines<br />

eventuellen Gewinns und sicherlich die<br />

Angst vor Bestrafung, wenn man dem<br />

Füh rer nicht gehorcht. Damit sind alle<br />

Ele mente des Faschismus vereinigt, die<br />

eine kollektive Verantwortungslosigkeit er -<br />

zeugen.“<br />

<strong>Die</strong> Argumentation von Weitzmann<br />

ist hier auch so eingehend dargestellt,<br />

weil sie in ihrer scheinbaren Wider -<br />

sprüchlichkeit – Weitzmann artikuliert<br />

sowohl das Unbehagen jüdischer<br />

Organisationen am Prozess als auch<br />

das Unbehagen an der Vorgangswei se<br />

jüdischer Organisationen nach Verkün<br />

dung des Urteils – exemplarischen<br />

Charakter hat. Formuliert er doch das<br />

Dilemma, mit dem etliche Juden<br />

kämpfen, die sich eher wenig oder<br />

überhaupt nicht religiös engagieren<br />

und gesellschaftspolitisch meistens<br />

nach links tendieren.<br />

Das Dilemma lautet: man trifft zusehends<br />

auf „einen brutalen Antisemitis -<br />

mus bei jenen, die sich (von der Gesell -<br />

schaft) ausgestoßen fühlen und sich rä chen<br />

wollen“ (so die Soziologin Costa-Las -<br />

coux). Aber bei allem Verständnis für<br />

die sozialen Ursachen des Abdriftens<br />

eines Teils der Vorstadtjugend sind<br />

auch die vorhin erwähnten linslibera-<br />

Das Zentrum für<br />

Antisemitismusforschung der<br />

Technischen Universität (TU) Berlin<br />

veranstaltet vom<br />

7. bis 9. September 2009<br />

eine Sommeruniversität zum Thema<br />

„Extremismus oder<br />

gesellschaftliche Mitte?”.<br />

Anhand von Filmen, Vor trägen,<br />

Work shops und Dis kus sionen soll<br />

erarbeitet werden, wie antisemitischen<br />

Ressen ti ments im Alltag zu<br />

begegnen ist.<br />

<strong>Die</strong> Sommeruniversität richtet sich<br />

unter anderem an Leh rer, Jour na -<br />

listen, Ausbilder und Funk tions trä -<br />

ger aus dem politischen Bil dungs -<br />

bereich.<br />

informationen zu Preisen und Ter -<br />

minen auf pressestelle.tu-berlin.de/<br />

medieninformationen und unter der<br />

Berliner Tel. 030/314 79 874.<br />

POLITIK • AUSLAND<br />

len bis linksalternativen jüdischen<br />

Kreise nicht bereit widerspruchslos<br />

zu zusehen, wenn Juden als Sünden -<br />

böcke für gesellschaftliche missstän de<br />

herhalten müssen.<br />

man wird wohl nichts dagegen einwenden,<br />

wenn nicolas Sarkozy sich<br />

bemüht, die Behörden zum Schutz der<br />

jüdischen minderheit anzuhalten.<br />

Das tat auch schon sein Vorgänger,<br />

Prä sident Jacques Chirac. Von diesem<br />

stammte der Spruch: „Wer einen Juden<br />

angreift, greift Frankreich an“. Sarkozy<br />

prägte die Formel: „Man sollte angesichts<br />

des Antisemitismus nicht versuchen,<br />

besonders klug zu sein und nach Er klä -<br />

rungen zu suchen. Der Antisemi tis mus<br />

bedarf keiner Erklärung, er wird be -<br />

kämpft.”<br />

mit einem zehnköpfigen Experten kreis<br />

will die deutsche Regierung den<br />

Kampf gegen den Antisemitismus<br />

ver schärfen. innenminister Wolfgang<br />

Schäuble stellte im Ka binett die Beset -<br />

zung des Gremiums vor, das in Zu -<br />

kunft regelmäßig über antisemitische<br />

Tendenzen berichten und Vorschläge<br />

zu deren Bekämp fung unterbreiten<br />

soll. Der Expertenkreis besteht aus<br />

Wissenschaftlern und Prak tikern und<br />

kommt nach ministe ri ums angaben<br />

am 9. September zu seiner konstituierenden<br />

Sitzung zu sammen.<br />

Hintergrund ist ein Bundes tagsbe -<br />

schluss vom vergangenen november.<br />

Zum 70. Jahrestag der antijüdischen<br />

Pogrome vom november 1938 hatte<br />

das Parlament eine Resolution verabschiedet,<br />

die eine verstärkte Bekämpfung<br />

der Judenfeindlichkeit vorsieht.<br />

Schulausschluss in Deutschland nach<br />

antisemitischen Aussagen rechtens<br />

Antisemitische Äußerungen und mas -<br />

sive Hänseleien rechtfertigen in<br />

Deutschland einen sofortigen Schul -<br />

aus schluss. <strong>Die</strong>s geht aus einem veröffentlichten<br />

Urteil des Verwaltungs ge -<br />

richts hofs in mann heim hervor. Da -<br />

nach wurden zwei Gym nasiasten, die<br />

einen mit schü ler zu sam men in einer<br />

Gruppe nachts vor des sen Elternhaus<br />

bedroht hatten, vom Schulleiter zu<br />

Recht aus der Schule ausgeschlossen.<br />

<strong>Die</strong> 17-jährigen Antrag stel ler hat ten<br />

gemeinsam mit anderen ihr e Abnei -<br />

gung gegen einen mitschüler in der<br />

<strong>Die</strong>ser Satz ist von bestechender Über -<br />

zeugungskraft. Aber wie alle Erklä -<br />

run gen von Sarkozy wird auch diese<br />

Stellungnahme im Kontext seines allgemeinen<br />

politischen Kurses interpretiert.<br />

Ein Kurs, der Sarkozy im<br />

ersten Abschnitt seiner Amtsperiode<br />

hauptsächlich als rechtskonservativen<br />

Hardliner auswies.<br />

<strong>Die</strong> phasenweise nähe zwischen diesem<br />

tendenziell autoritären Staatschef<br />

und jüdischen <strong>Gemeinde</strong>ver tre -<br />

tern, die zu Recht über das antijüdische<br />

mobbing in den Vororten be -<br />

sorgt sind, birgt die Gefahr nachhaltiger<br />

missverständnisse zwischen der<br />

jüdischen minderheit und einem sensiblen<br />

Teil der französischen Öffentlichkeit<br />

in sich. •<br />

Deutschland: Mit Expertenkreis gegen<br />

Antisemitismus ankämpfen<br />

Schu le wiederholt mit Rempe lei en und<br />

Hänseleien zum Ausdruck ge bracht.<br />

ih nen sei bewusst gewesen, dass dieser<br />

auch we gen seines jü di schen Glau -<br />

bens angegriffen worden sei.<br />

Am Geburtstag des einen 17-Jährigen<br />

zogen sie nach Feststellungen des Ge -<br />

richts dann zusammen mit anderen<br />

Gäs ten gegen mitternacht vor das Haus<br />

des mitschülers. Dort hätten sie ihn<br />

in einer „aufgeladenen Stimmung durch<br />

Lärm und Geschrei so richtig er schre cken<br />

und einschüchtern” wollen. Ei ner der<br />

beiden Gymnasiasten ent zün dete da -<br />

bei auf einem Fens ter brett ei nen Feu -<br />

erwerkskörper, der an dere uri nierte<br />

gegen das Haus und spuckte in den<br />

Briefkasten. Dazu sei en aus der Grup -<br />

pe antijüdische Rufe laut ge worden.<br />

Das Verhalten habe den Schul frieden<br />

schwer gefährdet, urteil te das Gericht.<br />

Ein sofortiger Schu laus schluss sei ge -<br />

rechtfertigt. Das gravierende Fehl ver -<br />

halten sei darin zu se hen, dass sich ein<br />

Schüler zusammen mit anderen nicht<br />

auf das bloße Aus gren zen eines missliebigen<br />

mitschülers beschränke, sondern<br />

diese missach tung darüber hinaus<br />

in massiver und bedrohlicher Form<br />

„bis vor die Tür” des Opfers trage. Der<br />

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

blei be gewahrt, weil den beiden Gym -<br />

nasiasten die Fort setzung des Schul -<br />

be suchs an ei ner anderen Schule und<br />

dort ein diskriminierungsfreier neu -<br />

an fang möglich sei. <strong>Die</strong> Entscheidung<br />

ist un anfechtbar. APA<br />

18 August 2009 - Aw/Elul 5769


Dem deutschen Chemiker Otto Hahn<br />

gelang im Dezember 1938 in seinem<br />

Labor im Kaiser-Wilhelm-institut in<br />

Berlin etwas, das er ursprünglich gar<br />

nicht gewollt hatte: Beim Versuch,<br />

mit neutronen auf Uran zu schießen,<br />

entstand - statt wie von ihm erhofft -<br />

kein schweres „Transuran”, sondern<br />

Barium - nur halb so schwer wie Uran.<br />

Damit hatte Hahn als erster einen<br />

Atomkern gespalten.<br />

Das ihm seltsam erscheinende Ergeb -<br />

nis seines Experiments teilte er seiner,<br />

vor den nationalsozialisten nach<br />

Schwe den geflohenen Forscherkolle -<br />

gin, der Physikerin Lise Meitner, mit.<br />

<strong>Die</strong>se erkannte sofort die Brisanz von<br />

Hahns Entdeckung. <strong>Die</strong> Spaltung von<br />

Atomkernen setzt ungeheure Energi en<br />

frei. Sollten die nazis diese Kraft be -<br />

herrschen, hätten sie eine Vernich -<br />

tungs waffe in der Hand, mit der sie<br />

die ganze Welt bezwingen könnten.<br />

Als die nachricht von Hahns Kern -<br />

spal tungs-Experiment die Exil-Wis sen -<br />

schaft lergemeinde in den USA er reich -<br />

te, schrillten dort die Alarm gloc ken.<br />

Albert Einstein informierte im Au gust<br />

1939 US-Präsident Franklin D. Roo se -<br />

velt in einem Brief über die mög lich -<br />

keit, Uran als mögliche Ener gie quelle<br />

sowie für den Bau neuartiger Waffen<br />

zu verwenden. <strong>Die</strong>sen Brief sollte Ein -<br />

stein später als „Fehler” be zeich nen.<br />

<strong>Die</strong> US-Regierung hatte nämlich um -<br />

ge hend beschlossen, selbst mit Hoch -<br />

druck an einer Atombombe zu arbeiten.<br />

Dass dagegen die nazis nicht in<br />

den Besitz dieser Waffe gelangten, lag<br />

zu einem großen Teil an ihrer igno ranz<br />

und der Tatsache, dass sie zahlreiche<br />

der besten deutschen Wissenschaftler<br />

- von denen viele Juden waren - um -<br />

ge bracht oder ins Exil getrieben hatten.<br />

Außerdem hegten die braunen<br />

„Herrenmenschen” eine tiefe Abnei -<br />

gung gegen die „krankhaften Fantas -<br />

te reien” des Juden Einstein. Relativi -<br />

tätstheorie, Raum-Zeit-Krümmung,<br />

Umwandlung von materie und Ener -<br />

gie - dafür hatten Hitler und Co. kein<br />

Verständnis. Hätten die deutschen<br />

Waf fen konstrukteure Einsteins For mel<br />

„E=mc2” für ihre praktische Arbeit<br />

zur Anwendung gebracht, hätten sie<br />

POLITIK • AUSLAND<br />

HIROSHIMA-JAHRESTAG<br />

Hitler hätte die Bombe als erster haben können<br />

VON PAUL ZABLOUDIL, APA<br />

deren unermessliches Potenzial für die<br />

Kriegsführung erschließen können.<br />

<strong>Die</strong> Formel besagt nämlich, dass die<br />

Energiemenge, die man etwa aus ei -<br />

nem Gramm materie gewinnen kann,<br />

so gewaltig ist, dass sie dem Quadrat<br />

der Lichtgeschwindigkeit (immerhin<br />

rund 300.000 km/h) entspricht. Aus<br />

einem Gramm Uran-235 lässt sich so -<br />

mit die gleiche Energiemenge erzeugen<br />

wie aus 2,7 Tonnen Steinkohle.<br />

Um die Sprengkraft der am 6. August<br />

1945 über Hiroshima gezündeten<br />

Bom be zu erzielen, wären 12,5 Kilo ton -<br />

nen des chemischen - „konventionellen”<br />

- Sprengstoffs TnT nötig ge we sen.<br />

<strong>Die</strong> Bombe, die 140.000 men schen tö -<br />

tete, enthielt tatsächlich nur etwa 15<br />

Kilogramm hoch angereichertes ra di o -<br />

aktives Uran-235.<br />

Hahn bekam für die Entdeckung der<br />

Kernspaltung 1944 den Chemie-no -<br />

bel preis. Seine Kollegin meitner, die<br />

seine messungen korrekt interpretiert<br />

und erst so verständlich gemacht hat te,<br />

ging leer aus. Während die nazis mit<br />

der Organisierung der „Endlösung”<br />

der Judenfrage und der Erfindung von<br />

„Wunderwaffen” wie der V2 beschäftigt<br />

waren, arbeiteten die Amerikaner<br />

am „manhattan-Project” zum Bau der<br />

Atombombe.<br />

<strong>Die</strong> amerikanische Regierung richtete<br />

im US-Staat new mexico bei Los Ala -<br />

mos eine „Atom-Stadt” mit tausenden<br />

mitarbeitern ein. Unter Leitung<br />

des Physikers Robert Oppenheimer wur -<br />

de in einem aufwendigen Verfah ren<br />

mittel Präzisions-Gaszentrifugen das<br />

für die Kernenergieerzeugung nötige<br />

äußerst seltene Uran-235 angereichert.<br />

Am morgen des 16. Juli 1945 wurde<br />

die erste Atombombe der Welt gezündet.<br />

nur wenige Wochen zuvor war<br />

das nazi-imperium untergegangen.<br />

Hätte Hitler länger durchgehalten,<br />

wäre die erste Atombombe im Kriegs -<br />

einsatz möglicherweise nicht auf das<br />

japanische Hiroshima, sondern auf ei -<br />

ne Stadt im „Großdeutschen Reich”<br />

ge fallen - zu dem auch Österreich<br />

gehörte.<br />

<strong>Die</strong> Atombom ben kuppel - Das Friedensdenkmal in der japanischen Küs tenstadt Hiroshima im Friedens -<br />

park ist eine Gedenkstätte für den ersten kriegerischen Einsatz einer Atombombe. Es handelt sich um die<br />

japanische Industrie- und Handelskammer, die nach einem Entwurf des tschechischen Architekten Jan<br />

Letzel erbaut und im April 1915 fertig gestellt wurde. Das Ge bäude wurde am 6. August 1945 um 8.16 Uhr<br />

Ortszeit durch die vom US-Bomber Enola Gay abgeworfene US-amerikanische Atombombe „Little Boy“<br />

zerstört und brannte völlig aus. Alle zu diesem Zeitpunkt darin arbeitenden Menschen kamen um. Trotz<br />

des geringen Ab stands von 160 m vom Boden nullpunkt (Ground Zero) blieben viele Gebäude struk tu ren<br />

er halten, u. a. die charakteristische Stützkon struktion des Kuppeldachs, der das Denkmal seinen heuti gen<br />

Namen verdankt. <strong>Die</strong> Überreste werden seit dem Abwurf in ihrem damaligen Zu stand konserviert und ge -<br />

hören, trotz des Einspruchs der USA und Chinas, seit Dezember 1996 zum Weltkulturerbe der UNESCO.<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 19<br />

© Th. Feiger


Als ein „Fest des Heldenmuts” hat<br />

Polens Präsident Lech Kaczynski den<br />

65. Jahrestag zum Warschauer Auf -<br />

stand bezeichnet. im ganzen Land ge -<br />

dachten die Bürger der zwei monate<br />

andauernden Erhebung gegen die<br />

deutsche Be satzungsmacht 1944. Um<br />

17.00 Uhr, der Uhrzeit, zu der die<br />

Kämp fe am 1. August 1944 ausgebrochen<br />

waren, heulten in Warschau und<br />

anderen Städten Polens die Alarm sire<br />

nen. Fahrzeuge und menschen<br />

standen für eine minute still.<br />

Der Warschauer Aufstand, der mehr<br />

als ein Jahr nach dem ebenfalls nie der -<br />

geschlagenen Aufstand im Warschau er<br />

POLITIK • AUSLAND<br />

Gedenken an Warschauer Aufstand<br />

© EPA<br />

Slowakische Rechtsextreme<br />

wollen neue politische Partei<br />

gründen<br />

mitglieder der rechtsextremen „Slo wa -<br />

kischen Gemeinschaft” wollen eine<br />

neue politische Partei gründen. <strong>Die</strong> -<br />

ses Vorhaben kündigte Marian Kot le ba,<br />

Chef der neofaschistischen Grup pie -<br />

rung, gegen die das innenminis te ri um<br />

ein Verbot anstrebt, an. <strong>Die</strong> rechts ex tre -<br />

me Partei hätte laut Polito lo gen gute<br />

Chancen auf lokaler Ebene in Regio -<br />

nen, wo die Konflikte zwischen mehr -<br />

heitsbevölkerung und der Roma-min -<br />

derheit zunehmen, Fuß zu fassen.<br />

<strong>Die</strong> „Slowakische Gemeinschaft” kün -<br />

digte außerdem weitere Demon stra -<br />

tio nen gegen die minderheit der Ro ma<br />

Polen steht für eine Minute still<br />

Ghetto begann, ist für viele Polen ei -<br />

nes der wichtigsten Symbole für den<br />

Freiheitswillen ihres Volkes. „Für uns<br />

ist es das wichtigste, dass es ein Kampf<br />

für ein freies und unabhängiges Polen<br />

war”, sagt der 86-jährige Ve te ran<br />

Boleslaw Hozakowski.<br />

Viele Kämp fer der Heimatarmee wur -<br />

den exe kutiert, eingesperrt oder verfolgt<br />

und fielen damit dem Vergessen<br />

anheim. Das änderte sich nach dem<br />

Sieg der freiheitl i chen Gewerkschafts -<br />

be wegung Solid ar nosc über die Kom -<br />

mu nisten bei der Parla ments wahl vom<br />

4. Juni 1989. „Seit 1989 können wir endlich<br />

gedenken, wie die Ereignisse unserer<br />

an. <strong>Die</strong> rechtsextreme Gruppierung<br />

be klagt, dass die staatlichen Organe<br />

der wachsenden Zahl von Konflikten<br />

zwischen mehrheitsbevölkerung und<br />

Bewohnern der Roma-Siedlungen un -<br />

tätig gegenüber stehen. „Wenn die Re -<br />

gierung nicht beginnt, das Zigeuner-Pro -<br />

blem konstruktiv zu lösen, sind wir be reit,<br />

unsere Demonstration überall wo es notwen -<br />

dig ist, zu wiederholen”, er klärte Kot le ba.<br />

<strong>Die</strong> „Slowakische Gemeinschaft” hat<br />

im ost slowakischen Sariske michalany<br />

ge gen die Roma-minderheit demons -<br />

triert. An der nicht genehmigten<br />

Kundgebung, die von der Polizei ge -<br />

waltsam aufgelöst wurde, nahmen<br />

auch rechtsextreme Gruppen aus<br />

Tschechien und aus Ungarn teil. <strong>Die</strong><br />

Rechtsextremen fühlten sich durch<br />

die Zustimmung von Dorfbewohnern<br />

bestärkt.<br />

tatsächlich Geschichte waren”, sagt der<br />

37-jährige Historiker M. Sliwowski,<br />

der in dem vor fünf Jah ren eröffneten<br />

museum des War schau er Aufstandes<br />

arbeitet.<br />

Der ursprünglich nur für einige Tage<br />

geplante Aufstand dauerte 63 Tage<br />

an. in Straßen- und Häuserkämpfen<br />

kamen vor allem Zivilisten ums<br />

Leben. <strong>Die</strong> deut schen SS-Truppen<br />

gingen mit größter Grausamkeit vor.<br />

Außer rund 18.000 menschen, die sich<br />

direkt am Widerstand beteiligten,<br />

starben rund 180.000 Zi vi listen, unter<br />

ihnen viele Jugendliche. nach 63<br />

Tagen mussten die letzten Kämpfer<br />

kapitulieren. Warschau wurde in<br />

einer Strafaktion systematisch zerstört.<br />

<strong>Die</strong> Überlebenden wurden zur<br />

Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt<br />

oder vertrieben. red<br />

Museum des War schau er Aufstandes<br />

innenminister Robert Kalinak, der wei -<br />

ter hin ein Verbot der „Slowakischen<br />

Gemeinschaft” anstrebt, und Vize-Pre -<br />

mier Dusan Caplovic verteidigten das<br />

Vorgehen der Polizei. <strong>Die</strong> „Slo wa ki -<br />

sche Gemeinschaft” war im no vem ber<br />

des Vorjahres vom innen mi nis terium<br />

wegen der Verfassungs wid rigkeit ih -<br />

rer Statuten verboten worden. Wegen<br />

eines Verwaltungs fehlers hob das<br />

Oberste Gericht die Entscheidung des<br />

innenministeriums jedoch wieder auf.<br />

innenminister Kalinak erklärte da rauf -<br />

hin, dass das innenministeri um auf<br />

der Entschei dung beharre, die Tä tig -<br />

keit der der Gruppe zu verbieten. Tei -<br />

le der Agenda der „Slowakischen Ge -<br />

meinschaft” wurden mittlerweile auch<br />

von slowakischen Politikern über nom -<br />

men, die bisher jede Form von Rechts -<br />

extremismus kritisiert hatten. APA<br />

20 August 2009 - Aw/Elul 5769


Historiker fordern<br />

kritische Edition<br />

von Hitlers<br />

„Mein Kampf”<br />

Was in Sekundenschnelle im internet<br />

zu finden ist, soll künftig auch in Buch -<br />

form erhältlich sein: Hitlers „mein<br />

Kampf” soll nach Überzeugung führender<br />

Historiker das Verständnis der<br />

gesamten Gesellschaft des Holocaust<br />

er wei tern. Allerdings fordern sie eine<br />

kritische Aus gabe der 1924 entstandenen<br />

Propagandaschrift. „Es ist ab -<br />

so lut notwendig, eine wissenschaftliche<br />

Edition herauszubringen”, sagte der<br />

bri tische Hitler-Forscher Ian Ker shaw<br />

bei dem Stuttgarter Kolloquium zu<br />

Eh ren des Historikers Eberhard Jäckel,<br />

der Ende Juni seinen 80. Geburtstag<br />

gefeiert hatte.<br />

mit Blick auf Jäckels Lebenswerk be -<br />

schäftigte sich auch der Kongress mit<br />

dem Thema „Hitler und der Holo -<br />

kaust”.<br />

<strong>Die</strong> Rech te an Hitlers Propagan da -<br />

schrift liegen beim bayerischen F i nanz -<br />

mi nis terium. Dessen Weigerung,<br />

„mein Kampf” kommentiert herauszugeben,<br />

erinnern den Frei bur ger His -<br />

toriker Ulrich Herbert an den „angeranzten<br />

Anti-Faschismus der 50er-Jah re”.<br />

Vielleicht ist mit der Blockade bald<br />

Schluss: Der neue ba ye rische Wissen -<br />

schafts minister Wolfgang Heubisch<br />

(FDP) hat das münchner institut für<br />

Zeitgeschichte unlängst aufgefordert,<br />

eine Editi on des Werkes zu er stellen.<br />

Der meinungsumschwung in der baye -<br />

rischen Staatsregierung freut auch<br />

den Holocaust-Experten Jäckel. Er hat -<br />

te schon vor Jahrzehnten eine Edition<br />

gefordert und erinnerte jetzt daran,<br />

dass diese auch lange Zeit vom in sti -<br />

tut für Zeitgeschichte abgelehnt worden<br />

war. Doch auch hier habe es einen<br />

Sinneswandel gegeben.<br />

<strong>Die</strong> Forschungsbi lanz des ehemaligen<br />

Leiters des Historischen instituts an<br />

der Universität Stuttgart kann sich<br />

sehen lassen: <strong>Die</strong> Erfor schung nazi-<br />

Deutschlands, des Völkermords an Ju -<br />

den und des Umgangs der Deut schen<br />

mit der nS-Vergangenheit haben Jä ckel<br />

weltweit be kanntgemacht. Seine Ziel -<br />

POLITIK • NS-ZEIT<br />

gruppe war nicht nur die Wissen schaft,<br />

sondern auch die Öf fent lichkeit, die er<br />

gemeinsam mit der Journalistin Lea<br />

Rosh zum Beispiel mit der Fernseh do -<br />

ku mentation „Der Tod ist ein Meis ter<br />

aus Deutschland” erreichte. mit Rosh<br />

setzte er sich auch jahrelang für die Er -<br />

richtung des Holocaust-mahnmals in<br />

Berlin ein.<br />

Jäckel macht sich auch dafür stark, den<br />

Holocaust mit „k” zu schreiben. „Man<br />

darf so ein zentrales Ereignis der deutschen<br />

Geschichte nicht auf Englisch<br />

beschreiben”, sagte der elegant gekleidete<br />

Grandseigneur der Holocaust-<br />

For schung.<br />

Der Jubilar wehrt sich da gegen, als<br />

„in ten tio nalist” bezeichnet zu werden.<br />

„intentionalist” ist laut Jäckel ei ne ab -<br />

wertende Be zeich nung für His to riker,<br />

die in der Politik des „Dritten Rei -<br />

ches” Hitlers Ziele realisiert se hen.<br />

Jäckel wiederholte seine These zum<br />

nazi-Staat: Hitler traf die Haupt ent -<br />

scheidungen selbst und be kam die se<br />

nicht von machtgruppen aufgenötigt.<br />

Wenn Jäckel auf sein wissenschaftliches<br />

Lebenswerk zurückblickt, dann<br />

Sir Ian Kershaw und Eberhard Jäckel<br />

sieht er Wis sen schaft als starkes langsames<br />

Bohren von harten Brettern mit<br />

Leidenschaft und Augenmaß zu -<br />

gleich. Dabei hat ihn auch der israelische<br />

Forscher und Holocaust-Überlebende<br />

Otto Dov Kulka begleitet: „Es ist<br />

das große Wunder meines Lebens, dass<br />

wir trotz allem Freunde wurden.” •<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 21<br />

Buchtipp Buchtipp


Es ist ein Wettlauf mit dem Tod: Alle<br />

noch lebenden mutmaßlichen nS-Ver -<br />

brecher sind inzwischen so alt, dass<br />

nur noch wenige Jahre - manchmal<br />

wohl nur noch monate - für die juristische<br />

Aufarbeitung bleiben. Wer bei<br />

Kriegsende 25 Jahre alt war, ist inzwischen<br />

89 oder 90. Einzelne aufsehenerregende<br />

Verfahren dürfte es aber<br />

noch geben.<br />

Als einer der Letzten ist der 90-jährige<br />

Josef Scheungraber aus Ottobrunn<br />

verurteilt worden: Wegen mordes an<br />

14 ita lienischen Zivilisten wurde der<br />

frühere Wehrmachtsoffizier in<br />

münchen zu lebenslanger Haft verurteilt.<br />

Dort soll demnächst auch dem<br />

staatenlosen John Demjanjuk der<br />

Prozess gemacht werden - wegen<br />

Beihilfe zum mord an 27.900 Juden<br />

im KZ Sobibor.<br />

Außerdem haben die deutschen Er -<br />

mitt ler zwei weitere mutmaßliche<br />

Kriegs verbrecher in Österreich und in<br />

den USA im Visier, wie der Ludwigsburger<br />

Chef-Ermittler Kurt Schrimm<br />

kürzlich sagte. Bei beiden männern ge -<br />

be es Parallelen zum Fall Demjanjuk.<br />

Und es gibt weitere Fälle: in Aachen<br />

muss sich ab Oktober der mutmaßliche<br />

nS-mörder Heinrich B. verantworten.<br />

Der dann 88-Jährige soll als Waf fen-SSmann<br />

drei niederländische Zi vi listen<br />

umgebracht haben. Wegen seiner körperlichen<br />

Verfassung stand das Ver -<br />

fahren lange auf der Kippe: Das Land -<br />

gericht Aachen hatte ursprünglich<br />

erklärt, der 87-Jährige könne keiner<br />

Hauptverhandlung mehr beiwohnen.<br />

B.s Fall zeigt auch, dass mutmaßliche<br />

nS-mörder in Deutschland lange we -<br />

nig zu befürchten hatten: nach seiner<br />

Flucht aus den niederlanden 1947<br />

konnte sich der Ex-SS-mann in<br />

Deutsch land eine bürgerliche Exis -<br />

tenz aufbauen und kommt erst jetzt<br />

vor Gericht. Viel zu lange lag die lähmende,<br />

von Historiker so bezeichnete<br />

„Zeit der Stille” über Deutschland.<br />

Erst 1958 gab es die ersten Verfahren.<br />

Und das auch eher zufällig: <strong>Die</strong> Klage<br />

eines ehemaligen Gestapo-mannes auf<br />

Wiedereinsetzung in den Staatsdienst<br />

brachte damals den sogenannten Ul -<br />

mer Einsatzgruppen-Prozess ins Rollen.<br />

POLITIK • NS-ZEIT<br />

NS-Verbrecher: Fahnder im Wettlauf mit dem Tod<br />

VON ANGELIKA BRUDER UND MATTHIAS ARMBORST, AP<br />

Acht Angeklagte wurden in dem Ver -<br />

fahren wegen der zum Teil massenhaften<br />

Erschießung von Juden im da -<br />

maligen Grenzgebiet zwischen Ost -<br />

preußen und Litauen verurteilt.<br />

Der Prozess erregte viel Aufmerk sam -<br />

keit: Er revidierte die vorherrschende<br />

meinung, dass nach den Kriegs ver bre -<br />

cherprozessen der Alliierten in nürn -<br />

berg und anderswo die Taten aufgeklärt<br />

und die Schuldigen gefasst sei en.<br />

Und er führte dazu, dass im selben<br />

Jahr die Ludwigsburger „Zentrale<br />

Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer<br />

Verbrechen” gegründet wur -<br />

de - dies gab den Ermittlungen einen<br />

neuen Schub. Zeitweise waren hier 49<br />

Staatsanwälte und Richter am Werk,<br />

heute sind es noch sieben.<br />

insgesamt sind seit 1958 knapp 18.000<br />

Verfahren wegen nS-Verbrechen bei<br />

Staatsanwaltschaften und Gerichten in<br />

der Bundesrepublik anhängig geworden.<br />

in den 60er-Jahren begann die Zeit<br />

der Prozesse, die sich nicht nur gegen<br />

eine Person richteten, sondern versuchten,<br />

ganze historische Komplexe<br />

aufzuarbeiten: Den Start machte der<br />

Au schwitz-Prozess 1963 in Frankfurt<br />

am main, der beispielhaft für weitere<br />

nS-Verfahren wurde.<br />

Verfahren im Zusammenhang mit den<br />

Verbrechen in den Vernichtungs la gern<br />

Treblinka ab Oktober 1964 in Düs sel -<br />

dorf sowie Sobibor ab Septem ber 1965<br />

in Hagen folgten. SS-Angehörige, die<br />

in Sobibor eingesetzt gewesen waren,<br />

wo auch Demjanjuk <strong>Die</strong>nst getan ha -<br />

ben soll, erhielten zum Teil sehr milde<br />

Strafen, wie der Forscher Werner Renz<br />

sagte. Sie wurden wegen Beihilfe zum<br />

mord zu drei bis vier Jahren Zucht -<br />

haus verurteilt. Das letzte Komplex-<br />

Verfahren war der insgesamt sechs<br />

Jahre dauernde Majdanek-Prozess in<br />

Düs seldorf. Danach gab es in West -<br />

deutschland nur noch Verhandlungen<br />

gegen Einzelpersonen, wie 1992 in<br />

Stuttgart gegen den früheren SS-mann<br />

Josef Schwammberger, der ein Ghetto<br />

und ein KZ geleitet hatte. nach dem<br />

mut maßlichen Tod des als „Doktor Tod”<br />

bekannten KZ-Arztes Aribert Heim und<br />

der Auslieferung Demjanjuks stehen<br />

ein Ungar und ein in Österreich le -<br />

bender Kroate ganz oben auf der Liste<br />

der meistgesuchten nS-Kriegs ver bre -<br />

cher, die das Simon-Wiesen thal-Zen -<br />

trum führt. Der 1914 geborene Ungar<br />

Sándor Képíró soll 1942 aktiv am mas -<br />

sen mord an Hunderten Zivilisten in<br />

der serbischen Stadt novi Sad be tei ligt<br />

gewesen sein.<br />

Der 1913 geborene Milivoj Asner soll<br />

als Polizeichef in der kroatischen Stadt<br />

Pozega für Verbrechen an der Zivil be -<br />

völkerung und Deportationen in Kon -<br />

zentrationslager verantwortlich ge we -<br />

sen sein. Asner lebt in Österreich, wo<br />

ihn ein Reporter der britischen „Sun”<br />

während der Fußball-Em 2008 bei ei -<br />

nem Gang über die Klagenfurter Fan -<br />

mei le aufspürte. Der Journalist be -<br />

schrieb ihn als rüstig und geistig klar.<br />

Buchtipp Buchtipp<br />

Annette Weinke<br />

Eine Gesellschaft<br />

ermittelt gegen<br />

sich selbst.<br />

<strong>Die</strong> Geschichte der<br />

Zentralen Stelle<br />

Ludwigsburg<br />

1958-2008<br />

Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft<br />

ISBN-978-3-<br />

<strong>Die</strong> Zentrale Stelle in Zahlen<br />

Stichtag: 29.01.2009<br />

Seit ihrer Gründung hat die Zentrale Stelle<br />

7.401 Ermittlungsverfahren eingeleitet (wo bei<br />

in vielen Fällen es sich um Sammelverfahren<br />

mit einer großen Zahl von Be schuldigten und/<br />

oder ei ner Vielzahl von Straf ta ten handelt),<br />

7.377 Vorermittlungssachen wurden an Staats -<br />

an walt schaften abgegeben. Derzeit sind 24<br />

Vor er mitt lungsverfahren anhängig und eine Viel -<br />

zahl sog. Überprüfungs- sowie Verwal tungs v -<br />

or gän ge, die sich mit der Sichtung weiterer, insbesondere<br />

ausländischer, Archivbe stän de<br />

befassen.<br />

17.856 Verfahren wegen nationalsozialistischer<br />

Ver brechen waren und sind seit 1958 bei Staats -<br />

an walt schaften und Gerichten in der Bundes -<br />

re pu blik Deutschland anhängig geworden.<br />

So weit diese nicht durch die Zentrale Stelle<br />

ein geleitet wurden, hingen sie doch zumeist<br />

mi t tel bar mit de ren Tätig keit zusammen.<br />

Über 113.419 Überprüfungs- und Rechtshilfe -<br />

vor gän ge sowie Auskünfte wurden bearbeitet.<br />

<strong>Die</strong> Zentralkartei enthält ca. 1,68 Mio. Kartei kar -<br />

ten, gegliedert in Personen, Tatorte und Ein hei -<br />

ten, die gesonderte Dokumentensammlung<br />

mehr als 558.300 Kopien.<br />

22 August 2009 - Aw/Elul 5769


Der Kölner Ober -<br />

staats an walt Gün -<br />

ther Feld, Leiter der<br />

nordrhein-west fä -<br />

lischen Zen tral stel -<br />

le zur Verfol gung<br />

von nS-Ver bre chen,<br />

sucht nach einem<br />

ehemals hochrangigen SS-Offi zi er:<br />

Den im Bur gen land geborenen nazi-<br />

Kriegsver bre cher Alois Brunner. Brun -<br />

ner war ab Juli 1943 bis zum Ein marsch<br />

der Alli ier ten in Frankreich für die Ju -<br />

den verfol gung verantwortlich. „In dieser<br />

Zeit sind nach gewiesenermaßen knapp<br />

22.000 Ju den von Frankreich aus nach<br />

Auschwitz de por tiert worden und ebenso<br />

nachgewiesen über 15.000 sofort ermordet<br />

worden”, erklärt Feld. Er hat die<br />

De porta ti ons listen ausgewertet und<br />

Zeugen be fragt. Sollte Alois Brunner<br />

gefasst werden, könnte ihm sofort der<br />

Prozess ge macht werden. Obwohl un -<br />

ter anderem auch die hessische und<br />

die französische Jus tiz den mutmaßlichen<br />

massen mörder suchen, ist er<br />

nicht zu finden und lebt mög li cher -<br />

weise gar nicht mehr.<br />

<strong>Die</strong> letzte Spur führt nach Syrien. mit -<br />

te der 1980er-Jahre wurde Brun ner<br />

dort, unter falschem namen lebend,<br />

von einem Journalisten aufgespürt. Er<br />

gab seine identität freimütig zu und<br />

rühmte sich seiner Taten. „Er war of fen -<br />

bar ein glühender Judenhasser und hat die -<br />

ses dunkle Geschäft zusammen mit Adolf<br />

Eichmann und einigen wenigen an deren<br />

maßgeblich betrieben”, schildert Gün ther<br />

Feld. „Er war also einer der ganz großen<br />

Täter.” Heute liegt ein internationaler<br />

Haftbefehl gegen ihn vor. Auf Anfra ge<br />

erklärten die syrischen Behörden der<br />

deutschen Justiz jedoch, dass es Brun -<br />

ner in ihrem Land nicht gebe. in zwi -<br />

schen wäre der mann 97 Jahre alt, falls<br />

er noch lebt. „Dort wo wir ihn vermuten,<br />

werden wir ihn nicht herbekommen”,<br />

sagt Feld. „Wir haben aber Mittel und<br />

Wege, mitzubekommen, ob er sich mal hier<br />

möglicherweise bei der Familie oder bei<br />

ehemaligen Freunden meldet, das würde<br />

uns sicher nicht entgehen!” nach früheren<br />

Angaben des Simon-Wiesenthal-<br />

Zentrums in Jerusalem gibt es zwar<br />

Hin weise darauf, dass Brunner tot<br />

ist, allerdings keine Beweise.<br />

<strong>Die</strong> Jagd nach Brunner begleitet Feld<br />

POLITIK • NS-ZEIT<br />

Suche nach Alois Brunner<br />

bereits seit vielen Jahren. „Es ist schon<br />

ein beklemmendes Gefühl, hinter so ei nem<br />

Verbrecher her zu sein, von dem man ja<br />

nun genau weiß, was für eine wichtige<br />

Rolle er beim Holocaust gespielt hat”, er -<br />

zählt Feld. „Es ist vor allen Dingen be -<br />

klemmend, ihn noch nicht gefasst zu ha -<br />

War Quelle-Gründer in Nazi-Zeit verstrickt?<br />

Der Gründer des heute angeschlagenen<br />

deutschen Versand hau ses Quelle<br />

soll während der nazi-Zeit tiefer in<br />

die Arisie rungspolitik der machthaber<br />

verstrickt sein als bisher bekannt. Ei -<br />

nem Bericht des Politikmagazins ‘Ci -<br />

cero’ (August-Ausgabe) zufolge be rei -<br />

cherte sich der bereits 1932 in die nS -<br />

DAP eingetretene Unterneh mens -<br />

grün der Gustav Schickedanz im Drit -<br />

ten Reich an jüdischem Besitz.<br />

Eckart <strong>Die</strong>tzfelbinger, wissenschaftli cher<br />

mitarbeiter beim Dokumen ta ti on s -<br />

zen trum Reichsparteitagsgelände in<br />

nürnberg, bezeichnete Schickedanz<br />

als „historisch belastete Person”. <strong>Die</strong>ser<br />

sei das Paradebeispiel eines Unter neh -<br />

mers, der dank seines politischen Op -<br />

por tunismus von den nazis im Zuge<br />

der sogenannten Arisierung profitiert<br />

habe. Ebenso exemplarisch sei, wie er<br />

nach Kriegsende als mitläufer eingestuft<br />

wurde und nahezu unbehelligt<br />

blieb. Allein zwischen 1933 und 1937<br />

habe Schickedanz zehn Firmen und<br />

Grundstücke aus jüdischem Besitz<br />

übernommen, sagte <strong>Die</strong>tzfelbinger.<br />

Da zu hätten neben der Vereinigten Pa -<br />

pierwerke A. G. („Tempo”, „Camelia”) in<br />

nürnberg-He rolds berg, die Brauerei<br />

Geismann A.-G. in Fürth sowie die Fir -<br />

men Baum & Mos ba cher in Frank furt,<br />

M. Ellern in Forch heim-Stadt stei nach,<br />

Ignatz Mayer in nürnberg, die Kohn’ -<br />

sche Briefmar ken samm lung, außerdem<br />

mehrere Grund stücke in Fürth und<br />

Forch heim ge zählt.<br />

Der Historiker Peter Zinke bestätigte<br />

dem Bericht zufolge die Kritik an Schi -<br />

ckedanz. Bereits 2008 habe der Wis -<br />

senschaftler im Jahrbuch des nürn -<br />

ber ger institutes für nS-Forschung<br />

und jüdische Geschichte die Vor ge -<br />

hens weise des Quelle-Gründers ge -<br />

ben.” Trotzdem muss Feld sich re gel -<br />

mäßig mit dem Fall beschäftigen.<br />

<strong>Die</strong> Aussagen der Zeugen, die Bilder<br />

aus den Konzentrationslagern, die<br />

Schil de rungen der grausamen Ver ga -<br />

sungen, all das nimmt den erfahrenen<br />

Staats anwalt emotional stark mit. APA<br />

schil dert. mithilfe seiner Kontakte zur<br />

Gauleitung übte Schickedanz dem nach<br />

Druck auf die jüdischen Besitzer aus.<br />

„<strong>Die</strong> Drohungen führen dazu, dass die<br />

Haus- und Fabrikbesitzer zum Ver kauf ge -<br />

nötigt wurden. <strong>Die</strong>s hat Schickedanz über<br />

einen Zeitraum von mindestens fünf Jah -<br />

ren genutzt”, schrieb Zinke.<br />

in seinem Entnazifizierungs verfah ren<br />

wurde Schickedanz den Angaben zu -<br />

folge beschuldigt, dass sieben der mehr<br />

als neun millionen mark seines Ver -<br />

mö gens aus jüdischem Besitz stammten.<br />

1949 erhielte er als mitläufer le -<br />

dig lich eine Geldstrafe von 2.000 mark<br />

(1.023 Euro). nach den Worten <strong>Die</strong>tz -<br />

fel bin gers war dies ein „gigantischer<br />

Per sil schein”. man habe den Un ter neh -<br />

mer für den Wiederaufbau ge braucht.<br />

Gregor Schöllgen, Professor für neuere<br />

Geschichte an der Universität Er lan -<br />

gen, der den nachlass von Schicke danz<br />

für eine Biografie sichtet, kommt hingegen<br />

zu einem sehr viel milderen<br />

Ur teil. Dass Schickedanz als nSDAPmitglied<br />

sich den damaligen macht -<br />

verhältnissen anpasste und von ihnen<br />

profitierte, steht außer Frage. Aber die<br />

von ihm übernommenen Un ter neh men<br />

seien schon vor der macht über nah me<br />

schwer angeschlagen ge we sen. Schi -<br />

cke danz habe den betroffenen jü di -<br />

schen Unternehmern durch korrekte<br />

Ver trä ge geholfen, ihre schwierige La ge<br />

im Rahmen des möglichen zu klä ren.<br />

Dass Schickedanz zumindest kein<br />

überzeugter nationalsozia list war,<br />

scheint außer Frage zu stehen: Der Si -<br />

cher heitsdienst der SS vermerkt in ei -<br />

nem Bericht im märz 1939, dass der<br />

Quelle-Chef „bar jeder nationalsozialistischen<br />

Gesinnung und Verantwor tung als<br />

Betriebsführer” sei. red<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 23


©Issam Rimawi Flash90 JTA<br />

<strong>Die</strong> Wahlen zum 18-köpfigen Zen tral -<br />

ko mitee der palästinensischen Fatah-<br />

Partei in Beth lehem sind fast abgeschlossen.<br />

<strong>Die</strong> drei letzten Kandi daten<br />

auf der Liste zum Zentralkomitee<br />

trennte nach einer ers ten Auszählung<br />

jeweils nur eine einzige Stimme. We -<br />

gen des knappen Ergebnisses wurden<br />

die Stimmen noch einmal ausgezählt.<br />

Muhammad (Abu Maher) Ghneim, 72,<br />

erhielt 1338 Stimmen. 1948 war er ei ner<br />

der mitgründer der Fatah und 1964<br />

der Dachorganisation PLO. Er gilt als<br />

„Extremist und Hardliner“ und ist<br />

ein entschiedener Gegner der Osloer<br />

Ver träge mit israel. Er kehrte nur we -<br />

nige Tage vor Beginn des inzwischen<br />

einwöchigen Fatah-Parteitags mit aus -<br />

drücklicher Genehmigung israels nach<br />

20 Jahren nach Palästina zurück, aus<br />

dem er 1948 geflüchtet war. An der Sei -<br />

te Arafats beteiligte er sich am Kampf<br />

gegen israel und war nach einer militärischen<br />

Ausbildung in der Volksre -<br />

pu blik China Befehlshaber der „Sturm -<br />

truppen“. Ghneim wollte eigentlich<br />

erst zurückkehren, nachdem ganz Pa -<br />

POLITIK • ISRAEL<br />

Wahlen zum Zentralkomitee der Fatah fast abgeschlossen<br />

VON ULRICH W. SAHM, APA<br />

lästina, also auch das Staatsgebiet is ra -<br />

els, „befreit“ worden sei.<br />

ihm folgt mit 1112 Stimmen Mahmoud<br />

Al-Aloul, 59, aus nablus. Der saß meh -<br />

rere Jahre im israelischen Gefängnis,<br />

ehe er nach Jordanien deportiert<br />

wurde. Al-Aloul hat während der El<br />

Aksa intifada zwei Söhne verloren.<br />

An dritter Stelle ist Marwan Barghouti,<br />

50, mit 1063 Stimmen in das Zentral ko -<br />

mitee ge wählt worden. Der „gemäßigte“<br />

Barghouti sitzt mit fünffacher le -<br />

benslänglicher Haft wegen mordes im<br />

israelischen Gefängnis. Barghouti hat<br />

nach eigenen Angaben die im Sep tem -<br />

ber 2000 ausgebrochene intifada wo -<br />

chenlang vorher geplant und einen<br />

pro vokativen Besuch des Tempelber -<br />

ges des damaligen israelischen Oppo -<br />

si tionschefs Ariel Scharon als Aus löser<br />

genutzt. Barghouti gilt als „Hoff -<br />

nungsträger“ Palästinas und potenti -<br />

eller künftiger Präsident, sollte israel<br />

ihn vorzeitig begnadigen.<br />

Ebenfalls zur jüngeren Garde gehört<br />

der neffe Jassir Arafats, Nasser Al-Kid -<br />

wa, 50, ehemaliger UnO-Botschafter<br />

der PLO und Außenminister. Al-Kid -<br />

wa hatte während des Parteitags den<br />

ein stimmigen „Beschluss“ durchgesetzt,<br />

wonach israel seinen Onkel „er -<br />

mor det“ habe.<br />

Ebenfalls neu im Zentralkomitee sind<br />

der ehemalige palästinensische Ge -<br />

heim dienstchef Tawfiq Tirawi, der ehemalige<br />

Sicherheitschef im West jor dan -<br />

land Dschibril Radschoub und der<br />

„ewige Verhandler“ Saeb Erekat. israel<br />

hat Tirawi aufgrund beschlagnahmter<br />

Dokumente aus dem Hauptquartier<br />

Arafats in Ramallah im Jahr 2002<br />

schwere Vorwürfe gemacht, direkt in<br />

zahlreiche Terroranschläge involviert<br />

gewesen zu sein und sogar von der ge -<br />

planten Ermordung des Tourismus -<br />

mi nisters Rehabeam Zeevi („Ghan di“)<br />

gewusst zu haben.<br />

Einen großen Erfolg konnte Muham -<br />

mad Dahlan, 48, mit 853 Stimmen verbuchen.<br />

Dahlan sollte erst als Kan di dat<br />

ausgeschlossen werden, insbesondere<br />

durch Ahmad Qureia, 72, und schlug<br />

dann doch seine Widersacher der al ten<br />

24 August 2009 - Aw/Elul 5769


Garde. Dahlan steht im Ruf, korrupt zu<br />

sein und im Gazastreifen sei ne Kon -<br />

tra henten gefoltert zu haben. Dah lan<br />

war der Sicherheitschef im Ga za strei -<br />

fen. innerhalb der Fatah ist er umstritten,<br />

weil er im Juni 2007 den Gaza strei -<br />

fen fast kampflos der Ha mas ausgeliefert<br />

habe und selber nach Ramallah<br />

geflohen sei.<br />

Ein weiterer bekannter name im Zen -<br />

tral komitee ist Nabil Schaath, der sich<br />

oft der Weltpresse stellt, um die Po li tik<br />

der Autonomiebehörde zu erklären.<br />

Salim Zanoun war Vorsitzender des<br />

Par laments der Autonomiebehörde.<br />

Othman Abu Gharbiya war Berater Ara -<br />

fats und gilt als ideologe der Fa tah.<br />

Den 18. Platz hat gemäß dem vorläufigen<br />

Wahlergebnis der Ökonom und<br />

Be rater von Präsident mahmoud Ab -<br />

bas, Dr. Muhammad Shtayeh, eingenommen.<br />

Er hatte nur eine Stimme mehr<br />

erhalten als der linksgerichtete Tayyib<br />

Ab dul Rahim, Diplomat und ehemaliger<br />

Direktor des Rund funk senders<br />

„Stimme Palästinas“.<br />

mit nur zwei Stimmen abgeschlagen<br />

wurde Ahmad Qureia, 72, ehemaliger<br />

ministerpräsident und Vertreter der<br />

„al ten Garde“. Qureias Privatfirma<br />

POLITIK • ISRAEL<br />

soll Zement aus Ägypten importiert<br />

und an israel verkauft haben für den<br />

Bau der international kritisierten is -<br />

rae lischen Sperrmauer. Entspre chen -<br />

de Gerüchte wurden 2004 von einem<br />

Untersuchungsausschuss des palästinensischen<br />

Parlaments bestätigt.<br />

Qureia hatte die ersten Geheim ver -<br />

hand lungen der PLO mit israel vor<br />

den „Osloer Verträgen“ und zuletzt<br />

die wöchentlichen Gespräche mit der<br />

ehemaligen Außenministerin Zipi<br />

Livni und mit Regierungschef Ehud<br />

Olmert geführt.<br />

Noch kein Ende<br />

Der Parteitag der Fatah-Organisation<br />

von Palästinenserpräsident mahmud<br />

Abbas musste wegen anhaltender<br />

Pro bleme bei der Feststellung einiger<br />

Wahlergebnisse um weitere drei Tage<br />

verlängert werden. So gibt es wegen<br />

des äußerst knappen Wahlausgangs<br />

zum höchsten Spitzengremium, dem<br />

Zentralkomitee, Einsprüche von Wahl -<br />

verlierern, so die Wahlkom mis sion am<br />

12. August.<br />

Demnach hat die Aus zäh lung für die<br />

80 Sitze im 120 mitglie der umfassenden<br />

Revolutionsrat erst am 13. Au gust<br />

be gonnen und soll An ga ben zu folge<br />

mindestens zwei Tage dauern.<br />

Auch die Wahl zum Zentralkomitee<br />

ist möglicherweise noch nicht abgeschlossen.<br />

nach informationen aus<br />

der Wahl kom mission hat einer der<br />

prominentesten Wahlverlierer, Ah med<br />

Korei, eine neuauszählung von einigen<br />

Wahl urnen verlangt. Korei, der<br />

zur alten Parteigarde gehört, fehlten<br />

den Angaben zufolge nur zwei Stim -<br />

men für einen Sitz im Zentralkomitee.<br />

HAMAS, FATAH, PLO UND ANDERE<br />

<strong>Die</strong> PLO (Palästinensische Befreiungsor ga nisation) wird international anerkannt<br />

als offizielle Repräsentantin des palästinensischen Volkes. Alle Verträge mit Is rael,<br />

etwa die Osloer Verträge, aus denen die Autonomiebehörde hervorging, wurden mit<br />

der PLO abgeschlossen. Der Prä si dent der Autonomie be hörde, früher Jassir Arafat<br />

und heute Mah moud Abbas, ist gleichzeitig Vorsit zender der PLO.<br />

<strong>Die</strong> PLO ist eine Dachorganisation für fast alle palästinensischen Parteien. <strong>Die</strong><br />

radi kal islamische Hamas ist nicht Mitglied in der PLO und bekämpft aus ideologischen<br />

Grün den jegliche Abkommen mit Israel, so auch die von Israel ge währte<br />

palästinensische Selbstverwaltung.<br />

Während die Hamas sich 1996 noch weigerte, an den Parlamentswahlen teilzu -<br />

neh men, weil das eine Anerkennung der Verträge mit Israel bedeutet hätte, entfiel<br />

dieses Ar gu ment bei den Wahlen im Januar 2006, als sie prompt die Mehr heit der<br />

Sitze im Par la ment gewann. <strong>Die</strong> Fa tah, wegen Korruption abgewählt, wollte das<br />

Er gebnis nicht ak zep tieren.<br />

<strong>Die</strong> internationale Gemeinschaft und Israel boykottierten die neue Hamas-Re gie -<br />

rung und später eine von den Saudis er zwungene „Einheitsregierung“, solange<br />

die Hamas nicht Israel und bestehende Verträge anerkannte und dem Terror ab -<br />

schwor. <strong>Die</strong> Span nungen wuchsen, bis die Hamas mit einem blutigen Coup die<br />

Fa tah-Gruppierungen in dem von Israel zuvor geräumten Gazastreifen be sieg te<br />

und vertrieb.<br />

Während Israel weiter mit dem ge schwäch ten PLO-Chef Abbas über ein Frie dens -<br />

ab kom men verhandelt, führte es infolge der Entführung eines Soldaten und we gen<br />

ständigem Raketenbeschuss geg en die machthabende Hamas einen scharfen<br />

Krieg mit gezielten Angriffen. Ägypten ver handelt ständig zwischen Fa tah, Hamas<br />

und Israel, mit begrenztem Erfolg. Ägypten befürchtet eine „Explo si on“ des Gaza -<br />

strei fens, wie das die Grenz durch brüche auf Weisung der Hamas zeig ten, als hun -<br />

derttausende Palästinenser un kon trolliert in den Sinai strömten. Zu gleich gefährdet<br />

der Waffenschmuggel vom Sinai unter der Grenze hinweg in den Gazastreifen den<br />

Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten. Israel verhäng te eine Wirtschafts -<br />

bloc kade gegen Gaza und sperrte seine Gren zen. Bis zur Ver kün dung eines von<br />

Ägypten vermittelten Waffenstillstandes vor einem Monaten ge langten nur Wei zen<br />

und humanitäre Güter zu den 1,5 Mio. Bewohnern des Küs tenstreifens.<br />

Jenseits der kämpferischen politischen Parteien mitsamt ihren Milizen, bestimmen<br />

auch die Machtansprüche schwerbewaffneter Familienclans und kleinere extre -<br />

mistische Gruppen wie der islamische Dschihad das Kampfgeschehen im Gaza -<br />

strei fen. UWS<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 25


Polizeiwagen mit Blaulicht vorweg,<br />

die Journalisten im gepanzerten<br />

Botschaftswagen und schwerbewaffnete<br />

Sicherheitsleute mit dem Schnell -<br />

feuergewehr im Anschlag. Vor nur<br />

einem Jahr herrschte noch eine düstere<br />

Stimmung in der palästinensisch au -<br />

to nomen Stadt nablus im Westjor dan -<br />

land. Das ist alles Geschichte. Heute<br />

schieben sich fröhliche menschen<br />

durch üppige Auslagen im Basar, der<br />

einstigen Kampfzone. Von Wasch ma -<br />

schi nen bis Kinderschuhen aus Plas tik<br />

und bunten Tüchern aus indien wird<br />

alles feilgeboten, was das Herz be -<br />

gehrt. Sogar frischen Fisch gibt es.<br />

man gels Zugang des Westjordan lan -<br />

des zum meer wurde der aus israel<br />

importiert.<br />

nablus ist heute wieder das, was man<br />

sich unter Orient vorstellt: Gerüche<br />

und Farben wie in Tausend und einer<br />

nacht. Durch die einst ausgestorbene<br />

Hauptstraße schiebt sich im Schritt -<br />

tempo eine Blechlawine mit auffällig<br />

vielen europäischen Luxuslimou si nen.<br />

<strong>Die</strong> Polizei regelt den Verkehr, statt be -<br />

fehdete Kämpfer politischer Parteien<br />

zu bekämpfen.<br />

Wie in Jenin, Ramallah und Bethle hem<br />

ist der auffällige Wohlstand, das Ge -<br />

fühl der Sicherheit und die Rückkehr<br />

zur „normalität” das Resultat einer<br />

Kombination amerikanischer, europäischer,<br />

jordanischer und israelischer<br />

maß nahmen. Voraussetzung war freilich<br />

der politische Beschluss von<br />

Präsident mahmoud Abbas und des<br />

Pre mierministers Salam Fayad, nicht<br />

mehr auf Kampf, sondern auf Koope -<br />

ra tion mit israel setzten. Sonst wäre<br />

das Westjordanland längst an die islamistische<br />

Hamas gefallen, so wie der<br />

Gazastreifen im Juni 2007. Ohne propagandistisches<br />

Getöse wurden Tau -<br />

sen de Polizisten nach Jordanien oder<br />

Jericho zum Training durch Amerika -<br />

ner, Briten und Deutsche geschickt.<br />

israel stimmte deren Bewaffnung zu<br />

und genehmigte die Verstärkung der<br />

Polizei in nablus um 5.000 mann.<br />

Der Gouverneur von nablus, Jamal<br />

Mu haisen, ein Fatah-mann der alten<br />

Garde, schildert, wie er mit eiserner<br />

Hand „Ruhe und Ordnung” durchgesetzt<br />

und fast Opfer von Attentaten ge -<br />

worden sei. <strong>Die</strong> gewohnte Polemik<br />

gegen israel hat er noch nicht abgelegt.<br />

<strong>Die</strong> meisten der von ihm beklagten<br />

100 Straßensperren rund um nablus<br />

POLITIK • ISRAEL<br />

Nablus - die neu erfundeneWirtsc<br />

gibt es nicht mehr. Unbefangener er -<br />

klärt Börsenchef Ahmad Aweidah, 39,<br />

den Erfolgskurs der kleinen aber feinen<br />

palästinensischen Börse. Aweidah ist<br />

Palästinenser aus Ostjerusalem und<br />

be sitzt einen israelischen Ausweis.<br />

Der flotte Banker mit gutem Englisch<br />

und solider Ausbildung schildert am<br />

eigenen Beispiel den Aufschwung.<br />

„Auf dem Höhepunkt der Intifada durfte<br />

ich wegen dem Ausweis nicht nach Na b lus.<br />

Mit Taxis fuhr ich über Schleichwege auf<br />

den Inbal-Berg, wo meine Mitarbeiter mich<br />

in Schlips und Anzug auf einem Esel durch<br />

die Wälder zur Börse reiten ließen.” Spä ter<br />

fuhr er im eigenen Auto auf „Sied ler -<br />

um gehungsstraßen” bis zur berüchtigten<br />

Hawara-Straßensperre und passierte<br />

sie zu Fuß. „Heute sind die meisten<br />

Sperren verschwunden. Bei Hawara winken<br />

mich die Soldaten in meinem Wagen<br />

unkontrolliert durch.”<br />

<strong>Die</strong>se drastische Änderung war das Er -<br />

gebnis der palästinensisch-israelischen<br />

Gespräche mit Ehud Olmert und Ben -<br />

VON ULRICH W. SAHM, APA<br />

Ahmad Aweidah Straßenverkehr<br />

jamin netanyahu. „Der Erfolg muss Ab -<br />

bas zugeschrieben werden, nur niemand<br />

dankt es ihm”, klagt Aweidah, ehe er<br />

händereibend über die einzige Börse<br />

erzählt, an der nur online gehandelt<br />

wird: „E-marketing”. „Wir sind eine der<br />

wenigen Börsen, die von der Wirt schafts -<br />

krise unberührt blieben.” im Januar verzeichneten<br />

die 38 registrierten Un ter -<br />

neh men ein Plus von 13 Prozent bei ei -<br />

nem täglichen Umsatz von US$ 5 mio.<br />

„<strong>Die</strong> Blockade des Gazastreifens hat uns<br />

nur genützt. Wer Geld hat, aber nicht pro -<br />

duzieren kann, legt bei uns an. <strong>Die</strong> Barri e -<br />

ren sind kein Hindernis, weil hier alles<br />

elek tronisch abläuft.” 15 Prozent der in -<br />

ves toren seien Aus län der. Ansonsten<br />

bediene die Börse nur palästinensische<br />

Unternehmen, allen voran den Kon -<br />

zern Padico von Munib al-Masri*, dem<br />

reichsten aller Palästi nenser, und die<br />

Kommuni ka tions firma Paltel.<br />

Weil die Börse kein Geld mit Zinsen<br />

verleihe, sondern nur Handel treibe,<br />

entspreche sie den Regeln des islam<br />

26 August 2009 - Aw/Elul 5769


haftsmetropole<br />

<strong>Die</strong> online-Börse<br />

und sei völlig „halal”, schmunzelt<br />

Awei dah. Weltweit verfügen Paläs ti -<br />

nenser über ein Vermögen von US$ 7<br />

mrd. „Hinzu kommt das menschliche Ka -<br />

pi tal”, sagt Aweidah, darunter 250.000<br />

Palästinenser in den Golfstaaten. „Wir<br />

sind heute die Juden des Nahen Os tens”,<br />

meint Aweidah voller Stolz über den<br />

Erfindungsgeist seiner Volks ge nos -<br />

sen und deren Fähigkeit zum im pro -<br />

visieren. „Wir benötigen nicht das Geld<br />

der Geberländer”, behauptet der Ban -<br />

ker, ehe er den Hochglanz-Jah res be -<br />

richt des Padico-Konzerns für 2008<br />

überreicht. Darin wird die Kraft der<br />

palästinensischen Wirtschaft in schillernden<br />

Farben dargestellt.<br />

Bei Aus bruch der intifada 2002 lag das<br />

Bruttosozialprodukt (BSP) bei US$ 4,6<br />

mrd. 2002 fiel es auf einen Tiefpunkt<br />

von 3,4 mrd. 2008 ging es der palästinensischen<br />

Wirtschaft besser als 2000,<br />

es kletterte auf 4,64 mrd. •<br />

*siehe nebenstehenden Beitrag<br />

POLITIK • ISRAEL<br />

Schöner wohnen in Palästina<br />

„Dadada-Dadada“ ruft der reichste<br />

mann Palästinas, Munib El Masri, und<br />

klatscht in die Hände, während er ei -<br />

ner Gruppe Journalisten von seiner<br />

Rück kehr aus Damaskus erzählt. Dort<br />

habe er „optimistisch“ über eine Ver -<br />

söhnung zwischen Hamas und Fatah<br />

verhandelt, den tief verfeindeten Par -<br />

teien Palästinas. Wieder klatscht er<br />

und ruft „Dadada-Dadada“. So versucht<br />

er, Tauben von seiner Traum vil la<br />

auf dem Garizim-Berg zu verscheuchen,<br />

wo die Samaritaner vor 2000<br />

Jahren einen Tempel in Konkurrenz<br />

zum Salomonischen Tempel von Je ru -<br />

salem errichtet hatten.<br />

Der stolze Ureinwohner Palästinas<br />

stammt aus Ägypten, wie es der nach -<br />

na me „El masri“ (Der Ägypter) verrät.<br />

„Mit neunzehn war ich in Chi cago<br />

und hatte dort den Traum, selber mal eine<br />

Vil la nachzubauen, wie sie der italienische<br />

Ar chitekt Andrea Palladio nahe Venedig<br />

im 16. Jahrhundert entworfen hat“, sagt<br />

der rüstige 75-jährige multi-milliar där.<br />

„Der steht an Stelle 34 nach Bill Gates“<br />

behauptet einer der Journalisten über<br />

den sportlichen mann, der sein Geld<br />

mit Öl gemacht hat und dessen Firma<br />

Padico angeblich 35 Prozent der palästinensischen<br />

Wirtschaft kontrolliert.<br />

Laut BBC wiegt El masri 1,62 milliar -<br />

den Dollar.<br />

Obgleich er „ganz dringend“ zu ei nem<br />

weiteren Termin eilen müsse, nimmt<br />

sich El masri ganze zwei Stun den Zeit,<br />

die Journalistengruppe durch sein<br />

Anwesen zu führen. Vor der Ankunft<br />

des minibus’, habe er in dem Schwimm -<br />

bad mit olympischen Dimensionen ein<br />

erfrischendes Bad genommen. Da<br />

plät schert ein Springbrunnen, der wie<br />

die Apsis einer byzantischen Kirche<br />

aussieht. Seine Villa, ein Palast na mens<br />

„Haus Palästina“ mit einer riesigen<br />

Kuppel aus roten Ziegeln, überschaut<br />

nablus, Palästinas Wirtschaftszen tra le,<br />

eine Autostunde nördlich von Ra mallah<br />

entfernt. Sogar den Sand und Kies<br />

für den Bau des Palastes habe El mas ri<br />

aus Frankreich importiert. „Kurz vor<br />

der Fertigstellung besetzten israelische<br />

Sol daten mein Haus. Obgleich es noch<br />

nicht möbliert war, hinterließen sie einen<br />

Saustall“, erzählt El masri. Vor kur zem<br />

hatte er israelische „Doktoren, Dich ter<br />

und Journalisten“ zu einem Ge dan -<br />

kenaustausch über den Frieden zu<br />

sich eingeladen. „Ich bin nicht nachtragend.“<br />

Ehe der Hausherr eine Führung durch<br />

das innere seines Palastes startet, will<br />

er seine politische Philosophie loswerden.<br />

Zweimal war er minister, 1970 in<br />

der jordanischen Regierung und 1993<br />

unter seinem langjährigen Freund Jas -<br />

sir Arafat. nach dessen Tod wurde El<br />

mas ri sogar als dessen nachfolger ge -<br />

han delt. Der mann mit Freunden un -<br />

ter al len Großen der Welt ist fest von<br />

der Zwei-Staatenlösung überzeugt.<br />

Sie kön ne ganz einfach erreicht werden.<br />

<strong>Die</strong> israelis müssten nur die Be -<br />

sat zung beenden, sich hinter die -><br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 27


-> Grenze von 1967 zurückziehen, auf<br />

Je rusalem verzichten und rund 5 mil -<br />

lio nen palästinensische Flüchtlin ge<br />

aufnehmen.<br />

Munib El Masri<br />

El masri schwört, keinerlei geschäftliche<br />

Kontakte mit den israelis zu un -<br />

ter halten, „weil ich okkupiert bin“. Den<br />

Bau seiner protzigen Villa auf dem<br />

Höhepunkt der blutigen intifada, als<br />

in Tel Aviv die Busse explodierten und<br />

israelische Panzer durch palästinensische<br />

Städte rollten, präsentiert er als<br />

Heldentat des Widerstandes gegen die<br />

Besatzer. „Ich habe das Haus errichtet,<br />

um die Israelis daran zu hindern, hier eine<br />

strategische Stellung zu errichten“, sagt<br />

er. Auf dem gegenüberliegenden Hü -<br />

gel hätten die israelis „einen Jupiter tem -<br />

pel zerstört für einen Militär stütz punkt“.<br />

Auf seinem eigenen Grund stück, hinter<br />

einem gläsernen Treibhaus, steht<br />

eine hohe Antenne, „auf der sich der<br />

CIA, Telefongesellschaften und der israelische<br />

Geheimdienst eingemietet haben“,<br />

behauptet El masri. Über eine monumentale<br />

Treppe führt El masri die<br />

POLITIK • ISRAEL<br />

Jour nalisten stolz in sein „Privathaus“.<br />

im Patio unter der Kuppel steht ein<br />

steinerner Herkules aus dem 16. Jahr -<br />

hundert. in den grauen Beton sind in<br />

großer Höhe italienische Gemälde ein -<br />

gelassen. „Wenn ich nicht hinters Licht<br />

geführt worden bin, sind alle Kunst werke<br />

hier echt“, sagt er bescheiden. Vom Patio<br />

aus geht es ab in einen Spei sesaal mit<br />

britischem Tee-Ges chirr, einen Salon<br />

mit Sesseln aus der Zeit des Sonnen -<br />

kö nigs Lous XiV. in einer Ecke seines<br />

holzgetäfelten Arbeits zim mers stehen<br />

unter einer Kopie von Spitzwegs<br />

„Buchwurm“ (1850) einige „persönliche“<br />

Fotos, etwa mit König Hussein<br />

von Jordanien. Auf den Tischen verteilt<br />

liegen zufällig Kunstbücher zu mo di -<br />

gliani oder Picasso. Selbstver ständ lich<br />

hängen echte modiglianis und Picas sos<br />

an seinen Wänden. Für die Fotogra fen<br />

posiert er willig vor ei nem Gobelin des<br />

„größten aller Künst ler“, nein nicht<br />

Rembrandt und auch nicht Leo nardo<br />

da Vinci, „Rafael natürlich“, sagt er mit<br />

erlösendem Lachen. Eine musikalisch<br />

begabte Journalistin wird ge beten,<br />

Klas sisches in die Tasten eines Stein -<br />

way Flügels unter einer überdimensionalen<br />

palästinensischen Flag ge im<br />

gewundenen Treppenhaus zu hauen.<br />

im Garten, auf einem wunderbar wei -<br />

chen Rasen, trotz Wasserknapp heit<br />

üppig gewässert, steht ein großes Alu -<br />

mi ni umtablett Knafe bereit, eine arabische<br />

Süßigkeit aus Honig, Ge bäck<br />

und Joghurt. El masri teilt die üppigen<br />

Por tionen selber an jeden Gast aus.<br />

Ein Fern sehteam von Al Dschesira er -<br />

scheint. El masri begrüßt die hübsche<br />

junge Reporterin mit Küsschen auf<br />

bei de Backen. „Das ist mein nächster<br />

Termin.“ UWS,APA<br />

Mehr Araber im staatlichen <strong>Die</strong>nst<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Araber und Drusen im öffentlichen <strong>Die</strong>nst hat laut dem israelischen<br />

Amt für staatlichen <strong>Die</strong>nst in den vergangenen fünf Jahren deutlich zu ge nom -<br />

men. Der Statistik zufolge wurden im Jahr 2003 insgesamt 193 Araber und Dru -<br />

sen neu im öffentlichen <strong>Die</strong>nst angestellt. im Jahr 2008 waren es be reits 578. Vor<br />

sechs Jahren lag der Anteil der arabischen und drusischen mitar bei ter bei 4,2%, im<br />

vergangenen Jahr bei 11,6%. <strong>Die</strong> Zahl der arabischen Frau en, die neu in den <strong>Die</strong>nst<br />

genommen wurden, hat sich von 66 auf 282 erhöht.<br />

mehr als 63% der Araber und Drusen arbeiten in Haifa und im norden israels. in<br />

Jerusalem sind es 8,6%, im Raum Tel Aviv 6%. im israelischen innenminis te ri um<br />

gehören 36% der Angestellten dem arabischen oder drusischen Sektor an. im Wis -<br />

senschaftsministerium beträgt dieser Anteil 16%, im Wohlfahrts minis terium 8,5%,<br />

im Gesundheitsministerium 8% und im Bildungsministerium 7%. Beim<br />

Außen ministerium und beim Büro des Regie rungschefs gehören zwischen 1 und<br />

1,5% der mitarbeiter diesen Bevölke rungs gruppen an.<br />

Luxus-Einkaufszentrum<br />

in Jenin<br />

<strong>Die</strong> Palästinenser haben sich in der<br />

Vergangenheit immer wieder mit<br />

Er folg als unterdrückte, verarmte<br />

Flücht linge dargestellt, die unter<br />

ei ner „brutalen und niederdrückenden<br />

israelischen Besatzung” leiden.<br />

Da mutet es schon ein wenig merk -<br />

würdig an, dass nur wenige me -<br />

dien über den durchschlagenden<br />

Er folg eines neuen Luxus-Ein kaufs -<br />

zentrums in Jenin berichten.<br />

<strong>Die</strong> Stadt im nördlichen Teil des<br />

sogenannten Westjordanlands ist<br />

da für bekannt, dass von dort im -<br />

mer wieder Selbstmord atten täter<br />

kommen.<br />

Das fünfstöckige Hirbawi Home<br />

Cen ter am Stadtrand kostete US$ 5<br />

mio. Zur Eröffnung im mai wurde<br />

ein großes Feuerwerk veranstaltet.<br />

Zahlreiche Palästinenser haben das<br />

Einkaufszentrum bereits zu ih rem<br />

täglichen Ausflugsziel erkoren.<br />

<strong>Die</strong> Läden sind sehr unterschiedlich.<br />

Es gibt typische, regionale Wa -<br />

ren zu kaufen, aber auch teure im -<br />

porte wie Plasmafernseher oder<br />

nob le Espressomaschinen, beides<br />

wichtige Statussymbole in der<br />

Region.<br />

28 August 2009 - Aw/Elul 5769<br />

©Daniella Cheslow<br />

„WEN WÜRDEN SIE ALS DEN<br />

KOMMENDEN REGIERUNGSCHEF<br />

BEVORZUGEN?”<br />

Bei einer Erhebung im Auftrag des<br />

Fernsehsenders „Kanal 10”erhielt die<br />

Kadima-Vorsitzen de Livni 36% der<br />

Stimmen.<br />

Den Likud-Chef Netan jahu nannten<br />

nur 23% der Befragten. Da mit konnte<br />

Livni den Pre mier mi nis ter erstmals<br />

seit dem Wahlkampf vor den Knesset-<br />

Wahlen im Fe bru ar überholen.<br />

Noch vor einem Monat hatte Netan -<br />

jahu in Umfragen vor Livni geführt.


Israelische Initiativen<br />

organisieren Strandausflüge<br />

für Palästinenser aus dem<br />

Westjordanland -<br />

Ein seltener Kinderspaß<br />

VON DALIA NAMMARI, AP<br />

Kichernd toben die Kinder am Strand<br />

herum, bauen Sandburgen, planschen<br />

mit Schwimmtieren, bespritzen sich<br />

ge genseitig. Eine völlig neue Erfah -<br />

rung für die palästinensischen Buben<br />

und mädchen aus dem Westjor dan -<br />

land: noch nie zuvor haben sie einen<br />

Tag am meer verbracht. Während<br />

misstrauen und Sperrmauer israelis<br />

und Palästinenser zunehmend voneinander<br />

trennen, versuchen israelische<br />

Bürgerinitiativen, sie mit solchen Un -<br />

ter nehmungen zusammenzubringen.<br />

Frieden, so finden sie, wächst aus vielen<br />

persönlichen Begegnungen.<br />

Zwei dieser initiativen organisieren<br />

Ausflüge palästinensischer Kinder<br />

und ihrer Eltern an israelische Strän de.<br />

Rund 75 menschen machten sich dieses<br />

mal aus der Gegend um Hebron<br />

im Westjordanland auf nach Bat Yam,<br />

südlich von Tel Aviv. Für viele war es<br />

das erste mal, dass sie das meer er -<br />

blickten - und ein Augenblick der Hoff -<br />

nung. „Wir müssen in Frieden leben und<br />

es möglich machen, dass unsere Kinder ein<br />

besseres Leben führen, als wir es hatten”,<br />

sagt Siad Sabatein, 37 Jahre alt und<br />

Va ter von fünf Kindern. „Wir haben den<br />

Aufstand durchgemacht und die An grif fe<br />

aufeinander”, sagt er mit Blick auf die<br />

israelis. „Wir haben das zusammen er lebt.<br />

Warum also nicht diese Art von Leben er -<br />

fah ren?”<br />

Seit dem Aufstand 2000 bleibt israel<br />

den Palästinensern weitgehend verschlossen.<br />

Der von der radikalislamischen<br />

Hamas beherrschte Gaza strei -<br />

fen ist gänzlich abgeriegelt. Einwoh -<br />

ner des Westjordanlands müssen eine<br />

Sondererlaubnis zur Einreise nach is -<br />

rael beantragen. Das ist für manche<br />

POLITIK • ISRAEL<br />

Frieden ist ...<br />

ein Tag am<br />

Meer<br />

seit einiger Zeit etwas leichter, da die<br />

Lage relativ ruhig ist und israel einige<br />

Straßenkontrollpunkte aufgehoben<br />

und die Einschränkung der Bewe -<br />

gungsfreiheit leicht gelockert hat. Um<br />

die Genehmigungen für die Strand -<br />

aus flüge kümmern sich die Organisa -<br />

to ren. manche Anträge werden allerdings<br />

von den israelischen Behörden<br />

aus Sicherheitsgründen abgelehnt.<br />

An einem montagmorgen brachen die<br />

Leu te aus Hebron auf, in den Händen<br />

ihre ersten Genehmigungen seit Jah -<br />

ren. Rund eine Stunde brauchten sie,<br />

um den Übergang in der Sperrmauer<br />

zu passieren, die aus israelischer Sicht<br />

Terroristen fernhalten soll und aus<br />

pa lästinensischer Sicht einen Versuch<br />

der Landnahme darstellt. Jenseits der<br />

mauer warteten Busse und Autos.<br />

„Wir fahren ans Meer!”, krähten die<br />

Kinder fröhlich. Am Strand angekommen,<br />

sind einige jüngere mäd chen so<br />

hingerissen, dass sie die langen Ge -<br />

wän der und Kopftücher von sich wer -<br />

fen und sich - mit langer Hose und<br />

Hemd züchtig bekleidet - in die Flu ten<br />

stürzen. ihre mütter sind nicht weniger<br />

begeistert, behalten aber den Schlei -<br />

er an, setzen sich auf Plastikstühle ans<br />

Wasser und tauchen die Zehen ins<br />

nass. Eine von ihnen ist Fahima na bil;<br />

sie ist 45 Jahre alt und war noch nie<br />

zuvor am Strand. ihr mann darf aus<br />

Sicherheitsgründen nicht nach israel<br />

hinein, und als traditionsbewusste<br />

Ehefrau hätte sie allein nicht reisen<br />

können.<br />

nach dem Badespaß gibt es Brot mit<br />

Schokoladencreme und Wasserme lo -<br />

nen, als krönenden Abschluss noch ei -<br />

ne 40-minütige Bootsfahrt. Ausflüge<br />

wie diesen organisiert die Friedens -<br />

ak tivistin Zvia Shappira seit drei Jah -<br />

ren. Ziel sei es, den Palästinensern ein<br />

anderes, freundlicheres israel zu zeigen:<br />

„<strong>Die</strong>se Menschen wissen jetzt, dass<br />

es auch andere Israelis gibt, denn in ihren<br />

Dörfern sehen sie nur Soldaten und Waf -<br />

fen und Straßensperren”, sagt sie. „Und<br />

nun sehen diese Kinder und Frauen, dass<br />

wir normale Männer und Frauen in Is ra el<br />

sind, keine Soldaten, und keine Waffen<br />

tragen.” Und, nicht zu vergessen: „Sie<br />

hatten ihren Spaß - das ist auch wichtig!”<br />

Doch dies gilt nicht für jedermann.<br />

Ahmad Salameen geht nicht ins Was -<br />

ser und ist gar nicht glücklich, seine<br />

Töchter an ein und demselben Strand<br />

mit leicht bekleideten israelischen<br />

mäd chen zu sehen. „Wenn ich das ge -<br />

wusst hätte, wäre ich nicht mitgekommen.<br />

Schauen Sie sich das an!”, sagt er und<br />

deutet auf zwei Bikinischönheiten. „Als<br />

Muslim darf ich das gar nicht sehen.” •<br />

Tugendkampagne: Sittenterror in Gaza - Im Gaza-Streifen zieht sich die Schlinge des islamischen Sittengesetzes immer en ger<br />

zu. <strong>Die</strong> Bewohner des von der palästinensischen Terrororganisation kontrollierten Gebiets sehen sich mehr und mehr Ein -<br />

griffen in ihr Alltags le ben ausgesetzt. Das Religionsministerium in Gaza betreibt derzeit eine erklärte „Tugendkampagne“, im<br />

Rahmen derer et wa zu nach Geschlechtern getrennten Hochzeitspartys und zum Verzicht auf Popmusik aufgerufen wird. Ein<br />

wichtiger As pekt ist neben der Trennung von Mann und Frau in der Öffentlichkeit auch die Frage des Kleidungsstils.<br />

Junge Männer werden am Strand angewiesen, Hemden zu tragen und Schmuck abzulegen, da dies unislamisch sei. Selbst Ret -<br />

tungsschwimmer müssen sich verhüllen. Ein weiterer Stein des Anstoßes für die Hamas sind leicht bekleidete Schau fen s -<br />

terpuppen, die nach und nach aus den Läden verschwinden. Rechtsanwältinnen müssen vor Gericht ab September Kopf tü cher<br />

(Hijab) tragen.<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 29


WIRTSCHAFT<br />

Während heimische Hoteliers die Krise<br />

in der Kassa bereits spüren, zeigt sich<br />

das kleine Segment des koscheren<br />

Tou rismus in Österreich davon bisher<br />

we nig betroffen.<br />

VON REINHARD ENGEL<br />

„Sie haben reserviert. Gott sei Dank.<br />

Bleiben Sie auch gleich einen Monat?“<br />

Gustav Adler, der Hotelier, ist selbst<br />

ein gesprungen, weil die Rezeption sei -<br />

nes Hotels Gabriel kurz unbesetzt<br />

war. Und er hat den österreichischen<br />

Feriengast aus der Provinz gleich einmal<br />

mit einer Dosis klassischen Wie -<br />

ner Schmähs begrüßt, was dieser nach<br />

einer kleinen Schrecksekunde durchaus<br />

wohlwollend zur Kenntnis nimmt.<br />

©R.Engel<br />

Gusti Adler<br />

vor einem<br />

seiner Hotels<br />

Gustav „Gusti“ Adler ist in <strong>Wien</strong> Herr<br />

über 440 Betten in vier Häusern. <strong>Die</strong> -<br />

se heißen neben Gabriel Resonanz, Drei<br />

Kronen und Allegro, früher Amarante.<br />

Und alle bieten Geschäftsreisenden<br />

und Touristen soliden Drei-Sterne-<br />

Komfort, mit modern eingerichteten<br />

Zimmern, geräumigen Bädern und<br />

üp pigen Frühstückbüffets. Bis zum<br />

Vor jahr kostete das etwa 100 Euro pro<br />

Doppelzimmer. Bis zum Vorjahr.<br />

„Jetzt ist die Krise voll da,“ erzählt Adler.<br />

„Nicht dass keine Gäste mehr kommen,<br />

aber die Preise sind dramatisch verfallen.“<br />

Heute kann er für ein Doppelzimmer<br />

gerade einmal 70 Euro verlangen, und<br />

seine Kosten sind nicht kleiner ge -<br />

worden. Dabei waren es nicht einmal<br />

die Reisebüros, die den Hoteliers die<br />

Daumenschrauben ansetzten, es sind<br />

die Kunden selbst, die via harten Preis -<br />

WIRTSCHAFT • INLAND<br />

vergleich im internet festlegen, wie<br />

viel sie bereit sind zu bezahlen. Und<br />

heute läuft eben ein Großteil des Ge -<br />

schäfts über das internet.<br />

Adlers Erfahrung bestätigt auch Er win<br />

Rosenberg. <strong>Die</strong>ser besitzt in <strong>Wien</strong> drei<br />

Hotels, das Cristall, das Attaché und das<br />

Congress, davon eines mit vier Ster nen<br />

und zwei mit jeweils dreien. „Wir spüren<br />

bei der Anzahl der Übernachtungen<br />

kaum Rückgänge,“ berichtet er. Aber<br />

auch er kann sich dem „radikalen<br />

Preis verfall“ nicht entziehen, den ihm<br />

die internet-Buchungsplattformen be -<br />

scheren. „<strong>Die</strong> Zeit der Fixpreise ist vorbei,<br />

wir betreiben heute Yield Mana ge ment,<br />

ähnlich den Fluglinien.“ <strong>Die</strong> negative<br />

Seite dieses variablen Systems, nämlich<br />

den Druck nach unten, erlebt er<br />

wie seine mitbewerber gerade jetzt.<br />

<strong>Die</strong> positive Seite liege darin, dass sich<br />

die Preise auch schnell wieder in die<br />

andere Richtung bewegen können,<br />

etwa bei großen Kulturveranstal tun -<br />

gen und Kongressen. So hofft er wie<br />

andere Hoteliers, dass der Herbst, eine<br />

gute Zeit für Städtereisende, wieder<br />

Erleichterung bringen wird.<br />

Weniger Investitionen<br />

Gustav Adler erzählt, was die aktuelle<br />

Krise für seine Unternehmensgruppe,<br />

die Adler Hotels Vienna, bedeutet.<br />

„Wir verlieren dadurch heuer eine Mil li on<br />

Umsatz. Das heißt nicht, dass wir keine<br />

schwarzen Zahlen mehr schreiben. Aber<br />

wir werden die üblichen Investitionen zu -<br />

rückstellen, ich will nicht zu viel über<br />

Kredit finanzieren.“ Regelmäßig hatte<br />

er in den letzten Jahren in allen Häu -<br />

sern Verbesserungen vorgenommen:<br />

da ein paar Bäder erneuert, dort die<br />

Spannteppiche oder den Steinboden in<br />

den Gängen, hier einen Frühstücks -<br />

raum. Jetzt verschiebt er die heurige<br />

Tranche – „hoffentlich nur um ein Jahr“.<br />

Adler wurde nicht als Hotelier geboren.<br />

Seine Familie betrieb einen Groß -<br />

handel mit Hühnern und Wild, am<br />

Höhepunkt der Entwicklung verkaufte<br />

man Fleisch via 60 kleine Filialen in<br />

ganz <strong>Wien</strong>. Aber die Supermärkte er -<br />

wiesen sich ab den frühen 70er Jahren<br />

als immer mächtigere Gegner, und erst<br />

wurden die Gewinnmargen schmäler,<br />

dann rutschte die Firma in die roten<br />

Zahlen. „Wir haben überlegt, was wir<br />

sonst machen könnten, und die Idee mit<br />

den Hotels hat dann meine Mutter ge -<br />

Grüß<br />

und<br />

habt,“ berichtet Adler. 1972 kaufte er<br />

das erste Haus, ein heruntergewirtschaftetes<br />

Hotel am äußeren Ende der<br />

Landstraßer Hauptstraße, und be gann<br />

gleich mit umfangreichen Um- und<br />

Ausbauarbeiten. Weitere Häuser folgten,<br />

eines kaufte er sogar dem Kur z -<br />

zeit-Aua-Großaktionär, Scheich mo -<br />

ham med Bin isser Al Jaber, ab. <strong>Die</strong>ser<br />

hatte am matzleinsdorfer Platz investiert<br />

und wollte dort ursprünglich ein<br />

Fünf-Sterne-Haus aufmachen, bis er<br />

draufkam, dass das dafür kein idealer<br />

Standort wäre. Adler füllt sein Alle gro<br />

jetzt dort solide mit Drei-Sterne-Gäs -<br />

ten.<br />

Gefragt, ob er auch israelische Tou ris -<br />

ten beherberge, antwortet er, vereinzelt<br />

immer wieder, aber statistisch spielen<br />

diese keine größere Rolle. Ähnlich ar -<br />

30 August 2009 - Aw/Elul 5769


’ Gott<br />

gu mentiert Rosenberg: „Zuerst sind die<br />

Österreicher, Deutschen und Italiener. Alle<br />

anderen kann man unter „ferner liefen“<br />

zusammenfassen.“ Eine <strong>Wien</strong>er Hote lie -<br />

rin mit zwei guten mittelstand-Hotels<br />

unweit dem Ersten Bezirk, beherbergt<br />

immer wieder Gäste aus israel, „aber<br />

heuer im Juli sind sie ausgeblieben“. Sie<br />

führt das auf die aktuelle Wirtschafts -<br />

la ge zurück, auch dort müssen die<br />

Urlauber sparen.<br />

Laut aktueller Statistik der Hoteliers -<br />

ver einigung machen die israelischen<br />

Urlauber in Österreich tatsächlich nur<br />

einen verschwindend kleinen Anteil<br />

aus – im Vorjahr waren es etwa landesweit<br />

0,14 Prozent aller nächtigun -<br />

gen. Heuer gibt es bei ihnen in den<br />

monaten Januar bis mai sogar gegen<br />

den generell rückläufigen Trend ein<br />

WIRTSCHAFT • INLAND<br />

Schalom<br />

Serfaus<br />

kleines Plus. Aber wer sich die Daten<br />

genauer ansieht, bemerkt, dass das<br />

nur in einem monat der Fall war, im<br />

April. mit Ausnahme der Pessach-Zeit<br />

gingen auch die Zahlen der isra e lis in<br />

Österreich heuer monat für mo nat zu -<br />

rück.<br />

Koschere Mahlzeiten –<br />

Nostalgie-Touristen<br />

Um wie viel weniger jüdische Tou ris -<br />

ten aus anderen Ländern heuer Ös ter -<br />

reich ansteuern, lässt sich nicht herausfinden.<br />

Der überwiegende Teil von<br />

ihnen deklariert sich nicht, sondern<br />

ist in den jeweiligen Zahlen der einzelnen<br />

Herkunftsländer enthalten.<br />

Und da befürchtet die österreichische<br />

Fremdenverkehrswirtschaft für 2009<br />

doch ein eher gedämpftes Ergebnis,<br />

eine Abschwächung in der Größen -<br />

ord nung von fünf bis sechs Prozent.<br />

Zur Krise war im Frühsommer noch<br />

das schlechte Wetter dazu gekommen,<br />

und diese verlorenen nächte lassen<br />

sich später nicht mehr aufholen.<br />

Keinen Rückgang hat Shalom Bern holtz<br />

bei jenen Hotelgästen festgestellt,<br />

denen er koscheres Essen liefert. „Das<br />

macht bei mir insgesamt nur wenige Pro -<br />

zent aus, aber es ist auch im Vergleich zum<br />

Vorjahr absolut stabil.“ Bernholtz führt<br />

auf seiner Kundenliste sämtliche Fünf-<br />

Sterne-Häuser – vom Sacher bis zum<br />

Intercontinental, vom Hilton bis zum<br />

Mar riott, vom Bristol bis zum Ana<br />

Grand. Und er liefert seine mahlzeiten<br />

auch in die Hofburg, wenn dort ein<br />

Kongress seine Teilnehmer zu einem<br />

Di ner lädt, manchmal sogar ins Stei -<br />

rer eck, falls in einer größeren Ge sell -<br />

schaft jemand auf Koscher besteht.<br />

„Es gibt so viele unterschiedliche Ver an -<br />

staltungen,“ so Bernholtz, „da ein Kon -<br />

gress, dort eine internationale Theater trup -<br />

pe, dass ich keinen Rückgang bemerkt<br />

habe.“<br />

Purim-Ball:<br />

Shalom Bernholtz<br />

– Caterer mit viel<br />

Sinn für Humor<br />

Eine – kleine aber treue – Gästeschar<br />

dürfte sich allerdings langfristig re -<br />

du zieren. Das sind jüdische internationale<br />

Touristen, die aus der Region<br />

mitteleuropa stammen, und auf der<br />

Suche nach ihren Wurzeln <strong>Wien</strong> als<br />

Stützpunkt für die Fahrten nach Bu -<br />

da pest, Prag, munkács und Czerno -<br />

witz benutzen. „Viele von ihnen sind<br />

schon gestorben oder werden langsam zu<br />

alt zum Reisen,“ weiß ein Hotelier. „Viel -<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 31<br />

© O.Goldberger


eicht fahren die Jungen jetzt noch ein<br />

letztes Mal mit dem Opa hierher, aber sie<br />

interessieren sich dann mehr für andere<br />

Ziele rund um den Globus.“<br />

Lederhosen und Pajes<br />

Doch Österreich ist nicht nur <strong>Wien</strong>,<br />

und mehrere alpine Ferienorte haben<br />

in den letzten Jahren auch orthodoxe<br />

Juden als interessante Gästegruppe<br />

entdeckt. Einer der Vorreiter war die<br />

Hoteliersfamilie Purtscher in der Al -<br />

ten Schmiede von Serfaus in Tirol. Sei<br />

vier Jahren betreibt sie in den Som mer -<br />

monaten Juli und August ihr Vier-<br />

Ster ne-Haus als koscheren Betrieb.<br />

Auch heuer ist dieses ausgebucht.<br />

We der die Wirtschaftskrise noch<br />

dümm liche, judenfeindliche Bemer -<br />

kun gen einer anderen Quartierge be -<br />

rin im Ort, die im Frühjahr durch die<br />

internationalen medien gingen, konn -<br />

ten darauf negativ einwirken. „Es läuft<br />

heu er so gut wie im Vorjahr,“ erzählt<br />

Birgit Purtscher, die Seniorchefin.<br />

Vor vier Jahren hatte sich erstmals ein<br />

israelisches Reisebüro bei<br />

ihr ge meldet und<br />

angefragt, ob sie an<br />

Ko scher-Gäs -<br />

ten in te res -<br />

siert wäre.<br />

Das Haus eignete<br />

sich gut dafür, die<br />

Küche war groß ge nug, um<br />

milchig und fleischig or dent -<br />

lich zu trennen, die Bar verwandelt sich<br />

im Sommer in eine Betstube, Tho ra -<br />

rollen werden in Ungarn ausgeborgt.<br />

Mena chem Schechter, gebürtiger Ru -<br />

mä ne aus Haifa, arbeitet schon den<br />

vierten Sommer als meschgiach in der<br />

Al ten Schmiede. Er kauft einen Gut -<br />

teil seiner Lebensmittel regional ein,<br />

Fleisch und milchprodukte kommen<br />

mit dem Koscher-Stempel aus Un garn,<br />

tief ge froren oder als Haltbar-Ware.<br />

Er er zählt über die orthodoxen Gäste,<br />

die „aus aller Welt“ nach Serfaus kommen:<br />

„Sie sind vielleicht einen Tag im<br />

Ort, dann fahren sie in ganz Österreich he -<br />

rum. Nur am Schabbes ruhen sie sich hier<br />

aus.“<br />

Ein anderes Ferienhotel, das in den<br />

letz ten Jahren stets orthodoxe Gäste<br />

beherbergt hat, baut heuer um: das<br />

Blumenhotel der Familie Sonnbichler in<br />

Hinterglemm bei Saalbach. „Wir ha ben<br />

heuer wegen der Renovierung geschlossen,“<br />

erfährt man dort. „Wenn Sie sich<br />

für einen koscheren Urlaub interessieren,<br />

WIRTSCHAFT • INLAND<br />

bitte rufen Sie ab Oktober wieder an,<br />

dann wissen wir Genaueres über die<br />

kom mende Saison.“<br />

Erstmals auf jüdische<br />

Touristen setzt<br />

heuer das Hotel<br />

Tyrol in Seefeld. ini -<br />

ti iert wurde das<br />

von Daf na Cohen,<br />

Besit ze rin des israelischen<br />

Rei sebüros Tour<br />

Plus. Sie organisiert ge mein sam mit<br />

ihrem mann seit 1997 Urlaube für traditionelle<br />

Gäste aus den unterschiedlichsten<br />

Ländern. Heuer hat sie neben<br />

zahlreichen israelischen Hotels in Eu -<br />

ro pa das slowenische maribor im Pro -<br />

gramm – und eben Seefeld. „Wir wa -<br />

ren in Österreich schon in mehreren Or -<br />

ten, etwa in Lech oder in Ischgl,“ erzählt<br />

sie. Wie sie auf das Vier-Sterne-Haus<br />

Ty rol gekommen ist, möchte sie nicht<br />

sa gen: „Berufsgeheimnis“. Auch Frau<br />

Cohen will keinen Rückgang der nach -<br />

frage wegen der Wirtschafts kri se be -<br />

merken. „Das Einzige, was ich sehe, ist<br />

dass die Kunden einen guten Preis haben<br />

wollen. Aber wenn wir ihnen er klä ren,<br />

dass wir auf Qualität setzen und dass<br />

das halt etwas kostet, akzeptieren sie es.“<br />

Tour Plus füllt das 70-Zimmer-Haus<br />

im alpinen Stil mit Hallenbad, das na -<br />

he am Ortszentrum von Seefeld liegt,<br />

mit Gästen aus vielen Ländern, „vor<br />

allem aus Europa, darunter auch aus<br />

<strong>Wien</strong>“. Frau Cohen hat ihren eigenen<br />

Koch mitgebracht, der in den beiden<br />

Sommermonaten hier die Küche über -<br />

nimmt, für die Glatt-Koscher-Zerti fi -<br />

zierung ist Rabbi Pinchas Leibush Padwa<br />

aus Amsterdam zuständig. Auch die<br />

Kunden von Tour Plus bleiben nicht<br />

nur in Seefeld und auf den umliegenden<br />

Almen, sie bereisen mit Klein -<br />

bussen eine größere Region – und fah -<br />

ren gelegentlich bis Salzburg.<br />

in <strong>Wien</strong> hat Gustav Adler eine blaue<br />

Kassette gebracht und zeigt sie stolz<br />

seinem Besucher: „Das ist das goldenen<br />

Ehrenzeichen der Stadt <strong>Wien</strong> für besondere<br />

Verdienste um die Hotellerie. Ich bin<br />

der erste Jude seit 100 Jahren, der das be -<br />

kommen hat.“ Und auch sonst ist der<br />

Hotelier den großen Zahlen nicht ganz<br />

abgeneigt. „Ich bin jetzt 71 Jahre alt,“<br />

sagte er zufrieden lächelnd. „Bis 100<br />

möchte ich noch arbeiten. Dann raste ich<br />

mich zehn Jahre aus. Mit 111 fange ich<br />

viel leicht wieder an. Aber da hat der Herr -<br />

gott noch ein Wörterl mitzureden.“ •<br />

Passagierrekord am<br />

Ben Gurion-Flughafen<br />

<strong>Die</strong> globale Wirtschaftskrise hat die<br />

Reiselust der israelis offensichtlich<br />

nicht zu beinträchtigen vermocht. So<br />

hat der Ben Gurion-Flughafen nahe<br />

Tel Aviv in der ersten Augustwoche<br />

all seine bisherigen Rekorde gebrochen.<br />

im Vergleich zum Vorjahres mo -<br />

nat konnte er einen Anstieg der Pas -<br />

sa gierzahl von 7.95% verbuchen. Das<br />

Jahr 2008 war das bisherige Rekord -<br />

jahr gewesen.<br />

Der 27. August wird voraussichtlich<br />

der Spitzentag werden. 56.000 Flug -<br />

gäs te und 340 Flugzeuge sollen an<br />

diesem Tag fahrplangemäß abgefertigt<br />

werden.<br />

Seit Beginn dieses Jahres haben be reits<br />

mehr als 5.8 millionen Rei sen de den<br />

größten israelischen Flugha fen passiert.<br />

Yedioth Ahronot<br />

Weniger Anträge auf<br />

Arbeitslosenhilfe<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Anträge auf Arbeits lo -<br />

sen hilfe in israel ist rückläufig. Wie<br />

die nationale Versicherungsanstalt<br />

mit teilte, wurden bei ihr in den mo -<br />

naten Juni und Juli je 17.500 neue An -<br />

träge von Erwerbslosen eingereicht;<br />

im mai waren es noch 18.600. <strong>Die</strong>s<br />

bedeutet einen Rückgang von 5%.<br />

Bei Folgeanträgen von Arbeitslosen,<br />

die in den monaten zuvor entlassen<br />

wurden und bereits Unterstützung<br />

er halten, ist im Juli ein Rückgang von<br />

2.2% gegenüber dem Vormonat zu<br />

verzeichnen gewesen<br />

„Der Rückgang in der Zahl der Anträge<br />

von Neuentlassenen entspricht der Mäßi -<br />

gung der Wirtschaftskrise, auf die wirtschaftliche<br />

Indikatoren hinweisen“, meint<br />

die Generaldirektorin der nationalen<br />

Versicherungsanstalt, Esther Domini si -<br />

ni, der zufolge die Entwicklung auch<br />

auf das Abbeben der großen Entlas -<br />

sungs welle hinweist, die im letzten<br />

Quar tal von 2008 begonnen hatte.<br />

Ostjerusalem erhält<br />

Shopping-Mall<br />

<strong>Die</strong> wirtschaftliche Entwicklung des<br />

strukturschwachen Ostjerusalem<br />

schrei tet stetig voran. Unweit des Da -<br />

maskustors wird derzeit ein modernes<br />

Einkaufszentrum gebaut – die<br />

erste Shopping-mall im Ostteil der is -<br />

raelischen Hauptstadt überhaupt.<br />

32 August 2009 - Aw/Elul 5769<br />

©Douglas Guthrie


Das Bauprojekt wird in einem zehnstöckigen<br />

Gebäude in der Salah-A-<br />

Din-Straße realisiert, das seit dem<br />

Sechs-Tage-Krieg vor 42 Jahren leer<br />

steht. in den vergangenen Jahren hat<br />

es u. a. als Unterschlupf für Junkies,<br />

Zu hälter und Obdachlose gedient<br />

und sich den Ruf eines Gesund heitsrisikos<br />

eingehandelt.<br />

Das Gebäude befindet sich im Ei gen -<br />

tum der nusseibehs, einer der ältesten<br />

und privilegiertesten muslimischara<br />

bischen Familien Jerusalems, die<br />

unter anderem dafür bekannt sind,<br />

dass sie die Schlüssel zur Grabeskirche<br />

hüten.<br />

Vor zehn Jahren beschloss Muham mad<br />

Nusseiba mit dem Einverständnis der<br />

Familie, die Anlage in ein Geschäfts -<br />

ge bäude sowie ein Einkaufszentrum<br />

umzubauen. <strong>Die</strong> unteren Stockwerke<br />

sollen die Shoppingmeile beherbergen,<br />

die oberen Büroräume.<br />

Von dem Ergebnis des Bauprojekts er -<br />

wartet man sich in Ostjerusalem eine<br />

Revolution des kommerziellen und<br />

sozialen Lebens. Yedioth Ahronot<br />

Positive Wirtschaftsentwicklung<br />

im Westjordanland<br />

<strong>Die</strong> Wirtschaftslage in den arabischen<br />

Ortschaften im Westjordanland hat<br />

sich als Folge der Entfernung von<br />

Kon trollpunkten durch die israelischen<br />

Behörden in den vergangenen<br />

Wo chen stark verbessert. neue Ge -<br />

schäfte wurden in den großen Städ ten<br />

eröffnet, darunter ein Kino in nablus<br />

und ein neues Einkaufszentrum in Je -<br />

nin (s.S. 28)<br />

<strong>Die</strong> Wiederbelebung des Handels ist<br />

besonders deutlich in nab lus (s.S.26)<br />

spürbar, das während der palästinensischen<br />

Terrorkam pa gne ge gen israel<br />

noch eine Hauptstadt des Terrors<br />

gewesen war.<br />

Am 15. Juli 2009 eröffnete der palästinensische<br />

minis ter präsident Salam<br />

Fayyad das Shop pingfestival von nab -<br />

lus, das einen mo nat lang andauern<br />

soll. Bis zu 100.000 Personen pro Tag<br />

nehmen an dem Fest teil, darunter<br />

auch zahlreiche israelische Araber.<br />

Intelligence and Terrorism Info Center<br />

WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />

Studie: Nahost-Konflikt kostete<br />

Wirtschaft seit 1991 über 9 Bio. Euro<br />

Während medien im Zusammen hang<br />

mit Kriegen und Konflikten eher von<br />

Todesopfern und Zerstörung berichten,<br />

hat eine Exper tenkommission in<br />

akribischer Forschungsar beit die so -<br />

genannten Opportunitätskosten der<br />

Konflikte im nahen und mittleren<br />

Os ten ermittelt und ausgewertet.<br />

Demgemäß belaufen sich die entgangenen<br />

Erlöse - die dadurch entstehen,<br />

dass vorhandene möglichkeiten, eben<br />

Opportunitäten, zur nutzung von<br />

Res sourcen nicht wahrgenommen<br />

werden - im nahen Osten seit 1991<br />

auf US$ 12 Billionen (9,24 Billionen<br />

Euro). <strong>Die</strong>s berichtet die Strategic Fo -<br />

resight Group (SFG), ein in indien<br />

beheimateter Think Tank.<br />

Der Bericht beansprucht für sich,<br />

erst mals eine umfassende Bewertung<br />

der Kosten verschiedener Konflikte<br />

im nahen Osten anhand von 97 un -<br />

ter schiedlichen Parametern erstellt zu<br />

haben: von den sozialen, psychologi -<br />

schen und wirtschaftlichen Kosten<br />

bis hin zu den Umweltkosten.<br />

Wenn der Konflikt im nahen Osten<br />

im Jahre 1991 zu Zeiten des Friedens -<br />

prozesses von madrid gelöst worden<br />

wäre, würden fast alle Familien in der<br />

arabischen Welt sowie in israel das<br />

doppelte Pro-Kopf-Einkommen im<br />

Ver gleich zu heute genießen, ist der<br />

Stu die zu entnehmen. So würde bei -<br />

spielsweise das Bruttoinlands pro dukt<br />

(BiP) des irak 30 mal so hoch sein wie<br />

die für 2010 vorhergesagten US$ 59<br />

mrd. Hätte es den Krieg zwischen dem<br />

irak und dem iran (1980-1990) nicht<br />

ge geben, wäre der Wert sogar 50 mal<br />

hö her. Auch die Umwelt kos ten sind<br />

mar kant.<br />

Während des ersten Golfkriegs 1991<br />

wurden 10 mio. Barrel (15.898.400 hl)<br />

Öl ins meer und 45 mio. Barrel in die<br />

Wüste Kuwaits gegossen. in einem<br />

künftigen Krieg entspräche dies laut<br />

SFG der weltweiten Öllieferung eines<br />

halben Tages. Außerdem könnte ein<br />

<strong>Die</strong> JIDF (Jewish In ter -<br />

net Defense-Foce) be -<br />

kämpft nach eigenen<br />

An gaben Anti se mitismus<br />

und Ter ro ris mus<br />

im Inter net. Sie will ein http://www.thejidf.org<br />

künftiger Konflikt im nahen oder<br />

mitt leren Osten mehr Kohlendioxid-<br />

Emissionen verursachen als ein in dus -<br />

trialisiertes Land wie z.B. Groß bri tan -<br />

nien.<br />

Das palästinensische Volk hat laut SFG<br />

seit dem Jahr 2000 über 100 millionen<br />

Arbeitsstunden durch das Warten an<br />

Kontrollpunkten zwischen Ramallah<br />

und Jerusalem verloren. Gegenwärtig<br />

befinden sich über 11.000 Paläs ti nen -<br />

ser in israelischen Gefangenenlagern.<br />

<strong>Die</strong> Arbeitslosigkeit in Gaza hat durch<br />

die Aussetzung von 95 Prozent der<br />

industriellen Tätigkeit über 50 Pro zent<br />

erreicht, und das schon vor dem is -<br />

raelischen Angriff im Dezember 2008.<br />

Auch die humanitären und psychologischen<br />

Kosten israels sind nach den<br />

SFG-Berechnungen beträchtlich: Seit<br />

dem Jahr 2000 fanden über 34.000 Ra -<br />

ke tenangriffe auf das Land statt. in<br />

An griffen auf Cafés, Schulen und<br />

Busse haben im gleichen Zeitraum fast<br />

1.000 israelische Bürger und 123<br />

minderjährige ihr Leben verloren.<br />

Über 90 Prozent der israelis leben laut<br />

Umfragen in Angst. Dem Bericht zu -<br />

folge würde ein umfassendes Frie -<br />

dens abkommen etliche Projekte er -<br />

mög lichen. Dazu zählen Gasverträge,<br />

Eisenbahnlinien und der viel diskutierte<br />

Kanal zwischen dem Roten und<br />

dem Toten meer. Alle Länder in der<br />

Re gion würden außerdem durch ei -<br />

nen Frieden von wirtschaftlichen Vor -<br />

teilen profitieren.<br />

<strong>Die</strong>se betrügen jährlich pro israelischem<br />

Haushalt US$ 4.429, pro ägyptischem<br />

Haushalt US$ 500 und pro<br />

jordanischer Familie US$ 1.250.<br />

Der Bericht der Strategic Foresight<br />

Group beinhaltet keine Lösungen, um<br />

Frieden zu schaffen, sondern be -<br />

schreibt in vier Szenarien die mögli -<br />

chen Folgen verschiedener politischer<br />

Optionen.<br />

www.strategicforesight.com<br />

Netz werk für um Israel<br />

be sorgte Bürger auf der<br />

ganzen Welt sein. Sie<br />

steht für jüdischen<br />

Stolz, jüdisches Wissen<br />

und Ein heit.<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 33


israel steckt in der Krise – doch diesmal<br />

geht es nicht um Terroris mus -<br />

gefahr oder innenpolitik, sondern um<br />

etwas viel Elementareres: Es geht um<br />

israels Wasserversorgung.<br />

Aufgrund ausbleibender Regenfälle,<br />

hoher Temperaturen und immensem<br />

Verbrauch sieht die israelische Regie -<br />

rung sich nun, wie auch schon in den<br />

Jahren zuvor, gezwungen, maßnah -<br />

WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />

Israels<br />

hausgemachte<br />

Krise<br />

VON EHUD ZION WALDOKS, Jerusalem Post<br />

Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />

men zu ergreifen, die den Wasser ver -<br />

brauch minimieren sollen. Denn das<br />

Problem wiegt schwer – diesmal<br />

sogar noch schwerer als in der Ver -<br />

gan genheit.<br />

Vor allem bei der Bewässerung von<br />

Grün flächen und Gärten sowie im Ver -<br />

brauch der Privathaushalte gibt es<br />

Ein schnitte. mit möglichst sparsamem<br />

Verhalten sollen 10 bis 15% Wasser<br />

eingespart und das Absinken des Pe -<br />

gels im See Genezareth unter die<br />

„schwarze Linie“ verhindert werden.<br />

Sinkt der Wasserstand von israels<br />

wichtigstem Trinkwasserreservoir bis<br />

zur „schwarzen Linie” auf der Höhe<br />

von -214,4 metern, werden die Zu -<br />

flüsse zur Wasserleitung unterbrochen.<br />

Das Ökosystem würde bei diesem Pe -<br />

gel einen irreparablen Schaden durch<br />

Verschmutzung, giftige Algen und<br />

hohen Salzgehalt erleiden.<br />

Doch wie konnte es überhaupt so<br />

weit kommen? Eine Untersuchungs -<br />

kom mission der Regierung – bestehend<br />

aus dem pensionierten Richter<br />

und Vorsitzenden Dan Bein und den<br />

Pro fessoren Yoram Avnimelech und<br />

Yoav Kislev - sollte dieser Frage auf<br />

den Grund gehen. Verantwortliche wie<br />

Experten wurden befragt und dazu<br />

veranlasst, vor ihrer Aussage einschlägige<br />

schriftliche Berichte zu verfassen<br />

(einsehbar auf der Website der<br />

Kommission unter www.court.gov.il/<br />

mayim). <strong>Die</strong> Ergebnisse sind äußerst<br />

Besorgnis erregend, zählt Wasser doch<br />

zu den wichtigsten Ressourcen des<br />

jüdischen Staates.<br />

Ein Experte nach dem anderen klagte<br />

die Regierung der misswirtschaft in<br />

beinahe jedem Aspekt des Wasser ma -<br />

na gements an.<br />

Wenn das Problem nicht so schwerwiegend<br />

wäre, könnte man es ja fast<br />

als lachhaft bezeichnen: israel genießt<br />

in aller Welt einen hervorragenden Ruf,<br />

was die Entwicklung von Technolo gi -<br />

en des Wassermanagements, der Was -<br />

ser konservierung, zur effizienten Be -<br />

wässerung etc. betrifft, doch die Staats -<br />

regierung hat es stets verabsäumt, die<br />

maximierung eben jener grundlegenden<br />

Ressource, die Jahr für Jahr weniger<br />

wird, zu gewährleisten.<br />

Tatsächlich, auch wenn wir anderen<br />

Staaten in vielen Dingen technisch um<br />

Lichtjahre voraus sind was Abwas -<br />

serrecycling und Entsalzungsanlagen<br />

betrifft, sind sich die Experten einig,<br />

dass das nunmehrige Problem abgewendet<br />

werden hätte können, wenn<br />

die Politik rechtzeitig ihre Arbeit ge -<br />

tan hätte.<br />

Wären, wie ursprünglich geplant, be -<br />

reits 1999 genügend Abwasserauf be -<br />

rei tungsanlagen und 2001 Entsal zungs -<br />

anlagen errichtet worden, hätten wir<br />

heute bei weitem ausreichend Wasser<br />

34 August 2009 - Aw/Elul 5769


zur Verfügung, um die anhaltende<br />

Trockenheit zu überstehen. 16 Jahre<br />

an verminderten und fünf Jahre an<br />

stark verminderten Regenfällen ma -<br />

chen diese Versäumnisse nun allzu<br />

deutlich. israels Wasserkapazität ist<br />

an ihrem Limit angekommen.<br />

Bereits 2002 kam die magen-Kom -<br />

mis sion zu folgendem Schluss: „...seit<br />

mehr als 30 Jahren befindet sich der israelische<br />

Wassersektor in einer tiefen und<br />

anhaltenden Krise, die kürzlich einen kritischen<br />

Punkt erreicht hat. <strong>Die</strong> Krise<br />

manifestierte sich im Raubbau an den<br />

Wasserressourcen, der ein wachsendes<br />

De fizit von etwa zwei Mrd. Kubikmetern<br />

in den staatlichen Wasservorräten verursachte.“<br />

„<strong>Die</strong>ses traurige und erstaunliche Ergeb -<br />

nis ist die bittere Frucht der anhaltenden<br />

Fehlleistung der israelischen Regierun gen.<br />

(...) <strong>Die</strong> Krise resultiert nicht nur aus klimatischen<br />

Veränderungen, die verminderte<br />

Regenfälle verursachten, auch nicht aus<br />

dem steilen Anstieg der Bevö lke rungs zah -<br />

len und ihrem Lebensstandard in den letzten<br />

50 Jahren. <strong>Die</strong> verheerenden Fehler<br />

sind hauptsächlich selbst gemacht!“<br />

nach Schätzungen der zuständigen,<br />

neu errichteten, Wasserbehörde wird<br />

das Ungleichgewicht zwischen vorhandenem<br />

und benötigtem Wasser in<br />

diesem Jahr sogar bei 344 mio. Ku bik -<br />

metern liegen, sollte es weiterhin so<br />

wenig regnen. Lediglich durch drastische<br />

Einsparungsmaßnahmen könne<br />

dies verhindert werden – wenn überhaupt.<br />

Tatsache ist, dass israels drei Haupt -<br />

was serspeicher – der See Genezareth,<br />

das Gebirgswasser sowie das Grund -<br />

was ser an der Küste – so stark unter<br />

die „rote Linie“ gesunken sind, dass<br />

im vergangenen Jahr neue „schwarze<br />

Linien“ gezogen werden mussten.<br />

Der Wasserverbrauch teilt sich auf in<br />

jenen der Haushalte (inklusive Gar ten -<br />

anlagen), der industrie und der Land -<br />

wirtschaft, wobei auf die Privaten der<br />

größte Teil entfällt. Zurzeit liegt hier<br />

der Verbrauch bei 700 mio. Kubik me -<br />

tern pro Jahr. Zum Vergleich: Für die<br />

Landwirtschaft wurden 2008 etwa<br />

500 mio. und für die industrie 150<br />

mio. Kubikmeter aufgewendet. Das<br />

macht insgesamt 1,4 mrd. Kubik meter<br />

Wasser pro Jahr. Durch Regenfälle<br />

werden heute aber lediglich etwa 1,2<br />

mrd. Kubikmeter gesammelt.<br />

WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />

<strong>Die</strong> durch die Wasserbehörde veranschlagten<br />

maßnahmen müssen also<br />

mög lichst bald greifen, sonst könnte<br />

das israelische Ökosystem nachhaltig<br />

geschädigt werden.<br />

Der Plan sieht in erster Linie vor, den<br />

Wasserverbrauch der Landwirtschaft<br />

einzuschränken, das Quellwasser für<br />

den See Genezareth zu verwenden,<br />

das Gießen von Privatgärten völlig<br />

ein zustellen und öffentliche Garten an -<br />

lagen nur noch bedingt zu bewässern.<br />

Wer Wasser verschwendet, muss mit<br />

hohen Strafen rechnen. Dafür soll ein<br />

wesentlich größeres Augenmerk als<br />

bisher auf die Entsalzung des meer -<br />

was sers gelegt und Anlagen gebaut<br />

werden, die es erlauben, landwirtschaftliche<br />

Flächen mit aufbereitetem<br />

Wasser zu versorgen anstatt mit Trink -<br />

wasser. Außerdem gibt es eine breit<br />

angelegte PR-Kampagne, die die is -<br />

raelis dazu aufruft, so viel Wasser wie<br />

möglich zu sparen.<br />

Ob all diese maßnahmen letztendlich<br />

greifen und auch tatsächlich ausreichen<br />

ist eine Frage, die nur die Zeit<br />

beantworten wird können.<br />

Eine Frage der Wasserqualität<br />

Laut Prof. Alon Tal von der Ben-Gu -<br />

rion Universität, der ebenfalls einen<br />

Bericht für das Untersuchungs ko mi -<br />

tee der israelischen Regierung zur<br />

Wassersituation verfasste, muss ten<br />

seit 1980 in israel 286 Wasserquellen<br />

versiegelt werden, da sie gesundheitsgefährdende<br />

Verschmutzungen aufwiesen.<br />

Tatsächlich habe sich die Art<br />

der Verschmutzung in den letzten Jah -<br />

ren geändert, so Tal. Ging es früher<br />

hauptsächlich um Einzelfälle durch<br />

die illegale Entsorgung von Abwäs sern<br />

oder Abfällen, findet die Verunreini -<br />

gung der Gewässer heute langsam<br />

und stetig und quasi von selbst statt.<br />

Das übermäßige Abpumpen aus dem<br />

See Genezareth und des Grund was -<br />

sers haben beides bereits gefährlich<br />

na he an den Punkt gebracht, wo eine<br />

nachhaltige Schädigung der Wasser -<br />

qua lität durch Salzwasser und Ver -<br />

schmutzungen nur noch eine Frage der<br />

Zeit ist. Das Grundwasser an der Küs -<br />

te könnte so als Trinkwasser res sour ce<br />

bald völlig verloren gehen, wenn<br />

nicht so rasch als möglich drastische<br />

Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.<br />

Auch Entsalzungsanlagen stellen eine<br />

Alternative dar – doch deren Betrieb<br />

kostet immer noch mehr, als die Rei -<br />

nigung verschmutzten Wassers, was<br />

ihre Errichtung für den Staat noch<br />

immer unattraktiv macht.<br />

Überhaupt weist das Trinkwasser des<br />

Landes aufgrund der Umwelt ver -<br />

schmu tzung und der unzureichenden<br />

Aufbereitung des Abwassers ei nen<br />

viel zu hohen Salzgehalt auf. Eine<br />

Lösung dafür ist nicht in Sicht, gerade<br />

auch weil die Bevölkerung, anstatt<br />

massiven Druck auf die Regierung<br />

auszuüben, lieber mineralwasser in<br />

Flaschen kauft.<br />

Ein weiteres Problem bei der Lösung<br />

des israelischen Wasserproblems sind<br />

die zwischen den ministerien unklar<br />

aufgeteilten Kompetenzen. Sowohl<br />

Ge sundheitsministerium, nationales<br />

infrastrukturministerium und Um -<br />

welt schutzministerium als auch die<br />

Wasserbehörde sind an der Angele gen -<br />

heit beteiligt. Durch diese Un struk -<br />

turiertheit blieben bereits viele Fälle<br />

von schweren Wasserverschmut zun -<br />

gen unbestraft.<br />

noch dazu erachten Tal und die isra -<br />

e lische Union für Umweltverteidi gung<br />

das Strafmaß für Umweltver schmut -<br />

zung als viel zu gering. Wenn das Re -<br />

cycling des Abwassers den Firmen<br />

teurer kommt, als die Strafen für dessen<br />

Einleitung in öffentliche Gewäs ser,<br />

wird sich wohl kaum jemand um<br />

Umweltschutzinteressen kümmern.<br />

Werden Verschmutzungen angezeigt<br />

dauert der Gerichtsweg Jahre – um<br />

dann letztendlich oftmals doch ergebnislos<br />

zu bleiben.<br />

Privatinitiative sammelt Regenwasser<br />

Wie Hydrologen aufzeigen, hat sich<br />

das Gesicht der Regenfälle in israel<br />

mit den Jahren deutlich verändert.<br />

<strong>Die</strong> Stürme sind nun stärker, bringen<br />

wesentlich mehr Regen in kürzerer<br />

Zeit – und hören dann einfach auf.<br />

Auf diese Art wird mehr Wasser ins<br />

meer gespült, als über den Boden ins<br />

Grundwasser oder den See Geneza -<br />

reth aufgenommen.<br />

Eine bisher durch die Regierung völlig<br />

unbeachtet gebliebene Option, um dem<br />

Herr zu werden, ist das Sam meln des<br />

Regens mittels geeigneter Be hält nis se.<br />

Der Pädagoge Amir Yechieli brachte die<br />

letzten acht Jahre damit zu, in 25 isra -<br />

e lischen Schulen unentgeltlich Regen -<br />

wassersammelcontainer aufzustellen,<br />

in die das Wasser über die Regenrin -<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 35<br />

WISSENSCHAFT


© Denise Feiger<br />

Plastikflaschen-Container in Israels Straßen<br />

nen der Gebäude geleitet wird. Das so<br />

gesammelte nass soll hauptsächlich<br />

für die Toiletten und Waschräume<br />

verwendet werden.<br />

Laut Yechieli nutzt der Staat lediglich<br />

ein Fünftel des vorhandenen Regen -<br />

was sers. Er ist überzeugt davon, dass<br />

seine initiative an Schulen und in Pri -<br />

vathaushalten millionen Kubikmeter<br />

Trinkwasser und eine menge Geld<br />

einsparen könnte. Außerdem verstärke<br />

sein Projekt bei Eltern und Schülern<br />

das Bewusstsein für Umweltpro ble me,<br />

da diese aktiv an installation und<br />

Hand ling beteiligt werden.<br />

natürlich ergeben sich daraus auch<br />

Probleme wie die Frage, wie das Re -<br />

gen wasser behandelt werden muss,<br />

um es für den menschlichen Ge brauch<br />

unbedenklich zu machen.<br />

Doch vor allem zeigt Amir Yechielis<br />

Projekt das Potenzial, das private<br />

initiativen haben können.<br />

Entsalzung – Des Rätsels Lösung?<br />

<strong>Die</strong> idee, dem meerwasser das Salz<br />

zu entziehen und daraus Trinkwasser<br />

zu machen, entsprang einer einfachen<br />

Kalkulation – an irgendeinem Punkt<br />

in der nahen Zukunft würde die nach -<br />

frage nach Trinkwasser das Angebot<br />

zu übersteigen beginnen. Dafür muss -<br />

te eine machbare Lösung gefunden<br />

werden.<br />

Entsalzungsanlagen haben zwei<br />

grund legende Vorteile: Das notwendige<br />

Rohmaterial ist in unbegrenzten<br />

mengen vorhanden und die Ergeb nis -<br />

se können bis zum letzten Tropfen<br />

genau kalkuliert werden.<br />

<strong>Die</strong> idee des Entsalzens ist auch nicht<br />

WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />

neu. Schon David Ben-Gurion träumte<br />

davon, die Wüste negev zu besiedeln<br />

und das meerwasser zu entsalzen.<br />

1966 wurde der Gedanke aufgrund<br />

einer anhaltenden Trockenperiode<br />

besonders aktuell.<br />

Dennoch dauerte bis zum Jahr 2000,<br />

bis die israelische Regierung dem Bau<br />

umfassender Entsalzungsanlagen zu -<br />

stimmte, denn billig ist das Ganze<br />

nicht.<br />

<strong>Die</strong> Errichtung einer 100 mio. Kubik -<br />

me ter Wasser pro Jahr umfassenden<br />

Anlage kostet 1,5 mrd niS (etwa 270<br />

mio. Euro), während Regen gratis<br />

vom Himmel fällt – wenn er vom Him -<br />

mel fällt. Außerdem muss der Staat<br />

das entsalzte Wasser kaufen, während<br />

das Regenwasser einfach gesammelt<br />

Entsalzungsanlage in Hadera<br />

und dann in die staatlichen Wasser -<br />

roh re gepumpt werden kann.<br />

Je nach Wetter und Regenstatus wurden<br />

die Entsalzungspläne aus den<br />

Schubladen hervorgeholt und wieder<br />

fallen gelassen. Gab es ein regenreiches<br />

Jahr hieß es im Finanzministerium<br />

gleich „Viel zu teuer!“. Doch kam die<br />

nächste Trockenheit, wurde auch die<br />

notwendigkeit eines raschen Entsal -<br />

zungs anlagenbaus wieder aktuell.<br />

So geschehen im Jahr 2000: Damals war<br />

das Ziel, 400 mio. Kubikmeter Wasser<br />

jährlich zu entsalzen. nach den enormen<br />

Regenfällen der Jahre 2003 und<br />

2004 wurde die menge allerdings<br />

rasch auf 315 mio. reduziert.<br />

Doch nachdem einige Unternehmen,<br />

die Aufträge zum Bau großer Entsal -<br />

zungsanlagen erhalten hatten, dies<br />

nicht bewerkstelligen konnten, musste<br />

auch das reduzierte Produktionsziel<br />

fallengelassen werden.<br />

<strong>Die</strong> Errichtung der Anlagen ist eine<br />

schwierige Angelegenheit. Vom Be -<br />

ginn der Planungsphase bis zur endgültigen<br />

Ausschreibung muss man<br />

fünf bis sieben Jahre einrechnen, da es<br />

eine Vielfalt an Schwierigkeiten zu<br />

überwinden und interessen zu be rück -<br />

sichtigen gilt. Zuallererst braucht<br />

man eine große Landfläche am meer,<br />

was sich bei einem Land mit begrenzter<br />

Küstenfläche nicht allzu einfach<br />

gestaltet. <strong>Die</strong> Landverwaltung gab<br />

sich bisher auch eher zögerlich bei der<br />

Bewilligung entsprechender Flächen.<br />

Hinzu kommt der hohe Energiever -<br />

brauch, den die Anlagen aufweisen.<br />

36 August 2009 - Aw/Elul 5769<br />

©Moshe Shai


Für jene in Ashkelon wird zum Bei -<br />

spiel ein eigenes mini-Kraftwerk be -<br />

trieben und produziert entsprechend<br />

hohe Abgaswerte. <strong>Die</strong> ökologische<br />

Un bedenklichkeit solcher Anlagen<br />

bleibt also fraglich, so lange benötigte<br />

Energie nicht aus erneuerbaren Res -<br />

sourcen wie Sonnen- oder Windener -<br />

gie gewonnen wird.<br />

Schließlich müssen die Entsalzungs an -<br />

lagen noch an das System der nationalen<br />

Wasserwerke angeschlossen werden,<br />

das in den 1960ern fertig gestellt<br />

wurde und das ganze Land auf einer<br />

nord-Süd-Achse versorgt. <strong>Die</strong> an der<br />

Küste gelegenen Anlagen müssten<br />

also durch eine völlig neue infra struk -<br />

tur mit dem System verlinkt werden.<br />

Um Rohre zu verlegen und zu betreiben<br />

brauchen die Wasserwerke die<br />

Einwilligung jedes Grundstück besit -<br />

zers, dessen Land durch die neuen<br />

Rohrleitungen betroffen ist – ein langwieriger,<br />

mühsamer Verhandlungs -<br />

pro zess, so Prof. Uri Shani, der Direk -<br />

tor der staatlichen Wasserverwal tung.<br />

nach seiner Einschätzung würde das<br />

gesamte Entsalzungs- und Abwas ser -<br />

auf bereitungs-Vorhaben insgesamt 17<br />

mrd. niS (3 mrd. Euro) verschlingen.<br />

Um diese Kosten zu verteilen, will die<br />

israelische Regierung das System des<br />

BOO (build-operate-own) oder BOT<br />

(build-operate-transfer) anwenden.<br />

im Klartext: Ein oder mehrere private<br />

Un ternehmen konstruieren und be trei -<br />

ben die Anlagen und im Gegen zug da -<br />

zu gibt es eine Regierungs-Garantie,<br />

das daraus erhaltene Wasser mindestens<br />

25 Jahre lang nutzen zu können<br />

(BOO). nach Ablauf dieses Zeitraums<br />

wird die Anlage wieder der Regie -<br />

rung unterstellt (BOT).<br />

Sollte israel tatsächlich sein Ziel erreichen<br />

und bis 2020 750 mio. Kubikme -<br />

ter pro Jahr entsalzen können, würde<br />

zu diesem Zeitpunkt mehr Wasser aus<br />

Entsalzungsanlagen genutzt als aus<br />

dem See Genezareth.<br />

Bei all den positiven Effekten, die das<br />

Entsalzen des meerwassers auf den<br />

Staat israel haben wird, darf man al -<br />

lerdings die Auswirkungen auf die<br />

Umwelt nicht vergessen. Umwelt -<br />

schutz organisationen beklagen, dass<br />

es keine Forschungsergebnisse gibt,<br />

die sich mit den langfristigen Belas -<br />

tun gen befassen, welche die Entsal -<br />

zungs anlagen auf das sie umgebende<br />

Land und Wasser ausüben. Weshalb<br />

die Regierung keine diesbezüglichen<br />

WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />

Studien in Auftrag gegeben hat ist un -<br />

klar. Vor allem die Rückleitung des<br />

hochgradig salzhaltigen Wassers ins<br />

meer könnte hier zum Problem werden,<br />

aber auch die verwendeten Che -<br />

mikalien und der hohe Eisengehalt.<br />

Doch Prof. Yuval Cohen, der Um welt -<br />

beauftragte der Entsalzungsanlage<br />

von Ashkelon, gibt hier Entwarnung.<br />

All seine Studien hätten lediglich<br />

einen minimalen Einfluss auf das<br />

Gleichgewicht des meerwassers bis zu<br />

einem Abstand von 100 metern zur<br />

Küste gezeigt. Danach seien die Ef -<br />

fek te kaum noch wahrnehmbar.<br />

Cohen ist dazu verpflichtet, dem<br />

Umweltschutzministerium alljährlich<br />

umfangreiche Berichte über das bei<br />

der Anlage installierte Ozean-Überwachungssystem<br />

vorzulegen. Er war<br />

am nationalen Umweltüberwa chungs -<br />

programm der marine beteiligt und<br />

fungierte als Generaldirektor des is -<br />

ra elischen Ozeanographischen und<br />

Limnologischen Forschungsinstituts<br />

in Haifa.<br />

Bei all den Steinen, die sich bei der<br />

Planung und Verwirklichung einer<br />

Entsalzungsanlage in den Weg legen,<br />

braucht es schon einen starken Rück -<br />

halt durch die Regierung, um so ein<br />

Projekt letztendlich erfolgreich ab -<br />

schließen zu können.<br />

Dem ehemaligen Wasserkommissar<br />

Shimon Tal zufolge mussten in den<br />

letzten Jahren mindestens zwei Un -<br />

ternehmen ihre Pläne zu Grabe tragen,<br />

eine in Haifa und eine in Galiläa.<br />

Einerseits hatte sich das Projekt als we -<br />

sentlich teurer, als ursprünglich kal ku -<br />

liert herausgestellt, andererseits er hielt<br />

das nationale Wasserunter neh men<br />

Me korot keine Regierungs ga ran tie,<br />

dass sie das Wasser, das in Ashdod produziert<br />

würde, auch tatsächlich kau fen<br />

würde. Ohne diese Garantie konnte<br />

nicht genug Geld aufgestellt werden,<br />

um das Projekt fertig zu stellen.<br />

Also wurden Anfang dieses Jahres<br />

statt der möglichen 400 oder 300 mio.<br />

jährlichen Kubikmeter nur 135 mio.<br />

Kubikmeter produziert.<br />

Der weitere Plan der Wasserbehörde<br />

sieht nun allerdings vor, bis 2013 auf<br />

592 mio. und in weiterer Konsequenz<br />

bis 2020 auf 750 mio. Kubikmeter pro<br />

Jahr zu kommen. <strong>Die</strong>s soll mittels der<br />

bereits existierenden Entsalzungsan -<br />

la gen in Ashkelon (105 mio. m3 /Jahr<br />

seit 2005) und Palmahim (30 mio. m3 /<br />

Programm zur Rettung des<br />

Grundwassers in der Küstenregion<br />

Aus Sorge, dass eines der wichtigsten<br />

Grund wasservorkommen des Landes durch<br />

Salzwasser nachhaltig geschädigt werden<br />

könnte, startet Israel ein groß an ge legtes<br />

Projekt zur Rettung des Trink was sers.<br />

<strong>Die</strong> Nationale Wasserbehörde hat der is ra -<br />

elischen Firma Mekorot die Erlaubnis er teilt,<br />

mit dem 500-Millionen-Schekel-Pro jekt<br />

zum Aufhalten der Versalzung des Grund -<br />

wassers in der Küstenregion zu beginnen.<br />

Als Teil des Plans werden zwischen Ash -<br />

dot im Norden und Sderot im Süden 35<br />

Bohrungen durchgeführt. <strong>Die</strong>se Bohrun -<br />

gen werden es Mekorot ermöglichen, bis<br />

zu 40 Millionen Kubikmeter Wasser ab zu -<br />

pumpen, das Salze und andere Mine ra lien<br />

enthält. Das Wasser wird dann in Spe zial -<br />

an lagen entsalzt und als Trink wasser ge -<br />

nutzt. <strong>Die</strong> Salzrückstände werden ins<br />

Meer abgeleitet.<br />

<strong>Die</strong> Grundwasserschicht an der Küste, die<br />

sich von Caesarea bis zum Gazastrei fen er -<br />

streckt, ist eine von Israels wichtigsten<br />

Grundwasserquellen. Sie wird jedoch durch<br />

chemische und mikrobische Verschmut -<br />

zung, Versalzung, Nitrate, Schwermetalle<br />

und weitere Schadstoffe gefährdet.<br />

<strong>Die</strong> übermäßige Abpumpung von Wasser<br />

hat den Wasserstand in den vergangenen<br />

Jahren um sechs bis zehn Meter abgesenkt<br />

und die Flussrichtung des Wassers<br />

geändert. Dadurch wurde die empfindliche<br />

Balance zwischen dem Ein- und Ab fluss<br />

von Salzen und Schadstoffen gestört.<br />

Neben der Entsalzung des Wassers sind<br />

daher auch die Stabilisierung des Wasser -<br />

stan des und die Verhinderung von Ver -<br />

schmutzung Ziele des Projektes. Haaretz<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 37<br />

©Moshe Shai


Jahr seit 2007), die beide zugestimmt<br />

haben, das Jahresergebnis um jeweils<br />

15 mio. m3 zu erhöhen, und weiterer<br />

Anlagen funktionieren, die sich zur<br />

Zeit in verschiedenen Stadien von Pla -<br />

nung, Bau und inbetriebnahme befinden:<br />

Hadera: 100 mio. m3 /Jahr sollen bis<br />

Ende dieses Jahres produziert und da -<br />

nach auf 127 mio. m3 erhöht werden.<br />

Ashdod: bis 2001 soll die von mekorot<br />

gebaute Anlage ihr Ziel von 100 mio.<br />

m3 /Jahr erreichen.<br />

Sorek: <strong>Die</strong> auf 150 mio. m3 /Jahr ausgelegte<br />

Anlage befindet sich in der<br />

Planungsphase und soll bis 2012 verwirklicht<br />

werden. Sie wird die größte<br />

Reversosmose-Entsalzungsanlage der<br />

Welt darstellen.<br />

Shomrat: <strong>Die</strong> 50 mio. m3 /Jahr umfassende<br />

Anlage in Galiläa wurde wieder<br />

aus der Versenkung geholt und befindet<br />

sich ebenfalls noch in der Pla nungs -<br />

phase. Sie soll bis 2013 fertig gestellt<br />

sein.<br />

Außerdem stimmte der nationale<br />

Pla nungs- und Errichtungsrat einer<br />

Um widmung von Land im neuen in -<br />

dustriegebiet von Hadera für den Bau<br />

einer Entsalzungsanlage für die Pa läs -<br />

tinenser zu.<br />

Woher die restlichen benötigten 150<br />

mio. Kubikmeter im Jahr kommen<br />

sollen ist noch offen, doch wenn der<br />

Plan gelingt, wird israel nicht nur län -<br />

gere Trockenphasen gut überstehen<br />

kön nen, sondern auch den Spiegel des<br />

See Genezareth und des Grund was sers<br />

bis 2018 wieder ausgleichen können.<br />

Wertvolles Abwasser<br />

Ein entscheidender Teil zur Lösung<br />

von israels Wasserproblem hängt mit<br />

einer eher unangenehmen, aber dafür<br />

umso nützlicheren Ressource zusammen<br />

– dem Abwasser. So wurden be -<br />

reits in den letzten Jahren wichtige<br />

Schritte weg von der landwirtschaftlichen<br />

nutzung von Trinkwasser und<br />

hin zur Bewässerung mit gereinigtem<br />

Abwasser gesetzt. Auch öffentliche<br />

Parks und Gärten sollen bald nicht<br />

mehr mit Trinkwasser gepflegt werden.<br />

Zur Zeit werden 75 % der israelischen<br />

Abwässer wieder aufbereitet, bis 2020<br />

sollen es 90 % sein. Dabei ist israel bei<br />

weitem global führend. Auf Platz 2<br />

liegt hier erst Spanien mit einer Auf -<br />

bereitungsquote von lediglich 12 %.<br />

WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />

Der Vorteil der Abwasserauf berei tung<br />

liegt allerdings nicht nur darin, dass so<br />

mehr Trinkwasser für die Haushalte<br />

zur Verfügung gestellt werden kann.<br />

Gleichzeitig wird auch die Konta mi -<br />

na tion von Flüssen, Seen und meeren<br />

durch abgeleitetes industrie-Schmutz -<br />

wasser verhindert. So ist zum Bei spiel<br />

jeder größere Fluss im Westjordan -<br />

land hochgradig verschmutzt, weil in<br />

den dort befindlichen palästinensischen<br />

Dörfern und israelischen Sied -<br />

lungen die nötigen Technologien zur<br />

Reinigung des Abwassers fehlen.<br />

Meir Ben-Meir, der von den späten<br />

1970ern bis Ende der 1990er Wasser -<br />

kommissar war, vertritt sogar die ra -<br />

di kale meinung, das aufbereitete Was -<br />

ser als Trinkwasser zu verwenden.<br />

<strong>Die</strong> ser Vorschlag wird allerdings bis<br />

dato noch abgelehnt. nur die landwirtschaftliche<br />

nutzung soll forciert<br />

werden. Das infrastrukturministe ri um<br />

arbeitete Pläne zur Unterstützung der<br />

für das Abwasser zuständigen lokalen<br />

Behörden aus, um die Abwasser -<br />

auf bereitungsanlagen innerhalb der<br />

nächsten vier Jahre auszubauen. Das<br />

Projekt würde etwa 180 mio. Euro ver -<br />

schlingen und die Finanzierung ge -<br />

stal tet sich schwierig – wie auch schon<br />

in den vergangenen Jahren.<br />

in ganz israel gibt es 135 Ab was ser auf -<br />

bereitungsanlagen, durch die insge-<br />

samt 355 mio. m3 (also 75%) Ab was ser<br />

jährlich fließen. Allein die Anlage in<br />

Shafdan, die für die weitere Umge -<br />

bung von Tel Aviv und Dan zuständig<br />

ist, reinigt 150 mio. m3 . Allerdings be -<br />

steht immer noch ein Pro blem darin,<br />

für das in den Klär anlagen gereinigte<br />

Wasser Abnehmer zu finden und es<br />

dann zu diesen zu transportieren.<br />

Speicheranlagen werden benötigt,<br />

um das gereinigte Wasser in den Pha -<br />

sen, in denen die Landwirtschaft es<br />

nicht benötigt, aufbewahren zu können,<br />

anstatt es, wie jetzt, einfach ins<br />

meer abzuleiten.<br />

Der Jüdisches nationalfonds ist deshalb<br />

in der Vergangenheit immer wieder<br />

eingesprungen und hat mehr als<br />

200 Reservoirs bauen und Rohrsyste -<br />

me zum Wassertransport in Kibbu zim<br />

und moshavim errichten lassen. Bis<br />

2020 wird sich, Schätzungen der Was -<br />

ser behörde zufolge, die Abwas ser -<br />

produktion israels von heute 475 mio.<br />

m3 /Jahr auf 600 mio. erhöhen.<br />

in den vergangenen zehn Jahren ge -<br />

lang es den israelischen Behörden, den<br />

Trinkwasserverbrauch der Landwirt -<br />

schaft auf weniger als die Hälfte zu<br />

reduzieren und teilweise mit aufbereitetem<br />

Abwasser zu ersetzen. <strong>Die</strong> von<br />

den Bauern eingesetzten Bewäs se -<br />

rungstechnologien sind heute we sent -<br />

lich effizienter geworden.<br />

Wenn es dann regnet ...<br />

38 August 2009 - Aw/Elul 5769


Heute gibt es in Österreich bereits ei ne<br />

Vielzahl an Ausbildungsinstitu tionen,<br />

in denen man in das Judentum hineinschnuppern<br />

oder sich intensiv damit<br />

bes chäftigen kann. <strong>Die</strong> Band brei te<br />

reicht vom Hebräisch-Sprach kurs am<br />

Jüdi schen Institut für Erwachse nen bil -<br />

dung bis zum Doktorat in Judaistik. In<br />

dieser Studienrichtung der Uni <strong>Wien</strong><br />

sind übrigens Nichtjuden genauso will -<br />

kommen wie Juden. Nur an jüdische Ju -<br />

gendliche und Erwachsene wen det sich<br />

dagegen das Jüdische Berufli che Bil -<br />

dungs zen trum (JBBZ). Hier kann man<br />

einen Schulab schluss nachholen oder<br />

einen Lehrab schluss erwerben. Hier,<br />

rechtzeitig vor dem Start ins Schul- und<br />

Studienjahr 2009/10, eine Übersicht.<br />

VON ALEXIA WEISS<br />

Am Jüdischen institut für er wachse -<br />

nen bildung, beheimatet am Prater -<br />

stern in <strong>Wien</strong>, wird diesen Herbst<br />

gefeiert: 20 Jahre ist es her, als man<br />

mit den ersten Kursen der steten<br />

nach fra ge vor allem von nichtjüdischen<br />

Wie nern nach Veranstaltun -<br />

gen zu jüdischer Kul tur, Geschichte<br />

und Re li gion begegnete. Das Ziel<br />

des im Sep tem ber 1989 auf initia tive<br />

des Holo caust-Über le benden Kurt<br />

Rosen kranz eröffneten in sti tuts war<br />

es, ein offener Ort der Be gegnung<br />

zwischen men schen und Religionen<br />

zu sein, dem Abbau von Vorurteilen<br />

zu dienen und die Verständigung<br />

zwischen Juden und nichtjuden zu<br />

fördern.<br />

Entstanden ist schließlich ein Bil -<br />

dungs haus, das vor allem nichtju -<br />

den mit der jüdischen Kultur, der<br />

Religion vertraut macht, ein Ort, an<br />

dem über die Shoa und Antisemitis -<br />

mus gesprochen, aber auch ein in -<br />

sti tut, an dem Hebräisch und Jid -<br />

disch gelernt werden kann. Brigitte<br />

Ungar-Klein, sie ist die Leiterin des<br />

instituts, unterstreicht aber auch ein<br />

Angebot des instituts, das sich vorrangig<br />

an jüdische Teil nehmer richtet:<br />

ein Lese-Lern-Kurs, der jenen<br />

das hebräische Alphabet vermittelt,<br />

die ivrit zwar sprechen, aber nicht<br />

lesen können.<br />

JÜDISCHE WELT • INLAND<br />

Lernen über das Judentum<br />

Anknüpfungspunkt ist das institut<br />

aber auch für jene, die ein „back to<br />

the roots“-Bedürfnis verspüren.<br />

men schen mit jüdischen Wurzeln, in<br />

deren Elternhaus das Judentum<br />

nicht gelebt wurde, können hier<br />

über Vor trags rei hen, aber auch eine<br />

Synagogen füh rung, einen Schab bat -<br />

abend, einen gemeinsamen Seder<br />

dem Judentum wieder näherkommen.<br />

All diese An ge bote werden na -<br />

türlich auch von nicht juden intensiv<br />

genutzt. Und schließlich hat sich das<br />

institut dem christlich-jü dischen<br />

Dia log verschrieben. inte res sierte<br />

sei en immer herzlich willkommen,<br />

betont Ungar-Klein, und zwar nicht<br />

nur bei den Semesterkursen und<br />

Veranstaltungsreihen des instituts,<br />

das als „spezialisierte Einrichtung“<br />

in die <strong>Wien</strong>er Volkshochschulen<br />

GmbH eingegliedert ist, sondern<br />

auch bei den jährlich abgehaltenen<br />

„Jid dis chen Kul turtagen“. <strong>Die</strong>se finden<br />

heuer von 12. bis 17. Oktober<br />

statt und versprechen amüsante<br />

Abende mit Program men wie „Zi<br />

singen un zi lachen“ oder „100 Jahre<br />

Jiddisch in Tel Aviv“.<br />

Akademischer gestaltet sich naturgemäß<br />

das Studienangebot am in -<br />

stitut für Judaistik an der Univer si -<br />

tät <strong>Wien</strong>. Hier kann man sowohl ein<br />

Bachelor-, als auch ein master- und<br />

ein Dokto rats studium Judaistik ab -<br />

solvieren. Klaus Davidowicz, Professor<br />

für Jüdi sche Philosophie- und<br />

Geistes ge schichte der neuzeit sowie<br />

Kabbala-Experte an der Uni <strong>Wien</strong>,<br />

be tont die Breite dieses Studiums.<br />

„Von der Anti ke bis zur unmittelbaren<br />

Gegenwart, Ge schichte, Religion, Lite ra -<br />

tur“ – alles wer de abgedeckt. Dazu<br />

komme die Vermittlung des He brä -<br />

ischen, das die Absolventen sowohl<br />

zum Verstehen des Tanachs und der<br />

mischna, als auch zum Lesen von<br />

Haaretz befähigen soll.<br />

Wer, etwa als Absolvent der Zwi Pe -<br />

rez Chajes-Schule, bereits ivrit be -<br />

herrscht, kann sich sowohl den<br />

Sprachblock als auch beispielsweise<br />

die Einführungs vor lesung ersparen,<br />

indem er oder sie in einer Prüfung<br />

die Kenntnisse dieses Stoffs nachweist.<br />

Vor allem im Be reich der aufbauenden<br />

Hebräisch kur se komme<br />

es immer wieder vor, dass jü dische<br />

Studierende sich hier statt für die<br />

Anwesenheit für den fakultativen<br />

Test entscheiden.<br />

Wieviel Prozent der Studierenden<br />

Juden, wieviel nichtjuden sind, kann<br />

Davidowicz allerdings nicht sa gen.<br />

Das wird bei der inskription nicht er -<br />

ho ben und spielt im Stu dium auch<br />

keine Rolle. Jüdische Studierende<br />

wollen meist mehr zur eigenen iden -<br />

ti tät erfahren, nichtjüdischen Studen<br />

ten gehe es oft einfach darum,<br />

mehr über das Judentum zu erfahren.<br />

<strong>Die</strong> Gene ra tion, die sich für ein Ju -<br />

daistik-Stu dium entschieden hat,<br />

weil die Eltern nazis waren, die ge be<br />

es heute nicht mehr. <strong>Die</strong> Großeltern<br />

der heutigen Stu dienanfänger wa ren<br />

zur nS-Zeit ent weder selbst noch<br />

Kin der oder so gar noch gar nicht ge -<br />

boren.<br />

<strong>Die</strong>s ist auch der Fall bei der 22-jährigen<br />

Studentin Nathalie Beer. Sie ist e -<br />

ben dabei, ihr Bakkalaureatsstudium<br />

Ju da istik abzuschließen. Sie arbeitet<br />

be reits in der institutsbibliothek<br />

und fängt nun ihr masterstudium<br />

an. Eigentlich wollte sie Geschichte<br />

studieren, er zählt sie, im Studienan -<br />

ge bot der Uni <strong>Wien</strong> habe sie dann<br />

die Ju daistik entdeckt. Ein Besuch<br />

von Au schwitz kurz zu vor habe das<br />

Seine da zu beigetragen, dass sie<br />

sich schließ lich dazu entschlossen<br />

habe, sich näher mit dem Judentum<br />

auseinandersetzen zu wollen.<br />

Wenn man sich für ein Studium an<br />

der <strong>Wien</strong>er Judaistik entscheidet,<br />

dann bedeutet das auch: ein familiäres<br />

Um feld. im Sommersemester<br />

2009 waren 91 Studierende im Bak -<br />

kalau re ats stu dium inskribiert, zehn<br />

im mas ter-Stu dium, so Davidowicz.<br />

Jobau ssichten gebe es dennoch nur<br />

für jene, die mehr machen als im<br />

Stu dienplan vorgesehen. <strong>Die</strong> mehr -<br />

zahl der Stu die renden stecke leider<br />

noch im Schul denken und absolviere<br />

nur das, was an Pflichtveran staltun<br />

gen vorgegeben sei, bedauert<br />

Da vidowicz. Wenn man allerdings<br />

im Studium aufgehe, wei ter füh rende<br />

Literatur lese und Veran stal -<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 39<br />

JÜDISCHE WELT


tungen besuche, würden sich durch -<br />

aus mögliche Jobs ergeben – von der<br />

Assistentenstelle bis zur Ar beit in<br />

medien oder in einem Jüdi schen mu -<br />

seum.<br />

Wer sich für „Jüdische Kulturge -<br />

schich te“ interessiert, ist an der uni -<br />

ver sität salzburg richtig. Ab dem<br />

Studienjahr 2010/11 startet am dortigen<br />

„Zen trum für Jüdische Kulturge -<br />

schichte“ ein entsprechendes master -<br />

stu dium. Schwerpunkte des Studien -<br />

gangs sei en die kultusgeschichtliche<br />

Quellen forschung, Sprachen und iden -<br />

titäten sowie Genozid- und Holo -<br />

caust for schung, betont der Leiter des<br />

Zen trums, Gerhard Langer.<br />

Ansonsten ist das Zentrum, an dem<br />

seit 2004 die an der Uni Salzburg vorhandene<br />

Forschung zu jüdischer Kul -<br />

tur gebündelt wird, vor allem wissenschaftlich<br />

tätig. Grundlagenfor schung<br />

zu den Ausprägungen jüdischer Kul -<br />

tur von den Anfängen bis zur Ge gen -<br />

wart wird dabei ebenso betrieben wie<br />

Forschung zur Regional- und Zeitge -<br />

schichte. Wichtig ist Langer zudem<br />

„die Bewusstseinsschärfung gegenüber<br />

den Vorgängen während der Zeit des Na -<br />

tio nalsozialismus. Einen Schwer punkt<br />

bil det daher auch die so genannte Geno -<br />

zid forschung und nicht zuletzt die mit<br />

Oral History und Medien arbeitende<br />

pädagogische Aufarbeitung der Shoa.“<br />

Rein wissenschaftlich ist die Aus ein -<br />

an dersetzung mit dem Judentum am<br />

JÜDISCHE WELT • INLAND<br />

institut für jüdische geschichte Ös -<br />

terreichs in st. Pölten. Wichtig sei<br />

dem institut „das erstmalige Zu gäng -<br />

lich machen von Quellen, die bisher in<br />

Ar chiven versteckt waren“, sagt Direk -<br />

torin Martha Keil. Als Aufgaben der<br />

Ein richtung nennt sie weiters die in -<br />

te gra tion der jüdischen Geschichte in<br />

die allgemeine österreichische Ge -<br />

schich te, die Erforschung und Publi -<br />

zie rung von vergessenen und verdrängten<br />

inhal ten, Ereignissen und<br />

Personen, das Sichtbar- und Bewusst -<br />

machen des engen Zusammenlebens<br />

der jüdischen und christlichen Bevöl -<br />

kerung sowie die mechanismen von<br />

Ausgrenzung, Vorurteilsbildung und<br />

Verfolgung. Einziges angebotenes<br />

Element der Lehre ist eine Sommeraka<br />

demie, die jeweils in der ersten<br />

Juli-Woche öf fent lich zugänglich ab -<br />

gehalten wird. <strong>Die</strong>sjähriges Thema<br />

war „Salondamen und <strong>Die</strong>nstboten.<br />

Jüdisches Bürgertum um 1800 aus weiblicher<br />

Sicht“.<br />

Auch am centrum für Jüdische stu di -<br />

en (cJs) wird vorrangig wissenschaftlich<br />

gearbeitet. Seit der Grün dung im<br />

Jahr 2000 bildet die Erfor schung jüdischer<br />

Kulturen und Ge schichte vom<br />

späten 18. Jahrhundert bis in die Ge -<br />

gen wart den Schwerpunkt, betont<br />

CJS-Leiter Gerald Lamprecht.<br />

Favorisiert würden dabei kulturwissenschaftliche<br />

Zugänge, bei denen His -<br />

toriker, Kunsthistoriker und Lite ra tur -<br />

ANGEBOT UND ADRESSEN<br />

Institut für Judaistik der Universität <strong>Wien</strong><br />

Bachelorstudium „Judaistik“<br />

Masterstudium „Judaistik“<br />

Doktoratsstudium „Judaistik“<br />

www.univie.ac.at/judaistik<br />

Jüd. Berufliches Bildungszentrum (JBBZ)<br />

„Berufsorientierungslehrgang“ für jüdische<br />

Jugendliche, die das neunte Schuljahr<br />

absolvieren müssen.<br />

Lehrausbildungen für jüdische Ju gend li che<br />

und Erwachsene (Büro kaufmann/-frau,<br />

Buch händ ler/in, Bank kaufmann/-frau,<br />

Infor mations technologe/in, Orthopädietechniker/in)<br />

Aufbaulehrgänge für jüdische Ju gendliche<br />

und Erwachsene („FIT für Netzwerk tech -<br />

nik + Matura“, „FIT für Veranstaltungs -<br />

ma na ge ment + Matura“, „FIT in He brä isch<br />

für den Beruf“, „FIT für das Office“, „FIT<br />

für Well ness und Tourismus“, „FIT für<br />

PC-Support“, „FIT für Netzwerk tech nik“)<br />

Zusatzqualifikationen für jüdische Jugend -<br />

l i che und Erwachsene („Maturavorberei -<br />

tungs lehrgang“, „Lehrgang Soziale Kom -<br />

pe tenz“, „FIT in Fachsprachen Deutsch,<br />

Eng lisch, Rus sisch, Hebräisch“, „Buchha -<br />

ltung für Klein un ter nehmer“, „EBC*L“<br />

(Europäi scher Wirt schafts füh rerschein),<br />

„ECDL“ (Europäi scher Computerfü rer -<br />

schein), „FIT für die Selbst ständigkeit“,<br />

„CCNA“-Abend lehrgang (Cisco Certified<br />

Network Associate certification)<br />

www.jbbz.at<br />

Jüd. Institut für Erwachsenenbildung<br />

Hebräisch- und Jiddischkurse<br />

Tanzkurse (z.B. israelische Folklore)<br />

Kurse und Vortragsreihen zu jüdischer<br />

Reli gi on, Tradition, Kultur, Geschichte,<br />

jüdischem Alltagsleben<br />

Tempelführungen und Schabbatabende<br />

Jiddische Kulturtage (12. bis 17. 10.2009)<br />

www.jud-institut-wien.at<br />

Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte<br />

(ZJK) an der Universität Salzburg<br />

Ab 2010/11: Masterstudiengang<br />

„Jüdische Kulturgeschichte“<br />

Sommerkurs am Jüdischen Museum<br />

Ho hen ems (zuletzt: 12. bis 17. Juli 2009)<br />

www.uni-salzburg.at/zjk<br />

Institut für jüd. Geschichte Österreichs<br />

Vorträge, Workshops und Sommeraka de mie<br />

(zuletzt: 5. bis 8. Juli 2009)<br />

www.injoest.ac.at<br />

Centrum für Jüdische Studien (CJS)<br />

an der Universität Graz<br />

Joint Degree Masterstudium „Jüdische<br />

Stu dien – Geschichte jüdischer Kulturen“<br />

(ge meinsam mit der Hochschule für<br />

Jüdi sche Studien Heidelberg)<br />

Sprachkurs Hebräisch ab dem Winter se -<br />

mes ter 2009/10<br />

Öffentliche Vorträge<br />

http://www.uni-graz.at/cjs-graz<br />

40 August 2009 - Aw/Elul 5769


wissenschafter eingebunden wür den.<br />

Das CJS bietet allerdings gemeinsam<br />

mit der Hochschule für Jüdische Stu -<br />

dien Heidelberg auch das Joint De gree<br />

masterstudium „Jüdische Stu dien –<br />

Geschichte jüdischer Kulturen“ an. <strong>Die</strong><br />

module dieses Studiengangs: Ge -<br />

schichte und Gesellschaft; Literatur,<br />

Kunst und musik; Philosophie und<br />

Re ligion. Zu diesem Studien pro gramm<br />

zugelassen sind Absolventen „eines<br />

einschlägigen geistes-, sozial-, kulturwissenschaftlichen<br />

oder theologischen Bache -<br />

lor-Studiums“, so Lamprecht. Das ers te<br />

Semester muss verpflichtend in Hei -<br />

del berg absolviert werden, dafür stehen<br />

aber Stipendien zur Verfü gung.<br />

Gänzlich anders gestaltet sich das Bil -<br />

dungsangebot des Jüdischen Beruf li -<br />

chen Bildungszentrums (JBBz). Hier<br />

stehen nicht jüdische inhalte im Vor -<br />

dergrund – hier geht es vorrangig um<br />

JÜDISCHE WELT • INLAND<br />

berufliche Bildung für jüdische Ju gend -<br />

liche und Erwachsene. Jugend li che,<br />

de nen das neunte Schuljahr fehlt,<br />

können dieses hier in Form eines Be -<br />

rufs orientierungslehrgangs absolvieren,<br />

so Edgar Weiland, Bereichsleiter<br />

Sprachen, integration und Soziale<br />

Kom petenz, sowie Maria Gierlinger-<br />

Lan da, Bereichskoordinatorin Berufs -<br />

ori entierung. Jugendlichen und Er -<br />

wach senen, die nur über einen Pflicht -<br />

schulabschluss verfügen, können die<br />

Lehrberufe Bürokaufmann/-frau,<br />

Buch händler/in, Bankkaufmann/frau,<br />

informationstechnologe/in so wie<br />

Orthopädietechniker/in erlernen.<br />

Aber auch Zusatzqualifikationen kann<br />

man am JBBZ erwerben, wie beispielsweise<br />

den Computer- oder Wirt schafts -<br />

führerschein. Und es werden He brä -<br />

isch-Lehrgänge auf verschiedenen ni -<br />

veaustufen angeboten. <strong>Die</strong> Einhal tung<br />

der Kaschrut und der Feiertage ist an<br />

„Nachholbedarf bei Holocaust Education“<br />

Helene Miklas, Vizerektorin der Kirch lichen Pädago gi -<br />

schen Hochschule <strong>Wien</strong>/Krems (KPH), die von den<br />

christlichen Kirchen Österreichs ge meinsam geführt<br />

wird (katholisch, evangelisch, altkatholisch, orthodox,<br />

orientalisch-orthodox), ortet in Österreich „einen großen<br />

Nachholbedarf im Bereich der Holocaust Education“. „Öster -<br />

reich hat ja erst sehr spät mit dem Thema angefangen“,<br />

betont sie gegenüber „<strong>Die</strong> <strong>Gemeinde</strong>“. „Im Gegensatz zu<br />

Deutsch land hat Adornos Rede ‚Erzie hung nach Auschwitz‘<br />

1966 keinen großen Nachhall verursacht.“ Erst nach der<br />

Affäre rund um den früheren Bundespräsidenten Kurt<br />

Waldheim, erst nach der Rede von Ex-Bundeskanzler<br />

Franz Vra nitz ky vor dem Parlament 1991 sei die pädagogische<br />

Auseinandersetzung hierzulande in Gang<br />

gekommen, „obwohl es ja vorher schon großartige Initiati -<br />

ven wie die Arbeit des Dokumentationsarchivs des Österreichischen<br />

Widerstands gab“.<br />

miklas betonte zudem, man müsse das Thema „in einer<br />

größeren Linie“ sehen: „Österreich hat ja schon eine längere<br />

Geschichte von Nationalismus und Antisemitismus, das kam<br />

Mitte des 19. Jahr hunderts auf und wurde letztlich nicht aufgearbeitet.<br />

<strong>Die</strong> rechten Parteien, vor allem die FPÖ, setzen<br />

hier nahtlos auf: Sie schüren Ängste, greifen negative, unaufgearbeitete<br />

Gefühle in der breiten Volksmasse auf, polarisieren,<br />

schematisieren und schaffen es mit ihren Parolen, eine<br />

Scheinsicherheit und –identität bei den Menschen aufzubauen.<br />

Gerade in Österreich ist aber ein aufklärerisches, dekonstruierendes,<br />

dekonstruktivistisches Lernen nötig.“<br />

Wie aber sieht ein solches Lernen aus? Damit befassen<br />

sich Lehrende und Wissenschafter die kommenden<br />

dieser Einrichtung selbstverständlich.<br />

„Und spezifisch jüdische Themen und das<br />

Land Israel sind stets Thema innerhalb<br />

des Fachunterrichts“, betont Gier lin ger-<br />

Landa. im Rahmen des ein jährigen<br />

Be rufsorientie rungslehr gangs gibt es<br />

Religionsunterricht. in den Lehraus -<br />

bil dungen erhalten die Ju gendlichen<br />

Unterricht in sozialer Kompetenz mit<br />

dem Schwerpunkt „Gelebtes Juden tum<br />

im österreichischen Alltag“.<br />

vier Jahre an der KPH. ins Leben ge ru fen wurde nämlich<br />

der For schungs schwerpunkt „Holocaust Educa ti on“.<br />

Vor rangige Zielgruppe: die 13- bis 14-Jährigen, so mik -<br />

las. Erforscht werden sollen folgende Fragen: „Wie kann<br />

ein nachhaltiges Lernen erreicht werden? Wie vermeiden wir<br />

bei Besuchen von Gedenk stätten, dass Schüler und Schüle -<br />

rin nen sich schuldig fühlen, beschämt werden, ge lähmt sind<br />

und sich letztlich in ihrer noch unsicheren Identität mit den<br />

Tätern identifizieren? Wie können wir Holo caust Education<br />

ver binden mit Menschen rechts lernen, Friedenspädagogik? Wie<br />

können wir die neue MigrantInnengeneration sinnvoll mit<br />

Holo caust Education in Be rührung bringen?“ <strong>Die</strong> „Grund fra -<br />

ge der Grundfragen“ aber sei: „Können Schü ler und Schü le -<br />

rinnen überhaupt aus der Geschichte lernen und wenn ja, was?“<br />

<strong>Die</strong> Ergebnisse der Forschung sollen an der KPH sofort<br />

in die Fort- und Weiterbildung, aber auch das Curri cu -<br />

lum der Ausbildung zum Lehrer an Volks-, Haupt-,<br />

Sonder- oder Poly tech nischen Schulen sowie die Leh rer -<br />

ausbildung für Religionspädagogik an Pflicht schu len<br />

fließen, betont die Vizerektorin der 2007 errichteten<br />

Hoch schule. An dieser befindet sich auch ein Kompetenzzentrum<br />

für men schenrechtspädagogik. in dessen<br />

Rah men sei in den vergangenen Jahren der Bereich „Ho -<br />

locaust Education“ ge wach sen, Lehrende hätten Zeit zeu -<br />

gin nen eingeladen und sich bei verschiedenen initiativen<br />

engagiert. „Zunehmend haben wir aber gemerkt, dass wir<br />

von un ge sicherten Bedingungen und Annah men ausgehen<br />

und dass ein großer Forschungs bedarf vorherrscht“, sagt<br />

miklas.<br />

www.kphvie.at<br />

DER LECHNER EDI<br />

SCHAUT<br />

INS PARADIES<br />

von Jura Soyfer<br />

9., 10., 11., 16., 17., 18., 23., 24., 25.<br />

September 2009 - Beginn: 19.00 Uhr<br />

Treffpunkt: A-1030 <strong>Wien</strong><br />

Erdberger Steg am Donaukanal<br />

Dauer: ca. 80 Minuten<br />

Kartenpreis: Euro 15,-- / Euro 12,--<br />

Kartenreservierungen unter: Tel. 0680/126 53 86<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 41<br />

© Gisela Ortner


im ungarischen Köszeg/Güns am<br />

Fuß des Geschriebensteins fand vom<br />

19. bis 24. Juli die 1. mitteleuropäische<br />

christlich-jüdische Bibelwoche<br />

statt. im mittelpunkt stand das Buch<br />

Levi ti cus aus dem Ersten Testament –<br />

die „mitte der Tora“ –, das jedoch in<br />

der christlichen Welt nur wenig rezipiert<br />

wird.<br />

„<strong>Die</strong> Bibelwoche ist eine erstklassige Ge -<br />

le genheit, dass Christinnen und Christen<br />

einen Einblick erhalten, wie die Tora im<br />

jüdischen Leben heute lebendig ist“, meint<br />

Willy Weisz, jüdischer Vizepräsident<br />

des Koordinierungsausschusses für<br />

christlich-jüdische Zusammenarbeit.<br />

Wenn man allein den Text der Bibel le -<br />

se, sei man vom lebendigen Juden tum<br />

noch weit entfernt: „<strong>Die</strong> kontinuierliche<br />

mündliche Auslegungstradition und<br />

das Bemühen, auch anscheinend überholte<br />

Texte auf eine Sinndimension für heute<br />

zu befragen, ist ein Kennzeichen jüdischer<br />

Torainterpretation“, so Weisz.<br />

Christlich und jüdische Referentinnen<br />

und Referenten<br />

in Vorträgen, Diskussion, Lehrge sprä -<br />

chen und Arbeitsgruppen nähern<br />

sich dreißig Teilnehmerinnen unter<br />

kompetenter Anleitung dieser in den<br />

Kir chen eher unbekannten biblischen<br />

Schrift. Referentinnen und Refe ren ten<br />

waren der jüdisch orthodoxe Reli gi -<br />

ons lehrer Marcus Schroll aus mün chen,<br />

die liberale Rabbinerin Irit Shil lor so -<br />

wie die lutherischen Alttesta ment ler<br />

Juraj Bándy aus Pressburg und Jutta<br />

Hausmann aus Budapest. Trotz tägli -<br />

cher intensiver Arbeitsein hei ten am<br />

Vormittag und nachmittag konnte bei<br />

weitem nicht das gesamte Buch<br />

durch gearbeitet werden. „Wenn man<br />

sich Zeit nimmt, mache Stellen und ihre<br />

Ausle gung im Judentum genau anzusehen,<br />

kann das manche Vorurteile von<br />

christlicher Seite gegenüber der hebräi-<br />

JÜDISCHE WELT • INLAND<br />

Mitteleuropäische christlich-jüdische Bibelwoche<br />

Christinnen und Christen lernen ein Stück Tora<br />

Köszeg/Güns<br />

schen Bibel und dem Judentum abbauen,“<br />

meint Weisz, „etwa ein oberflächliches<br />

Ver ständnis des Rechtssatzes ‚Auge für<br />

Auge, Zahn für Zahn’“.<br />

<strong>Die</strong> Bibelwoche wurde vom Koor di -<br />

nie rungsausschuss für christlich-jüdische<br />

Zusammenarbeit gemeinsam mit<br />

der Evangelischen Akademie <strong>Wien</strong><br />

und den Theologischen Kursen der<br />

Erzdiözese <strong>Wien</strong> organisiert.<br />

SYNAGOGE KOBERSDORF<br />

Kultur im Tempel 2009:<br />

VOM ZURÜCKKOMMEN<br />

OTTO TAUSIG<br />

liest aus dem Roman<br />

<strong>Die</strong> Kinder von <strong>Wien</strong><br />

von Robert Neumann<br />

Musik:<br />

GEORG WINKLER - Klarinette<br />

HUBERT KELLERER - Akkordeon<br />

PETER ARADI - Kontrabass<br />

13. September 2009, 17.30 Uhr<br />

SYNAGOGE KOBERSDORF<br />

Schloßgasse 25, 7332 Kobersdorf (Bgld.)<br />

KULTUR IM TEMPEL außer Haus:<br />

Film: „Epsteins Nacht”<br />

Urs Egger, D/CH/A 2001<br />

mit: Mario Adorf, Bruno Ganz, Otto Tausig u.a.<br />

17. September 2009, 18:00 Uhr<br />

Festsaal der <strong>Gemeinde</strong> Lackenbach, Postgasse 6, 7322 Lackenbach<br />

Information und Kartenbestellung:<br />

0664/994 55 45<br />

Sanierungsbedürftige Synagoge<br />

Betroffen machte die Teilnehme rin -<br />

nen und Teilnehmer der erschreckende<br />

Erhaltungszustand der Synagoge<br />

der Stadt. 1859, vor genau 150 Jahren<br />

eingeweiht, ist sie seit der Vertreibung<br />

der jüdischen Bevölkerung von Güns<br />

1944 dem Verfall preisgegeben. im<br />

inneren des beeindruckenden Baus<br />

befindet sich noch der Toraschrein,<br />

und die Be malung der Kuppel ist er -<br />

halten. Das Dach ist jedoch baufällig<br />

und alle Fenster fehlen. Da jedoch die<br />

Be sitz verhältnisse des Gebäudes un -<br />

klar sind, kann die Stadt keine ini tia -<br />

ti ven zur Sanierung setzen. Mar kus<br />

Him mel bauer, Geschäftsführer des Ko -<br />

or di nie rungsausschusses für christ lichjü<br />

di sche Zusammenarbeit, führt seit<br />

Jah ren immer wieder Gruppen nach<br />

Köszeg/Güns, um sie auf dieses Klein -<br />

od einer untergegangenen Welt aufmerksam<br />

zu machen und Sympa thi en<br />

für seine Rettung zu gewinnen. MH<br />

42 August 2009 - Aw/Elul 5769


Maccabiah 2009<br />

in Israel: Spiele<br />

der Superlative<br />

Über 7.500 Sportler und Delega ti ons -<br />

mitglieder, eine atemberaubende<br />

Eröffnungsfeier mit vielen künstlerischen<br />

Elementen und ein Rah -<br />

menprogramm, dass dieses mal alles<br />

vorher da gewesene in den Schatten<br />

stellte. Das sind einige jener Dinge,<br />

die diese 18. maccabiah, die so -<br />

genannte Maccabiah Chaj (im hebräischen<br />

Alphabet symbolisieren diese<br />

Buchstaben die Zahl 18), zu etwas<br />

Außergewöhnlichem gemacht haben.<br />

Seit vielen Jahren haben nicht mehr so<br />

viele Aktive an einer maccabiah teil<br />

genommen, was trotz Finanzkrise für<br />

den starken maccabi Geist auf der<br />

ganzen Welt spricht. <strong>Die</strong> Eröffnungs -<br />

fei er, die mit vielen besonderen künst -<br />

lerischen Höhepunkten begeisterte,<br />

fand am 13.Juli 2009 im Ramat Gan<br />

Stadion statt. <strong>Die</strong> Spiele selbst fanden<br />

vom 12.-23. Juli 2009, auf alle Städte<br />

israels verteilt, statt. <strong>Die</strong> traditionelle<br />

Entzündung des maccabiah Feuers<br />

wurde dieses Jahr von Jason Lezak vor -<br />

genommen, dem wohl prominentesten<br />

Sportler bei dieser maccabiah. Er<br />

war Teil jener mannschaft, die im<br />

Schwimmen bei den olympischen<br />

Spielen 2008 in Peking Gold für die<br />

USA in der Staffel holte.<br />

Viele spezielle Events für die Aktiven,<br />

aber auch spezielle Events für die is -<br />

raelische Bevölkerung machten diese<br />

Spiele für alle zu etwas Besonderem.<br />

<strong>Die</strong> sogenannten Popular Events sollten<br />

die maccabiah der israelischen<br />

Bevölkerung etwas näher bringen,<br />

weshalb zwei große Veranstaltungen<br />

JÜDISCHE WELT • SPORT<br />

durchgeführt wurden, die die aktive<br />

Teilnahme jedes israelis ermöglichten,<br />

der interesse hatte. Es wurde ein<br />

Beach-Sport Event und ein Rad Event<br />

durchgeführt.<br />

Für die Aktiven wurden ebenfalls kei -<br />

ne Kosten und mühen gescheut, um<br />

das Rahmenprogramm so interessant<br />

wie möglich zu gestalten. Dazu ge -<br />

hör ten diverse Ausflüge, informa ti -<br />

ons veranstaltungen und auch mehrere<br />

große Feiern, die in sehr exklusiven<br />

Veranstaltungslokalen speziell für die<br />

Teilnehmer durchgeführt wurden.<br />

Was nun die sportlichen Leistungen<br />

der Österreichischen Delegation be -<br />

trifft muss man leider gleich einleitend<br />

sa gen, dass keine medaille er -<br />

obert werden konnte.<br />

<strong>Die</strong> Österreichische mannschaft be -<br />

stand aus folgenden Sportlern:<br />

Gerald Spennadel, Raffael Johnen und<br />

Jair Zelmanovics im Tischtennis.<br />

Simon und Benjamin Panzer im<br />

Schwim men.<br />

Leonid Pikman im Degenfechten.<br />

<strong>Die</strong> Tischtennisspieler konnten im<br />

Teambewerb leider nur den 8. Platz<br />

be legen. in den individualbewerben<br />

konnte nur Jair Zelmanovics, mit<br />

dem 2. Platz im Consolation-Bewerb<br />

einen nennenswerten Erfolg erzielen.<br />

<strong>Die</strong> Schwimmer waren ebenfalls sehr<br />

bemüht und haben alles versucht, um<br />

mit zuhalten. Leider war die Konkur -<br />

renz im Schwimmen dieses Jahr sehr<br />

stark, weshalb mit einer medaille bzw.<br />

einer guten Platzierung nicht zu rechnen<br />

war.<br />

Unser Fechter und Fahnenträger bei<br />

der Eröffnung, Leonid Pikman, rechnete<br />

sich als einer der besten Fechter<br />

Österreichs berechtigte Chancen auf<br />

eine medaille aus. Leider hat es aber<br />

auch bei ihm nicht geklappt. Auf -<br />

grund sehr hoher Temperaturen in der<br />

Halle konnte Leonid leider nie sein<br />

Potential richtig ausschöpfen und<br />

verlor bereits in der Vorrunde entschei -<br />

dende Gefechte gegen israelische Fech -<br />

ter, die offensichtlich diese Be din gun -<br />

gen gewohnt waren. Somit musste er<br />

sich mit dem 9. Rang von insgesamt 16<br />

Teilnehmern zufrieden geben<br />

Alles in allem waren aber alle froh bei<br />

diesem besonderen Ereignis dabei zu<br />

sein, und Österreich so gut wie möglich<br />

zu vertreten.<br />

nun gilt alle Konzentration der Vor -<br />

be reitung auf das wohl wichtigste<br />

sportliche Ereignis für die jüdische<br />

Ge meinde in <strong>Wien</strong>, das es je gab: <strong>Die</strong><br />

Europäischen maccabi Spiele 2011 in<br />

<strong>Wien</strong>! •<br />

Facebook fürchtet um<br />

den Verlust eines Teils<br />

ihrer eher zensurabgeneigten<br />

Community.<br />

<strong>Die</strong>se übt ihrerseits<br />

Druck auf die Plattf orm<br />

aus, bildet Gruppen, be -<br />

treibt Dis kus sionsfo ren<br />

und schreibt Petitionen.<br />

Über 70.000 Nutzer ha -<br />

ben sich allein der<br />

Grup pe „United against<br />

Holocaust Denial on Fa -<br />

ce book” angeschlossen.<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 43


Belgrad –<br />

Eine Stadt mit<br />

jüdischen Spuren<br />

Text & Fotos IDA LABUDOVIC<br />

1935 in Belgrad. Ein vierzehnjähriger<br />

Bub namens Tuvi hielt seine jüngere<br />

Schwester Simha an der Hand, während<br />

beide nach dem Schabbat gottes -<br />

dienst durch eine abschüssige Strasse<br />

von der Synagoge Bet israel zur Jalija<br />

gingen. Sie bewunderte ihren großen<br />

Bruder und sie spielten jeden Schab -<br />

bat das gleiche Spiel: Während die Äl -<br />

te ren einander zum Schabbat grüßten,<br />

hat sie sich bei der Eingangsstiege hin -<br />

ter einem Pfeiler versteckt und wartete,<br />

dass Tuvi sie fand. Sie war das<br />

glück lichste mädchen auf der ganzen<br />

Welt, mit Locken, die immer über ihre<br />

braunen Augen fielen. Doch dann<br />

wur de ihr Bruder getötet, die Synago -<br />

ge niedergerissen und sie wusste,<br />

dass diese Jahre des Glücks nie mehr<br />

existieren würden. Überall in den Städ -<br />

ten im Süden und im norden, dort wo<br />

Jiddisch gesprochen wurde, und dort,<br />

wo die menschen sich auf Ladino be -<br />

grüßt haben, lag der Schrecken des<br />

Krieges und der Zerstörung mit tausenden<br />

Toten und nur ein Schweigen<br />

blieb zurück. Wird jemals bekannt<br />

werden, dass Tuvi, Simha, Jakov, Sa -<br />

mu ilo, Rifka, Aron, Rebeka... einmal<br />

gelebt haben?<br />

Jüdisches Viertel<br />

Juden leben seit dem 10. Jahrhundert<br />

in Serbien (hauptsächlich in Belgrad)<br />

und archäologische Beweise zeugen<br />

Synagoge Sukat Salom<br />

JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

Friedhof in Belgrad<br />

von der Existenz orientalischer Juden<br />

(Romaniot) im ersten Jahrhundert.<br />

Zwischen dem 12. und dem 15. Jahr -<br />

hun dert war Belgrad nach Thessa lo ni ki<br />

eines der bedeutendsten geistigen und<br />

wirtschaftlichen Zentren des jü di schen<br />

Balkan. Ein großer Teil des da maligen<br />

Belgrader Bürgertums wa ren Juden<br />

mit ihren eigenen Bräuchen in den<br />

Tem peln und in der <strong>Gemeinde</strong>, ih ren<br />

fa miliären Beziehungen, ihrer Klei -<br />

dung und Sprache, sowie ihren be -<br />

rühmten Geschäften. <strong>Die</strong> sefardischen<br />

Lieder, die des Abends in der Ja li ja zu<br />

hö ren waren, gaben jenem Stadtvier -<br />

tel, in dem die Juden gelebt haben, ein<br />

ganz besonderes Flair.<br />

Charakteristisch für diese Gegend wa -<br />

ren schmale Straßen, niedrige Häuser<br />

und Gärten mit vielen Blumen. Wäh -<br />

rend der Feiertage und beson ders zu<br />

Purim, waren jüdische Häuser für alle<br />

Belgrader mitbürger offen. man konn te<br />

überall musik auf Ladino hören, die<br />

menschen tanzten auf der Straße, zu -<br />

hause sowie im Garten und in den<br />

näch ten traf man menschen voller<br />

Lebensfreude.<br />

Juden waren hauptsächlich im Han -<br />

del und Handwerk tätig, aber auch in<br />

Geld- und Bankgeschäften. Sie haben<br />

das urbane Leben und die Atmos phä re<br />

der Stadt beeinflusst, sind Teil des ser -<br />

bischen Umfelds gewesen und haben<br />

bedeutende Spuren in Belgrad hinterlassen,<br />

die man heutzutage in der Ar -<br />

chitektur, den Häusern mit ihren Sym -<br />

bolen, Ornamenten und Strassen des<br />

„Jüdischen Dorćol“ (Teil der Altstadt)<br />

erkennen kann.<br />

<strong>Die</strong> erste jüdische <strong>Gemeinde</strong> wurde<br />

1866 gegründet, ihr Präsident war Ja -<br />

hiel Ruso. Das neue Haus der jüdischen<br />

sefardischen <strong>Gemeinde</strong> wurde 1928<br />

er baut. Bis heute befinden sich die<br />

„Jüdische <strong>Gemeinde</strong> Bel grad“, der<br />

Verband „Jüdische <strong>Gemeinde</strong> Ser bi -<br />

ens“, und sogar das „Jüdische Histo -<br />

ri sche museum“ in diesem Haus. <strong>Die</strong><br />

einzige verbliebene Synagoge in Bel -<br />

grad (Sukat Šalom) hat 2006 ihren 80.<br />

Ge burtstag gefeiert. Oberrabbiner Isak<br />

Asiel, nachfolger des unvergesslichen<br />

Oberrabbiner Cadik Danon, hat viel zur<br />

Revitalisierung der Synagoge und des<br />

religiösen Lebens beigetragen. <strong>Die</strong> al -<br />

te Synagoge „Kal Viezu“ wurde nach<br />

dem 2. Weltkrieg abgerissen, weil sie<br />

sehr baufällig war und das Stadt vier tel<br />

umgebaut wurde, aber der Grund stein<br />

steht bis heute unter Denk mal schutz.<br />

Es gibt zwei jüdische Friedhofe in Bel -<br />

grad: der alte aschkenasische, der nun<br />

Teil des sogenannten „neu-Fried hofs“<br />

ist, und der jüdische Fried hof (seit<br />

1888, damaliger sefardischer Friedhof),<br />

der heute noch in Ver wen dung ist. Ein<br />

Aberglaube ist mit dem aschkenasischen<br />

Friedhof verbunden: Wenn<br />

jemand einen Wunsch auf ei nen Zettel<br />

schreibt, dieses Papier an ein klei nes<br />

Vorhängeschloss steckt und über die<br />

Friedhofsmauer wirft, dann wird dieser<br />

Wunsch in Erfül lung ge hen.<br />

Viele jüdische Grabsteine wurden in<br />

einem für die jüdische Tradition un -<br />

üblichen Baustil errichtet - vielleicht<br />

versuchten die serbischen Juden, sich<br />

in diesem Bereich ein wenig anzupassen<br />

oder die mit Ornamenten verzierten<br />

Grabsteine gefielen ihnen so sehr,<br />

jedenfalls ließen sie sich bei den Grab -<br />

steinen von ihrem Umfeld inspirieren.<br />

Belgrad wurde von den nazis im April<br />

1941 bombardiert, im Dezember wur -<br />

de das „Judenlager Semlin“ (Sajmište)<br />

errichtet, wo 7.000 Juden sowie 600 Ro -<br />

ma gefangen waren, der Großteil da -<br />

von Frauen und Kinder. im Früh ling<br />

1942, haben die nazis aufgrund der<br />

geplanten „Endlösung über die Ju den -<br />

frage“ die Juden des Lagers Sem lin in<br />

Gaslastwagen liquidiert.<br />

„Topovske šupe“ war das erste Kon zen -<br />

trationslager für Juden und Roma in<br />

Serbien, wo der Großteil der männ li -<br />

chen Population umgebracht wur de,<br />

5.000 davon wurden erschossen.<br />

Ein mahnmal, das den Belgrader Ju -<br />

den gewidmet ist, findet sich neben<br />

der Donau, am Dorćol und heißt „Me -<br />

nora in Flammen“ (vom Bildhauer<br />

Nandor Glid).<br />

44 August 2009 - Aw/Elul 5769


Jüdisches<br />

<strong>Gemeinde</strong>zentrum<br />

Synagoge Sukat Salom<br />

Der Verband der jüdischen <strong>Gemeinde</strong>n<br />

Der erste Artikel über die jüdischen Ge -<br />

meinden im damaligen Jugosla wien<br />

ist im Januar 1960 in der Zeit schrift<br />

‘<strong>Die</strong> <strong>Gemeinde</strong>’ erschienen und war<br />

der „Tragödie von Šabac“ ge widmet:<br />

„Eine furchtbare Tragödie erstand da wie -<br />

der vor unseren Augen, als die Gebei ne<br />

von mehr als achthundert jü di schen Frau -<br />

en, Män nern und Kindern aus <strong>Wien</strong> und<br />

Österreich auf dem jüdischen Friedhof in<br />

Belgrad zur ewigen Ru he beigesetzt wurden“.<br />

Vier Jahre später wude ein mo -<br />

nu mentales - von der iKG <strong>Wien</strong> er rich -<br />

tetes - Denk mal enthüllt.<br />

1972 hatte der „Verband der jüdischen<br />

<strong>Gemeinde</strong>n in Jugoslawien“ das Pro -<br />

blem mit dem Rabbiner gelöst: „<strong>Die</strong><br />

Gemeinschaft hatte nämlich seit der großen<br />

Alijah in den Jahren 1948 bis 1950 nur<br />

einen Rabbiner, den Chahem Menahem<br />

Romano in Sarajevo, der eben vor einigen<br />

Jahren im hohen Alter verschied, und so<br />

blieb die Gemeinschaft überhaupt ohne<br />

Rabbiner. Nun hat der Verband den Ab sol -<br />

venten des einstigen theologischen Semi -<br />

nars in Sarajevo, das vom Verband erhalten<br />

wurde und bis zum Zweiten Welt krieg<br />

bestand, Cadik Danon akzeptiert, nachdem<br />

autorisierte Rabbiner seine Rabbiner fä hig -<br />

JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

keiten attestierten. Rabbiner Danon wird<br />

allen <strong>Gemeinde</strong>n, zuallererst den größeren,<br />

zur Verfügung stehen“.<br />

Während des Krieges in Jugoslawien<br />

hat der damalige Chefredakteur, Karl<br />

Pfeifer, verschiedene Ge mein den be -<br />

sucht und darüber berichtet.<br />

Krieg in Jugoslawien 1999<br />

in der Zeit der nATO-Luftangriffe auf<br />

die damalige SR Jugoslawien, konnte<br />

der „Verband der Jüdischen Gemein -<br />

den“, mit zahlreicher Hilfe verschiedener<br />

jüdischer institutionen in Un -<br />

garn und der ganzen Welt, wie auch<br />

dem Elternheim in <strong>Wien</strong>, Transporte,<br />

Unterkünfte und Hilfsprogramme für<br />

jüdische Bürger organisieren, sodass<br />

Frau en mit ihren Kindern, Jugend li -<br />

che und ältere menschen Schutz vor<br />

der Bombardierung fanden. Der erste<br />

Autobus ist Ende märz 1999 nach Bu -<br />

dapest gefahren.<br />

Zu dem plötzli chen Verlust des sozialen,<br />

kulturellen und beruflichen Sta -<br />

tus und des räumlichen Umfelds, kam<br />

auch der Verlust der persönlichen<br />

iden tität hinzu. Es wurde alles versucht,<br />

um die Ver zweif lung über die<br />

neue Situation nicht überhand nehmen<br />

zu lassen, und um die menschen nicht<br />

depressiv werden zu lassen. Als die<br />

nachrichten über die Entwick lung des<br />

Kriegs keinen Grund zu Optimismus<br />

gaben, wurden immer mehr Aktivi -<br />

tä ten angeboten, um einen sinnvollen<br />

Tagesablauf aufrecht zu erhalten: Es<br />

gab Sprach stunden in Ungarisch und<br />

Hebräisch, Computerkurse, einen Kin -<br />

dergarten und Jugendklub, Tanz kur se,<br />

usw. in den ersten Tagen nach der<br />

An kunft in Budapest hat der Fotograf<br />

und Jour nalist Edward Serotta mit seiner<br />

Ka mera die Reaktionen der men -<br />

schen in diesen ersten momenten der<br />

Flucht mit seiner Kamera festgehalten.<br />

Junge menschen haben oft auf ihre<br />

Aus reise nach israel gewartet. in Bu -<br />

dapest waren aber auch viele mütter<br />

mit ihren Kindern, sowie ältere menschen<br />

mit ihrer tragischen Holocaust-<br />

Vergangenheit, die (erneut) die Er fah -<br />

rung von Flucht machen mussten. Ei -<br />

ner von ihnen war Cadik Braco Danon,<br />

Überlebender des Konzentra tions la gers<br />

Jasenovac (Kroatien). Während seines<br />

Aufenthaltes in Budapest, in einem<br />

kleinen dunklen Zimmer im Hotel<br />

Park ne ben dem Keleti Bahnhof,<br />

schrieb er seine memoiren über sein<br />

Le ben und wie er die Schrecken des<br />

Lagers überlebte.<br />

Ende Juni 1999 sind die letzten Auto -<br />

busse nach Belgrad zurückgefahren.<br />

in diesen drei monaten, haben ungefähr<br />

600 mitglieder des „Verbandes<br />

Jü discher <strong>Gemeinde</strong>n“ Schutz in<br />

Budapest gefunden.<br />

Leben heute<br />

<strong>Die</strong> jüdische <strong>Gemeinde</strong> ist heute eine<br />

sehr aktive Gemeinschaft: Es gibt eine<br />

Frauen-Sektion, einen Jugend klub,<br />

den Sportklub „makabi“, die Tanz -<br />

gruppe „nahar Haesh“, das „King<br />

Da vid“-Theater, die „Sektion für he -<br />

bräi sche Sprache“ und zahlreiche<br />

Kommissionen, die sich täglich in den<br />

Räumlichkeiten der <strong>Gemeinde</strong> treffen.<br />

Der Chor „Braća Baruh“ hat kürzlich<br />

sein 125-Jahr-Jubiläum gefeiert. Ende<br />

des 19. Jahrhunderts war jene Zeit, als<br />

die Juden und ihr serbisches Umfeld<br />

einen sehr offenen Umgang miteinander<br />

hatten, und dieser Chor war ein<br />

typisches Beispiel dafür. <strong>Die</strong> „B´nai<br />

B´rith Loge 676“ wurde in Serbien im<br />

Jahr 1911 gegründet: ihre mitglieder<br />

waren berühmte Ärzte, Rechtsan wäl te<br />

und Händler. Seit dem Jahr 2004 ist<br />

die Loge wieder aktiv und mit mai<br />

2008 war in der Bel gra der Ge mein de<br />

auch die Chabad-Be we gung vertreten.<br />

<strong>Die</strong> wirtschaftlichen Beziehun gen mit<br />

israel sind heute hoch entwickelt. is -<br />

raelische Firmen haben mehr als eine<br />

milliarde Euro in Serbien in vestiert,<br />

meist in Bürogebäude, Ho tels und<br />

Ein kaufszentren.<br />

<strong>Die</strong> jüdische <strong>Gemeinde</strong> Belgrad be -<br />

steht zur Zeit aus ungefähr 1.600 bis<br />

1.800 mitgliedern (in ganz Serbien<br />

leben etwa 3.000 Juden).Viele der<br />

ältesten Generation haben für Steven<br />

Spie l bergs „Shoah Foundation“ und<br />

„The Cen tral Europe Center for Re -<br />

search and Documentation“ über ihre<br />

Erlebnisse erzählt. mit Hil fe dieser<br />

Lebens ge schichten kann man auch ei -<br />

nen Ein blick in die jüdische Ver gan -<br />

gen heit Belgrads be kom men. man<br />

spürt beim Zuhören, wie diese alten<br />

men schen dennoch gerne über ih re<br />

Jugend sprechen und auf ihre eigene<br />

Art und Weise diese wieder erleben.<br />

Es war eine Zeit, in der Simha und ihr<br />

Bruder beim Eingang der damals noch<br />

existierenden Synagoge unbeschwert<br />

Verstecken spielen konnten.<br />

www.jobeograd.or • www.makabijada.com<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 45


An diesem montag wirkt Alexander<br />

Phoundoulakis ein wenig genervt, zu -<br />

mindest angespannt. Er ist der Ver wal -<br />

tungssekretär der „Etz-Hayyim-Syna -<br />

go ge“ in Chania auf Kreta.<br />

normalerweise lässt er sich nicht leicht<br />

aus der Ruhe bringen, doch an diesem<br />

Tag haben sich mehr Be su cher als<br />

gewöhnlich in der kleinen Sy nagoge<br />

eingestellt. Der Synago gen raum ist<br />

bei nahe vollständig ausgefüllt mit iw -<br />

rith sprechenden Gästen, es ist unruhig,<br />

und immer neue Fra gen werden<br />

gestellt. Es liegt gerade drei Jahre zu -<br />

rück, dass sich Phoundou la kis ausschließlich<br />

mit nichtjüdischen Dingen<br />

als Kaufmann betätigt hat und nicht<br />

den Unterschied zwischen „Kid dusch“<br />

und „Kol nidre“ kannte. in den drei<br />

Jahren seither hat er sich mit den kom -<br />

plizierten Problemen jü discher Religi -<br />

on und der chaniotischen Synagoge<br />

ver traut gemacht. nur wenn man ihn<br />

nach dem Geheimnis eines koscheren<br />

Ouzo fragt, muss er passen und auf<br />

sei nen Chef nikos verweisen.<br />

<strong>Die</strong> „Etz-Hayyim-Synagoge“, ist die<br />

letzte von einstmals zwei Synagogen<br />

in Chania und weiterer jüdischer Got -<br />

teshäuser – allein in Heraklion gab es<br />

vier - der griechischen insel Kreta.<br />

Während es gegenwärtig auf Rhodos<br />

und Korfu kleine in der Existenz be -<br />

droh te jüdische <strong>Gemeinde</strong>n gibt, ist<br />

die Situation auf Kreta noch extremer,<br />

zugleich jedoch auch hoffnungsvoller:<br />

Eigentlich bildet das Häuflein der<br />

übrig gebliebenen Juden in Chania im<br />

nord-Westen Kretas, wo um 1900<br />

JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

Doppelte Diaspora<br />

Auch ohne <strong>Gemeinde</strong> gibt es<br />

jüdisches Leben auf Kreta<br />

noch die meisten der über 1.100 kretischen<br />

Juden lebten, keine eigentlich<br />

Ge meinde („Kahal“/“Kehilla“) im<br />

halachischen Sinne. Selbst wenn man<br />

die vier weiteren Juden der insel Kre ta,<br />

die sich auf die Städte Rethymnon<br />

und Heraklion verteilen, hinzurechnet,<br />

reicht es nicht mal für einen ordentlichen<br />

Gottesdienst und ein gemeinsames<br />

Beten. Doch die <strong>Gemeinde</strong> weiß<br />

einen Ausweg: „Wir sind zwar nur sieben<br />

Juden in Chania“, erläutert nikolas<br />

Hannan-Stavroulakis multiethnischen<br />

und religiösen Bedürfnissen der Zeit<br />

entsprechend seinen Standpunkt, „aber<br />

es gibt hier eine gute Anzahl von Leuten<br />

anderen Glaubens, die unsere Werte teilen<br />

und unseren Gottesdienst be suchen – wie<br />

Griechen, Orthodoxe, rö mische Ka tho -<br />

liken und Muslime und so haben wir eine<br />

Gemeinschaft besonderer Art“. <strong>Die</strong> Ge -<br />

meinde versteht sich durchaus nicht<br />

als sektiererisch, ist gleichwohl überzeugt,<br />

dass auch für nichtjuden,<br />

ebenfalls Kinder israels (Jakobs), die<br />

Einzigartigkeit Gottes Gül tigkeit be -<br />

sitzt. man könne also zu sammen über<br />

alle religiösen Schran ken hinweg oh -<br />

ne Zwang Beten.<br />

So gibt es also in Chania ein durchgängiges<br />

jüdisch-religiöses Leben: Je -<br />

den morgen um neun Uhr gibt es ei ne<br />

„Schachrit“, ein morgengebet. Got tes -<br />

dienste finden beinahe ganzjährig je -<br />

den Freitagabend nach Sonnenunter -<br />

gang statt, dazu ein Hawdala-Service<br />

samstags auch nach Sonnenunter gang.<br />

Wer diese religiösen <strong>Die</strong>nste in An -<br />

spruch nimmt, das sind die vielen jü di -<br />

schen Touristen aus der ganzen Welt,<br />

die meisten aus israel. nicholas Han -<br />

nan-Stavroulakis spricht in diesem Zu -<br />

sammenhang von einer „ad hoc-Ge -<br />

meinde“.<br />

Es ist gerade eine Woche her, dass sich<br />

ein Athener Paar in der „Etz Hayyim-<br />

Synagoge“ hat trauen lassen. <strong>Die</strong><br />

nächste jüdische Hochzeit ist bereits<br />

Text & Fotos L. Joseph Heid<br />

terminiert, ein tschechisches Paar hat<br />

sich angemeldet. <strong>Die</strong> beiden haben<br />

nicht einmal griechische Wurzeln, son -<br />

dern waren bei einem Besuch Cha nias<br />

von dem Charme der Synagoge eingefangen.<br />

Rabbiner Nicholas de Lange, in<br />

seinem bürgerlichen Leben Professor<br />

für Jüdische Studien an der Universi tät<br />

von Cambridge, Herausgeber des Bul -<br />

letins für Judeo-Griechische Stu dien<br />

und „semi-resident“ Rabbi in Cha nia,<br />

findet sich ein, um die Trau ung zu<br />

voll ziehen. Er leitet auch die Got tes -<br />

dienste an den Hohen Feier ta gen.<br />

man muss schon in den verwinkelten<br />

Gässchen der Altstat von Chania su -<br />

chen, um die Synagoge zu finden. Vor<br />

dem letzten Krieg, bevor die Deut -<br />

schen kamen, gab es noch ein regelrechtes<br />

jüdisches Viertel mit Geschäf -<br />

ten, einer Schule, Wohnhäuser für die<br />

etwa dreihundert Juden Chanias und<br />

eine aus dem frühen 16. Jahrhundert<br />

stammende Synagoge - die zuvor ei -<br />

ne Kirche gewesen war – und nach<br />

dem sephardischen und portugiesischen<br />

Ritus geführt wird, der hier „Ro -<br />

maniot“ genannt wird. Der Aus druck<br />

„romaniotisch“ bezeichnet da bei grie -<br />

chisch-römische und by zan ti nische<br />

Ju den und deren nachkom men. Zur<br />

Synagoge gehört eine - dank seiner<br />

soliden, durch Tonnen ge wölbe ab ge -<br />

schlossene Konstruktion, glücklicherweise<br />

unbeschadet erhalten ge blie bene<br />

- mikwe. Das „lebendige“ Was ser des<br />

Tauchbades wird aus Berg quellen ge -<br />

speist. <strong>Die</strong> Bezeich nung „le bendiges<br />

Wasser“ ist durchaus wört lich zu nehmen<br />

und die kretischen Juden rechnen<br />

es sich zum Stolz an, über die kälteste<br />

mikwe Europas zu verfügen.<br />

<strong>Die</strong> Einrichtung der Synagoge ist<br />

schlicht, die Bima ist in westlicher, der<br />

Aron Hakodesch, der Thora schrein ist<br />

in östlicher Richtung angeordnet. <strong>Die</strong><br />

Anordnung des Gestühls lässt die<br />

Gottesdienstteilnehmer einander ge -<br />

gen über sitzen, in langen Sitzreihen<br />

46 August 2009 - Aw/Elul 5769


längs des Zentralschiffes.<br />

Zwischen 19.30 und 20 Uhr solle, so<br />

lau tete die information, der Frei tag -<br />

abend-Gottesdienst stattfinden. Bis 20<br />

Uhr hat sich eine kleine Gruppe un ter -<br />

schiedlichen Geschlechts und un ter -<br />

schiedlicher nationalitäten im schat ti -<br />

gen innenhof der Synagoge ein ge fun -<br />

den. Es wird griechisch und englisch<br />

gesprochen, ab und zu einzelne deutsche<br />

Brocken eingeworfen. Es geht<br />

auf 20.30 Uhr zu als sich mit ei nem<br />

mal, wie auf Kommando, weitere Got -<br />

tesdienstbesucher einstellen. Und als<br />

es ans Betreten der Synagoge geht, ist<br />

der Betraum fast vollständig besetzt.<br />

An die vierzig Personen füllen beim Be -<br />

ginn des Kabbalat Schab bat den Bet -<br />

raum – und damit ist die Sy na goge bei -<br />

nahe bis auf den letzten Platz gefüllt.<br />

Als Vorbeter fungiert Nikolas Hannan-<br />

Stavroulakis, er steht vor seinem 77. Ge -<br />

burtstag, stammt aus Chania und lebt<br />

hier. nikos Stavroulakis, wie er sich im<br />

Allgemeinen nennt, ist der „Parnas“,<br />

der Direktor der „Etz Hay yim“-Sy na -<br />

goge in Chania. Einen ei ge nen Rab -<br />

biner kann sich die Ge mein de selbstredend<br />

nicht leisten.<br />

Zum Gottesdienst haben sich Gläu bi -<br />

ge – wohlmöglich unterschiedlicher<br />

Konfession – versammelt. Eine friedliche<br />

Stimmung liegt über dem Raum.<br />

<strong>Die</strong> geöffneten Flügelfenster auf dem<br />

Frauengestühl, das bis zum Zweiten<br />

Weltkrieg benutzt wurde, geben den<br />

Blick frei auf einen Balkon, der inzwischen<br />

die <strong>Gemeinde</strong>bibliothek beherbergt.<br />

Durch die offene Eingangstüre<br />

lassen sich Bouzouki-Klänge aus der<br />

gegenüber liegenden Taverne vernehmen<br />

und man hört, tatsächlich, die<br />

melodie von „Ta Pedia Tou Pirea“ des<br />

populären griechischen Komponisten<br />

Manos Hadjidakis, ein Lied, das in<br />

Deutschland unter dem Titel „Ein<br />

Schiff wird kommen“ ganze Genera -<br />

tio nen beglückt hat. Welch ein Kon -<br />

trast zu „Lecha Dodi“!<br />

nach dem Gottesdienst bleiben die<br />

Gläubigen noch zum Kiddusch beisammen.<br />

nikos Stavroulakis hat wie<br />

stets das Brot selbst gebacken; der<br />

Kiddusch-Becher kreist von Besucher<br />

zu Besucher, die sich einander vorstellen.<br />

Juden und nichtjüdische Gäste<br />

untereinander – israelis, Libanesen,<br />

Deutsche, US-Amerikaner, Griechen<br />

und anderen Ländern, ein internationaler<br />

Austausch.<br />

JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

Real existierender Antisemitismus?<br />

„Nein, eigentlich nicht. Wir sind eine<br />

unsichtbare Minderheit, da hat Ant i se -<br />

mitismus keinen ‚Sinn’ und würde sich<br />

allenfalls gegen eine imaginäre Gruppe<br />

richten“, meint Alex Phoun dou lakis.<br />

Auch wenn sich der Antise mitismus<br />

längst vom Juden emanzipiert hat, ent -<br />

spricht es keiner „Lo gik“, Juden -<br />

feindlichkeit ohne Juden an den Tag zu<br />

legen. Das Wach häus chen für einen<br />

Si cher heitsbeamten ist schon seit langer<br />

Zeit nicht mehr besetzt worden<br />

und lehnt verloren an der Hauswand,<br />

ein scheinbares Relikt aus einer vergangenen<br />

Zeit. Vor zwei Jahren gab<br />

es einen antisemitisch motivierten<br />

Zwi schenfall: Auf der Außenmauer der<br />

Synagoge waren eindeutige Schmie -<br />

re reien entdeckt worden, die sich vermeintlich<br />

als „harmlos“ herausstellten.<br />

<strong>Die</strong> Ermittlungen ergaben, dass es sich<br />

bei dem Täter um einen Soldaten der<br />

nato-Basis gehandelt hatte, der zum<br />

Zeitpunkt der Tat sturzbetrunken ge -<br />

we sen war.<br />

<strong>Die</strong> Beziehung zur nichtjüdischen Ge -<br />

meinde Chanias bezeichnet Phoun -<br />

dou lakis als „o.k.“, sie könnten gleich -<br />

wohl besser sein, wenn die Kommu ne<br />

eine finanzielle Unter stüt zung ge -<br />

wäh ren würde. Das kretisch-jüdische<br />

Verhältnis ist, wie auch im übrigen<br />

Griechenland, durch Gleichgültigkeit<br />

gekennzeichnet. Es mangelt der griechischen<br />

Bevölkerung weitgehend an<br />

Verständnis für die besonderen jü -<br />

disch-geschichtlichen Probleme.<br />

<strong>Die</strong> Anfänge jüdischen Lebens auf Kre -<br />

ta liegen im vierten Jahrhundert vor<br />

der Zeitrechnung, in der Zeit Alexan -<br />

der des Großen. <strong>Die</strong> ersten Gemein de -<br />

g ründungen gehen wahrscheinlich<br />

auf Juden aus Palästina zurück, sicher<br />

aber aus Alexandria. Als die Römer<br />

nach Kreta kamen, existierten in einigen<br />

Städten der insel bereits jüdische<br />

<strong>Gemeinde</strong>n. Aus Kissamos stammt die<br />

zweite Ehefrau des Historio gra phen<br />

Josephus Flavius.<br />

<strong>Die</strong> „Etz Hayyim-Synagoge“ war bis<br />

1996 ein stummes Zeugnis der „erfolgreichen<br />

nationalsozialistischen Akt -<br />

io nen“, 97 Prozent der griechischen<br />

Juden zu ermorden. im Jahre 1996 wur -<br />

de mit der Restauration der äußerst<br />

baufälligen Synagoge begonnen. Eine<br />

erste Untersuchung ergab, dass es sich<br />

dabei um eine venezianische Kirche<br />

aus dem späten 15. Jahr hun dert han-<br />

delte, die zu Anfang des 16. Jahr hun -<br />

derts zerstört worden war.<br />

in den ersten zehn Jahren nach der<br />

Deportation der Juden aus Chania<br />

wurde die verlassene Synagoge erst<br />

von „Hausbesetzern“ benutzt und<br />

später dem Verfall preisgegeben. im<br />

Laufe der Jahre fand sie noch Ver wen -<br />

dung als Hühner- und Ziegenstall, als<br />

Hundezwinger und schließlich als<br />

müll halde.<br />

Erst als nach einem schweren Erdbe -<br />

ben im Jahre 1996 das Deckengewölbe<br />

einzustürzen drohte, erwachte das in -<br />

ternationale interesse. mit Hilfe von<br />

Spenden konnte die Synagoge renoviert<br />

und wieder aufgebaut werden.<br />

Geld kam u.a. vom Zentralrat der Jü -<br />

d ischen <strong>Gemeinde</strong>n Griechenlands<br />

und der Ronald S. Lauder-Stiftung.<br />

Eine messingtafel im Synagogenhof<br />

listet weitere Geldgeber namentlich<br />

auf. Seit der neueinweihung im Jahre<br />

2001 hat sie weltweit an interesse ge -<br />

wonnen. Damit ist die wiedererrichtete<br />

Synagoge auch ein trotziges mo -<br />

nu ment für die Verwüstungen und<br />

Entehrungen deutscher Soldateska.<br />

<strong>Die</strong> laufenden Kosten der Synagoge,<br />

die den Status der Gemeinnützigkeit<br />

besitzt, werden ausschließlich durch<br />

Spen den von Privatpersonen und,<br />

haupt sächlich, von ehemaligen zerstreut<br />

lebenden Kreter Juden bestritten.<br />

mit einem Jahresbeitrag von 55<br />

Euro darf man sich zu den „Freunden<br />

der Etz Hayyim-Synagoge“ zählen.<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 47


Eine weitere messingtafel mit 286<br />

namen erinnert an die deportierten<br />

und umgekommenen Holocaust-Op -<br />

fer der <strong>Gemeinde</strong> Chanias. <strong>Die</strong> einst<br />

blühende jüdische <strong>Gemeinde</strong> Kretas,<br />

namentlich in Chania, ist infolge des<br />

Holocaust im Jahre 1944 untergegangen<br />

und damit ist eine 2.400-jährige<br />

Geschichte mit einer spezifischen Tra -<br />

di tion mit einer eigenen Kultur, Riten,<br />

eigener musik, eigenem idiom und vie -<br />

les mehr - scheinbar - verschwunden.<br />

im mai 1941 nahmen die Deutschen,<br />

gleichsam vom Himmel fallend, Kre ta<br />

in Besitz, als Fallschirmjäger, im Ge -<br />

folge SS-Einheiten. Prominentester<br />

der 10.000 deutschen Fallschirmjäger<br />

war Box-Weltstar max Schmeling.<br />

Doch der wollte eigentlich nicht,<br />

schütz te Durchfall vor. Tatsächlich<br />

brach sich Schmeling bei der Landung<br />

auf hartem kretischem Boden den<br />

Knöchel und war für die nazipro pa -<br />

gan da kein Vorzeigesoldat mehr. <strong>Die</strong><br />

insel fiel in deutsche Hand – und die se<br />

richtete Schreckliches unter der Zivil -<br />

be völkerung an. Was für die insel<br />

folgte, waren militärverwaltung, Kol -<br />

laboration, Widerstand, Attentate,<br />

massive Vergeltungsmaßnahmen, Gei -<br />

selnahme, Plünderungen, Erschießun -<br />

gen, Deportationen. <strong>Die</strong> jüdische Be -<br />

völkerung wurde nahezu vollständig<br />

ausgerottet.<br />

Zum Zeitpunkt der deutschen in sel -<br />

besetzung gab es in Chania noch zwei<br />

Synagogen. <strong>Die</strong> eine Synagoge, Beth<br />

Schalom, wurde durch Bombar de ment<br />

der Stadt zerstört, „Etz Hayyim“ war<br />

zunächst noch weiter in Gebrauch.<br />

<strong>Die</strong> Repressalien gegen die kretischen<br />

Juden begannen mit einem Schächt -<br />

ver bot, es folgten die Kennzeichnung<br />

jüdischer Geschäfte und 1943 begannen<br />

die Vorbereitungen zur „Endlö -<br />

sung“. <strong>Die</strong> kretischen Juden wurden<br />

in Chania „konzentriert“. Am 29. mai<br />

1944 wurde das jüdische Viertel abgesperrt,<br />

die Juden aufgefordert, ihre<br />

Häuser zu verlassen und auf die<br />

Straße zu kommen. innerhalb einer<br />

Stunde wurde die gesamte jüdische<br />

<strong>Gemeinde</strong> mit Lastwagen in das nahe<br />

Chania gelegene Gefängnis von Aya<br />

ge schafft. Das Viertel wurde von deut -<br />

schen Soldaten geplündert. Am Abend<br />

war die Synagoge aller ihrer Kunst -<br />

güt er beraubt und geschändet.<br />

nach zweiwöchiger inhaftierung wur -<br />

den die kretischen Juden nach Hera -<br />

JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

klion verschleppt und an Bord eines<br />

umgebauten Transportschiffes ge -<br />

bracht, das am 9. Juni 1944 in Rich tung<br />

Athen in See stach. mit an Bord wa -<br />

ren etwa 600 griechische und italienische<br />

Kriegsgefangene. Am frühen mor -<br />

gen des nächsten Tages wurde das<br />

Schiff in der nähe der insel milos von<br />

einem britischen U-Boot gesichtet und<br />

torpediert. Das Schiff sank innerhalb<br />

kürzester Zeit. Es gab keine Überlebenden.<br />

Will man in dem Ertrinken<br />

etwas Tröstliches sehen, dann mag<br />

man sagen, dass den kretischen Juden<br />

das Schicksal der 94 Prozent aller grie -<br />

chischen Juden aus Thessaloniki, Kor -<br />

fu, Rhodos und anderen Städten er -<br />

spart geblieben ist - der Viehwaggon,<br />

eine furchtbare Deportation und das<br />

Gas von Auschwitz.<br />

<strong>Die</strong> „Operation merkur“ kostete auch<br />

vielen deutschen Soldaten das Leben.<br />

4.500 deutsche Soldaten liegen an Kre -<br />

tas nordküste begraben, in maleme.<br />

Als <strong>Gemeinde</strong> ist das kretische Ju den -<br />

tum durch den Holocaust ausgelöscht<br />

– und an innerer Auszehrung. Sieben<br />

Juden leben noch in Chania. Doch auf<br />

merkwürdige Weise setzt sich jüdisches<br />

Leben fort – es existiert durch<br />

Juden aus der ganzen Welt, die im mer<br />

wieder nach Kreta kommen. Juden<br />

heiraten hier, feiern Bar mitzwa und<br />

sorgen mit ihren Spenden dafür, dass<br />

es immer weiter geht und halten so<br />

eine diasporale <strong>Gemeinde</strong> im doppelten<br />

Wortsinn am Leben. melancholie<br />

und ein romantischer Bezug zur pittoresken<br />

Synagoge mag hier eine Rol le<br />

spielen, um an diesem Ort religiöse<br />

Pflichten zu vollziehen.<br />

Daniel Abrams arbeitete im Sommer<br />

2008 als „Volunteer“ in der „Etz Hay -<br />

yim-Synagoge“. Seine Eindrücke gab<br />

er in einem Artikel in der „The Jewish<br />

Voice & Herald of Rhode island“ wieder.<br />

Darin erinnerte er daran, dass er<br />

vier Jahre zuvor dort seine Bar mitz -<br />

wah nach sephardischem Ritus gefei -<br />

ert hatte. Er erlebte nunmehr als freiwilliger<br />

Helfer, so schrieb er, die einzigartige<br />

Aura des Ortes noch einmal<br />

ganz neu, das „spezielle Gefühl“ der<br />

Synagoge, seine Geschichte, die schöp -<br />

ferische Ruhe und das „peaceful feeling“,<br />

das einen näher zu Gott bringe.<br />

Eigenem Selbstverständnis nach wollen<br />

die Verantwortlichen um die Sy na -<br />

goge mehr sein als ein „totes“ muse -<br />

um. neben dem religiösen Ort versteht<br />

sich die „Etz Hayyim-Syna go ge“ zu -<br />

gleich als kultureller Kristallisa tions -<br />

punkt: Konzerte sephardischer mu sik<br />

eines Den Haager Quartetts oder eine<br />

Klezmer-Band aus Polen, Kunstaus -<br />

stellungen sowie interkulturelle Work -<br />

shops locken auch nichtjüdisches Pu -<br />

bli kum an.<br />

Vor dem Synagogeneingang liegt ein<br />

Gästebuch auf. manche Eintragun gen<br />

sind aufschlussreich. <strong>Die</strong> englischamerikanischen<br />

Einträge beziehen<br />

sich zumeist auf die Wiederherstel -<br />

lung der Synagoge, die Dankbarkeit,<br />

diesen „wunderbaren“ Ort wieder<br />

besichtigen zu können, verbunden mit<br />

der Hoffnung und dem Ver sprechen<br />

wiederzukommen, heben darauf ab,<br />

von der besonderen Atmosphäre der<br />

Synagoge eingenommen worden zu<br />

sein.<br />

Da ist unter dem 6. Januar 2009 eines<br />

englisch schreibenden Besuchers zu<br />

lesen: „Mein Großvater war hier als die<br />

Synagoge während des Krieges zerstört<br />

wurde und blieb hier bis zum Ende“. <strong>Die</strong><br />

wenigen deutschen Vermerke bestechen<br />

durch Larmoyanz, lassen Schuld -<br />

gefühle erkennen und vermeinen, man<br />

wundert sich, erstmals in jüdischer<br />

Religion eingeführt worden zu sein.<br />

48 August 2009 - Aw/Elul 5769


Panorama<br />

Kurznachrichten aus der jüdischen Welt<br />

Quelle: JTA/Guysen u.a.; Übersetzung: Karin Fasching/Foto:©JTA u.a.<br />

sohn des „Brückenopfers“ erhält<br />

ehrengoldmedaille der maccabiade<br />

Josh Small, 19, nahm letzten monat an<br />

der 18. maccabiade beim Bowling-<br />

Wettbewerb teil – dieselbe Sportart, in<br />

der sein Vater Greg bei der 15. un glück -<br />

seligen maccabiade 1997 im Wettbe -<br />

werb hätte stehen sollen. Josh Small<br />

verfehlte eine medaille des Wettbe -<br />

werbs kehrte aber dennoch mit einer<br />

Goldmedaille, auf der „Für den Mut den<br />

Traum deines Vaters zu erfüllen, verdienst<br />

du Gold“ eingraviert war, nach Syd -<br />

ney zurück. <strong>Die</strong> Goldme daille, die vom<br />

Vorsitzenden der israelischen Bow ling<br />

Vereinigung und Tur nier direktor ausgelobt<br />

wurde, die gleiche wie für die<br />

Champions jeder Sportart ist, zählt sie<br />

nicht für die offi zielle medaillen lis te.<br />

Jüdisches Kulturzentrum<br />

in rio eröffnet<br />

Verschiedene Regierungsvertreter<br />

nahmen vor kurzem an der Eröff -<br />

nung des midrasch-Kultur-Zentrums<br />

in Rio de Janeiros vornehmen Leblon-<br />

Viertel teil.<br />

Das Zentrum, das eine prächtige Fas sa -<br />

de mit hebräischen Lettern schmückt,<br />

bietet Vorlesungen, Kurse, Diskus si -<br />

onsrunden, Ausstellungen und Kon -<br />

zer te in jüdischer Kultur, Geschichte,<br />

Dichtung und Philosophie.<br />

„Ich hoffe, dass sich Menschen verschiedener<br />

Religionen und auch jene ohne<br />

Religion hier mit der jüdischen Kultur<br />

etwas vertrauter machen können!“, sag te<br />

Sergio Cabral, Rio de Janeiros Gou ver -<br />

neur. „Es ist ein Platz um Tole ranz und<br />

Pluralismus zu fördern“, sagte Rabbi ner<br />

nilton Bonder, der Koordinator und<br />

spirituelle Leiter einer konservativen<br />

Synagoge.<br />

Jordan könnte zu fließen aufhören<br />

Eine Umweltgruppe warnte davor,<br />

dass diesen Sommer der Jordanfluss<br />

zu fließen aufhören könnte. mitglieder<br />

der Freunde der Erde haben im südli -<br />

JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />

chen Teil nur 30 cm Wassertiefe ge -<br />

mes sen und fürchten, dass der Jordan<br />

in einigen monaten gänzlich austrocknen<br />

könnte. Jahre der Dürre und der<br />

übermäßigen Bewässerung haben den<br />

einst mächtigen Fluss zu einem Rinn -<br />

sal verkommen lassen.<br />

neapels jüdische gemeinde hilft<br />

beim wiederaufbau der Kirche<br />

<strong>Die</strong> jüdische <strong>Gemeinde</strong> von neapel<br />

hat einen Fonds zum Wiederaufbau<br />

des Glockenturms einer Kirche nach<br />

dem Erdbeben eingerichtet.<br />

<strong>Die</strong> italienische katholische nach rich -<br />

ten agentur SiR zitierte neapels Rab -<br />

bi ner Pierpaolo Pinhas Punturello, dass<br />

die ser durch einen Pessachseder, der<br />

kurz nach dem Erdbeben im April ab -<br />

gehalten wurde, zu diesem Unter neh -<br />

men zugunsten der Kirche inspiriert<br />

wurde. „Ich war betroffen von den Wor -<br />

ten am Beginn des Seder“, ‚wer immer<br />

hungrig ist, der komme und esse, wer im -<br />

mer in Not ist, der komme und feiere Pes -<br />

sach mit uns“, sagte er.<br />

disney startet einen Kanal in israel<br />

israelische Kinder werden, laut mel -<br />

dun gen, demnächst populäre Dis ney-<br />

Filme in Hebräisch synchronisiert und<br />

auch Originale mit israelischen Schau -<br />

spielern sehen können. Disney-Filme<br />

wie „Hannah monta na“ und „Der<br />

Zauberer vom Waverly Platz“ werden<br />

jetzt im Satelliten fern sehen in<br />

israel mit Untertiteln ausgestrahlt.<br />

Disney war in den letzten Jahren die<br />

Ursache von Streitigkeiten im nahen<br />

Osten. 2007 hat die Hamas eine Figur,<br />

die wie mickey maus ausgesehen hat,<br />

dazu benutzt, Kindern Hass gegen is -<br />

rael zu lehren.<br />

totes meer als finalist im<br />

naturwunder-wettbewerb<br />

Das Tote meer ist einer der 28 Fi na -<br />

listen im internationalen Wettbewerb<br />

der sieben naturwunder der Erde, so<br />

die „Sieben Wunder der Natur-Stif tung”,<br />

die den Bewerb organisiert. Das Tote<br />

meer wird sich neben anderen Teil -<br />

nehmern wie dem Amazonas, den Ga -<br />

la pagos inseln, dem Grand Canyon<br />

und den malediven, bewerben. <strong>Die</strong><br />

Wettbe werbs organisatoren er war ten<br />

mehr als eine milliarde Teil neh mer an<br />

der On line-Abstimmung, die bis 2011<br />

dauern wird.<br />

Der israelische Tourismusminister Stas<br />

Misezhnikov hat verkündet, dass das<br />

Tourismusministerium in den nächs -<br />

ten zwei Jahren eine Kampagne für das<br />

Tote meer über 14 Büros in der ganzen<br />

Welt, auf Webseiten in 11 Spra chen und<br />

auf marketing-Aktivitäten ausgerichtet,<br />

führen wird. im Rah men dieser<br />

Kampagne wird das minis terium die<br />

einzigartigen Charak teristika des To ten<br />

meeres betonen und den Touris mus<br />

dieser Region fördern.<br />

Pestizidverwendung könnte ab -<br />

erkennung von Kaschrut bewirken<br />

israels Oberrabbiner will die Ko scher -<br />

zertifikate von Frucht- und Gemüse -<br />

bau ern, die zu viele Pestizide verwenden,<br />

nicht bewilligen. Rabbiner Yona<br />

Metzger wird sich mit dem Kaschrut -<br />

komitee des Oberrabinats treffen, um<br />

das Wasser zu testen. Wenn das Ko -<br />

mi tee die initiative autorisiert, heißt<br />

das, dass aus Gründen, die nicht direkt<br />

mit den Gesetzen der Kaschrut zu -<br />

sam menhängen, ein Ko scherzertifikat<br />

vorenthalten werden kann.<br />

Um insektenfreies Obst und Gemüse<br />

an bieten zu können, was eine höheren<br />

Ebene der Kaschrut bedeutet, weil in -<br />

sekten nicht koscher sind, verwenden<br />

viele Produzenten große mengen von<br />

insektiziden anstatt andere Anbau me -<br />

thoden zu praktizieren. metzger sagte,<br />

dass die Spritzmittel anwen dung<br />

even tuelle gesundheitliche Folgen zu<br />

einer „rein halachischen Überlegung“<br />

machen würden. „Solche Früchte gefähr -<br />

den diejenigen, die sie verzehren. Man kann<br />

Kaschrut nicht für Gift bewilligen“.<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 49


KULTUR<br />

Von gebogenen<br />

Nasen und<br />

anderen<br />

Vorurteilen<br />

<strong>Die</strong> Ausstellung „typisch! Klischees von<br />

Juden und Anderen“ entlässt den Be su -<br />

cher vor allem mit einer Frage: Wel che<br />

Vor urteile und Stereotype be stim men<br />

mein eigenes Denken? Hier geht es nicht<br />

um die Vermittlung lexikalischen Wis -<br />

sens. Im Vordergrund steht vielmehr,<br />

dem Besucher Impulse zu geben, hergebrachte<br />

(Menschen-)Bilder zu hinterfragen.<br />

Mit jeder Menge Überraschungsmomenten<br />

und subversiven Antworten<br />

Betroffener. Lassen Sie sich ein auf dieses<br />

Abenteuer im Kopf.<br />

Von Alexia Weiss<br />

Raum eins dieser Ausstellung empfängt<br />

den Besucher mit dem „Bücher<br />

Nörgeli“. <strong>Die</strong> in den 1990-er Jahren<br />

vom Cartoonisten Gerd Bauer ge -<br />

schaffene Buchstützen-Quietschfigur<br />

in Gestalt des prominenten Literatur -<br />

kri tikers marcel Reich-Ranicki arbeitet<br />

mit den mitteln der Karikatur. im<br />

Zentrum: eine gigantisch dimensionierte<br />

nase. An der Wand daneben: ei -<br />

ne Skulpturen-installation von Den nis<br />

Kardon, ebenfalls mitte der neunziger<br />

Jahre entstanden. Zu sehen: „49 Je wish<br />

Noses“. Sind es 49 krumme nasen?<br />

mit nichten. Große und kleine Exem -<br />

pla re finden sich darunter, gerade<br />

und etwas gebogene, stupsige und<br />

breite. Eine nase beherrscht auch das<br />

dritte Objekt dieser ersten Aus stel -<br />

lungs-Station: Rudolf Belling porträtierte<br />

um 1927 den deutschen Kunst -<br />

händler Alfred Flechtheim (1878-<br />

1937), der bis 1933 unter anderen Pa -<br />

blo Picasso und Georges Braques vertrat,<br />

und zwar dreidimensional mit<br />

einer Bronze-Skulptur. Zu sehen: die<br />

charakteristische nase Flechtheims.<br />

Auf eine weitere Ausgestaltung des<br />

Gesichts hat der Künstler verzichtet.<br />

Welche der drei Darstellungen ist an ti -<br />

semitisch? Welche folgt althergebrachten<br />

Klischees, welche bricht diese auf,<br />

KULTUR • INLAND<br />

spielt mit ihnen? Der „Bücher nör ge li“<br />

erinnerte bei seiner Präsentation so<br />

manchen an die Ästhetik von „Stür -<br />

mer“-Karikaturen. Doch Reich-Ranic ki<br />

selbst habe auf die Frage, ob er die Fi -<br />

gur als diskriminierend empfinde,<br />

geantwortet, „Was wollen Sie, so schauen<br />

Ostjuden nun mal aus“, sagt Aus stel -<br />

lungs-Kuratorin Felicitas Hei mann-Je li -<br />

nek im Gespräch mit „<strong>Die</strong> Ge mein de“.<br />

ihr geht es bei dieser Schau vor allem<br />

um eines: „Das eigene Schauen zu hin -<br />

terfragen“. Welche festgefahrenen Bil -<br />

der im Kopf bringe ich bereits beim<br />

Be trachten eines Gegenstandes mit?<br />

Wie wirken sich diese auf meine Ein -<br />

ord nung des Gesehenen aus? Wer de -<br />

fi niert, wie ein Gegenstand zu bewerten<br />

ist? Als Beispiel nennt Heimann<br />

hier die Objekte aus der so genannten<br />

An tisemitika-Sammlung martin<br />

Schlaffs, die sich heute im Jüdischen<br />

museum befindet. nicht bei allen<br />

Objekten sei nachvollziehbar, warum<br />

diese als antisemitisch einzustufen<br />

seien. „Wer hat sie also als antisemitisch<br />

definiert? Und warum?“<br />

Viele der in der Schau gezeigten nip -<br />

pes stammen aus der Sammlung<br />

Schlaff. So auch eine zierliche Por zellanfigur<br />

einer Frau in blauem Kleid.<br />

Wenn Hannah Landsmann, die für die<br />

Vermittlungsarbeit des Jüdischen mu -<br />

seums verantwortlich zeichnet, Grup -<br />

pen durch die Schau führt, bittet sie<br />

die Besucher, die Figur – sie wird in<br />

dem Raum gemeinsam mit zwei weiteren<br />

Objekten unter dem Titel „<strong>Die</strong><br />

schöne Jüdin“ gezeigt - zu beschreiben.<br />

„Dann sagen die Leute: sie hat eine große<br />

Nase. Und: sie hat eine Pe rücke. Und ich<br />

sage dann: es ist eine sehr kleine Figur<br />

und auch die Nase ist klein.“ Woher<br />

kommt also der Eindruck, es handle<br />

sich um eine große nase? „<strong>Die</strong> Leute<br />

denken, das passt hierher, und das sehen<br />

sie dann“, meint Landsmann. Würde<br />

man das Objekt im Rahmen einer Bie -<br />

dermeier-Ausstellung zeigen, würde<br />

wohl niemand die nase thematisieren.<br />

Heimann-Jelinek, die diese Ausstel -<br />

lung gemeinsam mit Cilly Kugelmann<br />

vom Jüdischen museum Berlin, wo<br />

die Schau bereits 2008 zu sehen war,<br />

konzipiert hat, präsentiert jedes The -<br />

ma in Form eines Tryptichons. Ein<br />

Objekt aus der Hochkultur wird mit<br />

einem populärkulturellen Objekt und<br />

einer subversiven Auseinanderset -<br />

zung mit dem Thema durch einen<br />

Ver treter der betroffenen Gruppe in<br />

Verbindung gebracht. Ein Beispiel für<br />

solch einen subversiven Umgang: die<br />

australische Punk-Rock-Band Yidco re.<br />

im Jüdischen museum ist das Video<br />

zum Song „if i were a rich man“ zu<br />

sehen und zu hören – eine 2006 veröffentlichte<br />

lautstarke Persiflage auf<br />

das musical „Tewje, der milchmann“.<br />

Yidcore verspottet darin das Klischee<br />

des geldgierigen Juden und nimmt<br />

gleichzeitig die Vorstellung vom „au -<br />

then tischen Juden aus dem Osten“<br />

aufs Korn.<br />

Wie bereits der Titel der Ausstellung<br />

verrät, thematisiert die Schau nicht nur<br />

Antisemitismus. Auch das frühere<br />

und heutige Bild vom islam wird hin -<br />

ter fragt. Vielen ein Begriff: das 1904<br />

erstmals veröffentlichte Kinderbuch<br />

„Hatschi Bratschi Luftballon“. im<br />

Zentrum der Handlung steht ein bö -<br />

ser türkischer Zauberer, der brave<br />

christliche Kinder entführt und in Ge -<br />

fahr bringt. Heimann hat dieses Buch<br />

in einem Tryptichon mit einer Bron -<br />

ze figur eines Sklavenhändlers (Ent -<br />

wurf von Franz Xaver Bergmann, der<br />

von 1861 bis 1936 lebte, dessen Kre a -<br />

ti onen aber bis heute produziert werden)<br />

und einer Fotoarbeit der iranischen<br />

Künstlerin Shirin Neshat von<br />

1994 arrangiert. <strong>Die</strong> Aufnahme zeigt<br />

eine Frau im Tschador, die eine Waffe<br />

trägt und deren Gesicht mit arabischer<br />

Schrift bemalt wurde. Vermittlerin<br />

Landsmann will auch hier von den<br />

Besuchern gerne wissen, was sie se -<br />

hen. „Etwas aus dem Koran“, sei dann<br />

die gängige Antwort. Tatsächlich<br />

handle es sich aber bei der verwendeten<br />

Textpassage um ein Gedicht.<br />

Andere Stationen befassen sich mit der<br />

Rolle, den die Kolonialherren einst<br />

„den Wilden“ zugeschrieben haben,<br />

50 August 2009 - Aw/Elul 5769


aber auch mit der „dienenden Funk -<br />

tion“ von menschen mit schwarzer<br />

Hautfarbe, wie sie bis vor nicht allzu<br />

langer Zeit beispielsweise in der Wer -<br />

bung immer wieder aufgegriffen wur -<br />

de. Und es wird auch das Selbstbild<br />

von Afroamerikanern hinterfragt –<br />

traurig aktuell: das identitätsproblem<br />

des US-Popmusikers michael Jack son.<br />

in der Schau zu sehen: eine Fotografie<br />

von 2002, welche die Zerbrechlichkeit<br />

der nase, das nichtzusammenpassen<br />

zwischen Bartstoppeln und rot ge -<br />

schmink tem mund, das Tragen einer<br />

Perücke, die in dem nunmehr weißen<br />

Gesicht tragisch anmutenden, großen,<br />

dunklen Augen dokumentiert.<br />

Dazu Heimann-Jelinek: der 1958 ge -<br />

borene (und kürzlich verstorbene)<br />

Jackson habe noch zehn Jahre Apart -<br />

heidsgesetz in den USA erlebt und<br />

auch danach werde sich nicht von ei -<br />

nem Tag auf den anderen alles verändert<br />

haben. Bis heute sei eine Gleich -<br />

stel lung nicht erreicht, konstatiert die<br />

Kuratorin. Sichtbar werde das eben<br />

u.a. durch das Streben, sich – mehr<br />

oder weniger radikal – der weißen<br />

mehrheitsbevölkerung anzugleichen.<br />

„Farbige Frauen schminken sich wie eu -<br />

ropäische Frauen, nehmen Sie nur Nao mi<br />

Campbell.“ Und: sehr en vogue sei es,<br />

sich die Haare zu glätten. Ein anderes<br />

Beispiel kommt aus Japan. Dort würden<br />

in Zeichentrickserien die Figuren<br />

gerne mit großen, runden Augen ge -<br />

staltet. Auch dem Fremd- und Ei gen -<br />

bild von Japanern ist in dieser Schau<br />

übrigens eine Station gewidmet,<br />

ebenso wie den „echten indianern“.<br />

© David Peters<br />

Keramik-Spardose<br />

(England, ca. 1870)<br />

Jüdisches Museum<br />

<strong>Wien</strong>, Sammlung<br />

Schlaff<br />

KULTUR • INLAND<br />

Wenn Hannah Landsmann Schüler -<br />

gruppen durch die Ausstellung führt,<br />

kombiniert sie das gerne mit eigens<br />

zu dieser Schau konzipierten Spielen.<br />

„in sieben Zimmern um die Welt“<br />

nennt sich eines, das die Vermittlerin<br />

für Elf- bis 14-Jährige entworfen hat.<br />

im mittelpunkt stehen fiktive Jugend -<br />

treffen an sieben Orten auf der Welt.<br />

in kleinen Gruppen sollen die Ju gend -<br />

lichen ein für den jeweiligen Ort typisches<br />

Hotelzimmer entwerfen – mit<br />

Ob jekten aus der Ausstellung. Darf<br />

da bei der Kimono aus der Oper „ma -<br />

dame Butterfly“ in das typisch is ra e li -<br />

sche Hotelzimmer? „Sicher, wenn beispielsweise<br />

der Hotelbesitzer Japan-Fan ist,<br />

daher stammt oder ein Faible für Oper<br />

hat“, antwortet Landsmann. So können<br />

von den Schülern Stereotype und<br />

Vorurteile eingebracht und im selben<br />

Zug hinterfragt werden.<br />

An Jugendliche ab 14 Jahren wendet<br />

sich das Programm „mixmax – Ver -<br />

mischte identität(en)“. Herr mum -<br />

bum ba stammt aus nigeria, ist erfolgreicher<br />

Banker und leidenschaftlicher<br />

Bergsteiger. Und Herr mumbumba ist<br />

eine fiktive Person. Jugendliche sollen<br />

nun zuerst die Biografie für Herrn<br />

mumbumba, Frau Yakimoto, Herrn<br />

Sedlacek oder andere Figuren entwerfen<br />

und dann die Ausstellung aus der<br />

Perspektive dieser Phantasie-Ge stalt<br />

betrachten. Wie beurteilt etwa Herr<br />

mumbumba den Teil der Schau, der<br />

sich mit der „inszenierung des Wil -<br />

den“ befasst? Findet er ihn furchtbar<br />

oder sehenswert?<br />

Oft drückt Landsmann den Schülern<br />

aber auch zu Beginn der Führung Kärt -<br />

chen mit einem Begriff in die Hand.<br />

„typisch! Banane“ oder „typisch! Bar -<br />

bie“ oder eben „typisch! michael Jack -<br />

son“ ist auf diesen Karten zu lesen.<br />

<strong>Die</strong> Jugendlichen suchen dann zu -<br />

nächst die zu dem Begriff passende<br />

Station, schauen sich diese an und<br />

erzählen dann ihre Überlegungen zu<br />

den gezeigten drei Objekten der ge -<br />

sam ten Gruppe. Fragen von Lands -<br />

mann regen neue Gedankenwege an.<br />

<strong>Die</strong> Vermittlerin freut sich besonders<br />

darüber, dass auch viele Be rufsschul -<br />

lehrer mit ihren Klassen für diese<br />

Ausstellung den Weg ins museum<br />

finden. Ein besonders anerkennendes<br />

Fazit eines Berufsschülers nach dem<br />

Be such der Schau hat sie noch im<br />

Ohr: „Eigentlich war das ein ziemlich<br />

chilliges Erlebnis.“ „Das hat mehr Wert,<br />

als wenn ich ihnen drei Stunden erzähle,<br />

was sie nicht sagen dürfen.“ Hier geht<br />

es eben um Bewusstseinser weite rung.<br />

<strong>Die</strong> Zeigefinger-Pädagogik hat ausgedient.<br />

„typisch! Klischees<br />

vonJuden und Anderen“<br />

Im Jüdischen Museum <strong>Wien</strong> (Do ro the -<br />

ergasse 11, 1010 <strong>Wien</strong>) noch zu sehen bis<br />

11. Oktober 2009, jeweils Sonntag bis<br />

Freitag zwischen 10.00 Uhr und 18.00 Uhr.<br />

Führungen und Programme können un ter<br />

01-5350431-311 bzw. -312 oder unter kids.<br />

school@jmw.at gebucht werden. Eine kos -<br />

tenlose deutschsprachige Führung wird<br />

jeden Sonntag um 15.00 Uhr angeboten.<br />

www.jmw.at<br />

Großes Ehrenzeichen der Republik für Anne Frank-Helferin Miep Gies<br />

<strong>Die</strong> Anne Frank-Helferin und Bewahrerin ihres Tagebuches, Miep Gies, hat das Große Eh ren -<br />

zeichen für Verdienste um die Republik Österreich erhalten. <strong>Die</strong> heute 100-jährige hat nicht<br />

nur acht in Amsterdam Untergetauchten - unter ihnen Anne Frank - zwischen 1942 und<br />

1944 geholfen, sie hat das wohl berühmteste Tagebuch für die Nachwelt gerettet.<br />

Es ist zum Großteil das Verdienst der 1909 in <strong>Wien</strong> als Hermine Santrouschitz geborenen<br />

heu tigen Niederländerin Miep Gies, dass viele Hunderte von Millionen Menschen mit der<br />

Geschichte der Anne Frank vertraut sind - dafür und für die gewährte Hilfeleistung an der<br />

jüdischen Familie Frank und anderer Bewohner eines Verstecks in einem Hinterhaus in<br />

Am sterdam hat Miep Gies das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich<br />

vom österreichischen Botschafter in den Niederlanden, Wolfgang Paul, überreicht<br />

bekommen.<br />

Um dem kollektiven Vergessen entgegen zu wirken, hat Miep Gies seit den sechziger Jah -<br />

ren des vergangenen Jahrhunderts in Schulen (sie war auch Gast der ZPC-Schule in WIen)<br />

und den Medien von den Geschehnissen im Hinterhaus gesprochen, 1987 erschienen ihre<br />

Erinnerungen in Buchform. Gies ist die einzige noch lebende, die Anne Frank persönlich<br />

kannte.<br />

Das Ta gebuch der Anne Frank ist in das Weltdokumentenerbe der UNESCO (UNESCO<br />

Memory of the World Register) aufgenommen worden.<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 51


In Ihrem Roman „Spaltkopf“ emigriert<br />

eine jüdische Familie in den siebziger Jah -<br />

ren nach <strong>Wien</strong>. <strong>Die</strong> Großmutter, eine<br />

Kunst historikerin, ist dabei in den Ka tho li -<br />

zismus gekippt. Der Vater ist Maler und<br />

verstirbt viel zu früh bei einem Besuch in<br />

der alten Heimat Leningrad. In <strong>Wien</strong> ver -<br />

bleiben Großmutter, Mutter, die Erzäh le -<br />

rin, eine jüngere Schwester. Wie autobiografisch<br />

beziehungsweise wie fiktiv ist der<br />

Roman?<br />

Der Beginn ist sehr autobiographisch,<br />

dann gibt es irgendwo eine Abzwei -<br />

gung, wo vieles nicht mehr übereinstimmt.<br />

Es ist wie ein Teppich, für den<br />

man ein Grundmuster hat, ihn dann<br />

aber weiter gestaltet. Es ist also weder<br />

alles real noch alles fiktiv. Der mann<br />

etwa, den mischka schließlich heiratet,<br />

ist im Buch ganz anders geschildert<br />

als der Vater meiner Tochter. Hier<br />

gibt es keine Übereinstimmung, auch<br />

wenn beide Verbindungen schließlich<br />

gescheitert sind.<br />

Wie haben Ihre nächsten Verwandten – vor<br />

allem Ihre Mutter, Ihre Schwester –<br />

„Spaltkopf“ aufgenommen?<br />

meine mutter hat eigentlich fast am<br />

ent spanntesten und begeistertsten<br />

von allen nahen Verwandten reagiert,<br />

meine Schwester hat das Buch zwar<br />

als erste erworben, hat es aber, glaube<br />

ich, immer noch nicht gelesen. ich<br />

fürchte, sie wartet auf die Verfilmung.<br />

Sie sind 1970 geboren und 1977 nach <strong>Wien</strong><br />

gekommen. Haben Sie tatsächlich noch<br />

aktive Erinnerungen an Leningrad/St.<br />

Pe terburg aus Ihrer Kindheit?<br />

Sicherlich. Teile dieser teilweise sogar<br />

sehr lebendig-bunten Erinnerungen<br />

sind auch ins Buch eingeflossen.<br />

Wie haben Sie als Kind das Ankommen in<br />

<strong>Wien</strong> erlebt?<br />

Überwältigend, reizvoll - vor allem<br />

das marmorklo am Flughafen, in dem<br />

ich mich allerdings übergeben muss te,<br />

KULTUR • INLAND<br />

„Sprache war immer<br />

mein Revier“<br />

Julya Rabinowich wanderte als Sieben jäh rige mit ihrer<br />

Familie aus der Sowjet union aus und wuchs in <strong>Wien</strong><br />

auf. „<strong>Die</strong> <strong>Gemeinde</strong>“ sprach mit der Schriftstel le rin,<br />

Übersetzerin und Malerin über ihr Ro mandebüt,<br />

Integration und ihr Judentum.<br />

VON ALEXIA WEISS<br />

und der Kaugummiautomat auf der<br />

Alserbachstraße.<br />

Wie haben Sie die ersten Monate in der<br />

Volksschule erlebt?<br />

ich hatte eine wunderbare Lehrerin.<br />

Und es ist mir ein Anliegen, immer,<br />

wenn ich nach meiner Schulzeit ge -<br />

fragt werde, darauf hinzuweisen, denn<br />

nur mit so engagierten Lehrern haben<br />

Kinder, die erst hier Deutsch erlernen,<br />

wirklich eine Chance.<br />

Wie lange hat es gebraucht, bis Sie sich flüs -<br />

sig mündlich verständigen konnten, wie<br />

lange, bis Sie fehlerfrei Deutsch schreiben<br />

konnten?<br />

<strong>Die</strong> ersten monate war ich natürlich<br />

mit Schweigen gestraft, bis zu einem<br />

von meinen Eltern erzwungenen Ferienheimaufenthalt,<br />

der mich zu in ten -<br />

siver Zeichensprache gezwungen hat,<br />

die allmählich in nur Sprache übergegangen<br />

ist. <strong>Die</strong> Hälfte der Zeit saß ich<br />

allerdings weinend oder fressend bei<br />

der Heimköchin in der Küche. Dann<br />

wieder würde ich sagen, es hat ungefähr<br />

bis zur zweiten Klasse mittel schu -<br />

le gedauert, fast bis zur dritten, da war<br />

ich dann allerdings Klassenbeste. Dabei<br />

ist es dann geblieben.<br />

Derzeit wird ja öffentlich heftig über das<br />

Ni veau öffentlicher Schulen diskutiert,<br />

über Klassen, die zu mehr als der Hälfte aus<br />

Kindern bestehen, deren Muttersprache<br />

nicht Deutsch ist. Sie selbst haben Deutsch<br />

erst hier in der Schule erlernt und kürzlich<br />

den re nommierten Rauriser Literatur -<br />

preis gewon nen. Sie arbeiten heute aber<br />

auch in der Flüchtlingsbetreuung. Wie<br />

sieht Ihre Position in dieser Debatte aus?<br />

Alles steht und fällt mit der richtigen<br />

Betreuung. Schlechte oder nicht wohl -<br />

gesinnte Deutschlehrerinnen haben<br />

auf Schüler mit einer anderen mutter -<br />

sprache einen verheerenden Einfluss.<br />

Wie beurteilen Sie die Chancen von Kin -<br />

dern, die heute ohne Deutsch kennt nisse<br />

hier mit dem Schulbesuch beginnen?<br />

Schwierig zu sagen. Es ist auf alle Fäl le<br />

eine große Herausforderung an Schü -<br />

ler und Lehrer. Einerseits eine Chan ce,<br />

falls dieses Thema bis Schulbeginn<br />

ver nachlässigt worden ist, andererseits<br />

sehr verunsichernd und doppelt<br />

belastend. Zum reibungslosen Schul -<br />

besuch und auch für die weitere<br />

Karriere ist Deutsch absolut unentbehrlich.<br />

Abgesehen davon: es ist<br />

furchtbar, sich nicht so ausdrücken zu<br />

können, wie man möchte, es ist eine<br />

ähnlich heftige Erfahrung wie die Un -<br />

fähigkeit, seine Gefühle vermitteln zu<br />

können.<br />

Welche zusätzliche Bürde wird diesen<br />

Kin dern oft auferlegt?<br />

Oft sind die Kinder die einzigen, die<br />

die neue Sprache beherrschen. Sie<br />

werden dann bei jeder Gelegenheit<br />

von den Eltern als Übersetzer herangezogen.<br />

Damit werden diese Kinder<br />

viel früher erwachsen als andere, sie<br />

werden ins frühe Erwachsen-Werden<br />

hineingezwungen. manchmal führt<br />

das zu einer neurotisierung der Kin -<br />

der. Vielfach führt es zu einer Un -<br />

gleich gewichtung im Familiensystem<br />

– darauf wiederum können die Eltern<br />

neurotisch reagieren.<br />

Sie selbst haben die Integration gut ge -<br />

schafft, jedenfalls von außen betrachtet.<br />

Empfinden Sie das auch so?<br />

Keine Ahnung, das war für mich kein<br />

bewusst angepeiltes Ziel. ich wollte<br />

glücklich sein. Das ist alles. So be trach -<br />

tet, ist es mir immer noch nicht ganz<br />

gelungen.<br />

Was ist aus ihrer Sicht nötig, um überhaupt<br />

von gelungener Integration sprechen zu<br />

können?<br />

Das Gefühl, angekommen zu sein und<br />

dabei auch angenommen worden zu<br />

sein.<br />

Gehört zur Integration auch die Verleug -<br />

nung der Herkunftskultur?<br />

nein, solange die Herkunftskultur<br />

nicht der neuen identität gewaltig im<br />

Weg steht. Auch dann würde ich nicht<br />

die Verleugnung, sondern die modifi -<br />

ka tion sinnvoll finden.<br />

Sie haben nach der Schule Dolmetsch stu -<br />

diert (Russisch und Englisch). Haben Sie<br />

Russisch aus einem Zurück-zu-den Wur -<br />

zeln-Impuls gewählt?<br />

52 August 2009 - Aw/Elul 5769


nein, ich konnte es einfach nur gut. Es<br />

war eine pragmatische Wahl.<br />

Was wollten Sie ursprünglich nach dem<br />

Dolmetsch-Studium beruflich machen?<br />

ich habe schon als Jugendliche die<br />

Schriften meines Vaters und meiner<br />

Großmutter aus dem Russischen ins<br />

Deutsche übersetzt. Das hat mir Spaß<br />

gemacht. mein Ziel war es, Literatur -<br />

dol metsch zu werden.<br />

Gegen Endes des Studiums begannen Sie<br />

dann allerdings mit der Absolvierung des<br />

Psychotherapie-Propädeutikums. Hatten<br />

Sie vor, als Therapeutin zu arbeiten?<br />

Ja, zwei Jahre lang. Dann habe ich ein -<br />

gesehen, dass ich nicht genug Ab stand<br />

halten könnte, zumindest nicht den,<br />

der für mich selbst und für die Klien -<br />

ten gesund wäre. Das Schreiben gibt<br />

im mer noch viele möglichkeiten, im<br />

innersten herumzuwühlen, allerdings<br />

ohne die Verantwortung dafür zu über -<br />

nehmen. Außerordentlich prak tisch.<br />

Parallel dazu begannen Sie auch Ihr Ma -<br />

le reistudium an der Angewandten (Klas se<br />

Rabinowich‘ Debütroman Spaltkopf<br />

KULTUR • INLAND<br />

Christian Ludwig Attersee). Warum er -<br />

folg te diese Kehrtwende?<br />

mein Vater hat gemalt, meine mutter<br />

hat gemalt. ich hatte immer das Ge -<br />

fühl, in dieser Familie eine diplomierte<br />

malerin sein zu müssen.<br />

Wie würden Sie ihre bildnerischen Arbei -<br />

ten beschreiben?<br />

mein Vater arbeitete sehr großflächig<br />

und meist in schwarz-weiß, meine<br />

mutter macht Stilleben. Das fiel für<br />

mich also weg. ich habe begonnen,<br />

sehr farbig zu arbeiten, sehr fleischig,<br />

sehr körperlich. Wenn Sie so wollen:<br />

meine Bilder sind geprägt von einer<br />

unschönen Sinnlichkeit.<br />

Nun schreiben Sie Prosa und Dramen.<br />

Wa rum haben Sie sich von der Malerei<br />

wie der weg- und zur Sprache hinbewegt?<br />

Sprache war immer mein Revier. Da<br />

gibt es keine Vergleiche innerhalb der<br />

Familie.<br />

In „Spaltkopf“ wird auch die jüdische<br />

Herkunft der nach <strong>Wien</strong> emigrierten Fa -<br />

milie thematisiert, die Ablehnung, auf die<br />

Julya Rabinowich lässt in ihrem Debütroman „Spaltkopf“ die siebenjährige Mischka<br />

aus Leningrad abreisen und im siebziger-Jahre-<strong>Wien</strong> ankommen. Wenn man die<br />

Biografie der Autorin mit jener ihrer Protagonistin vergleicht, vermischt sich viel.<br />

Dennoch, betont Ra bi nowich, wird der Leser, wenn er „Spaltkopf“ liest, nicht eins zu<br />

eins das Leben der Autorin vor sich ausgebreitet finden.<br />

Mischkas Eltern sind jüdische Künstler, Intellektuelle. Was in der Sowjetunion verboten<br />

war, wird auch in <strong>Wien</strong> nicht wiederbelebt. Man bekennt sich zum Jüdisch-Sein,<br />

ohne es zu leben. Etwas anders sieht das bei Mischkas Großmutter aus: sie änderte in<br />

der UdSSR ihren Vornamen von Rahel in Ada, ihren Familiennamen von Israilowna in<br />

Igorowna, wandte sich dem Katholizismus zu. Nur so schien ihr im Kommunismus<br />

eine Karriere als Wissenschafterin möglich. Doch auch in <strong>Wien</strong> sammelt sie Ikonen um<br />

sich, besucht re gel mäßig den Stephansdom.<br />

Zwischen diesen und weiteren Welten wächst Mischka auf. Der Alltag in einer öffentlichen<br />

ös terreichischen Schule trifft auf die häusliche, intellektuelle Atmosphäre. Wenn<br />

sich der Vater in sein Atelier zurückzieht, haben Mutter und Großmutter das Sagen,<br />

bald kommt eine kleine Schwester hinzu. Mischka schlägt sich gut in der Außenwelt<br />

und schlecht inner halb der Familie. Als Jugendliche wird sie zur Rebellin, steigt in die<br />

Punkszene der achtziger Jahre ein.<br />

Begleitet wird Mischka vom Spaltkopf, einer Schöpfung der Autorin, die jedoch als russische<br />

Tradition präsentiert wird. Mit dem Spaltkopf werden kleine Kinder in Zaum<br />

gehalten und auch Heranwachsenden ist er nicht egal. Wer den Spaltkopf sehen kann,<br />

so scheint es, hat sein Leben im Griff. Wird Mischka dem Spaltkopf jemals begegnen?<br />

Der Roman zeigt am Beispiel Mischkas, wie sich Emigration und Heimat-Verlust aus<br />

Sicht eines Kindes anfühlen, aber auch, wie Integration funktionieren kann. Neues<br />

Spiel, neues Glück. Mischka hat ihres gemeistert. Ihr dabei zuzuschauen, ist pures<br />

Lesevergnügen.<br />

Julya Rabinowich<br />

Spaltkopf0<br />

Roman<br />

edition exil • ISBN 978 3 901899 33 1<br />

Zu beziehen über: www.editionexil.at<br />

die Familie in Leningrad auf Grund der<br />

jü dischen Herkunft stieß, das Ablegen der<br />

jüdischen Identität der Großmutter. Wie<br />

sehr spiegelt die im Buch beschriebene Hal -<br />

tung die tatsächliche religiöse Situation<br />

ihrer Familie wider? Wie wurde Religion<br />

hier in <strong>Wien</strong> in der Familie gehandhabt?<br />

Religion wurde hier in <strong>Wien</strong> genauso<br />

gehandhabt wie in der Sowjetunion:<br />

sie fand nicht statt.<br />

Wann und wie haben Sie erfahren, dass<br />

Sie Jüdin sind?<br />

irgendwann in Russland, sicher be vor<br />

ich sechs Jahre alt war. ich muss<br />

wahrscheinlich vier oder fünf gewesen<br />

sein, und meine Eltern haben sich über<br />

die Freunde der Familie unterhalten,<br />

dabei ist das Wort „Jude“ gefallen,<br />

und ich rückte mit der netten Frage<br />

an, die auch im Buch vorkommt.<br />

Haben Sie in der Schule einen Religio ns -<br />

un terricht besucht und wenn ja, welchen?<br />

Den katholischen. Da bin ich aber auch<br />

relativ schnell geflohen.<br />

Was bedeutet das Judentum für Sie?<br />

ich fühle mich zugehörig – interessanterweise<br />

vor allem dann, wenn je -<br />

mand auf Grund seines Judentums in<br />

Bedrängnis gerät. Auch in meinen Arbeiten<br />

spielt das Thema immer wieder<br />

eine Rolle, etwa in „Orpheus im<br />

nestroyhof“. Und auch in einem neu -<br />

en Stück, an dem ich gerade ar beite,<br />

wird das Jüdischsein thematisiert.<br />

Gibt es jüdische Feste, die Sie feiern?<br />

Leider nein. ich habe ja keine kennengelernt.<br />

Haben Sie jemals ein Interesse verspürt,<br />

sich religiöses Wissen beziehungsweise<br />

Wis sen, wie und warum Feste wie Rosch<br />

HaSchana oder Pessach gefeiert werden,<br />

anzueignen?<br />

Bis jetzt nicht. ich schließe aber nicht<br />

aus, dass es noch passieren wird.<br />

Sie sind Mutter einer 13-jährigen Tochter.<br />

Was geben Sie Ihr in Bezug auf Religion<br />

weiter?<br />

ich denke, sie soll frei darüber ent -<br />

schei den können, welche Religions form<br />

ihr am geeignetsten erscheinen wird.<br />

Solange sie sich wohl fühlt und sich<br />

in ihrer Form Kraft holen kann, ohne<br />

andere zu verurteilen, zu schädigen<br />

oder auszugrenzen, ist mir eigentlich<br />

alles recht. im moment halten wir bei<br />

einer Art naturverehrung. -><br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 53


-> Was ist Ihnen abgesehen von Religion<br />

für Ihr Kind wichtig, welche Werte wollen<br />

Sie Ihrer Tochter vermitteln?<br />

Sich zu vertrauen, keine Angst zu ha -<br />

ben, aber auch nicht überheblich zu<br />

werden, eine Art ruhiger Gewissheit,<br />

ihren Wert zu kennen und sich und<br />

anderen vertrauen zu können. Gren -<br />

zen setzen, wenn es erforderlich ist.<br />

Und das Wissen, alles werden zu<br />

können, was sie möchte.<br />

Wie in „Spaltkopf“ zu lesen ist, hatten Sie<br />

eine rebellische Jugend, lebten eine Zeit<br />

lang als Punk. Was ist davon geblieben?<br />

nun ja. in hierarchischen Situationen<br />

reitet mich ab und zu der Teufel …<br />

Hoffen oder fürchten Sie, dass Ihr Kind<br />

ebenfalls rebellieren wird?<br />

Hmmm. Wenn sie gegen mich rebellieren<br />

wollte, müsste sie vermutlich<br />

sehr konservativ werden. Wir werden<br />

sehen, alles ist möglich.<br />

In „Spaltkopf“ beschreiben Sie die Fa mi -<br />

lie als Familie der starken Frauen. Sehen<br />

Sie sich selbst auch als starke Frau?<br />

ich würde es so sagen: ich bin ein starker<br />

mensch – und eine sehr blöde<br />

Frau.<br />

Wie macht sich diese Stärke bemerkbar?<br />

ich denke, ich sage recht deutlich, was<br />

meine meinung ist, halte den Unab -<br />

hän gigkeitsanspruch in der Kunst für<br />

unentbehrlich und bin auch bereit, für<br />

beides zu kämpfen. Und für mein Kind.<br />

ZUR PERSON<br />

Julya Rabinowich, geb. 1970 im damaligen<br />

Leningrad, „1977 entwurzelt und<br />

umgetopft nach <strong>Wien</strong>“ (Zitat Rabinowich).<br />

Nach der Matura 1993 bis 1996 Dol -<br />

metsch studium an der Uni <strong>Wien</strong> (Rus -<br />

sisch und Englisch), 1995 Geburt ihrer<br />

Tocher. 1996 bis 1998 Propädeutikum<br />

(Vor bereitung auf eine Ps ychotherapie-<br />

Aus bildung), 1998 bis 2006 Malerei-Klas -<br />

se an der Uni für An ge wandte Kunst.<br />

Arbeitet in der Flüchtlingsbetreuung als<br />

Dol metscherin bei Psychiatrie- und Psy -<br />

chotherapiesitzungen.<br />

Parallel schriftstellerisch tätig, Veröffent -<br />

li chungen in Anthologien. 2007 wird das<br />

Stück „nach der Grenze“ im WUK uraufgeführt.<br />

2008 kommt „Romeo + Julia“ im<br />

Schauspielhaus zur Aufführung. Für den<br />

Nestroyhof schrieb sie „Orpheus im Nes -<br />

troyhof“.<br />

Für ihren ebenfalls 2008 er schie nenen<br />

Debütroman „Spaltkopf“ wurde sie jüngst<br />

mit dem Rauriser Litera turpreis ausgezeichnet.<br />

KULTUR • INLAND<br />

Josef Burg 1905-<br />

2009<br />

Der geborene Ös -<br />

ter reicher und letzte<br />

jiddische Dichter<br />

der Ukra ine Josef<br />

Burg verstarb nach<br />

ei nem Schlag an fall<br />

am 10. August 2009,<br />

in seiner Woh nung<br />

in Czer nowitz (heu -<br />

te Cher niv t si) in<br />

der ehemaligen Landhausgasse im<br />

98. Le bensjahr. mit ihm geht – und in<br />

diesem Fall stimmt das vielstrapazierte<br />

Klischee - eine Ära zu Ende.<br />

Der letzte Höhepunkt im langen Leben<br />

des Ehrenbürgers der Stadt Czer -<br />

no witz war die Erfüllung eines oft ge -<br />

äußerten Wunsches, die Verlei hung<br />

eines namhaften Literaturpreises.<br />

Anfang mai 2009 überreichte Erhard<br />

Busek, der ihn als Vizekanzler nach Öff -<br />

nung des Eisernen Vorhanges als ers ter<br />

nach Österreich eingeladen hat te,<br />

und Marianne Gruber, die Präsi den tin<br />

der Österreichischen Gesell schaft für<br />

Literatur, dem Autor den Preis in seiner<br />

Wohnung, die er aus Gesund heits -<br />

gründen seit Jahren nicht mehr verlassen<br />

hatte können. Am 15. mai fand<br />

in Krems-Stein die offizielle Preisver -<br />

leihung stand. Laudator war sein oftmaliger<br />

Übersetzer aus dem Jiddi -<br />

schen, Armin Eidherr, und aus dem<br />

Werk Josef Burgs („Der Zaddik“) las<br />

sein langjähriger Freund und Un ter -<br />

stützer Felix Mitterer.<br />

<strong>Die</strong> hier angefügte Kurzbiographie verzeichnete<br />

folgende Stationen des Schrift -<br />

stellers, dessen gepflegtes alt ös terrei chi -<br />

sches Deutsch den Ger ma nisten Schmidt-<br />

Dengler stets begeis terte:<br />

<strong>Die</strong> Österreichisch-Israelische Gesellschaft in Zusammenarbeit mit SPME<br />

Brigadegeneral a.D.<br />

Ephraim Lapide<br />

Geheimdienstoffizier der IDF<br />

Josef Burg, 30.5.1912 (Wisch nitz/Bu -<br />

ko wina) - 10.8.2009 (Czer nowitz).<br />

Schule und Leh rer seminar des „Jüdi -<br />

schen Schul-Ver eins” in Czer no witz.<br />

1934 erste Er zäh lung in der jiddischen<br />

Zeitschrift ‘tscher nowizer bleter’.<br />

1935-38 Studium der Germanis tik in<br />

<strong>Wien</strong>. Bekanntschaft mit den jid di -<br />

schen Au to ren Mendel Neugrö schel, Ber<br />

Horo witz, Melech Rawitsch. 1941 Flucht<br />

in die Sow jet union. Deutsch leh rer in<br />

der Wolga deut schen Repu blik und<br />

Hoch schul leh rer in iwa nowo. 1959<br />

Rück kehr ins mittlerweile ukrainische<br />

Czernowitz. Lehrer und freier Schrift -<br />

steller; seine Erzählungen werden in<br />

der seit 1961 in moskau erschei nen den<br />

jiddischen Zeitschrift ‘ssowetisch hejm -<br />

land’, aber auch in den USA, in israel<br />

und Po len veröffentlicht. Ab 1990 gab<br />

er in Czer no witz eine jiddische mo -<br />

nats zeitschrift unter dem na men der<br />

1938 zwangseingestellten ‘tschernowizer<br />

bleter’ heraus.<br />

Zu seinem 80. Geburtstag wurde in<br />

Czer no witz eine Festschrift zu seinen<br />

Ehren veröffentlicht. 1992 erhielt er den<br />

israelischen Segal-Preis für Litera tur,<br />

1993 wur de ihm der Ehrentitel „Ver -<br />

dienter Kulturschaffenderder U kra i ne”,<br />

1997 das Österreichische Ehrenkreuz für<br />

Wissenschaft und Kunst I. Klasse verliehen.<br />

Burgs Werke er scheinen, übersetzt<br />

von Beate Petras und Armin Eid herr, seit<br />

2004 in der Reihe „Der Er zäh ler Josef<br />

Burg” im Verlag Hans Boldt, Win sen/<br />

Luhe (BRD).<br />

Josef Burg nahm am 2. mai in sei ner<br />

Wohn ung in Czernowitz den The o dor<br />

Kra mer Preis entgegen. Er empfing die<br />

Dele gation am Schreibtisch sit zend in<br />

blauem Anzug und be dankte sich in<br />

einer halbstündigen, frei ge hal tenen<br />

An sprache. Th. Kramer Gesellschaft<br />

W 1-2/2009, Juli 2009<br />

ISRAEL - eine Geschichte von Demokratie und Terror<br />

Montag, 7. September, um19.00 Uhr<br />

Vortrag in den Räumlichkeiten des "Club Cuvée"<br />

Wipplingerstr. 29, I. Stock, 1010 <strong>Wien</strong><br />

Anmeldung unter info@oeig oder Tel: 01/405 66 83<br />

Wir danken Dr. Ralph Vallon für die Unterstützung und Gastfreundschaft!<br />

54 August 2009 - Aw/Elul 5769


KULTUR • INLAND<br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 55


GOTTESDIENSTE<br />

ZU DEN HOHEN FEIERTAGEN 5770/2009<br />

<strong>Wien</strong>er Stadttempel und <strong>Gemeinde</strong>zentrum<br />

<strong>Die</strong> Ausgabe der Eintrittskarten für den Stadttempel und das <strong>Gemeinde</strong>zentrum erfolgt:<br />

Montag, 7. September 2009 bis<br />

Freitag, 18. September 2009<br />

(Erev Rosch Haschanah)<br />

Montag bis Donnerstag:<br />

9.00 – 16.00 Uhr und nach Vereinbarung<br />

Freitag und Erev Rosch Haschanah:<br />

9.00 – 12.00 Uhr<br />

in 1010 <strong>Wien</strong>, Seitenstettengasse 4<br />

IN DEN RÄUMEN DES MITGLIEDERSERVICE<br />

Parterre links<br />

Sollten Sie Ihre Karten außerhalb der Verkaufszeiten abholen wollen, ersuchen wir um<br />

telefonische Voranmeldung. <strong>Die</strong>s erspart Ihnen Wartenzeiten beim Eingang!<br />

Besitzer von Stammplätzen, sowie andere regelmäßige Tempelbesucher<br />

werdenrechtzeitig mit einem individuellen Brief-Fragebogen angeschrieben.<br />

Jene, die Stammplätze haben, werden gebeten, ihre Karten spätestens<br />

bis Montag, 14. September 2009,<br />

zu reservieren bzw. abzuholen.<br />

Nicht beanspruchte Plätze gelangen anschließend zum freien Verkauf.<br />

Ihre Ansprechpartner sind:<br />

Natalia Najder 01/531 04-170, Sylvia Toegel DW 171 und Avi Kihinashvili, DW 190<br />

Gerne bringen wir an Ihrem Platz gegen Entrichtung eines Kostenbeitrages<br />

von Euro 90,- ein Namensschild an.<br />

Bitte, geben Sie Ihren diesbezüglichen Wunsch bei der Bestellung der Karte bekannt.<br />

Ein Kartenkauf Ihrerseits ist ein Solidaritätsbeweis jenen gegenüber, die schon seit Jahren ihren Beitrag zu<br />

den beträchtlichen Aufwendungen für die Erhaltung des Stadttempels leisten. Wir bitten Sie daher, Ihrer<br />

Solidaritätspflicht nachzukommen und sich eine Eintrittskarte – auch eine Steh platz karte – im Tempel zu<br />

sichern! Vielen Dank!<br />

MASKIR-ANDACHT JOM KIPPUR<br />

All jene, die über keine Eintrittskarten verfügen, können der<br />

Maskirandacht am Jom Kippur auch ohne Eintrittskarten beiwohnen.

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