Die Gemeinde - Israelitische Kultusgemeinde Wien
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An diesem montag wirkt Alexander<br />
Phoundoulakis ein wenig genervt, zu -<br />
mindest angespannt. Er ist der Ver wal -<br />
tungssekretär der „Etz-Hayyim-Syna -<br />
go ge“ in Chania auf Kreta.<br />
normalerweise lässt er sich nicht leicht<br />
aus der Ruhe bringen, doch an diesem<br />
Tag haben sich mehr Be su cher als<br />
gewöhnlich in der kleinen Sy nagoge<br />
eingestellt. Der Synago gen raum ist<br />
bei nahe vollständig ausgefüllt mit iw -<br />
rith sprechenden Gästen, es ist unruhig,<br />
und immer neue Fra gen werden<br />
gestellt. Es liegt gerade drei Jahre zu -<br />
rück, dass sich Phoundou la kis ausschließlich<br />
mit nichtjüdischen Dingen<br />
als Kaufmann betätigt hat und nicht<br />
den Unterschied zwischen „Kid dusch“<br />
und „Kol nidre“ kannte. in den drei<br />
Jahren seither hat er sich mit den kom -<br />
plizierten Problemen jü discher Religi -<br />
on und der chaniotischen Synagoge<br />
ver traut gemacht. nur wenn man ihn<br />
nach dem Geheimnis eines koscheren<br />
Ouzo fragt, muss er passen und auf<br />
sei nen Chef nikos verweisen.<br />
<strong>Die</strong> „Etz-Hayyim-Synagoge“, ist die<br />
letzte von einstmals zwei Synagogen<br />
in Chania und weiterer jüdischer Got -<br />
teshäuser – allein in Heraklion gab es<br />
vier - der griechischen insel Kreta.<br />
Während es gegenwärtig auf Rhodos<br />
und Korfu kleine in der Existenz be -<br />
droh te jüdische <strong>Gemeinde</strong>n gibt, ist<br />
die Situation auf Kreta noch extremer,<br />
zugleich jedoch auch hoffnungsvoller:<br />
Eigentlich bildet das Häuflein der<br />
übrig gebliebenen Juden in Chania im<br />
nord-Westen Kretas, wo um 1900<br />
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Doppelte Diaspora<br />
Auch ohne <strong>Gemeinde</strong> gibt es<br />
jüdisches Leben auf Kreta<br />
noch die meisten der über 1.100 kretischen<br />
Juden lebten, keine eigentlich<br />
Ge meinde („Kahal“/“Kehilla“) im<br />
halachischen Sinne. Selbst wenn man<br />
die vier weiteren Juden der insel Kre ta,<br />
die sich auf die Städte Rethymnon<br />
und Heraklion verteilen, hinzurechnet,<br />
reicht es nicht mal für einen ordentlichen<br />
Gottesdienst und ein gemeinsames<br />
Beten. Doch die <strong>Gemeinde</strong> weiß<br />
einen Ausweg: „Wir sind zwar nur sieben<br />
Juden in Chania“, erläutert nikolas<br />
Hannan-Stavroulakis multiethnischen<br />
und religiösen Bedürfnissen der Zeit<br />
entsprechend seinen Standpunkt, „aber<br />
es gibt hier eine gute Anzahl von Leuten<br />
anderen Glaubens, die unsere Werte teilen<br />
und unseren Gottesdienst be suchen – wie<br />
Griechen, Orthodoxe, rö mische Ka tho -<br />
liken und Muslime und so haben wir eine<br />
Gemeinschaft besonderer Art“. <strong>Die</strong> Ge -<br />
meinde versteht sich durchaus nicht<br />
als sektiererisch, ist gleichwohl überzeugt,<br />
dass auch für nichtjuden,<br />
ebenfalls Kinder israels (Jakobs), die<br />
Einzigartigkeit Gottes Gül tigkeit be -<br />
sitzt. man könne also zu sammen über<br />
alle religiösen Schran ken hinweg oh -<br />
ne Zwang Beten.<br />
So gibt es also in Chania ein durchgängiges<br />
jüdisch-religiöses Leben: Je -<br />
den morgen um neun Uhr gibt es ei ne<br />
„Schachrit“, ein morgengebet. Got tes -<br />
dienste finden beinahe ganzjährig je -<br />
den Freitagabend nach Sonnenunter -<br />
gang statt, dazu ein Hawdala-Service<br />
samstags auch nach Sonnenunter gang.<br />
Wer diese religiösen <strong>Die</strong>nste in An -<br />
spruch nimmt, das sind die vielen jü di -<br />
schen Touristen aus der ganzen Welt,<br />
die meisten aus israel. nicholas Han -<br />
nan-Stavroulakis spricht in diesem Zu -<br />
sammenhang von einer „ad hoc-Ge -<br />
meinde“.<br />
Es ist gerade eine Woche her, dass sich<br />
ein Athener Paar in der „Etz Hayyim-<br />
Synagoge“ hat trauen lassen. <strong>Die</strong><br />
nächste jüdische Hochzeit ist bereits<br />
Text & Fotos L. Joseph Heid<br />
terminiert, ein tschechisches Paar hat<br />
sich angemeldet. <strong>Die</strong> beiden haben<br />
nicht einmal griechische Wurzeln, son -<br />
dern waren bei einem Besuch Cha nias<br />
von dem Charme der Synagoge eingefangen.<br />
Rabbiner Nicholas de Lange, in<br />
seinem bürgerlichen Leben Professor<br />
für Jüdische Studien an der Universi tät<br />
von Cambridge, Herausgeber des Bul -<br />
letins für Judeo-Griechische Stu dien<br />
und „semi-resident“ Rabbi in Cha nia,<br />
findet sich ein, um die Trau ung zu<br />
voll ziehen. Er leitet auch die Got tes -<br />
dienste an den Hohen Feier ta gen.<br />
man muss schon in den verwinkelten<br />
Gässchen der Altstat von Chania su -<br />
chen, um die Synagoge zu finden. Vor<br />
dem letzten Krieg, bevor die Deut -<br />
schen kamen, gab es noch ein regelrechtes<br />
jüdisches Viertel mit Geschäf -<br />
ten, einer Schule, Wohnhäuser für die<br />
etwa dreihundert Juden Chanias und<br />
eine aus dem frühen 16. Jahrhundert<br />
stammende Synagoge - die zuvor ei -<br />
ne Kirche gewesen war – und nach<br />
dem sephardischen und portugiesischen<br />
Ritus geführt wird, der hier „Ro -<br />
maniot“ genannt wird. Der Aus druck<br />
„romaniotisch“ bezeichnet da bei grie -<br />
chisch-römische und by zan ti nische<br />
Ju den und deren nachkom men. Zur<br />
Synagoge gehört eine - dank seiner<br />
soliden, durch Tonnen ge wölbe ab ge -<br />
schlossene Konstruktion, glücklicherweise<br />
unbeschadet erhalten ge blie bene<br />
- mikwe. Das „lebendige“ Was ser des<br />
Tauchbades wird aus Berg quellen ge -<br />
speist. <strong>Die</strong> Bezeich nung „le bendiges<br />
Wasser“ ist durchaus wört lich zu nehmen<br />
und die kretischen Juden rechnen<br />
es sich zum Stolz an, über die kälteste<br />
mikwe Europas zu verfügen.<br />
<strong>Die</strong> Einrichtung der Synagoge ist<br />
schlicht, die Bima ist in westlicher, der<br />
Aron Hakodesch, der Thora schrein ist<br />
in östlicher Richtung angeordnet. <strong>Die</strong><br />
Anordnung des Gestühls lässt die<br />
Gottesdienstteilnehmer einander ge -<br />
gen über sitzen, in langen Sitzreihen<br />
46 August 2009 - Aw/Elul 5769