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Die Gemeinde - Israelitische Kultusgemeinde Wien

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nein, ich konnte es einfach nur gut. Es<br />

war eine pragmatische Wahl.<br />

Was wollten Sie ursprünglich nach dem<br />

Dolmetsch-Studium beruflich machen?<br />

ich habe schon als Jugendliche die<br />

Schriften meines Vaters und meiner<br />

Großmutter aus dem Russischen ins<br />

Deutsche übersetzt. Das hat mir Spaß<br />

gemacht. mein Ziel war es, Literatur -<br />

dol metsch zu werden.<br />

Gegen Endes des Studiums begannen Sie<br />

dann allerdings mit der Absolvierung des<br />

Psychotherapie-Propädeutikums. Hatten<br />

Sie vor, als Therapeutin zu arbeiten?<br />

Ja, zwei Jahre lang. Dann habe ich ein -<br />

gesehen, dass ich nicht genug Ab stand<br />

halten könnte, zumindest nicht den,<br />

der für mich selbst und für die Klien -<br />

ten gesund wäre. Das Schreiben gibt<br />

im mer noch viele möglichkeiten, im<br />

innersten herumzuwühlen, allerdings<br />

ohne die Verantwortung dafür zu über -<br />

nehmen. Außerordentlich prak tisch.<br />

Parallel dazu begannen Sie auch Ihr Ma -<br />

le reistudium an der Angewandten (Klas se<br />

Rabinowich‘ Debütroman Spaltkopf<br />

KULTUR • INLAND<br />

Christian Ludwig Attersee). Warum er -<br />

folg te diese Kehrtwende?<br />

mein Vater hat gemalt, meine mutter<br />

hat gemalt. ich hatte immer das Ge -<br />

fühl, in dieser Familie eine diplomierte<br />

malerin sein zu müssen.<br />

Wie würden Sie ihre bildnerischen Arbei -<br />

ten beschreiben?<br />

mein Vater arbeitete sehr großflächig<br />

und meist in schwarz-weiß, meine<br />

mutter macht Stilleben. Das fiel für<br />

mich also weg. ich habe begonnen,<br />

sehr farbig zu arbeiten, sehr fleischig,<br />

sehr körperlich. Wenn Sie so wollen:<br />

meine Bilder sind geprägt von einer<br />

unschönen Sinnlichkeit.<br />

Nun schreiben Sie Prosa und Dramen.<br />

Wa rum haben Sie sich von der Malerei<br />

wie der weg- und zur Sprache hinbewegt?<br />

Sprache war immer mein Revier. Da<br />

gibt es keine Vergleiche innerhalb der<br />

Familie.<br />

In „Spaltkopf“ wird auch die jüdische<br />

Herkunft der nach <strong>Wien</strong> emigrierten Fa -<br />

milie thematisiert, die Ablehnung, auf die<br />

Julya Rabinowich lässt in ihrem Debütroman „Spaltkopf“ die siebenjährige Mischka<br />

aus Leningrad abreisen und im siebziger-Jahre-<strong>Wien</strong> ankommen. Wenn man die<br />

Biografie der Autorin mit jener ihrer Protagonistin vergleicht, vermischt sich viel.<br />

Dennoch, betont Ra bi nowich, wird der Leser, wenn er „Spaltkopf“ liest, nicht eins zu<br />

eins das Leben der Autorin vor sich ausgebreitet finden.<br />

Mischkas Eltern sind jüdische Künstler, Intellektuelle. Was in der Sowjetunion verboten<br />

war, wird auch in <strong>Wien</strong> nicht wiederbelebt. Man bekennt sich zum Jüdisch-Sein,<br />

ohne es zu leben. Etwas anders sieht das bei Mischkas Großmutter aus: sie änderte in<br />

der UdSSR ihren Vornamen von Rahel in Ada, ihren Familiennamen von Israilowna in<br />

Igorowna, wandte sich dem Katholizismus zu. Nur so schien ihr im Kommunismus<br />

eine Karriere als Wissenschafterin möglich. Doch auch in <strong>Wien</strong> sammelt sie Ikonen um<br />

sich, besucht re gel mäßig den Stephansdom.<br />

Zwischen diesen und weiteren Welten wächst Mischka auf. Der Alltag in einer öffentlichen<br />

ös terreichischen Schule trifft auf die häusliche, intellektuelle Atmosphäre. Wenn<br />

sich der Vater in sein Atelier zurückzieht, haben Mutter und Großmutter das Sagen,<br />

bald kommt eine kleine Schwester hinzu. Mischka schlägt sich gut in der Außenwelt<br />

und schlecht inner halb der Familie. Als Jugendliche wird sie zur Rebellin, steigt in die<br />

Punkszene der achtziger Jahre ein.<br />

Begleitet wird Mischka vom Spaltkopf, einer Schöpfung der Autorin, die jedoch als russische<br />

Tradition präsentiert wird. Mit dem Spaltkopf werden kleine Kinder in Zaum<br />

gehalten und auch Heranwachsenden ist er nicht egal. Wer den Spaltkopf sehen kann,<br />

so scheint es, hat sein Leben im Griff. Wird Mischka dem Spaltkopf jemals begegnen?<br />

Der Roman zeigt am Beispiel Mischkas, wie sich Emigration und Heimat-Verlust aus<br />

Sicht eines Kindes anfühlen, aber auch, wie Integration funktionieren kann. Neues<br />

Spiel, neues Glück. Mischka hat ihres gemeistert. Ihr dabei zuzuschauen, ist pures<br />

Lesevergnügen.<br />

Julya Rabinowich<br />

Spaltkopf0<br />

Roman<br />

edition exil • ISBN 978 3 901899 33 1<br />

Zu beziehen über: www.editionexil.at<br />

die Familie in Leningrad auf Grund der<br />

jü dischen Herkunft stieß, das Ablegen der<br />

jüdischen Identität der Großmutter. Wie<br />

sehr spiegelt die im Buch beschriebene Hal -<br />

tung die tatsächliche religiöse Situation<br />

ihrer Familie wider? Wie wurde Religion<br />

hier in <strong>Wien</strong> in der Familie gehandhabt?<br />

Religion wurde hier in <strong>Wien</strong> genauso<br />

gehandhabt wie in der Sowjetunion:<br />

sie fand nicht statt.<br />

Wann und wie haben Sie erfahren, dass<br />

Sie Jüdin sind?<br />

irgendwann in Russland, sicher be vor<br />

ich sechs Jahre alt war. ich muss<br />

wahrscheinlich vier oder fünf gewesen<br />

sein, und meine Eltern haben sich über<br />

die Freunde der Familie unterhalten,<br />

dabei ist das Wort „Jude“ gefallen,<br />

und ich rückte mit der netten Frage<br />

an, die auch im Buch vorkommt.<br />

Haben Sie in der Schule einen Religio ns -<br />

un terricht besucht und wenn ja, welchen?<br />

Den katholischen. Da bin ich aber auch<br />

relativ schnell geflohen.<br />

Was bedeutet das Judentum für Sie?<br />

ich fühle mich zugehörig – interessanterweise<br />

vor allem dann, wenn je -<br />

mand auf Grund seines Judentums in<br />

Bedrängnis gerät. Auch in meinen Arbeiten<br />

spielt das Thema immer wieder<br />

eine Rolle, etwa in „Orpheus im<br />

nestroyhof“. Und auch in einem neu -<br />

en Stück, an dem ich gerade ar beite,<br />

wird das Jüdischsein thematisiert.<br />

Gibt es jüdische Feste, die Sie feiern?<br />

Leider nein. ich habe ja keine kennengelernt.<br />

Haben Sie jemals ein Interesse verspürt,<br />

sich religiöses Wissen beziehungsweise<br />

Wis sen, wie und warum Feste wie Rosch<br />

HaSchana oder Pessach gefeiert werden,<br />

anzueignen?<br />

Bis jetzt nicht. ich schließe aber nicht<br />

aus, dass es noch passieren wird.<br />

Sie sind Mutter einer 13-jährigen Tochter.<br />

Was geben Sie Ihr in Bezug auf Religion<br />

weiter?<br />

ich denke, sie soll frei darüber ent -<br />

schei den können, welche Religions form<br />

ihr am geeignetsten erscheinen wird.<br />

Solange sie sich wohl fühlt und sich<br />

in ihrer Form Kraft holen kann, ohne<br />

andere zu verurteilen, zu schädigen<br />

oder auszugrenzen, ist mir eigentlich<br />

alles recht. im moment halten wir bei<br />

einer Art naturverehrung. -><br />

August 2009 - Aw/Elul 5769 53

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