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Die Gemeinde - Israelitische Kultusgemeinde Wien

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In Ihrem Roman „Spaltkopf“ emigriert<br />

eine jüdische Familie in den siebziger Jah -<br />

ren nach <strong>Wien</strong>. <strong>Die</strong> Großmutter, eine<br />

Kunst historikerin, ist dabei in den Ka tho li -<br />

zismus gekippt. Der Vater ist Maler und<br />

verstirbt viel zu früh bei einem Besuch in<br />

der alten Heimat Leningrad. In <strong>Wien</strong> ver -<br />

bleiben Großmutter, Mutter, die Erzäh le -<br />

rin, eine jüngere Schwester. Wie autobiografisch<br />

beziehungsweise wie fiktiv ist der<br />

Roman?<br />

Der Beginn ist sehr autobiographisch,<br />

dann gibt es irgendwo eine Abzwei -<br />

gung, wo vieles nicht mehr übereinstimmt.<br />

Es ist wie ein Teppich, für den<br />

man ein Grundmuster hat, ihn dann<br />

aber weiter gestaltet. Es ist also weder<br />

alles real noch alles fiktiv. Der mann<br />

etwa, den mischka schließlich heiratet,<br />

ist im Buch ganz anders geschildert<br />

als der Vater meiner Tochter. Hier<br />

gibt es keine Übereinstimmung, auch<br />

wenn beide Verbindungen schließlich<br />

gescheitert sind.<br />

Wie haben Ihre nächsten Verwandten – vor<br />

allem Ihre Mutter, Ihre Schwester –<br />

„Spaltkopf“ aufgenommen?<br />

meine mutter hat eigentlich fast am<br />

ent spanntesten und begeistertsten<br />

von allen nahen Verwandten reagiert,<br />

meine Schwester hat das Buch zwar<br />

als erste erworben, hat es aber, glaube<br />

ich, immer noch nicht gelesen. ich<br />

fürchte, sie wartet auf die Verfilmung.<br />

Sie sind 1970 geboren und 1977 nach <strong>Wien</strong><br />

gekommen. Haben Sie tatsächlich noch<br />

aktive Erinnerungen an Leningrad/St.<br />

Pe terburg aus Ihrer Kindheit?<br />

Sicherlich. Teile dieser teilweise sogar<br />

sehr lebendig-bunten Erinnerungen<br />

sind auch ins Buch eingeflossen.<br />

Wie haben Sie als Kind das Ankommen in<br />

<strong>Wien</strong> erlebt?<br />

Überwältigend, reizvoll - vor allem<br />

das marmorklo am Flughafen, in dem<br />

ich mich allerdings übergeben muss te,<br />

KULTUR • INLAND<br />

„Sprache war immer<br />

mein Revier“<br />

Julya Rabinowich wanderte als Sieben jäh rige mit ihrer<br />

Familie aus der Sowjet union aus und wuchs in <strong>Wien</strong><br />

auf. „<strong>Die</strong> <strong>Gemeinde</strong>“ sprach mit der Schriftstel le rin,<br />

Übersetzerin und Malerin über ihr Ro mandebüt,<br />

Integration und ihr Judentum.<br />

VON ALEXIA WEISS<br />

und der Kaugummiautomat auf der<br />

Alserbachstraße.<br />

Wie haben Sie die ersten Monate in der<br />

Volksschule erlebt?<br />

ich hatte eine wunderbare Lehrerin.<br />

Und es ist mir ein Anliegen, immer,<br />

wenn ich nach meiner Schulzeit ge -<br />

fragt werde, darauf hinzuweisen, denn<br />

nur mit so engagierten Lehrern haben<br />

Kinder, die erst hier Deutsch erlernen,<br />

wirklich eine Chance.<br />

Wie lange hat es gebraucht, bis Sie sich flüs -<br />

sig mündlich verständigen konnten, wie<br />

lange, bis Sie fehlerfrei Deutsch schreiben<br />

konnten?<br />

<strong>Die</strong> ersten monate war ich natürlich<br />

mit Schweigen gestraft, bis zu einem<br />

von meinen Eltern erzwungenen Ferienheimaufenthalt,<br />

der mich zu in ten -<br />

siver Zeichensprache gezwungen hat,<br />

die allmählich in nur Sprache übergegangen<br />

ist. <strong>Die</strong> Hälfte der Zeit saß ich<br />

allerdings weinend oder fressend bei<br />

der Heimköchin in der Küche. Dann<br />

wieder würde ich sagen, es hat ungefähr<br />

bis zur zweiten Klasse mittel schu -<br />

le gedauert, fast bis zur dritten, da war<br />

ich dann allerdings Klassenbeste. Dabei<br />

ist es dann geblieben.<br />

Derzeit wird ja öffentlich heftig über das<br />

Ni veau öffentlicher Schulen diskutiert,<br />

über Klassen, die zu mehr als der Hälfte aus<br />

Kindern bestehen, deren Muttersprache<br />

nicht Deutsch ist. Sie selbst haben Deutsch<br />

erst hier in der Schule erlernt und kürzlich<br />

den re nommierten Rauriser Literatur -<br />

preis gewon nen. Sie arbeiten heute aber<br />

auch in der Flüchtlingsbetreuung. Wie<br />

sieht Ihre Position in dieser Debatte aus?<br />

Alles steht und fällt mit der richtigen<br />

Betreuung. Schlechte oder nicht wohl -<br />

gesinnte Deutschlehrerinnen haben<br />

auf Schüler mit einer anderen mutter -<br />

sprache einen verheerenden Einfluss.<br />

Wie beurteilen Sie die Chancen von Kin -<br />

dern, die heute ohne Deutsch kennt nisse<br />

hier mit dem Schulbesuch beginnen?<br />

Schwierig zu sagen. Es ist auf alle Fäl le<br />

eine große Herausforderung an Schü -<br />

ler und Lehrer. Einerseits eine Chan ce,<br />

falls dieses Thema bis Schulbeginn<br />

ver nachlässigt worden ist, andererseits<br />

sehr verunsichernd und doppelt<br />

belastend. Zum reibungslosen Schul -<br />

besuch und auch für die weitere<br />

Karriere ist Deutsch absolut unentbehrlich.<br />

Abgesehen davon: es ist<br />

furchtbar, sich nicht so ausdrücken zu<br />

können, wie man möchte, es ist eine<br />

ähnlich heftige Erfahrung wie die Un -<br />

fähigkeit, seine Gefühle vermitteln zu<br />

können.<br />

Welche zusätzliche Bürde wird diesen<br />

Kin dern oft auferlegt?<br />

Oft sind die Kinder die einzigen, die<br />

die neue Sprache beherrschen. Sie<br />

werden dann bei jeder Gelegenheit<br />

von den Eltern als Übersetzer herangezogen.<br />

Damit werden diese Kinder<br />

viel früher erwachsen als andere, sie<br />

werden ins frühe Erwachsen-Werden<br />

hineingezwungen. manchmal führt<br />

das zu einer neurotisierung der Kin -<br />

der. Vielfach führt es zu einer Un -<br />

gleich gewichtung im Familiensystem<br />

– darauf wiederum können die Eltern<br />

neurotisch reagieren.<br />

Sie selbst haben die Integration gut ge -<br />

schafft, jedenfalls von außen betrachtet.<br />

Empfinden Sie das auch so?<br />

Keine Ahnung, das war für mich kein<br />

bewusst angepeiltes Ziel. ich wollte<br />

glücklich sein. Das ist alles. So be trach -<br />

tet, ist es mir immer noch nicht ganz<br />

gelungen.<br />

Was ist aus ihrer Sicht nötig, um überhaupt<br />

von gelungener Integration sprechen zu<br />

können?<br />

Das Gefühl, angekommen zu sein und<br />

dabei auch angenommen worden zu<br />

sein.<br />

Gehört zur Integration auch die Verleug -<br />

nung der Herkunftskultur?<br />

nein, solange die Herkunftskultur<br />

nicht der neuen identität gewaltig im<br />

Weg steht. Auch dann würde ich nicht<br />

die Verleugnung, sondern die modifi -<br />

ka tion sinnvoll finden.<br />

Sie haben nach der Schule Dolmetsch stu -<br />

diert (Russisch und Englisch). Haben Sie<br />

Russisch aus einem Zurück-zu-den Wur -<br />

zeln-Impuls gewählt?<br />

52 August 2009 - Aw/Elul 5769

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