Die Gemeinde - Israelitische Kultusgemeinde Wien
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äter<br />
Jüdische Organisationen wollten einen<br />
„pädagogischen Prozess“<br />
Jüdische Organisationen bedauerten,<br />
durch den Ausschluss der Öffentlichkeit<br />
habe der Prozess „seine pädagogische<br />
Aufgabe nicht erfüllt“. Raphael<br />
Haddad, Vorsitzender der Union jüdischer<br />
Studenten Frankreichs, meinte:<br />
„Das war ja nicht nur ein Kriminalfall in<br />
ei nem Keller eines Vorstadtbaus. Das hät -<br />
te der Prozess der tausenden antisemitischen<br />
Taten sein sollen, die seit Beginn des<br />
21.Jahrhunderts verübt worden sind“.<br />
Das ist allerdings eine problematische<br />
Haltung, zumal es in einem Prozess<br />
in erster Linie um die Ahndung spezifischer<br />
Taten spezifischer Personen<br />
geht. <strong>Die</strong> Erwartung, die Haddad und<br />
andere Aktivisten jüdischer Organi -<br />
sa tionen bezüglich dieses Prozesses<br />
hegten, ist allerdings verständlich:<br />
Frank reich ist das Land Europas, in<br />
dem seit dem Jahr 2000, also zeitlich<br />
ausgehend von der zweiten palästinensischen<br />
intifada, die meisten antijüdischen<br />
Gewalttaten verzeichnet<br />
wurden. <strong>Die</strong> Voraussetzungen dafür<br />
wurden hier bereits wiederholt dar-<br />
POLITIK • AUSLAND<br />
gelegt: die parallele Präsenz der meisten<br />
Juden (rund 600.000) und mos -<br />
lems (etwa fünf millionen) Europas,<br />
wobei beide Bevölkerungsgruppen<br />
familiengeschichtlich überwiegend<br />
aus Frankreichs Ex-Kolonien in nord -<br />
afrika stammen und stellenweise noch<br />
in enger nachbarschaft in Vororten<br />
und städtischen Randgebieten leben.<br />
Unmittelbar nach Verkündung der<br />
Urteile entrüstete sich der Anwalt der<br />
Familie Halimi über die „außerordentliche<br />
Nachsicht“ gegenüber den Kom -<br />
pli zen von Fofana. Staatsanwalt Bil -<br />
ger erklärte sich hingegen mit den<br />
Urteilen zufrieden.<br />
Da Zivilkläger zu keinem Einspruch<br />
ge gen ein Urteil berechtigt sind, richtete<br />
Szpinner an Justizministerin Mi chè le<br />
Alliot-Marie einen Appell: <strong>Die</strong>se möge<br />
die Staatsanwaltschaft beauftragen,<br />
Berufung einzulegen. <strong>Die</strong> bedeutendsten<br />
jüdischen Organisationen riefen<br />
zu einer Protestkundgebung auf.<br />
<strong>Die</strong> Regierung spricht ein Machtwort<br />
Aber noch bevor die Kundgebung<br />
statt finden konnte, erklärte Alliot-ma -<br />
rie, sie werde die Staatsanwalt schaft<br />
beauftragen, Berufung einzulegen.<br />
Durch die vorliegenden Urteile würden<br />
„einige der Angeklagten sich schon<br />
bald in der Siedlung, also dem Tatort, wie -<br />
der auf freien Fuß befinden“, erklärte die<br />
ministerin. Damit spielte sie auf Straf -<br />
nachlässe wegen guter Führung an.<br />
Das löste wiederum Proteste aller<br />
wichtigen Juristenvereinigungen aus.<br />
„<strong>Die</strong>se Affäre zeigt, wie sehr die Justiz<br />
unter der Bevormundung der politischen<br />
Machtträger steht“, erklärte Emma nu el le<br />
Perreux, Vorsitzende des linksgerichteten<br />
„Syndicat de la magistrature“.<br />
Auch die bürgerliche „Richter-Uni on“<br />
entrüstete sich über eine „gefährliche<br />
Einmischung“ in ein Justizverfahren.<br />
Das Dilemma<br />
Ein jüdischer Schriftsteller, Marc Weitz -<br />
mann, veröffentlichte einen Beitrag in<br />
‘Le monde’, in dem von einer „Falle“<br />
die Rede war, in die jüdische Vereine<br />
„mit Begeisterung gesprungen“ wären.<br />
Sie würden „leider in den Augen zu -<br />
min dest eines Teils der Öffentlichkeit als<br />
genügend mächtig erscheinen, um von den<br />
politischen Entscheidungsträgern die Re -<br />
vision eines Urteils zu erwirken, das ih nen<br />
nicht behagt.“<br />
im Gegensatz zu den übrigen Kr i ti -<br />
kern der Vorgangsweise der jüdischen<br />
Organisationen veranschaulichte<br />
Weitz mann allerdings die wesentli -<br />
chen Gründe für das Unbehagen am<br />
Prozessverlauf:<br />
* Erstens konstatierte Weitzmann, dass<br />
dieselben Persönlichkeiten, die an -<br />
fänglich „die antisemitische Dimension<br />
der Affäre leugneten“, anschließend<br />
auch „unter den ersten waren, die auf<br />
einen diskreten Prozessverlauf drangen,<br />
kaum war der Antisemitismus erwiesen.“<br />
* Zweitens stellte Weitzmann bezüglich<br />
des Strafausmaßes für die Komplizen<br />
von Fofana die Frage: „Ist die Beteili -<br />
gung an einer Geiselnahme, mit Folte rung<br />
und abschließendem Mord aus der Sicht<br />
der Justiz mit Strafen zwischen neun und<br />
fünfzehn Jahren, die durch diverse Stra f -<br />
nach lässe noch viel geringer ausfallen<br />
dürf ten, geahndet?”<br />
* Drittens zitierte Weitzmann die So -<br />
zio login Jacqueline Costa-Lascoux, die<br />
ihrerseits über die Handlungsweise<br />
der Komplizen von Fofana in einem<br />
interview in ‘Le monde’ erklärt hatte:<br />
„Da gab es reihenweise kleine Feigheiten,<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 17