Die Gemeinde - Israelitische Kultusgemeinde Wien
Die Gemeinde - Israelitische Kultusgemeinde Wien
Die Gemeinde - Israelitische Kultusgemeinde Wien
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nr. 651 august 2009<br />
aw/elul 5769<br />
Erscheinungsort <strong>Wien</strong><br />
Verlagspostamt 1010 P.b.b<br />
e 2.-<br />
GZ 03Z034854 W<br />
DVR 0112305 € 2.-<br />
<strong>Die</strong> <strong>Die</strong><br />
GEMEINDE<br />
offizielles organ der israelitischen <strong>Kultusgemeinde</strong> wien<br />
magazin
AUS DEM BÜRO<br />
DES PRÄSIDENTEN<br />
Einladung 3<br />
IN EIGENER SACHE<br />
ALEXIA WEISS<br />
Serie: Hinter den Kulissen der IKG<br />
Teil 12: Das Archiv 4<br />
Maimonides Zentrum –<br />
Rückblick und AUsblick 8<br />
AUS DEM<br />
GENERALSEKRETARIAT<br />
Wie ein verlorener Archivbestand<br />
gefunden wurde 7<br />
Verabschiedung S.E.<br />
Botschafter Dan Ashel 7<br />
POLITIK<br />
INLAND<br />
Verfahren gg. Stop the Bomb-<br />
Aktion eingestellt 9<br />
<strong>Wien</strong>-Urlaub für Kinder<br />
aus Tel Aviv/Jaffo 10<br />
Appell von Hans Marsalek:<br />
Rechtsextremismus bekämpfen 11<br />
Unglaubliche Freisprüche 12<br />
VIP-Betreuung für<br />
mutmaßlichen NS-Täter 13<br />
Erlebinswelt Neonazismus 14<br />
AUSLAND<br />
DANNY LEDER<br />
Foltermord an Ilan Halimi<br />
kommt nochmals vor Gericht 15<br />
Mit Expertenkreis gegen<br />
Antisemitismus 18<br />
PAUL ZABLOUDIL<br />
Hiroshima-Jahrestag 19<br />
Der Warschaeuer Aufstand 20<br />
Slowakische Rechtsextreme 20<br />
NS-ZEIT<br />
Historiker fordern kritische<br />
Edition von „Mein Kampf” 21<br />
A.BRUDER UND M. ARMBORST<br />
NS-Verbrecher: Fahnder im<br />
Wettlauf mit dem Tod 22<br />
Ausgewertet werden Meldungen von: APA, Jerusalem Post, Ha’aretz, MEMRI, Yediot Aharonot, Global intelligence<br />
centre, Walla, Y-net, israelnetz (inn), nahostfocus (NOF), ICEJ, Honestly-concerned, GMW, JTA, ILI u.v.a.<br />
GEmEinDE<br />
Suche nach Aois Brunner 23<br />
Quelle-Grüder und NS-Zeit 23<br />
ISRAEL<br />
ULRICH W. Sahm<br />
<strong>Die</strong> Wahlen zum<br />
Zentralkomitee der Fatah 24<br />
ULRICH W. Sahm<br />
Wirtschaftsmetropole Nablus 26<br />
ULRICH W. Sahm<br />
Schöner wohnen in Palästina 27<br />
DALIA NAMMARI<br />
Frieden ist - ein Tag am Meer 29<br />
WIRTSCHAFT<br />
REINHARD ENGEL<br />
Grüß’ Gott und Schalom 30<br />
Nahost-Konflikt kostet seit<br />
1991 Wirtschaft 9 Bio. Euro 33<br />
WISSENSCHAFT<br />
EHUD ZION WALDOKS<br />
Israels hausgemachte Krise 34<br />
JÜDISCHE WELT<br />
ALEXIA WEISS<br />
Lernen über das Judentum 39<br />
Christlich-jüdische Bibelwoche 42<br />
IDA LABUDOVIC<br />
Jüdisches Belgrad 44<br />
L. JOSEPH HEID<br />
Doppelte Diaspora 46<br />
Panorama 49<br />
SPORT<br />
Maccabiah 2009 43<br />
KULTUR<br />
ALEXIA WEISS<br />
Von gebogenen Nasen ... 50<br />
ALEXIA WEISS<br />
Sprache war immer<br />
mein Revier 52<br />
Josef Burg s.A. 53<br />
Titelbild:<br />
Eisverkäufer am Strand von Tel Aviv<br />
© by Serge Attal/Flash90<br />
Medieninhaber (Verleger), Herausgeber: <strong>Israelitische</strong> <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>.<br />
Zweck: Information der Mitglieder der IKG <strong>Wien</strong> in kulturellen, politischen<br />
und or ganisatori schen Belangen. Stärkung des demokratischen<br />
Bewusst seins in der österreichischen Bevöl kerung. Sitz: 1010 <strong>Wien</strong>, Seitenstettengasse 4, Postfach 145.<br />
Tel. Redaktion/Sekretariat 53 104/271, Anzeigenannahme 53 104/272, Fax: 53104/279, E-mail redaktion@ikg-wien.at<br />
Druck: AV+Astoria Druckzentrum GmbH, A-1030 <strong>Wien</strong><br />
Alle signierten Artikel geben die persönliche Mei nung des Autors wieder, die sich nicht immer mit der<br />
Mei nung der Redaktion deckt. Für die Kaschrut der in der GEMEINDE angezeigten Produkte übernehmen<br />
Herausgeber und Redaktion ausdrücklich keine Verantwortung. Nicht alle Artikel, die in der Redak -<br />
tion einlangen, müs sen zur Veröffentlichung gelangen.<br />
INHALT &<br />
PLENARSITZUNGEN 2009:<br />
01. September - 13. Oktober - 05. November - 03.Dezember<br />
Wünsche? Probleme? Anregungen?<br />
Wenden Sie sich vertrauensvoll an unsere IKG-Ombudsleute<br />
Gustav Adler Tel: 0676 636 5118,<br />
Heinrich Ehlers Tel: 0676 421 3670<br />
DI Hans Gelbard Tel: 0699 11058 606<br />
Dr. Slawik Jakubow Tel: 0664 103 2349<br />
Prof. Dr. Franziska Smolka Tel: 531 04 -105<br />
fsmolka@chello.at<br />
2009.<br />
30.<br />
Augus<br />
t – 7 77.<br />
. S September<br />
<strong>Die</strong>ses Jahr wird das angesagteste jüdische Kulturereignis des Kontinents,<br />
die Jüdischen Sommers Festival zwischen 30. August und 7. September<br />
2009 zum zwölften Mal mit Zentrum in der Großen Synagoge von Budapest<br />
(Dohány utca), Europas größter Synagoge, veranstaltet.<br />
Mit einer Auswahl von beinahe 70 Veranstaltungen erwarten die Organi Organi-<br />
satoren des Festivals aufgeschlossene Besucher, die an die Klänge einer<br />
mehrere tausend Jahre alten Kultur und Tradition in moderner Auffassung<br />
interessiert sind.<br />
Am 7. September gibt das Israelische Philharmonische Orchester in der<br />
Großen Synagoge Konzert, und wird vom einstigen Direktor der Mailänder<br />
Scala, Riccardo Muti dirigiert.<br />
<strong>Die</strong> israelische Sängerin Timna Brauer reist aus Österreich an, um am<br />
2. September ihre Produktion „Lieder aus Jerusalem“ mit dem Elias Meiri<br />
Ensemble in der Synagoge vorzuführen. Am 31. August laden wir die Lieb Lieb-<br />
haber mediterraner Klangwelten zum Konzert von Elsa Valle und der Latin<br />
Jazz Syndicate ein.<br />
Shai Abramson, Oberkantor der Israelischen Armee tritt mit<br />
László Fekete, Oberkantor der Großen Synagoge von Buda-<br />
pest und dem jungen Talent Zucker Immanuel in der Syna-<br />
goge der Frankel Leo utca auf.<br />
Treu zu unseren Traditionen darf natürlich auch das<br />
Budapest Klezmer Band – Favorit vieler Besucher – vom<br />
Programm nicht fehlen.<br />
Den Liebhabern der lateinischen Rhythmen bietet dieisra- elische Flamencogruppe Compas Dance Company ein<br />
außergewöhnliches Erlebnis. Sie erzählen die Geschichte<br />
von David und Bat-Sheba in der Sprache des Flamencos.<br />
Eine Auswahl der Bilder des legendären Photographen Robert Capa wird im Ungarischen Jüdischen Museum<br />
ausgestellt; in der Budapest Galerie wird zugleich die zeitgenössische Malerin Hanna Fluk vorgestellt.<br />
<strong>Die</strong> Jüdischen Sommerspiele werden seit 1998 von der BZSH-ZSIKK mit immer größerem Erfolg organisiert. <strong>Die</strong> Orga-<br />
nisation wurde mit der Absicht gegründet, die jüdische Kultur zu propagieren und sie in den ungarischen Tourismus<br />
zu integrieren. <strong>Die</strong> Organisatoren erwarten Gäste aus Ungarn, Europa und dem Übersee, jüdisch und nicht-jüdisch<br />
zugleich; genau aus diesem Grund ist das Programm so vielseitig und bunt, und wendet die internationale Sprache<br />
des Tanzes und der Musik an.<br />
Weitere Informationen, Programme und Tickets erhältlich online unter www.jewishfestival.hu.<br />
TICKETS<br />
BEI:<br />
WEITERE<br />
INFORM<br />
AT ATIONEN:<br />
Fesztivál<br />
Jegyirod<br />
a (F (Festival<br />
Telefon:<br />
413-55-<br />
31 | F Fax:<br />
46<br />
Ve eranstalter<br />
des<br />
Jüdische<br />
n Sommerfee<br />
Budapester<br />
Jüdischen<br />
Ge<br />
m meinschaftt<br />
.<br />
<strong>Die</strong> Steinstellung für<br />
unsere geliebte Gattin,<br />
Mutter und Großmutter<br />
Zina (Mala) Schmidt<br />
findet s.G.w. am<br />
Sonntag, den 13. September 2009,<br />
um 10.45 Uhr<br />
am Zentralfriedhof, 4. Tor / Gruppe 8A<br />
statt.<br />
und<br />
im Internet<br />
u unter:<br />
www.interticket.hu<br />
Eintrittskarten)<br />
10 7 75<br />
Budapest,<br />
Síp u. 12.<br />
2-04-78<br />
| E-mail:<br />
zs<br />
ikk ikk@aviv.hu<br />
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To ourismus<br />
und<br />
K u ulturzentrum<br />
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2 August 2009 - Aw/Elul 5769
AUS DEM BÜRO DES PRÄSIDENTEN<br />
Sehr geehrtes <strong>Gemeinde</strong>mitglied!<br />
Das Präsidium der <strong>Israelitische</strong>n <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>,<br />
der Oberrabbiner der <strong>Israelitische</strong>n <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>,<br />
und die Zwi Perez Chajes-Schule freuen sich, Sie<br />
zur Einweihung der Synagoge<br />
in der neuen Zwi Perez Chajes-Schule,<br />
zur feierlichen Enthüllung der Spendertafel,<br />
zum Dank an alle Spender, Förderer und<br />
Unterstützer der neuen und alten ZPC-Schule<br />
am Sonntag, dem 6. September 2009, um 10.00 Uhr<br />
in die ZPC-Schule,<br />
in der Simon-Wiesenthal-Gasse 5, 1020 <strong>Wien</strong>,<br />
einzuladen.<br />
Wir treffen uns um 10 Uhr in der Simon-Wiesenthal-Gasse<br />
zum Einbringen der Thora-Rollen.<br />
Das Maimonides Zentrum und die IKG laden Sie ein<br />
um 12.00 Uhr zu einem<br />
„Tag der offenen Tür“<br />
(mit der Vorstellung des Hakoah-Seniorenprogramms)<br />
mit anschließendem Buffet in das neue Maimonides-Zentrum<br />
(Simon-Wiesenthal-Gasse 1, 1020 <strong>Wien</strong>)<br />
Im Rahmen von Führungen haben die Mitglieder der IKG die Möglichkeit<br />
sich ein Bild des neuen Maimonides Zentrum zu machen.<br />
Im Rahmen dieser Feierlichkeiten wird auch die Ausstellung des Malwett -<br />
be werbs „The Best of Sports“, der anlässlich der eben stattgefundenen<br />
Mac cabiah in Israel ausgeschrieben wurde, eröffnet. <strong>Die</strong>se Ausstellung<br />
markiert den offiziellen „Startschuss“ für die 13. Europäischen Makka-bi -<br />
spiele, die vom 5. bis 13. Juli 2011 in <strong>Wien</strong> stattfinden werden. <strong>Die</strong> Aus stellung<br />
wird bis Ende September 2009 in der ZPC-Schule sowie im Hakoah<br />
Sportzentrum (und im Foyer des Stadttempels) zu sehen sein.<br />
Wir freuen uns sehr über Ihr Kommen! Feiern Sie mit uns!<br />
Ihr Dr. Ariel Muzicant<br />
Präsident<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 3
„Immer neue<br />
Steine für das<br />
gigantische<br />
Puzzle NS-Zeit“<br />
<strong>Die</strong> IKG verfügt über das weltweit größte<br />
erhaltene Archiv einer heute noch lebendigen<br />
jüdischen <strong>Gemeinde</strong>. <strong>Die</strong>ses um -<br />
fasst Quellen für die Aufarbeitung der<br />
Shoah und dokumentiert die Geschichte<br />
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
SERIE<br />
Hinter den Kulissen –<br />
<strong>Die</strong> IKG <strong>Wien</strong> stellt sich vor<br />
Teil 12: Das Archiv<br />
der Juden in <strong>Wien</strong> seit dem 17. Jahr hun -<br />
dert. Während und unmittelbar nach der<br />
NS-Zeit gingen die Bestände des Ar chivs<br />
verschlungene Wege. Erst seit einigen<br />
Jahren werden die Dokumente und Ar chi -<br />
valien aufgearbeitet, inventarisiert und<br />
sachgemäß gelagert. Doch noch ist die<br />
Unordnung längst nicht gänzlich der an -<br />
gestrebten Ordnung nach archivarischen<br />
Prinzipien gewichen. „<strong>Die</strong> <strong>Gemeinde</strong>“<br />
sprach mit Susanne Uslu-Pauer, der Lei -<br />
terin des Archivs, und ihrem Mit ar bei ter,<br />
dem Historiker David Forster.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
serVice<br />
erreichbarkeit des archivs<br />
Da das Archiv nicht öffentlich zu -<br />
gänglich ist, wird um vorherige<br />
Ter minvereinbarung gebeten.<br />
Das Archiv ist<br />
montag bis Donnerstag<br />
von 9.00 Uhr bis 17.30 Uhr<br />
sowie an Freitagen<br />
von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr<br />
unter 01/53104-DW 210 oder<br />
DW 249 telefonisch erreichbar.<br />
mails bitte an: mag. Su san ne Uslu<br />
Pauer (s.uslu-pauer@ikg-wien.at) oder<br />
mag. David Forster (d.forster@ikgwien.at).<br />
Auf Grund vieler Anfragen kann es<br />
allerdings zu längeren Bearbei -<br />
tungs zeiten kommen.<br />
Rund 330 Quadratmeter stehen dem<br />
Archiv der iKG am Desider Fried mann-<br />
Platz nahe der Seitenstettengas se zur<br />
Verfügung. Hier steht man teils vor<br />
Regalen mit fein säuberlich inventarisierten<br />
und in säurefreies Papier gewickelten<br />
Akten. Wenige meter weiter<br />
türmen sich Kartons zwar oberflächlich<br />
gesichteter, ansonsten aber noch<br />
nicht bearbeiteter materialien. <strong>Die</strong><br />
Ver filmungsstation dient dem Fest -<br />
halten der Dokumente auf mikrofilm.<br />
im so genannten Entschimmelungszim<br />
mer harren teils stark beschädigte<br />
Unterlagen der Reinigung und Konser<br />
vierung. in diesem Raum arbeiten<br />
Uslu-Pauer und Forster nur mit mund -<br />
schutz und Handschuhen. mit spezi -<br />
ellen Schwämmchen und Pinseln wird<br />
dabei jedes einzelne Blatt vorsichtig<br />
gesäubert. „Nicht alles kann mehr gerettet<br />
werden“, bedauert die Archiv-Lei -<br />
terin allerdings und hebt den Deckel<br />
einer Schachtel. Der inhalt: lose, schim -<br />
melige Dokumente, vom Zahn der Zeit<br />
und jeder menge Feuchtigkeit nahezu<br />
bis zur Unleserlichkeit zerfressen.<br />
So unterschiedlich der Zustand der<br />
einzelnen Archivalien ist, so unterschiedlich<br />
gestaltet sich auch der All -<br />
tag der mitarbeiter des Archivs. Zum<br />
einen gilt es, das vorhandene mate rial<br />
zu konservieren, zu inventarisieren<br />
und für die mikroverfilmung vorzubereiten.<br />
Zum anderen haben Uslu-<br />
Pauer und Forster alle Hände voll zu<br />
tun, Anfragen von Forschern, Stu die -<br />
4 August 2009 - Aw/Elul 5769
en den sowie Holocaust-Überlebenden<br />
beziehungsweise deren nach fah -<br />
ren zu beantworten. Letztere werden<br />
sofort bearbeitet. Bei Abfragen für<br />
For schungs- oder Gedenkprojekte so -<br />
wie Dissertationen und Diplomarbei<br />
ten könne die Wartezeit jedoch bis<br />
zu zwei monate betragen, bedauert<br />
Uslu-Pauer.<br />
Derzeit ist das Archiv der iKG nicht<br />
öf fentlich zugänglich. Das heißt: es<br />
kann weder von Wissenschaftern<br />
noch von Privatpersonen direkt ge -<br />
nutzt wer den. Persönlich mit den ma -<br />
teria li en arbeiten dürfen nur die mit -<br />
ar bei ter der Res titutionsabteilung der<br />
Kultus ge mein de sowie, unter Anlei -<br />
tung, die mitglie der der Kommission<br />
für Pro ve nienz forschung sowie mit -<br />
ar beiter des na ti o nalfonds der Repu -<br />
blik Ös ter reich und des Allgemeinen<br />
Ent schä di gungs fonds.<br />
Was aber macht das Archiv der iKG<br />
so einzigartig? Herausstechend sind<br />
vor allem der lange Zeitraum, über<br />
den material gesammelt wurde, und<br />
die Fülle der Dokumente – darunter<br />
auch detailliertes material aus der<br />
nS-Zeit, wie etwa tausende und abertausende<br />
Karteikarten sowie Auswan -<br />
derungs-Fragebögen. Was die Arbeit<br />
der heutigen Archivare schwierig<br />
macht, ist die „Zerrissenheit der Be stän -<br />
de“ ab der nS-Zeit, sagt Uslu-Pau er.<br />
So wurden Teile der Akten von den<br />
nationalsozialisten zunächst nach Ber -<br />
lin ins Reichssicherheitshauptamt ver -<br />
bracht, im Sommer 1943 im Zug der<br />
Luftangriffe allerdings nach Schlesien<br />
übersiedelt. Dort wurden sie nach<br />
Ende des Zweiten Weltkriegs von der<br />
Roten Armee entdeckt und nach mos -<br />
kau transportiert, wo sie bis heute<br />
lagern. <strong>Die</strong>se Bestände könnten übrigens<br />
in absehbarer Zeit wieder nach<br />
<strong>Wien</strong> übersiedelt werden. im vergangenen<br />
mai wurde die Sichtung des<br />
Gesamtbestandes in moskau abgeschlossen.<br />
iKG und Außenministe ri um<br />
bemühen sich derzeit um die Rück ga -<br />
be der über 1.200 Archivkartons. nun<br />
gilt es die Entscheidung Russlands<br />
abzuwarten.<br />
Andere materialien wiederum, die<br />
aus der Zeit vor 1938 und aus der nS-<br />
Zeit stammen, wurden in mehreren<br />
Tranchen in den 1950-er bis 1970-er<br />
Jahren nach Jerusalem verbracht, wo<br />
sie bis heute als Leihgabe der iKG in<br />
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
den Central Archives for the History of<br />
the Jewish People lagern.<br />
Und der dritte große Teil des Archivs,<br />
dessen Kern Dokumente aus der nS-<br />
Zeit bilden, der aber auch material<br />
aus der Zeit vor 1938 und nach 1945<br />
umfasst, wurde 1986 bei Umbauar bei -<br />
ten im Keller der Seitenstettengasse<br />
zum ersten mal entdeckt. Wohin dieser<br />
Archivbestand damals gebracht<br />
wurde, geriet allerdings in Verges sen -<br />
heit und sollte sich erst 2000 klären.<br />
in diesem Jahr wurden in einem La -<br />
ger in der Herklotzgasse kistenweise<br />
Dokumente gefunden, welche die iKG-<br />
Verantwortlichen daraufhin um ge hend<br />
in die Räumlichkeiten der An lauf stel le<br />
der iKG transportieren ließen. in den<br />
hunderten Kisten fanden sich schließlich<br />
u.a. an die 500.000 Blätter aus der<br />
nS-Zeit – wertvolles material nicht nur<br />
zur Aufarbeitung der Shoah mit personenbezogenen<br />
Karteien, son dern<br />
auch zur Beantwortung von Fragen<br />
zum Ver mögensentzug und ei ner allfälligen<br />
„Wiedergut ma chung“.<br />
<strong>Die</strong> Ur sprün ge<br />
des Ar chivs reichen<br />
in des sen<br />
we sent lich wei -<br />
ter zu rück.<br />
Of fi zi ell ge grün -<br />
det wur de das<br />
Ar chiv der Kul -<br />
tus ge mein de<br />
im Juni 1816.<br />
<strong>Die</strong> Vertreter der<br />
jü di schen Gemein -<br />
de be schlossen da -<br />
mals, den Aktuar,<br />
so nann te man den<br />
Schriftführer, „zu ver -<br />
anlassen, alle Akten -<br />
stücke, die in An ge le gen -<br />
heiten der hiesigen Israeli ten<br />
ergan gen sind, zusam men -<br />
zulegen, um sie zu ei nem<br />
gewissen Gebrauche zu verwenden“.<br />
Gesammelt und dokumentiert<br />
werden sollten damit beispielsweise<br />
alle Patente, also kaiserliche Er -<br />
lässe und Verordnungen, welche die<br />
Rechte und Pflichten der ortsansässigen<br />
Juden re gelten.<br />
Es dauerte jedoch weitere 30 Jahre, „bis<br />
sich das Archiv institutionalisierte“, er -<br />
zählt Uslu-Pauer. Der damalige Ar -<br />
chi var Ludwig August Frankl sorgte für<br />
eine bessere Unterbringung der Ar chi -<br />
valien und ließ im Gebäude der Ge -<br />
mein de in der Seitenstettengasse ei nen<br />
Archivraum einrichten. <strong>Die</strong> alten und<br />
neu hinzukommenden Ak ten stücke<br />
wur den sukzessive geordnet, indiziert<br />
und katalogisiert. Wie einem Bericht<br />
Frankls vom September 1841 zu entnehmen<br />
ist, umfassten die Bestände zu<br />
diesem Zeitpunkt 10.145 Akten stü cke,<br />
davon 22 aus den Jahren 1626 bis 1805,<br />
die restlichen aus der Zeit danach.<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde<br />
die „Historische Kommission“ ge grün -<br />
det. „Sie sollte sich mit der wissenschaftlichen<br />
Aufarbeitung der Geschichte der<br />
Ju den in Österreich befassen und zu diesem<br />
Zweck sämtliche, in österreichischen<br />
Ar ch i ven verfügbaren historischen Quel -<br />
len, zu diesem Thema identifizieren und<br />
sammeln“, sagt Uslu-Pauer. <strong>Die</strong> Grün de<br />
für diese initiative seien nicht eindeutig<br />
belegt. „Ein Grund könnte in dem zuneh<br />
menden Bedürfnis nach Iden ti tätssi -<br />
cherung liegen“, meint die Lei te rin des<br />
iKG-Archivs. „Ein weiterer könnte auch<br />
gewesen sein, dem damals stark wachsenden<br />
Antisemitismus mit fun diertem<br />
Wissen über die Geschichte der Juden in<br />
Österreich entgegentreten zu kön nen.“<br />
Unmittelbar nach dem „An -<br />
schluss“ Österreichs an Hit ler-<br />
Deutschland im märz 1938<br />
wurde das Archiv aufgelöst<br />
und die <strong>Kultusgemeinde</strong> zu -<br />
nächst geschlossen, im mai<br />
1938 jedoch wieder geöffnet<br />
und gezwungen, „unter<br />
An weisung der NS-Be hör -<br />
den die Aus wan de rung<br />
der jüdischen Be völ ke -<br />
rung und in wei terer<br />
Folge die De por ta -<br />
tion von Jü din nen<br />
und Ju den in die<br />
Kon zen tra tions- und<br />
Vernich tungs lager zu<br />
organisieren“.<br />
Erschütternde, großformatige Dokumente<br />
aus dieser Zeit, die sich bis<br />
heute im Archiv der iKG, aber auch<br />
teils in moskau, befinden: Wand ta -<br />
feln, auf denen schematisch „<strong>Die</strong> jüdische<br />
Wanderung aus der Ostmark“ dargestellt<br />
wird. <strong>Die</strong> Tafeln seien vermutlich<br />
im Auftrag der „Zentralstelle<br />
für jüdische Auswanderung“ von<br />
mitarbeitern der <strong>Kultusgemeinde</strong> an -<br />
gefertigt worden, so Uslu-Pauer. Für<br />
die Leiterin des Archivs sind diese<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 5
Wand tafeln, die die erzwungene Aus -<br />
wanderung der jüdischen Auswande -<br />
rung dokumentieren, „Schaltstellen des<br />
Grauens, in denen das von Adolf Eich -<br />
mann entwickelte System der Ausbeu tung<br />
und Vertreibung sichtbar wird“. Dar ge -<br />
stellt werden u.a. alle Ämter und<br />
Behörden, die Juden vor ihrer Ausrei se<br />
aufzusuchen hatten. So wurde sichergestellt,<br />
dass die jüdische Bevöl ke -<br />
rung nicht nur zusehends verschwand,<br />
sondern auch „durch diskriminierende<br />
Steuern und Abgaben ihres gesamten<br />
Vermögens beraubt wurde“.<br />
nach 1945 wurde das Archiv zu nächst<br />
nicht wieder eingerichtet. Ein Teil der<br />
Bestände lagerte zu diesem Zeitpunkt<br />
bereits in moskau, große Teile der<br />
übrigen wurden, wie bereits beschrieben,<br />
nach israel transportiert. „Anzu -<br />
neh men ist, dass das Archiv in den un -<br />
mittelbaren Nachkriegsjahren nicht zu den<br />
vordringlichsten Problemen zählte. Es galt<br />
vielmehr, wesentliche Fragen, wie etwa<br />
die Hilfe für die rückkehrenden Jüdinnen<br />
und Juden oder Angehörige von im Ho lo -<br />
caust Ermordeten beziehungsweise Fra -<br />
gen der Entschädigung, zu klären“, sagt<br />
Uslu-Pauer. Zudem habe es Beden ken<br />
gegeben, ob sich in <strong>Wien</strong> je wieder<br />
eine lebendige jüdische <strong>Gemeinde</strong><br />
etablieren werde können.<br />
Erst mit der Wiederentdeckung der<br />
Archivbestände in der Herklotzgasse<br />
im Jahr 2000 habe man dem gesamten<br />
Archiv zunehmend größere Beach tung<br />
geschenkt. Bis Anfang 2009 war es an<br />
die ehemalige Anlaufstelle der iKG<br />
angeschlossen. mit Jahresbeginn wur -<br />
de die Anlaufstelle aufgelöst und<br />
zwei neue Abteilungen gegründet: die<br />
Abteilung für Restitutionsange le -<br />
genheiten und die Abteilung Archiv<br />
der iKG <strong>Wien</strong>. „<strong>Die</strong>s bedeutet eine enorme<br />
Aufwertung für das Archiv“, freut<br />
sich Uslu-Pauer.<br />
in enger Zusammenarbeit mit dem<br />
Prä sidium und dem Generalsekre ta -<br />
riat arbeiten die beiden Historiker<br />
Uslu-Pauer und Forster nun an der<br />
„Wie derherstellung des Archivs“. Ob<br />
die Bestände, die derzeit in moskau<br />
lagern, nach <strong>Wien</strong> übersiedelt werden,<br />
wird die Zukunft zeigen. Von<br />
den heute in Jerusalem verwahrten<br />
Akten sind die Bestände aus den Jah -<br />
ren 1933 bis 1945 bereits mikroverfilmt,<br />
„das entspricht etwa der Hälfte des Ge -<br />
samtumfangs von drei Millionen Sei ten“.<br />
Von jenen Beständen, die sich in <strong>Wien</strong><br />
IN EIGENER SACHE • HINTER DEN KULISSEN<br />
befinden, habe man alles, was die nS-<br />
Zeit betreffe und darüber hinaus, zu<br />
90 Prozent inventarisiert beziehungsweise<br />
auf mikrofilm gebannt (rund<br />
ei ne million Aufnahmen), „Teile davon<br />
bedürfen jedoch noch einer intensiveren<br />
Überarbeitung“. Auch der Großteil der<br />
erhaltenen matrikenbücher bis 1945,<br />
die zum Teil im Archiv und teils im<br />
ma trikenamt der iKG aufbewahrt<br />
werden, sei bereits verfilmt. Das ma -<br />
te rial aus der Zeit vor 1938 und nach<br />
1945 hingegen habe man erst zu ei nem<br />
kleinen Teil erfasst, so die Leiterin des<br />
Archivs.<br />
mit der Sichtung, Konservierung, in -<br />
ven tarisierung und sachgemäßen La -<br />
gerung aller Dokumente liegt da her<br />
noch ein großer Teil der Arbeit vor<br />
Us lu-Pauer und Forster, der be reits<br />
seit mehr als zehn Jahren mit der wissenschaftlichen<br />
Aufarbeitung der nS-<br />
Zeit, unter anderem auch im Rahmen<br />
der Historikerkommission der Repu -<br />
blik, beschäftigt ist. Zur Seite gestellt<br />
haben die beiden Historiker dabei<br />
immer wieder die eine oder andere<br />
„Pro blemkiste“: darin finden sich lo se<br />
Blätter, zeitlich und vom Kontext her<br />
nicht zuordenbar. Hier gelte es zuerst<br />
einmal „die Entstehungszusammen hän ge<br />
zu eruieren“.<br />
„Wir planen bis Mitte beziehungsweise<br />
Ende 2010 mit der Inventarisierung der<br />
Bestände am Desider-Friedmann-Platz<br />
zur Person<br />
fertig zu werden“, sagt Uslu-Pauer. Wei -<br />
tere Vorhaben: die komplette Über -<br />
arbeitung des Verwaltungsarchivs der<br />
iKG nach 1945 sowie die Einrichtung<br />
einer Website. Auf dieser soll „u.a. die<br />
Genese des Archivs dargestellt werden“.<br />
Uslu-Pauers Wunschtraum: „<strong>Die</strong> He -<br />
raus gabe eines Archivhandbuchs, sozusagen<br />
ein Adelsprädikat eines Archivs, und<br />
ein übersichtlich inventarisiertes Archiv,<br />
das öffentlich zugänglich ist, in dem man<br />
forschen kann und in dem man Akten auf<br />
Knopfdruck findet.“ Dabei behilflich:<br />
Rainer Hackauf, der für Restitutions -<br />
abteilung und Archiv die EDV be treut,<br />
und Roy Riginashevily, zuständig für<br />
Layout und Design.<br />
in ihrer bisherigen Arbeit im Archiv<br />
der iKG haben Uslu-Pauer vor allem<br />
„die Karteikarten, die persönliche Schick -<br />
sale sichtbar machen“ beeindruckt. im -<br />
mer wieder „berührend“ seien auch die<br />
Fragebögen zur Auswanderung. ihr<br />
„ku riosester Fund“ in den vergangenen<br />
Jahren: „Ich habe einen Akt bearbeitet,<br />
in dem auch falsche Zähne enthalten<br />
waren.“ Forster findet es vor allem er -<br />
staunlich, wenn er im Zug der Auf ar -<br />
beitung von Akten mit namen konfrontiert<br />
wird, die er bereits in anderen<br />
wissenschaftlichen Zusammen hän gen<br />
kennengelernt hat. „Man bekommt im -<br />
mer neue Puzzlesteine für dieses gigantische<br />
Puzzle NS-Zeit.“<br />
mag. susanne uslu-Pauer, geb. 1969 in Hainburg (nÖ), absolvierte zu nächst<br />
eine Ausbildung zu Reiseleiterin und Gästebetreuerin und studierte dann<br />
ab 1992 Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität <strong>Wien</strong>. Von 1999<br />
bis 2006 war sie als wissenschaftliche mitarbeiterin im Rahmen von Projek -<br />
ten des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW),<br />
der Zentralen österreichischen Forschungsstelle nachkriegsjustiz sowie des<br />
Ver eins zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und<br />
ihrer Aufarbeitung tätig.<br />
Als Uslu-Pauers Forschungsschwerpunkte kristallisierten sich dabei heraus:<br />
die nachkriegsjustiz in Österreich, die strafrechtliche Verfolgung von „End -<br />
pha severbrechen“, nS-Verbrechen an so genannten Zwangsarbeitern und nS-<br />
Verbrechen an Roma und Sinti, Erinnerungskultur und Vergangenheits po -<br />
li tik sowie holocaustrelevante Themenbereiche. Seit Jänner 2007 ist die<br />
Historikerin mitarbeiterin im Archiv der iKG. im Jänner 2009 hat sie die<br />
Leitung der Abteilung Archiv der iKG <strong>Wien</strong> übernommen.<br />
Privat interessiert sich Uslu-Pauer auch für Kunst und Literatur und sie reist<br />
gerne. ihr größter Wunsch: einmal Australien und neuseeland zu bereisen<br />
und einen historischen Roman zu schreiben.<br />
6 August 2009 - Aw/Elul 5769
Wie bereits im Artikel von Alexia<br />
Weiss erwähnt, wurden jene in <strong>Wien</strong><br />
verbliebenen Archivteile, u.a. aus der<br />
nS-Zeit, 1986 im Keller der Seiten -<br />
stettengasse entdeckt. <strong>Die</strong> damalige<br />
iKG-Administration brachte die um -<br />
fang reichen Archivalien, Bücher und<br />
Karteikarten an einen Ort, wo sie abermals<br />
in „Vergessenheit“ gerieten.<br />
<strong>Die</strong> Beauftragte für Restitutionsange -<br />
le genheiten Erika Jakubo vits akzeptierte<br />
diesen Zustand nicht und stellte im -<br />
mer wieder nachforschungen zum an -<br />
geblich verschollenen Archiv an. Sie<br />
konnte sich nicht vorstellen, dass ein<br />
Archiv einfach ver schwin den konnte.<br />
Auch der damalige Generalsekretär<br />
der iKG <strong>Wien</strong> konnte ihr nicht weiterhelfen,<br />
da er davon überzeugt war,<br />
dass keine Archivalien mehr in <strong>Wien</strong><br />
lagernd wären.<br />
im Herbst 1998 wurde Frau Jakubo vits<br />
über Kisten mit angeblichen Archiv -<br />
be ständen im maimonideszentrum<br />
formiert. in einer der Kisten wurden<br />
tatsächlich Unterlagen des verschwundenen<br />
Archives gefunden. Es lag also<br />
nahe, dass es auch den Rest des Ar -<br />
chi ves der <strong>Kultusgemeinde</strong> irgendwo<br />
geben müsse.<br />
Einen weiteren Hinweis für die Exis -<br />
AUS DEM GENERALSEKRETARIAT<br />
Wie ein verloren geglaubter Archivbestand<br />
wiedergefunden wurde …<br />
tenz des Archivs gab Univ. Prof. Dr.<br />
Oliver Rathkolb. Er informierte nach<br />
einer Pressekonferenz der iKG <strong>Wien</strong>,<br />
in der festgestellt wurde, dass es kei ne<br />
Hinweise zu Auswanderungslisten<br />
gäbe, Frau Jakubovits, dass solche Lis -<br />
ten auf jeden Fall in der iKG <strong>Wien</strong><br />
vor handen sein müssten.<br />
Als Frau Jakubovits im Jahr 2000 von<br />
einem Lager in einem Haus der iKG<br />
in der Herklotzgasse im 15. <strong>Wien</strong>er<br />
Ge meindebezirk hörte, ahnte sie ge -<br />
fühls mäßig, dass dort die Archivalien<br />
der iKG <strong>Wien</strong> verwahrt sein könnten.<br />
Sie benachrichtigte den Präsidenten<br />
der israelitischen <strong>Kultusgemeinde</strong>, Dr.<br />
Ariel muzicant, und fuhr in der Folge<br />
gemeinsam mit dem Vizepräsidenten<br />
der iKG <strong>Wien</strong>, Oskar Deutsch, in die<br />
Herklotzgasse, um das Lager anzuschauen.<br />
Bei der Besichtigung wurde<br />
das längst verloren geglaubte Archiv<br />
wiederentdeckt und der Transport des<br />
Aktenmaterials in die Räumlich kei ten<br />
der damaligen Anlaufstelle transportiert.<br />
<strong>Die</strong> Aufarbeitung und inven ta -<br />
ri sierung des Archivbestandes aus der<br />
Herklotzgasse wird im Laufe des<br />
nächsten Jahres abgeschlossen sein.<br />
Mag. Raimund Fastenbauer<br />
GS für jüdische Angelegenheiten<br />
Offizielle Mitteilung des Präsidiums und<br />
des Generalsekretariats der IKG <strong>Wien</strong><br />
Das <strong>Wien</strong>er Wiesenthal institut für Holocaust-Studien (VWi) ist auf initia tive<br />
des Präsidenten der is ra elitischen <strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong>, Dr. Ariel mu zi cant,<br />
entstanden.<br />
in den letzten Jahren hat die iKG <strong>Wien</strong> als Gründerorganisation und Träger<br />
des instituts die gesamte Vor arbeit geleistet, Konzepte erstellt so wie die um -<br />
fangreichen Kosten ge tragen.<br />
Darüber hinaus hat sie auch mit ar beiterinnen für die Realisierung des Pro -<br />
jek tes zur Verfügung ge stellt.<br />
Da die Räumlichkeiten im Palais Strozzi erst im Jahr 2012 beziehbar sind,<br />
hat die iKG <strong>Wien</strong> auf ihre Kos ten dem VWi für die Vorlauf pha se Büroräu -<br />
me eingerichtet und zur Ver fügung gestellt.<br />
Seit diesem Zeitpunkt arbeitet die iKG <strong>Wien</strong> an einem Vertrag, der die leihweise<br />
Übergabe eines Teils des Archivs der iKG <strong>Wien</strong> an das VWi be inhaltet.<br />
<strong>Die</strong>ser Vertrag wurde mit absoluter Sorgfalt unter Berück sich ti gung aller relevanten<br />
Fragen und Details erarbeitet. Ein Entwurf des Leihvertrags wurde<br />
dem Anwalt des VWi am 17. Juli 2009 übersandt.<br />
Mag. Raimund Fastenbauer<br />
GS für jüdische Angelegenheiten<br />
Der Präsident der <strong>Israelitische</strong>n<br />
<strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong> und<br />
der Präsident der Zionistischen<br />
Föderation in Österreich<br />
laden Sie herzlich zur<br />
Verabschiedung von<br />
S.E. Botschafter<br />
Dan Ashbel<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 7<br />
ein.<br />
Montag, 14. September 2009<br />
18.00 - 19.30 Uhr<br />
<strong>Gemeinde</strong>zentrum der <strong>Israelitische</strong>n<br />
<strong>Kultusgemeinde</strong> <strong>Wien</strong><br />
Seitenstettengasse 2, 1010 <strong>Wien</strong><br />
Programm:<br />
Begrüßung<br />
Dr. Ariel Muzicant,<br />
Präsident IKG<br />
Ansprache<br />
Univ. Prof. Josef Grünberger,<br />
Präsident ZFÖ<br />
„Zionismus heute“<br />
Laudatio<br />
Dr. Johannes Kyrle,<br />
Generalsekretär für auswärtige<br />
Angelegenheiten<br />
Film<br />
„Biblische Genüsse –<br />
Eine kulinarische Reise durch Israel“<br />
Dankesworte<br />
S.E. Botschafter Dan Ashbel<br />
Im Anschluss bitten<br />
wir zu einem Umtrunk<br />
Aufgrund beschränkter Platzanzahl<br />
ist eine verbindliche Anmeldung<br />
bis Mo. 7.9.09 erforderlich<br />
Kontakt: Sabine Koller<br />
Email: s.koller@ikg-wien.at oder<br />
Tel: 531 04.180
IN EIGENER SACHE • MAIMONIDES ZENTRUM<br />
Maimonides Zentrum – Rückblick und Ausblick<br />
Sehr geehrte LeserInnen der<br />
„<strong>Gemeinde</strong>“-Zeitung!<br />
Anlässlich meines 10-jährigen Fi r -<br />
men jubiläums hat mich der Kultusrat<br />
in der Sitzung von 20. Juli 2009 beauftragt,<br />
einen Rückblick über die ver -<br />
gan genen Jahre zu veröffentlichen.<br />
Am Anfang übernahm ich einen Schul -<br />
denberg von € 2,423 mio. und ein Pfle -<br />
geheim mit geringer Aus las tung und<br />
qualitativ schlechter Per so nal ausstat -<br />
tung. meine vornehmste Aufgabe war,<br />
das Personal auszubilden, nachzuschulen<br />
und auf einen zeitgemäßen<br />
Entwicklungsstand zu he ben, um da -<br />
mit die Qualität in der Betreuung der<br />
Heimbewohnerinnen und Patient in -<br />
nen deutlich zu heben.<br />
Wie Sie der Tabelle „Personalent wick -<br />
lung“ entnehmen können, habe ich das<br />
Pflegepersonal um über 50% aufgestockt,<br />
die medizinische Versor gung<br />
verdoppelt und die Therapeu ten um<br />
vier mit arbeiter erhöht. Ein ge spart<br />
habe ich lediglich im administrativen<br />
Bereich (fünf überflüssige <strong>Die</strong>nstpos -<br />
ten wurden gestrichen) und im Kü -<br />
chenbereich. neu eingeführt habe ich<br />
auch die Position von zwei Sozialar -<br />
bei tern, die der in di viduellen Betreu -<br />
Personalentwicklung 1999 - 2008<br />
Ergebnisentwicklung 2002 - 2008<br />
Beträge In 1.000 EUR<br />
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
1. Umsatzerlöse 6.526 7.119 7.454 7.567 7.577 7.635 7.830<br />
2. Sonstige betiebl. Erträge 755 720 521 558 644 804 644<br />
3. Aufwendungen Material u. sonstige<br />
bezogene Herstellungsleistungen -1.610 -1.804 -1 .762 -1.692 -1.779 -1.864 -1910<br />
4. Personalaufwand -3.723 -3.751 -3.918 -4.254 -4.458 -4.460 -4524<br />
5. Anschreibungen -176 -181 -215 -197 -194 -197 -210<br />
6. Sonstige betr. Aufwendungen -1.499 -1.586 -1.440 -1.416 -1.491 -1.546 -1543<br />
7. Betriebserfolg 273 517 640 566 299 372 287<br />
8. Sonstige Zinsen u. ähnl. Erträge 12 12 10 12 12 22 18<br />
9. Zinsen u. ähnliche Aufwendungen -45 -40 -30 -27 -36 -42 -28<br />
10. Finanzerfolg -33 -28 -20 -15 -24 -20 -10<br />
11. Ergebnis gewöhnl. Geschäftstätigkeit 240 489 620 551 275 352 277<br />
12. Steuern vom Einkommen u. Ertrag -10 -43 -57 -36 -18 -23 -20<br />
13. Jahresgewinn 230 446 563 515 257 329 257<br />
14. Verlustvortrag aus Vorjahr -2.423<br />
15. Bilanzgewinn 174<br />
ung der Heimbewoh ner innen die nen.<br />
Ebenfalls verdoppelt wurden die mit -<br />
ar bei ter in der Ta ges stätte und die Aus -<br />
las tung der Tages stätte hat sich um<br />
200% erhöht.<br />
insgesamt hat sich die Anzahl der mit -<br />
arbeiter um 28 auf 120 Personen mit<br />
Stichtag 31.12. 2008 ge stei gert.<br />
1999 2008 Differenz<br />
Management Geschäftsführer 01 01 00<br />
Mitarbeiter 09 04 -05<br />
Ärzte u. Ambulanz 03 07 +04<br />
Pflege 43 67 +24<br />
Therapeuten 01 05 +04<br />
Küche 18 14 -04<br />
Haustechnik und Wäscherei 13 13 00<br />
Hausdame 01 01 00<br />
Sozialarbeiterin 00 02 +02<br />
Kunst- u.Kulturmanagement 00 01 +01<br />
Tagesstätte Leiterin 01 01 00<br />
Mitarbeiter 02 04 +02<br />
92 120 + 28<br />
Entwicklung der Auslastung 1999 - 2008<br />
Max. Verpflegstage = 148 Betten x 365 Tage = 54.020 Verpflegstage (VT)<br />
1999 2008<br />
VT % VT %<br />
Auslastung 48.456 89,70 53.426 98,90<br />
<strong>Die</strong> Auslastung<br />
konn te ich mit En -<br />
de 2008 auf 98,9%<br />
kontinuierlich steigern.<br />
<strong>Die</strong>s ist letztlichausschlaggebend<br />
für die positive<br />
Bilanz ent wick lung.<br />
Wie Sie der Tabelle<br />
entnehmen können,<br />
wird 2008 ein Bi -<br />
lanz gewinn von €<br />
174.000 ausgewiesen<br />
und das mZ<br />
ist somit schuldenfrei.<br />
<strong>Die</strong>s ist mir be -<br />
sonders wichtig, da<br />
wir im mai mo ni des-<br />
Zentrum „nEU“<br />
große Auf ga ben zu<br />
bewältigen haben<br />
(s. Artikel in der „Ge -<br />
mein de“ April 2009).<br />
meine vornehmste<br />
Aufgabe wird auch<br />
in Zukunft sein, keinen Preis-, sondern<br />
einen Leistungswettbewerb mit der<br />
Kon kurrenz am markt zu führen.<br />
D.h. wir wollen nicht billiger sein, son -<br />
dern ein mehr an qualitativen und<br />
quan titativen Leistungen bieten, um<br />
un seren erworbenen Ruf, das erste<br />
Haus am Platz zu sein, verteidigen zu<br />
können! So werden auch in Zukunft<br />
die Begriffe „Zuwendung, zu Hause sein,<br />
willkommen sein, ankommen, sich wohlfühlen<br />
und in Würde altern“, die Leit li ni -<br />
en für mein Handeln und Arbeiten sein.<br />
Besonders wichtig für mich ist, zu er -<br />
wähnen, dass diese Ergebnisse ohne<br />
den hervorragenden Einsatz all meiner<br />
mitarbeiterinnen nicht zu erzielen ge -<br />
we sen wären und deshalb möchte ich<br />
mich an dieser Stelle in aller Öf fent lich -<br />
keit bei allen sehr herzlich be danken!<br />
Wenn Sie detaillierte Kommentare zu<br />
den Bilanzzahlen wünschen, kommen<br />
Sie mich bitte besuchen oder rufen<br />
Sie mich einfach an!<br />
mit freundlichen Grüßen<br />
Hansjörg missbichler<br />
Geschäftsführer<br />
mag. Bernadette nguyen<br />
Assistentin der Geschäftsführung<br />
8 August 2009 - Aw/Elul 5769
Am 27. Oktober 2008 haben vor und in<br />
der Universität <strong>Wien</strong> Ak tivisten des<br />
Bünd nisses STOP THE BOMB, das sich<br />
gegen Geschäfte mit dem iranischen Re -<br />
gime engagiert, die Demo kra tische Par tei<br />
Kurdistan Iran und andere Gruppen ge -<br />
gen den Auftritt des iranischen Ex-Präsi -<br />
den ten Moham mad Khatami protestiert.<br />
Es kam zu einer Anzeige we gen versuch -<br />
ten Haus friedens bruchs und Wi der stands<br />
gegen die Staatsgewalt.<br />
In einem offenen Brief an die Uni ver sität<br />
<strong>Wien</strong> zeigte sich auch die Israe li tische<br />
Kul tusgemeinde <strong>Wien</strong> „be frem det” über<br />
die Einladung an den früheren iranischen<br />
Präsidenten Mohammed Kha ta mi.<br />
Im Juni wurde das Verfahren gegen die<br />
Hauptangeklagte Simone Hartmann ein ge -<br />
stellt – gegen eine Zahlung von 350 Eu ro.<br />
Der Einzelrichter des Landes ge richts<br />
für Strafsachen <strong>Wien</strong>, Dr. Norbert Gersten<br />
ber ger, hat in der Strafsache ge gen<br />
Simone Hartmann u.a. wegen §§ 109<br />
Abs. 1 und 3, Z 3 StGB u.a .Del. nach<br />
der am 26. Juni 2009 durchgeführ ten<br />
Hauptverhandlung nachstehenden<br />
Beschluss gefasst:<br />
<strong>Die</strong> 34-jährige Erstangeklagte Di Si -<br />
mo ne Hartmann ist mitinitiatorin der<br />
Aktivistengruppe „Stop the bomb”,<br />
die sich gegen das iranische Atom -<br />
pro gramm richtet .<br />
Am 27. Oktober 2008 war der frühere<br />
Staatspräsident der islamischen Re pu -<br />
blik iran, Mohammed Khatami, im Rah -<br />
men einer Ringvorlesung unter der<br />
Projektleitung der Univer sitäts pro fes -<br />
POLITIK • INLAND<br />
Verfahren eingestellt:<br />
Demo gegen Khatami<br />
laut Landesgericht ein<br />
„ehrenhafter“ Protest<br />
soren Dr. Richard Protz und Dr. Ger hard<br />
Luf eingeladen, um im kleinen Fest -<br />
saal der Universität <strong>Wien</strong> einen Vor -<br />
trag zum Thema: „Globales Ethos-Recht<br />
und Dialog der Kulturen” zu halten.<br />
Di Simone Hartmann meldete daraufhin<br />
bei der Polizei eine Demon stra -<br />
tions veranstaltung gegen den Auf tritt<br />
mohammed Khatamis auf der <strong>Wien</strong>er<br />
Universität an, die auch be willigt wur -<br />
de. Den Aktivisten der Grup pe „Stop<br />
the bomb” wurde gestattet, vor der<br />
Universität einen in fostand zu errichten,<br />
an dem infor mationsmaterial über<br />
die Politik des iran verteilt wurde.<br />
Für die Beschuldigte war es aber auch<br />
ein wichtiges Anliegen, ein direktes<br />
Zei chen des Protestes gegen die An we -<br />
s enheit eines so hohen Repräsen tan -<br />
ten eines klerikal-faschistischen, men -<br />
schenverachtenden Systems in den<br />
Hallen der Universität zu setzen. Zu<br />
diesem Zweck hatte sie Triller pfei fen<br />
und auch ein megaphon organisiert,<br />
um den Protest während des Auf trittes<br />
von mohammed Khatami auch in die<br />
Universität zu tragen. Dabei war der<br />
Beschuldigten im Gegensatz zu den<br />
übrigen Angeklagten, denen dies<br />
nicht nachgewiesen werden konnte –<br />
auch bewusst, dass sich von Anbe ginn<br />
des Erscheinens des früheren ira ni -<br />
schen Staatspräsidenten an der Uni ver -<br />
sität <strong>Wien</strong> auch Polizei am Ge län de<br />
befand, um Ausschreitungen und<br />
Übergriffe auf den Gast zu verhindern.<br />
Eine unbestimmte, mindestens 25 Per -<br />
sonen umfassende menge von men -<br />
schen versuchte, nun in weiterer Fol ge<br />
in den kleinen Festsaal der Univer si tät<br />
<strong>Wien</strong> zu gelangen, um einerseits mo -<br />
hammed Kathami mit kritischen Fra -<br />
gen zu konfrontieren, andererseits<br />
ihren Protest dagegen Ausdruck zu<br />
ver leihen, dass dem Genannten ein<br />
Auf tritt an der Universität <strong>Wien</strong> er -<br />
mög licht werde .<br />
Um das Eindringen nicht geladener<br />
Gäste in den kleinen Festsaal zu verhindern,<br />
hatte die Polizei bereits da mit<br />
begonnen, den Festsaal abzuriegeln<br />
und nur Personen einzulassen, die ei -<br />
ne Einladung aufwiesen. Eine größere<br />
Gruppe von Demonstranten versuchte<br />
nun durch Drücken gegen die Fiü gel -<br />
türe und gegen die dort stehenden<br />
Polizeibeamten und mitarbeiter des Si -<br />
cherheitsdienstes der Universität <strong>Wien</strong><br />
in den Festsaal zu gelangen, der recht -<br />
lich betrachtet als abgeschlossener<br />
Raum, der zum öffentlichen <strong>Die</strong>nst be -<br />
stimmt ist, anzusehen war. Dabei wur -<br />
den auch Beamte der Sicher heit -<br />
direktion <strong>Wien</strong>, die zunächst versucht<br />
hatten, die Doppelflügeltür zwischen<br />
der Aula und der Stiege i der Uni ver -<br />
si tät <strong>Wien</strong> zu sichern, zur Seite ge -<br />
schoben und in weiterer Folge auch<br />
an der Sicherung des Eingangs zum<br />
Vorraum des kleinen Festsaals zu hindern<br />
versucht, indem gegen die von<br />
diesen gesicherte Tür gedrückt wur -<br />
de. Der Erstbeschuldigten kann un -<br />
ter stellt werden, nämlich dass sie da -<br />
durch versuchte die Zuhörerschaft des<br />
Vortrages von mohammed Khatami<br />
zumindest zu behindern.<br />
. . . Der Sachverhalt ist im oben ge schil -<br />
derten Sinn hinreichend geklärt. <strong>Die</strong> Schuld<br />
der Beschuldigten DI Si mone Hartmann<br />
ist aus folgenden Er wä gun gen nicht als<br />
schwer anzusehen:<br />
Das Recht der Beschuldigten, ihren Un -<br />
mut über die Anwesenheit des Re prä -<br />
sentanten eines klerikal-fa schis ti schen<br />
Systems an der Universität <strong>Wien</strong> mit<br />
demonstrativen mitteln kundzutun,<br />
ist verfassungsgesetzlich geschützt.<br />
insoweit die Beschuldigte die Grenzen<br />
der ihr bescheidmäßig be willigten<br />
Gegendemonstration überschritt, muss<br />
ihr eine nachvollziehbare und verstehbare<br />
Empörung zugebilligt werden:<br />
Es darf nicht übersehen werden , dass<br />
höchste Vertreter der islamischen Re -<br />
publik iran wie derholt und in aller<br />
Welt öffentlichkeit den Holocaust an<br />
den europäischen Juden geleugnet<br />
und dem Staat israel mit atomarer<br />
Ver nichtung gedroht ha ben. Demon -<br />
strationen gegen höchste Reprä sen -<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 9<br />
POLITIK
tanten eines solchen Regi mes sind da -<br />
her als ehrenhaft zu be zeich nen und<br />
die Empörung der Erst beschuldigten,<br />
die auch dem jü di schen Volk angehört,<br />
verständlich.<br />
<strong>Die</strong> Beschuldigte vermochte mit ihrer<br />
Handlungsweise ein öffentliches Zei -<br />
chen zu setzen, das im Gegensatz zum<br />
Empfang mohammed Khatamis durch<br />
den österreichischen Bun desprä si den -<br />
ten stand, welcher offensichtlich un -<br />
ter Berücksichtigung österreichischer<br />
Wirtschaftsinteressen moham med<br />
Kha tami vor seinem Auftritt an der<br />
Universität <strong>Wien</strong> zu einem Ge spräch<br />
getroffen hatte. Es darf auch nicht über -<br />
sehen werden, dass die Universität<br />
<strong>Wien</strong> ein Ort der Diskussion und der<br />
kri tischen Auseinandersetzung ist,<br />
wes halb die Vorstellung, Vertreter dik -<br />
tatorischer Systeme dürften unwidersprochen<br />
und ohne sich kritischen<br />
Fra gen stellen zu müssen, ihre Thesen<br />
dort ausbreiten, an Unerträglichkeit<br />
grenzt.<br />
Es ist daher insgesamt betrachtet of -<br />
fenkundig, dass die Beschuldigte in<br />
ihrer nachvollziehbaren Emotion bei<br />
ihren geschilderten Verhaltensweisen<br />
Grenzen der gerichtlichen Strafbar keit<br />
überschritt, was den Schuldgehalt die -<br />
ser Taten jedoch erheblich minimiert.<br />
Seit nunmehr acht Jahren kommen im<br />
August Kinder- und Jugendgruppen<br />
aus Tel Aviv/Jaffo für zehn bis zwölf<br />
Tage nach <strong>Wien</strong>, um eine andere Welt<br />
kennenzulernen und auf andere Ge -<br />
POLITIK • INLAND<br />
...... Was die Abhaltung anderer<br />
potentieller Täter anbelangt, so wird<br />
dem durch die Auferlegung der Geld -<br />
buße in ausreichendem maße genüge<br />
getan, geht es doch vor allem darum,<br />
künftigen Demonstranten nicht die<br />
Courage am Demonstrieren zu nehmen,<br />
sondern lediglich aufzuzeigen,<br />
dass gewisse Grenzen nicht überschritten<br />
werden dürfen.<br />
Landesgericht für Strafsachen <strong>Wien</strong><br />
Abt. 151, am 26.6.2009<br />
<strong>Wien</strong>-Urlaub für Kinder aus Tel Aviv/Jaffo<br />
dan ken zu kommen. Jüdische und<br />
pa lästinensische Kinder aus meist<br />
tristen und ärmlichen Verhältnissen<br />
ma chen vor allem gemeinsame Erfah -<br />
rungen und erleben bei Spiel und<br />
<strong>Die</strong> internationale jüdische<br />
EHE-PARTNER-VERMITTLUNG<br />
Weber José<br />
PF 180182<br />
D-60082 Frankfurt a.M.<br />
Telefon +49/69-597 34 57<br />
+49/17/267 14940<br />
Fax +49/69-55 75 95<br />
eMail: weber@simantov.de<br />
www.simantov.de<br />
Präsidentschaftskanzlei<br />
Umstritten: Das Gespräch des Bundespräsidenten mit dem<br />
2009<br />
ehemaligen iranischen Staatspräsidenten Mohammed Khatami ©<br />
Sport eine normalität eines miteinan -<br />
ders, das ihnen ansonsten im Alltag<br />
fremd ist. Auch heuer wieder wur de<br />
den Kindern in Kooperation zwischen<br />
<strong>Wien</strong>Xtra und der MD-Aus lands bezie -<br />
hungen ein umfangreiches Besuchsund<br />
Unterhaltungspro gramm zu sam -<br />
mengestellt.<br />
<strong>Die</strong> „Väter” dieser initiative, der ehemalige<br />
Tel Aviver Stadtrat und Fuß -<br />
ball internationale, Rifaat Tourk, und<br />
Mag. Josef Hollos von <strong>Wien</strong>Xtra be -<br />
gründen ihr Engagement in der Wich -<br />
tigkeit ei ner gemeinsamen Ju gend ar -<br />
beit, de ren Ziel das Ken nenlernen der<br />
jeweils an deren Kultur als Weg zur<br />
gelebten Toleranz ist. Viele Freund -<br />
schaften, die ihren Anfang in <strong>Wien</strong><br />
genommen haben, nähren die Hoff -<br />
nung auf eine friedliche Zukunft und<br />
sind gleichzeitig für die Betreuer ein<br />
wichtiger Ansporn für weitere Aktivi -<br />
täten.<br />
10 August 2009 - Aw/Elul 5769
Der große alte mann des österreichischen<br />
Widerstandes, der mauthau sen-<br />
Überlebende Hans Marsalek (95),<br />
wandte sich mit einem aufrüttelnden<br />
Appell an Landeshauptmann Josef<br />
Pühringer, Landeshauptmann-Stell -<br />
ver treter Erich Haider und Landesrat<br />
Rudolf Anschober. in einem offenen<br />
Brief warnt marsalek vor den zunehmenden<br />
rechtsextremen Umtrieben<br />
und weist darauf hin, dass Ober ös ter -<br />
reich eine Hochburg der braunen Sze -<br />
ne ist. <strong>Die</strong> Gefahr sei groß. Deshalb<br />
fordert der mauthausen-Überlebende<br />
die drei Politiker - sie sind auch Lan -<br />
des vorsitzende von ÖVP, SPÖ und<br />
Grünen - auf, in einem „breiten de mo -<br />
kratischen Bündnis” den Rechtsextre -<br />
mismus wirksam zu bekämpfen.<br />
Drei Punkte seien dafür unabdingbar:<br />
• Erstens das Schnüren eines umfassenden<br />
maßnahmenpakets, das<br />
nicht nur die Landespolitik, die Po -<br />
lizei, die Justiz und die Schulen einbinde,<br />
sondern auch die Kirchen,<br />
die Gewerkschaften, das mauthau -<br />
sen Komitee Österreich, das OÖ.<br />
netzwerk gegen Rassismus und<br />
an dere Organisationen der Zivil ge -<br />
sellschaft.<br />
• Zweitens die nichtzulassung der<br />
„Na tionalen Volkspartei” (NVP) zur<br />
POLITIK • INLAND<br />
Appell eines Mauthausen-Überlebenden:<br />
„Den Rechtsextremismus wirksam bekämpfen!”<br />
Landtagswahl am 27. September und<br />
zu jeder anderen demokratischen<br />
Wahl. Eine Partei, die Teile ihres Pro -<br />
gramms wortwörtlich aus einem<br />
Schulungstext der SS abgeschrieben<br />
habe, sei eindeutig nationalsozialistisch<br />
und müsse verboten werden.<br />
• Drittens eine klare Abgrenzung der<br />
ÖVP, der SPÖ und der Grünen von<br />
der FPÖ, die auch und gerade in<br />
Ober österreich tief in die machen -<br />
schaf ten der rechtsextremen Szene<br />
ver strickt sei. Dass dem Spitzen kan -<br />
didaten der Linzer FPÖ wegen seiner<br />
rechtsextremen Kontakte eine<br />
Offizierskarriere im Bundesheer ver -<br />
wehrt werde, stelle nur eine Tat sa -<br />
che von vielen dar. insgesamt ergebe<br />
sich ein „eindeutiges und erschreckendes<br />
Bild” der FPÖ.<br />
<strong>Die</strong> demokratischen Kräfte müssten<br />
gerade in Zeiten einer Wirtschafts kri se<br />
ungeachtet aller sonstigen Diffe ren zen<br />
gemeinsam gegen den Rechts extre -<br />
mis mus auftreten, so Hans marsalek.<br />
Das sei das Vermächtnis von maut -<br />
hausen.<br />
Der Widerstandskämpfer hat Püh rin -<br />
ger, Haider und Anschober um baldige<br />
Antwort auf seinen Appell und die<br />
drei konkreten Punkte gebeten.<br />
Willi Mernyi,MKÖ<br />
US-Rechtsextreme haben seit Obamas Wahl regen Zulauf<br />
<strong>Die</strong> Wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten hat einer Studie zufolge rassistischen<br />
und fremdenfeindlichen Gruppen Auftrieb gegeben. Der Zulauf für das rechtsextreme<br />
Milieu sei „so groß wie seit zehn Jahren nicht mehr”, heißt es in einem in Washington veröf -<br />
fentlichten Bericht der Bürgerrechts grup pe Southern Poverty Law Center (SPLC). Einer der<br />
wichtig sten Gründe für diese Entwicklung sei, „dass die US-Regierung - die von den meis ten<br />
Rechtsex tre misten als Hauptgegner angesehen wird - einen schwarzen Mann an der Spitze<br />
ste hen hat”.<br />
Dem Bericht zufolge stieg die Zahl der rassistischen Gruppierungen in den USA zwischen<br />
2000 und 2008 um mehr als die Hälfte von 602 auf 926. Es sei „nur eine Frage<br />
der Zeit, bis wir Drohungen und Gewalt erleben”, warnen die Autoren. Sie verweisen auf<br />
Attentats pläne gegen Obama und andere Staats vertreter im rechtsradikalen Skinheadund<br />
Mili zen milieu. <strong>Die</strong> Polizei hatte in den vergangenen Monaten mehrere solcher<br />
Pläne im Anfangsstadium aufgedeckt.<br />
<strong>Die</strong> Autoren der Studie ziehen eine Parallele zu den 90er-Jahren, als rechtsradikale<br />
staatsfeindliche Milizen und andere Gruppierungen unter der Präsidentschaft des<br />
Demokraten Bill Clinton großen Zulauf hatten. <strong>Die</strong> Entwicklung gipfelte in dem Bom -<br />
ben anschlag des Rechtsextremisten Timothy McVeigh, bei dem 1995 in Oklahoma City<br />
168 Menschen starben. Zu Beginn dieses Jahrzehnts hätten derartige Umtriebe wieder<br />
ab genommen, heißt es in dem Bericht; das SPLC führt dies auch auf die Wahl des konservativen<br />
George W. Bush zum Präsidenten im Jahr 2000 zurück. APA<br />
Hans Marsalek<br />
1914 geboren in <strong>Wien</strong> als Kind tschechischer<br />
Eltern; aufgewachsen in bescheidenem,<br />
so zial demokratischem Milieu. Leh -<br />
re als Schrift setzer, Mitglied der „Soziali -<br />
stischen Arbeiterjugend“<br />
1936-1938 für die „Rote Hilfe“ im Wider -<br />
stand gegen den autoritären „Stände staat“<br />
1938 nach seiner Einberufung in die Wehr -<br />
macht Flucht nach Prag, tätig in der so zi al -<br />
de mokratischen Emigrantenorga nisa tion<br />
ab 1940 im kommunistisch-tschechischen<br />
Widerstand in Prag und <strong>Wien</strong><br />
Oktober 1941 Verhaftung in Prag, danach<br />
Haft in verschiedenen Gefängnissen in<br />
<strong>Wien</strong><br />
September 1942 ins KZ Mauthausen über -<br />
stellt; nach einigen Wochen wird er Schre i -<br />
ber in der Lagerschreibstube<br />
ab Mai 1944 Lagerschreiber II des Hauptla -<br />
gers Mauthausen<br />
Mai 1945 Rückkehr nach <strong>Wien</strong> und Eintritt<br />
in den Poliz eidienst (bis 1963), betraut vor<br />
allem mit der Untersu chung neonazistischer<br />
Aktivitäten<br />
ab 1946 maßgeblich an der Errichtung<br />
und Er haltung der Gedenkstätte Maut -<br />
hau sen be teiligt.<br />
seit 1952 Gründungsmitglied des Inter na -<br />
tio nalen Mauthausen-Komitees<br />
1964-1976 Leiter der Gedenkstätte und des<br />
Museums Mauthausen im Bun des minis -<br />
te rium für Inneres.<br />
Buchtipp Buchtipp<br />
Hans Marsalek<br />
<strong>Die</strong> Geschchte<br />
des Konzentrationslagers<br />
Mauthausen<br />
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Ed. Mauthausen<br />
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August 2009 - Aw/Elul 5769 11
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat<br />
am 7. August die Freisprüche für jene<br />
fünf Akti vis ten des damaligen Bun des<br />
freier Ju gend (BfJ), die Ende vergangenen<br />
Jah res in einem Prozess in Wels<br />
we gen Wie derbetätigung angeklagt<br />
waren, be stätigt. <strong>Die</strong> Urteile sind somit<br />
rechts kräftig. Das bestätigte die Staats -<br />
an waltschaft Wels.<br />
Den Beschuldigten hätten im Fall ei -<br />
nes Schuldspruches zehn bis 20 Jah re<br />
Haft gedroht, in Extremfällen sogar<br />
le bens länglich. <strong>Die</strong> Geschworenen in<br />
Wels hielten im november 2008 die<br />
Beweise jedoch für nicht ausreichend.<br />
Neuschöpfung der Hitler-Jugend<br />
in dem Verfahren waren den Beschul -<br />
dig ten Verbrechen nach dem selten an -<br />
gewandten Paragrafen 3a des Ver bots -<br />
gesetzes zur Last gelegt worden: <strong>Die</strong> -<br />
ser stellt den Aufbau ei ner natio nal so -<br />
zia lis tischen Orga nisa tion unter Stra fe.<br />
Laut Ankla ge schrift hätten sie im Zeit -<br />
raum von Oktober 2001 bis Januar<br />
2003 den - vom DÖW als neonazistisch<br />
eingestuften - BfJ auf Basis von nS-<br />
Ge dankengut geschaffen, um „durch<br />
Der BfJ, der seine Basis in Oberösterreich<br />
hat, wird vom Dokumentationsarchiv des<br />
Österreichischen Widerstandes als neonazistisch<br />
eingestuft.<br />
<strong>Die</strong> Vereinigung ist aus der Jugendorgani -<br />
sa tion der „Arbeitsgemeinschaft für de -<br />
mo kratische Politik” (AFP) hervorgegangen,<br />
deren Publikationen nach Ansicht laut<br />
einer Expertise des Verfassungs recht lers<br />
Heinz Mayer „offenkundige und verbrämte<br />
Verherrlichung nationalsozialistischer Ideen”<br />
und „zynische Leugnung von nationalsozialistischen<br />
Gewaltmaß nah men” enthalten.<br />
Der Prozess gegen die vier BfJ-Aktivisten<br />
POLITIK • INLAND<br />
UNGLAUBLICHE FREISPRÜCHE:<br />
Beschuldigte im Welser<br />
BfJ-Prozess freigesprochen<br />
NEONAZI-AKTIVISTEN VOR GERICHT - Verteidiger Andreas Mauhart (l) mit den angeklagen<br />
Aktivisten des „Bundes freier Jugend" (BfJ), die sich am Mittwoch, 14. Mai 2008, wegen dem<br />
Aufbau einer nationalsozialistischen Organisation vor Gericht verantworten mussten.<br />
dauerhafte Wieder be tä tigung und Propa -<br />
gan da die verfassungsmäßige Struk tur der<br />
Republik Österreich durch eine Volks ge -<br />
meinschaft nationalsozialistischer Prä gung<br />
zu ersetzen”.<br />
<strong>Die</strong> Staatsanwalt schaft sprach sogar<br />
von einer „direkten Neu schöpfung der<br />
Hitler-Jugend”. Sie hätten sich als Lei ter,<br />
und gegen Horst Ludwig, den Vorsit zen -<br />
den der Arbeitsgemein schaft für demokratische<br />
Politik, begann am 14. Mai 2008;<br />
die Anklage lautete unter anderem auf<br />
Verstoß ge gen § 3a Verbotsgesetz.<br />
Am 5. No vem ber 2008 wurden schließlich<br />
alle An geklagten freigesprochen, die<br />
Staats an waltschaft meldete Nichtig keits -<br />
be schwerde an.<br />
Am 7. August 2009 teilte die zuständige<br />
Staatsanwaltschaft Wels mit, dass die Frei -<br />
sprüche aus dem Geschworenen pro zess<br />
im Rechts mittelverfahren vom Obers ten<br />
Ge richtshof bestätigt wurden. Sie sind so -<br />
mit rechtskräftig geworden.<br />
dessen Stellvertreter und „Pro pa gan da -<br />
chef” führend in der Organisa tion be -<br />
tätigt. Zwei Weitere der Be schul dig ten<br />
sollen laut Anklage als „Leiter der Ein -<br />
satz grup pe” und als rechtlicher Be ra -<br />
ter aktiv gewesen sein. Das hatten sie,<br />
sowie ihre Verteidiger Herbert Schal ler<br />
und Andreas Mauhart stets bestritten.<br />
Schaller kritisierte, es handle sich um<br />
einen „Polit-Prozess” und bezeichete das<br />
Wiederbetätigungsgesetz als „längst<br />
ver blichenes Ausnahmegesetz”, das einst<br />
unter dem Druck der Be sat zungs mäch -<br />
te vom Parlament be schlossen worden<br />
sei.<br />
Seine mandan ten seien lediglich<br />
"jun ge Menschen, die das Schicksal ihres<br />
Volkes in die Hand nehmen wollen". „Ich<br />
bin fassungslos, dass so et was ein Ver bre -<br />
chen ist." Demokratie müsse von links -<br />
extrem bis rechtsextrem alles zulassen,<br />
so Schaller weiter. „Wir wollen nicht<br />
von Ausländern überrannt werden", das<br />
sei gemäß dem Weltmenschenrechts -<br />
ver trag „erlaubte Politik”, stellte der<br />
Verteidiger fest.<br />
12 August 2009 - Aw/Elul 5769<br />
© APA/Rubra
<strong>Die</strong> Angeklagten wür den sich „lediglich<br />
mit einfachen po li ti schen Fragen<br />
beschäftigen, aber nicht im nationalsozialistischen<br />
Sinn wiederbetätigen” und<br />
dürften dafür nicht kriminalisiert<br />
wer den. natio na lis mus heiße nicht,<br />
andere Völker zu hassen, sondern das<br />
eigene zu lieben. Wenn sie gegen ei -<br />
nen „Türkensturm” eintreten würden,<br />
sei damit lediglich der EU-Beitritt der<br />
Türkei gemeint.<br />
Auch der zweite Verteidiger, Andreas<br />
Mauhart, - er vertritt zwei Beschuldig te<br />
- stellte die Frage, ob er verhaftet wer -<br />
den könne, wenn er sage, die Wohn -<br />
qualität in einem Hitler-Bau sei gut<br />
oder er fahre gerne auf der – in der nS-<br />
Zeit erbauten – Autobahn von Linz<br />
nach <strong>Wien</strong>. <strong>Die</strong> Beschuldigten hätten<br />
POLITIK • INLAND<br />
lediglich eine Jugendgruppe gebildet<br />
und 1.000 Stück Druckwerk bestellt<br />
sowie selbst verteilt. "Man findet in der<br />
Anklage nicht einen Menschen, der verletzt<br />
worden ist."<br />
mauhart bemühte sich, die Harm lo -<br />
sig keit des BfJ und seiner mandanten<br />
herauszustreichen. „Meine Mandanten<br />
werden sich nicht schuldig bekennen und<br />
ich bin überzeugt, dass auch das Beweis -<br />
ver fahren nichts anderes ergeben wird”,<br />
gab sich der Verteidiger optimistisch.<br />
Auslöser für das Aktivwerden der Jus -<br />
tiz war ein Rechtsextremen-Treffen<br />
En de märz 2007 in St. Johann (Pon -<br />
gau) in Salzburg. Rund 60 zum Teil<br />
amtsbekannte Teilnehmer aus Ober -<br />
ös terreich feierten in einem Gasthaus<br />
den „Tag der Volkstreuen Jugend”. Ein<br />
OBERÖSTERREICH-WAHL:<br />
Acht Parteien wollen kandidieren<br />
– auch die NVP<br />
Bei der Wahl zum Oberösterreichi -<br />
schen Landtag am 27. September wol -<br />
len acht Parteien kandidieren. neben<br />
ÖVP, SPÖ, Grünen, FPÖ und BZÖ,<br />
die schon bisher mit Abgeordneten<br />
im Landtag vertreten waren, haben<br />
die KPÖ, <strong>Die</strong> Christen und die um -<br />
strittene, vom Dokumentations ar chiv<br />
des Österreichischen Widerstandes<br />
(DÖW) als rechtsextrem eingestufte<br />
nationale Volkspartei (nVP) Wahl -<br />
vor schläge eingebracht. Über Recht -<br />
mäßigkeit der Bezeichnungen und<br />
tat sächliche Zulassung zur Wahl muss<br />
erst die Landeswahlbehörde entscheiden.<br />
Fristgerecht eingereicht wurden Vor -<br />
schläge ÖVP, SPÖ, den Grünen, der<br />
FPÖ und des BZÖ. ihre Kandidatur<br />
angemeldet haben darüber hinaus<br />
<strong>Die</strong> Christen Oberösterreich, die KPÖ<br />
und die Nationale Volkspartei (nVP).<br />
<strong>Die</strong> ersten sieben Parteien haben eine<br />
landesweite Kandidatur eingereicht.<br />
<strong>Die</strong> nVP hat ihre nur für den Wahl -<br />
kreis 1 (Linz und Umgebung) abgegeben.<br />
notwendig für eine landesweite<br />
Kandidatur sind 400 unterstützende<br />
Unterschriften, wobei für jeden der<br />
fünf Wahlkreise zumindest 80 nachgewiesen<br />
werden müssen.<br />
Gegen ei ne mögliche Kandidatur der<br />
nVP gibt es schon seit Wochen Pro -<br />
teste von verschiedenen Seiten. Der<br />
Landes wahl leiter Michael Gugler stand<br />
deshalb seit Juni mit dem Bundesamt<br />
für Ver fas sungsschutz und Terro ris -<br />
musbe kämp fung sowie der Sicher -<br />
heits di rek tion für das Bundesland<br />
Oberösterreich in Kontakt, um ausreichend<br />
in formationen über die Grup pe,<br />
die be teiligten Personen, deren Hin -<br />
ter grün de und Ziele zu erhalten. Aus -<br />
ser dem wurde ein verfassungsrechtliches<br />
Gut achten zur Frage eingeholt,<br />
ob die Gruppierung gegen das Ver -<br />
bots ge setz verstoße, das der Lan des -<br />
wahl be hör de als Grundlage für eine<br />
Entscheidung dienen soll. Sie setzt<br />
sich aus je vier Vertretern der ÖVP und<br />
der SPÖ so wie je zwei Ver trauens per -<br />
sonen der Grünen, der FPÖ, des BZÖ<br />
und der KPÖ zusammen. Vorsitzen -<br />
der ist der Leiter der Direk tion inneres<br />
und Kom munales des Landes, mi cha el<br />
Gugler.<br />
Gegen die Zulassung der nVP hat<br />
An fang August eine Demonstration<br />
in Linz stattgefunden, zu der die So -<br />
zia lis ti sche Linkspartei (SLP) aufgerufen<br />
hatte. Auf den Transparenten war<br />
„BFJ & NVP: Alte Nazis - Neuer Schmäh”<br />
zu lesen und wurde lautstark skandiert.<br />
SLP-Bundessprecherin Son ja<br />
Grusch kritisierte die etablierten Par -<br />
teien, die in Krisenzeiten den Boden<br />
für Rechtsextremismus bereiten würden.<br />
APA<br />
Großaufgebot der Polizei löste die Ver -<br />
sammlung auf und beschlagnahmte<br />
einschlägige Bücher, CDs, Transpa -<br />
ren te etc. Einige Tage später wurden<br />
die drei als Rädelsführer Beschul dig -<br />
ten in Oberösterreich verhaftet.<br />
Der grüne Landtagsabgeordnete und<br />
menschenrechtssprecher seiner Partei,<br />
Gunther Trübswasser, bezeichnete die<br />
Be stätigung des Freispruchs durch den<br />
OGH als „schlichtweg eine Katastro -<br />
phe”. Er hoffe, dass die Entscheidung<br />
der Justizbehörden nur aus formalen<br />
Gründen erfolgt sei. Rechtsextreme<br />
Ak tivisten würden sich jetzt legitimiert<br />
fühlen. Schon bisher hätten Funktio -<br />
näre der FPÖ nichts dabei ge funden,<br />
wenn sie Kontakte zu Per so nen aus<br />
dem BfJ bestätigten. red<br />
VIP-Betreuung für<br />
mutmaßlichen NS-Täter<br />
Der vor wenigen monaten aus den<br />
USA nach Österreich abgeschobene<br />
Josias Kumpf war mitglied der SS-To -<br />
ten kopfdivision und KZ-Wächter im<br />
Lager Trawniki. in Österreich wurde<br />
für ihn in <strong>Wien</strong> eine 1.000 Euro-Woh -<br />
nung in bester Lage gemietet und eine<br />
24-Stunden-Pflege organisiert. Es liegen<br />
konkrete Hinweise vor, dass ös ter -<br />
reichische Behörden diese ViP Be treu -<br />
ung veranlasst haben. <strong>Die</strong> Spuren<br />
füh ren nach Vorarlberg und ins in nen -<br />
ministerium. Seit die Sache bekannt<br />
geworden ist, sind alle auf Tauch sta -<br />
ti on. "Das ganze ist skandalös, wenn man<br />
weiß, was im Vergleich Asylwer ber Innen<br />
in Österreich erhalten. Warum haben sich<br />
österreichische Behörden so intensiv um<br />
einen ehemaligen KZ Wächter be müht?"<br />
rätselt Albert Steinhauser, Jus tiz spre -<br />
cher der Grünen, über die mo tivlage<br />
der Behörden. "Während heute in Mün -<br />
chen die Staatsanwalt schaft den mutmaßlichen<br />
NS-Verbrecher John Dem jan juk we -<br />
gen Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen<br />
angeklagt hat, zeigt das österreichische In -<br />
nenministerium wenig Interesse, im Fall<br />
Kumpf tätig zu werden. <strong>Die</strong>ser "österreichische"<br />
Umgang mit mut maßlichen ehemaligen<br />
Kriegsver bre chern ist unerträglich",<br />
so Steinhauser. Eine umfassende<br />
parlamentarische An fra ge zwingt<br />
nun das innenministerium den Fall of -<br />
fen zu legen. <strong>Die</strong> letzte bekannte<br />
Station Kumpfs ist das AKH. Ein An -<br />
trag auf Bestellung eines Sachwalters<br />
soll eingereicht worden sein. red<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 11
Andreas Peham, Rechtsextremismus-<br />
Experte im Dokumentationsarchiv des<br />
Österreichischen Widerstandes (DÖW)<br />
warnt davor, dass neona zis mus im -<br />
mer mehr zur Jugendbewe gung wird.<br />
Den im jüngsten Verfas sungs bericht<br />
verbreiteten „Optimis mus”, wonach<br />
es für die rechtsextreme Szene in Ös -<br />
ter reich „kaum Entfal tungs spielraum”<br />
gebe, teile er absolut nicht, erklärte Pe -<br />
ham im Gespräch mit der APA. Der<br />
„massive Zulauf zur Un ter grundszene”<br />
sei nach wie vor ungebrochen.<br />
<strong>Die</strong> Einschätzung des Bundesamtes<br />
für Verfassungsschutz und Terroris -<br />
mus bekämpfung, dass Rechtsextre -<br />
mis mus in der Bevölkerung auf breite<br />
Ab lehnung stoße, könne er nicht be -<br />
stä ti gen, so Peham. „Ich würde sogar<br />
das Ge genteil behaupten: Es gibt bei weitem<br />
nicht so eine große Ablehnung.” Ge -<br />
ra de Jugendliche, die so genannten<br />
„Kin der der Wende”, hätten oft eine<br />
problematische Einstellung. Das habe<br />
man einerseits an deren Wahlver hal -<br />
ten bei den nationalratswahlen 2008<br />
gesehen, andererseits gebe es auch Stu -<br />
dien, wo nach sich 39 Prozent der 12bis<br />
19-Jäh rigen einen „starken Mann”<br />
an der Spitze des Staates wünschten.<br />
Der neonazismus habe eine „enorme<br />
Dy namik”, meint der Experte. „Der<br />
mas sive Zulauf zur Untergrundszene ist<br />
un ge brochen.” in den vergangenen Jah -<br />
ren sei es der neonaziszene gelungen,<br />
ih re „schlagkräftigen Strukturen wieder<br />
aufzubauen”. Peham erkennt dabei vor<br />
al lem ein Problem: „Neonazismus ist<br />
zu nehmend zur Jugendbewegung ge wor -<br />
den.” <strong>Die</strong> Szene sei „ausgefranst” und<br />
POLITIK • INLAND<br />
„Erlebniswelt Neonazismus”<br />
biete Jugendlichen ein vielfältiges<br />
Angebot: Von Reisen über Demon stra -<br />
tionen, Klei dung und musik bis zu<br />
Kampf sport arten sei alles dabei. Es ge -<br />
be so gar ein eigenes Parfüm für ne o -<br />
nazis. „Wir nennen das Erlebnis welt<br />
Neona zis mus.”<br />
Das frühere image, „wildgewordene<br />
Spießer” zu sein, hätten die neonazis<br />
mittlerweile abgelegt. Hätten sie früher<br />
niemals Autoritäten wie die Po li -<br />
zei angegriffen, beginne sich dies nun<br />
auch in Österreich zu ändern, erklärt<br />
Peham. Außerdem seien die Rechts ex -<br />
tremen äußerlich nicht mehr einfach<br />
zu erkennen - ähnlich der „Autono -<br />
men” (politisch links) würden sie heutzutage<br />
auch mit Che-Guevara-Shirts<br />
und Palästinenserschals auftreten.<br />
„Früher hat das nicht gefetzt, aber das<br />
haben sie in den letzten Jahren geschafft.”<br />
Das neonazi-Problem finde auch auf<br />
politischer Ebene statt. „<strong>Die</strong> FPÖ wird<br />
durchlässig”, meint der Experte. Der<br />
„Rechts ruck” der Partei seit 2005 sei<br />
„auf fällig” und werde sich auch im<br />
neu en Parteiprogramm wiederfinden,<br />
glaubt Peham, indem er auf Vor fälle<br />
wie etwa die Bestellungen bei ei nem<br />
rechtsextremen internet ver sand durch<br />
damalige mitarbeiter des Drit ten na -<br />
tionalratspräsidenten martin Graf (F)<br />
verweist. „Ich appelliere an das Verant -<br />
wor tungsgefühl der FPÖ - auch in ihrem<br />
Sinne.”<br />
Besonders stark sei die neonazi-Sze ne<br />
aber in Vorarlberg und Ober ös terreich<br />
ausgeprägt. Dass vor allem Ober ös ter -<br />
reich in letzter Zeit öfter mit rechtsextremistischen<br />
Vorfällen in die Schlag -<br />
„Im Moment träume ich von <strong>Wien</strong>,<br />
der Stadt, in der ich geboren bin und<br />
aus der ich als Kind vertrieben wurde.<br />
Ich bin dort in diesem Jahr Ehren bür -<br />
ger geworden, ein bittersüßer Mo -<br />
ment. Ich träume davon, dass Österreich<br />
seine Vergangen heit aufarbeitet.<br />
<strong>Die</strong> Integrität und Offenheit, mit der<br />
Deutschland die Hitler-Zeit untersucht<br />
und eine De mokratie geformt hat, ist<br />
vorbildlich. Von solcher Transparenz<br />
ist in Österreich nichts zu spüren.”<br />
Eric Kandel, amerikanischer Neurowissenschaftler<br />
und Nobelpreis träger im<br />
„ZEITmagazin” Nr. 30<br />
zei len geriet, hat für Peham zwei<br />
Grün de: Zur Zeit der Befreiung der<br />
Al liierten seien viele nazis ins innund<br />
Hausruckviertel gezogen, da sie<br />
sich von den amerikanischen Besat -<br />
zern mehr milde erwarteten. Weil das<br />
Gedankengut oft in der Familie wei -<br />
tergegeben wurde, seien diese Gebie te<br />
„bis heute Hochburgen”. Aktuell sei<br />
auch die nähe zu Deutschland ausschlaggebend,<br />
wo es ebenfalls gut or -<br />
ga ni sier te neonazis gebe.<br />
Dass das Oberösterreichische Netzwerk<br />
gegen Rassismus und Rechtsextremis mus<br />
mitten im Landtagswahlkampf der<br />
FPÖ in einem „Dossier” Rechtsex tre -<br />
mis mus vorgeworfen hat, begrüßt Pe -<br />
ham. natürlich bestehe dabei auch die<br />
Gefahr einer mobilisierung der Ge gen -<br />
seite, aber: „Was wäre die Alter na tive?<br />
Schweigen kann es nicht sein.”<br />
„Reden, reden, reden” sei ohnehin das<br />
Einzige, was man gegen den zunehmenden<br />
Rechts extremismus unternehmen<br />
kann, glaubt Peham. „Man muss<br />
vor allem mit Jugendlichen arbeiten, die<br />
kann man noch zum Umdenken bewe -<br />
gen.” Er sei gespannt, ob ab Herbst,<br />
wie von der Regierung versprochen,<br />
mehr in po litische Bildung an Schulen<br />
in vestiert werde, oder ob es sich nur<br />
um ein „Lippenbekenntnis” angesichts<br />
der jüngsten Vorfälle etwa im KZ<br />
Ebensee handle. Generell müsse die<br />
Bil dung der Jugendlichen aber eine<br />
„ge samtgesellschaftliche Anstrengung”<br />
sein, die nicht nur von einer institu tion<br />
verlangt wird. Von der Politik er warte<br />
er sich außerdem „mehr Demo kra tisie -<br />
rung” und „Mut zur inhaltlichen Ab gren -<br />
zung”, betonte Peham. •<br />
14 August 2009 - Aw/Elul 5769
18 der 27 jungen Vorstädter, die 2006 in<br />
Paris einen 23 jährigen Juden entführt,<br />
ge foltert und ermordet hatten, kommen<br />
voraussichtlich ein zweites Mal vor Ge -<br />
richt. Jüdische Verbände empörten sich<br />
über die verhältnismäßig moderaten Ur -<br />
teile, die im ersten Prozess gegen Kom pli -<br />
zen des Hauptangeklagten gefällt wurden.<br />
<strong>Die</strong> Justizministerin ordnete ein Beru fungs -<br />
verfahren an, was wiederum in anderen<br />
jüdischen Kreisen für Unbehagen sorgt.<br />
VON DANNY LEDER, Paris<br />
nach einem zehnwöchigen Prozess<br />
wurden am Freitag dem 11. Juli, die<br />
Urteilsprüche verlautbart: gegen Yous -<br />
souf Fofana, den Hauptan geklagten und<br />
bekennenden mörder von ilan Hali mi,<br />
wurde die Höchststrafe verhängt, näm -<br />
lich lebenslange Haft mit einer „Si -<br />
cherheitsfrist“ von 22 Jahren. <strong>Die</strong> Ur -<br />
tei le gegen die übrigen 26 An ge klagten<br />
reichten von zwei Frei sprü chen bis hin<br />
zu 15 und 18 Jahren Haft für die beiden<br />
engsten Komplizen von Fofana.<br />
Das zur Tatzeit minderjährige mäd -<br />
chen, Sorour A., das ilan Halimi zu dem<br />
Rendezvous gelockt hatte, bei dem<br />
ihm die Entführer auflauerten, be kam<br />
eine neunjährige Freiheitsstrafe (der<br />
Staatsanwalt hatte 10 bis 12 Jahre ge -<br />
POLITIK • AUSLAND<br />
Foltermord an Ilan Halimi<br />
kommt neuerlich vor Gericht<br />
Leerer Gerichtssaal in Paris: Halimi-Prozess hinter verschlossenen Türen<br />
for dert). <strong>Die</strong> Burschen, die sich als<br />
Kerkermeister während der dreiwöchigen<br />
Gefangenschaft von ilan Hali mi<br />
im Keller eines Plattenbaus im Pariser<br />
Vorort Bagneux abgelöst hatten,<br />
erhielten 10 bis 12 Jahre – mit einer<br />
Aus nahme: einer von ihnen, obwohl<br />
zur Tatzeit minderjährig, wurde (wie<br />
vom Staatsanwalt verlangt) zu 15 Jah -<br />
ren Gefängnis verurteilt, weil er er wie -<br />
senermaßen mit ilan Halimi beson -<br />
ders grausam umgegangen war.<br />
Damit folgten die Geschworenen der<br />
Staffelung der Strafen, die der Staats an -<br />
walt vorgeschlagen hatte, unterboten<br />
aber das von ihm geforderte Straf aus -<br />
maß bei 14 der 26 Komplizen. Bei den<br />
meisten Strafen, die milder ausfielen,<br />
handelte es sich allerdings um eine<br />
Dif ferenz von ein, in seltenen Fällen,<br />
maximal zwei Jahren gegenüber dem<br />
Strafausmaß, das der Staatsanwalt<br />
gefordert hatte.<br />
nur in einem Fall wurde die Empfeh -<br />
lung des Staatsanwalts um fünf Jahre<br />
unterboten: einer der beiden engsten<br />
Komplizen des Hauptangeklagten, der<br />
31-jährige Samir Ait Abdelmalek, der<br />
sich als drogensüchtiger und hilfloser<br />
Befehlsempfänger von Fofana präsentiert<br />
hatte, bekam 15 Jahre, obwohl<br />
der Staatsanwalt eine 20-jährige Frei -<br />
heitsstrafe verlangt hatte.<br />
Über die Verhängung der Höchst stra fe<br />
gegen Fofana bestand kein Zweifel,<br />
zumal sich der 29-jährige Entführer-<br />
Boss selber als „Chef der Barbaren“<br />
bezeichnet und mit unverhohlenem<br />
Stolz zu seiner Tat bekannt hatte. Fo fa -<br />
na, der aus einer Einwandererfa mi lie<br />
der Elfenbeinküste stammt, präsentierte<br />
sich gleich Eingangs als „afrikanischer<br />
und arabischer Islamist“. Er bestätigte,<br />
dass er Halimi, nach 24 Tagen<br />
Geiselhaft und dem Scheitern der Lö -<br />
se geldverhandlungen, in ei nem ge -<br />
stohlenen PKW, nackt und zu einem<br />
hilflosen Bündel verschnürt, in ein<br />
ent legenes Grundstück transportiert<br />
hatte, und dass er dort auf den be reits<br />
zuvor schwer malträtierten Halimi mit<br />
einem messer mehrmals eingestochen<br />
hatte. Weiters, dass er Halimi obendrein<br />
mit einer entzündbaren Flüssig -<br />
keit überschüttet und angezündet hat -<br />
te. <strong>Die</strong> Flüssigkeit, so gab Fofana vor<br />
Gericht unumwunden zu, hatte er ab -<br />
sichtlich mitgenommen – ein Be -<br />
kennt nis zur Vorsätzlichkeit seiner Tat.<br />
Als Begründung offenbarte Fofana den<br />
antijüdischen Wahn, der bei Teilen der<br />
Jugend in Frankreichs migranten vier -<br />
teln zirkuliert: Er habe, so Fofana,<br />
durch seine Tat „Afrika unterstützen<br />
wollen“, zumal „hinter jedem Problem, et -<br />
wa dem Elend in der Welt, ein Jude steckt“.<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 15<br />
© Reuters/Gonzalo Fuentes
Auf die Frage, inwiefern ilan Halimi<br />
für die Probleme Afrikas verantwortlich<br />
sei, antwortete Fofana: „Er ist ein<br />
Jude“.<br />
<strong>Die</strong> restlichen Angeklagten hatten im<br />
Verlaufe des Prozesses auf Distanz zu<br />
Youssouf Fofana Wert gelegt. Fast alle<br />
gaben in mehr oder weniger glaubwürdiger<br />
Weise Erklärungen der<br />
Scham und Reue über ihre Beteili gung<br />
an der Entführung ab, einige weinten.<br />
<strong>Die</strong> meisten behaupteten, sie wären<br />
von Fofana in die Affäre schrittweise<br />
ver wickelt worden, ohne genaue<br />
Kennt nis über seine Absichten. Ande -<br />
re, die weder ihre Kenntnis der Gei -<br />
sel nahme noch ihre Gier nach dem<br />
Löse geld leugnen konnten, schworen,<br />
sie hätten nie und nimmer die mög -<br />
lich keit der Ermordung von Halimi<br />
erw o gen.<br />
Verteidiger und Staatsanwalt im<br />
Gleichklang: Kriminalität ohne<br />
Judenhass<br />
<strong>Die</strong> Verteidiger der mitangeklagten<br />
be mühten sich natürlich besonders<br />
intensiv, ihre Klienten vom Judenhass<br />
und islamismus, den Fofana predigte,<br />
rein zu waschen. So schrieben zwei<br />
dieser Anwälte, Gilles Antonowicz und<br />
Françoise Cotta, in einem nachträgli -<br />
chen Plädoyer, das im Pariser Blatt ‘Le<br />
monde’ erschien: „<strong>Die</strong>se Jugendli chen<br />
von 17 und 18 Jahren, von denen keiner<br />
das Antlitz eines Barbaren hat, wurden<br />
von ihm (Fofana) für ein paar Euro re kru -<br />
tiert.“ Dass Fofana „im übrigen Antise -<br />
mit sei“, würde „nichts daran ändern“,<br />
dass das motiv seiner Komplizen „vor<br />
allem Gewinnsucht“ gewesen sei. Eine<br />
Argumentation, die den tröstlichen<br />
irrglauben bestärkt, man könne zwischen<br />
ideologischer Judenfeindschaft<br />
und krimineller Energie fein säuberlich<br />
trennen.<br />
Dabei war es ganz offensichtlich, dass<br />
ilan Halimi, der als Angestellter in<br />
einem kleinen Laden Handys verkaufte<br />
und daher schwerlich als Großver -<br />
diener betrachtet werden konnte, einzig<br />
und allein entführt wurde, weil er<br />
als Jude galt. Ab da erwarteten die<br />
Entführer, dass gegebenenfalls „reiche<br />
Juden“ für ihn einspringen und das<br />
geforderte Lösegeld – 450.000 Euro –<br />
aufbringen würden, weshalb sich ja<br />
Fofana mit seiner Forderung auch an<br />
einen x-beliebigen Rabbiner wandte,<br />
den er im Telefonbuch fand.<br />
POLITIK • AUSLAND<br />
Das Paradoxe an dem Prozessverlauf<br />
war, dass die Argumentation der Ver -<br />
teidigung auch vom wichtigsten An -<br />
kla gevertreter tendenziell verfochten<br />
wurde. Der Staatsanwalt, Philippe<br />
Bilger, errichtete sein Plädoyer auf<br />
dem Gegensatz zwischen dem diabolischen<br />
Rädelsführer Fofana („Er ist die<br />
Provokation, der Antisemitismus, eine völ -<br />
lig abwegige Persönlichkeit“) und dem<br />
Rest der Angeklagten, die er als abgedriftete<br />
müßiggänger auf der Suche<br />
nach einem Führer schilderte.<br />
Kritiker des Staatsanwalts glaubten<br />
aus seinem Plädoyer eine höchst problematische<br />
Unterscheidung zwischen<br />
verschiedenen Graden der Juden feind -<br />
schaft heraushören zu können: Fofa -<br />
na sei der Träger eines „Antisemi tis mus<br />
des Hasses, der Gewalt und des To des“,<br />
betonte der Staatsanwalt. Damit habe<br />
der Staatsanwalt, so der Vorwurf seiner<br />
Kritiker, geläufigere Erschei nungs for -<br />
men des antijüdischen Ressentiments<br />
verharmlost, statt sie als Vorstufe und<br />
Rahmbedingung für den Judenmord<br />
zu begreifen.<br />
Gemäß seiner Einschätzung der mo -<br />
tive der Angeklagten forderte Staats -<br />
anwalt Bilger eine Bestrafung für die<br />
Komplizen von Fofana, die unter den<br />
Erwartungen der Familie Halimi blieb.<br />
Das Plädoyer der Zivilkläger:<br />
Das Gesetz der Republik gegen das<br />
Gesetz der Siedlung<br />
Halimis Hinterbliebene waren als Pri -<br />
vatkläger im Prozess vertreten. ihre<br />
An wälte, Caroline Toby und Francis<br />
Szpinner, betonten, die Entführer hätten,<br />
angetrieben durch ihren Juden -<br />
hass, an die Vorgangsweise der nazis<br />
angeknüpft: etwa als sie ilan die Haa -<br />
re schoren, folterten, bei lebendigem<br />
Leib verbrannten.<br />
Szpinner unterstrich auch, wie sehr<br />
sich Fofana auf seine Getreuen verlassen<br />
konnte: so war der Bandenboss<br />
wäh rend der 24-tägigen Entführung<br />
drei mal in die Elfenbeinküste geflogen,<br />
ohne dass sich in der Zwi schen -<br />
zeit auch nur ein einziger Komplize<br />
oder mitwisser dazu aufgerafft hätte,<br />
dem martyrium von Halimi ein Ende<br />
zu bereiten, und sei es nur durch ei -<br />
nen anonymen Anruf bei der Polizei.<br />
Genau dieses ungeschriebene „Ge setz<br />
des milieus“ in gewissen Vororte-<br />
Sied lungen, eine mischung aus<br />
Schwei gen, Wegschauen, Angst und<br />
Protestkundgebung gegen milde Urteile für Mitt<br />
Grup penloyalität, aber auch Judenund<br />
Frauenfeindlichkeit, prangerte<br />
Szpinner an, als er in seinem Plä do yer<br />
an den Fall Sohane erinnerte. <strong>Die</strong> 17jäh<br />
rige Franko-maghrebinerin So ha ne<br />
Benziane war von einem abgewiesenen<br />
22-jährigen Liebhaber in den Kel -<br />
ler eines Sozialbaus im Pariser Vorort<br />
Vitry-sur-Seine gelockt und dort bei<br />
le bendigem Leib verbrannt worden.<br />
Bei der Rekonstruktion des Ver bre -<br />
chens vor Ort solidarisierten sich etliche<br />
Einwohner der Siedlung lautstark<br />
mit dem Angeklagten. Das Gesetz der<br />
Republik müsse „mehr Angst einflößen<br />
als das der Siedlung“, forderte Szpin ner.<br />
Auch die mutter von ilan Halimi<br />
mahn te, ihr Sohn sei wegen des „Geset -<br />
zes der Siedlung, dem Gesetz des Schwei -<br />
gens“, gestorben. Darum hatte Ruth<br />
Halimi stets auf einen öffentlichen Pro -<br />
zess gedrungen – vergeblich: der Pro -<br />
zess fand hinter verschlossenen Tü -<br />
ren statt und zwar auf Verlangen von<br />
zwei der Angeklagten, die zur Tatzeit<br />
minderjährig waren, und die daher ei -<br />
nen diesbezüglichen rechtlichen An -<br />
spruch hatten.<br />
16 August 2009 - Aw/Elul 5769
äter<br />
Jüdische Organisationen wollten einen<br />
„pädagogischen Prozess“<br />
Jüdische Organisationen bedauerten,<br />
durch den Ausschluss der Öffentlichkeit<br />
habe der Prozess „seine pädagogische<br />
Aufgabe nicht erfüllt“. Raphael<br />
Haddad, Vorsitzender der Union jüdischer<br />
Studenten Frankreichs, meinte:<br />
„Das war ja nicht nur ein Kriminalfall in<br />
ei nem Keller eines Vorstadtbaus. Das hät -<br />
te der Prozess der tausenden antisemitischen<br />
Taten sein sollen, die seit Beginn des<br />
21.Jahrhunderts verübt worden sind“.<br />
Das ist allerdings eine problematische<br />
Haltung, zumal es in einem Prozess<br />
in erster Linie um die Ahndung spezifischer<br />
Taten spezifischer Personen<br />
geht. <strong>Die</strong> Erwartung, die Haddad und<br />
andere Aktivisten jüdischer Organi -<br />
sa tionen bezüglich dieses Prozesses<br />
hegten, ist allerdings verständlich:<br />
Frank reich ist das Land Europas, in<br />
dem seit dem Jahr 2000, also zeitlich<br />
ausgehend von der zweiten palästinensischen<br />
intifada, die meisten antijüdischen<br />
Gewalttaten verzeichnet<br />
wurden. <strong>Die</strong> Voraussetzungen dafür<br />
wurden hier bereits wiederholt dar-<br />
POLITIK • AUSLAND<br />
gelegt: die parallele Präsenz der meisten<br />
Juden (rund 600.000) und mos -<br />
lems (etwa fünf millionen) Europas,<br />
wobei beide Bevölkerungsgruppen<br />
familiengeschichtlich überwiegend<br />
aus Frankreichs Ex-Kolonien in nord -<br />
afrika stammen und stellenweise noch<br />
in enger nachbarschaft in Vororten<br />
und städtischen Randgebieten leben.<br />
Unmittelbar nach Verkündung der<br />
Urteile entrüstete sich der Anwalt der<br />
Familie Halimi über die „außerordentliche<br />
Nachsicht“ gegenüber den Kom -<br />
pli zen von Fofana. Staatsanwalt Bil -<br />
ger erklärte sich hingegen mit den<br />
Urteilen zufrieden.<br />
Da Zivilkläger zu keinem Einspruch<br />
ge gen ein Urteil berechtigt sind, richtete<br />
Szpinner an Justizministerin Mi chè le<br />
Alliot-Marie einen Appell: <strong>Die</strong>se möge<br />
die Staatsanwaltschaft beauftragen,<br />
Berufung einzulegen. <strong>Die</strong> bedeutendsten<br />
jüdischen Organisationen riefen<br />
zu einer Protestkundgebung auf.<br />
<strong>Die</strong> Regierung spricht ein Machtwort<br />
Aber noch bevor die Kundgebung<br />
statt finden konnte, erklärte Alliot-ma -<br />
rie, sie werde die Staatsanwalt schaft<br />
beauftragen, Berufung einzulegen.<br />
Durch die vorliegenden Urteile würden<br />
„einige der Angeklagten sich schon<br />
bald in der Siedlung, also dem Tatort, wie -<br />
der auf freien Fuß befinden“, erklärte die<br />
ministerin. Damit spielte sie auf Straf -<br />
nachlässe wegen guter Führung an.<br />
Das löste wiederum Proteste aller<br />
wichtigen Juristenvereinigungen aus.<br />
„<strong>Die</strong>se Affäre zeigt, wie sehr die Justiz<br />
unter der Bevormundung der politischen<br />
Machtträger steht“, erklärte Emma nu el le<br />
Perreux, Vorsitzende des linksgerichteten<br />
„Syndicat de la magistrature“.<br />
Auch die bürgerliche „Richter-Uni on“<br />
entrüstete sich über eine „gefährliche<br />
Einmischung“ in ein Justizverfahren.<br />
Das Dilemma<br />
Ein jüdischer Schriftsteller, Marc Weitz -<br />
mann, veröffentlichte einen Beitrag in<br />
‘Le monde’, in dem von einer „Falle“<br />
die Rede war, in die jüdische Vereine<br />
„mit Begeisterung gesprungen“ wären.<br />
Sie würden „leider in den Augen zu -<br />
min dest eines Teils der Öffentlichkeit als<br />
genügend mächtig erscheinen, um von den<br />
politischen Entscheidungsträgern die Re -<br />
vision eines Urteils zu erwirken, das ih nen<br />
nicht behagt.“<br />
im Gegensatz zu den übrigen Kr i ti -<br />
kern der Vorgangsweise der jüdischen<br />
Organisationen veranschaulichte<br />
Weitz mann allerdings die wesentli -<br />
chen Gründe für das Unbehagen am<br />
Prozessverlauf:<br />
* Erstens konstatierte Weitzmann, dass<br />
dieselben Persönlichkeiten, die an -<br />
fänglich „die antisemitische Dimension<br />
der Affäre leugneten“, anschließend<br />
auch „unter den ersten waren, die auf<br />
einen diskreten Prozessverlauf drangen,<br />
kaum war der Antisemitismus erwiesen.“<br />
* Zweitens stellte Weitzmann bezüglich<br />
des Strafausmaßes für die Komplizen<br />
von Fofana die Frage: „Ist die Beteili -<br />
gung an einer Geiselnahme, mit Folte rung<br />
und abschließendem Mord aus der Sicht<br />
der Justiz mit Strafen zwischen neun und<br />
fünfzehn Jahren, die durch diverse Stra f -<br />
nach lässe noch viel geringer ausfallen<br />
dürf ten, geahndet?”<br />
* Drittens zitierte Weitzmann die So -<br />
zio login Jacqueline Costa-Lascoux, die<br />
ihrerseits über die Handlungsweise<br />
der Komplizen von Fofana in einem<br />
interview in ‘Le monde’ erklärt hatte:<br />
„Da gab es reihenweise kleine Feigheiten,<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 17
aber auch eine Art Wahn, der sich gegen<br />
alle richtet, die den Normen entsprechen.<br />
Vielleicht (gab es) die Erwartung eines<br />
eventuellen Gewinns und sicherlich die<br />
Angst vor Bestrafung, wenn man dem<br />
Füh rer nicht gehorcht. Damit sind alle<br />
Ele mente des Faschismus vereinigt, die<br />
eine kollektive Verantwortungslosigkeit er -<br />
zeugen.“<br />
<strong>Die</strong> Argumentation von Weitzmann<br />
ist hier auch so eingehend dargestellt,<br />
weil sie in ihrer scheinbaren Wider -<br />
sprüchlichkeit – Weitzmann artikuliert<br />
sowohl das Unbehagen jüdischer<br />
Organisationen am Prozess als auch<br />
das Unbehagen an der Vorgangswei se<br />
jüdischer Organisationen nach Verkün<br />
dung des Urteils – exemplarischen<br />
Charakter hat. Formuliert er doch das<br />
Dilemma, mit dem etliche Juden<br />
kämpfen, die sich eher wenig oder<br />
überhaupt nicht religiös engagieren<br />
und gesellschaftspolitisch meistens<br />
nach links tendieren.<br />
Das Dilemma lautet: man trifft zusehends<br />
auf „einen brutalen Antisemitis -<br />
mus bei jenen, die sich (von der Gesell -<br />
schaft) ausgestoßen fühlen und sich rä chen<br />
wollen“ (so die Soziologin Costa-Las -<br />
coux). Aber bei allem Verständnis für<br />
die sozialen Ursachen des Abdriftens<br />
eines Teils der Vorstadtjugend sind<br />
auch die vorhin erwähnten linslibera-<br />
Das Zentrum für<br />
Antisemitismusforschung der<br />
Technischen Universität (TU) Berlin<br />
veranstaltet vom<br />
7. bis 9. September 2009<br />
eine Sommeruniversität zum Thema<br />
„Extremismus oder<br />
gesellschaftliche Mitte?”.<br />
Anhand von Filmen, Vor trägen,<br />
Work shops und Dis kus sionen soll<br />
erarbeitet werden, wie antisemitischen<br />
Ressen ti ments im Alltag zu<br />
begegnen ist.<br />
<strong>Die</strong> Sommeruniversität richtet sich<br />
unter anderem an Leh rer, Jour na -<br />
listen, Ausbilder und Funk tions trä -<br />
ger aus dem politischen Bil dungs -<br />
bereich.<br />
informationen zu Preisen und Ter -<br />
minen auf pressestelle.tu-berlin.de/<br />
medieninformationen und unter der<br />
Berliner Tel. 030/314 79 874.<br />
POLITIK • AUSLAND<br />
len bis linksalternativen jüdischen<br />
Kreise nicht bereit widerspruchslos<br />
zu zusehen, wenn Juden als Sünden -<br />
böcke für gesellschaftliche missstän de<br />
herhalten müssen.<br />
man wird wohl nichts dagegen einwenden,<br />
wenn nicolas Sarkozy sich<br />
bemüht, die Behörden zum Schutz der<br />
jüdischen minderheit anzuhalten.<br />
Das tat auch schon sein Vorgänger,<br />
Prä sident Jacques Chirac. Von diesem<br />
stammte der Spruch: „Wer einen Juden<br />
angreift, greift Frankreich an“. Sarkozy<br />
prägte die Formel: „Man sollte angesichts<br />
des Antisemitismus nicht versuchen,<br />
besonders klug zu sein und nach Er klä -<br />
rungen zu suchen. Der Antisemi tis mus<br />
bedarf keiner Erklärung, er wird be -<br />
kämpft.”<br />
mit einem zehnköpfigen Experten kreis<br />
will die deutsche Regierung den<br />
Kampf gegen den Antisemitismus<br />
ver schärfen. innenminister Wolfgang<br />
Schäuble stellte im Ka binett die Beset -<br />
zung des Gremiums vor, das in Zu -<br />
kunft regelmäßig über antisemitische<br />
Tendenzen berichten und Vorschläge<br />
zu deren Bekämp fung unterbreiten<br />
soll. Der Expertenkreis besteht aus<br />
Wissenschaftlern und Prak tikern und<br />
kommt nach ministe ri ums angaben<br />
am 9. September zu seiner konstituierenden<br />
Sitzung zu sammen.<br />
Hintergrund ist ein Bundes tagsbe -<br />
schluss vom vergangenen november.<br />
Zum 70. Jahrestag der antijüdischen<br />
Pogrome vom november 1938 hatte<br />
das Parlament eine Resolution verabschiedet,<br />
die eine verstärkte Bekämpfung<br />
der Judenfeindlichkeit vorsieht.<br />
Schulausschluss in Deutschland nach<br />
antisemitischen Aussagen rechtens<br />
Antisemitische Äußerungen und mas -<br />
sive Hänseleien rechtfertigen in<br />
Deutschland einen sofortigen Schul -<br />
aus schluss. <strong>Die</strong>s geht aus einem veröffentlichten<br />
Urteil des Verwaltungs ge -<br />
richts hofs in mann heim hervor. Da -<br />
nach wurden zwei Gym nasiasten, die<br />
einen mit schü ler zu sam men in einer<br />
Gruppe nachts vor des sen Elternhaus<br />
bedroht hatten, vom Schulleiter zu<br />
Recht aus der Schule ausgeschlossen.<br />
<strong>Die</strong> 17-jährigen Antrag stel ler hat ten<br />
gemeinsam mit anderen ihr e Abnei -<br />
gung gegen einen mitschüler in der<br />
<strong>Die</strong>ser Satz ist von bestechender Über -<br />
zeugungskraft. Aber wie alle Erklä -<br />
run gen von Sarkozy wird auch diese<br />
Stellungnahme im Kontext seines allgemeinen<br />
politischen Kurses interpretiert.<br />
Ein Kurs, der Sarkozy im<br />
ersten Abschnitt seiner Amtsperiode<br />
hauptsächlich als rechtskonservativen<br />
Hardliner auswies.<br />
<strong>Die</strong> phasenweise nähe zwischen diesem<br />
tendenziell autoritären Staatschef<br />
und jüdischen <strong>Gemeinde</strong>ver tre -<br />
tern, die zu Recht über das antijüdische<br />
mobbing in den Vororten be -<br />
sorgt sind, birgt die Gefahr nachhaltiger<br />
missverständnisse zwischen der<br />
jüdischen minderheit und einem sensiblen<br />
Teil der französischen Öffentlichkeit<br />
in sich. •<br />
Deutschland: Mit Expertenkreis gegen<br />
Antisemitismus ankämpfen<br />
Schu le wiederholt mit Rempe lei en und<br />
Hänseleien zum Ausdruck ge bracht.<br />
ih nen sei bewusst gewesen, dass dieser<br />
auch we gen seines jü di schen Glau -<br />
bens angegriffen worden sei.<br />
Am Geburtstag des einen 17-Jährigen<br />
zogen sie nach Feststellungen des Ge -<br />
richts dann zusammen mit anderen<br />
Gäs ten gegen mitternacht vor das Haus<br />
des mitschülers. Dort hätten sie ihn<br />
in einer „aufgeladenen Stimmung durch<br />
Lärm und Geschrei so richtig er schre cken<br />
und einschüchtern” wollen. Ei ner der<br />
beiden Gymnasiasten ent zün dete da -<br />
bei auf einem Fens ter brett ei nen Feu -<br />
erwerkskörper, der an dere uri nierte<br />
gegen das Haus und spuckte in den<br />
Briefkasten. Dazu sei en aus der Grup -<br />
pe antijüdische Rufe laut ge worden.<br />
Das Verhalten habe den Schul frieden<br />
schwer gefährdet, urteil te das Gericht.<br />
Ein sofortiger Schu laus schluss sei ge -<br />
rechtfertigt. Das gravierende Fehl ver -<br />
halten sei darin zu se hen, dass sich ein<br />
Schüler zusammen mit anderen nicht<br />
auf das bloße Aus gren zen eines missliebigen<br />
mitschülers beschränke, sondern<br />
diese missach tung darüber hinaus<br />
in massiver und bedrohlicher Form<br />
„bis vor die Tür” des Opfers trage. Der<br />
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />
blei be gewahrt, weil den beiden Gym -<br />
nasiasten die Fort setzung des Schul -<br />
be suchs an ei ner anderen Schule und<br />
dort ein diskriminierungsfreier neu -<br />
an fang möglich sei. <strong>Die</strong> Entscheidung<br />
ist un anfechtbar. APA<br />
18 August 2009 - Aw/Elul 5769
Dem deutschen Chemiker Otto Hahn<br />
gelang im Dezember 1938 in seinem<br />
Labor im Kaiser-Wilhelm-institut in<br />
Berlin etwas, das er ursprünglich gar<br />
nicht gewollt hatte: Beim Versuch,<br />
mit neutronen auf Uran zu schießen,<br />
entstand - statt wie von ihm erhofft -<br />
kein schweres „Transuran”, sondern<br />
Barium - nur halb so schwer wie Uran.<br />
Damit hatte Hahn als erster einen<br />
Atomkern gespalten.<br />
Das ihm seltsam erscheinende Ergeb -<br />
nis seines Experiments teilte er seiner,<br />
vor den nationalsozialisten nach<br />
Schwe den geflohenen Forscherkolle -<br />
gin, der Physikerin Lise Meitner, mit.<br />
<strong>Die</strong>se erkannte sofort die Brisanz von<br />
Hahns Entdeckung. <strong>Die</strong> Spaltung von<br />
Atomkernen setzt ungeheure Energi en<br />
frei. Sollten die nazis diese Kraft be -<br />
herrschen, hätten sie eine Vernich -<br />
tungs waffe in der Hand, mit der sie<br />
die ganze Welt bezwingen könnten.<br />
Als die nachricht von Hahns Kern -<br />
spal tungs-Experiment die Exil-Wis sen -<br />
schaft lergemeinde in den USA er reich -<br />
te, schrillten dort die Alarm gloc ken.<br />
Albert Einstein informierte im Au gust<br />
1939 US-Präsident Franklin D. Roo se -<br />
velt in einem Brief über die mög lich -<br />
keit, Uran als mögliche Ener gie quelle<br />
sowie für den Bau neuartiger Waffen<br />
zu verwenden. <strong>Die</strong>sen Brief sollte Ein -<br />
stein später als „Fehler” be zeich nen.<br />
<strong>Die</strong> US-Regierung hatte nämlich um -<br />
ge hend beschlossen, selbst mit Hoch -<br />
druck an einer Atombombe zu arbeiten.<br />
Dass dagegen die nazis nicht in<br />
den Besitz dieser Waffe gelangten, lag<br />
zu einem großen Teil an ihrer igno ranz<br />
und der Tatsache, dass sie zahlreiche<br />
der besten deutschen Wissenschaftler<br />
- von denen viele Juden waren - um -<br />
ge bracht oder ins Exil getrieben hatten.<br />
Außerdem hegten die braunen<br />
„Herrenmenschen” eine tiefe Abnei -<br />
gung gegen die „krankhaften Fantas -<br />
te reien” des Juden Einstein. Relativi -<br />
tätstheorie, Raum-Zeit-Krümmung,<br />
Umwandlung von materie und Ener -<br />
gie - dafür hatten Hitler und Co. kein<br />
Verständnis. Hätten die deutschen<br />
Waf fen konstrukteure Einsteins For mel<br />
„E=mc2” für ihre praktische Arbeit<br />
zur Anwendung gebracht, hätten sie<br />
POLITIK • AUSLAND<br />
HIROSHIMA-JAHRESTAG<br />
Hitler hätte die Bombe als erster haben können<br />
VON PAUL ZABLOUDIL, APA<br />
deren unermessliches Potenzial für die<br />
Kriegsführung erschließen können.<br />
<strong>Die</strong> Formel besagt nämlich, dass die<br />
Energiemenge, die man etwa aus ei -<br />
nem Gramm materie gewinnen kann,<br />
so gewaltig ist, dass sie dem Quadrat<br />
der Lichtgeschwindigkeit (immerhin<br />
rund 300.000 km/h) entspricht. Aus<br />
einem Gramm Uran-235 lässt sich so -<br />
mit die gleiche Energiemenge erzeugen<br />
wie aus 2,7 Tonnen Steinkohle.<br />
Um die Sprengkraft der am 6. August<br />
1945 über Hiroshima gezündeten<br />
Bom be zu erzielen, wären 12,5 Kilo ton -<br />
nen des chemischen - „konventionellen”<br />
- Sprengstoffs TnT nötig ge we sen.<br />
<strong>Die</strong> Bombe, die 140.000 men schen tö -<br />
tete, enthielt tatsächlich nur etwa 15<br />
Kilogramm hoch angereichertes ra di o -<br />
aktives Uran-235.<br />
Hahn bekam für die Entdeckung der<br />
Kernspaltung 1944 den Chemie-no -<br />
bel preis. Seine Kollegin meitner, die<br />
seine messungen korrekt interpretiert<br />
und erst so verständlich gemacht hat te,<br />
ging leer aus. Während die nazis mit<br />
der Organisierung der „Endlösung”<br />
der Judenfrage und der Erfindung von<br />
„Wunderwaffen” wie der V2 beschäftigt<br />
waren, arbeiteten die Amerikaner<br />
am „manhattan-Project” zum Bau der<br />
Atombombe.<br />
<strong>Die</strong> amerikanische Regierung richtete<br />
im US-Staat new mexico bei Los Ala -<br />
mos eine „Atom-Stadt” mit tausenden<br />
mitarbeitern ein. Unter Leitung<br />
des Physikers Robert Oppenheimer wur -<br />
de in einem aufwendigen Verfah ren<br />
mittel Präzisions-Gaszentrifugen das<br />
für die Kernenergieerzeugung nötige<br />
äußerst seltene Uran-235 angereichert.<br />
Am morgen des 16. Juli 1945 wurde<br />
die erste Atombombe der Welt gezündet.<br />
nur wenige Wochen zuvor war<br />
das nazi-imperium untergegangen.<br />
Hätte Hitler länger durchgehalten,<br />
wäre die erste Atombombe im Kriegs -<br />
einsatz möglicherweise nicht auf das<br />
japanische Hiroshima, sondern auf ei -<br />
ne Stadt im „Großdeutschen Reich”<br />
ge fallen - zu dem auch Österreich<br />
gehörte.<br />
<strong>Die</strong> Atombom ben kuppel - Das Friedensdenkmal in der japanischen Küs tenstadt Hiroshima im Friedens -<br />
park ist eine Gedenkstätte für den ersten kriegerischen Einsatz einer Atombombe. Es handelt sich um die<br />
japanische Industrie- und Handelskammer, die nach einem Entwurf des tschechischen Architekten Jan<br />
Letzel erbaut und im April 1915 fertig gestellt wurde. Das Ge bäude wurde am 6. August 1945 um 8.16 Uhr<br />
Ortszeit durch die vom US-Bomber Enola Gay abgeworfene US-amerikanische Atombombe „Little Boy“<br />
zerstört und brannte völlig aus. Alle zu diesem Zeitpunkt darin arbeitenden Menschen kamen um. Trotz<br />
des geringen Ab stands von 160 m vom Boden nullpunkt (Ground Zero) blieben viele Gebäude struk tu ren<br />
er halten, u. a. die charakteristische Stützkon struktion des Kuppeldachs, der das Denkmal seinen heuti gen<br />
Namen verdankt. <strong>Die</strong> Überreste werden seit dem Abwurf in ihrem damaligen Zu stand konserviert und ge -<br />
hören, trotz des Einspruchs der USA und Chinas, seit Dezember 1996 zum Weltkulturerbe der UNESCO.<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 19<br />
© Th. Feiger
Als ein „Fest des Heldenmuts” hat<br />
Polens Präsident Lech Kaczynski den<br />
65. Jahrestag zum Warschauer Auf -<br />
stand bezeichnet. im ganzen Land ge -<br />
dachten die Bürger der zwei monate<br />
andauernden Erhebung gegen die<br />
deutsche Be satzungsmacht 1944. Um<br />
17.00 Uhr, der Uhrzeit, zu der die<br />
Kämp fe am 1. August 1944 ausgebrochen<br />
waren, heulten in Warschau und<br />
anderen Städten Polens die Alarm sire<br />
nen. Fahrzeuge und menschen<br />
standen für eine minute still.<br />
Der Warschauer Aufstand, der mehr<br />
als ein Jahr nach dem ebenfalls nie der -<br />
geschlagenen Aufstand im Warschau er<br />
POLITIK • AUSLAND<br />
Gedenken an Warschauer Aufstand<br />
© EPA<br />
Slowakische Rechtsextreme<br />
wollen neue politische Partei<br />
gründen<br />
mitglieder der rechtsextremen „Slo wa -<br />
kischen Gemeinschaft” wollen eine<br />
neue politische Partei gründen. <strong>Die</strong> -<br />
ses Vorhaben kündigte Marian Kot le ba,<br />
Chef der neofaschistischen Grup pie -<br />
rung, gegen die das innenminis te ri um<br />
ein Verbot anstrebt, an. <strong>Die</strong> rechts ex tre -<br />
me Partei hätte laut Polito lo gen gute<br />
Chancen auf lokaler Ebene in Regio -<br />
nen, wo die Konflikte zwischen mehr -<br />
heitsbevölkerung und der Roma-min -<br />
derheit zunehmen, Fuß zu fassen.<br />
<strong>Die</strong> „Slowakische Gemeinschaft” kün -<br />
digte außerdem weitere Demon stra -<br />
tio nen gegen die minderheit der Ro ma<br />
Polen steht für eine Minute still<br />
Ghetto begann, ist für viele Polen ei -<br />
nes der wichtigsten Symbole für den<br />
Freiheitswillen ihres Volkes. „Für uns<br />
ist es das wichtigste, dass es ein Kampf<br />
für ein freies und unabhängiges Polen<br />
war”, sagt der 86-jährige Ve te ran<br />
Boleslaw Hozakowski.<br />
Viele Kämp fer der Heimatarmee wur -<br />
den exe kutiert, eingesperrt oder verfolgt<br />
und fielen damit dem Vergessen<br />
anheim. Das änderte sich nach dem<br />
Sieg der freiheitl i chen Gewerkschafts -<br />
be wegung Solid ar nosc über die Kom -<br />
mu nisten bei der Parla ments wahl vom<br />
4. Juni 1989. „Seit 1989 können wir endlich<br />
gedenken, wie die Ereignisse unserer<br />
an. <strong>Die</strong> rechtsextreme Gruppierung<br />
be klagt, dass die staatlichen Organe<br />
der wachsenden Zahl von Konflikten<br />
zwischen mehrheitsbevölkerung und<br />
Bewohnern der Roma-Siedlungen un -<br />
tätig gegenüber stehen. „Wenn die Re -<br />
gierung nicht beginnt, das Zigeuner-Pro -<br />
blem konstruktiv zu lösen, sind wir be reit,<br />
unsere Demonstration überall wo es notwen -<br />
dig ist, zu wiederholen”, er klärte Kot le ba.<br />
<strong>Die</strong> „Slowakische Gemeinschaft” hat<br />
im ost slowakischen Sariske michalany<br />
ge gen die Roma-minderheit demons -<br />
triert. An der nicht genehmigten<br />
Kundgebung, die von der Polizei ge -<br />
waltsam aufgelöst wurde, nahmen<br />
auch rechtsextreme Gruppen aus<br />
Tschechien und aus Ungarn teil. <strong>Die</strong><br />
Rechtsextremen fühlten sich durch<br />
die Zustimmung von Dorfbewohnern<br />
bestärkt.<br />
tatsächlich Geschichte waren”, sagt der<br />
37-jährige Historiker M. Sliwowski,<br />
der in dem vor fünf Jah ren eröffneten<br />
museum des War schau er Aufstandes<br />
arbeitet.<br />
Der ursprünglich nur für einige Tage<br />
geplante Aufstand dauerte 63 Tage<br />
an. in Straßen- und Häuserkämpfen<br />
kamen vor allem Zivilisten ums<br />
Leben. <strong>Die</strong> deut schen SS-Truppen<br />
gingen mit größter Grausamkeit vor.<br />
Außer rund 18.000 menschen, die sich<br />
direkt am Widerstand beteiligten,<br />
starben rund 180.000 Zi vi listen, unter<br />
ihnen viele Jugendliche. nach 63<br />
Tagen mussten die letzten Kämpfer<br />
kapitulieren. Warschau wurde in<br />
einer Strafaktion systematisch zerstört.<br />
<strong>Die</strong> Überlebenden wurden zur<br />
Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt<br />
oder vertrieben. red<br />
Museum des War schau er Aufstandes<br />
innenminister Robert Kalinak, der wei -<br />
ter hin ein Verbot der „Slowakischen<br />
Gemeinschaft” anstrebt, und Vize-Pre -<br />
mier Dusan Caplovic verteidigten das<br />
Vorgehen der Polizei. <strong>Die</strong> „Slo wa ki -<br />
sche Gemeinschaft” war im no vem ber<br />
des Vorjahres vom innen mi nis terium<br />
wegen der Verfassungs wid rigkeit ih -<br />
rer Statuten verboten worden. Wegen<br />
eines Verwaltungs fehlers hob das<br />
Oberste Gericht die Entscheidung des<br />
innenministeriums jedoch wieder auf.<br />
innenminister Kalinak erklärte da rauf -<br />
hin, dass das innenministeri um auf<br />
der Entschei dung beharre, die Tä tig -<br />
keit der der Gruppe zu verbieten. Tei -<br />
le der Agenda der „Slowakischen Ge -<br />
meinschaft” wurden mittlerweile auch<br />
von slowakischen Politikern über nom -<br />
men, die bisher jede Form von Rechts -<br />
extremismus kritisiert hatten. APA<br />
20 August 2009 - Aw/Elul 5769
Historiker fordern<br />
kritische Edition<br />
von Hitlers<br />
„Mein Kampf”<br />
Was in Sekundenschnelle im internet<br />
zu finden ist, soll künftig auch in Buch -<br />
form erhältlich sein: Hitlers „mein<br />
Kampf” soll nach Überzeugung führender<br />
Historiker das Verständnis der<br />
gesamten Gesellschaft des Holocaust<br />
er wei tern. Allerdings fordern sie eine<br />
kritische Aus gabe der 1924 entstandenen<br />
Propagandaschrift. „Es ist ab -<br />
so lut notwendig, eine wissenschaftliche<br />
Edition herauszubringen”, sagte der<br />
bri tische Hitler-Forscher Ian Ker shaw<br />
bei dem Stuttgarter Kolloquium zu<br />
Eh ren des Historikers Eberhard Jäckel,<br />
der Ende Juni seinen 80. Geburtstag<br />
gefeiert hatte.<br />
mit Blick auf Jäckels Lebenswerk be -<br />
schäftigte sich auch der Kongress mit<br />
dem Thema „Hitler und der Holo -<br />
kaust”.<br />
<strong>Die</strong> Rech te an Hitlers Propagan da -<br />
schrift liegen beim bayerischen F i nanz -<br />
mi nis terium. Dessen Weigerung,<br />
„mein Kampf” kommentiert herauszugeben,<br />
erinnern den Frei bur ger His -<br />
toriker Ulrich Herbert an den „angeranzten<br />
Anti-Faschismus der 50er-Jah re”.<br />
Vielleicht ist mit der Blockade bald<br />
Schluss: Der neue ba ye rische Wissen -<br />
schafts minister Wolfgang Heubisch<br />
(FDP) hat das münchner institut für<br />
Zeitgeschichte unlängst aufgefordert,<br />
eine Editi on des Werkes zu er stellen.<br />
Der meinungsumschwung in der baye -<br />
rischen Staatsregierung freut auch<br />
den Holocaust-Experten Jäckel. Er hat -<br />
te schon vor Jahrzehnten eine Edition<br />
gefordert und erinnerte jetzt daran,<br />
dass diese auch lange Zeit vom in sti -<br />
tut für Zeitgeschichte abgelehnt worden<br />
war. Doch auch hier habe es einen<br />
Sinneswandel gegeben.<br />
<strong>Die</strong> Forschungsbi lanz des ehemaligen<br />
Leiters des Historischen instituts an<br />
der Universität Stuttgart kann sich<br />
sehen lassen: <strong>Die</strong> Erfor schung nazi-<br />
Deutschlands, des Völkermords an Ju -<br />
den und des Umgangs der Deut schen<br />
mit der nS-Vergangenheit haben Jä ckel<br />
weltweit be kanntgemacht. Seine Ziel -<br />
POLITIK • NS-ZEIT<br />
gruppe war nicht nur die Wissen schaft,<br />
sondern auch die Öf fent lichkeit, die er<br />
gemeinsam mit der Journalistin Lea<br />
Rosh zum Beispiel mit der Fernseh do -<br />
ku mentation „Der Tod ist ein Meis ter<br />
aus Deutschland” erreichte. mit Rosh<br />
setzte er sich auch jahrelang für die Er -<br />
richtung des Holocaust-mahnmals in<br />
Berlin ein.<br />
Jäckel macht sich auch dafür stark, den<br />
Holocaust mit „k” zu schreiben. „Man<br />
darf so ein zentrales Ereignis der deutschen<br />
Geschichte nicht auf Englisch<br />
beschreiben”, sagte der elegant gekleidete<br />
Grandseigneur der Holocaust-<br />
For schung.<br />
Der Jubilar wehrt sich da gegen, als<br />
„in ten tio nalist” bezeichnet zu werden.<br />
„intentionalist” ist laut Jäckel ei ne ab -<br />
wertende Be zeich nung für His to riker,<br />
die in der Politik des „Dritten Rei -<br />
ches” Hitlers Ziele realisiert se hen.<br />
Jäckel wiederholte seine These zum<br />
nazi-Staat: Hitler traf die Haupt ent -<br />
scheidungen selbst und be kam die se<br />
nicht von machtgruppen aufgenötigt.<br />
Wenn Jäckel auf sein wissenschaftliches<br />
Lebenswerk zurückblickt, dann<br />
Sir Ian Kershaw und Eberhard Jäckel<br />
sieht er Wis sen schaft als starkes langsames<br />
Bohren von harten Brettern mit<br />
Leidenschaft und Augenmaß zu -<br />
gleich. Dabei hat ihn auch der israelische<br />
Forscher und Holocaust-Überlebende<br />
Otto Dov Kulka begleitet: „Es ist<br />
das große Wunder meines Lebens, dass<br />
wir trotz allem Freunde wurden.” •<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 21<br />
Buchtipp Buchtipp
Es ist ein Wettlauf mit dem Tod: Alle<br />
noch lebenden mutmaßlichen nS-Ver -<br />
brecher sind inzwischen so alt, dass<br />
nur noch wenige Jahre - manchmal<br />
wohl nur noch monate - für die juristische<br />
Aufarbeitung bleiben. Wer bei<br />
Kriegsende 25 Jahre alt war, ist inzwischen<br />
89 oder 90. Einzelne aufsehenerregende<br />
Verfahren dürfte es aber<br />
noch geben.<br />
Als einer der Letzten ist der 90-jährige<br />
Josef Scheungraber aus Ottobrunn<br />
verurteilt worden: Wegen mordes an<br />
14 ita lienischen Zivilisten wurde der<br />
frühere Wehrmachtsoffizier in<br />
münchen zu lebenslanger Haft verurteilt.<br />
Dort soll demnächst auch dem<br />
staatenlosen John Demjanjuk der<br />
Prozess gemacht werden - wegen<br />
Beihilfe zum mord an 27.900 Juden<br />
im KZ Sobibor.<br />
Außerdem haben die deutschen Er -<br />
mitt ler zwei weitere mutmaßliche<br />
Kriegs verbrecher in Österreich und in<br />
den USA im Visier, wie der Ludwigsburger<br />
Chef-Ermittler Kurt Schrimm<br />
kürzlich sagte. Bei beiden männern ge -<br />
be es Parallelen zum Fall Demjanjuk.<br />
Und es gibt weitere Fälle: in Aachen<br />
muss sich ab Oktober der mutmaßliche<br />
nS-mörder Heinrich B. verantworten.<br />
Der dann 88-Jährige soll als Waf fen-SSmann<br />
drei niederländische Zi vi listen<br />
umgebracht haben. Wegen seiner körperlichen<br />
Verfassung stand das Ver -<br />
fahren lange auf der Kippe: Das Land -<br />
gericht Aachen hatte ursprünglich<br />
erklärt, der 87-Jährige könne keiner<br />
Hauptverhandlung mehr beiwohnen.<br />
B.s Fall zeigt auch, dass mutmaßliche<br />
nS-mörder in Deutschland lange we -<br />
nig zu befürchten hatten: nach seiner<br />
Flucht aus den niederlanden 1947<br />
konnte sich der Ex-SS-mann in<br />
Deutsch land eine bürgerliche Exis -<br />
tenz aufbauen und kommt erst jetzt<br />
vor Gericht. Viel zu lange lag die lähmende,<br />
von Historiker so bezeichnete<br />
„Zeit der Stille” über Deutschland.<br />
Erst 1958 gab es die ersten Verfahren.<br />
Und das auch eher zufällig: <strong>Die</strong> Klage<br />
eines ehemaligen Gestapo-mannes auf<br />
Wiedereinsetzung in den Staatsdienst<br />
brachte damals den sogenannten Ul -<br />
mer Einsatzgruppen-Prozess ins Rollen.<br />
POLITIK • NS-ZEIT<br />
NS-Verbrecher: Fahnder im Wettlauf mit dem Tod<br />
VON ANGELIKA BRUDER UND MATTHIAS ARMBORST, AP<br />
Acht Angeklagte wurden in dem Ver -<br />
fahren wegen der zum Teil massenhaften<br />
Erschießung von Juden im da -<br />
maligen Grenzgebiet zwischen Ost -<br />
preußen und Litauen verurteilt.<br />
Der Prozess erregte viel Aufmerk sam -<br />
keit: Er revidierte die vorherrschende<br />
meinung, dass nach den Kriegs ver bre -<br />
cherprozessen der Alliierten in nürn -<br />
berg und anderswo die Taten aufgeklärt<br />
und die Schuldigen gefasst sei en.<br />
Und er führte dazu, dass im selben<br />
Jahr die Ludwigsburger „Zentrale<br />
Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer<br />
Verbrechen” gegründet wur -<br />
de - dies gab den Ermittlungen einen<br />
neuen Schub. Zeitweise waren hier 49<br />
Staatsanwälte und Richter am Werk,<br />
heute sind es noch sieben.<br />
insgesamt sind seit 1958 knapp 18.000<br />
Verfahren wegen nS-Verbrechen bei<br />
Staatsanwaltschaften und Gerichten in<br />
der Bundesrepublik anhängig geworden.<br />
in den 60er-Jahren begann die Zeit<br />
der Prozesse, die sich nicht nur gegen<br />
eine Person richteten, sondern versuchten,<br />
ganze historische Komplexe<br />
aufzuarbeiten: Den Start machte der<br />
Au schwitz-Prozess 1963 in Frankfurt<br />
am main, der beispielhaft für weitere<br />
nS-Verfahren wurde.<br />
Verfahren im Zusammenhang mit den<br />
Verbrechen in den Vernichtungs la gern<br />
Treblinka ab Oktober 1964 in Düs sel -<br />
dorf sowie Sobibor ab Septem ber 1965<br />
in Hagen folgten. SS-Angehörige, die<br />
in Sobibor eingesetzt gewesen waren,<br />
wo auch Demjanjuk <strong>Die</strong>nst getan ha -<br />
ben soll, erhielten zum Teil sehr milde<br />
Strafen, wie der Forscher Werner Renz<br />
sagte. Sie wurden wegen Beihilfe zum<br />
mord zu drei bis vier Jahren Zucht -<br />
haus verurteilt. Das letzte Komplex-<br />
Verfahren war der insgesamt sechs<br />
Jahre dauernde Majdanek-Prozess in<br />
Düs seldorf. Danach gab es in West -<br />
deutschland nur noch Verhandlungen<br />
gegen Einzelpersonen, wie 1992 in<br />
Stuttgart gegen den früheren SS-mann<br />
Josef Schwammberger, der ein Ghetto<br />
und ein KZ geleitet hatte. nach dem<br />
mut maßlichen Tod des als „Doktor Tod”<br />
bekannten KZ-Arztes Aribert Heim und<br />
der Auslieferung Demjanjuks stehen<br />
ein Ungar und ein in Österreich le -<br />
bender Kroate ganz oben auf der Liste<br />
der meistgesuchten nS-Kriegs ver bre -<br />
cher, die das Simon-Wiesen thal-Zen -<br />
trum führt. Der 1914 geborene Ungar<br />
Sándor Képíró soll 1942 aktiv am mas -<br />
sen mord an Hunderten Zivilisten in<br />
der serbischen Stadt novi Sad be tei ligt<br />
gewesen sein.<br />
Der 1913 geborene Milivoj Asner soll<br />
als Polizeichef in der kroatischen Stadt<br />
Pozega für Verbrechen an der Zivil be -<br />
völkerung und Deportationen in Kon -<br />
zentrationslager verantwortlich ge we -<br />
sen sein. Asner lebt in Österreich, wo<br />
ihn ein Reporter der britischen „Sun”<br />
während der Fußball-Em 2008 bei ei -<br />
nem Gang über die Klagenfurter Fan -<br />
mei le aufspürte. Der Journalist be -<br />
schrieb ihn als rüstig und geistig klar.<br />
Buchtipp Buchtipp<br />
Annette Weinke<br />
Eine Gesellschaft<br />
ermittelt gegen<br />
sich selbst.<br />
<strong>Die</strong> Geschichte der<br />
Zentralen Stelle<br />
Ludwigsburg<br />
1958-2008<br />
Wissenschaftliche<br />
Buchgesellschaft<br />
ISBN-978-3-<br />
<strong>Die</strong> Zentrale Stelle in Zahlen<br />
Stichtag: 29.01.2009<br />
Seit ihrer Gründung hat die Zentrale Stelle<br />
7.401 Ermittlungsverfahren eingeleitet (wo bei<br />
in vielen Fällen es sich um Sammelverfahren<br />
mit einer großen Zahl von Be schuldigten und/<br />
oder ei ner Vielzahl von Straf ta ten handelt),<br />
7.377 Vorermittlungssachen wurden an Staats -<br />
an walt schaften abgegeben. Derzeit sind 24<br />
Vor er mitt lungsverfahren anhängig und eine Viel -<br />
zahl sog. Überprüfungs- sowie Verwal tungs v -<br />
or gän ge, die sich mit der Sichtung weiterer, insbesondere<br />
ausländischer, Archivbe stän de<br />
befassen.<br />
17.856 Verfahren wegen nationalsozialistischer<br />
Ver brechen waren und sind seit 1958 bei Staats -<br />
an walt schaften und Gerichten in der Bundes -<br />
re pu blik Deutschland anhängig geworden.<br />
So weit diese nicht durch die Zentrale Stelle<br />
ein geleitet wurden, hingen sie doch zumeist<br />
mi t tel bar mit de ren Tätig keit zusammen.<br />
Über 113.419 Überprüfungs- und Rechtshilfe -<br />
vor gän ge sowie Auskünfte wurden bearbeitet.<br />
<strong>Die</strong> Zentralkartei enthält ca. 1,68 Mio. Kartei kar -<br />
ten, gegliedert in Personen, Tatorte und Ein hei -<br />
ten, die gesonderte Dokumentensammlung<br />
mehr als 558.300 Kopien.<br />
22 August 2009 - Aw/Elul 5769
Der Kölner Ober -<br />
staats an walt Gün -<br />
ther Feld, Leiter der<br />
nordrhein-west fä -<br />
lischen Zen tral stel -<br />
le zur Verfol gung<br />
von nS-Ver bre chen,<br />
sucht nach einem<br />
ehemals hochrangigen SS-Offi zi er:<br />
Den im Bur gen land geborenen nazi-<br />
Kriegsver bre cher Alois Brunner. Brun -<br />
ner war ab Juli 1943 bis zum Ein marsch<br />
der Alli ier ten in Frankreich für die Ju -<br />
den verfol gung verantwortlich. „In dieser<br />
Zeit sind nach gewiesenermaßen knapp<br />
22.000 Ju den von Frankreich aus nach<br />
Auschwitz de por tiert worden und ebenso<br />
nachgewiesen über 15.000 sofort ermordet<br />
worden”, erklärt Feld. Er hat die<br />
De porta ti ons listen ausgewertet und<br />
Zeugen be fragt. Sollte Alois Brunner<br />
gefasst werden, könnte ihm sofort der<br />
Prozess ge macht werden. Obwohl un -<br />
ter anderem auch die hessische und<br />
die französische Jus tiz den mutmaßlichen<br />
massen mörder suchen, ist er<br />
nicht zu finden und lebt mög li cher -<br />
weise gar nicht mehr.<br />
<strong>Die</strong> letzte Spur führt nach Syrien. mit -<br />
te der 1980er-Jahre wurde Brun ner<br />
dort, unter falschem namen lebend,<br />
von einem Journalisten aufgespürt. Er<br />
gab seine identität freimütig zu und<br />
rühmte sich seiner Taten. „Er war of fen -<br />
bar ein glühender Judenhasser und hat die -<br />
ses dunkle Geschäft zusammen mit Adolf<br />
Eichmann und einigen wenigen an deren<br />
maßgeblich betrieben”, schildert Gün ther<br />
Feld. „Er war also einer der ganz großen<br />
Täter.” Heute liegt ein internationaler<br />
Haftbefehl gegen ihn vor. Auf Anfra ge<br />
erklärten die syrischen Behörden der<br />
deutschen Justiz jedoch, dass es Brun -<br />
ner in ihrem Land nicht gebe. in zwi -<br />
schen wäre der mann 97 Jahre alt, falls<br />
er noch lebt. „Dort wo wir ihn vermuten,<br />
werden wir ihn nicht herbekommen”,<br />
sagt Feld. „Wir haben aber Mittel und<br />
Wege, mitzubekommen, ob er sich mal hier<br />
möglicherweise bei der Familie oder bei<br />
ehemaligen Freunden meldet, das würde<br />
uns sicher nicht entgehen!” nach früheren<br />
Angaben des Simon-Wiesenthal-<br />
Zentrums in Jerusalem gibt es zwar<br />
Hin weise darauf, dass Brunner tot<br />
ist, allerdings keine Beweise.<br />
<strong>Die</strong> Jagd nach Brunner begleitet Feld<br />
POLITIK • NS-ZEIT<br />
Suche nach Alois Brunner<br />
bereits seit vielen Jahren. „Es ist schon<br />
ein beklemmendes Gefühl, hinter so ei nem<br />
Verbrecher her zu sein, von dem man ja<br />
nun genau weiß, was für eine wichtige<br />
Rolle er beim Holocaust gespielt hat”, er -<br />
zählt Feld. „Es ist vor allen Dingen be -<br />
klemmend, ihn noch nicht gefasst zu ha -<br />
War Quelle-Gründer in Nazi-Zeit verstrickt?<br />
Der Gründer des heute angeschlagenen<br />
deutschen Versand hau ses Quelle<br />
soll während der nazi-Zeit tiefer in<br />
die Arisie rungspolitik der machthaber<br />
verstrickt sein als bisher bekannt. Ei -<br />
nem Bericht des Politikmagazins ‘Ci -<br />
cero’ (August-Ausgabe) zufolge be rei -<br />
cherte sich der bereits 1932 in die nS -<br />
DAP eingetretene Unterneh mens -<br />
grün der Gustav Schickedanz im Drit -<br />
ten Reich an jüdischem Besitz.<br />
Eckart <strong>Die</strong>tzfelbinger, wissenschaftli cher<br />
mitarbeiter beim Dokumen ta ti on s -<br />
zen trum Reichsparteitagsgelände in<br />
nürnberg, bezeichnete Schickedanz<br />
als „historisch belastete Person”. <strong>Die</strong>ser<br />
sei das Paradebeispiel eines Unter neh -<br />
mers, der dank seines politischen Op -<br />
por tunismus von den nazis im Zuge<br />
der sogenannten Arisierung profitiert<br />
habe. Ebenso exemplarisch sei, wie er<br />
nach Kriegsende als mitläufer eingestuft<br />
wurde und nahezu unbehelligt<br />
blieb. Allein zwischen 1933 und 1937<br />
habe Schickedanz zehn Firmen und<br />
Grundstücke aus jüdischem Besitz<br />
übernommen, sagte <strong>Die</strong>tzfelbinger.<br />
Da zu hätten neben der Vereinigten Pa -<br />
pierwerke A. G. („Tempo”, „Camelia”) in<br />
nürnberg-He rolds berg, die Brauerei<br />
Geismann A.-G. in Fürth sowie die Fir -<br />
men Baum & Mos ba cher in Frank furt,<br />
M. Ellern in Forch heim-Stadt stei nach,<br />
Ignatz Mayer in nürnberg, die Kohn’ -<br />
sche Briefmar ken samm lung, außerdem<br />
mehrere Grund stücke in Fürth und<br />
Forch heim ge zählt.<br />
Der Historiker Peter Zinke bestätigte<br />
dem Bericht zufolge die Kritik an Schi -<br />
ckedanz. Bereits 2008 habe der Wis -<br />
senschaftler im Jahrbuch des nürn -<br />
ber ger institutes für nS-Forschung<br />
und jüdische Geschichte die Vor ge -<br />
hens weise des Quelle-Gründers ge -<br />
ben.” Trotzdem muss Feld sich re gel -<br />
mäßig mit dem Fall beschäftigen.<br />
<strong>Die</strong> Aussagen der Zeugen, die Bilder<br />
aus den Konzentrationslagern, die<br />
Schil de rungen der grausamen Ver ga -<br />
sungen, all das nimmt den erfahrenen<br />
Staats anwalt emotional stark mit. APA<br />
schil dert. mithilfe seiner Kontakte zur<br />
Gauleitung übte Schickedanz dem nach<br />
Druck auf die jüdischen Besitzer aus.<br />
„<strong>Die</strong> Drohungen führen dazu, dass die<br />
Haus- und Fabrikbesitzer zum Ver kauf ge -<br />
nötigt wurden. <strong>Die</strong>s hat Schickedanz über<br />
einen Zeitraum von mindestens fünf Jah -<br />
ren genutzt”, schrieb Zinke.<br />
in seinem Entnazifizierungs verfah ren<br />
wurde Schickedanz den Angaben zu -<br />
folge beschuldigt, dass sieben der mehr<br />
als neun millionen mark seines Ver -<br />
mö gens aus jüdischem Besitz stammten.<br />
1949 erhielte er als mitläufer le -<br />
dig lich eine Geldstrafe von 2.000 mark<br />
(1.023 Euro). nach den Worten <strong>Die</strong>tz -<br />
fel bin gers war dies ein „gigantischer<br />
Per sil schein”. man habe den Un ter neh -<br />
mer für den Wiederaufbau ge braucht.<br />
Gregor Schöllgen, Professor für neuere<br />
Geschichte an der Universität Er lan -<br />
gen, der den nachlass von Schicke danz<br />
für eine Biografie sichtet, kommt hingegen<br />
zu einem sehr viel milderen<br />
Ur teil. Dass Schickedanz als nSDAPmitglied<br />
sich den damaligen macht -<br />
verhältnissen anpasste und von ihnen<br />
profitierte, steht außer Frage. Aber die<br />
von ihm übernommenen Un ter neh men<br />
seien schon vor der macht über nah me<br />
schwer angeschlagen ge we sen. Schi -<br />
cke danz habe den betroffenen jü di -<br />
schen Unternehmern durch korrekte<br />
Ver trä ge geholfen, ihre schwierige La ge<br />
im Rahmen des möglichen zu klä ren.<br />
Dass Schickedanz zumindest kein<br />
überzeugter nationalsozia list war,<br />
scheint außer Frage zu stehen: Der Si -<br />
cher heitsdienst der SS vermerkt in ei -<br />
nem Bericht im märz 1939, dass der<br />
Quelle-Chef „bar jeder nationalsozialistischen<br />
Gesinnung und Verantwor tung als<br />
Betriebsführer” sei. red<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 23
©Issam Rimawi Flash90 JTA<br />
<strong>Die</strong> Wahlen zum 18-köpfigen Zen tral -<br />
ko mitee der palästinensischen Fatah-<br />
Partei in Beth lehem sind fast abgeschlossen.<br />
<strong>Die</strong> drei letzten Kandi daten<br />
auf der Liste zum Zentralkomitee<br />
trennte nach einer ers ten Auszählung<br />
jeweils nur eine einzige Stimme. We -<br />
gen des knappen Ergebnisses wurden<br />
die Stimmen noch einmal ausgezählt.<br />
Muhammad (Abu Maher) Ghneim, 72,<br />
erhielt 1338 Stimmen. 1948 war er ei ner<br />
der mitgründer der Fatah und 1964<br />
der Dachorganisation PLO. Er gilt als<br />
„Extremist und Hardliner“ und ist<br />
ein entschiedener Gegner der Osloer<br />
Ver träge mit israel. Er kehrte nur we -<br />
nige Tage vor Beginn des inzwischen<br />
einwöchigen Fatah-Parteitags mit aus -<br />
drücklicher Genehmigung israels nach<br />
20 Jahren nach Palästina zurück, aus<br />
dem er 1948 geflüchtet war. An der Sei -<br />
te Arafats beteiligte er sich am Kampf<br />
gegen israel und war nach einer militärischen<br />
Ausbildung in der Volksre -<br />
pu blik China Befehlshaber der „Sturm -<br />
truppen“. Ghneim wollte eigentlich<br />
erst zurückkehren, nachdem ganz Pa -<br />
POLITIK • ISRAEL<br />
Wahlen zum Zentralkomitee der Fatah fast abgeschlossen<br />
VON ULRICH W. SAHM, APA<br />
lästina, also auch das Staatsgebiet is ra -<br />
els, „befreit“ worden sei.<br />
ihm folgt mit 1112 Stimmen Mahmoud<br />
Al-Aloul, 59, aus nablus. Der saß meh -<br />
rere Jahre im israelischen Gefängnis,<br />
ehe er nach Jordanien deportiert<br />
wurde. Al-Aloul hat während der El<br />
Aksa intifada zwei Söhne verloren.<br />
An dritter Stelle ist Marwan Barghouti,<br />
50, mit 1063 Stimmen in das Zentral ko -<br />
mitee ge wählt worden. Der „gemäßigte“<br />
Barghouti sitzt mit fünffacher le -<br />
benslänglicher Haft wegen mordes im<br />
israelischen Gefängnis. Barghouti hat<br />
nach eigenen Angaben die im Sep tem -<br />
ber 2000 ausgebrochene intifada wo -<br />
chenlang vorher geplant und einen<br />
pro vokativen Besuch des Tempelber -<br />
ges des damaligen israelischen Oppo -<br />
si tionschefs Ariel Scharon als Aus löser<br />
genutzt. Barghouti gilt als „Hoff -<br />
nungsträger“ Palästinas und potenti -<br />
eller künftiger Präsident, sollte israel<br />
ihn vorzeitig begnadigen.<br />
Ebenfalls zur jüngeren Garde gehört<br />
der neffe Jassir Arafats, Nasser Al-Kid -<br />
wa, 50, ehemaliger UnO-Botschafter<br />
der PLO und Außenminister. Al-Kid -<br />
wa hatte während des Parteitags den<br />
ein stimmigen „Beschluss“ durchgesetzt,<br />
wonach israel seinen Onkel „er -<br />
mor det“ habe.<br />
Ebenfalls neu im Zentralkomitee sind<br />
der ehemalige palästinensische Ge -<br />
heim dienstchef Tawfiq Tirawi, der ehemalige<br />
Sicherheitschef im West jor dan -<br />
land Dschibril Radschoub und der<br />
„ewige Verhandler“ Saeb Erekat. israel<br />
hat Tirawi aufgrund beschlagnahmter<br />
Dokumente aus dem Hauptquartier<br />
Arafats in Ramallah im Jahr 2002<br />
schwere Vorwürfe gemacht, direkt in<br />
zahlreiche Terroranschläge involviert<br />
gewesen zu sein und sogar von der ge -<br />
planten Ermordung des Tourismus -<br />
mi nisters Rehabeam Zeevi („Ghan di“)<br />
gewusst zu haben.<br />
Einen großen Erfolg konnte Muham -<br />
mad Dahlan, 48, mit 853 Stimmen verbuchen.<br />
Dahlan sollte erst als Kan di dat<br />
ausgeschlossen werden, insbesondere<br />
durch Ahmad Qureia, 72, und schlug<br />
dann doch seine Widersacher der al ten<br />
24 August 2009 - Aw/Elul 5769
Garde. Dahlan steht im Ruf, korrupt zu<br />
sein und im Gazastreifen sei ne Kon -<br />
tra henten gefoltert zu haben. Dah lan<br />
war der Sicherheitschef im Ga za strei -<br />
fen. innerhalb der Fatah ist er umstritten,<br />
weil er im Juni 2007 den Gaza strei -<br />
fen fast kampflos der Ha mas ausgeliefert<br />
habe und selber nach Ramallah<br />
geflohen sei.<br />
Ein weiterer bekannter name im Zen -<br />
tral komitee ist Nabil Schaath, der sich<br />
oft der Weltpresse stellt, um die Po li tik<br />
der Autonomiebehörde zu erklären.<br />
Salim Zanoun war Vorsitzender des<br />
Par laments der Autonomiebehörde.<br />
Othman Abu Gharbiya war Berater Ara -<br />
fats und gilt als ideologe der Fa tah.<br />
Den 18. Platz hat gemäß dem vorläufigen<br />
Wahlergebnis der Ökonom und<br />
Be rater von Präsident mahmoud Ab -<br />
bas, Dr. Muhammad Shtayeh, eingenommen.<br />
Er hatte nur eine Stimme mehr<br />
erhalten als der linksgerichtete Tayyib<br />
Ab dul Rahim, Diplomat und ehemaliger<br />
Direktor des Rund funk senders<br />
„Stimme Palästinas“.<br />
mit nur zwei Stimmen abgeschlagen<br />
wurde Ahmad Qureia, 72, ehemaliger<br />
ministerpräsident und Vertreter der<br />
„al ten Garde“. Qureias Privatfirma<br />
POLITIK • ISRAEL<br />
soll Zement aus Ägypten importiert<br />
und an israel verkauft haben für den<br />
Bau der international kritisierten is -<br />
rae lischen Sperrmauer. Entspre chen -<br />
de Gerüchte wurden 2004 von einem<br />
Untersuchungsausschuss des palästinensischen<br />
Parlaments bestätigt.<br />
Qureia hatte die ersten Geheim ver -<br />
hand lungen der PLO mit israel vor<br />
den „Osloer Verträgen“ und zuletzt<br />
die wöchentlichen Gespräche mit der<br />
ehemaligen Außenministerin Zipi<br />
Livni und mit Regierungschef Ehud<br />
Olmert geführt.<br />
Noch kein Ende<br />
Der Parteitag der Fatah-Organisation<br />
von Palästinenserpräsident mahmud<br />
Abbas musste wegen anhaltender<br />
Pro bleme bei der Feststellung einiger<br />
Wahlergebnisse um weitere drei Tage<br />
verlängert werden. So gibt es wegen<br />
des äußerst knappen Wahlausgangs<br />
zum höchsten Spitzengremium, dem<br />
Zentralkomitee, Einsprüche von Wahl -<br />
verlierern, so die Wahlkom mis sion am<br />
12. August.<br />
Demnach hat die Aus zäh lung für die<br />
80 Sitze im 120 mitglie der umfassenden<br />
Revolutionsrat erst am 13. Au gust<br />
be gonnen und soll An ga ben zu folge<br />
mindestens zwei Tage dauern.<br />
Auch die Wahl zum Zentralkomitee<br />
ist möglicherweise noch nicht abgeschlossen.<br />
nach informationen aus<br />
der Wahl kom mission hat einer der<br />
prominentesten Wahlverlierer, Ah med<br />
Korei, eine neuauszählung von einigen<br />
Wahl urnen verlangt. Korei, der<br />
zur alten Parteigarde gehört, fehlten<br />
den Angaben zufolge nur zwei Stim -<br />
men für einen Sitz im Zentralkomitee.<br />
HAMAS, FATAH, PLO UND ANDERE<br />
<strong>Die</strong> PLO (Palästinensische Befreiungsor ga nisation) wird international anerkannt<br />
als offizielle Repräsentantin des palästinensischen Volkes. Alle Verträge mit Is rael,<br />
etwa die Osloer Verträge, aus denen die Autonomiebehörde hervorging, wurden mit<br />
der PLO abgeschlossen. Der Prä si dent der Autonomie be hörde, früher Jassir Arafat<br />
und heute Mah moud Abbas, ist gleichzeitig Vorsit zender der PLO.<br />
<strong>Die</strong> PLO ist eine Dachorganisation für fast alle palästinensischen Parteien. <strong>Die</strong><br />
radi kal islamische Hamas ist nicht Mitglied in der PLO und bekämpft aus ideologischen<br />
Grün den jegliche Abkommen mit Israel, so auch die von Israel ge währte<br />
palästinensische Selbstverwaltung.<br />
Während die Hamas sich 1996 noch weigerte, an den Parlamentswahlen teilzu -<br />
neh men, weil das eine Anerkennung der Verträge mit Israel bedeutet hätte, entfiel<br />
dieses Ar gu ment bei den Wahlen im Januar 2006, als sie prompt die Mehr heit der<br />
Sitze im Par la ment gewann. <strong>Die</strong> Fa tah, wegen Korruption abgewählt, wollte das<br />
Er gebnis nicht ak zep tieren.<br />
<strong>Die</strong> internationale Gemeinschaft und Israel boykottierten die neue Hamas-Re gie -<br />
rung und später eine von den Saudis er zwungene „Einheitsregierung“, solange<br />
die Hamas nicht Israel und bestehende Verträge anerkannte und dem Terror ab -<br />
schwor. <strong>Die</strong> Span nungen wuchsen, bis die Hamas mit einem blutigen Coup die<br />
Fa tah-Gruppierungen in dem von Israel zuvor geräumten Gazastreifen be sieg te<br />
und vertrieb.<br />
Während Israel weiter mit dem ge schwäch ten PLO-Chef Abbas über ein Frie dens -<br />
ab kom men verhandelt, führte es infolge der Entführung eines Soldaten und we gen<br />
ständigem Raketenbeschuss geg en die machthabende Hamas einen scharfen<br />
Krieg mit gezielten Angriffen. Ägypten ver handelt ständig zwischen Fa tah, Hamas<br />
und Israel, mit begrenztem Erfolg. Ägypten befürchtet eine „Explo si on“ des Gaza -<br />
strei fens, wie das die Grenz durch brüche auf Weisung der Hamas zeig ten, als hun -<br />
derttausende Palästinenser un kon trolliert in den Sinai strömten. Zu gleich gefährdet<br />
der Waffenschmuggel vom Sinai unter der Grenze hinweg in den Gazastreifen den<br />
Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten. Israel verhäng te eine Wirtschafts -<br />
bloc kade gegen Gaza und sperrte seine Gren zen. Bis zur Ver kün dung eines von<br />
Ägypten vermittelten Waffenstillstandes vor einem Monaten ge langten nur Wei zen<br />
und humanitäre Güter zu den 1,5 Mio. Bewohnern des Küs tenstreifens.<br />
Jenseits der kämpferischen politischen Parteien mitsamt ihren Milizen, bestimmen<br />
auch die Machtansprüche schwerbewaffneter Familienclans und kleinere extre -<br />
mistische Gruppen wie der islamische Dschihad das Kampfgeschehen im Gaza -<br />
strei fen. UWS<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 25
Polizeiwagen mit Blaulicht vorweg,<br />
die Journalisten im gepanzerten<br />
Botschaftswagen und schwerbewaffnete<br />
Sicherheitsleute mit dem Schnell -<br />
feuergewehr im Anschlag. Vor nur<br />
einem Jahr herrschte noch eine düstere<br />
Stimmung in der palästinensisch au -<br />
to nomen Stadt nablus im Westjor dan -<br />
land. Das ist alles Geschichte. Heute<br />
schieben sich fröhliche menschen<br />
durch üppige Auslagen im Basar, der<br />
einstigen Kampfzone. Von Wasch ma -<br />
schi nen bis Kinderschuhen aus Plas tik<br />
und bunten Tüchern aus indien wird<br />
alles feilgeboten, was das Herz be -<br />
gehrt. Sogar frischen Fisch gibt es.<br />
man gels Zugang des Westjordan lan -<br />
des zum meer wurde der aus israel<br />
importiert.<br />
nablus ist heute wieder das, was man<br />
sich unter Orient vorstellt: Gerüche<br />
und Farben wie in Tausend und einer<br />
nacht. Durch die einst ausgestorbene<br />
Hauptstraße schiebt sich im Schritt -<br />
tempo eine Blechlawine mit auffällig<br />
vielen europäischen Luxuslimou si nen.<br />
<strong>Die</strong> Polizei regelt den Verkehr, statt be -<br />
fehdete Kämpfer politischer Parteien<br />
zu bekämpfen.<br />
Wie in Jenin, Ramallah und Bethle hem<br />
ist der auffällige Wohlstand, das Ge -<br />
fühl der Sicherheit und die Rückkehr<br />
zur „normalität” das Resultat einer<br />
Kombination amerikanischer, europäischer,<br />
jordanischer und israelischer<br />
maß nahmen. Voraussetzung war freilich<br />
der politische Beschluss von<br />
Präsident mahmoud Abbas und des<br />
Pre mierministers Salam Fayad, nicht<br />
mehr auf Kampf, sondern auf Koope -<br />
ra tion mit israel setzten. Sonst wäre<br />
das Westjordanland längst an die islamistische<br />
Hamas gefallen, so wie der<br />
Gazastreifen im Juni 2007. Ohne propagandistisches<br />
Getöse wurden Tau -<br />
sen de Polizisten nach Jordanien oder<br />
Jericho zum Training durch Amerika -<br />
ner, Briten und Deutsche geschickt.<br />
israel stimmte deren Bewaffnung zu<br />
und genehmigte die Verstärkung der<br />
Polizei in nablus um 5.000 mann.<br />
Der Gouverneur von nablus, Jamal<br />
Mu haisen, ein Fatah-mann der alten<br />
Garde, schildert, wie er mit eiserner<br />
Hand „Ruhe und Ordnung” durchgesetzt<br />
und fast Opfer von Attentaten ge -<br />
worden sei. <strong>Die</strong> gewohnte Polemik<br />
gegen israel hat er noch nicht abgelegt.<br />
<strong>Die</strong> meisten der von ihm beklagten<br />
100 Straßensperren rund um nablus<br />
POLITIK • ISRAEL<br />
Nablus - die neu erfundeneWirtsc<br />
gibt es nicht mehr. Unbefangener er -<br />
klärt Börsenchef Ahmad Aweidah, 39,<br />
den Erfolgskurs der kleinen aber feinen<br />
palästinensischen Börse. Aweidah ist<br />
Palästinenser aus Ostjerusalem und<br />
be sitzt einen israelischen Ausweis.<br />
Der flotte Banker mit gutem Englisch<br />
und solider Ausbildung schildert am<br />
eigenen Beispiel den Aufschwung.<br />
„Auf dem Höhepunkt der Intifada durfte<br />
ich wegen dem Ausweis nicht nach Na b lus.<br />
Mit Taxis fuhr ich über Schleichwege auf<br />
den Inbal-Berg, wo meine Mitarbeiter mich<br />
in Schlips und Anzug auf einem Esel durch<br />
die Wälder zur Börse reiten ließen.” Spä ter<br />
fuhr er im eigenen Auto auf „Sied ler -<br />
um gehungsstraßen” bis zur berüchtigten<br />
Hawara-Straßensperre und passierte<br />
sie zu Fuß. „Heute sind die meisten<br />
Sperren verschwunden. Bei Hawara winken<br />
mich die Soldaten in meinem Wagen<br />
unkontrolliert durch.”<br />
<strong>Die</strong>se drastische Änderung war das Er -<br />
gebnis der palästinensisch-israelischen<br />
Gespräche mit Ehud Olmert und Ben -<br />
VON ULRICH W. SAHM, APA<br />
Ahmad Aweidah Straßenverkehr<br />
jamin netanyahu. „Der Erfolg muss Ab -<br />
bas zugeschrieben werden, nur niemand<br />
dankt es ihm”, klagt Aweidah, ehe er<br />
händereibend über die einzige Börse<br />
erzählt, an der nur online gehandelt<br />
wird: „E-marketing”. „Wir sind eine der<br />
wenigen Börsen, die von der Wirt schafts -<br />
krise unberührt blieben.” im Januar verzeichneten<br />
die 38 registrierten Un ter -<br />
neh men ein Plus von 13 Prozent bei ei -<br />
nem täglichen Umsatz von US$ 5 mio.<br />
„<strong>Die</strong> Blockade des Gazastreifens hat uns<br />
nur genützt. Wer Geld hat, aber nicht pro -<br />
duzieren kann, legt bei uns an. <strong>Die</strong> Barri e -<br />
ren sind kein Hindernis, weil hier alles<br />
elek tronisch abläuft.” 15 Prozent der in -<br />
ves toren seien Aus län der. Ansonsten<br />
bediene die Börse nur palästinensische<br />
Unternehmen, allen voran den Kon -<br />
zern Padico von Munib al-Masri*, dem<br />
reichsten aller Palästi nenser, und die<br />
Kommuni ka tions firma Paltel.<br />
Weil die Börse kein Geld mit Zinsen<br />
verleihe, sondern nur Handel treibe,<br />
entspreche sie den Regeln des islam<br />
26 August 2009 - Aw/Elul 5769
haftsmetropole<br />
<strong>Die</strong> online-Börse<br />
und sei völlig „halal”, schmunzelt<br />
Awei dah. Weltweit verfügen Paläs ti -<br />
nenser über ein Vermögen von US$ 7<br />
mrd. „Hinzu kommt das menschliche Ka -<br />
pi tal”, sagt Aweidah, darunter 250.000<br />
Palästinenser in den Golfstaaten. „Wir<br />
sind heute die Juden des Nahen Os tens”,<br />
meint Aweidah voller Stolz über den<br />
Erfindungsgeist seiner Volks ge nos -<br />
sen und deren Fähigkeit zum im pro -<br />
visieren. „Wir benötigen nicht das Geld<br />
der Geberländer”, behauptet der Ban -<br />
ker, ehe er den Hochglanz-Jah res be -<br />
richt des Padico-Konzerns für 2008<br />
überreicht. Darin wird die Kraft der<br />
palästinensischen Wirtschaft in schillernden<br />
Farben dargestellt.<br />
Bei Aus bruch der intifada 2002 lag das<br />
Bruttosozialprodukt (BSP) bei US$ 4,6<br />
mrd. 2002 fiel es auf einen Tiefpunkt<br />
von 3,4 mrd. 2008 ging es der palästinensischen<br />
Wirtschaft besser als 2000,<br />
es kletterte auf 4,64 mrd. •<br />
*siehe nebenstehenden Beitrag<br />
POLITIK • ISRAEL<br />
Schöner wohnen in Palästina<br />
„Dadada-Dadada“ ruft der reichste<br />
mann Palästinas, Munib El Masri, und<br />
klatscht in die Hände, während er ei -<br />
ner Gruppe Journalisten von seiner<br />
Rück kehr aus Damaskus erzählt. Dort<br />
habe er „optimistisch“ über eine Ver -<br />
söhnung zwischen Hamas und Fatah<br />
verhandelt, den tief verfeindeten Par -<br />
teien Palästinas. Wieder klatscht er<br />
und ruft „Dadada-Dadada“. So versucht<br />
er, Tauben von seiner Traum vil la<br />
auf dem Garizim-Berg zu verscheuchen,<br />
wo die Samaritaner vor 2000<br />
Jahren einen Tempel in Konkurrenz<br />
zum Salomonischen Tempel von Je ru -<br />
salem errichtet hatten.<br />
Der stolze Ureinwohner Palästinas<br />
stammt aus Ägypten, wie es der nach -<br />
na me „El masri“ (Der Ägypter) verrät.<br />
„Mit neunzehn war ich in Chi cago<br />
und hatte dort den Traum, selber mal eine<br />
Vil la nachzubauen, wie sie der italienische<br />
Ar chitekt Andrea Palladio nahe Venedig<br />
im 16. Jahrhundert entworfen hat“, sagt<br />
der rüstige 75-jährige multi-milliar där.<br />
„Der steht an Stelle 34 nach Bill Gates“<br />
behauptet einer der Journalisten über<br />
den sportlichen mann, der sein Geld<br />
mit Öl gemacht hat und dessen Firma<br />
Padico angeblich 35 Prozent der palästinensischen<br />
Wirtschaft kontrolliert.<br />
Laut BBC wiegt El masri 1,62 milliar -<br />
den Dollar.<br />
Obgleich er „ganz dringend“ zu ei nem<br />
weiteren Termin eilen müsse, nimmt<br />
sich El masri ganze zwei Stun den Zeit,<br />
die Journalistengruppe durch sein<br />
Anwesen zu führen. Vor der Ankunft<br />
des minibus’, habe er in dem Schwimm -<br />
bad mit olympischen Dimensionen ein<br />
erfrischendes Bad genommen. Da<br />
plät schert ein Springbrunnen, der wie<br />
die Apsis einer byzantischen Kirche<br />
aussieht. Seine Villa, ein Palast na mens<br />
„Haus Palästina“ mit einer riesigen<br />
Kuppel aus roten Ziegeln, überschaut<br />
nablus, Palästinas Wirtschaftszen tra le,<br />
eine Autostunde nördlich von Ra mallah<br />
entfernt. Sogar den Sand und Kies<br />
für den Bau des Palastes habe El mas ri<br />
aus Frankreich importiert. „Kurz vor<br />
der Fertigstellung besetzten israelische<br />
Sol daten mein Haus. Obgleich es noch<br />
nicht möbliert war, hinterließen sie einen<br />
Saustall“, erzählt El masri. Vor kur zem<br />
hatte er israelische „Doktoren, Dich ter<br />
und Journalisten“ zu einem Ge dan -<br />
kenaustausch über den Frieden zu<br />
sich eingeladen. „Ich bin nicht nachtragend.“<br />
Ehe der Hausherr eine Führung durch<br />
das innere seines Palastes startet, will<br />
er seine politische Philosophie loswerden.<br />
Zweimal war er minister, 1970 in<br />
der jordanischen Regierung und 1993<br />
unter seinem langjährigen Freund Jas -<br />
sir Arafat. nach dessen Tod wurde El<br />
mas ri sogar als dessen nachfolger ge -<br />
han delt. Der mann mit Freunden un -<br />
ter al len Großen der Welt ist fest von<br />
der Zwei-Staatenlösung überzeugt.<br />
Sie kön ne ganz einfach erreicht werden.<br />
<strong>Die</strong> israelis müssten nur die Be -<br />
sat zung beenden, sich hinter die -><br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 27
-> Grenze von 1967 zurückziehen, auf<br />
Je rusalem verzichten und rund 5 mil -<br />
lio nen palästinensische Flüchtlin ge<br />
aufnehmen.<br />
Munib El Masri<br />
El masri schwört, keinerlei geschäftliche<br />
Kontakte mit den israelis zu un -<br />
ter halten, „weil ich okkupiert bin“. Den<br />
Bau seiner protzigen Villa auf dem<br />
Höhepunkt der blutigen intifada, als<br />
in Tel Aviv die Busse explodierten und<br />
israelische Panzer durch palästinensische<br />
Städte rollten, präsentiert er als<br />
Heldentat des Widerstandes gegen die<br />
Besatzer. „Ich habe das Haus errichtet,<br />
um die Israelis daran zu hindern, hier eine<br />
strategische Stellung zu errichten“, sagt<br />
er. Auf dem gegenüberliegenden Hü -<br />
gel hätten die israelis „einen Jupiter tem -<br />
pel zerstört für einen Militär stütz punkt“.<br />
Auf seinem eigenen Grund stück, hinter<br />
einem gläsernen Treibhaus, steht<br />
eine hohe Antenne, „auf der sich der<br />
CIA, Telefongesellschaften und der israelische<br />
Geheimdienst eingemietet haben“,<br />
behauptet El masri. Über eine monumentale<br />
Treppe führt El masri die<br />
POLITIK • ISRAEL<br />
Jour nalisten stolz in sein „Privathaus“.<br />
im Patio unter der Kuppel steht ein<br />
steinerner Herkules aus dem 16. Jahr -<br />
hundert. in den grauen Beton sind in<br />
großer Höhe italienische Gemälde ein -<br />
gelassen. „Wenn ich nicht hinters Licht<br />
geführt worden bin, sind alle Kunst werke<br />
hier echt“, sagt er bescheiden. Vom Patio<br />
aus geht es ab in einen Spei sesaal mit<br />
britischem Tee-Ges chirr, einen Salon<br />
mit Sesseln aus der Zeit des Sonnen -<br />
kö nigs Lous XiV. in einer Ecke seines<br />
holzgetäfelten Arbeits zim mers stehen<br />
unter einer Kopie von Spitzwegs<br />
„Buchwurm“ (1850) einige „persönliche“<br />
Fotos, etwa mit König Hussein<br />
von Jordanien. Auf den Tischen verteilt<br />
liegen zufällig Kunstbücher zu mo di -<br />
gliani oder Picasso. Selbstver ständ lich<br />
hängen echte modiglianis und Picas sos<br />
an seinen Wänden. Für die Fotogra fen<br />
posiert er willig vor ei nem Gobelin des<br />
„größten aller Künst ler“, nein nicht<br />
Rembrandt und auch nicht Leo nardo<br />
da Vinci, „Rafael natürlich“, sagt er mit<br />
erlösendem Lachen. Eine musikalisch<br />
begabte Journalistin wird ge beten,<br />
Klas sisches in die Tasten eines Stein -<br />
way Flügels unter einer überdimensionalen<br />
palästinensischen Flag ge im<br />
gewundenen Treppenhaus zu hauen.<br />
im Garten, auf einem wunderbar wei -<br />
chen Rasen, trotz Wasserknapp heit<br />
üppig gewässert, steht ein großes Alu -<br />
mi ni umtablett Knafe bereit, eine arabische<br />
Süßigkeit aus Honig, Ge bäck<br />
und Joghurt. El masri teilt die üppigen<br />
Por tionen selber an jeden Gast aus.<br />
Ein Fern sehteam von Al Dschesira er -<br />
scheint. El masri begrüßt die hübsche<br />
junge Reporterin mit Küsschen auf<br />
bei de Backen. „Das ist mein nächster<br />
Termin.“ UWS,APA<br />
Mehr Araber im staatlichen <strong>Die</strong>nst<br />
<strong>Die</strong> Zahl der Araber und Drusen im öffentlichen <strong>Die</strong>nst hat laut dem israelischen<br />
Amt für staatlichen <strong>Die</strong>nst in den vergangenen fünf Jahren deutlich zu ge nom -<br />
men. Der Statistik zufolge wurden im Jahr 2003 insgesamt 193 Araber und Dru -<br />
sen neu im öffentlichen <strong>Die</strong>nst angestellt. im Jahr 2008 waren es be reits 578. Vor<br />
sechs Jahren lag der Anteil der arabischen und drusischen mitar bei ter bei 4,2%, im<br />
vergangenen Jahr bei 11,6%. <strong>Die</strong> Zahl der arabischen Frau en, die neu in den <strong>Die</strong>nst<br />
genommen wurden, hat sich von 66 auf 282 erhöht.<br />
mehr als 63% der Araber und Drusen arbeiten in Haifa und im norden israels. in<br />
Jerusalem sind es 8,6%, im Raum Tel Aviv 6%. im israelischen innenminis te ri um<br />
gehören 36% der Angestellten dem arabischen oder drusischen Sektor an. im Wis -<br />
senschaftsministerium beträgt dieser Anteil 16%, im Wohlfahrts minis terium 8,5%,<br />
im Gesundheitsministerium 8% und im Bildungsministerium 7%. Beim<br />
Außen ministerium und beim Büro des Regie rungschefs gehören zwischen 1 und<br />
1,5% der mitarbeiter diesen Bevölke rungs gruppen an.<br />
Luxus-Einkaufszentrum<br />
in Jenin<br />
<strong>Die</strong> Palästinenser haben sich in der<br />
Vergangenheit immer wieder mit<br />
Er folg als unterdrückte, verarmte<br />
Flücht linge dargestellt, die unter<br />
ei ner „brutalen und niederdrückenden<br />
israelischen Besatzung” leiden.<br />
Da mutet es schon ein wenig merk -<br />
würdig an, dass nur wenige me -<br />
dien über den durchschlagenden<br />
Er folg eines neuen Luxus-Ein kaufs -<br />
zentrums in Jenin berichten.<br />
<strong>Die</strong> Stadt im nördlichen Teil des<br />
sogenannten Westjordanlands ist<br />
da für bekannt, dass von dort im -<br />
mer wieder Selbstmord atten täter<br />
kommen.<br />
Das fünfstöckige Hirbawi Home<br />
Cen ter am Stadtrand kostete US$ 5<br />
mio. Zur Eröffnung im mai wurde<br />
ein großes Feuerwerk veranstaltet.<br />
Zahlreiche Palästinenser haben das<br />
Einkaufszentrum bereits zu ih rem<br />
täglichen Ausflugsziel erkoren.<br />
<strong>Die</strong> Läden sind sehr unterschiedlich.<br />
Es gibt typische, regionale Wa -<br />
ren zu kaufen, aber auch teure im -<br />
porte wie Plasmafernseher oder<br />
nob le Espressomaschinen, beides<br />
wichtige Statussymbole in der<br />
Region.<br />
28 August 2009 - Aw/Elul 5769<br />
©Daniella Cheslow<br />
„WEN WÜRDEN SIE ALS DEN<br />
KOMMENDEN REGIERUNGSCHEF<br />
BEVORZUGEN?”<br />
Bei einer Erhebung im Auftrag des<br />
Fernsehsenders „Kanal 10”erhielt die<br />
Kadima-Vorsitzen de Livni 36% der<br />
Stimmen.<br />
Den Likud-Chef Netan jahu nannten<br />
nur 23% der Befragten. Da mit konnte<br />
Livni den Pre mier mi nis ter erstmals<br />
seit dem Wahlkampf vor den Knesset-<br />
Wahlen im Fe bru ar überholen.<br />
Noch vor einem Monat hatte Netan -<br />
jahu in Umfragen vor Livni geführt.
Israelische Initiativen<br />
organisieren Strandausflüge<br />
für Palästinenser aus dem<br />
Westjordanland -<br />
Ein seltener Kinderspaß<br />
VON DALIA NAMMARI, AP<br />
Kichernd toben die Kinder am Strand<br />
herum, bauen Sandburgen, planschen<br />
mit Schwimmtieren, bespritzen sich<br />
ge genseitig. Eine völlig neue Erfah -<br />
rung für die palästinensischen Buben<br />
und mädchen aus dem Westjor dan -<br />
land: noch nie zuvor haben sie einen<br />
Tag am meer verbracht. Während<br />
misstrauen und Sperrmauer israelis<br />
und Palästinenser zunehmend voneinander<br />
trennen, versuchen israelische<br />
Bürgerinitiativen, sie mit solchen Un -<br />
ter nehmungen zusammenzubringen.<br />
Frieden, so finden sie, wächst aus vielen<br />
persönlichen Begegnungen.<br />
Zwei dieser initiativen organisieren<br />
Ausflüge palästinensischer Kinder<br />
und ihrer Eltern an israelische Strän de.<br />
Rund 75 menschen machten sich dieses<br />
mal aus der Gegend um Hebron<br />
im Westjordanland auf nach Bat Yam,<br />
südlich von Tel Aviv. Für viele war es<br />
das erste mal, dass sie das meer er -<br />
blickten - und ein Augenblick der Hoff -<br />
nung. „Wir müssen in Frieden leben und<br />
es möglich machen, dass unsere Kinder ein<br />
besseres Leben führen, als wir es hatten”,<br />
sagt Siad Sabatein, 37 Jahre alt und<br />
Va ter von fünf Kindern. „Wir haben den<br />
Aufstand durchgemacht und die An grif fe<br />
aufeinander”, sagt er mit Blick auf die<br />
israelis. „Wir haben das zusammen er lebt.<br />
Warum also nicht diese Art von Leben er -<br />
fah ren?”<br />
Seit dem Aufstand 2000 bleibt israel<br />
den Palästinensern weitgehend verschlossen.<br />
Der von der radikalislamischen<br />
Hamas beherrschte Gaza strei -<br />
fen ist gänzlich abgeriegelt. Einwoh -<br />
ner des Westjordanlands müssen eine<br />
Sondererlaubnis zur Einreise nach is -<br />
rael beantragen. Das ist für manche<br />
POLITIK • ISRAEL<br />
Frieden ist ...<br />
ein Tag am<br />
Meer<br />
seit einiger Zeit etwas leichter, da die<br />
Lage relativ ruhig ist und israel einige<br />
Straßenkontrollpunkte aufgehoben<br />
und die Einschränkung der Bewe -<br />
gungsfreiheit leicht gelockert hat. Um<br />
die Genehmigungen für die Strand -<br />
aus flüge kümmern sich die Organisa -<br />
to ren. manche Anträge werden allerdings<br />
von den israelischen Behörden<br />
aus Sicherheitsgründen abgelehnt.<br />
An einem montagmorgen brachen die<br />
Leu te aus Hebron auf, in den Händen<br />
ihre ersten Genehmigungen seit Jah -<br />
ren. Rund eine Stunde brauchten sie,<br />
um den Übergang in der Sperrmauer<br />
zu passieren, die aus israelischer Sicht<br />
Terroristen fernhalten soll und aus<br />
pa lästinensischer Sicht einen Versuch<br />
der Landnahme darstellt. Jenseits der<br />
mauer warteten Busse und Autos.<br />
„Wir fahren ans Meer!”, krähten die<br />
Kinder fröhlich. Am Strand angekommen,<br />
sind einige jüngere mäd chen so<br />
hingerissen, dass sie die langen Ge -<br />
wän der und Kopftücher von sich wer -<br />
fen und sich - mit langer Hose und<br />
Hemd züchtig bekleidet - in die Flu ten<br />
stürzen. ihre mütter sind nicht weniger<br />
begeistert, behalten aber den Schlei -<br />
er an, setzen sich auf Plastikstühle ans<br />
Wasser und tauchen die Zehen ins<br />
nass. Eine von ihnen ist Fahima na bil;<br />
sie ist 45 Jahre alt und war noch nie<br />
zuvor am Strand. ihr mann darf aus<br />
Sicherheitsgründen nicht nach israel<br />
hinein, und als traditionsbewusste<br />
Ehefrau hätte sie allein nicht reisen<br />
können.<br />
nach dem Badespaß gibt es Brot mit<br />
Schokoladencreme und Wasserme lo -<br />
nen, als krönenden Abschluss noch ei -<br />
ne 40-minütige Bootsfahrt. Ausflüge<br />
wie diesen organisiert die Friedens -<br />
ak tivistin Zvia Shappira seit drei Jah -<br />
ren. Ziel sei es, den Palästinensern ein<br />
anderes, freundlicheres israel zu zeigen:<br />
„<strong>Die</strong>se Menschen wissen jetzt, dass<br />
es auch andere Israelis gibt, denn in ihren<br />
Dörfern sehen sie nur Soldaten und Waf -<br />
fen und Straßensperren”, sagt sie. „Und<br />
nun sehen diese Kinder und Frauen, dass<br />
wir normale Männer und Frauen in Is ra el<br />
sind, keine Soldaten, und keine Waffen<br />
tragen.” Und, nicht zu vergessen: „Sie<br />
hatten ihren Spaß - das ist auch wichtig!”<br />
Doch dies gilt nicht für jedermann.<br />
Ahmad Salameen geht nicht ins Was -<br />
ser und ist gar nicht glücklich, seine<br />
Töchter an ein und demselben Strand<br />
mit leicht bekleideten israelischen<br />
mäd chen zu sehen. „Wenn ich das ge -<br />
wusst hätte, wäre ich nicht mitgekommen.<br />
Schauen Sie sich das an!”, sagt er und<br />
deutet auf zwei Bikinischönheiten. „Als<br />
Muslim darf ich das gar nicht sehen.” •<br />
Tugendkampagne: Sittenterror in Gaza - Im Gaza-Streifen zieht sich die Schlinge des islamischen Sittengesetzes immer en ger<br />
zu. <strong>Die</strong> Bewohner des von der palästinensischen Terrororganisation kontrollierten Gebiets sehen sich mehr und mehr Ein -<br />
griffen in ihr Alltags le ben ausgesetzt. Das Religionsministerium in Gaza betreibt derzeit eine erklärte „Tugendkampagne“, im<br />
Rahmen derer et wa zu nach Geschlechtern getrennten Hochzeitspartys und zum Verzicht auf Popmusik aufgerufen wird. Ein<br />
wichtiger As pekt ist neben der Trennung von Mann und Frau in der Öffentlichkeit auch die Frage des Kleidungsstils.<br />
Junge Männer werden am Strand angewiesen, Hemden zu tragen und Schmuck abzulegen, da dies unislamisch sei. Selbst Ret -<br />
tungsschwimmer müssen sich verhüllen. Ein weiterer Stein des Anstoßes für die Hamas sind leicht bekleidete Schau fen s -<br />
terpuppen, die nach und nach aus den Läden verschwinden. Rechtsanwältinnen müssen vor Gericht ab September Kopf tü cher<br />
(Hijab) tragen.<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 29
WIRTSCHAFT<br />
Während heimische Hoteliers die Krise<br />
in der Kassa bereits spüren, zeigt sich<br />
das kleine Segment des koscheren<br />
Tou rismus in Österreich davon bisher<br />
we nig betroffen.<br />
VON REINHARD ENGEL<br />
„Sie haben reserviert. Gott sei Dank.<br />
Bleiben Sie auch gleich einen Monat?“<br />
Gustav Adler, der Hotelier, ist selbst<br />
ein gesprungen, weil die Rezeption sei -<br />
nes Hotels Gabriel kurz unbesetzt<br />
war. Und er hat den österreichischen<br />
Feriengast aus der Provinz gleich einmal<br />
mit einer Dosis klassischen Wie -<br />
ner Schmähs begrüßt, was dieser nach<br />
einer kleinen Schrecksekunde durchaus<br />
wohlwollend zur Kenntnis nimmt.<br />
©R.Engel<br />
Gusti Adler<br />
vor einem<br />
seiner Hotels<br />
Gustav „Gusti“ Adler ist in <strong>Wien</strong> Herr<br />
über 440 Betten in vier Häusern. <strong>Die</strong> -<br />
se heißen neben Gabriel Resonanz, Drei<br />
Kronen und Allegro, früher Amarante.<br />
Und alle bieten Geschäftsreisenden<br />
und Touristen soliden Drei-Sterne-<br />
Komfort, mit modern eingerichteten<br />
Zimmern, geräumigen Bädern und<br />
üp pigen Frühstückbüffets. Bis zum<br />
Vor jahr kostete das etwa 100 Euro pro<br />
Doppelzimmer. Bis zum Vorjahr.<br />
„Jetzt ist die Krise voll da,“ erzählt Adler.<br />
„Nicht dass keine Gäste mehr kommen,<br />
aber die Preise sind dramatisch verfallen.“<br />
Heute kann er für ein Doppelzimmer<br />
gerade einmal 70 Euro verlangen, und<br />
seine Kosten sind nicht kleiner ge -<br />
worden. Dabei waren es nicht einmal<br />
die Reisebüros, die den Hoteliers die<br />
Daumenschrauben ansetzten, es sind<br />
die Kunden selbst, die via harten Preis -<br />
WIRTSCHAFT • INLAND<br />
vergleich im internet festlegen, wie<br />
viel sie bereit sind zu bezahlen. Und<br />
heute läuft eben ein Großteil des Ge -<br />
schäfts über das internet.<br />
Adlers Erfahrung bestätigt auch Er win<br />
Rosenberg. <strong>Die</strong>ser besitzt in <strong>Wien</strong> drei<br />
Hotels, das Cristall, das Attaché und das<br />
Congress, davon eines mit vier Ster nen<br />
und zwei mit jeweils dreien. „Wir spüren<br />
bei der Anzahl der Übernachtungen<br />
kaum Rückgänge,“ berichtet er. Aber<br />
auch er kann sich dem „radikalen<br />
Preis verfall“ nicht entziehen, den ihm<br />
die internet-Buchungsplattformen be -<br />
scheren. „<strong>Die</strong> Zeit der Fixpreise ist vorbei,<br />
wir betreiben heute Yield Mana ge ment,<br />
ähnlich den Fluglinien.“ <strong>Die</strong> negative<br />
Seite dieses variablen Systems, nämlich<br />
den Druck nach unten, erlebt er<br />
wie seine mitbewerber gerade jetzt.<br />
<strong>Die</strong> positive Seite liege darin, dass sich<br />
die Preise auch schnell wieder in die<br />
andere Richtung bewegen können,<br />
etwa bei großen Kulturveranstal tun -<br />
gen und Kongressen. So hofft er wie<br />
andere Hoteliers, dass der Herbst, eine<br />
gute Zeit für Städtereisende, wieder<br />
Erleichterung bringen wird.<br />
Weniger Investitionen<br />
Gustav Adler erzählt, was die aktuelle<br />
Krise für seine Unternehmensgruppe,<br />
die Adler Hotels Vienna, bedeutet.<br />
„Wir verlieren dadurch heuer eine Mil li on<br />
Umsatz. Das heißt nicht, dass wir keine<br />
schwarzen Zahlen mehr schreiben. Aber<br />
wir werden die üblichen Investitionen zu -<br />
rückstellen, ich will nicht zu viel über<br />
Kredit finanzieren.“ Regelmäßig hatte<br />
er in den letzten Jahren in allen Häu -<br />
sern Verbesserungen vorgenommen:<br />
da ein paar Bäder erneuert, dort die<br />
Spannteppiche oder den Steinboden in<br />
den Gängen, hier einen Frühstücks -<br />
raum. Jetzt verschiebt er die heurige<br />
Tranche – „hoffentlich nur um ein Jahr“.<br />
Adler wurde nicht als Hotelier geboren.<br />
Seine Familie betrieb einen Groß -<br />
handel mit Hühnern und Wild, am<br />
Höhepunkt der Entwicklung verkaufte<br />
man Fleisch via 60 kleine Filialen in<br />
ganz <strong>Wien</strong>. Aber die Supermärkte er -<br />
wiesen sich ab den frühen 70er Jahren<br />
als immer mächtigere Gegner, und erst<br />
wurden die Gewinnmargen schmäler,<br />
dann rutschte die Firma in die roten<br />
Zahlen. „Wir haben überlegt, was wir<br />
sonst machen könnten, und die Idee mit<br />
den Hotels hat dann meine Mutter ge -<br />
Grüß<br />
und<br />
habt,“ berichtet Adler. 1972 kaufte er<br />
das erste Haus, ein heruntergewirtschaftetes<br />
Hotel am äußeren Ende der<br />
Landstraßer Hauptstraße, und be gann<br />
gleich mit umfangreichen Um- und<br />
Ausbauarbeiten. Weitere Häuser folgten,<br />
eines kaufte er sogar dem Kur z -<br />
zeit-Aua-Großaktionär, Scheich mo -<br />
ham med Bin isser Al Jaber, ab. <strong>Die</strong>ser<br />
hatte am matzleinsdorfer Platz investiert<br />
und wollte dort ursprünglich ein<br />
Fünf-Sterne-Haus aufmachen, bis er<br />
draufkam, dass das dafür kein idealer<br />
Standort wäre. Adler füllt sein Alle gro<br />
jetzt dort solide mit Drei-Sterne-Gäs -<br />
ten.<br />
Gefragt, ob er auch israelische Tou ris -<br />
ten beherberge, antwortet er, vereinzelt<br />
immer wieder, aber statistisch spielen<br />
diese keine größere Rolle. Ähnlich ar -<br />
30 August 2009 - Aw/Elul 5769
’ Gott<br />
gu mentiert Rosenberg: „Zuerst sind die<br />
Österreicher, Deutschen und Italiener. Alle<br />
anderen kann man unter „ferner liefen“<br />
zusammenfassen.“ Eine <strong>Wien</strong>er Hote lie -<br />
rin mit zwei guten mittelstand-Hotels<br />
unweit dem Ersten Bezirk, beherbergt<br />
immer wieder Gäste aus israel, „aber<br />
heuer im Juli sind sie ausgeblieben“. Sie<br />
führt das auf die aktuelle Wirtschafts -<br />
la ge zurück, auch dort müssen die<br />
Urlauber sparen.<br />
Laut aktueller Statistik der Hoteliers -<br />
ver einigung machen die israelischen<br />
Urlauber in Österreich tatsächlich nur<br />
einen verschwindend kleinen Anteil<br />
aus – im Vorjahr waren es etwa landesweit<br />
0,14 Prozent aller nächtigun -<br />
gen. Heuer gibt es bei ihnen in den<br />
monaten Januar bis mai sogar gegen<br />
den generell rückläufigen Trend ein<br />
WIRTSCHAFT • INLAND<br />
Schalom<br />
Serfaus<br />
kleines Plus. Aber wer sich die Daten<br />
genauer ansieht, bemerkt, dass das<br />
nur in einem monat der Fall war, im<br />
April. mit Ausnahme der Pessach-Zeit<br />
gingen auch die Zahlen der isra e lis in<br />
Österreich heuer monat für mo nat zu -<br />
rück.<br />
Koschere Mahlzeiten –<br />
Nostalgie-Touristen<br />
Um wie viel weniger jüdische Tou ris -<br />
ten aus anderen Ländern heuer Ös ter -<br />
reich ansteuern, lässt sich nicht herausfinden.<br />
Der überwiegende Teil von<br />
ihnen deklariert sich nicht, sondern<br />
ist in den jeweiligen Zahlen der einzelnen<br />
Herkunftsländer enthalten.<br />
Und da befürchtet die österreichische<br />
Fremdenverkehrswirtschaft für 2009<br />
doch ein eher gedämpftes Ergebnis,<br />
eine Abschwächung in der Größen -<br />
ord nung von fünf bis sechs Prozent.<br />
Zur Krise war im Frühsommer noch<br />
das schlechte Wetter dazu gekommen,<br />
und diese verlorenen nächte lassen<br />
sich später nicht mehr aufholen.<br />
Keinen Rückgang hat Shalom Bern holtz<br />
bei jenen Hotelgästen festgestellt,<br />
denen er koscheres Essen liefert. „Das<br />
macht bei mir insgesamt nur wenige Pro -<br />
zent aus, aber es ist auch im Vergleich zum<br />
Vorjahr absolut stabil.“ Bernholtz führt<br />
auf seiner Kundenliste sämtliche Fünf-<br />
Sterne-Häuser – vom Sacher bis zum<br />
Intercontinental, vom Hilton bis zum<br />
Mar riott, vom Bristol bis zum Ana<br />
Grand. Und er liefert seine mahlzeiten<br />
auch in die Hofburg, wenn dort ein<br />
Kongress seine Teilnehmer zu einem<br />
Di ner lädt, manchmal sogar ins Stei -<br />
rer eck, falls in einer größeren Ge sell -<br />
schaft jemand auf Koscher besteht.<br />
„Es gibt so viele unterschiedliche Ver an -<br />
staltungen,“ so Bernholtz, „da ein Kon -<br />
gress, dort eine internationale Theater trup -<br />
pe, dass ich keinen Rückgang bemerkt<br />
habe.“<br />
Purim-Ball:<br />
Shalom Bernholtz<br />
– Caterer mit viel<br />
Sinn für Humor<br />
Eine – kleine aber treue – Gästeschar<br />
dürfte sich allerdings langfristig re -<br />
du zieren. Das sind jüdische internationale<br />
Touristen, die aus der Region<br />
mitteleuropa stammen, und auf der<br />
Suche nach ihren Wurzeln <strong>Wien</strong> als<br />
Stützpunkt für die Fahrten nach Bu -<br />
da pest, Prag, munkács und Czerno -<br />
witz benutzen. „Viele von ihnen sind<br />
schon gestorben oder werden langsam zu<br />
alt zum Reisen,“ weiß ein Hotelier. „Viel -<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 31<br />
© O.Goldberger
eicht fahren die Jungen jetzt noch ein<br />
letztes Mal mit dem Opa hierher, aber sie<br />
interessieren sich dann mehr für andere<br />
Ziele rund um den Globus.“<br />
Lederhosen und Pajes<br />
Doch Österreich ist nicht nur <strong>Wien</strong>,<br />
und mehrere alpine Ferienorte haben<br />
in den letzten Jahren auch orthodoxe<br />
Juden als interessante Gästegruppe<br />
entdeckt. Einer der Vorreiter war die<br />
Hoteliersfamilie Purtscher in der Al -<br />
ten Schmiede von Serfaus in Tirol. Sei<br />
vier Jahren betreibt sie in den Som mer -<br />
monaten Juli und August ihr Vier-<br />
Ster ne-Haus als koscheren Betrieb.<br />
Auch heuer ist dieses ausgebucht.<br />
We der die Wirtschaftskrise noch<br />
dümm liche, judenfeindliche Bemer -<br />
kun gen einer anderen Quartierge be -<br />
rin im Ort, die im Frühjahr durch die<br />
internationalen medien gingen, konn -<br />
ten darauf negativ einwirken. „Es läuft<br />
heu er so gut wie im Vorjahr,“ erzählt<br />
Birgit Purtscher, die Seniorchefin.<br />
Vor vier Jahren hatte sich erstmals ein<br />
israelisches Reisebüro bei<br />
ihr ge meldet und<br />
angefragt, ob sie an<br />
Ko scher-Gäs -<br />
ten in te res -<br />
siert wäre.<br />
Das Haus eignete<br />
sich gut dafür, die<br />
Küche war groß ge nug, um<br />
milchig und fleischig or dent -<br />
lich zu trennen, die Bar verwandelt sich<br />
im Sommer in eine Betstube, Tho ra -<br />
rollen werden in Ungarn ausgeborgt.<br />
Mena chem Schechter, gebürtiger Ru -<br />
mä ne aus Haifa, arbeitet schon den<br />
vierten Sommer als meschgiach in der<br />
Al ten Schmiede. Er kauft einen Gut -<br />
teil seiner Lebensmittel regional ein,<br />
Fleisch und milchprodukte kommen<br />
mit dem Koscher-Stempel aus Un garn,<br />
tief ge froren oder als Haltbar-Ware.<br />
Er er zählt über die orthodoxen Gäste,<br />
die „aus aller Welt“ nach Serfaus kommen:<br />
„Sie sind vielleicht einen Tag im<br />
Ort, dann fahren sie in ganz Österreich he -<br />
rum. Nur am Schabbes ruhen sie sich hier<br />
aus.“<br />
Ein anderes Ferienhotel, das in den<br />
letz ten Jahren stets orthodoxe Gäste<br />
beherbergt hat, baut heuer um: das<br />
Blumenhotel der Familie Sonnbichler in<br />
Hinterglemm bei Saalbach. „Wir ha ben<br />
heuer wegen der Renovierung geschlossen,“<br />
erfährt man dort. „Wenn Sie sich<br />
für einen koscheren Urlaub interessieren,<br />
WIRTSCHAFT • INLAND<br />
bitte rufen Sie ab Oktober wieder an,<br />
dann wissen wir Genaueres über die<br />
kom mende Saison.“<br />
Erstmals auf jüdische<br />
Touristen setzt<br />
heuer das Hotel<br />
Tyrol in Seefeld. ini -<br />
ti iert wurde das<br />
von Daf na Cohen,<br />
Besit ze rin des israelischen<br />
Rei sebüros Tour<br />
Plus. Sie organisiert ge mein sam mit<br />
ihrem mann seit 1997 Urlaube für traditionelle<br />
Gäste aus den unterschiedlichsten<br />
Ländern. Heuer hat sie neben<br />
zahlreichen israelischen Hotels in Eu -<br />
ro pa das slowenische maribor im Pro -<br />
gramm – und eben Seefeld. „Wir wa -<br />
ren in Österreich schon in mehreren Or -<br />
ten, etwa in Lech oder in Ischgl,“ erzählt<br />
sie. Wie sie auf das Vier-Sterne-Haus<br />
Ty rol gekommen ist, möchte sie nicht<br />
sa gen: „Berufsgeheimnis“. Auch Frau<br />
Cohen will keinen Rückgang der nach -<br />
frage wegen der Wirtschafts kri se be -<br />
merken. „Das Einzige, was ich sehe, ist<br />
dass die Kunden einen guten Preis haben<br />
wollen. Aber wenn wir ihnen er klä ren,<br />
dass wir auf Qualität setzen und dass<br />
das halt etwas kostet, akzeptieren sie es.“<br />
Tour Plus füllt das 70-Zimmer-Haus<br />
im alpinen Stil mit Hallenbad, das na -<br />
he am Ortszentrum von Seefeld liegt,<br />
mit Gästen aus vielen Ländern, „vor<br />
allem aus Europa, darunter auch aus<br />
<strong>Wien</strong>“. Frau Cohen hat ihren eigenen<br />
Koch mitgebracht, der in den beiden<br />
Sommermonaten hier die Küche über -<br />
nimmt, für die Glatt-Koscher-Zerti fi -<br />
zierung ist Rabbi Pinchas Leibush Padwa<br />
aus Amsterdam zuständig. Auch die<br />
Kunden von Tour Plus bleiben nicht<br />
nur in Seefeld und auf den umliegenden<br />
Almen, sie bereisen mit Klein -<br />
bussen eine größere Region – und fah -<br />
ren gelegentlich bis Salzburg.<br />
in <strong>Wien</strong> hat Gustav Adler eine blaue<br />
Kassette gebracht und zeigt sie stolz<br />
seinem Besucher: „Das ist das goldenen<br />
Ehrenzeichen der Stadt <strong>Wien</strong> für besondere<br />
Verdienste um die Hotellerie. Ich bin<br />
der erste Jude seit 100 Jahren, der das be -<br />
kommen hat.“ Und auch sonst ist der<br />
Hotelier den großen Zahlen nicht ganz<br />
abgeneigt. „Ich bin jetzt 71 Jahre alt,“<br />
sagte er zufrieden lächelnd. „Bis 100<br />
möchte ich noch arbeiten. Dann raste ich<br />
mich zehn Jahre aus. Mit 111 fange ich<br />
viel leicht wieder an. Aber da hat der Herr -<br />
gott noch ein Wörterl mitzureden.“ •<br />
Passagierrekord am<br />
Ben Gurion-Flughafen<br />
<strong>Die</strong> globale Wirtschaftskrise hat die<br />
Reiselust der israelis offensichtlich<br />
nicht zu beinträchtigen vermocht. So<br />
hat der Ben Gurion-Flughafen nahe<br />
Tel Aviv in der ersten Augustwoche<br />
all seine bisherigen Rekorde gebrochen.<br />
im Vergleich zum Vorjahres mo -<br />
nat konnte er einen Anstieg der Pas -<br />
sa gierzahl von 7.95% verbuchen. Das<br />
Jahr 2008 war das bisherige Rekord -<br />
jahr gewesen.<br />
Der 27. August wird voraussichtlich<br />
der Spitzentag werden. 56.000 Flug -<br />
gäs te und 340 Flugzeuge sollen an<br />
diesem Tag fahrplangemäß abgefertigt<br />
werden.<br />
Seit Beginn dieses Jahres haben be reits<br />
mehr als 5.8 millionen Rei sen de den<br />
größten israelischen Flugha fen passiert.<br />
Yedioth Ahronot<br />
Weniger Anträge auf<br />
Arbeitslosenhilfe<br />
<strong>Die</strong> Zahl der Anträge auf Arbeits lo -<br />
sen hilfe in israel ist rückläufig. Wie<br />
die nationale Versicherungsanstalt<br />
mit teilte, wurden bei ihr in den mo -<br />
naten Juni und Juli je 17.500 neue An -<br />
träge von Erwerbslosen eingereicht;<br />
im mai waren es noch 18.600. <strong>Die</strong>s<br />
bedeutet einen Rückgang von 5%.<br />
Bei Folgeanträgen von Arbeitslosen,<br />
die in den monaten zuvor entlassen<br />
wurden und bereits Unterstützung<br />
er halten, ist im Juli ein Rückgang von<br />
2.2% gegenüber dem Vormonat zu<br />
verzeichnen gewesen<br />
„Der Rückgang in der Zahl der Anträge<br />
von Neuentlassenen entspricht der Mäßi -<br />
gung der Wirtschaftskrise, auf die wirtschaftliche<br />
Indikatoren hinweisen“, meint<br />
die Generaldirektorin der nationalen<br />
Versicherungsanstalt, Esther Domini si -<br />
ni, der zufolge die Entwicklung auch<br />
auf das Abbeben der großen Entlas -<br />
sungs welle hinweist, die im letzten<br />
Quar tal von 2008 begonnen hatte.<br />
Ostjerusalem erhält<br />
Shopping-Mall<br />
<strong>Die</strong> wirtschaftliche Entwicklung des<br />
strukturschwachen Ostjerusalem<br />
schrei tet stetig voran. Unweit des Da -<br />
maskustors wird derzeit ein modernes<br />
Einkaufszentrum gebaut – die<br />
erste Shopping-mall im Ostteil der is -<br />
raelischen Hauptstadt überhaupt.<br />
32 August 2009 - Aw/Elul 5769<br />
©Douglas Guthrie
Das Bauprojekt wird in einem zehnstöckigen<br />
Gebäude in der Salah-A-<br />
Din-Straße realisiert, das seit dem<br />
Sechs-Tage-Krieg vor 42 Jahren leer<br />
steht. in den vergangenen Jahren hat<br />
es u. a. als Unterschlupf für Junkies,<br />
Zu hälter und Obdachlose gedient<br />
und sich den Ruf eines Gesund heitsrisikos<br />
eingehandelt.<br />
Das Gebäude befindet sich im Ei gen -<br />
tum der nusseibehs, einer der ältesten<br />
und privilegiertesten muslimischara<br />
bischen Familien Jerusalems, die<br />
unter anderem dafür bekannt sind,<br />
dass sie die Schlüssel zur Grabeskirche<br />
hüten.<br />
Vor zehn Jahren beschloss Muham mad<br />
Nusseiba mit dem Einverständnis der<br />
Familie, die Anlage in ein Geschäfts -<br />
ge bäude sowie ein Einkaufszentrum<br />
umzubauen. <strong>Die</strong> unteren Stockwerke<br />
sollen die Shoppingmeile beherbergen,<br />
die oberen Büroräume.<br />
Von dem Ergebnis des Bauprojekts er -<br />
wartet man sich in Ostjerusalem eine<br />
Revolution des kommerziellen und<br />
sozialen Lebens. Yedioth Ahronot<br />
Positive Wirtschaftsentwicklung<br />
im Westjordanland<br />
<strong>Die</strong> Wirtschaftslage in den arabischen<br />
Ortschaften im Westjordanland hat<br />
sich als Folge der Entfernung von<br />
Kon trollpunkten durch die israelischen<br />
Behörden in den vergangenen<br />
Wo chen stark verbessert. neue Ge -<br />
schäfte wurden in den großen Städ ten<br />
eröffnet, darunter ein Kino in nablus<br />
und ein neues Einkaufszentrum in Je -<br />
nin (s.S. 28)<br />
<strong>Die</strong> Wiederbelebung des Handels ist<br />
besonders deutlich in nab lus (s.S.26)<br />
spürbar, das während der palästinensischen<br />
Terrorkam pa gne ge gen israel<br />
noch eine Hauptstadt des Terrors<br />
gewesen war.<br />
Am 15. Juli 2009 eröffnete der palästinensische<br />
minis ter präsident Salam<br />
Fayyad das Shop pingfestival von nab -<br />
lus, das einen mo nat lang andauern<br />
soll. Bis zu 100.000 Personen pro Tag<br />
nehmen an dem Fest teil, darunter<br />
auch zahlreiche israelische Araber.<br />
Intelligence and Terrorism Info Center<br />
WIRTSCHAFT • ISRAEL<br />
Studie: Nahost-Konflikt kostete<br />
Wirtschaft seit 1991 über 9 Bio. Euro<br />
Während medien im Zusammen hang<br />
mit Kriegen und Konflikten eher von<br />
Todesopfern und Zerstörung berichten,<br />
hat eine Exper tenkommission in<br />
akribischer Forschungsar beit die so -<br />
genannten Opportunitätskosten der<br />
Konflikte im nahen und mittleren<br />
Os ten ermittelt und ausgewertet.<br />
Demgemäß belaufen sich die entgangenen<br />
Erlöse - die dadurch entstehen,<br />
dass vorhandene möglichkeiten, eben<br />
Opportunitäten, zur nutzung von<br />
Res sourcen nicht wahrgenommen<br />
werden - im nahen Osten seit 1991<br />
auf US$ 12 Billionen (9,24 Billionen<br />
Euro). <strong>Die</strong>s berichtet die Strategic Fo -<br />
resight Group (SFG), ein in indien<br />
beheimateter Think Tank.<br />
Der Bericht beansprucht für sich,<br />
erst mals eine umfassende Bewertung<br />
der Kosten verschiedener Konflikte<br />
im nahen Osten anhand von 97 un -<br />
ter schiedlichen Parametern erstellt zu<br />
haben: von den sozialen, psychologi -<br />
schen und wirtschaftlichen Kosten<br />
bis hin zu den Umweltkosten.<br />
Wenn der Konflikt im nahen Osten<br />
im Jahre 1991 zu Zeiten des Friedens -<br />
prozesses von madrid gelöst worden<br />
wäre, würden fast alle Familien in der<br />
arabischen Welt sowie in israel das<br />
doppelte Pro-Kopf-Einkommen im<br />
Ver gleich zu heute genießen, ist der<br />
Stu die zu entnehmen. So würde bei -<br />
spielsweise das Bruttoinlands pro dukt<br />
(BiP) des irak 30 mal so hoch sein wie<br />
die für 2010 vorhergesagten US$ 59<br />
mrd. Hätte es den Krieg zwischen dem<br />
irak und dem iran (1980-1990) nicht<br />
ge geben, wäre der Wert sogar 50 mal<br />
hö her. Auch die Umwelt kos ten sind<br />
mar kant.<br />
Während des ersten Golfkriegs 1991<br />
wurden 10 mio. Barrel (15.898.400 hl)<br />
Öl ins meer und 45 mio. Barrel in die<br />
Wüste Kuwaits gegossen. in einem<br />
künftigen Krieg entspräche dies laut<br />
SFG der weltweiten Öllieferung eines<br />
halben Tages. Außerdem könnte ein<br />
<strong>Die</strong> JIDF (Jewish In ter -<br />
net Defense-Foce) be -<br />
kämpft nach eigenen<br />
An gaben Anti se mitismus<br />
und Ter ro ris mus<br />
im Inter net. Sie will ein http://www.thejidf.org<br />
künftiger Konflikt im nahen oder<br />
mitt leren Osten mehr Kohlendioxid-<br />
Emissionen verursachen als ein in dus -<br />
trialisiertes Land wie z.B. Groß bri tan -<br />
nien.<br />
Das palästinensische Volk hat laut SFG<br />
seit dem Jahr 2000 über 100 millionen<br />
Arbeitsstunden durch das Warten an<br />
Kontrollpunkten zwischen Ramallah<br />
und Jerusalem verloren. Gegenwärtig<br />
befinden sich über 11.000 Paläs ti nen -<br />
ser in israelischen Gefangenenlagern.<br />
<strong>Die</strong> Arbeitslosigkeit in Gaza hat durch<br />
die Aussetzung von 95 Prozent der<br />
industriellen Tätigkeit über 50 Pro zent<br />
erreicht, und das schon vor dem is -<br />
raelischen Angriff im Dezember 2008.<br />
Auch die humanitären und psychologischen<br />
Kosten israels sind nach den<br />
SFG-Berechnungen beträchtlich: Seit<br />
dem Jahr 2000 fanden über 34.000 Ra -<br />
ke tenangriffe auf das Land statt. in<br />
An griffen auf Cafés, Schulen und<br />
Busse haben im gleichen Zeitraum fast<br />
1.000 israelische Bürger und 123<br />
minderjährige ihr Leben verloren.<br />
Über 90 Prozent der israelis leben laut<br />
Umfragen in Angst. Dem Bericht zu -<br />
folge würde ein umfassendes Frie -<br />
dens abkommen etliche Projekte er -<br />
mög lichen. Dazu zählen Gasverträge,<br />
Eisenbahnlinien und der viel diskutierte<br />
Kanal zwischen dem Roten und<br />
dem Toten meer. Alle Länder in der<br />
Re gion würden außerdem durch ei -<br />
nen Frieden von wirtschaftlichen Vor -<br />
teilen profitieren.<br />
<strong>Die</strong>se betrügen jährlich pro israelischem<br />
Haushalt US$ 4.429, pro ägyptischem<br />
Haushalt US$ 500 und pro<br />
jordanischer Familie US$ 1.250.<br />
Der Bericht der Strategic Foresight<br />
Group beinhaltet keine Lösungen, um<br />
Frieden zu schaffen, sondern be -<br />
schreibt in vier Szenarien die mögli -<br />
chen Folgen verschiedener politischer<br />
Optionen.<br />
www.strategicforesight.com<br />
Netz werk für um Israel<br />
be sorgte Bürger auf der<br />
ganzen Welt sein. Sie<br />
steht für jüdischen<br />
Stolz, jüdisches Wissen<br />
und Ein heit.<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 33
israel steckt in der Krise – doch diesmal<br />
geht es nicht um Terroris mus -<br />
gefahr oder innenpolitik, sondern um<br />
etwas viel Elementareres: Es geht um<br />
israels Wasserversorgung.<br />
Aufgrund ausbleibender Regenfälle,<br />
hoher Temperaturen und immensem<br />
Verbrauch sieht die israelische Regie -<br />
rung sich nun, wie auch schon in den<br />
Jahren zuvor, gezwungen, maßnah -<br />
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
Israels<br />
hausgemachte<br />
Krise<br />
VON EHUD ZION WALDOKS, Jerusalem Post<br />
Übersetzung: Karin Fasching-Kuales<br />
men zu ergreifen, die den Wasser ver -<br />
brauch minimieren sollen. Denn das<br />
Problem wiegt schwer – diesmal<br />
sogar noch schwerer als in der Ver -<br />
gan genheit.<br />
Vor allem bei der Bewässerung von<br />
Grün flächen und Gärten sowie im Ver -<br />
brauch der Privathaushalte gibt es<br />
Ein schnitte. mit möglichst sparsamem<br />
Verhalten sollen 10 bis 15% Wasser<br />
eingespart und das Absinken des Pe -<br />
gels im See Genezareth unter die<br />
„schwarze Linie“ verhindert werden.<br />
Sinkt der Wasserstand von israels<br />
wichtigstem Trinkwasserreservoir bis<br />
zur „schwarzen Linie” auf der Höhe<br />
von -214,4 metern, werden die Zu -<br />
flüsse zur Wasserleitung unterbrochen.<br />
Das Ökosystem würde bei diesem Pe -<br />
gel einen irreparablen Schaden durch<br />
Verschmutzung, giftige Algen und<br />
hohen Salzgehalt erleiden.<br />
Doch wie konnte es überhaupt so<br />
weit kommen? Eine Untersuchungs -<br />
kom mission der Regierung – bestehend<br />
aus dem pensionierten Richter<br />
und Vorsitzenden Dan Bein und den<br />
Pro fessoren Yoram Avnimelech und<br />
Yoav Kislev - sollte dieser Frage auf<br />
den Grund gehen. Verantwortliche wie<br />
Experten wurden befragt und dazu<br />
veranlasst, vor ihrer Aussage einschlägige<br />
schriftliche Berichte zu verfassen<br />
(einsehbar auf der Website der<br />
Kommission unter www.court.gov.il/<br />
mayim). <strong>Die</strong> Ergebnisse sind äußerst<br />
Besorgnis erregend, zählt Wasser doch<br />
zu den wichtigsten Ressourcen des<br />
jüdischen Staates.<br />
Ein Experte nach dem anderen klagte<br />
die Regierung der misswirtschaft in<br />
beinahe jedem Aspekt des Wasser ma -<br />
na gements an.<br />
Wenn das Problem nicht so schwerwiegend<br />
wäre, könnte man es ja fast<br />
als lachhaft bezeichnen: israel genießt<br />
in aller Welt einen hervorragenden Ruf,<br />
was die Entwicklung von Technolo gi -<br />
en des Wassermanagements, der Was -<br />
ser konservierung, zur effizienten Be -<br />
wässerung etc. betrifft, doch die Staats -<br />
regierung hat es stets verabsäumt, die<br />
maximierung eben jener grundlegenden<br />
Ressource, die Jahr für Jahr weniger<br />
wird, zu gewährleisten.<br />
Tatsächlich, auch wenn wir anderen<br />
Staaten in vielen Dingen technisch um<br />
Lichtjahre voraus sind was Abwas -<br />
serrecycling und Entsalzungsanlagen<br />
betrifft, sind sich die Experten einig,<br />
dass das nunmehrige Problem abgewendet<br />
werden hätte können, wenn<br />
die Politik rechtzeitig ihre Arbeit ge -<br />
tan hätte.<br />
Wären, wie ursprünglich geplant, be -<br />
reits 1999 genügend Abwasserauf be -<br />
rei tungsanlagen und 2001 Entsal zungs -<br />
anlagen errichtet worden, hätten wir<br />
heute bei weitem ausreichend Wasser<br />
34 August 2009 - Aw/Elul 5769
zur Verfügung, um die anhaltende<br />
Trockenheit zu überstehen. 16 Jahre<br />
an verminderten und fünf Jahre an<br />
stark verminderten Regenfällen ma -<br />
chen diese Versäumnisse nun allzu<br />
deutlich. israels Wasserkapazität ist<br />
an ihrem Limit angekommen.<br />
Bereits 2002 kam die magen-Kom -<br />
mis sion zu folgendem Schluss: „...seit<br />
mehr als 30 Jahren befindet sich der israelische<br />
Wassersektor in einer tiefen und<br />
anhaltenden Krise, die kürzlich einen kritischen<br />
Punkt erreicht hat. <strong>Die</strong> Krise<br />
manifestierte sich im Raubbau an den<br />
Wasserressourcen, der ein wachsendes<br />
De fizit von etwa zwei Mrd. Kubikmetern<br />
in den staatlichen Wasservorräten verursachte.“<br />
„<strong>Die</strong>ses traurige und erstaunliche Ergeb -<br />
nis ist die bittere Frucht der anhaltenden<br />
Fehlleistung der israelischen Regierun gen.<br />
(...) <strong>Die</strong> Krise resultiert nicht nur aus klimatischen<br />
Veränderungen, die verminderte<br />
Regenfälle verursachten, auch nicht aus<br />
dem steilen Anstieg der Bevö lke rungs zah -<br />
len und ihrem Lebensstandard in den letzten<br />
50 Jahren. <strong>Die</strong> verheerenden Fehler<br />
sind hauptsächlich selbst gemacht!“<br />
nach Schätzungen der zuständigen,<br />
neu errichteten, Wasserbehörde wird<br />
das Ungleichgewicht zwischen vorhandenem<br />
und benötigtem Wasser in<br />
diesem Jahr sogar bei 344 mio. Ku bik -<br />
metern liegen, sollte es weiterhin so<br />
wenig regnen. Lediglich durch drastische<br />
Einsparungsmaßnahmen könne<br />
dies verhindert werden – wenn überhaupt.<br />
Tatsache ist, dass israels drei Haupt -<br />
was serspeicher – der See Genezareth,<br />
das Gebirgswasser sowie das Grund -<br />
was ser an der Küste – so stark unter<br />
die „rote Linie“ gesunken sind, dass<br />
im vergangenen Jahr neue „schwarze<br />
Linien“ gezogen werden mussten.<br />
Der Wasserverbrauch teilt sich auf in<br />
jenen der Haushalte (inklusive Gar ten -<br />
anlagen), der industrie und der Land -<br />
wirtschaft, wobei auf die Privaten der<br />
größte Teil entfällt. Zurzeit liegt hier<br />
der Verbrauch bei 700 mio. Kubik me -<br />
tern pro Jahr. Zum Vergleich: Für die<br />
Landwirtschaft wurden 2008 etwa<br />
500 mio. und für die industrie 150<br />
mio. Kubikmeter aufgewendet. Das<br />
macht insgesamt 1,4 mrd. Kubik meter<br />
Wasser pro Jahr. Durch Regenfälle<br />
werden heute aber lediglich etwa 1,2<br />
mrd. Kubikmeter gesammelt.<br />
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
<strong>Die</strong> durch die Wasserbehörde veranschlagten<br />
maßnahmen müssen also<br />
mög lichst bald greifen, sonst könnte<br />
das israelische Ökosystem nachhaltig<br />
geschädigt werden.<br />
Der Plan sieht in erster Linie vor, den<br />
Wasserverbrauch der Landwirtschaft<br />
einzuschränken, das Quellwasser für<br />
den See Genezareth zu verwenden,<br />
das Gießen von Privatgärten völlig<br />
ein zustellen und öffentliche Garten an -<br />
lagen nur noch bedingt zu bewässern.<br />
Wer Wasser verschwendet, muss mit<br />
hohen Strafen rechnen. Dafür soll ein<br />
wesentlich größeres Augenmerk als<br />
bisher auf die Entsalzung des meer -<br />
was sers gelegt und Anlagen gebaut<br />
werden, die es erlauben, landwirtschaftliche<br />
Flächen mit aufbereitetem<br />
Wasser zu versorgen anstatt mit Trink -<br />
wasser. Außerdem gibt es eine breit<br />
angelegte PR-Kampagne, die die is -<br />
raelis dazu aufruft, so viel Wasser wie<br />
möglich zu sparen.<br />
Ob all diese maßnahmen letztendlich<br />
greifen und auch tatsächlich ausreichen<br />
ist eine Frage, die nur die Zeit<br />
beantworten wird können.<br />
Eine Frage der Wasserqualität<br />
Laut Prof. Alon Tal von der Ben-Gu -<br />
rion Universität, der ebenfalls einen<br />
Bericht für das Untersuchungs ko mi -<br />
tee der israelischen Regierung zur<br />
Wassersituation verfasste, muss ten<br />
seit 1980 in israel 286 Wasserquellen<br />
versiegelt werden, da sie gesundheitsgefährdende<br />
Verschmutzungen aufwiesen.<br />
Tatsächlich habe sich die Art<br />
der Verschmutzung in den letzten Jah -<br />
ren geändert, so Tal. Ging es früher<br />
hauptsächlich um Einzelfälle durch<br />
die illegale Entsorgung von Abwäs sern<br />
oder Abfällen, findet die Verunreini -<br />
gung der Gewässer heute langsam<br />
und stetig und quasi von selbst statt.<br />
Das übermäßige Abpumpen aus dem<br />
See Genezareth und des Grund was -<br />
sers haben beides bereits gefährlich<br />
na he an den Punkt gebracht, wo eine<br />
nachhaltige Schädigung der Wasser -<br />
qua lität durch Salzwasser und Ver -<br />
schmutzungen nur noch eine Frage der<br />
Zeit ist. Das Grundwasser an der Küs -<br />
te könnte so als Trinkwasser res sour ce<br />
bald völlig verloren gehen, wenn<br />
nicht so rasch als möglich drastische<br />
Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.<br />
Auch Entsalzungsanlagen stellen eine<br />
Alternative dar – doch deren Betrieb<br />
kostet immer noch mehr, als die Rei -<br />
nigung verschmutzten Wassers, was<br />
ihre Errichtung für den Staat noch<br />
immer unattraktiv macht.<br />
Überhaupt weist das Trinkwasser des<br />
Landes aufgrund der Umwelt ver -<br />
schmu tzung und der unzureichenden<br />
Aufbereitung des Abwassers ei nen<br />
viel zu hohen Salzgehalt auf. Eine<br />
Lösung dafür ist nicht in Sicht, gerade<br />
auch weil die Bevölkerung, anstatt<br />
massiven Druck auf die Regierung<br />
auszuüben, lieber mineralwasser in<br />
Flaschen kauft.<br />
Ein weiteres Problem bei der Lösung<br />
des israelischen Wasserproblems sind<br />
die zwischen den ministerien unklar<br />
aufgeteilten Kompetenzen. Sowohl<br />
Ge sundheitsministerium, nationales<br />
infrastrukturministerium und Um -<br />
welt schutzministerium als auch die<br />
Wasserbehörde sind an der Angele gen -<br />
heit beteiligt. Durch diese Un struk -<br />
turiertheit blieben bereits viele Fälle<br />
von schweren Wasserverschmut zun -<br />
gen unbestraft.<br />
noch dazu erachten Tal und die isra -<br />
e lische Union für Umweltverteidi gung<br />
das Strafmaß für Umweltver schmut -<br />
zung als viel zu gering. Wenn das Re -<br />
cycling des Abwassers den Firmen<br />
teurer kommt, als die Strafen für dessen<br />
Einleitung in öffentliche Gewäs ser,<br />
wird sich wohl kaum jemand um<br />
Umweltschutzinteressen kümmern.<br />
Werden Verschmutzungen angezeigt<br />
dauert der Gerichtsweg Jahre – um<br />
dann letztendlich oftmals doch ergebnislos<br />
zu bleiben.<br />
Privatinitiative sammelt Regenwasser<br />
Wie Hydrologen aufzeigen, hat sich<br />
das Gesicht der Regenfälle in israel<br />
mit den Jahren deutlich verändert.<br />
<strong>Die</strong> Stürme sind nun stärker, bringen<br />
wesentlich mehr Regen in kürzerer<br />
Zeit – und hören dann einfach auf.<br />
Auf diese Art wird mehr Wasser ins<br />
meer gespült, als über den Boden ins<br />
Grundwasser oder den See Geneza -<br />
reth aufgenommen.<br />
Eine bisher durch die Regierung völlig<br />
unbeachtet gebliebene Option, um dem<br />
Herr zu werden, ist das Sam meln des<br />
Regens mittels geeigneter Be hält nis se.<br />
Der Pädagoge Amir Yechieli brachte die<br />
letzten acht Jahre damit zu, in 25 isra -<br />
e lischen Schulen unentgeltlich Regen -<br />
wassersammelcontainer aufzustellen,<br />
in die das Wasser über die Regenrin -<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 35<br />
WISSENSCHAFT
© Denise Feiger<br />
Plastikflaschen-Container in Israels Straßen<br />
nen der Gebäude geleitet wird. Das so<br />
gesammelte nass soll hauptsächlich<br />
für die Toiletten und Waschräume<br />
verwendet werden.<br />
Laut Yechieli nutzt der Staat lediglich<br />
ein Fünftel des vorhandenen Regen -<br />
was sers. Er ist überzeugt davon, dass<br />
seine initiative an Schulen und in Pri -<br />
vathaushalten millionen Kubikmeter<br />
Trinkwasser und eine menge Geld<br />
einsparen könnte. Außerdem verstärke<br />
sein Projekt bei Eltern und Schülern<br />
das Bewusstsein für Umweltpro ble me,<br />
da diese aktiv an installation und<br />
Hand ling beteiligt werden.<br />
natürlich ergeben sich daraus auch<br />
Probleme wie die Frage, wie das Re -<br />
gen wasser behandelt werden muss,<br />
um es für den menschlichen Ge brauch<br />
unbedenklich zu machen.<br />
Doch vor allem zeigt Amir Yechielis<br />
Projekt das Potenzial, das private<br />
initiativen haben können.<br />
Entsalzung – Des Rätsels Lösung?<br />
<strong>Die</strong> idee, dem meerwasser das Salz<br />
zu entziehen und daraus Trinkwasser<br />
zu machen, entsprang einer einfachen<br />
Kalkulation – an irgendeinem Punkt<br />
in der nahen Zukunft würde die nach -<br />
frage nach Trinkwasser das Angebot<br />
zu übersteigen beginnen. Dafür muss -<br />
te eine machbare Lösung gefunden<br />
werden.<br />
Entsalzungsanlagen haben zwei<br />
grund legende Vorteile: Das notwendige<br />
Rohmaterial ist in unbegrenzten<br />
mengen vorhanden und die Ergeb nis -<br />
se können bis zum letzten Tropfen<br />
genau kalkuliert werden.<br />
<strong>Die</strong> idee des Entsalzens ist auch nicht<br />
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
neu. Schon David Ben-Gurion träumte<br />
davon, die Wüste negev zu besiedeln<br />
und das meerwasser zu entsalzen.<br />
1966 wurde der Gedanke aufgrund<br />
einer anhaltenden Trockenperiode<br />
besonders aktuell.<br />
Dennoch dauerte bis zum Jahr 2000,<br />
bis die israelische Regierung dem Bau<br />
umfassender Entsalzungsanlagen zu -<br />
stimmte, denn billig ist das Ganze<br />
nicht.<br />
<strong>Die</strong> Errichtung einer 100 mio. Kubik -<br />
me ter Wasser pro Jahr umfassenden<br />
Anlage kostet 1,5 mrd niS (etwa 270<br />
mio. Euro), während Regen gratis<br />
vom Himmel fällt – wenn er vom Him -<br />
mel fällt. Außerdem muss der Staat<br />
das entsalzte Wasser kaufen, während<br />
das Regenwasser einfach gesammelt<br />
Entsalzungsanlage in Hadera<br />
und dann in die staatlichen Wasser -<br />
roh re gepumpt werden kann.<br />
Je nach Wetter und Regenstatus wurden<br />
die Entsalzungspläne aus den<br />
Schubladen hervorgeholt und wieder<br />
fallen gelassen. Gab es ein regenreiches<br />
Jahr hieß es im Finanzministerium<br />
gleich „Viel zu teuer!“. Doch kam die<br />
nächste Trockenheit, wurde auch die<br />
notwendigkeit eines raschen Entsal -<br />
zungs anlagenbaus wieder aktuell.<br />
So geschehen im Jahr 2000: Damals war<br />
das Ziel, 400 mio. Kubikmeter Wasser<br />
jährlich zu entsalzen. nach den enormen<br />
Regenfällen der Jahre 2003 und<br />
2004 wurde die menge allerdings<br />
rasch auf 315 mio. reduziert.<br />
Doch nachdem einige Unternehmen,<br />
die Aufträge zum Bau großer Entsal -<br />
zungsanlagen erhalten hatten, dies<br />
nicht bewerkstelligen konnten, musste<br />
auch das reduzierte Produktionsziel<br />
fallengelassen werden.<br />
<strong>Die</strong> Errichtung der Anlagen ist eine<br />
schwierige Angelegenheit. Vom Be -<br />
ginn der Planungsphase bis zur endgültigen<br />
Ausschreibung muss man<br />
fünf bis sieben Jahre einrechnen, da es<br />
eine Vielfalt an Schwierigkeiten zu<br />
überwinden und interessen zu be rück -<br />
sichtigen gilt. Zuallererst braucht<br />
man eine große Landfläche am meer,<br />
was sich bei einem Land mit begrenzter<br />
Küstenfläche nicht allzu einfach<br />
gestaltet. <strong>Die</strong> Landverwaltung gab<br />
sich bisher auch eher zögerlich bei der<br />
Bewilligung entsprechender Flächen.<br />
Hinzu kommt der hohe Energiever -<br />
brauch, den die Anlagen aufweisen.<br />
36 August 2009 - Aw/Elul 5769<br />
©Moshe Shai
Für jene in Ashkelon wird zum Bei -<br />
spiel ein eigenes mini-Kraftwerk be -<br />
trieben und produziert entsprechend<br />
hohe Abgaswerte. <strong>Die</strong> ökologische<br />
Un bedenklichkeit solcher Anlagen<br />
bleibt also fraglich, so lange benötigte<br />
Energie nicht aus erneuerbaren Res -<br />
sourcen wie Sonnen- oder Windener -<br />
gie gewonnen wird.<br />
Schließlich müssen die Entsalzungs an -<br />
lagen noch an das System der nationalen<br />
Wasserwerke angeschlossen werden,<br />
das in den 1960ern fertig gestellt<br />
wurde und das ganze Land auf einer<br />
nord-Süd-Achse versorgt. <strong>Die</strong> an der<br />
Küste gelegenen Anlagen müssten<br />
also durch eine völlig neue infra struk -<br />
tur mit dem System verlinkt werden.<br />
Um Rohre zu verlegen und zu betreiben<br />
brauchen die Wasserwerke die<br />
Einwilligung jedes Grundstück besit -<br />
zers, dessen Land durch die neuen<br />
Rohrleitungen betroffen ist – ein langwieriger,<br />
mühsamer Verhandlungs -<br />
pro zess, so Prof. Uri Shani, der Direk -<br />
tor der staatlichen Wasserverwal tung.<br />
nach seiner Einschätzung würde das<br />
gesamte Entsalzungs- und Abwas ser -<br />
auf bereitungs-Vorhaben insgesamt 17<br />
mrd. niS (3 mrd. Euro) verschlingen.<br />
Um diese Kosten zu verteilen, will die<br />
israelische Regierung das System des<br />
BOO (build-operate-own) oder BOT<br />
(build-operate-transfer) anwenden.<br />
im Klartext: Ein oder mehrere private<br />
Un ternehmen konstruieren und be trei -<br />
ben die Anlagen und im Gegen zug da -<br />
zu gibt es eine Regierungs-Garantie,<br />
das daraus erhaltene Wasser mindestens<br />
25 Jahre lang nutzen zu können<br />
(BOO). nach Ablauf dieses Zeitraums<br />
wird die Anlage wieder der Regie -<br />
rung unterstellt (BOT).<br />
Sollte israel tatsächlich sein Ziel erreichen<br />
und bis 2020 750 mio. Kubikme -<br />
ter pro Jahr entsalzen können, würde<br />
zu diesem Zeitpunkt mehr Wasser aus<br />
Entsalzungsanlagen genutzt als aus<br />
dem See Genezareth.<br />
Bei all den positiven Effekten, die das<br />
Entsalzen des meerwassers auf den<br />
Staat israel haben wird, darf man al -<br />
lerdings die Auswirkungen auf die<br />
Umwelt nicht vergessen. Umwelt -<br />
schutz organisationen beklagen, dass<br />
es keine Forschungsergebnisse gibt,<br />
die sich mit den langfristigen Belas -<br />
tun gen befassen, welche die Entsal -<br />
zungs anlagen auf das sie umgebende<br />
Land und Wasser ausüben. Weshalb<br />
die Regierung keine diesbezüglichen<br />
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
Studien in Auftrag gegeben hat ist un -<br />
klar. Vor allem die Rückleitung des<br />
hochgradig salzhaltigen Wassers ins<br />
meer könnte hier zum Problem werden,<br />
aber auch die verwendeten Che -<br />
mikalien und der hohe Eisengehalt.<br />
Doch Prof. Yuval Cohen, der Um welt -<br />
beauftragte der Entsalzungsanlage<br />
von Ashkelon, gibt hier Entwarnung.<br />
All seine Studien hätten lediglich<br />
einen minimalen Einfluss auf das<br />
Gleichgewicht des meerwassers bis zu<br />
einem Abstand von 100 metern zur<br />
Küste gezeigt. Danach seien die Ef -<br />
fek te kaum noch wahrnehmbar.<br />
Cohen ist dazu verpflichtet, dem<br />
Umweltschutzministerium alljährlich<br />
umfangreiche Berichte über das bei<br />
der Anlage installierte Ozean-Überwachungssystem<br />
vorzulegen. Er war<br />
am nationalen Umweltüberwa chungs -<br />
programm der marine beteiligt und<br />
fungierte als Generaldirektor des is -<br />
ra elischen Ozeanographischen und<br />
Limnologischen Forschungsinstituts<br />
in Haifa.<br />
Bei all den Steinen, die sich bei der<br />
Planung und Verwirklichung einer<br />
Entsalzungsanlage in den Weg legen,<br />
braucht es schon einen starken Rück -<br />
halt durch die Regierung, um so ein<br />
Projekt letztendlich erfolgreich ab -<br />
schließen zu können.<br />
Dem ehemaligen Wasserkommissar<br />
Shimon Tal zufolge mussten in den<br />
letzten Jahren mindestens zwei Un -<br />
ternehmen ihre Pläne zu Grabe tragen,<br />
eine in Haifa und eine in Galiläa.<br />
Einerseits hatte sich das Projekt als we -<br />
sentlich teurer, als ursprünglich kal ku -<br />
liert herausgestellt, andererseits er hielt<br />
das nationale Wasserunter neh men<br />
Me korot keine Regierungs ga ran tie,<br />
dass sie das Wasser, das in Ashdod produziert<br />
würde, auch tatsächlich kau fen<br />
würde. Ohne diese Garantie konnte<br />
nicht genug Geld aufgestellt werden,<br />
um das Projekt fertig zu stellen.<br />
Also wurden Anfang dieses Jahres<br />
statt der möglichen 400 oder 300 mio.<br />
jährlichen Kubikmeter nur 135 mio.<br />
Kubikmeter produziert.<br />
Der weitere Plan der Wasserbehörde<br />
sieht nun allerdings vor, bis 2013 auf<br />
592 mio. und in weiterer Konsequenz<br />
bis 2020 auf 750 mio. Kubikmeter pro<br />
Jahr zu kommen. <strong>Die</strong>s soll mittels der<br />
bereits existierenden Entsalzungsan -<br />
la gen in Ashkelon (105 mio. m3 /Jahr<br />
seit 2005) und Palmahim (30 mio. m3 /<br />
Programm zur Rettung des<br />
Grundwassers in der Küstenregion<br />
Aus Sorge, dass eines der wichtigsten<br />
Grund wasservorkommen des Landes durch<br />
Salzwasser nachhaltig geschädigt werden<br />
könnte, startet Israel ein groß an ge legtes<br />
Projekt zur Rettung des Trink was sers.<br />
<strong>Die</strong> Nationale Wasserbehörde hat der is ra -<br />
elischen Firma Mekorot die Erlaubnis er teilt,<br />
mit dem 500-Millionen-Schekel-Pro jekt<br />
zum Aufhalten der Versalzung des Grund -<br />
wassers in der Küstenregion zu beginnen.<br />
Als Teil des Plans werden zwischen Ash -<br />
dot im Norden und Sderot im Süden 35<br />
Bohrungen durchgeführt. <strong>Die</strong>se Bohrun -<br />
gen werden es Mekorot ermöglichen, bis<br />
zu 40 Millionen Kubikmeter Wasser ab zu -<br />
pumpen, das Salze und andere Mine ra lien<br />
enthält. Das Wasser wird dann in Spe zial -<br />
an lagen entsalzt und als Trink wasser ge -<br />
nutzt. <strong>Die</strong> Salzrückstände werden ins<br />
Meer abgeleitet.<br />
<strong>Die</strong> Grundwasserschicht an der Küste, die<br />
sich von Caesarea bis zum Gazastrei fen er -<br />
streckt, ist eine von Israels wichtigsten<br />
Grundwasserquellen. Sie wird jedoch durch<br />
chemische und mikrobische Verschmut -<br />
zung, Versalzung, Nitrate, Schwermetalle<br />
und weitere Schadstoffe gefährdet.<br />
<strong>Die</strong> übermäßige Abpumpung von Wasser<br />
hat den Wasserstand in den vergangenen<br />
Jahren um sechs bis zehn Meter abgesenkt<br />
und die Flussrichtung des Wassers<br />
geändert. Dadurch wurde die empfindliche<br />
Balance zwischen dem Ein- und Ab fluss<br />
von Salzen und Schadstoffen gestört.<br />
Neben der Entsalzung des Wassers sind<br />
daher auch die Stabilisierung des Wasser -<br />
stan des und die Verhinderung von Ver -<br />
schmutzung Ziele des Projektes. Haaretz<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 37<br />
©Moshe Shai
Jahr seit 2007), die beide zugestimmt<br />
haben, das Jahresergebnis um jeweils<br />
15 mio. m3 zu erhöhen, und weiterer<br />
Anlagen funktionieren, die sich zur<br />
Zeit in verschiedenen Stadien von Pla -<br />
nung, Bau und inbetriebnahme befinden:<br />
Hadera: 100 mio. m3 /Jahr sollen bis<br />
Ende dieses Jahres produziert und da -<br />
nach auf 127 mio. m3 erhöht werden.<br />
Ashdod: bis 2001 soll die von mekorot<br />
gebaute Anlage ihr Ziel von 100 mio.<br />
m3 /Jahr erreichen.<br />
Sorek: <strong>Die</strong> auf 150 mio. m3 /Jahr ausgelegte<br />
Anlage befindet sich in der<br />
Planungsphase und soll bis 2012 verwirklicht<br />
werden. Sie wird die größte<br />
Reversosmose-Entsalzungsanlage der<br />
Welt darstellen.<br />
Shomrat: <strong>Die</strong> 50 mio. m3 /Jahr umfassende<br />
Anlage in Galiläa wurde wieder<br />
aus der Versenkung geholt und befindet<br />
sich ebenfalls noch in der Pla nungs -<br />
phase. Sie soll bis 2013 fertig gestellt<br />
sein.<br />
Außerdem stimmte der nationale<br />
Pla nungs- und Errichtungsrat einer<br />
Um widmung von Land im neuen in -<br />
dustriegebiet von Hadera für den Bau<br />
einer Entsalzungsanlage für die Pa läs -<br />
tinenser zu.<br />
Woher die restlichen benötigten 150<br />
mio. Kubikmeter im Jahr kommen<br />
sollen ist noch offen, doch wenn der<br />
Plan gelingt, wird israel nicht nur län -<br />
gere Trockenphasen gut überstehen<br />
kön nen, sondern auch den Spiegel des<br />
See Genezareth und des Grund was sers<br />
bis 2018 wieder ausgleichen können.<br />
Wertvolles Abwasser<br />
Ein entscheidender Teil zur Lösung<br />
von israels Wasserproblem hängt mit<br />
einer eher unangenehmen, aber dafür<br />
umso nützlicheren Ressource zusammen<br />
– dem Abwasser. So wurden be -<br />
reits in den letzten Jahren wichtige<br />
Schritte weg von der landwirtschaftlichen<br />
nutzung von Trinkwasser und<br />
hin zur Bewässerung mit gereinigtem<br />
Abwasser gesetzt. Auch öffentliche<br />
Parks und Gärten sollen bald nicht<br />
mehr mit Trinkwasser gepflegt werden.<br />
Zur Zeit werden 75 % der israelischen<br />
Abwässer wieder aufbereitet, bis 2020<br />
sollen es 90 % sein. Dabei ist israel bei<br />
weitem global führend. Auf Platz 2<br />
liegt hier erst Spanien mit einer Auf -<br />
bereitungsquote von lediglich 12 %.<br />
WISSENSCHAFT • ISRAEL<br />
Der Vorteil der Abwasserauf berei tung<br />
liegt allerdings nicht nur darin, dass so<br />
mehr Trinkwasser für die Haushalte<br />
zur Verfügung gestellt werden kann.<br />
Gleichzeitig wird auch die Konta mi -<br />
na tion von Flüssen, Seen und meeren<br />
durch abgeleitetes industrie-Schmutz -<br />
wasser verhindert. So ist zum Bei spiel<br />
jeder größere Fluss im Westjordan -<br />
land hochgradig verschmutzt, weil in<br />
den dort befindlichen palästinensischen<br />
Dörfern und israelischen Sied -<br />
lungen die nötigen Technologien zur<br />
Reinigung des Abwassers fehlen.<br />
Meir Ben-Meir, der von den späten<br />
1970ern bis Ende der 1990er Wasser -<br />
kommissar war, vertritt sogar die ra -<br />
di kale meinung, das aufbereitete Was -<br />
ser als Trinkwasser zu verwenden.<br />
<strong>Die</strong> ser Vorschlag wird allerdings bis<br />
dato noch abgelehnt. nur die landwirtschaftliche<br />
nutzung soll forciert<br />
werden. Das infrastrukturministe ri um<br />
arbeitete Pläne zur Unterstützung der<br />
für das Abwasser zuständigen lokalen<br />
Behörden aus, um die Abwasser -<br />
auf bereitungsanlagen innerhalb der<br />
nächsten vier Jahre auszubauen. Das<br />
Projekt würde etwa 180 mio. Euro ver -<br />
schlingen und die Finanzierung ge -<br />
stal tet sich schwierig – wie auch schon<br />
in den vergangenen Jahren.<br />
in ganz israel gibt es 135 Ab was ser auf -<br />
bereitungsanlagen, durch die insge-<br />
samt 355 mio. m3 (also 75%) Ab was ser<br />
jährlich fließen. Allein die Anlage in<br />
Shafdan, die für die weitere Umge -<br />
bung von Tel Aviv und Dan zuständig<br />
ist, reinigt 150 mio. m3 . Allerdings be -<br />
steht immer noch ein Pro blem darin,<br />
für das in den Klär anlagen gereinigte<br />
Wasser Abnehmer zu finden und es<br />
dann zu diesen zu transportieren.<br />
Speicheranlagen werden benötigt,<br />
um das gereinigte Wasser in den Pha -<br />
sen, in denen die Landwirtschaft es<br />
nicht benötigt, aufbewahren zu können,<br />
anstatt es, wie jetzt, einfach ins<br />
meer abzuleiten.<br />
Der Jüdisches nationalfonds ist deshalb<br />
in der Vergangenheit immer wieder<br />
eingesprungen und hat mehr als<br />
200 Reservoirs bauen und Rohrsyste -<br />
me zum Wassertransport in Kibbu zim<br />
und moshavim errichten lassen. Bis<br />
2020 wird sich, Schätzungen der Was -<br />
ser behörde zufolge, die Abwas ser -<br />
produktion israels von heute 475 mio.<br />
m3 /Jahr auf 600 mio. erhöhen.<br />
in den vergangenen zehn Jahren ge -<br />
lang es den israelischen Behörden, den<br />
Trinkwasserverbrauch der Landwirt -<br />
schaft auf weniger als die Hälfte zu<br />
reduzieren und teilweise mit aufbereitetem<br />
Abwasser zu ersetzen. <strong>Die</strong> von<br />
den Bauern eingesetzten Bewäs se -<br />
rungstechnologien sind heute we sent -<br />
lich effizienter geworden.<br />
Wenn es dann regnet ...<br />
38 August 2009 - Aw/Elul 5769
Heute gibt es in Österreich bereits ei ne<br />
Vielzahl an Ausbildungsinstitu tionen,<br />
in denen man in das Judentum hineinschnuppern<br />
oder sich intensiv damit<br />
bes chäftigen kann. <strong>Die</strong> Band brei te<br />
reicht vom Hebräisch-Sprach kurs am<br />
Jüdi schen Institut für Erwachse nen bil -<br />
dung bis zum Doktorat in Judaistik. In<br />
dieser Studienrichtung der Uni <strong>Wien</strong><br />
sind übrigens Nichtjuden genauso will -<br />
kommen wie Juden. Nur an jüdische Ju -<br />
gendliche und Erwachsene wen det sich<br />
dagegen das Jüdische Berufli che Bil -<br />
dungs zen trum (JBBZ). Hier kann man<br />
einen Schulab schluss nachholen oder<br />
einen Lehrab schluss erwerben. Hier,<br />
rechtzeitig vor dem Start ins Schul- und<br />
Studienjahr 2009/10, eine Übersicht.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
Am Jüdischen institut für er wachse -<br />
nen bildung, beheimatet am Prater -<br />
stern in <strong>Wien</strong>, wird diesen Herbst<br />
gefeiert: 20 Jahre ist es her, als man<br />
mit den ersten Kursen der steten<br />
nach fra ge vor allem von nichtjüdischen<br />
Wie nern nach Veranstaltun -<br />
gen zu jüdischer Kul tur, Geschichte<br />
und Re li gion begegnete. Das Ziel<br />
des im Sep tem ber 1989 auf initia tive<br />
des Holo caust-Über le benden Kurt<br />
Rosen kranz eröffneten in sti tuts war<br />
es, ein offener Ort der Be gegnung<br />
zwischen men schen und Religionen<br />
zu sein, dem Abbau von Vorurteilen<br />
zu dienen und die Verständigung<br />
zwischen Juden und nichtjuden zu<br />
fördern.<br />
Entstanden ist schließlich ein Bil -<br />
dungs haus, das vor allem nichtju -<br />
den mit der jüdischen Kultur, der<br />
Religion vertraut macht, ein Ort, an<br />
dem über die Shoa und Antisemitis -<br />
mus gesprochen, aber auch ein in -<br />
sti tut, an dem Hebräisch und Jid -<br />
disch gelernt werden kann. Brigitte<br />
Ungar-Klein, sie ist die Leiterin des<br />
instituts, unterstreicht aber auch ein<br />
Angebot des instituts, das sich vorrangig<br />
an jüdische Teil nehmer richtet:<br />
ein Lese-Lern-Kurs, der jenen<br />
das hebräische Alphabet vermittelt,<br />
die ivrit zwar sprechen, aber nicht<br />
lesen können.<br />
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
Lernen über das Judentum<br />
Anknüpfungspunkt ist das institut<br />
aber auch für jene, die ein „back to<br />
the roots“-Bedürfnis verspüren.<br />
men schen mit jüdischen Wurzeln, in<br />
deren Elternhaus das Judentum<br />
nicht gelebt wurde, können hier<br />
über Vor trags rei hen, aber auch eine<br />
Synagogen füh rung, einen Schab bat -<br />
abend, einen gemeinsamen Seder<br />
dem Judentum wieder näherkommen.<br />
All diese An ge bote werden na -<br />
türlich auch von nicht juden intensiv<br />
genutzt. Und schließlich hat sich das<br />
institut dem christlich-jü dischen<br />
Dia log verschrieben. inte res sierte<br />
sei en immer herzlich willkommen,<br />
betont Ungar-Klein, und zwar nicht<br />
nur bei den Semesterkursen und<br />
Veranstaltungsreihen des instituts,<br />
das als „spezialisierte Einrichtung“<br />
in die <strong>Wien</strong>er Volkshochschulen<br />
GmbH eingegliedert ist, sondern<br />
auch bei den jährlich abgehaltenen<br />
„Jid dis chen Kul turtagen“. <strong>Die</strong>se finden<br />
heuer von 12. bis 17. Oktober<br />
statt und versprechen amüsante<br />
Abende mit Program men wie „Zi<br />
singen un zi lachen“ oder „100 Jahre<br />
Jiddisch in Tel Aviv“.<br />
Akademischer gestaltet sich naturgemäß<br />
das Studienangebot am in -<br />
stitut für Judaistik an der Univer si -<br />
tät <strong>Wien</strong>. Hier kann man sowohl ein<br />
Bachelor-, als auch ein master- und<br />
ein Dokto rats studium Judaistik ab -<br />
solvieren. Klaus Davidowicz, Professor<br />
für Jüdi sche Philosophie- und<br />
Geistes ge schichte der neuzeit sowie<br />
Kabbala-Experte an der Uni <strong>Wien</strong>,<br />
be tont die Breite dieses Studiums.<br />
„Von der Anti ke bis zur unmittelbaren<br />
Gegenwart, Ge schichte, Religion, Lite ra -<br />
tur“ – alles wer de abgedeckt. Dazu<br />
komme die Vermittlung des He brä -<br />
ischen, das die Absolventen sowohl<br />
zum Verstehen des Tanachs und der<br />
mischna, als auch zum Lesen von<br />
Haaretz befähigen soll.<br />
Wer, etwa als Absolvent der Zwi Pe -<br />
rez Chajes-Schule, bereits ivrit be -<br />
herrscht, kann sich sowohl den<br />
Sprachblock als auch beispielsweise<br />
die Einführungs vor lesung ersparen,<br />
indem er oder sie in einer Prüfung<br />
die Kenntnisse dieses Stoffs nachweist.<br />
Vor allem im Be reich der aufbauenden<br />
Hebräisch kur se komme<br />
es immer wieder vor, dass jü dische<br />
Studierende sich hier statt für die<br />
Anwesenheit für den fakultativen<br />
Test entscheiden.<br />
Wieviel Prozent der Studierenden<br />
Juden, wieviel nichtjuden sind, kann<br />
Davidowicz allerdings nicht sa gen.<br />
Das wird bei der inskription nicht er -<br />
ho ben und spielt im Stu dium auch<br />
keine Rolle. Jüdische Studierende<br />
wollen meist mehr zur eigenen iden -<br />
ti tät erfahren, nichtjüdischen Studen<br />
ten gehe es oft einfach darum,<br />
mehr über das Judentum zu erfahren.<br />
<strong>Die</strong> Gene ra tion, die sich für ein Ju -<br />
daistik-Stu dium entschieden hat,<br />
weil die Eltern nazis waren, die ge be<br />
es heute nicht mehr. <strong>Die</strong> Großeltern<br />
der heutigen Stu dienanfänger wa ren<br />
zur nS-Zeit ent weder selbst noch<br />
Kin der oder so gar noch gar nicht ge -<br />
boren.<br />
<strong>Die</strong>s ist auch der Fall bei der 22-jährigen<br />
Studentin Nathalie Beer. Sie ist e -<br />
ben dabei, ihr Bakkalaureatsstudium<br />
Ju da istik abzuschließen. Sie arbeitet<br />
be reits in der institutsbibliothek<br />
und fängt nun ihr masterstudium<br />
an. Eigentlich wollte sie Geschichte<br />
studieren, er zählt sie, im Studienan -<br />
ge bot der Uni <strong>Wien</strong> habe sie dann<br />
die Ju daistik entdeckt. Ein Besuch<br />
von Au schwitz kurz zu vor habe das<br />
Seine da zu beigetragen, dass sie<br />
sich schließ lich dazu entschlossen<br />
habe, sich näher mit dem Judentum<br />
auseinandersetzen zu wollen.<br />
Wenn man sich für ein Studium an<br />
der <strong>Wien</strong>er Judaistik entscheidet,<br />
dann bedeutet das auch: ein familiäres<br />
Um feld. im Sommersemester<br />
2009 waren 91 Studierende im Bak -<br />
kalau re ats stu dium inskribiert, zehn<br />
im mas ter-Stu dium, so Davidowicz.<br />
Jobau ssichten gebe es dennoch nur<br />
für jene, die mehr machen als im<br />
Stu dienplan vorgesehen. <strong>Die</strong> mehr -<br />
zahl der Stu die renden stecke leider<br />
noch im Schul denken und absolviere<br />
nur das, was an Pflichtveran staltun<br />
gen vorgegeben sei, bedauert<br />
Da vidowicz. Wenn man allerdings<br />
im Studium aufgehe, wei ter füh rende<br />
Literatur lese und Veran stal -<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 39<br />
JÜDISCHE WELT
tungen besuche, würden sich durch -<br />
aus mögliche Jobs ergeben – von der<br />
Assistentenstelle bis zur Ar beit in<br />
medien oder in einem Jüdi schen mu -<br />
seum.<br />
Wer sich für „Jüdische Kulturge -<br />
schich te“ interessiert, ist an der uni -<br />
ver sität salzburg richtig. Ab dem<br />
Studienjahr 2010/11 startet am dortigen<br />
„Zen trum für Jüdische Kulturge -<br />
schichte“ ein entsprechendes master -<br />
stu dium. Schwerpunkte des Studien -<br />
gangs sei en die kultusgeschichtliche<br />
Quellen forschung, Sprachen und iden -<br />
titäten sowie Genozid- und Holo -<br />
caust for schung, betont der Leiter des<br />
Zen trums, Gerhard Langer.<br />
Ansonsten ist das Zentrum, an dem<br />
seit 2004 die an der Uni Salzburg vorhandene<br />
Forschung zu jüdischer Kul -<br />
tur gebündelt wird, vor allem wissenschaftlich<br />
tätig. Grundlagenfor schung<br />
zu den Ausprägungen jüdischer Kul -<br />
tur von den Anfängen bis zur Ge gen -<br />
wart wird dabei ebenso betrieben wie<br />
Forschung zur Regional- und Zeitge -<br />
schichte. Wichtig ist Langer zudem<br />
„die Bewusstseinsschärfung gegenüber<br />
den Vorgängen während der Zeit des Na -<br />
tio nalsozialismus. Einen Schwer punkt<br />
bil det daher auch die so genannte Geno -<br />
zid forschung und nicht zuletzt die mit<br />
Oral History und Medien arbeitende<br />
pädagogische Aufarbeitung der Shoa.“<br />
Rein wissenschaftlich ist die Aus ein -<br />
an dersetzung mit dem Judentum am<br />
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
institut für jüdische geschichte Ös -<br />
terreichs in st. Pölten. Wichtig sei<br />
dem institut „das erstmalige Zu gäng -<br />
lich machen von Quellen, die bisher in<br />
Ar chiven versteckt waren“, sagt Direk -<br />
torin Martha Keil. Als Aufgaben der<br />
Ein richtung nennt sie weiters die in -<br />
te gra tion der jüdischen Geschichte in<br />
die allgemeine österreichische Ge -<br />
schich te, die Erforschung und Publi -<br />
zie rung von vergessenen und verdrängten<br />
inhal ten, Ereignissen und<br />
Personen, das Sichtbar- und Bewusst -<br />
machen des engen Zusammenlebens<br />
der jüdischen und christlichen Bevöl -<br />
kerung sowie die mechanismen von<br />
Ausgrenzung, Vorurteilsbildung und<br />
Verfolgung. Einziges angebotenes<br />
Element der Lehre ist eine Sommeraka<br />
demie, die jeweils in der ersten<br />
Juli-Woche öf fent lich zugänglich ab -<br />
gehalten wird. <strong>Die</strong>sjähriges Thema<br />
war „Salondamen und <strong>Die</strong>nstboten.<br />
Jüdisches Bürgertum um 1800 aus weiblicher<br />
Sicht“.<br />
Auch am centrum für Jüdische stu di -<br />
en (cJs) wird vorrangig wissenschaftlich<br />
gearbeitet. Seit der Grün dung im<br />
Jahr 2000 bildet die Erfor schung jüdischer<br />
Kulturen und Ge schichte vom<br />
späten 18. Jahrhundert bis in die Ge -<br />
gen wart den Schwerpunkt, betont<br />
CJS-Leiter Gerald Lamprecht.<br />
Favorisiert würden dabei kulturwissenschaftliche<br />
Zugänge, bei denen His -<br />
toriker, Kunsthistoriker und Lite ra tur -<br />
ANGEBOT UND ADRESSEN<br />
Institut für Judaistik der Universität <strong>Wien</strong><br />
Bachelorstudium „Judaistik“<br />
Masterstudium „Judaistik“<br />
Doktoratsstudium „Judaistik“<br />
www.univie.ac.at/judaistik<br />
Jüd. Berufliches Bildungszentrum (JBBZ)<br />
„Berufsorientierungslehrgang“ für jüdische<br />
Jugendliche, die das neunte Schuljahr<br />
absolvieren müssen.<br />
Lehrausbildungen für jüdische Ju gend li che<br />
und Erwachsene (Büro kaufmann/-frau,<br />
Buch händ ler/in, Bank kaufmann/-frau,<br />
Infor mations technologe/in, Orthopädietechniker/in)<br />
Aufbaulehrgänge für jüdische Ju gendliche<br />
und Erwachsene („FIT für Netzwerk tech -<br />
nik + Matura“, „FIT für Veranstaltungs -<br />
ma na ge ment + Matura“, „FIT in He brä isch<br />
für den Beruf“, „FIT für das Office“, „FIT<br />
für Well ness und Tourismus“, „FIT für<br />
PC-Support“, „FIT für Netzwerk tech nik“)<br />
Zusatzqualifikationen für jüdische Jugend -<br />
l i che und Erwachsene („Maturavorberei -<br />
tungs lehrgang“, „Lehrgang Soziale Kom -<br />
pe tenz“, „FIT in Fachsprachen Deutsch,<br />
Eng lisch, Rus sisch, Hebräisch“, „Buchha -<br />
ltung für Klein un ter nehmer“, „EBC*L“<br />
(Europäi scher Wirt schafts füh rerschein),<br />
„ECDL“ (Europäi scher Computerfü rer -<br />
schein), „FIT für die Selbst ständigkeit“,<br />
„CCNA“-Abend lehrgang (Cisco Certified<br />
Network Associate certification)<br />
www.jbbz.at<br />
Jüd. Institut für Erwachsenenbildung<br />
Hebräisch- und Jiddischkurse<br />
Tanzkurse (z.B. israelische Folklore)<br />
Kurse und Vortragsreihen zu jüdischer<br />
Reli gi on, Tradition, Kultur, Geschichte,<br />
jüdischem Alltagsleben<br />
Tempelführungen und Schabbatabende<br />
Jiddische Kulturtage (12. bis 17. 10.2009)<br />
www.jud-institut-wien.at<br />
Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte<br />
(ZJK) an der Universität Salzburg<br />
Ab 2010/11: Masterstudiengang<br />
„Jüdische Kulturgeschichte“<br />
Sommerkurs am Jüdischen Museum<br />
Ho hen ems (zuletzt: 12. bis 17. Juli 2009)<br />
www.uni-salzburg.at/zjk<br />
Institut für jüd. Geschichte Österreichs<br />
Vorträge, Workshops und Sommeraka de mie<br />
(zuletzt: 5. bis 8. Juli 2009)<br />
www.injoest.ac.at<br />
Centrum für Jüdische Studien (CJS)<br />
an der Universität Graz<br />
Joint Degree Masterstudium „Jüdische<br />
Stu dien – Geschichte jüdischer Kulturen“<br />
(ge meinsam mit der Hochschule für<br />
Jüdi sche Studien Heidelberg)<br />
Sprachkurs Hebräisch ab dem Winter se -<br />
mes ter 2009/10<br />
Öffentliche Vorträge<br />
http://www.uni-graz.at/cjs-graz<br />
40 August 2009 - Aw/Elul 5769
wissenschafter eingebunden wür den.<br />
Das CJS bietet allerdings gemeinsam<br />
mit der Hochschule für Jüdische Stu -<br />
dien Heidelberg auch das Joint De gree<br />
masterstudium „Jüdische Stu dien –<br />
Geschichte jüdischer Kulturen“ an. <strong>Die</strong><br />
module dieses Studiengangs: Ge -<br />
schichte und Gesellschaft; Literatur,<br />
Kunst und musik; Philosophie und<br />
Re ligion. Zu diesem Studien pro gramm<br />
zugelassen sind Absolventen „eines<br />
einschlägigen geistes-, sozial-, kulturwissenschaftlichen<br />
oder theologischen Bache -<br />
lor-Studiums“, so Lamprecht. Das ers te<br />
Semester muss verpflichtend in Hei -<br />
del berg absolviert werden, dafür stehen<br />
aber Stipendien zur Verfü gung.<br />
Gänzlich anders gestaltet sich das Bil -<br />
dungsangebot des Jüdischen Beruf li -<br />
chen Bildungszentrums (JBBz). Hier<br />
stehen nicht jüdische inhalte im Vor -<br />
dergrund – hier geht es vorrangig um<br />
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
berufliche Bildung für jüdische Ju gend -<br />
liche und Erwachsene. Jugend li che,<br />
de nen das neunte Schuljahr fehlt,<br />
können dieses hier in Form eines Be -<br />
rufs orientierungslehrgangs absolvieren,<br />
so Edgar Weiland, Bereichsleiter<br />
Sprachen, integration und Soziale<br />
Kom petenz, sowie Maria Gierlinger-<br />
Lan da, Bereichskoordinatorin Berufs -<br />
ori entierung. Jugendlichen und Er -<br />
wach senen, die nur über einen Pflicht -<br />
schulabschluss verfügen, können die<br />
Lehrberufe Bürokaufmann/-frau,<br />
Buch händler/in, Bankkaufmann/frau,<br />
informationstechnologe/in so wie<br />
Orthopädietechniker/in erlernen.<br />
Aber auch Zusatzqualifikationen kann<br />
man am JBBZ erwerben, wie beispielsweise<br />
den Computer- oder Wirt schafts -<br />
führerschein. Und es werden He brä -<br />
isch-Lehrgänge auf verschiedenen ni -<br />
veaustufen angeboten. <strong>Die</strong> Einhal tung<br />
der Kaschrut und der Feiertage ist an<br />
„Nachholbedarf bei Holocaust Education“<br />
Helene Miklas, Vizerektorin der Kirch lichen Pädago gi -<br />
schen Hochschule <strong>Wien</strong>/Krems (KPH), die von den<br />
christlichen Kirchen Österreichs ge meinsam geführt<br />
wird (katholisch, evangelisch, altkatholisch, orthodox,<br />
orientalisch-orthodox), ortet in Österreich „einen großen<br />
Nachholbedarf im Bereich der Holocaust Education“. „Öster -<br />
reich hat ja erst sehr spät mit dem Thema angefangen“,<br />
betont sie gegenüber „<strong>Die</strong> <strong>Gemeinde</strong>“. „Im Gegensatz zu<br />
Deutsch land hat Adornos Rede ‚Erzie hung nach Auschwitz‘<br />
1966 keinen großen Nachhall verursacht.“ Erst nach der<br />
Affäre rund um den früheren Bundespräsidenten Kurt<br />
Waldheim, erst nach der Rede von Ex-Bundeskanzler<br />
Franz Vra nitz ky vor dem Parlament 1991 sei die pädagogische<br />
Auseinandersetzung hierzulande in Gang<br />
gekommen, „obwohl es ja vorher schon großartige Initiati -<br />
ven wie die Arbeit des Dokumentationsarchivs des Österreichischen<br />
Widerstands gab“.<br />
miklas betonte zudem, man müsse das Thema „in einer<br />
größeren Linie“ sehen: „Österreich hat ja schon eine längere<br />
Geschichte von Nationalismus und Antisemitismus, das kam<br />
Mitte des 19. Jahr hunderts auf und wurde letztlich nicht aufgearbeitet.<br />
<strong>Die</strong> rechten Parteien, vor allem die FPÖ, setzen<br />
hier nahtlos auf: Sie schüren Ängste, greifen negative, unaufgearbeitete<br />
Gefühle in der breiten Volksmasse auf, polarisieren,<br />
schematisieren und schaffen es mit ihren Parolen, eine<br />
Scheinsicherheit und –identität bei den Menschen aufzubauen.<br />
Gerade in Österreich ist aber ein aufklärerisches, dekonstruierendes,<br />
dekonstruktivistisches Lernen nötig.“<br />
Wie aber sieht ein solches Lernen aus? Damit befassen<br />
sich Lehrende und Wissenschafter die kommenden<br />
dieser Einrichtung selbstverständlich.<br />
„Und spezifisch jüdische Themen und das<br />
Land Israel sind stets Thema innerhalb<br />
des Fachunterrichts“, betont Gier lin ger-<br />
Landa. im Rahmen des ein jährigen<br />
Be rufsorientie rungslehr gangs gibt es<br />
Religionsunterricht. in den Lehraus -<br />
bil dungen erhalten die Ju gendlichen<br />
Unterricht in sozialer Kompetenz mit<br />
dem Schwerpunkt „Gelebtes Juden tum<br />
im österreichischen Alltag“.<br />
vier Jahre an der KPH. ins Leben ge ru fen wurde nämlich<br />
der For schungs schwerpunkt „Holocaust Educa ti on“.<br />
Vor rangige Zielgruppe: die 13- bis 14-Jährigen, so mik -<br />
las. Erforscht werden sollen folgende Fragen: „Wie kann<br />
ein nachhaltiges Lernen erreicht werden? Wie vermeiden wir<br />
bei Besuchen von Gedenk stätten, dass Schüler und Schüle -<br />
rin nen sich schuldig fühlen, beschämt werden, ge lähmt sind<br />
und sich letztlich in ihrer noch unsicheren Identität mit den<br />
Tätern identifizieren? Wie können wir Holo caust Education<br />
ver binden mit Menschen rechts lernen, Friedenspädagogik? Wie<br />
können wir die neue MigrantInnengeneration sinnvoll mit<br />
Holo caust Education in Be rührung bringen?“ <strong>Die</strong> „Grund fra -<br />
ge der Grundfragen“ aber sei: „Können Schü ler und Schü le -<br />
rinnen überhaupt aus der Geschichte lernen und wenn ja, was?“<br />
<strong>Die</strong> Ergebnisse der Forschung sollen an der KPH sofort<br />
in die Fort- und Weiterbildung, aber auch das Curri cu -<br />
lum der Ausbildung zum Lehrer an Volks-, Haupt-,<br />
Sonder- oder Poly tech nischen Schulen sowie die Leh rer -<br />
ausbildung für Religionspädagogik an Pflicht schu len<br />
fließen, betont die Vizerektorin der 2007 errichteten<br />
Hoch schule. An dieser befindet sich auch ein Kompetenzzentrum<br />
für men schenrechtspädagogik. in dessen<br />
Rah men sei in den vergangenen Jahren der Bereich „Ho -<br />
locaust Education“ ge wach sen, Lehrende hätten Zeit zeu -<br />
gin nen eingeladen und sich bei verschiedenen initiativen<br />
engagiert. „Zunehmend haben wir aber gemerkt, dass wir<br />
von un ge sicherten Bedingungen und Annah men ausgehen<br />
und dass ein großer Forschungs bedarf vorherrscht“, sagt<br />
miklas.<br />
www.kphvie.at<br />
DER LECHNER EDI<br />
SCHAUT<br />
INS PARADIES<br />
von Jura Soyfer<br />
9., 10., 11., 16., 17., 18., 23., 24., 25.<br />
September 2009 - Beginn: 19.00 Uhr<br />
Treffpunkt: A-1030 <strong>Wien</strong><br />
Erdberger Steg am Donaukanal<br />
Dauer: ca. 80 Minuten<br />
Kartenpreis: Euro 15,-- / Euro 12,--<br />
Kartenreservierungen unter: Tel. 0680/126 53 86<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 41<br />
© Gisela Ortner
im ungarischen Köszeg/Güns am<br />
Fuß des Geschriebensteins fand vom<br />
19. bis 24. Juli die 1. mitteleuropäische<br />
christlich-jüdische Bibelwoche<br />
statt. im mittelpunkt stand das Buch<br />
Levi ti cus aus dem Ersten Testament –<br />
die „mitte der Tora“ –, das jedoch in<br />
der christlichen Welt nur wenig rezipiert<br />
wird.<br />
„<strong>Die</strong> Bibelwoche ist eine erstklassige Ge -<br />
le genheit, dass Christinnen und Christen<br />
einen Einblick erhalten, wie die Tora im<br />
jüdischen Leben heute lebendig ist“, meint<br />
Willy Weisz, jüdischer Vizepräsident<br />
des Koordinierungsausschusses für<br />
christlich-jüdische Zusammenarbeit.<br />
Wenn man allein den Text der Bibel le -<br />
se, sei man vom lebendigen Juden tum<br />
noch weit entfernt: „<strong>Die</strong> kontinuierliche<br />
mündliche Auslegungstradition und<br />
das Bemühen, auch anscheinend überholte<br />
Texte auf eine Sinndimension für heute<br />
zu befragen, ist ein Kennzeichen jüdischer<br />
Torainterpretation“, so Weisz.<br />
Christlich und jüdische Referentinnen<br />
und Referenten<br />
in Vorträgen, Diskussion, Lehrge sprä -<br />
chen und Arbeitsgruppen nähern<br />
sich dreißig Teilnehmerinnen unter<br />
kompetenter Anleitung dieser in den<br />
Kir chen eher unbekannten biblischen<br />
Schrift. Referentinnen und Refe ren ten<br />
waren der jüdisch orthodoxe Reli gi -<br />
ons lehrer Marcus Schroll aus mün chen,<br />
die liberale Rabbinerin Irit Shil lor so -<br />
wie die lutherischen Alttesta ment ler<br />
Juraj Bándy aus Pressburg und Jutta<br />
Hausmann aus Budapest. Trotz tägli -<br />
cher intensiver Arbeitsein hei ten am<br />
Vormittag und nachmittag konnte bei<br />
weitem nicht das gesamte Buch<br />
durch gearbeitet werden. „Wenn man<br />
sich Zeit nimmt, mache Stellen und ihre<br />
Ausle gung im Judentum genau anzusehen,<br />
kann das manche Vorurteile von<br />
christlicher Seite gegenüber der hebräi-<br />
JÜDISCHE WELT • INLAND<br />
Mitteleuropäische christlich-jüdische Bibelwoche<br />
Christinnen und Christen lernen ein Stück Tora<br />
Köszeg/Güns<br />
schen Bibel und dem Judentum abbauen,“<br />
meint Weisz, „etwa ein oberflächliches<br />
Ver ständnis des Rechtssatzes ‚Auge für<br />
Auge, Zahn für Zahn’“.<br />
<strong>Die</strong> Bibelwoche wurde vom Koor di -<br />
nie rungsausschuss für christlich-jüdische<br />
Zusammenarbeit gemeinsam mit<br />
der Evangelischen Akademie <strong>Wien</strong><br />
und den Theologischen Kursen der<br />
Erzdiözese <strong>Wien</strong> organisiert.<br />
SYNAGOGE KOBERSDORF<br />
Kultur im Tempel 2009:<br />
VOM ZURÜCKKOMMEN<br />
OTTO TAUSIG<br />
liest aus dem Roman<br />
<strong>Die</strong> Kinder von <strong>Wien</strong><br />
von Robert Neumann<br />
Musik:<br />
GEORG WINKLER - Klarinette<br />
HUBERT KELLERER - Akkordeon<br />
PETER ARADI - Kontrabass<br />
13. September 2009, 17.30 Uhr<br />
SYNAGOGE KOBERSDORF<br />
Schloßgasse 25, 7332 Kobersdorf (Bgld.)<br />
KULTUR IM TEMPEL außer Haus:<br />
Film: „Epsteins Nacht”<br />
Urs Egger, D/CH/A 2001<br />
mit: Mario Adorf, Bruno Ganz, Otto Tausig u.a.<br />
17. September 2009, 18:00 Uhr<br />
Festsaal der <strong>Gemeinde</strong> Lackenbach, Postgasse 6, 7322 Lackenbach<br />
Information und Kartenbestellung:<br />
0664/994 55 45<br />
Sanierungsbedürftige Synagoge<br />
Betroffen machte die Teilnehme rin -<br />
nen und Teilnehmer der erschreckende<br />
Erhaltungszustand der Synagoge<br />
der Stadt. 1859, vor genau 150 Jahren<br />
eingeweiht, ist sie seit der Vertreibung<br />
der jüdischen Bevölkerung von Güns<br />
1944 dem Verfall preisgegeben. im<br />
inneren des beeindruckenden Baus<br />
befindet sich noch der Toraschrein,<br />
und die Be malung der Kuppel ist er -<br />
halten. Das Dach ist jedoch baufällig<br />
und alle Fenster fehlen. Da jedoch die<br />
Be sitz verhältnisse des Gebäudes un -<br />
klar sind, kann die Stadt keine ini tia -<br />
ti ven zur Sanierung setzen. Mar kus<br />
Him mel bauer, Geschäftsführer des Ko -<br />
or di nie rungsausschusses für christ lichjü<br />
di sche Zusammenarbeit, führt seit<br />
Jah ren immer wieder Gruppen nach<br />
Köszeg/Güns, um sie auf dieses Klein -<br />
od einer untergegangenen Welt aufmerksam<br />
zu machen und Sympa thi en<br />
für seine Rettung zu gewinnen. MH<br />
42 August 2009 - Aw/Elul 5769
Maccabiah 2009<br />
in Israel: Spiele<br />
der Superlative<br />
Über 7.500 Sportler und Delega ti ons -<br />
mitglieder, eine atemberaubende<br />
Eröffnungsfeier mit vielen künstlerischen<br />
Elementen und ein Rah -<br />
menprogramm, dass dieses mal alles<br />
vorher da gewesene in den Schatten<br />
stellte. Das sind einige jener Dinge,<br />
die diese 18. maccabiah, die so -<br />
genannte Maccabiah Chaj (im hebräischen<br />
Alphabet symbolisieren diese<br />
Buchstaben die Zahl 18), zu etwas<br />
Außergewöhnlichem gemacht haben.<br />
Seit vielen Jahren haben nicht mehr so<br />
viele Aktive an einer maccabiah teil<br />
genommen, was trotz Finanzkrise für<br />
den starken maccabi Geist auf der<br />
ganzen Welt spricht. <strong>Die</strong> Eröffnungs -<br />
fei er, die mit vielen besonderen künst -<br />
lerischen Höhepunkten begeisterte,<br />
fand am 13.Juli 2009 im Ramat Gan<br />
Stadion statt. <strong>Die</strong> Spiele selbst fanden<br />
vom 12.-23. Juli 2009, auf alle Städte<br />
israels verteilt, statt. <strong>Die</strong> traditionelle<br />
Entzündung des maccabiah Feuers<br />
wurde dieses Jahr von Jason Lezak vor -<br />
genommen, dem wohl prominentesten<br />
Sportler bei dieser maccabiah. Er<br />
war Teil jener mannschaft, die im<br />
Schwimmen bei den olympischen<br />
Spielen 2008 in Peking Gold für die<br />
USA in der Staffel holte.<br />
Viele spezielle Events für die Aktiven,<br />
aber auch spezielle Events für die is -<br />
raelische Bevölkerung machten diese<br />
Spiele für alle zu etwas Besonderem.<br />
<strong>Die</strong> sogenannten Popular Events sollten<br />
die maccabiah der israelischen<br />
Bevölkerung etwas näher bringen,<br />
weshalb zwei große Veranstaltungen<br />
JÜDISCHE WELT • SPORT<br />
durchgeführt wurden, die die aktive<br />
Teilnahme jedes israelis ermöglichten,<br />
der interesse hatte. Es wurde ein<br />
Beach-Sport Event und ein Rad Event<br />
durchgeführt.<br />
Für die Aktiven wurden ebenfalls kei -<br />
ne Kosten und mühen gescheut, um<br />
das Rahmenprogramm so interessant<br />
wie möglich zu gestalten. Dazu ge -<br />
hör ten diverse Ausflüge, informa ti -<br />
ons veranstaltungen und auch mehrere<br />
große Feiern, die in sehr exklusiven<br />
Veranstaltungslokalen speziell für die<br />
Teilnehmer durchgeführt wurden.<br />
Was nun die sportlichen Leistungen<br />
der Österreichischen Delegation be -<br />
trifft muss man leider gleich einleitend<br />
sa gen, dass keine medaille er -<br />
obert werden konnte.<br />
<strong>Die</strong> Österreichische mannschaft be -<br />
stand aus folgenden Sportlern:<br />
Gerald Spennadel, Raffael Johnen und<br />
Jair Zelmanovics im Tischtennis.<br />
Simon und Benjamin Panzer im<br />
Schwim men.<br />
Leonid Pikman im Degenfechten.<br />
<strong>Die</strong> Tischtennisspieler konnten im<br />
Teambewerb leider nur den 8. Platz<br />
be legen. in den individualbewerben<br />
konnte nur Jair Zelmanovics, mit<br />
dem 2. Platz im Consolation-Bewerb<br />
einen nennenswerten Erfolg erzielen.<br />
<strong>Die</strong> Schwimmer waren ebenfalls sehr<br />
bemüht und haben alles versucht, um<br />
mit zuhalten. Leider war die Konkur -<br />
renz im Schwimmen dieses Jahr sehr<br />
stark, weshalb mit einer medaille bzw.<br />
einer guten Platzierung nicht zu rechnen<br />
war.<br />
Unser Fechter und Fahnenträger bei<br />
der Eröffnung, Leonid Pikman, rechnete<br />
sich als einer der besten Fechter<br />
Österreichs berechtigte Chancen auf<br />
eine medaille aus. Leider hat es aber<br />
auch bei ihm nicht geklappt. Auf -<br />
grund sehr hoher Temperaturen in der<br />
Halle konnte Leonid leider nie sein<br />
Potential richtig ausschöpfen und<br />
verlor bereits in der Vorrunde entschei -<br />
dende Gefechte gegen israelische Fech -<br />
ter, die offensichtlich diese Be din gun -<br />
gen gewohnt waren. Somit musste er<br />
sich mit dem 9. Rang von insgesamt 16<br />
Teilnehmern zufrieden geben<br />
Alles in allem waren aber alle froh bei<br />
diesem besonderen Ereignis dabei zu<br />
sein, und Österreich so gut wie möglich<br />
zu vertreten.<br />
nun gilt alle Konzentration der Vor -<br />
be reitung auf das wohl wichtigste<br />
sportliche Ereignis für die jüdische<br />
Ge meinde in <strong>Wien</strong>, das es je gab: <strong>Die</strong><br />
Europäischen maccabi Spiele 2011 in<br />
<strong>Wien</strong>! •<br />
Facebook fürchtet um<br />
den Verlust eines Teils<br />
ihrer eher zensurabgeneigten<br />
Community.<br />
<strong>Die</strong>se übt ihrerseits<br />
Druck auf die Plattf orm<br />
aus, bildet Gruppen, be -<br />
treibt Dis kus sionsfo ren<br />
und schreibt Petitionen.<br />
Über 70.000 Nutzer ha -<br />
ben sich allein der<br />
Grup pe „United against<br />
Holocaust Denial on Fa -<br />
ce book” angeschlossen.<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 43
Belgrad –<br />
Eine Stadt mit<br />
jüdischen Spuren<br />
Text & Fotos IDA LABUDOVIC<br />
1935 in Belgrad. Ein vierzehnjähriger<br />
Bub namens Tuvi hielt seine jüngere<br />
Schwester Simha an der Hand, während<br />
beide nach dem Schabbat gottes -<br />
dienst durch eine abschüssige Strasse<br />
von der Synagoge Bet israel zur Jalija<br />
gingen. Sie bewunderte ihren großen<br />
Bruder und sie spielten jeden Schab -<br />
bat das gleiche Spiel: Während die Äl -<br />
te ren einander zum Schabbat grüßten,<br />
hat sie sich bei der Eingangsstiege hin -<br />
ter einem Pfeiler versteckt und wartete,<br />
dass Tuvi sie fand. Sie war das<br />
glück lichste mädchen auf der ganzen<br />
Welt, mit Locken, die immer über ihre<br />
braunen Augen fielen. Doch dann<br />
wur de ihr Bruder getötet, die Synago -<br />
ge niedergerissen und sie wusste,<br />
dass diese Jahre des Glücks nie mehr<br />
existieren würden. Überall in den Städ -<br />
ten im Süden und im norden, dort wo<br />
Jiddisch gesprochen wurde, und dort,<br />
wo die menschen sich auf Ladino be -<br />
grüßt haben, lag der Schrecken des<br />
Krieges und der Zerstörung mit tausenden<br />
Toten und nur ein Schweigen<br />
blieb zurück. Wird jemals bekannt<br />
werden, dass Tuvi, Simha, Jakov, Sa -<br />
mu ilo, Rifka, Aron, Rebeka... einmal<br />
gelebt haben?<br />
Jüdisches Viertel<br />
Juden leben seit dem 10. Jahrhundert<br />
in Serbien (hauptsächlich in Belgrad)<br />
und archäologische Beweise zeugen<br />
Synagoge Sukat Salom<br />
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Friedhof in Belgrad<br />
von der Existenz orientalischer Juden<br />
(Romaniot) im ersten Jahrhundert.<br />
Zwischen dem 12. und dem 15. Jahr -<br />
hun dert war Belgrad nach Thessa lo ni ki<br />
eines der bedeutendsten geistigen und<br />
wirtschaftlichen Zentren des jü di schen<br />
Balkan. Ein großer Teil des da maligen<br />
Belgrader Bürgertums wa ren Juden<br />
mit ihren eigenen Bräuchen in den<br />
Tem peln und in der <strong>Gemeinde</strong>, ih ren<br />
fa miliären Beziehungen, ihrer Klei -<br />
dung und Sprache, sowie ihren be -<br />
rühmten Geschäften. <strong>Die</strong> sefardischen<br />
Lieder, die des Abends in der Ja li ja zu<br />
hö ren waren, gaben jenem Stadtvier -<br />
tel, in dem die Juden gelebt haben, ein<br />
ganz besonderes Flair.<br />
Charakteristisch für diese Gegend wa -<br />
ren schmale Straßen, niedrige Häuser<br />
und Gärten mit vielen Blumen. Wäh -<br />
rend der Feiertage und beson ders zu<br />
Purim, waren jüdische Häuser für alle<br />
Belgrader mitbürger offen. man konn te<br />
überall musik auf Ladino hören, die<br />
menschen tanzten auf der Straße, zu -<br />
hause sowie im Garten und in den<br />
näch ten traf man menschen voller<br />
Lebensfreude.<br />
Juden waren hauptsächlich im Han -<br />
del und Handwerk tätig, aber auch in<br />
Geld- und Bankgeschäften. Sie haben<br />
das urbane Leben und die Atmos phä re<br />
der Stadt beeinflusst, sind Teil des ser -<br />
bischen Umfelds gewesen und haben<br />
bedeutende Spuren in Belgrad hinterlassen,<br />
die man heutzutage in der Ar -<br />
chitektur, den Häusern mit ihren Sym -<br />
bolen, Ornamenten und Strassen des<br />
„Jüdischen Dorćol“ (Teil der Altstadt)<br />
erkennen kann.<br />
<strong>Die</strong> erste jüdische <strong>Gemeinde</strong> wurde<br />
1866 gegründet, ihr Präsident war Ja -<br />
hiel Ruso. Das neue Haus der jüdischen<br />
sefardischen <strong>Gemeinde</strong> wurde 1928<br />
er baut. Bis heute befinden sich die<br />
„Jüdische <strong>Gemeinde</strong> Bel grad“, der<br />
Verband „Jüdische <strong>Gemeinde</strong> Ser bi -<br />
ens“, und sogar das „Jüdische Histo -<br />
ri sche museum“ in diesem Haus. <strong>Die</strong><br />
einzige verbliebene Synagoge in Bel -<br />
grad (Sukat Šalom) hat 2006 ihren 80.<br />
Ge burtstag gefeiert. Oberrabbiner Isak<br />
Asiel, nachfolger des unvergesslichen<br />
Oberrabbiner Cadik Danon, hat viel zur<br />
Revitalisierung der Synagoge und des<br />
religiösen Lebens beigetragen. <strong>Die</strong> al -<br />
te Synagoge „Kal Viezu“ wurde nach<br />
dem 2. Weltkrieg abgerissen, weil sie<br />
sehr baufällig war und das Stadt vier tel<br />
umgebaut wurde, aber der Grund stein<br />
steht bis heute unter Denk mal schutz.<br />
Es gibt zwei jüdische Friedhofe in Bel -<br />
grad: der alte aschkenasische, der nun<br />
Teil des sogenannten „neu-Fried hofs“<br />
ist, und der jüdische Fried hof (seit<br />
1888, damaliger sefardischer Friedhof),<br />
der heute noch in Ver wen dung ist. Ein<br />
Aberglaube ist mit dem aschkenasischen<br />
Friedhof verbunden: Wenn<br />
jemand einen Wunsch auf ei nen Zettel<br />
schreibt, dieses Papier an ein klei nes<br />
Vorhängeschloss steckt und über die<br />
Friedhofsmauer wirft, dann wird dieser<br />
Wunsch in Erfül lung ge hen.<br />
Viele jüdische Grabsteine wurden in<br />
einem für die jüdische Tradition un -<br />
üblichen Baustil errichtet - vielleicht<br />
versuchten die serbischen Juden, sich<br />
in diesem Bereich ein wenig anzupassen<br />
oder die mit Ornamenten verzierten<br />
Grabsteine gefielen ihnen so sehr,<br />
jedenfalls ließen sie sich bei den Grab -<br />
steinen von ihrem Umfeld inspirieren.<br />
Belgrad wurde von den nazis im April<br />
1941 bombardiert, im Dezember wur -<br />
de das „Judenlager Semlin“ (Sajmište)<br />
errichtet, wo 7.000 Juden sowie 600 Ro -<br />
ma gefangen waren, der Großteil da -<br />
von Frauen und Kinder. im Früh ling<br />
1942, haben die nazis aufgrund der<br />
geplanten „Endlösung über die Ju den -<br />
frage“ die Juden des Lagers Sem lin in<br />
Gaslastwagen liquidiert.<br />
„Topovske šupe“ war das erste Kon zen -<br />
trationslager für Juden und Roma in<br />
Serbien, wo der Großteil der männ li -<br />
chen Population umgebracht wur de,<br />
5.000 davon wurden erschossen.<br />
Ein mahnmal, das den Belgrader Ju -<br />
den gewidmet ist, findet sich neben<br />
der Donau, am Dorćol und heißt „Me -<br />
nora in Flammen“ (vom Bildhauer<br />
Nandor Glid).<br />
44 August 2009 - Aw/Elul 5769
Jüdisches<br />
<strong>Gemeinde</strong>zentrum<br />
Synagoge Sukat Salom<br />
Der Verband der jüdischen <strong>Gemeinde</strong>n<br />
Der erste Artikel über die jüdischen Ge -<br />
meinden im damaligen Jugosla wien<br />
ist im Januar 1960 in der Zeit schrift<br />
‘<strong>Die</strong> <strong>Gemeinde</strong>’ erschienen und war<br />
der „Tragödie von Šabac“ ge widmet:<br />
„Eine furchtbare Tragödie erstand da wie -<br />
der vor unseren Augen, als die Gebei ne<br />
von mehr als achthundert jü di schen Frau -<br />
en, Män nern und Kindern aus <strong>Wien</strong> und<br />
Österreich auf dem jüdischen Friedhof in<br />
Belgrad zur ewigen Ru he beigesetzt wurden“.<br />
Vier Jahre später wude ein mo -<br />
nu mentales - von der iKG <strong>Wien</strong> er rich -<br />
tetes - Denk mal enthüllt.<br />
1972 hatte der „Verband der jüdischen<br />
<strong>Gemeinde</strong>n in Jugoslawien“ das Pro -<br />
blem mit dem Rabbiner gelöst: „<strong>Die</strong><br />
Gemeinschaft hatte nämlich seit der großen<br />
Alijah in den Jahren 1948 bis 1950 nur<br />
einen Rabbiner, den Chahem Menahem<br />
Romano in Sarajevo, der eben vor einigen<br />
Jahren im hohen Alter verschied, und so<br />
blieb die Gemeinschaft überhaupt ohne<br />
Rabbiner. Nun hat der Verband den Ab sol -<br />
venten des einstigen theologischen Semi -<br />
nars in Sarajevo, das vom Verband erhalten<br />
wurde und bis zum Zweiten Welt krieg<br />
bestand, Cadik Danon akzeptiert, nachdem<br />
autorisierte Rabbiner seine Rabbiner fä hig -<br />
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
keiten attestierten. Rabbiner Danon wird<br />
allen <strong>Gemeinde</strong>n, zuallererst den größeren,<br />
zur Verfügung stehen“.<br />
Während des Krieges in Jugoslawien<br />
hat der damalige Chefredakteur, Karl<br />
Pfeifer, verschiedene Ge mein den be -<br />
sucht und darüber berichtet.<br />
Krieg in Jugoslawien 1999<br />
in der Zeit der nATO-Luftangriffe auf<br />
die damalige SR Jugoslawien, konnte<br />
der „Verband der Jüdischen Gemein -<br />
den“, mit zahlreicher Hilfe verschiedener<br />
jüdischer institutionen in Un -<br />
garn und der ganzen Welt, wie auch<br />
dem Elternheim in <strong>Wien</strong>, Transporte,<br />
Unterkünfte und Hilfsprogramme für<br />
jüdische Bürger organisieren, sodass<br />
Frau en mit ihren Kindern, Jugend li -<br />
che und ältere menschen Schutz vor<br />
der Bombardierung fanden. Der erste<br />
Autobus ist Ende märz 1999 nach Bu -<br />
dapest gefahren.<br />
Zu dem plötzli chen Verlust des sozialen,<br />
kulturellen und beruflichen Sta -<br />
tus und des räumlichen Umfelds, kam<br />
auch der Verlust der persönlichen<br />
iden tität hinzu. Es wurde alles versucht,<br />
um die Ver zweif lung über die<br />
neue Situation nicht überhand nehmen<br />
zu lassen, und um die menschen nicht<br />
depressiv werden zu lassen. Als die<br />
nachrichten über die Entwick lung des<br />
Kriegs keinen Grund zu Optimismus<br />
gaben, wurden immer mehr Aktivi -<br />
tä ten angeboten, um einen sinnvollen<br />
Tagesablauf aufrecht zu erhalten: Es<br />
gab Sprach stunden in Ungarisch und<br />
Hebräisch, Computerkurse, einen Kin -<br />
dergarten und Jugendklub, Tanz kur se,<br />
usw. in den ersten Tagen nach der<br />
An kunft in Budapest hat der Fotograf<br />
und Jour nalist Edward Serotta mit seiner<br />
Ka mera die Reaktionen der men -<br />
schen in diesen ersten momenten der<br />
Flucht mit seiner Kamera festgehalten.<br />
Junge menschen haben oft auf ihre<br />
Aus reise nach israel gewartet. in Bu -<br />
dapest waren aber auch viele mütter<br />
mit ihren Kindern, sowie ältere menschen<br />
mit ihrer tragischen Holocaust-<br />
Vergangenheit, die (erneut) die Er fah -<br />
rung von Flucht machen mussten. Ei -<br />
ner von ihnen war Cadik Braco Danon,<br />
Überlebender des Konzentra tions la gers<br />
Jasenovac (Kroatien). Während seines<br />
Aufenthaltes in Budapest, in einem<br />
kleinen dunklen Zimmer im Hotel<br />
Park ne ben dem Keleti Bahnhof,<br />
schrieb er seine memoiren über sein<br />
Le ben und wie er die Schrecken des<br />
Lagers überlebte.<br />
Ende Juni 1999 sind die letzten Auto -<br />
busse nach Belgrad zurückgefahren.<br />
in diesen drei monaten, haben ungefähr<br />
600 mitglieder des „Verbandes<br />
Jü discher <strong>Gemeinde</strong>n“ Schutz in<br />
Budapest gefunden.<br />
Leben heute<br />
<strong>Die</strong> jüdische <strong>Gemeinde</strong> ist heute eine<br />
sehr aktive Gemeinschaft: Es gibt eine<br />
Frauen-Sektion, einen Jugend klub,<br />
den Sportklub „makabi“, die Tanz -<br />
gruppe „nahar Haesh“, das „King<br />
Da vid“-Theater, die „Sektion für he -<br />
bräi sche Sprache“ und zahlreiche<br />
Kommissionen, die sich täglich in den<br />
Räumlichkeiten der <strong>Gemeinde</strong> treffen.<br />
Der Chor „Braća Baruh“ hat kürzlich<br />
sein 125-Jahr-Jubiläum gefeiert. Ende<br />
des 19. Jahrhunderts war jene Zeit, als<br />
die Juden und ihr serbisches Umfeld<br />
einen sehr offenen Umgang miteinander<br />
hatten, und dieser Chor war ein<br />
typisches Beispiel dafür. <strong>Die</strong> „B´nai<br />
B´rith Loge 676“ wurde in Serbien im<br />
Jahr 1911 gegründet: ihre mitglieder<br />
waren berühmte Ärzte, Rechtsan wäl te<br />
und Händler. Seit dem Jahr 2004 ist<br />
die Loge wieder aktiv und mit mai<br />
2008 war in der Bel gra der Ge mein de<br />
auch die Chabad-Be we gung vertreten.<br />
<strong>Die</strong> wirtschaftlichen Beziehun gen mit<br />
israel sind heute hoch entwickelt. is -<br />
raelische Firmen haben mehr als eine<br />
milliarde Euro in Serbien in vestiert,<br />
meist in Bürogebäude, Ho tels und<br />
Ein kaufszentren.<br />
<strong>Die</strong> jüdische <strong>Gemeinde</strong> Belgrad be -<br />
steht zur Zeit aus ungefähr 1.600 bis<br />
1.800 mitgliedern (in ganz Serbien<br />
leben etwa 3.000 Juden).Viele der<br />
ältesten Generation haben für Steven<br />
Spie l bergs „Shoah Foundation“ und<br />
„The Cen tral Europe Center for Re -<br />
search and Documentation“ über ihre<br />
Erlebnisse erzählt. mit Hil fe dieser<br />
Lebens ge schichten kann man auch ei -<br />
nen Ein blick in die jüdische Ver gan -<br />
gen heit Belgrads be kom men. man<br />
spürt beim Zuhören, wie diese alten<br />
men schen dennoch gerne über ih re<br />
Jugend sprechen und auf ihre eigene<br />
Art und Weise diese wieder erleben.<br />
Es war eine Zeit, in der Simha und ihr<br />
Bruder beim Eingang der damals noch<br />
existierenden Synagoge unbeschwert<br />
Verstecken spielen konnten.<br />
www.jobeograd.or • www.makabijada.com<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 45
An diesem montag wirkt Alexander<br />
Phoundoulakis ein wenig genervt, zu -<br />
mindest angespannt. Er ist der Ver wal -<br />
tungssekretär der „Etz-Hayyim-Syna -<br />
go ge“ in Chania auf Kreta.<br />
normalerweise lässt er sich nicht leicht<br />
aus der Ruhe bringen, doch an diesem<br />
Tag haben sich mehr Be su cher als<br />
gewöhnlich in der kleinen Sy nagoge<br />
eingestellt. Der Synago gen raum ist<br />
bei nahe vollständig ausgefüllt mit iw -<br />
rith sprechenden Gästen, es ist unruhig,<br />
und immer neue Fra gen werden<br />
gestellt. Es liegt gerade drei Jahre zu -<br />
rück, dass sich Phoundou la kis ausschließlich<br />
mit nichtjüdischen Dingen<br />
als Kaufmann betätigt hat und nicht<br />
den Unterschied zwischen „Kid dusch“<br />
und „Kol nidre“ kannte. in den drei<br />
Jahren seither hat er sich mit den kom -<br />
plizierten Problemen jü discher Religi -<br />
on und der chaniotischen Synagoge<br />
ver traut gemacht. nur wenn man ihn<br />
nach dem Geheimnis eines koscheren<br />
Ouzo fragt, muss er passen und auf<br />
sei nen Chef nikos verweisen.<br />
<strong>Die</strong> „Etz-Hayyim-Synagoge“, ist die<br />
letzte von einstmals zwei Synagogen<br />
in Chania und weiterer jüdischer Got -<br />
teshäuser – allein in Heraklion gab es<br />
vier - der griechischen insel Kreta.<br />
Während es gegenwärtig auf Rhodos<br />
und Korfu kleine in der Existenz be -<br />
droh te jüdische <strong>Gemeinde</strong>n gibt, ist<br />
die Situation auf Kreta noch extremer,<br />
zugleich jedoch auch hoffnungsvoller:<br />
Eigentlich bildet das Häuflein der<br />
übrig gebliebenen Juden in Chania im<br />
nord-Westen Kretas, wo um 1900<br />
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Doppelte Diaspora<br />
Auch ohne <strong>Gemeinde</strong> gibt es<br />
jüdisches Leben auf Kreta<br />
noch die meisten der über 1.100 kretischen<br />
Juden lebten, keine eigentlich<br />
Ge meinde („Kahal“/“Kehilla“) im<br />
halachischen Sinne. Selbst wenn man<br />
die vier weiteren Juden der insel Kre ta,<br />
die sich auf die Städte Rethymnon<br />
und Heraklion verteilen, hinzurechnet,<br />
reicht es nicht mal für einen ordentlichen<br />
Gottesdienst und ein gemeinsames<br />
Beten. Doch die <strong>Gemeinde</strong> weiß<br />
einen Ausweg: „Wir sind zwar nur sieben<br />
Juden in Chania“, erläutert nikolas<br />
Hannan-Stavroulakis multiethnischen<br />
und religiösen Bedürfnissen der Zeit<br />
entsprechend seinen Standpunkt, „aber<br />
es gibt hier eine gute Anzahl von Leuten<br />
anderen Glaubens, die unsere Werte teilen<br />
und unseren Gottesdienst be suchen – wie<br />
Griechen, Orthodoxe, rö mische Ka tho -<br />
liken und Muslime und so haben wir eine<br />
Gemeinschaft besonderer Art“. <strong>Die</strong> Ge -<br />
meinde versteht sich durchaus nicht<br />
als sektiererisch, ist gleichwohl überzeugt,<br />
dass auch für nichtjuden,<br />
ebenfalls Kinder israels (Jakobs), die<br />
Einzigartigkeit Gottes Gül tigkeit be -<br />
sitzt. man könne also zu sammen über<br />
alle religiösen Schran ken hinweg oh -<br />
ne Zwang Beten.<br />
So gibt es also in Chania ein durchgängiges<br />
jüdisch-religiöses Leben: Je -<br />
den morgen um neun Uhr gibt es ei ne<br />
„Schachrit“, ein morgengebet. Got tes -<br />
dienste finden beinahe ganzjährig je -<br />
den Freitagabend nach Sonnenunter -<br />
gang statt, dazu ein Hawdala-Service<br />
samstags auch nach Sonnenunter gang.<br />
Wer diese religiösen <strong>Die</strong>nste in An -<br />
spruch nimmt, das sind die vielen jü di -<br />
schen Touristen aus der ganzen Welt,<br />
die meisten aus israel. nicholas Han -<br />
nan-Stavroulakis spricht in diesem Zu -<br />
sammenhang von einer „ad hoc-Ge -<br />
meinde“.<br />
Es ist gerade eine Woche her, dass sich<br />
ein Athener Paar in der „Etz Hayyim-<br />
Synagoge“ hat trauen lassen. <strong>Die</strong><br />
nächste jüdische Hochzeit ist bereits<br />
Text & Fotos L. Joseph Heid<br />
terminiert, ein tschechisches Paar hat<br />
sich angemeldet. <strong>Die</strong> beiden haben<br />
nicht einmal griechische Wurzeln, son -<br />
dern waren bei einem Besuch Cha nias<br />
von dem Charme der Synagoge eingefangen.<br />
Rabbiner Nicholas de Lange, in<br />
seinem bürgerlichen Leben Professor<br />
für Jüdische Studien an der Universi tät<br />
von Cambridge, Herausgeber des Bul -<br />
letins für Judeo-Griechische Stu dien<br />
und „semi-resident“ Rabbi in Cha nia,<br />
findet sich ein, um die Trau ung zu<br />
voll ziehen. Er leitet auch die Got tes -<br />
dienste an den Hohen Feier ta gen.<br />
man muss schon in den verwinkelten<br />
Gässchen der Altstat von Chania su -<br />
chen, um die Synagoge zu finden. Vor<br />
dem letzten Krieg, bevor die Deut -<br />
schen kamen, gab es noch ein regelrechtes<br />
jüdisches Viertel mit Geschäf -<br />
ten, einer Schule, Wohnhäuser für die<br />
etwa dreihundert Juden Chanias und<br />
eine aus dem frühen 16. Jahrhundert<br />
stammende Synagoge - die zuvor ei -<br />
ne Kirche gewesen war – und nach<br />
dem sephardischen und portugiesischen<br />
Ritus geführt wird, der hier „Ro -<br />
maniot“ genannt wird. Der Aus druck<br />
„romaniotisch“ bezeichnet da bei grie -<br />
chisch-römische und by zan ti nische<br />
Ju den und deren nachkom men. Zur<br />
Synagoge gehört eine - dank seiner<br />
soliden, durch Tonnen ge wölbe ab ge -<br />
schlossene Konstruktion, glücklicherweise<br />
unbeschadet erhalten ge blie bene<br />
- mikwe. Das „lebendige“ Was ser des<br />
Tauchbades wird aus Berg quellen ge -<br />
speist. <strong>Die</strong> Bezeich nung „le bendiges<br />
Wasser“ ist durchaus wört lich zu nehmen<br />
und die kretischen Juden rechnen<br />
es sich zum Stolz an, über die kälteste<br />
mikwe Europas zu verfügen.<br />
<strong>Die</strong> Einrichtung der Synagoge ist<br />
schlicht, die Bima ist in westlicher, der<br />
Aron Hakodesch, der Thora schrein ist<br />
in östlicher Richtung angeordnet. <strong>Die</strong><br />
Anordnung des Gestühls lässt die<br />
Gottesdienstteilnehmer einander ge -<br />
gen über sitzen, in langen Sitzreihen<br />
46 August 2009 - Aw/Elul 5769
längs des Zentralschiffes.<br />
Zwischen 19.30 und 20 Uhr solle, so<br />
lau tete die information, der Frei tag -<br />
abend-Gottesdienst stattfinden. Bis 20<br />
Uhr hat sich eine kleine Gruppe un ter -<br />
schiedlichen Geschlechts und un ter -<br />
schiedlicher nationalitäten im schat ti -<br />
gen innenhof der Synagoge ein ge fun -<br />
den. Es wird griechisch und englisch<br />
gesprochen, ab und zu einzelne deutsche<br />
Brocken eingeworfen. Es geht<br />
auf 20.30 Uhr zu als sich mit ei nem<br />
mal, wie auf Kommando, weitere Got -<br />
tesdienstbesucher einstellen. Und als<br />
es ans Betreten der Synagoge geht, ist<br />
der Betraum fast vollständig besetzt.<br />
An die vierzig Personen füllen beim Be -<br />
ginn des Kabbalat Schab bat den Bet -<br />
raum – und damit ist die Sy na goge bei -<br />
nahe bis auf den letzten Platz gefüllt.<br />
Als Vorbeter fungiert Nikolas Hannan-<br />
Stavroulakis, er steht vor seinem 77. Ge -<br />
burtstag, stammt aus Chania und lebt<br />
hier. nikos Stavroulakis, wie er sich im<br />
Allgemeinen nennt, ist der „Parnas“,<br />
der Direktor der „Etz Hay yim“-Sy na -<br />
goge in Chania. Einen ei ge nen Rab -<br />
biner kann sich die Ge mein de selbstredend<br />
nicht leisten.<br />
Zum Gottesdienst haben sich Gläu bi -<br />
ge – wohlmöglich unterschiedlicher<br />
Konfession – versammelt. Eine friedliche<br />
Stimmung liegt über dem Raum.<br />
<strong>Die</strong> geöffneten Flügelfenster auf dem<br />
Frauengestühl, das bis zum Zweiten<br />
Weltkrieg benutzt wurde, geben den<br />
Blick frei auf einen Balkon, der inzwischen<br />
die <strong>Gemeinde</strong>bibliothek beherbergt.<br />
Durch die offene Eingangstüre<br />
lassen sich Bouzouki-Klänge aus der<br />
gegenüber liegenden Taverne vernehmen<br />
und man hört, tatsächlich, die<br />
melodie von „Ta Pedia Tou Pirea“ des<br />
populären griechischen Komponisten<br />
Manos Hadjidakis, ein Lied, das in<br />
Deutschland unter dem Titel „Ein<br />
Schiff wird kommen“ ganze Genera -<br />
tio nen beglückt hat. Welch ein Kon -<br />
trast zu „Lecha Dodi“!<br />
nach dem Gottesdienst bleiben die<br />
Gläubigen noch zum Kiddusch beisammen.<br />
nikos Stavroulakis hat wie<br />
stets das Brot selbst gebacken; der<br />
Kiddusch-Becher kreist von Besucher<br />
zu Besucher, die sich einander vorstellen.<br />
Juden und nichtjüdische Gäste<br />
untereinander – israelis, Libanesen,<br />
Deutsche, US-Amerikaner, Griechen<br />
und anderen Ländern, ein internationaler<br />
Austausch.<br />
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
Real existierender Antisemitismus?<br />
„Nein, eigentlich nicht. Wir sind eine<br />
unsichtbare Minderheit, da hat Ant i se -<br />
mitismus keinen ‚Sinn’ und würde sich<br />
allenfalls gegen eine imaginäre Gruppe<br />
richten“, meint Alex Phoun dou lakis.<br />
Auch wenn sich der Antise mitismus<br />
längst vom Juden emanzipiert hat, ent -<br />
spricht es keiner „Lo gik“, Juden -<br />
feindlichkeit ohne Juden an den Tag zu<br />
legen. Das Wach häus chen für einen<br />
Si cher heitsbeamten ist schon seit langer<br />
Zeit nicht mehr besetzt worden<br />
und lehnt verloren an der Hauswand,<br />
ein scheinbares Relikt aus einer vergangenen<br />
Zeit. Vor zwei Jahren gab<br />
es einen antisemitisch motivierten<br />
Zwi schenfall: Auf der Außenmauer der<br />
Synagoge waren eindeutige Schmie -<br />
re reien entdeckt worden, die sich vermeintlich<br />
als „harmlos“ herausstellten.<br />
<strong>Die</strong> Ermittlungen ergaben, dass es sich<br />
bei dem Täter um einen Soldaten der<br />
nato-Basis gehandelt hatte, der zum<br />
Zeitpunkt der Tat sturzbetrunken ge -<br />
we sen war.<br />
<strong>Die</strong> Beziehung zur nichtjüdischen Ge -<br />
meinde Chanias bezeichnet Phoun -<br />
dou lakis als „o.k.“, sie könnten gleich -<br />
wohl besser sein, wenn die Kommu ne<br />
eine finanzielle Unter stüt zung ge -<br />
wäh ren würde. Das kretisch-jüdische<br />
Verhältnis ist, wie auch im übrigen<br />
Griechenland, durch Gleichgültigkeit<br />
gekennzeichnet. Es mangelt der griechischen<br />
Bevölkerung weitgehend an<br />
Verständnis für die besonderen jü -<br />
disch-geschichtlichen Probleme.<br />
<strong>Die</strong> Anfänge jüdischen Lebens auf Kre -<br />
ta liegen im vierten Jahrhundert vor<br />
der Zeitrechnung, in der Zeit Alexan -<br />
der des Großen. <strong>Die</strong> ersten Gemein de -<br />
g ründungen gehen wahrscheinlich<br />
auf Juden aus Palästina zurück, sicher<br />
aber aus Alexandria. Als die Römer<br />
nach Kreta kamen, existierten in einigen<br />
Städten der insel bereits jüdische<br />
<strong>Gemeinde</strong>n. Aus Kissamos stammt die<br />
zweite Ehefrau des Historio gra phen<br />
Josephus Flavius.<br />
<strong>Die</strong> „Etz Hayyim-Synagoge“ war bis<br />
1996 ein stummes Zeugnis der „erfolgreichen<br />
nationalsozialistischen Akt -<br />
io nen“, 97 Prozent der griechischen<br />
Juden zu ermorden. im Jahre 1996 wur -<br />
de mit der Restauration der äußerst<br />
baufälligen Synagoge begonnen. Eine<br />
erste Untersuchung ergab, dass es sich<br />
dabei um eine venezianische Kirche<br />
aus dem späten 15. Jahr hun dert han-<br />
delte, die zu Anfang des 16. Jahr hun -<br />
derts zerstört worden war.<br />
in den ersten zehn Jahren nach der<br />
Deportation der Juden aus Chania<br />
wurde die verlassene Synagoge erst<br />
von „Hausbesetzern“ benutzt und<br />
später dem Verfall preisgegeben. im<br />
Laufe der Jahre fand sie noch Ver wen -<br />
dung als Hühner- und Ziegenstall, als<br />
Hundezwinger und schließlich als<br />
müll halde.<br />
Erst als nach einem schweren Erdbe -<br />
ben im Jahre 1996 das Deckengewölbe<br />
einzustürzen drohte, erwachte das in -<br />
ternationale interesse. mit Hilfe von<br />
Spenden konnte die Synagoge renoviert<br />
und wieder aufgebaut werden.<br />
Geld kam u.a. vom Zentralrat der Jü -<br />
d ischen <strong>Gemeinde</strong>n Griechenlands<br />
und der Ronald S. Lauder-Stiftung.<br />
Eine messingtafel im Synagogenhof<br />
listet weitere Geldgeber namentlich<br />
auf. Seit der neueinweihung im Jahre<br />
2001 hat sie weltweit an interesse ge -<br />
wonnen. Damit ist die wiedererrichtete<br />
Synagoge auch ein trotziges mo -<br />
nu ment für die Verwüstungen und<br />
Entehrungen deutscher Soldateska.<br />
<strong>Die</strong> laufenden Kosten der Synagoge,<br />
die den Status der Gemeinnützigkeit<br />
besitzt, werden ausschließlich durch<br />
Spen den von Privatpersonen und,<br />
haupt sächlich, von ehemaligen zerstreut<br />
lebenden Kreter Juden bestritten.<br />
mit einem Jahresbeitrag von 55<br />
Euro darf man sich zu den „Freunden<br />
der Etz Hayyim-Synagoge“ zählen.<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 47
Eine weitere messingtafel mit 286<br />
namen erinnert an die deportierten<br />
und umgekommenen Holocaust-Op -<br />
fer der <strong>Gemeinde</strong> Chanias. <strong>Die</strong> einst<br />
blühende jüdische <strong>Gemeinde</strong> Kretas,<br />
namentlich in Chania, ist infolge des<br />
Holocaust im Jahre 1944 untergegangen<br />
und damit ist eine 2.400-jährige<br />
Geschichte mit einer spezifischen Tra -<br />
di tion mit einer eigenen Kultur, Riten,<br />
eigener musik, eigenem idiom und vie -<br />
les mehr - scheinbar - verschwunden.<br />
im mai 1941 nahmen die Deutschen,<br />
gleichsam vom Himmel fallend, Kre ta<br />
in Besitz, als Fallschirmjäger, im Ge -<br />
folge SS-Einheiten. Prominentester<br />
der 10.000 deutschen Fallschirmjäger<br />
war Box-Weltstar max Schmeling.<br />
Doch der wollte eigentlich nicht,<br />
schütz te Durchfall vor. Tatsächlich<br />
brach sich Schmeling bei der Landung<br />
auf hartem kretischem Boden den<br />
Knöchel und war für die nazipro pa -<br />
gan da kein Vorzeigesoldat mehr. <strong>Die</strong><br />
insel fiel in deutsche Hand – und die se<br />
richtete Schreckliches unter der Zivil -<br />
be völkerung an. Was für die insel<br />
folgte, waren militärverwaltung, Kol -<br />
laboration, Widerstand, Attentate,<br />
massive Vergeltungsmaßnahmen, Gei -<br />
selnahme, Plünderungen, Erschießun -<br />
gen, Deportationen. <strong>Die</strong> jüdische Be -<br />
völkerung wurde nahezu vollständig<br />
ausgerottet.<br />
Zum Zeitpunkt der deutschen in sel -<br />
besetzung gab es in Chania noch zwei<br />
Synagogen. <strong>Die</strong> eine Synagoge, Beth<br />
Schalom, wurde durch Bombar de ment<br />
der Stadt zerstört, „Etz Hayyim“ war<br />
zunächst noch weiter in Gebrauch.<br />
<strong>Die</strong> Repressalien gegen die kretischen<br />
Juden begannen mit einem Schächt -<br />
ver bot, es folgten die Kennzeichnung<br />
jüdischer Geschäfte und 1943 begannen<br />
die Vorbereitungen zur „Endlö -<br />
sung“. <strong>Die</strong> kretischen Juden wurden<br />
in Chania „konzentriert“. Am 29. mai<br />
1944 wurde das jüdische Viertel abgesperrt,<br />
die Juden aufgefordert, ihre<br />
Häuser zu verlassen und auf die<br />
Straße zu kommen. innerhalb einer<br />
Stunde wurde die gesamte jüdische<br />
<strong>Gemeinde</strong> mit Lastwagen in das nahe<br />
Chania gelegene Gefängnis von Aya<br />
ge schafft. Das Viertel wurde von deut -<br />
schen Soldaten geplündert. Am Abend<br />
war die Synagoge aller ihrer Kunst -<br />
güt er beraubt und geschändet.<br />
nach zweiwöchiger inhaftierung wur -<br />
den die kretischen Juden nach Hera -<br />
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
klion verschleppt und an Bord eines<br />
umgebauten Transportschiffes ge -<br />
bracht, das am 9. Juni 1944 in Rich tung<br />
Athen in See stach. mit an Bord wa -<br />
ren etwa 600 griechische und italienische<br />
Kriegsgefangene. Am frühen mor -<br />
gen des nächsten Tages wurde das<br />
Schiff in der nähe der insel milos von<br />
einem britischen U-Boot gesichtet und<br />
torpediert. Das Schiff sank innerhalb<br />
kürzester Zeit. Es gab keine Überlebenden.<br />
Will man in dem Ertrinken<br />
etwas Tröstliches sehen, dann mag<br />
man sagen, dass den kretischen Juden<br />
das Schicksal der 94 Prozent aller grie -<br />
chischen Juden aus Thessaloniki, Kor -<br />
fu, Rhodos und anderen Städten er -<br />
spart geblieben ist - der Viehwaggon,<br />
eine furchtbare Deportation und das<br />
Gas von Auschwitz.<br />
<strong>Die</strong> „Operation merkur“ kostete auch<br />
vielen deutschen Soldaten das Leben.<br />
4.500 deutsche Soldaten liegen an Kre -<br />
tas nordküste begraben, in maleme.<br />
Als <strong>Gemeinde</strong> ist das kretische Ju den -<br />
tum durch den Holocaust ausgelöscht<br />
– und an innerer Auszehrung. Sieben<br />
Juden leben noch in Chania. Doch auf<br />
merkwürdige Weise setzt sich jüdisches<br />
Leben fort – es existiert durch<br />
Juden aus der ganzen Welt, die im mer<br />
wieder nach Kreta kommen. Juden<br />
heiraten hier, feiern Bar mitzwa und<br />
sorgen mit ihren Spenden dafür, dass<br />
es immer weiter geht und halten so<br />
eine diasporale <strong>Gemeinde</strong> im doppelten<br />
Wortsinn am Leben. melancholie<br />
und ein romantischer Bezug zur pittoresken<br />
Synagoge mag hier eine Rol le<br />
spielen, um an diesem Ort religiöse<br />
Pflichten zu vollziehen.<br />
Daniel Abrams arbeitete im Sommer<br />
2008 als „Volunteer“ in der „Etz Hay -<br />
yim-Synagoge“. Seine Eindrücke gab<br />
er in einem Artikel in der „The Jewish<br />
Voice & Herald of Rhode island“ wieder.<br />
Darin erinnerte er daran, dass er<br />
vier Jahre zuvor dort seine Bar mitz -<br />
wah nach sephardischem Ritus gefei -<br />
ert hatte. Er erlebte nunmehr als freiwilliger<br />
Helfer, so schrieb er, die einzigartige<br />
Aura des Ortes noch einmal<br />
ganz neu, das „spezielle Gefühl“ der<br />
Synagoge, seine Geschichte, die schöp -<br />
ferische Ruhe und das „peaceful feeling“,<br />
das einen näher zu Gott bringe.<br />
Eigenem Selbstverständnis nach wollen<br />
die Verantwortlichen um die Sy na -<br />
goge mehr sein als ein „totes“ muse -<br />
um. neben dem religiösen Ort versteht<br />
sich die „Etz Hayyim-Syna go ge“ zu -<br />
gleich als kultureller Kristallisa tions -<br />
punkt: Konzerte sephardischer mu sik<br />
eines Den Haager Quartetts oder eine<br />
Klezmer-Band aus Polen, Kunstaus -<br />
stellungen sowie interkulturelle Work -<br />
shops locken auch nichtjüdisches Pu -<br />
bli kum an.<br />
Vor dem Synagogeneingang liegt ein<br />
Gästebuch auf. manche Eintragun gen<br />
sind aufschlussreich. <strong>Die</strong> englischamerikanischen<br />
Einträge beziehen<br />
sich zumeist auf die Wiederherstel -<br />
lung der Synagoge, die Dankbarkeit,<br />
diesen „wunderbaren“ Ort wieder<br />
besichtigen zu können, verbunden mit<br />
der Hoffnung und dem Ver sprechen<br />
wiederzukommen, heben darauf ab,<br />
von der besonderen Atmosphäre der<br />
Synagoge eingenommen worden zu<br />
sein.<br />
Da ist unter dem 6. Januar 2009 eines<br />
englisch schreibenden Besuchers zu<br />
lesen: „Mein Großvater war hier als die<br />
Synagoge während des Krieges zerstört<br />
wurde und blieb hier bis zum Ende“. <strong>Die</strong><br />
wenigen deutschen Vermerke bestechen<br />
durch Larmoyanz, lassen Schuld -<br />
gefühle erkennen und vermeinen, man<br />
wundert sich, erstmals in jüdischer<br />
Religion eingeführt worden zu sein.<br />
48 August 2009 - Aw/Elul 5769
Panorama<br />
Kurznachrichten aus der jüdischen Welt<br />
Quelle: JTA/Guysen u.a.; Übersetzung: Karin Fasching/Foto:©JTA u.a.<br />
sohn des „Brückenopfers“ erhält<br />
ehrengoldmedaille der maccabiade<br />
Josh Small, 19, nahm letzten monat an<br />
der 18. maccabiade beim Bowling-<br />
Wettbewerb teil – dieselbe Sportart, in<br />
der sein Vater Greg bei der 15. un glück -<br />
seligen maccabiade 1997 im Wettbe -<br />
werb hätte stehen sollen. Josh Small<br />
verfehlte eine medaille des Wettbe -<br />
werbs kehrte aber dennoch mit einer<br />
Goldmedaille, auf der „Für den Mut den<br />
Traum deines Vaters zu erfüllen, verdienst<br />
du Gold“ eingraviert war, nach Syd -<br />
ney zurück. <strong>Die</strong> Goldme daille, die vom<br />
Vorsitzenden der israelischen Bow ling<br />
Vereinigung und Tur nier direktor ausgelobt<br />
wurde, die gleiche wie für die<br />
Champions jeder Sportart ist, zählt sie<br />
nicht für die offi zielle medaillen lis te.<br />
Jüdisches Kulturzentrum<br />
in rio eröffnet<br />
Verschiedene Regierungsvertreter<br />
nahmen vor kurzem an der Eröff -<br />
nung des midrasch-Kultur-Zentrums<br />
in Rio de Janeiros vornehmen Leblon-<br />
Viertel teil.<br />
Das Zentrum, das eine prächtige Fas sa -<br />
de mit hebräischen Lettern schmückt,<br />
bietet Vorlesungen, Kurse, Diskus si -<br />
onsrunden, Ausstellungen und Kon -<br />
zer te in jüdischer Kultur, Geschichte,<br />
Dichtung und Philosophie.<br />
„Ich hoffe, dass sich Menschen verschiedener<br />
Religionen und auch jene ohne<br />
Religion hier mit der jüdischen Kultur<br />
etwas vertrauter machen können!“, sag te<br />
Sergio Cabral, Rio de Janeiros Gou ver -<br />
neur. „Es ist ein Platz um Tole ranz und<br />
Pluralismus zu fördern“, sagte Rabbi ner<br />
nilton Bonder, der Koordinator und<br />
spirituelle Leiter einer konservativen<br />
Synagoge.<br />
Jordan könnte zu fließen aufhören<br />
Eine Umweltgruppe warnte davor,<br />
dass diesen Sommer der Jordanfluss<br />
zu fließen aufhören könnte. mitglieder<br />
der Freunde der Erde haben im südli -<br />
JÜDISCHE WELT • AUSLAND<br />
chen Teil nur 30 cm Wassertiefe ge -<br />
mes sen und fürchten, dass der Jordan<br />
in einigen monaten gänzlich austrocknen<br />
könnte. Jahre der Dürre und der<br />
übermäßigen Bewässerung haben den<br />
einst mächtigen Fluss zu einem Rinn -<br />
sal verkommen lassen.<br />
neapels jüdische gemeinde hilft<br />
beim wiederaufbau der Kirche<br />
<strong>Die</strong> jüdische <strong>Gemeinde</strong> von neapel<br />
hat einen Fonds zum Wiederaufbau<br />
des Glockenturms einer Kirche nach<br />
dem Erdbeben eingerichtet.<br />
<strong>Die</strong> italienische katholische nach rich -<br />
ten agentur SiR zitierte neapels Rab -<br />
bi ner Pierpaolo Pinhas Punturello, dass<br />
die ser durch einen Pessachseder, der<br />
kurz nach dem Erdbeben im April ab -<br />
gehalten wurde, zu diesem Unter neh -<br />
men zugunsten der Kirche inspiriert<br />
wurde. „Ich war betroffen von den Wor -<br />
ten am Beginn des Seder“, ‚wer immer<br />
hungrig ist, der komme und esse, wer im -<br />
mer in Not ist, der komme und feiere Pes -<br />
sach mit uns“, sagte er.<br />
disney startet einen Kanal in israel<br />
israelische Kinder werden, laut mel -<br />
dun gen, demnächst populäre Dis ney-<br />
Filme in Hebräisch synchronisiert und<br />
auch Originale mit israelischen Schau -<br />
spielern sehen können. Disney-Filme<br />
wie „Hannah monta na“ und „Der<br />
Zauberer vom Waverly Platz“ werden<br />
jetzt im Satelliten fern sehen in<br />
israel mit Untertiteln ausgestrahlt.<br />
Disney war in den letzten Jahren die<br />
Ursache von Streitigkeiten im nahen<br />
Osten. 2007 hat die Hamas eine Figur,<br />
die wie mickey maus ausgesehen hat,<br />
dazu benutzt, Kindern Hass gegen is -<br />
rael zu lehren.<br />
totes meer als finalist im<br />
naturwunder-wettbewerb<br />
Das Tote meer ist einer der 28 Fi na -<br />
listen im internationalen Wettbewerb<br />
der sieben naturwunder der Erde, so<br />
die „Sieben Wunder der Natur-Stif tung”,<br />
die den Bewerb organisiert. Das Tote<br />
meer wird sich neben anderen Teil -<br />
nehmern wie dem Amazonas, den Ga -<br />
la pagos inseln, dem Grand Canyon<br />
und den malediven, bewerben. <strong>Die</strong><br />
Wettbe werbs organisatoren er war ten<br />
mehr als eine milliarde Teil neh mer an<br />
der On line-Abstimmung, die bis 2011<br />
dauern wird.<br />
Der israelische Tourismusminister Stas<br />
Misezhnikov hat verkündet, dass das<br />
Tourismusministerium in den nächs -<br />
ten zwei Jahren eine Kampagne für das<br />
Tote meer über 14 Büros in der ganzen<br />
Welt, auf Webseiten in 11 Spra chen und<br />
auf marketing-Aktivitäten ausgerichtet,<br />
führen wird. im Rah men dieser<br />
Kampagne wird das minis terium die<br />
einzigartigen Charak teristika des To ten<br />
meeres betonen und den Touris mus<br />
dieser Region fördern.<br />
Pestizidverwendung könnte ab -<br />
erkennung von Kaschrut bewirken<br />
israels Oberrabbiner will die Ko scher -<br />
zertifikate von Frucht- und Gemüse -<br />
bau ern, die zu viele Pestizide verwenden,<br />
nicht bewilligen. Rabbiner Yona<br />
Metzger wird sich mit dem Kaschrut -<br />
komitee des Oberrabinats treffen, um<br />
das Wasser zu testen. Wenn das Ko -<br />
mi tee die initiative autorisiert, heißt<br />
das, dass aus Gründen, die nicht direkt<br />
mit den Gesetzen der Kaschrut zu -<br />
sam menhängen, ein Ko scherzertifikat<br />
vorenthalten werden kann.<br />
Um insektenfreies Obst und Gemüse<br />
an bieten zu können, was eine höheren<br />
Ebene der Kaschrut bedeutet, weil in -<br />
sekten nicht koscher sind, verwenden<br />
viele Produzenten große mengen von<br />
insektiziden anstatt andere Anbau me -<br />
thoden zu praktizieren. metzger sagte,<br />
dass die Spritzmittel anwen dung<br />
even tuelle gesundheitliche Folgen zu<br />
einer „rein halachischen Überlegung“<br />
machen würden. „Solche Früchte gefähr -<br />
den diejenigen, die sie verzehren. Man kann<br />
Kaschrut nicht für Gift bewilligen“.<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 49
KULTUR<br />
Von gebogenen<br />
Nasen und<br />
anderen<br />
Vorurteilen<br />
<strong>Die</strong> Ausstellung „typisch! Klischees von<br />
Juden und Anderen“ entlässt den Be su -<br />
cher vor allem mit einer Frage: Wel che<br />
Vor urteile und Stereotype be stim men<br />
mein eigenes Denken? Hier geht es nicht<br />
um die Vermittlung lexikalischen Wis -<br />
sens. Im Vordergrund steht vielmehr,<br />
dem Besucher Impulse zu geben, hergebrachte<br />
(Menschen-)Bilder zu hinterfragen.<br />
Mit jeder Menge Überraschungsmomenten<br />
und subversiven Antworten<br />
Betroffener. Lassen Sie sich ein auf dieses<br />
Abenteuer im Kopf.<br />
Von Alexia Weiss<br />
Raum eins dieser Ausstellung empfängt<br />
den Besucher mit dem „Bücher<br />
Nörgeli“. <strong>Die</strong> in den 1990-er Jahren<br />
vom Cartoonisten Gerd Bauer ge -<br />
schaffene Buchstützen-Quietschfigur<br />
in Gestalt des prominenten Literatur -<br />
kri tikers marcel Reich-Ranicki arbeitet<br />
mit den mitteln der Karikatur. im<br />
Zentrum: eine gigantisch dimensionierte<br />
nase. An der Wand daneben: ei -<br />
ne Skulpturen-installation von Den nis<br />
Kardon, ebenfalls mitte der neunziger<br />
Jahre entstanden. Zu sehen: „49 Je wish<br />
Noses“. Sind es 49 krumme nasen?<br />
mit nichten. Große und kleine Exem -<br />
pla re finden sich darunter, gerade<br />
und etwas gebogene, stupsige und<br />
breite. Eine nase beherrscht auch das<br />
dritte Objekt dieser ersten Aus stel -<br />
lungs-Station: Rudolf Belling porträtierte<br />
um 1927 den deutschen Kunst -<br />
händler Alfred Flechtheim (1878-<br />
1937), der bis 1933 unter anderen Pa -<br />
blo Picasso und Georges Braques vertrat,<br />
und zwar dreidimensional mit<br />
einer Bronze-Skulptur. Zu sehen: die<br />
charakteristische nase Flechtheims.<br />
Auf eine weitere Ausgestaltung des<br />
Gesichts hat der Künstler verzichtet.<br />
Welche der drei Darstellungen ist an ti -<br />
semitisch? Welche folgt althergebrachten<br />
Klischees, welche bricht diese auf,<br />
KULTUR • INLAND<br />
spielt mit ihnen? Der „Bücher nör ge li“<br />
erinnerte bei seiner Präsentation so<br />
manchen an die Ästhetik von „Stür -<br />
mer“-Karikaturen. Doch Reich-Ranic ki<br />
selbst habe auf die Frage, ob er die Fi -<br />
gur als diskriminierend empfinde,<br />
geantwortet, „Was wollen Sie, so schauen<br />
Ostjuden nun mal aus“, sagt Aus stel -<br />
lungs-Kuratorin Felicitas Hei mann-Je li -<br />
nek im Gespräch mit „<strong>Die</strong> Ge mein de“.<br />
ihr geht es bei dieser Schau vor allem<br />
um eines: „Das eigene Schauen zu hin -<br />
terfragen“. Welche festgefahrenen Bil -<br />
der im Kopf bringe ich bereits beim<br />
Be trachten eines Gegenstandes mit?<br />
Wie wirken sich diese auf meine Ein -<br />
ord nung des Gesehenen aus? Wer de -<br />
fi niert, wie ein Gegenstand zu bewerten<br />
ist? Als Beispiel nennt Heimann<br />
hier die Objekte aus der so genannten<br />
An tisemitika-Sammlung martin<br />
Schlaffs, die sich heute im Jüdischen<br />
museum befindet. nicht bei allen<br />
Objekten sei nachvollziehbar, warum<br />
diese als antisemitisch einzustufen<br />
seien. „Wer hat sie also als antisemitisch<br />
definiert? Und warum?“<br />
Viele der in der Schau gezeigten nip -<br />
pes stammen aus der Sammlung<br />
Schlaff. So auch eine zierliche Por zellanfigur<br />
einer Frau in blauem Kleid.<br />
Wenn Hannah Landsmann, die für die<br />
Vermittlungsarbeit des Jüdischen mu -<br />
seums verantwortlich zeichnet, Grup -<br />
pen durch die Schau führt, bittet sie<br />
die Besucher, die Figur – sie wird in<br />
dem Raum gemeinsam mit zwei weiteren<br />
Objekten unter dem Titel „<strong>Die</strong><br />
schöne Jüdin“ gezeigt - zu beschreiben.<br />
„Dann sagen die Leute: sie hat eine große<br />
Nase. Und: sie hat eine Pe rücke. Und ich<br />
sage dann: es ist eine sehr kleine Figur<br />
und auch die Nase ist klein.“ Woher<br />
kommt also der Eindruck, es handle<br />
sich um eine große nase? „<strong>Die</strong> Leute<br />
denken, das passt hierher, und das sehen<br />
sie dann“, meint Landsmann. Würde<br />
man das Objekt im Rahmen einer Bie -<br />
dermeier-Ausstellung zeigen, würde<br />
wohl niemand die nase thematisieren.<br />
Heimann-Jelinek, die diese Ausstel -<br />
lung gemeinsam mit Cilly Kugelmann<br />
vom Jüdischen museum Berlin, wo<br />
die Schau bereits 2008 zu sehen war,<br />
konzipiert hat, präsentiert jedes The -<br />
ma in Form eines Tryptichons. Ein<br />
Objekt aus der Hochkultur wird mit<br />
einem populärkulturellen Objekt und<br />
einer subversiven Auseinanderset -<br />
zung mit dem Thema durch einen<br />
Ver treter der betroffenen Gruppe in<br />
Verbindung gebracht. Ein Beispiel für<br />
solch einen subversiven Umgang: die<br />
australische Punk-Rock-Band Yidco re.<br />
im Jüdischen museum ist das Video<br />
zum Song „if i were a rich man“ zu<br />
sehen und zu hören – eine 2006 veröffentlichte<br />
lautstarke Persiflage auf<br />
das musical „Tewje, der milchmann“.<br />
Yidcore verspottet darin das Klischee<br />
des geldgierigen Juden und nimmt<br />
gleichzeitig die Vorstellung vom „au -<br />
then tischen Juden aus dem Osten“<br />
aufs Korn.<br />
Wie bereits der Titel der Ausstellung<br />
verrät, thematisiert die Schau nicht nur<br />
Antisemitismus. Auch das frühere<br />
und heutige Bild vom islam wird hin -<br />
ter fragt. Vielen ein Begriff: das 1904<br />
erstmals veröffentlichte Kinderbuch<br />
„Hatschi Bratschi Luftballon“. im<br />
Zentrum der Handlung steht ein bö -<br />
ser türkischer Zauberer, der brave<br />
christliche Kinder entführt und in Ge -<br />
fahr bringt. Heimann hat dieses Buch<br />
in einem Tryptichon mit einer Bron -<br />
ze figur eines Sklavenhändlers (Ent -<br />
wurf von Franz Xaver Bergmann, der<br />
von 1861 bis 1936 lebte, dessen Kre a -<br />
ti onen aber bis heute produziert werden)<br />
und einer Fotoarbeit der iranischen<br />
Künstlerin Shirin Neshat von<br />
1994 arrangiert. <strong>Die</strong> Aufnahme zeigt<br />
eine Frau im Tschador, die eine Waffe<br />
trägt und deren Gesicht mit arabischer<br />
Schrift bemalt wurde. Vermittlerin<br />
Landsmann will auch hier von den<br />
Besuchern gerne wissen, was sie se -<br />
hen. „Etwas aus dem Koran“, sei dann<br />
die gängige Antwort. Tatsächlich<br />
handle es sich aber bei der verwendeten<br />
Textpassage um ein Gedicht.<br />
Andere Stationen befassen sich mit der<br />
Rolle, den die Kolonialherren einst<br />
„den Wilden“ zugeschrieben haben,<br />
50 August 2009 - Aw/Elul 5769
aber auch mit der „dienenden Funk -<br />
tion“ von menschen mit schwarzer<br />
Hautfarbe, wie sie bis vor nicht allzu<br />
langer Zeit beispielsweise in der Wer -<br />
bung immer wieder aufgegriffen wur -<br />
de. Und es wird auch das Selbstbild<br />
von Afroamerikanern hinterfragt –<br />
traurig aktuell: das identitätsproblem<br />
des US-Popmusikers michael Jack son.<br />
in der Schau zu sehen: eine Fotografie<br />
von 2002, welche die Zerbrechlichkeit<br />
der nase, das nichtzusammenpassen<br />
zwischen Bartstoppeln und rot ge -<br />
schmink tem mund, das Tragen einer<br />
Perücke, die in dem nunmehr weißen<br />
Gesicht tragisch anmutenden, großen,<br />
dunklen Augen dokumentiert.<br />
Dazu Heimann-Jelinek: der 1958 ge -<br />
borene (und kürzlich verstorbene)<br />
Jackson habe noch zehn Jahre Apart -<br />
heidsgesetz in den USA erlebt und<br />
auch danach werde sich nicht von ei -<br />
nem Tag auf den anderen alles verändert<br />
haben. Bis heute sei eine Gleich -<br />
stel lung nicht erreicht, konstatiert die<br />
Kuratorin. Sichtbar werde das eben<br />
u.a. durch das Streben, sich – mehr<br />
oder weniger radikal – der weißen<br />
mehrheitsbevölkerung anzugleichen.<br />
„Farbige Frauen schminken sich wie eu -<br />
ropäische Frauen, nehmen Sie nur Nao mi<br />
Campbell.“ Und: sehr en vogue sei es,<br />
sich die Haare zu glätten. Ein anderes<br />
Beispiel kommt aus Japan. Dort würden<br />
in Zeichentrickserien die Figuren<br />
gerne mit großen, runden Augen ge -<br />
staltet. Auch dem Fremd- und Ei gen -<br />
bild von Japanern ist in dieser Schau<br />
übrigens eine Station gewidmet,<br />
ebenso wie den „echten indianern“.<br />
© David Peters<br />
Keramik-Spardose<br />
(England, ca. 1870)<br />
Jüdisches Museum<br />
<strong>Wien</strong>, Sammlung<br />
Schlaff<br />
KULTUR • INLAND<br />
Wenn Hannah Landsmann Schüler -<br />
gruppen durch die Ausstellung führt,<br />
kombiniert sie das gerne mit eigens<br />
zu dieser Schau konzipierten Spielen.<br />
„in sieben Zimmern um die Welt“<br />
nennt sich eines, das die Vermittlerin<br />
für Elf- bis 14-Jährige entworfen hat.<br />
im mittelpunkt stehen fiktive Jugend -<br />
treffen an sieben Orten auf der Welt.<br />
in kleinen Gruppen sollen die Ju gend -<br />
lichen ein für den jeweiligen Ort typisches<br />
Hotelzimmer entwerfen – mit<br />
Ob jekten aus der Ausstellung. Darf<br />
da bei der Kimono aus der Oper „ma -<br />
dame Butterfly“ in das typisch is ra e li -<br />
sche Hotelzimmer? „Sicher, wenn beispielsweise<br />
der Hotelbesitzer Japan-Fan ist,<br />
daher stammt oder ein Faible für Oper<br />
hat“, antwortet Landsmann. So können<br />
von den Schülern Stereotype und<br />
Vorurteile eingebracht und im selben<br />
Zug hinterfragt werden.<br />
An Jugendliche ab 14 Jahren wendet<br />
sich das Programm „mixmax – Ver -<br />
mischte identität(en)“. Herr mum -<br />
bum ba stammt aus nigeria, ist erfolgreicher<br />
Banker und leidenschaftlicher<br />
Bergsteiger. Und Herr mumbumba ist<br />
eine fiktive Person. Jugendliche sollen<br />
nun zuerst die Biografie für Herrn<br />
mumbumba, Frau Yakimoto, Herrn<br />
Sedlacek oder andere Figuren entwerfen<br />
und dann die Ausstellung aus der<br />
Perspektive dieser Phantasie-Ge stalt<br />
betrachten. Wie beurteilt etwa Herr<br />
mumbumba den Teil der Schau, der<br />
sich mit der „inszenierung des Wil -<br />
den“ befasst? Findet er ihn furchtbar<br />
oder sehenswert?<br />
Oft drückt Landsmann den Schülern<br />
aber auch zu Beginn der Führung Kärt -<br />
chen mit einem Begriff in die Hand.<br />
„typisch! Banane“ oder „typisch! Bar -<br />
bie“ oder eben „typisch! michael Jack -<br />
son“ ist auf diesen Karten zu lesen.<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen suchen dann zu -<br />
nächst die zu dem Begriff passende<br />
Station, schauen sich diese an und<br />
erzählen dann ihre Überlegungen zu<br />
den gezeigten drei Objekten der ge -<br />
sam ten Gruppe. Fragen von Lands -<br />
mann regen neue Gedankenwege an.<br />
<strong>Die</strong> Vermittlerin freut sich besonders<br />
darüber, dass auch viele Be rufsschul -<br />
lehrer mit ihren Klassen für diese<br />
Ausstellung den Weg ins museum<br />
finden. Ein besonders anerkennendes<br />
Fazit eines Berufsschülers nach dem<br />
Be such der Schau hat sie noch im<br />
Ohr: „Eigentlich war das ein ziemlich<br />
chilliges Erlebnis.“ „Das hat mehr Wert,<br />
als wenn ich ihnen drei Stunden erzähle,<br />
was sie nicht sagen dürfen.“ Hier geht<br />
es eben um Bewusstseinser weite rung.<br />
<strong>Die</strong> Zeigefinger-Pädagogik hat ausgedient.<br />
„typisch! Klischees<br />
vonJuden und Anderen“<br />
Im Jüdischen Museum <strong>Wien</strong> (Do ro the -<br />
ergasse 11, 1010 <strong>Wien</strong>) noch zu sehen bis<br />
11. Oktober 2009, jeweils Sonntag bis<br />
Freitag zwischen 10.00 Uhr und 18.00 Uhr.<br />
Führungen und Programme können un ter<br />
01-5350431-311 bzw. -312 oder unter kids.<br />
school@jmw.at gebucht werden. Eine kos -<br />
tenlose deutschsprachige Führung wird<br />
jeden Sonntag um 15.00 Uhr angeboten.<br />
www.jmw.at<br />
Großes Ehrenzeichen der Republik für Anne Frank-Helferin Miep Gies<br />
<strong>Die</strong> Anne Frank-Helferin und Bewahrerin ihres Tagebuches, Miep Gies, hat das Große Eh ren -<br />
zeichen für Verdienste um die Republik Österreich erhalten. <strong>Die</strong> heute 100-jährige hat nicht<br />
nur acht in Amsterdam Untergetauchten - unter ihnen Anne Frank - zwischen 1942 und<br />
1944 geholfen, sie hat das wohl berühmteste Tagebuch für die Nachwelt gerettet.<br />
Es ist zum Großteil das Verdienst der 1909 in <strong>Wien</strong> als Hermine Santrouschitz geborenen<br />
heu tigen Niederländerin Miep Gies, dass viele Hunderte von Millionen Menschen mit der<br />
Geschichte der Anne Frank vertraut sind - dafür und für die gewährte Hilfeleistung an der<br />
jüdischen Familie Frank und anderer Bewohner eines Verstecks in einem Hinterhaus in<br />
Am sterdam hat Miep Gies das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich<br />
vom österreichischen Botschafter in den Niederlanden, Wolfgang Paul, überreicht<br />
bekommen.<br />
Um dem kollektiven Vergessen entgegen zu wirken, hat Miep Gies seit den sechziger Jah -<br />
ren des vergangenen Jahrhunderts in Schulen (sie war auch Gast der ZPC-Schule in WIen)<br />
und den Medien von den Geschehnissen im Hinterhaus gesprochen, 1987 erschienen ihre<br />
Erinnerungen in Buchform. Gies ist die einzige noch lebende, die Anne Frank persönlich<br />
kannte.<br />
Das Ta gebuch der Anne Frank ist in das Weltdokumentenerbe der UNESCO (UNESCO<br />
Memory of the World Register) aufgenommen worden.<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 51
In Ihrem Roman „Spaltkopf“ emigriert<br />
eine jüdische Familie in den siebziger Jah -<br />
ren nach <strong>Wien</strong>. <strong>Die</strong> Großmutter, eine<br />
Kunst historikerin, ist dabei in den Ka tho li -<br />
zismus gekippt. Der Vater ist Maler und<br />
verstirbt viel zu früh bei einem Besuch in<br />
der alten Heimat Leningrad. In <strong>Wien</strong> ver -<br />
bleiben Großmutter, Mutter, die Erzäh le -<br />
rin, eine jüngere Schwester. Wie autobiografisch<br />
beziehungsweise wie fiktiv ist der<br />
Roman?<br />
Der Beginn ist sehr autobiographisch,<br />
dann gibt es irgendwo eine Abzwei -<br />
gung, wo vieles nicht mehr übereinstimmt.<br />
Es ist wie ein Teppich, für den<br />
man ein Grundmuster hat, ihn dann<br />
aber weiter gestaltet. Es ist also weder<br />
alles real noch alles fiktiv. Der mann<br />
etwa, den mischka schließlich heiratet,<br />
ist im Buch ganz anders geschildert<br />
als der Vater meiner Tochter. Hier<br />
gibt es keine Übereinstimmung, auch<br />
wenn beide Verbindungen schließlich<br />
gescheitert sind.<br />
Wie haben Ihre nächsten Verwandten – vor<br />
allem Ihre Mutter, Ihre Schwester –<br />
„Spaltkopf“ aufgenommen?<br />
meine mutter hat eigentlich fast am<br />
ent spanntesten und begeistertsten<br />
von allen nahen Verwandten reagiert,<br />
meine Schwester hat das Buch zwar<br />
als erste erworben, hat es aber, glaube<br />
ich, immer noch nicht gelesen. ich<br />
fürchte, sie wartet auf die Verfilmung.<br />
Sie sind 1970 geboren und 1977 nach <strong>Wien</strong><br />
gekommen. Haben Sie tatsächlich noch<br />
aktive Erinnerungen an Leningrad/St.<br />
Pe terburg aus Ihrer Kindheit?<br />
Sicherlich. Teile dieser teilweise sogar<br />
sehr lebendig-bunten Erinnerungen<br />
sind auch ins Buch eingeflossen.<br />
Wie haben Sie als Kind das Ankommen in<br />
<strong>Wien</strong> erlebt?<br />
Überwältigend, reizvoll - vor allem<br />
das marmorklo am Flughafen, in dem<br />
ich mich allerdings übergeben muss te,<br />
KULTUR • INLAND<br />
„Sprache war immer<br />
mein Revier“<br />
Julya Rabinowich wanderte als Sieben jäh rige mit ihrer<br />
Familie aus der Sowjet union aus und wuchs in <strong>Wien</strong><br />
auf. „<strong>Die</strong> <strong>Gemeinde</strong>“ sprach mit der Schriftstel le rin,<br />
Übersetzerin und Malerin über ihr Ro mandebüt,<br />
Integration und ihr Judentum.<br />
VON ALEXIA WEISS<br />
und der Kaugummiautomat auf der<br />
Alserbachstraße.<br />
Wie haben Sie die ersten Monate in der<br />
Volksschule erlebt?<br />
ich hatte eine wunderbare Lehrerin.<br />
Und es ist mir ein Anliegen, immer,<br />
wenn ich nach meiner Schulzeit ge -<br />
fragt werde, darauf hinzuweisen, denn<br />
nur mit so engagierten Lehrern haben<br />
Kinder, die erst hier Deutsch erlernen,<br />
wirklich eine Chance.<br />
Wie lange hat es gebraucht, bis Sie sich flüs -<br />
sig mündlich verständigen konnten, wie<br />
lange, bis Sie fehlerfrei Deutsch schreiben<br />
konnten?<br />
<strong>Die</strong> ersten monate war ich natürlich<br />
mit Schweigen gestraft, bis zu einem<br />
von meinen Eltern erzwungenen Ferienheimaufenthalt,<br />
der mich zu in ten -<br />
siver Zeichensprache gezwungen hat,<br />
die allmählich in nur Sprache übergegangen<br />
ist. <strong>Die</strong> Hälfte der Zeit saß ich<br />
allerdings weinend oder fressend bei<br />
der Heimköchin in der Küche. Dann<br />
wieder würde ich sagen, es hat ungefähr<br />
bis zur zweiten Klasse mittel schu -<br />
le gedauert, fast bis zur dritten, da war<br />
ich dann allerdings Klassenbeste. Dabei<br />
ist es dann geblieben.<br />
Derzeit wird ja öffentlich heftig über das<br />
Ni veau öffentlicher Schulen diskutiert,<br />
über Klassen, die zu mehr als der Hälfte aus<br />
Kindern bestehen, deren Muttersprache<br />
nicht Deutsch ist. Sie selbst haben Deutsch<br />
erst hier in der Schule erlernt und kürzlich<br />
den re nommierten Rauriser Literatur -<br />
preis gewon nen. Sie arbeiten heute aber<br />
auch in der Flüchtlingsbetreuung. Wie<br />
sieht Ihre Position in dieser Debatte aus?<br />
Alles steht und fällt mit der richtigen<br />
Betreuung. Schlechte oder nicht wohl -<br />
gesinnte Deutschlehrerinnen haben<br />
auf Schüler mit einer anderen mutter -<br />
sprache einen verheerenden Einfluss.<br />
Wie beurteilen Sie die Chancen von Kin -<br />
dern, die heute ohne Deutsch kennt nisse<br />
hier mit dem Schulbesuch beginnen?<br />
Schwierig zu sagen. Es ist auf alle Fäl le<br />
eine große Herausforderung an Schü -<br />
ler und Lehrer. Einerseits eine Chan ce,<br />
falls dieses Thema bis Schulbeginn<br />
ver nachlässigt worden ist, andererseits<br />
sehr verunsichernd und doppelt<br />
belastend. Zum reibungslosen Schul -<br />
besuch und auch für die weitere<br />
Karriere ist Deutsch absolut unentbehrlich.<br />
Abgesehen davon: es ist<br />
furchtbar, sich nicht so ausdrücken zu<br />
können, wie man möchte, es ist eine<br />
ähnlich heftige Erfahrung wie die Un -<br />
fähigkeit, seine Gefühle vermitteln zu<br />
können.<br />
Welche zusätzliche Bürde wird diesen<br />
Kin dern oft auferlegt?<br />
Oft sind die Kinder die einzigen, die<br />
die neue Sprache beherrschen. Sie<br />
werden dann bei jeder Gelegenheit<br />
von den Eltern als Übersetzer herangezogen.<br />
Damit werden diese Kinder<br />
viel früher erwachsen als andere, sie<br />
werden ins frühe Erwachsen-Werden<br />
hineingezwungen. manchmal führt<br />
das zu einer neurotisierung der Kin -<br />
der. Vielfach führt es zu einer Un -<br />
gleich gewichtung im Familiensystem<br />
– darauf wiederum können die Eltern<br />
neurotisch reagieren.<br />
Sie selbst haben die Integration gut ge -<br />
schafft, jedenfalls von außen betrachtet.<br />
Empfinden Sie das auch so?<br />
Keine Ahnung, das war für mich kein<br />
bewusst angepeiltes Ziel. ich wollte<br />
glücklich sein. Das ist alles. So be trach -<br />
tet, ist es mir immer noch nicht ganz<br />
gelungen.<br />
Was ist aus ihrer Sicht nötig, um überhaupt<br />
von gelungener Integration sprechen zu<br />
können?<br />
Das Gefühl, angekommen zu sein und<br />
dabei auch angenommen worden zu<br />
sein.<br />
Gehört zur Integration auch die Verleug -<br />
nung der Herkunftskultur?<br />
nein, solange die Herkunftskultur<br />
nicht der neuen identität gewaltig im<br />
Weg steht. Auch dann würde ich nicht<br />
die Verleugnung, sondern die modifi -<br />
ka tion sinnvoll finden.<br />
Sie haben nach der Schule Dolmetsch stu -<br />
diert (Russisch und Englisch). Haben Sie<br />
Russisch aus einem Zurück-zu-den Wur -<br />
zeln-Impuls gewählt?<br />
52 August 2009 - Aw/Elul 5769
nein, ich konnte es einfach nur gut. Es<br />
war eine pragmatische Wahl.<br />
Was wollten Sie ursprünglich nach dem<br />
Dolmetsch-Studium beruflich machen?<br />
ich habe schon als Jugendliche die<br />
Schriften meines Vaters und meiner<br />
Großmutter aus dem Russischen ins<br />
Deutsche übersetzt. Das hat mir Spaß<br />
gemacht. mein Ziel war es, Literatur -<br />
dol metsch zu werden.<br />
Gegen Endes des Studiums begannen Sie<br />
dann allerdings mit der Absolvierung des<br />
Psychotherapie-Propädeutikums. Hatten<br />
Sie vor, als Therapeutin zu arbeiten?<br />
Ja, zwei Jahre lang. Dann habe ich ein -<br />
gesehen, dass ich nicht genug Ab stand<br />
halten könnte, zumindest nicht den,<br />
der für mich selbst und für die Klien -<br />
ten gesund wäre. Das Schreiben gibt<br />
im mer noch viele möglichkeiten, im<br />
innersten herumzuwühlen, allerdings<br />
ohne die Verantwortung dafür zu über -<br />
nehmen. Außerordentlich prak tisch.<br />
Parallel dazu begannen Sie auch Ihr Ma -<br />
le reistudium an der Angewandten (Klas se<br />
Rabinowich‘ Debütroman Spaltkopf<br />
KULTUR • INLAND<br />
Christian Ludwig Attersee). Warum er -<br />
folg te diese Kehrtwende?<br />
mein Vater hat gemalt, meine mutter<br />
hat gemalt. ich hatte immer das Ge -<br />
fühl, in dieser Familie eine diplomierte<br />
malerin sein zu müssen.<br />
Wie würden Sie ihre bildnerischen Arbei -<br />
ten beschreiben?<br />
mein Vater arbeitete sehr großflächig<br />
und meist in schwarz-weiß, meine<br />
mutter macht Stilleben. Das fiel für<br />
mich also weg. ich habe begonnen,<br />
sehr farbig zu arbeiten, sehr fleischig,<br />
sehr körperlich. Wenn Sie so wollen:<br />
meine Bilder sind geprägt von einer<br />
unschönen Sinnlichkeit.<br />
Nun schreiben Sie Prosa und Dramen.<br />
Wa rum haben Sie sich von der Malerei<br />
wie der weg- und zur Sprache hinbewegt?<br />
Sprache war immer mein Revier. Da<br />
gibt es keine Vergleiche innerhalb der<br />
Familie.<br />
In „Spaltkopf“ wird auch die jüdische<br />
Herkunft der nach <strong>Wien</strong> emigrierten Fa -<br />
milie thematisiert, die Ablehnung, auf die<br />
Julya Rabinowich lässt in ihrem Debütroman „Spaltkopf“ die siebenjährige Mischka<br />
aus Leningrad abreisen und im siebziger-Jahre-<strong>Wien</strong> ankommen. Wenn man die<br />
Biografie der Autorin mit jener ihrer Protagonistin vergleicht, vermischt sich viel.<br />
Dennoch, betont Ra bi nowich, wird der Leser, wenn er „Spaltkopf“ liest, nicht eins zu<br />
eins das Leben der Autorin vor sich ausgebreitet finden.<br />
Mischkas Eltern sind jüdische Künstler, Intellektuelle. Was in der Sowjetunion verboten<br />
war, wird auch in <strong>Wien</strong> nicht wiederbelebt. Man bekennt sich zum Jüdisch-Sein,<br />
ohne es zu leben. Etwas anders sieht das bei Mischkas Großmutter aus: sie änderte in<br />
der UdSSR ihren Vornamen von Rahel in Ada, ihren Familiennamen von Israilowna in<br />
Igorowna, wandte sich dem Katholizismus zu. Nur so schien ihr im Kommunismus<br />
eine Karriere als Wissenschafterin möglich. Doch auch in <strong>Wien</strong> sammelt sie Ikonen um<br />
sich, besucht re gel mäßig den Stephansdom.<br />
Zwischen diesen und weiteren Welten wächst Mischka auf. Der Alltag in einer öffentlichen<br />
ös terreichischen Schule trifft auf die häusliche, intellektuelle Atmosphäre. Wenn<br />
sich der Vater in sein Atelier zurückzieht, haben Mutter und Großmutter das Sagen,<br />
bald kommt eine kleine Schwester hinzu. Mischka schlägt sich gut in der Außenwelt<br />
und schlecht inner halb der Familie. Als Jugendliche wird sie zur Rebellin, steigt in die<br />
Punkszene der achtziger Jahre ein.<br />
Begleitet wird Mischka vom Spaltkopf, einer Schöpfung der Autorin, die jedoch als russische<br />
Tradition präsentiert wird. Mit dem Spaltkopf werden kleine Kinder in Zaum<br />
gehalten und auch Heranwachsenden ist er nicht egal. Wer den Spaltkopf sehen kann,<br />
so scheint es, hat sein Leben im Griff. Wird Mischka dem Spaltkopf jemals begegnen?<br />
Der Roman zeigt am Beispiel Mischkas, wie sich Emigration und Heimat-Verlust aus<br />
Sicht eines Kindes anfühlen, aber auch, wie Integration funktionieren kann. Neues<br />
Spiel, neues Glück. Mischka hat ihres gemeistert. Ihr dabei zuzuschauen, ist pures<br />
Lesevergnügen.<br />
Julya Rabinowich<br />
Spaltkopf0<br />
Roman<br />
edition exil • ISBN 978 3 901899 33 1<br />
Zu beziehen über: www.editionexil.at<br />
die Familie in Leningrad auf Grund der<br />
jü dischen Herkunft stieß, das Ablegen der<br />
jüdischen Identität der Großmutter. Wie<br />
sehr spiegelt die im Buch beschriebene Hal -<br />
tung die tatsächliche religiöse Situation<br />
ihrer Familie wider? Wie wurde Religion<br />
hier in <strong>Wien</strong> in der Familie gehandhabt?<br />
Religion wurde hier in <strong>Wien</strong> genauso<br />
gehandhabt wie in der Sowjetunion:<br />
sie fand nicht statt.<br />
Wann und wie haben Sie erfahren, dass<br />
Sie Jüdin sind?<br />
irgendwann in Russland, sicher be vor<br />
ich sechs Jahre alt war. ich muss<br />
wahrscheinlich vier oder fünf gewesen<br />
sein, und meine Eltern haben sich über<br />
die Freunde der Familie unterhalten,<br />
dabei ist das Wort „Jude“ gefallen,<br />
und ich rückte mit der netten Frage<br />
an, die auch im Buch vorkommt.<br />
Haben Sie in der Schule einen Religio ns -<br />
un terricht besucht und wenn ja, welchen?<br />
Den katholischen. Da bin ich aber auch<br />
relativ schnell geflohen.<br />
Was bedeutet das Judentum für Sie?<br />
ich fühle mich zugehörig – interessanterweise<br />
vor allem dann, wenn je -<br />
mand auf Grund seines Judentums in<br />
Bedrängnis gerät. Auch in meinen Arbeiten<br />
spielt das Thema immer wieder<br />
eine Rolle, etwa in „Orpheus im<br />
nestroyhof“. Und auch in einem neu -<br />
en Stück, an dem ich gerade ar beite,<br />
wird das Jüdischsein thematisiert.<br />
Gibt es jüdische Feste, die Sie feiern?<br />
Leider nein. ich habe ja keine kennengelernt.<br />
Haben Sie jemals ein Interesse verspürt,<br />
sich religiöses Wissen beziehungsweise<br />
Wis sen, wie und warum Feste wie Rosch<br />
HaSchana oder Pessach gefeiert werden,<br />
anzueignen?<br />
Bis jetzt nicht. ich schließe aber nicht<br />
aus, dass es noch passieren wird.<br />
Sie sind Mutter einer 13-jährigen Tochter.<br />
Was geben Sie Ihr in Bezug auf Religion<br />
weiter?<br />
ich denke, sie soll frei darüber ent -<br />
schei den können, welche Religions form<br />
ihr am geeignetsten erscheinen wird.<br />
Solange sie sich wohl fühlt und sich<br />
in ihrer Form Kraft holen kann, ohne<br />
andere zu verurteilen, zu schädigen<br />
oder auszugrenzen, ist mir eigentlich<br />
alles recht. im moment halten wir bei<br />
einer Art naturverehrung. -><br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 53
-> Was ist Ihnen abgesehen von Religion<br />
für Ihr Kind wichtig, welche Werte wollen<br />
Sie Ihrer Tochter vermitteln?<br />
Sich zu vertrauen, keine Angst zu ha -<br />
ben, aber auch nicht überheblich zu<br />
werden, eine Art ruhiger Gewissheit,<br />
ihren Wert zu kennen und sich und<br />
anderen vertrauen zu können. Gren -<br />
zen setzen, wenn es erforderlich ist.<br />
Und das Wissen, alles werden zu<br />
können, was sie möchte.<br />
Wie in „Spaltkopf“ zu lesen ist, hatten Sie<br />
eine rebellische Jugend, lebten eine Zeit<br />
lang als Punk. Was ist davon geblieben?<br />
nun ja. in hierarchischen Situationen<br />
reitet mich ab und zu der Teufel …<br />
Hoffen oder fürchten Sie, dass Ihr Kind<br />
ebenfalls rebellieren wird?<br />
Hmmm. Wenn sie gegen mich rebellieren<br />
wollte, müsste sie vermutlich<br />
sehr konservativ werden. Wir werden<br />
sehen, alles ist möglich.<br />
In „Spaltkopf“ beschreiben Sie die Fa mi -<br />
lie als Familie der starken Frauen. Sehen<br />
Sie sich selbst auch als starke Frau?<br />
ich würde es so sagen: ich bin ein starker<br />
mensch – und eine sehr blöde<br />
Frau.<br />
Wie macht sich diese Stärke bemerkbar?<br />
ich denke, ich sage recht deutlich, was<br />
meine meinung ist, halte den Unab -<br />
hän gigkeitsanspruch in der Kunst für<br />
unentbehrlich und bin auch bereit, für<br />
beides zu kämpfen. Und für mein Kind.<br />
ZUR PERSON<br />
Julya Rabinowich, geb. 1970 im damaligen<br />
Leningrad, „1977 entwurzelt und<br />
umgetopft nach <strong>Wien</strong>“ (Zitat Rabinowich).<br />
Nach der Matura 1993 bis 1996 Dol -<br />
metsch studium an der Uni <strong>Wien</strong> (Rus -<br />
sisch und Englisch), 1995 Geburt ihrer<br />
Tocher. 1996 bis 1998 Propädeutikum<br />
(Vor bereitung auf eine Ps ychotherapie-<br />
Aus bildung), 1998 bis 2006 Malerei-Klas -<br />
se an der Uni für An ge wandte Kunst.<br />
Arbeitet in der Flüchtlingsbetreuung als<br />
Dol metscherin bei Psychiatrie- und Psy -<br />
chotherapiesitzungen.<br />
Parallel schriftstellerisch tätig, Veröffent -<br />
li chungen in Anthologien. 2007 wird das<br />
Stück „nach der Grenze“ im WUK uraufgeführt.<br />
2008 kommt „Romeo + Julia“ im<br />
Schauspielhaus zur Aufführung. Für den<br />
Nestroyhof schrieb sie „Orpheus im Nes -<br />
troyhof“.<br />
Für ihren ebenfalls 2008 er schie nenen<br />
Debütroman „Spaltkopf“ wurde sie jüngst<br />
mit dem Rauriser Litera turpreis ausgezeichnet.<br />
KULTUR • INLAND<br />
Josef Burg 1905-<br />
2009<br />
Der geborene Ös -<br />
ter reicher und letzte<br />
jiddische Dichter<br />
der Ukra ine Josef<br />
Burg verstarb nach<br />
ei nem Schlag an fall<br />
am 10. August 2009,<br />
in seiner Woh nung<br />
in Czer nowitz (heu -<br />
te Cher niv t si) in<br />
der ehemaligen Landhausgasse im<br />
98. Le bensjahr. mit ihm geht – und in<br />
diesem Fall stimmt das vielstrapazierte<br />
Klischee - eine Ära zu Ende.<br />
Der letzte Höhepunkt im langen Leben<br />
des Ehrenbürgers der Stadt Czer -<br />
no witz war die Erfüllung eines oft ge -<br />
äußerten Wunsches, die Verlei hung<br />
eines namhaften Literaturpreises.<br />
Anfang mai 2009 überreichte Erhard<br />
Busek, der ihn als Vizekanzler nach Öff -<br />
nung des Eisernen Vorhanges als ers ter<br />
nach Österreich eingeladen hat te,<br />
und Marianne Gruber, die Präsi den tin<br />
der Österreichischen Gesell schaft für<br />
Literatur, dem Autor den Preis in seiner<br />
Wohnung, die er aus Gesund heits -<br />
gründen seit Jahren nicht mehr verlassen<br />
hatte können. Am 15. mai fand<br />
in Krems-Stein die offizielle Preisver -<br />
leihung stand. Laudator war sein oftmaliger<br />
Übersetzer aus dem Jiddi -<br />
schen, Armin Eidherr, und aus dem<br />
Werk Josef Burgs („Der Zaddik“) las<br />
sein langjähriger Freund und Un ter -<br />
stützer Felix Mitterer.<br />
<strong>Die</strong> hier angefügte Kurzbiographie verzeichnete<br />
folgende Stationen des Schrift -<br />
stellers, dessen gepflegtes alt ös terrei chi -<br />
sches Deutsch den Ger ma nisten Schmidt-<br />
Dengler stets begeis terte:<br />
<strong>Die</strong> Österreichisch-Israelische Gesellschaft in Zusammenarbeit mit SPME<br />
Brigadegeneral a.D.<br />
Ephraim Lapide<br />
Geheimdienstoffizier der IDF<br />
Josef Burg, 30.5.1912 (Wisch nitz/Bu -<br />
ko wina) - 10.8.2009 (Czer nowitz).<br />
Schule und Leh rer seminar des „Jüdi -<br />
schen Schul-Ver eins” in Czer no witz.<br />
1934 erste Er zäh lung in der jiddischen<br />
Zeitschrift ‘tscher nowizer bleter’.<br />
1935-38 Studium der Germanis tik in<br />
<strong>Wien</strong>. Bekanntschaft mit den jid di -<br />
schen Au to ren Mendel Neugrö schel, Ber<br />
Horo witz, Melech Rawitsch. 1941 Flucht<br />
in die Sow jet union. Deutsch leh rer in<br />
der Wolga deut schen Repu blik und<br />
Hoch schul leh rer in iwa nowo. 1959<br />
Rück kehr ins mittlerweile ukrainische<br />
Czernowitz. Lehrer und freier Schrift -<br />
steller; seine Erzählungen werden in<br />
der seit 1961 in moskau erschei nen den<br />
jiddischen Zeitschrift ‘ssowetisch hejm -<br />
land’, aber auch in den USA, in israel<br />
und Po len veröffentlicht. Ab 1990 gab<br />
er in Czer no witz eine jiddische mo -<br />
nats zeitschrift unter dem na men der<br />
1938 zwangseingestellten ‘tschernowizer<br />
bleter’ heraus.<br />
Zu seinem 80. Geburtstag wurde in<br />
Czer no witz eine Festschrift zu seinen<br />
Ehren veröffentlicht. 1992 erhielt er den<br />
israelischen Segal-Preis für Litera tur,<br />
1993 wur de ihm der Ehrentitel „Ver -<br />
dienter Kulturschaffenderder U kra i ne”,<br />
1997 das Österreichische Ehrenkreuz für<br />
Wissenschaft und Kunst I. Klasse verliehen.<br />
Burgs Werke er scheinen, übersetzt<br />
von Beate Petras und Armin Eid herr, seit<br />
2004 in der Reihe „Der Er zäh ler Josef<br />
Burg” im Verlag Hans Boldt, Win sen/<br />
Luhe (BRD).<br />
Josef Burg nahm am 2. mai in sei ner<br />
Wohn ung in Czernowitz den The o dor<br />
Kra mer Preis entgegen. Er empfing die<br />
Dele gation am Schreibtisch sit zend in<br />
blauem Anzug und be dankte sich in<br />
einer halbstündigen, frei ge hal tenen<br />
An sprache. Th. Kramer Gesellschaft<br />
W 1-2/2009, Juli 2009<br />
ISRAEL - eine Geschichte von Demokratie und Terror<br />
Montag, 7. September, um19.00 Uhr<br />
Vortrag in den Räumlichkeiten des "Club Cuvée"<br />
Wipplingerstr. 29, I. Stock, 1010 <strong>Wien</strong><br />
Anmeldung unter info@oeig oder Tel: 01/405 66 83<br />
Wir danken Dr. Ralph Vallon für die Unterstützung und Gastfreundschaft!<br />
54 August 2009 - Aw/Elul 5769
KULTUR • INLAND<br />
August 2009 - Aw/Elul 5769 55
GOTTESDIENSTE<br />
ZU DEN HOHEN FEIERTAGEN 5770/2009<br />
<strong>Wien</strong>er Stadttempel und <strong>Gemeinde</strong>zentrum<br />
<strong>Die</strong> Ausgabe der Eintrittskarten für den Stadttempel und das <strong>Gemeinde</strong>zentrum erfolgt:<br />
Montag, 7. September 2009 bis<br />
Freitag, 18. September 2009<br />
(Erev Rosch Haschanah)<br />
Montag bis Donnerstag:<br />
9.00 – 16.00 Uhr und nach Vereinbarung<br />
Freitag und Erev Rosch Haschanah:<br />
9.00 – 12.00 Uhr<br />
in 1010 <strong>Wien</strong>, Seitenstettengasse 4<br />
IN DEN RÄUMEN DES MITGLIEDERSERVICE<br />
Parterre links<br />
Sollten Sie Ihre Karten außerhalb der Verkaufszeiten abholen wollen, ersuchen wir um<br />
telefonische Voranmeldung. <strong>Die</strong>s erspart Ihnen Wartenzeiten beim Eingang!<br />
Besitzer von Stammplätzen, sowie andere regelmäßige Tempelbesucher<br />
werdenrechtzeitig mit einem individuellen Brief-Fragebogen angeschrieben.<br />
Jene, die Stammplätze haben, werden gebeten, ihre Karten spätestens<br />
bis Montag, 14. September 2009,<br />
zu reservieren bzw. abzuholen.<br />
Nicht beanspruchte Plätze gelangen anschließend zum freien Verkauf.<br />
Ihre Ansprechpartner sind:<br />
Natalia Najder 01/531 04-170, Sylvia Toegel DW 171 und Avi Kihinashvili, DW 190<br />
Gerne bringen wir an Ihrem Platz gegen Entrichtung eines Kostenbeitrages<br />
von Euro 90,- ein Namensschild an.<br />
Bitte, geben Sie Ihren diesbezüglichen Wunsch bei der Bestellung der Karte bekannt.<br />
Ein Kartenkauf Ihrerseits ist ein Solidaritätsbeweis jenen gegenüber, die schon seit Jahren ihren Beitrag zu<br />
den beträchtlichen Aufwendungen für die Erhaltung des Stadttempels leisten. Wir bitten Sie daher, Ihrer<br />
Solidaritätspflicht nachzukommen und sich eine Eintrittskarte – auch eine Steh platz karte – im Tempel zu<br />
sichern! Vielen Dank!<br />
MASKIR-ANDACHT JOM KIPPUR<br />
All jene, die über keine Eintrittskarten verfügen, können der<br />
Maskirandacht am Jom Kippur auch ohne Eintrittskarten beiwohnen.