AHB 254_PDF24 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV
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Meine Erlebnisse seit Weihnachten 1944<br />
Von Gertrud Zühlsdorff<br />
Weihnachten 1944 in Allenstein! Das<br />
letzte im behaglichen eigenen Heim,<br />
sogar noch einmal bei voll versammelter<br />
vierköpfiger Familie. Kurti hatte<br />
bereits seine Notprüfung auf der<br />
Handelsschule bestanden und den<br />
Bereitstellungsbefehl zum R.A.D. erhalten.<br />
Wir befürchteten schon die<br />
Einberufung vor dem Fest, doch das<br />
Schicksal gönnte uns noch ein paar<br />
glückliche Tage. Bis zum 15. Januar<br />
1945 durfte Kurti noch zu Hause<br />
sein. Am 22. Dezember 1944 früh<br />
um 7 Uhr traf unser Gerd überraschend<br />
bei uns ein. Er kam von der<br />
Kriegsschule als neugebackener<br />
Oberfähnrich. Leider waren ihm nur<br />
vier Tage im Elternhaus gegönnt.<br />
Diese vier Tage waren voll glücklicher<br />
Wiedersehensfreude, voll still-seliger<br />
Weihnachtsstimmung, auch bescheidene<br />
Geschenke gab es noch und<br />
etwas Kuchen. Wir vergaßen, dass<br />
der Feind bereits auf deutschem Boden<br />
stand, ja, wir hofften, dass unsere<br />
tapferen Heere ihm standhalten<br />
würden. Die Nachrichten waren<br />
günstig: Offensive im Westen, Standhaftigkeit<br />
im Osten. – Beide Jungens<br />
schmückten gemeinsam den Baum<br />
am 24. Nie werde ich dieses letzte<br />
glückliche Weihnachtsfest vergessen,<br />
und alles Schwere, was dann bis<br />
heute folgte.<br />
Am 26. Dezember abends mussten<br />
wir von Gerd Abschied nehmen,<br />
schweren Herzens, da er nun wieder<br />
an die Front kam, wenn auch nicht<br />
sogleich. Zunächst war seine Garnison<br />
Neuhammer an der Queis in<br />
Schlesien. Von dort erhielten wir bis<br />
zum 21. Januar, dem Tag unserer<br />
Flucht, einen Brief vom 7. Januar und<br />
eine Karte vom 13. Januar aus Sagan.<br />
In Sorge und Hoffnung vergingen<br />
die Tage, bis am 15. Januar<br />
wieder Abschied genommen werden<br />
musste, diesmal vom 16-jährigen<br />
Kurti. Auch dieser Abschied wurde<br />
uns bitter schwer, obgleich wir noch<br />
auf ein kurzes Wiedersehen in einigen<br />
Wochen hofften. Noch immer sehe<br />
ich Kurts traurige Augen durch das<br />
Abteilfenster. Nun folgte eine böse<br />
Woche für uns. Zu der Sehnsucht<br />
nach den Jungs kamen dauernde<br />
Luftangriffe. Wir saßen fast die ganzen<br />
Tage im Keller. Ich kam nicht dazu,<br />
Mittag zu kochen. Mein Mann<br />
hatte ständig Volkssturmdienst, dem<br />
er körperlich nicht gewachsen war.<br />
Auch nachts musste er fort. Der Verzweiflung<br />
nahe waren wir, als die<br />
Nachricht am 17. Januar durchkam,<br />
dass die Russen an diesem Tag in<br />
Mielau, wohin Kurt zwei Tage vorher<br />
zum R.A.D. fahren musste, eingerückt<br />
war.<br />
Sorgenschwer waren meine einsamen<br />
Nächte. Immer näher rückte der<br />
Russe! In einer Freistunde kam Vati<br />
zu mir, um mich zur Flucht zu veranlassen.<br />
Wir nahmen Abschied, und<br />
ich packte. Noch war der Feind 60<br />
bis 70 km entfernt. Am 21. abends<br />
wollte ich mit Frau Polath zusammen<br />
zu deren Eltern nach Königsberg und<br />
von dort mit ihr ins Reich nach<br />
Schivelbein reisen. Das beschlossen<br />
wir, als Vati am 20. abends noch<br />
einmal nach Hause kam. Wir legten<br />
uns zusammen in ein Bett, um uns<br />
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