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AHB 254_PDF24 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV

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hier Gedränge und Warten. Dazu eisige<br />

Kälte. Unsere Mitbewohner verloren<br />

wir alle dabei. Von hier fuhren<br />

nur zwei Züge für Bahn- und Postbeamte<br />

ab. So schoben wir uns langsam<br />

zum 3. Bahnsteig hinüber. Dort<br />

kippte unser Schlitten plötzlich um.<br />

Durch kurzes Aufblitzen der Taschenlampe<br />

sahen wir vier tote Pferde liegen,<br />

über die wir gestürzt waren.<br />

Mühsam luden wir beide schwachen<br />

Menschen wieder auf und schoben<br />

uns weiter. Der dort haltende Zug<br />

war schon überfüllt. So mussten wir<br />

auf den nächsten warten. Wir setzten<br />

uns auf unser Gepäck und wickelten<br />

uns trotz dicker Kleidung noch in unsere<br />

Decken ein, denn es war starker<br />

Frost. Um 12 Uhr fuhr endlich ein<br />

langer Güterzug ein. Auf diesen<br />

drängte nun die Menschenmenge zu.<br />

Alles wollte so schnell wie möglich<br />

fort, denn wir wurden bereits seit einiger<br />

Zeit mit Fliegerbordwaffen beschossen.<br />

Wir hatten dicht an einem<br />

großen Stapel Deckung genommen.<br />

Große Löcher waren schon im Dach,<br />

dazu ein furchtbares Geschrei, was<br />

hauptsächlich von den verängstigten<br />

Kindern herrührte. Es ist auch anzunehmen,<br />

dass es Tote und Verwundete<br />

gegeben hat, man konnte es in<br />

der Finsternis nicht sehen. In dieser<br />

Angst und Aufregung achtete auch<br />

niemand auf die anderen. Gleichzeitig<br />

hörte man, dass Panzer in der Bahnhofstraße<br />

fuhren und schossen. Das<br />

musste der Feind sein! Noch schlimmeres<br />

Gedränge! Mich stieß man<br />

vom Trittbrett! Ich lag unten bei den<br />

Rädern. Es war sehr tief und ich<br />

konnte mich nicht hochziehen. Die<br />

Angst, der Zug könnte anfahren, verlieh<br />

mir endlich doch Kraft, ich war<br />

wieder oben. Der Zug fuhr an, hielt<br />

aber kurz danach wieder. Ich stürzte<br />

mich mit Handgepäck auf eine Tür,<br />

stieg ein, mein Mann reichte mir zunächst<br />

zwei Aktentaschen nach, darauf<br />

sollte das große Gepäck folgen.<br />

Dazu kam es aber nicht, denn der<br />

Zug setzte sich in Bewegung. Mit Hilfe<br />

von Reisenden zog ich meinen<br />

Mann hinein. Nun war außer unserem<br />

Heim auch noch unsere Kleidung,<br />

Wäsche und anderes verloren! Wir<br />

besaßen nur noch Kleinigkeiten und<br />

das, was wir auf dem Leib trugen.<br />

Als der Zug den Bahnhof verlassen<br />

hatte, sahen wir durch die offene<br />

Schiebetür den von der Schlacht<br />

glutroten Himmel, der sich wunderbar<br />

abhob von der Schneelandschaft<br />

und den bereiften Bäumen. Die<br />

Nacht war erleuchtet! Ein schaurigschöner<br />

Anblick! Der letzte von Allenstein!<br />

(Seitdem kann ich kein kräftiges<br />

Abendrot sehen, ohne daran zu<br />

denken.) Wegen der Kälte wurde die<br />

Tür aber geschlossen. Wir saßen im<br />

dunklen Güterwagen auf unseren Aktentaschen,<br />

mit ca. 60 Personen zusammengepfercht,<br />

dazwischen 5<br />

Kinderwagen mit kleinsten Säuglingen.<br />

Also wir fuhren – heraus aus<br />

dem Kessel! Bis zum nächsten Mittag<br />

hofften wir in Schivelbein zu sein.<br />

Wir trösteten uns damit, dass wir ja<br />

schon im Sommer Kleidung, Wäsche<br />

und Betten dorthin geschickt hatten<br />

und von lieben Verwandten erwartet<br />

wurden. Ja, wir hofften, in einigen Wochen<br />

zurückkehren zu können. Aber es<br />

kam anders, ganz, ganz anders.<br />

Der Zug fuhr zunächst bis Wartenburg,<br />

also ostwärts, um von jeder Station<br />

noch Flüchtlinge mitzunehmen,<br />

dann über Zinten nach Braunsberg<br />

am Haff. Hier blieben wir ein paar Tage<br />

und Nächte liegen, was uns sehr<br />

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