AHB 254_PDF24 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV
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Der offene Himmel<br />
Weihnachten und Karfreitag auf einem Bilde, so deutete Marc Chagall als Jude<br />
das Geschehen der Weihnacht. Er hat für die Mainzer St. Stephankirche<br />
die Kirchenfenster mit Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament gestaltet<br />
und verband im Christusfenster die Geburt Jesu mit Maria als Mittelpunkt<br />
mit seinem Opfertod am Kreuz als Mittelpunkt.<br />
Da ist auf der linken Seite Maria mit dem neugeborenen Kind. Sie zieht ihr<br />
Kind an sich; weiß um seine Schutzbedürftigkeit. Gottes Engel steht ihr zur<br />
Seite. Aber die Anwesenheit des Engels hinter ihr deutet auch auf die Einzigartigkeit<br />
dieser Geburt. Worte wie „er wird Sohn des Höchsten genannt werden<br />
und Gott wird ihm den Thron seines Vaters David geben“ rufen ja nicht<br />
nur gläubige Bereitschaft in ihr hervor, sich Gott zur Verfügung zu stellen,<br />
sondern sicher auch ein Erschrecken über die Größe dieser Verheißung. In ihrem<br />
Gesicht spiegeln sich Unsicherheit und Sorge wider, die der Engel hinter<br />
ihr mit einer Geste aufmunternder Berührung zu nehmen versucht. Und Licht<br />
geht von beiden aus; der kahle Busch links unten treibt erste Knospen. Wir<br />
werden an das Lied „Es ist ein Ros entsprungen, aus einer Wurzel zart“ erinnert.<br />
Das Goldgelb scheint den göttlichen Bereich anzudeuten, an dem auch<br />
Maria durch die Geburt des Jesuskindes teil hatte.<br />
Auf der anderen Seite Christus am Kreuz, nicht als der Leidende, sondern<br />
aufrecht stehend, als der gerechte Gottesknecht, zu dem sich Gott mit seiner<br />
Auferweckung bekannt hat. Seine Gestalt erscheint in goldenem Licht. Von<br />
allen Seiten kommen die Engel, um ihm zu huldigen. Als Christen würden wir<br />
es als das Licht des Auferstandenen, des zu Gott Erhöhten ansehen. Es ist<br />
schon erstaunlich, dass Chagall als Jude zu so weit gehenden christlichen<br />
Deutungen seiner Werke Raum geben konnte. Er konnte es, weil er die Weissagungen<br />
des Propheten Jesaja in den Liedern vom Gottesknecht auf Jesus<br />
bezogen hat. Dort steht: Der Gottesknecht muss durch tiefes Leide gehen,<br />
wird erniedrigt und verkannt von den Seinen; er trägt die Sünden der Menschen<br />
und stirbt für sie; aber am Ende steht seine Rechtfertigung durch Gott<br />
und seine Erhöhung. Was in der Geburt des Jesuskindes klein begonnen hat,<br />
wird am Kreuz als dem „Weltereignis“ vollendet. In dem Christus am Kreuz<br />
finden wir Zugang zu Gott. Chagall deutet das an mit der Leiter hinter dem<br />
Kreuz. Jakobs Traum von der Himmelsleiter (1.Mose 28, 10-19) ist in Erfüllung<br />
gegangen: Der Himmel ist offen.<br />
Mit diesen Gedanken wünsche ich allen Leserinnen und Lesern des Allensteiner<br />
Heimatbriefes ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest.<br />
Ihr Horst Kolberg, Pastor i.R.<br />
Wenn Sie Interesse haben, Näheres über Chagalls Arbeiten zu den Kirchenfenstern in<br />
St. Stephan zu erfahren, verweise ich auf das Standardwerk von Klaus Mayer, das<br />
auch ich als Quelle benutzt habe. Marc Chagall/Klaus Mayer: Die Chagallfenster zu St.<br />
Stephan in Mainz; 4 Bände, ISBN 3-429-00616-3, Echter Verlag.<br />
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