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Konfliktregelung und Friedenssicherung im internationalen System

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2.3 Ethnopolitische Konflikte als Erscheinungsform neuer Kriege 39<br />

Auch der „ethnische“ Konflikt in Bosnien weist ein ähnliches Phänomen auf: Die<br />

verfeindeten Musl<strong>im</strong>e <strong>und</strong> Serben unterscheiden sich „ethnisch“ nicht: 80 Prozent<br />

der Musl<strong>im</strong>e sind Serben, die <strong>im</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert unter osmanischer Herrschaft<br />

meist aus rein pragmatischen Gründen zum Islam konvertiert sind. Der Unterschied<br />

zwischen Musl<strong>im</strong>en <strong>und</strong> Serben in Bosnien ist also religiöser Natur – trotzdem hat<br />

ein Prozess eingesetzt, der aus diesen religiösen Unterschieden verschiedene<br />

„Ethnien“ konstruiert hat (vgl. Hippler 1997: 27ff; neuere Übersicht Keßelring<br />

2005).<br />

Wie aber entsteht ein solches Gefühl ethnischer Zugehörigkeit oder „ethnischer<br />

Identität“, die <strong>im</strong> Extremfall die Vernichtung der „verfeindeten“ Ethnie legit<strong>im</strong>iert?<br />

In der Forschungsliteratur finden wir drei unterschiedliche Sichtweisen des Phänomens<br />

der ethnischen Identität: die pr<strong>im</strong>ordialistische, die konstruktivistische<br />

<strong>und</strong> die instrumentalistische Sichtweise.<br />

Die pr<strong>im</strong>ordialistische Sichtweise führt ethnische Zugehörigkeit auf natürliche<br />

(biologische) <strong>und</strong> spirituelle Gemeinsamkeiten einer „Ethnie“ zurück:<br />

„[...] for virtually every person, in every society, at almost all t<strong>im</strong>es, some<br />

attachments seem to flow more from a sense of natural – some would say<br />

spiritual – affinity than from social interaction.“ (Geertz 1996: 42)<br />

Ethnische Identität ist daher nach pr<strong>im</strong>ordialistischer Auffassung eine naturgegebene,<br />

unveränderbare Größe (vgl. Isaacs 1981: 30). Diese Konflikte unterscheiden<br />

sich laut den Pr<strong>im</strong>ordialisten von anderen Konflikttypen insbesondere dadurch,<br />

dass sie stärker die emotionale <strong>und</strong> psychologische D<strong>im</strong>ension menschlicher<br />

Interaktion berühren <strong>und</strong> weniger als andere Konflikte anhand „rationaler“<br />

Faktoren wie beispielsweise divergierender Interessen zu erklären sind (vgl. Stack<br />

1997: 17). In den Medien, in den Aussagen politischer Akteure, aber zum Teil<br />

auch in der Forschungsliteratur tauchen Teilaspekte des pr<strong>im</strong>ordialistischen Erklärungsansatzes<br />

häufig verkürzt in der Form eines „everyday pr<strong>im</strong>ordialism“ (Fearon/Laitin<br />

2000: 848) auf. Dieser „everyday pr<strong>im</strong>ordialism“ betrachtet die Welle<br />

ethnopolitischer Konflikte als einen Rückfall in die Vergangenheit, ein Wiederaufleben<br />

alter <strong>und</strong> tief verwurzelter ethnischer Antagonismen <strong>und</strong> Hassgefühle<br />

(„ancient hatreds“, Kaplan 1993), die durch den Kolonialismus <strong>und</strong> bzw. oder den<br />

Kalten Krieg „eingefroren“ gewesen seien <strong>und</strong> sich nach dem Ende des Blocksystems<br />

in Osteuropa <strong>und</strong> anderen Teilen der Welt in gewaltförmigen Konflikten<br />

entladen habe (vgl. W<strong>im</strong>mer 2004: 3).<br />

Innerhalb der Forschung besteht inzwischen Konsens darüber, dass die verkürzende<br />

Sichtweise des „everyday pr<strong>im</strong>ordialism“ <strong>und</strong> der „ancient hatreds arguments“<br />

entschieden zurückzuweisen ist, weil sie keine seriöse wissenschaftliche<br />

Betrachtungsweise darstellt (vgl. Psalidas-Perlmutter 2000: 240; Brown 2001: 3).<br />

Aber auch die wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierteren pr<strong>im</strong>ordialistischen Erklärungsansät-<br />

Ethnische Identität als<br />

naturgegeben <strong>und</strong><br />

unveränderbar

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