Logbuch2011 02 - bei der Reservistenkameradschaft Marine Berlin
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SICHERHEITSPOLITIK<br />
SICHERHEITSPOLITIK<br />
DER GEGENWÄRTIGE AUFSTAND<br />
IN DER ARABISCHEN WELT<br />
Der Islam und <strong>der</strong> Islamismus als politische Herausfor<strong>der</strong>ung!<br />
Ein Vortrag des Botschafter a.D. Dr. Fiedler <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Marine</strong>-<br />
Offizier-Messe <strong>Berlin</strong> und ihren befreundeten maritimen<br />
Verbänden am 7. April 2011 im P Y C<br />
Heinz Fiedler<br />
Auf zwei Ereignisse von epochaler<br />
Bedeutung blickt die Welt<br />
seit Anfang dieses Jahres tief<br />
verunsichert:<br />
1) Auf die Natur- und atomare<br />
Katastrophe in Japan und<br />
2) Die Jahrhun<strong>der</strong>tumwälzung<br />
im arabischen Raum.<br />
Der dramatische Umbruch im<br />
gesamten Nahen Osten und<br />
Nordafrika berührt uns unmittelbar,<br />
weil wir Nachbarn sind.<br />
Viele Menschen fragen sich,<br />
wohin treibt <strong>der</strong> Aufstand? Sind<br />
die Araber fähig zur Demokratie<br />
und ist diese mit dem Islam<br />
vereinbar? Was bedeutet <strong>der</strong><br />
Islamismus als politische Herausfor<strong>der</strong>ung?<br />
Vorausschicken möchte ich, dass<br />
ich kein Theologe bin, son<strong>der</strong>n<br />
von Berufs wegen mit Außenpolitik<br />
und Völkerrecht zu tun hatte.<br />
Über Religionen kann man<br />
nicht diskutieren, sie sind Glaubensbekenntnisse,<br />
die beson<strong>der</strong>e<br />
Sensibilität erfor<strong>der</strong>n. Und<br />
noch eins: Nachdem ich mehr als<br />
30 Jahre mit Problemen des Nahen<br />
Ostens im In- und Ausland<br />
befasst war, habe ich mir abgewöhnt,<br />
Voraussagen zu machen.<br />
Wir haben gerade wie<strong>der</strong> erlebt,<br />
wie unvermittelt und Naturgewalten<br />
gleich ein Sturm über die<br />
ganze Region fegt.<br />
Schon Herodot bemerkte „und<br />
jeden Tag Neues aus dem Orient“,<br />
und Langeweile gibt es-<br />
nicht, lautet ein altes Sprichwort<br />
von Nahostkennern. Die Entwicklung<br />
verlief historisch gesehen,<br />
zumeist in Schüben und erstreckte<br />
sich nicht nur auf ein<br />
Land, son<strong>der</strong>n die ganze Region<br />
gleichsam wie ein Stein den man<br />
ins Wasser wirft, das sich dann<br />
wellenförmig ausbreitet.<br />
Manche Beobachter sprechen<br />
schon von einem arabischen<br />
Frühling und vergleichen die<br />
Botschafter a.D. Dr. Heinz Fiedler<br />
Ereignisse mit dem Fall <strong>der</strong> <strong>Berlin</strong>er<br />
Mauer und dem Zusammenbruch<br />
des Ostblocks. Je<strong>der</strong><br />
Vergleich hinkt bekanntlich,<br />
denn noch weiß niemand, wie<br />
das Ergebnis am Ende aussieht,<br />
ob die Entwicklung zu mehr<br />
Freiheit führt o<strong>der</strong> ob auf die arabische<br />
„Revolution“ (wenn man<br />
den Begriff denn benutzen darf),<br />
eine Konterrevolution folgt.<br />
Zu ungleich sind die politischen,<br />
wirtschaftlichen und sozialen<br />
Verhältnisse, in den einzelnen<br />
Län<strong>der</strong>n, als dass man sie über<br />
einen Kamm scheren könnte.<br />
Aber gemeinsam ist ihnen, dass<br />
sie von wenigen Ausnahmen,<br />
wie Libanon, abgesehen, Autokratien<br />
sind, die seit Jahren von<br />
denselben alten Männern regiert<br />
werden o<strong>der</strong> die Dynastien gegründet<br />
haben, die zwar einst<br />
Stabilität garantiert haben, aber<br />
inzwischen zu Stagnation und<br />
politischer Sklerose verkrustet<br />
sind.<br />
Gleichzeitig wächst eine junge<br />
Generation heran, die ohne Perspektive<br />
ist. Der Anteil <strong>der</strong> unter<br />
25-jährigen lag 2010 im<br />
Schnitt um die 50%. Vergegenwärtigt<br />
man sich das Bevölkerungswachstum,<br />
so betrug die<br />
Bevölkerung z.B. in Ägypten<br />
1950 = 20,4 Mio. heute sind es<br />
über 80 Mio. in Tunesien 1,5<br />
Mio. heute 11 Mio. in Algerien<br />
8,8 Mio. heute 36 Mio. usw.<br />
Nach Schätzung <strong>der</strong> VN werden<br />
2015 rund 400 Mio. Menschen<br />
in den arabischen Län<strong>der</strong>n leben,<br />
1980 waren es noch 150 Mio.<br />
Ein weiteres Problem ist das Analphabetentum:<br />
In Ägypten<br />
=34%, in Tunesien =32%, in Jordanien<br />
8%, im Libanon 10%, am<br />
höchsten im Jemen mit 39%.<br />
Die größte Herausfor<strong>der</strong>ung ist<br />
die Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit. Diese liegt<br />
<strong>bei</strong> Jugendlichen zwischen 16%<br />
in Marokko und über 50% in Algerien<br />
und dem Irak, in Ägyp-<br />
16 LOGBUCH 2/2011